Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.
1 Bauwerksunterhaltung in einem Stadtstaat
Historisch sind die Baulasten, aber auch die Aufgaben der Er- und Unterhaltung von Ingenieurbauwerken nach DIN 1076 in der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) auf verschiedene Dienststellen verteilt. Mit der Senatsdrucksache 2021/00684 „Entflechtung von Aufgaben und Vermeidung von Doppelarbeit“ aus dem Jahr 2012 wurde die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) beauftragt, die Zuständigkeiten für sämtliche Ingenieurbauwerke nach DIN 1076 auf die BVM als Bedarfsträger zu verlagern und den Realisierungsträger Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) umfassend mit diesen Aufgaben zu beauftragen. Ziel war und ist es, begrenzt zur Verfügung stehende Haushaltsmittel effektiv und zielgerichtet mit Blick auf den gesamten Lebenszyklus einzusetzen und damit einen zunehmenden Verfall des Bauwerksbestandes aufzuhalten bzw. diesem entgegenzuwirken.
Der LSBG stand mit dieser Aufgabe vor der Herausforderung, die notwendigen Strukturen für die betriebliche und bauliche Unterhaltung von mind. 1.300 Teilbauwerken im Auftrag der BVM aufzubauen.
Bild 1: Die Lombardsbrücke während einer Instandsetzung (Foto: LSBG N.Krause)
2 Eine leistungsfähige IT-Lösung als Voraussetzung
Schnell war den Projektverantwortlichen klar, die Aufgabe der betrieblichen und baulichen Unterhaltung lässt sich nur mit einer leistungsfähigen IT-Lösung bewältigen. Diese IT-Lösung muss mit den bestehenden Systemen des LSBG in den Bereichen Bauwerksverwaltung, aber im Besonderen auch der Buchhaltung eng verknüpft sein und die Anforderungen an die Datenqualität von zu liefernden Daten für ein stadtweites Erhaltungsmanagement (s. Abschnitt 3) erfüllen. Eine neue IT-Lösung muss aber gleichzeitig auch die Planung und Durchführung der Arbeitsprozesse unterstützen.
Die Gesamtaufgabe der betrieblichen und baulichen Unterhaltung kann in die folgenden maßgebenden Aufgaben unterteilt werden:
- Mobile Schadenserfassung,
- Durchführung von Unterhaltungsmaßnahmen,
- Technische Objektverwaltung.
Nach einer umfangreichen Marktanalyse und Wirtschaftlichkeitsuntersuchung hat sich der LSBG für den Ausbau des bereits im Einsatz befindlichen ERP-Systems von SAP entschieden. Die dort zur Verfügung gestellten integrierten Lösungen von der mobilen Schadenserfassung über das technische Anlagenmanagement, das Ressourcenmanagement bis zur Kostenleistungsrechnung und dem fachlichen Controlling, einschließlich der Anbindung an das vorhandene System SAP CO/FI (Controlling und Finanzen), erfüllten alle Anforderungen des Projektes.
Bild 2: Eingesetzte SAP-Module in der Übersicht (Grafik: LSBG K.Vezér)
3 Der Unterhaltungsprozess in SAP
Um den gesamten Unterhaltungsprozess abbilden zu können, kommen mehrere SAP Module im Verbund zum Einsatz. Nachfolgend werden die einzelnen Komponenten, aber auch die Wechselwirkungen beschrieben und ein Ausblick auf die geplante Weiterentwicklung in den einzelnen Prozessbereichen gegeben.
3.1 Technische Anlagenverwaltung
Der digital gestützte Unterhaltungsprozess beginnt mit der Stammdatenverwaltung der Objekte, die unterhalten werden sollen. Hier setzt der LSBG für die bisherigen Aufgaben innerhalb der Bauwerksverwaltung die SIB-Bauwerke (SIB-BW) ein. Die Grunddaten zu den Ingenieurbauwerken werden aus der SIB-BW in das SAP-System übernommen und mit weiteren, für die Unterhaltung relevanten und notwendigen Daten, die die SIB-BW nicht vorhält, ergänzt. Hier sind besonders weitere organisatorische Daten für die Arbeitsplanung wie z. B. Zuständigkeiten, aber auch die Nutzung von Unterhaltungsprioritäten zu erwähnen.
Ein wichtiger Bestandteil innerhalb der SAP-Module ist das SAP Geographical Enablement Framework (SAP-GEF). Diese interaktive Kartenanwendung bietet die Möglichkeit von räumlichen Auswertungen der verschiedenen Daten – unter anderem der Bauwerke – auf einer Stadtkarte.
Die so in SAP vorgehaltenen Stammdaten sind für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort über ein mobiles Endgerät abrufbar und unterstützen die Entscheidungsfindung vor Ort. Bisherige Systeme des LSBG sind in großen Teilen nur aus dem Büro heraus oder mit besonders guter Internetanbindung abrufbar. In der Weiterentwicklung des Systems sollen immer mehr Informationen und Daten zu dem Bauwerk zentral über die App mobil bereitgestellt werden.
Die Digitalisierung im konstruktiven Ingenieurbau schreitet darüber hinaus im Besonderen durch die Einführung der BIM-Methodik voran. Eine Integration der dabei verwendeten Daten und Modelle wird derzeit in Anwendungsfällen erarbeitet und ist für eine zukünftige Ausbaustufe des Systems angedacht.
3.2 Mobile Schadenserfassung
Ausgangspunkt für die mobile Erfassung von Unterhaltungsschäden sind die laufenden Beobachtungen und Besichtigungen nach DIN 1076. Für die Terminierung der Laufenden Beobachtung und Besichtigung wurden in SAP Plant Maintenance (SAP PM) sogenannte Wartungspläne angelegt. Diese steuern nicht nur die zeitliche Durchführung, sondern geben den Kolleginnen und Kollegen vor Ort den Umfang der notwendigen Arbeiten am Bauwerk vor. Der/die zuständige Mitarbeiter:in erhält direkt den Auftrag mit der dazu passenden Checkliste und dem geplanten Stichtag.
Bild 3: Erfassen einer Meldung in der SAP-App (Foto: LSBG Screenshot aus der SAP-App)
Im Rahmen der Abarbeitung können die festgestellten Schäden direkt in der mobil bereitgestellten App erfasst werden. Hierfür gibt es einen bauteilorientierten Schadenskatalog in Anlehnung an den Schadensbeispielkatalog der RI-EBW-Prüf. Diese Informationen stehen unmittelbar nach Abschluss der Arbeit vor Ort der weiteren Arbeitsplanung zur Verfügung und der nächste Schritt in der Prozesskette, die Beseitigung der Unterhaltungsschäden, kann starten.
Bild 4: Ein Mitarbeiter des LSBG während der Besichtigung mit der SAP-App in einem Hamburger Park (Foto: LSBG N.Krause)
3.3 Umsetzen von Unterhaltungsmaßnahmen und Ergebnisauswertung
Die integrierte interaktive Kartenanwendung spielt in der Arbeitsplanung ihre besonderen Stärken aus. Auf der Karte lassen sich die Meldungen aus der Laufenden Beobachtung und Besichtigung anzeigen und nach verschiedenen Kriterien filtern. So ist es der Arbeitsplanung möglich, sowohl räumliche als auch inhaltliche Cluster zu bilden.
Bild 5: Anwendung des GEF-Moduls in der Arbeitsplanung (Foto: LSBG Screenshot aus SAP-GEF)
Im System werden für zusammengefasste Maßnahmen automatisch Aufträge auf Objektebene angelegt, die eine spätere objektscharfe Abrechnung ermöglichen. Die Kontrolle der Durchführung der Maßnahmen vor Ort und die Abrechnung erfolgen ebenfalls auf Basis der erstellten Aufträge.
Durch das der Bestellung oder dem Instandhaltungsauftrag mitgegebene Abrechnungselement, werden alle auflaufenden Kosten direkt auf das Bauwerk weitergereicht.
Erst dieser voll digitale Arbeitsprozess bietet die Möglichkeit, die eigene Handlungsweise transparent darzustellen, systematisch auszuwerten und weiter zu optimieren. Das vorgenannte eingeführte System bietet vielfältige Möglichkeiten, Fragen aus Politik und Verwaltung zu beantworten. Dazu gehört zum Beispiel: „Was kosten einzelne Aufgaben wie Reinigungsleistungen?“. Die Zahlen geben aber auch Hinweise auf weit komplexere Zusammenhänge, wie „Was kosten Holzbrücken über den gesamten Lebenszyklus im Vergleich zu anderen Bauweisen?“, oder helfen Make-or-Buy Entscheidungen zu fällen.
4 Assetmanagement für Hamburgs Infrastruktur
In der Drucksache 21/13592 „Grundsätze des Erhaltungsmanagements der Freien und Hansestadt Hamburg“ (im Weiteren Drucksache Erhaltungsmanagement) aus dem Jahr 2018 werden die Prozesse und Ziele eines ganzheitlichen Erhaltungsmanagements für das Infrastrukturvermögen der Stadt Hamburg definiert. Die Bedeutung der Unterhaltung als Grundvoraussetzung zum Erreichen der geplanten Lebensdauer von Ingenieurbauwerken wird darin betont.
Bild 6: Übergeordnete Assetmanagement Ziele der Drucksache Erhaltungsmanagement (Grafik: LSBG K.Vezér)
Die Drucksache Erhaltungsmanagement definiert drei übergeordnete Erhaltungsziele:
Ziel 1: Werterhalt durch ausreichende Investitionen Ziel 2: Guter Zustand Ziel 3: Erhaltung, die das Erreichen der geplanten Nutzungsdauer sicherstellt.
Ein wichtiger Aspekt eines modernen Assetmanagement-Systems ist es, Verbesserungspotenziale zu erkennen und sich stetig weiterzuentwickeln. Oft kann man gerade im politischen Kontext Chancen und Risiken nur mit Kennzahlen belegen – daher wurden in der Drucksache bereits erste Kennzahlen definiert.
Eine gute Datenbasis ermöglicht v. a. längerfristig eine verlässlichere Leistungs- und Finanzplanung mithilfe von datenbasierten Prognosetools. Das geplante integrierte Monitoringsystem der Freien und Hansestadt Hamburg macht eine Erfolgskontrolle und dadurch die kontinuierliche Verbesserung im gesamten Assetmanagement-System möglich. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen alle von der Drucksache Erhaltungsmanagement geforderten objektbasierten Daten erfasst und für eine noch bessere Entscheidungsbasis zur Verfügung gestellt werden – und das nicht nur für die Ingenieurbauwerke, sondern für alle Assets im Bestandsmanagement des LSBG.
5 Einblick in den derzeitigen Projektstand
Nur mit einer integrierten Systemlandschaft können alle Anforderungen an Datenumfang, -qualität und -verfügbarkeit gewährleistet werden. Der LSBG erweitert dafür aktuell das für die Bauwerksunterhaltung eingeführte IT-Verfahren.
Für die zentrale Datenhaltung im LSBG wird ein zentrales Objektverzeichnis eingeführt mit dem Ziel, technische und kaufmännische Daten zu verknüpfen. Das Kerngeschäft soll in der Zukunft so abgewickelt werden, dass Kosten und Erlöse aus Projekten und Daueraufgaben zu Objekten zuordenbar sind. Auf dieser Datenbasis ist es erst möglich, ein flexibles und modernes Reporting- und Monitoring-Tool aufzusetzen, welches zugleich als Schnittstelle für die Aufbereitung und Bereitstellung der Daten dienen soll, die zukünftig an das zentrale Monitoringsystem der FHH regelmäßig weitergeleitet werden müssen. Die Priorisierung, Steuerung und Überwachung der Tätigkeiten sollen dabei durch ein Portfoliomanagement-Tool unterstützt werden.
5.1 Objektverzeichnis
Das Objektverzeichnis liefert ein anlageklassen-übergreifendes, gesamthaftes Verzeichnis der Assets. Es beschreibt einzelne Anlagenobjekte und Beziehungen zwischen den Objekten in Form von hierarchischen Strukturen, im jeweiligen Netz und sonstige Verknüpfungen zwischen Objekten, auch über Anlagenklassen hinweg.
Zu jedem Asset existiert ein Minimalset an Informationen (Schlüssel ID, Status, Zuordnung zu Assetklasse etc.).
Objekte können sowohl als punktuelle, linienförmige, flächige (2D, Polygone) als auch räumliche Objekte (z.B. Punktwolken aus Befliegungen, 3D-Modelle, 2.5D Modelle wie z. B. Oberflächen mit Aufbauinformationen aus Bohrkernen, Georadar etc.) abgebildet werden.
Neben Verknüpfungen von Objekten innerhalb einer Assetklasse in Form von hierarchischen Strukturen oder Netzen (Straßennetze, Wasserstraßennetze, Ver-/Entsorgungsnetze etc.) werden auch Verknüpfungen zwischen Objekten über Anlageklassen hinweg ermöglicht. Damit können die in der Praxis komplexen Zusammenhänge zwischen Anlagenobjekten verschiedener Assetklassen, wie z. B. Brücken und Straßen, flexibel im Objektverzeichnis abgebildet werden.
Für die Assetklasse Straße wurden 6 Hierarchieebenen definiert, dabei ist eine Ebene die sogenannte Referenzebene, auf welchen spezielle Kennzahlen berechnet werden sollen. Diese Kennzahlen können die Kenngrößen einzelner Assets / Gruppen von Assets in Bezug zu dem Gesamtbestand oder Teilbeständen der Assets setzen. Dies sind beispielsweise die Anzahl oder die Flächen aller Brücken in Gebiet xy oder die Gesamtstraßenfläche der Hauptverkehrsstraßen in der FHH. Auf dieser Ebene findet auch die Zuordnung zu den kaufmännischen Anlagen der Anlagenbuchhaltung statt. Jedem Anlageobjekt in der Anlagenbuchhaltung entspricht ein Technischer Platz der Referenzebene. Aufgabe des Objektverzeichnisses ist es, diese logische Verknüpfung abzubilden.
Für die Abbildung weiterer Daten zu den einzelnen Objekten wird das Klassifizierungssystem im SAP Enterprise Asset Management (EAM) genutzt.
5.2 Prognose für Hamburgs Straßen
Eine wesentliche Funktion zum Erfüllen der Anforderungen der Drucksache Erhaltungsmanagement ist eine langfristige Planung von einzelnen Erhaltungsmaßnahmen, aber auch von Neu- und Ersatzneubauten. Nur so lässt sich für die jeweilige Assetklasse eine valide Prognose des Zustandes, aber auch der zukünftig benötigten investiven und konsumtiven Haushaltsmittel aufstellen.
Im Rahmen eines Proof of Concept wurde eine eigene Prognose-App für die Belange der kommunalen Straßen entwickelt. Hier wird sich an bestehende PMS-Prozesse aus dem Fernstraßenbereich angelehnt. An den notwendigen Stellen wird vereinfacht und für die Anwendung auf ein Realflächenmodell angepasst. Auf Basis des Zustandes aus den ZEB-Kampagnen und weiteren Informationen zu Alter und Aufbau der Straßen wird so die Zustandsveränderung prognostiziert und geeignete Maßnahmen vorgeschlagen.
Alle Informationen aus diesen Anwendungen laufen über eine Integrationsplattform mit einer zusätzlichen Datenbank zusammen und aus diesem heraus werden für die freigegebenen Prognosen Bedarfsmeldungen angelegt. Der operative Assetmanager findet nun sowohl aktuelle Schadensmeldungen aus der Zustandserfassung als auch die prognostizierten Bedarfe im System. Auf dieser Basis kann die technische objektscharfe Bedarfsplanung durchgeführt werden. Dabei stehen auch Informationen zu nicht zustandsindizierten Maßnahmen bereit. Diese können bei der Entscheidung ebenfalls berücksichtig werden. Der konkrete technische Bedarf wird als Instandhaltungsauftrag (IH-Auftrag) oder als Projekt im System angelegt und von den zuständigen operativen Bereichen im LSBG weiterbearbeitet.
Zustands- und Bedarfsprognosen sollen nach der Drucksache Erhaltungsmanagement jährlich aktualisiert werden. Sobald die Bedarfsmeldungen in einen IH-Auftrag bzw. ein Projekt überführt wurden, werden diese als eine fixierte Erhaltungsmaßnahme in der aktualisierten Prognose berücksichtigt. Bedarfsmeldungen, die zum Zeitpunkt der erneuten Prognose im Systemstatus offen sind, werden vor der Veröffentlichung der aktualisierten Prognose abgeschlossen. So ist eine Analyse über die Veränderungen der jeweiligen Prognosen und eine Historisierung möglich.
Des Weiteren wurde für die Bedarfsplanung eine eigene Applikation entwickelt mit besonderem Augenmerk auf die Benutzerfreundlichkeit bei der Anzeige von einer Vielzahl von Meldungen und Informationen zu den Technischen Objekten. Diese App soll bei der Anlage von IH-Aufträgen bzw. Projekten mit Verknüpfung zu den technischen Objekten unterstützen.
6 Ausblick
Das System soll im LSBG schrittweise ausgebaut werden. Es sind weitere Schnittstellen geplant, zum Beispiel zu der Neuentwicklung von SIB-Bauwerken. Weitere Integrationen, beispielsweise die Einbindung von Sensorendaten, Bohrkernuntersuchungsergebnissen oder BIM-Modellen soll pilotiert werden. Das Ziel ist, die Entwicklung einer Art „Erhaltung 4.0“, in welcher auf einer verbesserten Datenbasis eine bessere und einfachere Entscheidungsfindung ermöglicht wird.
Literaturverzeichnis
Drucksache 21/13592 Grundsätze des Erhaltungsmanagements der Freien und Hansestadt Hamburg vom 26. 6. 2021 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg
Senatsdrucksache 2012/00684 Entflechtung von Aufgaben und Vermeidung von Doppelarbeit vom 16. 3. 2012 Senat der Freien und Hansestadt Hamburg |