FGSV-Nr. FGSV 002/136
Ort Kassel
Datum 23.02.2023
Titel Herausforderungen eines Erhaltungsmanagementsystems für kommunale Straßennetze/EMS Berlin
Autoren Dipl.-Ing. (FH) Ulrich Pfeifer
Kategorien Kommunal
Einleitung

Mit dem Aufbau eines Erhaltungsmanagements für die Stadtstraßen Berlins hat die Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz Neuland betreten. Die bisherige Vorgehensweise, auch bei den großen Straßenbauverwaltungen des Bundes und der Länder, erfolgt kampagnenweise – das heißt, nach den turnusgemäßen Erfassungen und Bewertungen des Zustands, werden diese Daten zusammen mit den Netzdaten sowie Aufbau- und Altersinformationen bei Dienstleistern zu PMS-Berechnungen verarbeitet. Die daraus entstehenden Maßnahmenlisten sind dann die Grundlage für die Projekte der nächsten Jahre.

Die oberste Straßenbaubehörde für die Stadtstraßen hat mit Auftrag des Berliner Abgeordnetenhauses die Aufgabe des Aufbaus eines kontinuierlich arbeitenden systematischen Erhaltungsmanagementsystems übernommen. Als besondere Herausforderungen stellten sich dabei neben den gestiegenen Anforderungen an IT-Produkte an die Barrierefreiheit und die Gebrauchstauglichkeit die notwendigen Anforderungen an die Netzbeschreibung, die Datenrelationen, die Beschaffung von Aufbau und Zustandsdaten sowie bisher nicht erarbeitete Verhaltensfunktionen für kommunal-typische Oberbaukonstruktionen raus.

Da es keine Option war, das Erscheinen der neu strukturierten und inhaltlich dem Stand des Wissens und der Technik angepassten „Empfehlungen für das Erhaltungsmanagement von Innerortsstraßen“ (E EMI) abzuwarten, mussten für diese und andere Fragestellungen plausible und praktikable Lösungen erarbeitet werden.

Die Erweiterung des EMS um Anlagen des Rad- und Fußverkehrs wird weitere interessante Entwicklungen bringen.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln. 

1 Einleitung

Die Bezirklichen Straßen und Grünflächenämter sind Träger der Straßenbaulast. Diese umfasst nach Berliner Straßengesetz „…alle mit dem Bau und der Unterhaltung der öffentlichen Straßen zusammenhängenden Aufgaben…“. „Die öffentlichen Straßen sind im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Trägers der Straßenbaulast so zu bauen, zu unterhalten, zu erweitern, zu verbessern oder zu ändern, dass sie dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügen.“

Öffentliche Straßen im Sinne dieses Gesetzes sind Straßen, Wege und Plätze, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind.

Neben Planung, Bau, Unterhalt und Betrieb ist die Erhaltung der Substanz bzw. des Anlagewerts und der verkehrlichen Funktion sowie der Gebrauchstauglichkeit der gewidmeten Straßen Hauptaufgabe des Baulastträgers. Der Begriff Erhaltung umfasst hier sowohl die Erhaltung der einzelnen Objekte (Straßen) als auch des Straßennetzes in seiner Gesamtfunktion.

Auf Grund der mit modernen Erwerbsbiografien, häufig wechselnden Verantwortlichkeiten in den Verwaltungen und der ständig wachsenden Straßennetze sowie die über die Jahre unübersichtliche Vielfalt der Bauweisen können auf Wissen und Erfahrung basierende Erhaltungsansätze nicht mehr zielführend umgesetzt werden.

Auch das Verlangen nach transparenter objektivierter Entscheidungsfindung bei der Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen machten eine systematische IT-basierte Erhaltungsplanung notwendig.

Mit Beschluss des Abgeordnetenhauses vom 22. 6. 2017 wurde der Senat aufgefordert, ein Erhaltungsmanagementsystem für die Straßen in der Baulast des Landes Berlin (EMS Berlin) zu erstellen.

Da algorithmenbasierte Pavement-Managementsysteme in Deutschland bis dato als kampagnenorientierte Dienstleistungen angewandt wurden, ergab sich die Notwendigkeit, ein durch den Baulastträger zu nutzendes System zu entwickeln.

In einer ersten Stufe wurde das System für die Fahrbahnen der Berliner Straßen aufgebaut, optional ist die Erweiterung des Systems auf die Verkehrsflächen des Rad- und Fußverkehrs vorgesehen.

Mit wissenschaftlicher Begleitung des STZ Karlsruhe (Prof. Stöckner) wurde die Aufgabenstellung für das EMS Berlin erarbeitet und nach einem aufwändigen Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb die Fa. Heller Ingenieurgesellschaft mit dem Aufbau des EMS beauftragt.

Es ist festzuhalten, dass im Technischen Regelwerk Lücken vorhanden sind, die für eine Umsetzung eigenen inhaltlichen Entwicklungsaufwand erfordert und auch auf dem Markt vorhandene Lösungen nicht umfassend alle Anforderungen an ein Erhaltungsmanagement erfüllen. Daher war es notwendig, basierend auf dem vorhandenen Stand des Wissens und der Technik eigene Weiterentwicklungen voranzutreiben. Im vorliegenden Beitrag soll daher auf allgemeiner Ebene über die aufgetretenen Herausforderungen im Rahmen der Umsetzung berichtet werden.

2 Aufgabenstellung zum Aufbau des EMS Berlin

Der Aufbau des EMS Berlin erfolgte auf Basis folgender Aufgabenstellung:

In der Baulast des Landes Berlin ist ein Netz von ca. 5.500 km Straßen zu verwalten. Die wesentlichen Aufgaben der Straßenerhaltung nehmen die zwölf Bezirke wahr, die Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz (SenUMVK) ist für das Festlegen übergeordneter Grundsätze zuständig. Ziel ist es, die zuständigen Beteiligten sowohl in der Senatsverwaltung als auch in den Bezirken in ihrer Aufgabenwahrnehmung durch ein rechnergestütztes Erhaltungsmanagementsystem (EMS) zu unterstützen.

Das EMS Berlin bildet die Aufgaben Zustandsdarstellung, operatives und strategisches Erhaltungsmanagement ab.

Ziel des operativen Ansatzes für das EMS Berlin ist das Aufstellen von praktisch anwendbaren Bauprogrammen auf der Basis des Ist-Zustandes mit einem Planungshorizont von drei bis fünf Jahren. Dies soll mit einem EMS weitgehend unterstützt werden, wobei zur Berücksichtigung aller in der Realität vorliegenden Einflussfaktoren ein ingenieurmäßiger Eingriff in das System unabdingbar ist. Die operativen Aufgabenstellungen ergeben sich wie folgt:

Ziel 1:    Belegbare Aussage zum aktuellen Zustand der Infrastruktur,

Ziel 2:    Ermitteln erhaltungsbedürftiger Abschnitte/Anlagenteile,

Ziel 3:    Ermitteln der Maßnahmen und der benötigten Haushaltsmittel,

Ziel 4:    Aufstellen transparenter und belegbarer Prioritätenlisten.

Mit dem strategischen EMS soll die langfristige Entwicklung des Zustands im betrachteten Straßennetz unter Berücksichtigung der relevanten und quantifizierbaren Faktoren, wie z. B. der Verkehrsbelastung und des Aufbaus, prognostiziert und darauf aufbauend die Folgen bestimmter Handlungen unter vorgegebenen Randbedingungen (Qualität, Budget, technische Restriktionen) abgeschätzt werden. Die „Handlungen“, das heißt sinnvolle Erhaltungsmaßnahmen (fiktives Bauprogramm), werden dabei hinsichtlich definierter Zielfunktionen optimiert, um das vorgesehene Budget bestmöglich einzusetzen („Budgetszenario“) oder aber ein vorgegebenes Qualitätsziel möglichst effizient zu erreichen („Qualitätsszenario“). Strategische Aufgabenstellungen ergeben sich wie folgt:

Ziel 5:  Prognose der Zustandsentwicklung unter gegebenen Randbedingungen,

Ziel 6: Optimale mittelfristige Erhaltungsstrategie unter verschiedenen Zielsetzungen, Ziel 7: Aufstellen mittelfristiger Erhaltungs-/Maßnahmenprogramme.

Damit ist der strategische Ansatz stets teilnetz- oder netzbezogen, der operative Ansatz kann sowohl objektbezogene als auch netzbezogene Fragestellungen adressieren und muss ebenfalls sowohl bezirksweise als auch berlinweit genutzt werden können.

Systematische Straßen-Erhaltungsmanagementsysteme sollen auf die sich durch Alterung, Verkehr und sonstige Einflüsse, wie zum Beispiel Aufgrabungen, einstellende Reduktion der Gebrauchstauglichkeit und der Substanz entgegenwirken, um wirtschaftlich sinnvolle Planungs- und Bauentscheidungen treffen zu können.

Neu war die Anforderung, die aus dem operativen und strategischen EMS resultierenden Maßnahmen gegenseitig abgleichen zu können und in koordinierten Maßnahmenlisten zusammenzuführen. Damit ist erkennbar, wie sich externe Einflüsse auf die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen langfristig auswirken. Es hat sich auch gezeigt, dass die Aufgaben auch für die ingenieurtechnische Umsetzung umfassend in Prozessablaufdiagrammen beschrieben werden kann, was nun auch als Vorlage für die Fortschreibung der E EMI verwendet wird. Die Struktur ist als Arbeitsstand im Bild 1 dargestellt, insbesondere das Zusammenwirken von operativem und strategischem Ansatz.

Bild 1: Prozess eines kommunalen EMS in Anlehnung an das EMS Berlin

3 Grundlagen

a. Netzknoten-Stationierungssystem (NKS)

Grundlage eines IT-gestützten Erhaltungsmanagement ist eine umfassende systematisierte und aktuelle Datengrundlage. Diese umfasst die Netzbeschreibung als relationsgebende Ordnung für die Grund-, Fach- und Sachdaten. Diese wird - wie bei den nach ASB aufgebauten Straßendatenbanken für Außerortsnetze – durch ein Netzknoten-Stationierungs-System (NKS) dargestellt. Wichtig ist dabei ein anerkannter Beschreibungsstandard, um auch Datenübergaben zu weiteren Anwendungen sicherstellen zu können. Ein NKS ist unter anderem erforderlich, um die in einem EMS benötigten abschnittsbezogenen Auswertungen durchführen zu können.

Die Netzknoten dienen der geo-Verortung des Netzes und der Verknüpfung der Segmente (manchmal auch als „Kanten“ bezeichnet).

Die Segmente sind das relationsgebende Objekt, das heißt, alle weiteren Daten werden darauf als Station projiziert. Den Segmenten sind verwaltungstechnische Grundeigenschaften wie Straßenname, zuständige Verwaltung, Straßenklassifizierung und gegebenenfalls Nutzungsbeschränkungen (wie Fahrradstraße) zugeordnet.

Weitere Angaben im Netzknoten-Stationierungssystem sind die Anzahl der Streifen (Fahrstreifen, Querschnittselemente oder Nutzungstreifen) zur Abbildung von Eigenschaften und Objekten in Relation zum Querprofil sowie Segment- oder Netzknotenfolgedateien, um Streckenzusammenhänge über Knoten/Knotenpunkte hinweg darstellen zu können.

b. Fachdaten

Bestands-, Zustands-, Nutzungs- und weitere Fachdaten sind grundsätzlich bezogen auf das NKS abgebildet abzulegen. Das heißt, eindeutige Segmentzuordnung sowie Stationierung jeweils vom Anfang bis zum Ende eines Datums.

Notwendige Fachdaten sind geometrische Angaben zu allen Querschnittselementen wie Breiten, bauliche Angaben wie Aufbaudaten einschließlich Alter der Aufbauschichten, Verkehrsdaten und Zustandsdaten. Weitere Daten wie ÖPNV-Nutzung sind in gleichem Schema ablegbar.

Daten zur Zustandsbeschreibung werden ebenfalls den Fachdaten zugeordnet.

c. Globaldaten

Neben den objektbeschreibenden Daten sind nicht-streckenspezifische Informationen wie maßnahmenspezifische Kostendaten oder auch Einsatzbedingungen für die Anwendung definierter Maßnahmentypen zu hinterlegen.

d. Theoretische Ansätze

Im Rahmen der Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) werden aus den beschriebenen Zustandsgrößen Zustandswerte gebildet und dann Warn- und Schwellenwerte zugeordnet. Diese beschreiben Grenzwerte, ab denen die verstärkte Beobachtung oder die Einleitung der Planung von Erhaltungsmaßnahmen empfohlen wird. Dazu werden in den Arbeitspapieren 490 AP 9 K ein Verfahren zur Normierung sowie anschließend für die Teil- und Gesamtwertbildung ein Verfahren zur Wertesynthese aufgezeigt. Zuvor werden gerasterte Bewertungsabschnitte gebildet, wobei je Merkmal ein Zustandswert auf den Bewertungsabschnitt zugeordnet wird.

Mittels Algorithmen werden Bewertungsabschnitte (kommunal in der Regel 10 m bzw. 20 m) zu homogenen Abschnitten zusammengefasst, dazu die Zustandswerte aus den einzelnen Bewertungsabschnitten zu einem Kennwert je Merkmal zusammenfasst über welche im Folgenden die Maßnahmen des operativen und des strategischen EMS optimiert werden.

Im operativen EMS wird die Relation des festgestellten Zustands – in Form von Zustandswerten – zu diesen Warn- und Schwellenwerten zur Priorisierung von Erhaltungsmaßnahmen herangezogen, im Strategischen EMS wird an Hand von Verhaltensfunktionen die Erreichung der Warn- und Schwellenwerte prognostiziert und darüber ein nach einer formulierten Zielfunktion optimierter Eingriffszeitraum bestimmt.

e. Risiken

Datenabhängige Algorithmen sind bestenfalls so gut wie die vorhandene Datenlage.

Insbesondere die Aufbaudaten und deren Altersstruktur sind fundamentale Ausgangsdaten, die aber häufig nicht in hinreichende Genauigkeit vorliegen.

Sich verändernde Netzdaten, ein in Zeiten der Mobilitätswende häufiger Fall, können, wenn sie nicht konsistent im NKS gepflegt und abgebildet werden, Datensätze unbrauchbar machen.

Die Zustandserfassung und -bewertung folgt systematisch der für klassifizierte Außerortsstraßen entwickelten Methodik. Die Skalierung auf 10 m bzw. 20 m-Werte (von 100 m außerorts) führt zu zum Teil diskreten statt quasi-analogen Werten. Dies führt zum Teil zu nicht hinreichend differenzierten Bewertungen. Außerdem setzt die Wertesynthese standardisierte Aufbauten z. B. nach RStO in Asphalt- oder Betonbauweise voraus – diese sind kommunal häufig nicht anzutreffen.

Ebenso fehlen Verhaltensfunktionen für nicht standardisierte Bauweisen, aber auch für nicht ausschließlich ermüdungsbeanspruchte Straßen.

4 Herausforderungen beim Aufbau des EMS Berlin

Beim Auftrag zur Umsetzung des EMS war die vorhandene Datenlage nicht auf diese Aufgabe abgestimmt.

a. Netzdaten

Das beschreibende Netz, in Berlin „Detailnetz“ genannt, umfasste nicht ausschließlich öffentliche Straßen und wurde ausschließlich für Bescheide im verkehrs- oder straßenrechtlichen Sinn genutzt. Für diese Anwendung ist die Nutzung der Stationierung, aber auch die Anwendung von Folgedateien nicht zwingend und somit auch nicht implementiert.

Informationen zu Nutzungsstreifen lagen nicht belastbar vor.

Die Stationierung konnte durch die Richtung der Segmente festgelegt werden, die Festlegung der Netzknotenfolgetabellen war eine Fleißaufgabe, die mit viel Abstimmungsaufwand durch den AN erfolgen musste.

Die Nutzungsstreifenstruktur wird später mit einer Neuerarbeitung des Netzknoten-Stationierungssystem (NKS) erarbeitet. Derzeit muss das System mit einer vereinfachten Angabe hierzu auskommen.

b. Fachdaten

Auf Grund der fehlenden Relation lagen Fachdaten, sofern vorhanden, nur georeferenziert vor.

Verkehrsdaten liegen, wie kommunal häufig, nur für Hauptverkehrsstraßen vor. Für die anderen Straßen wird eine Abschätzung der Verkehrsbelastung über die Geschossflächenzahl, die dem Berliner GeodatenPortal „FIS-Broker“ entnommen werden kann, durchgeführt.

Auf Grund mit verschiedenen Verwaltungsreformen einhergehenden Aufgabenänderungen der bezirklichen Verwaltung existierten faktisch keine belastbaren Aufbaudaten. Ergänzend zur eigentlichen Aufgabenstellung stellte der AN ein Tool zur Eingabe und Editierung von Aufbaudaten zur Verfügung. Unter erheblichem personellem Aufwand und unter Nutzung persönlichen Wissens erfahrener Mitarbeiter der Bezirke konnte ein erstaunlich umfänglicher Datensatz dem System zu Verfügung gestellt werden und wird noch weiter ausgebaut. Die notwendige Daueraufgabe, nach Maßnahmen die neuen Aufbaudaten einzupflegen, wird wahrscheinlich nur umsetzbar sein, wenn ein entsprechender Prozess mit für die verantwortlichen Kollegen schnell erkennbarem Nutzen aufgesetzt wird.

Als unerwartete Herausforderung erwiesen sich Zustandsdaten aus 2014/15. Diese waren zum Teil nicht standardisiert erfasst, ausgewertet und bewertet. Neben der fehlenden Objektrelation zeigte sich auch eine fehlende Vergleichbarkeit, welche sich sowohl aus der nicht qualitätsgesicherten Erfassung als auch aus der nicht am Raster-Auswertesystem orientierten Bewertung ergab. Diese Daten konnten daher nur als „Dummies“ für funktionale Erprobungen des Systems, nicht aber für PMS-Probeläufe genutzt werden. Dies zeigt die Notwendigkeit der Definition etablierter und belastbarer Erfassungsverfahren. Aus diesem Grunde wurde für die Ausschreibung der Zustandserfassung der Berliner Nebenstraßen von STZ ein Verfahren aufgesetzt, mit dem auch weitere, nicht zertifizierte Erfassungsverfahren auf ihre Erfassungsqualität geprüft werden können. Die Vergleichbarkeit verschiedener Verfahren wird als entscheidend für den Gesamterfolg gesehen.

c. Kostendaten

Im Vergleich zu Maßnahmen an Außerortsstraßen sind die Preisstreuungen, nicht zuletzt wegen der zum Teil sehr kleinteiligen Maßnahmen, sehr hoch. Häufig überwiegen kaum kalkulierbare Nebenkosten (Sicherungs- und Absperrmaßnahmen) den eigentlichen Baupreis. Bei kampagnenorientierter Anwendung des EMS wäre die Anwendung kaum in der Lage, Kosten-Nutzen-Optimierungen zu rechnen – aber auch in der kontinuierlichen Anwendung ist dieses Risiko weiterhin hoch einzuschätzen.

d. Theoretischen Ansätze

Die Wertesynthese der derzeitigen ZTV ZEB als E EMI bildet die Kombinatorik verschiedener Zustandsgrößen zum Teil ungünstig ab – durch (gewichtete) Mittelwerte werden als problematisch bewertete Größen unterbewertet. Wir haben im Rahmen des Projekts eine additive Wertesynthese entwickelt, die sich jetzt erst noch bewähren muss.

Für die Bewertung der homogenen Abschnitte wurde ein bewährtes System der Fa. Heller angewandt, bei dem durch selektive Mittelung der 20 m-Werte die Problematik der „Verwaschung“ – bei der Mittelwertbildung reduzieren sich naturgemäß die Extrema – gepuffert wird. Die Auswirkungen auf die zu veröffentlichenden Zustandswerte werden noch untersucht, für die Optimierung im Rahmen der operativen und strategischen EMS-Berechnungen ist eine solche Vorgehensweise nachgewiesenermaßen sinnvoll.

Für die Bewertung und die Prognose von nicht standardisierten Straßenkonstruktionen wurden praktikable und erfahrungsbasiert durchschnittliche Lebenszyklen angesetzt. Diese müssen, ebenso wie die im klassifizierten Netzen bewährten Verhaltensfunktionen, im laufenden Betrieb hinterfragt und angepasst werden. Dieser iterative Prozess ist notwendig und wird permanent fachliche Kompetenzen binden. Durch den fachlichen Austausch unter anderem in den FGSV-Gremien lässt sich der Aufwand jedoch reduzieren.

Die operativen und strategischen Optimierungsprozesse über ein heterogenes Netz bergen ein weiteres Risiko. Betrachtet man Straßen verschiedener Funktion und verkehrlicher Bedeutung gemeinsam, werden entweder die höherklassigen Straßen auf Grund ihrer Bedeutung bevorzugt oder die untergeordneten Abschnitte dominieren auf Grund ihrer Menge das System. Im EMS Berlin werden daher die jeweiligen Netze getrennt betrachtet, das heißt Anwohner- und Sammelstraßen – das sogenannte Ergänzungsnetz – werden getrennt von den Hauptverkehrsstraßen betrachtet, bewertet und berechnet.

Diese Unterteilung hat den weiteren Vorteil, dass die Zustandserfassung entzerrt werden kann. Die Rechenmodelle sind grundsätzlich Stichtag-orientiert. Das heißt, sie gehen davon aus, dass vorliegende Zustandsdaten einen konkreten Augenblick abbilden. Das kann man zu einer Kampagne idealisiert annehmen, der zeitliche Aufwand, große kommunale Netze zu erfassen, ist jedoch erheblich und die Kapazität der verfügbaren qualitätsgesicherten Erfassungstechnik begrenzt. Durch die Trennung unserer Straßennetze in Bezirke und in Haupt- und Nebenstraßen können wir quasi kontinuierlich mit verstetigter Haushaltsbelastung das Berliner Straßennetz Zustandserfassen lassen und erfüllen trotzdem die Forderung, im jeweiligen Netz Stichtags-gebundene Daten vorzuhalten.

Die Problematik der Qualitätssicherung kommunaler Zustandserfassungen sprengt den Rahmen dieses Vortrags, ich möchte hier auf die Veröffentlichungen zu SURF 2022 und dem 3. Kolloquium Straßenbau in der Praxis der Technischen Akademie Esslingen e.V. verweisen, in der wir gemeinsam mit STZ Karlsruhe diese Problematik und unsere Lösungsansätze beschrieben haben.

e. EMS im Einsatz

Die häufig aufkommende Frage der Abgrenzung der Straßenerhaltung von der Unterhaltung muss auch hier angesprochen werden. Nicht nur Laien konfrontieren die Verwaltungen mit der Erwartung, dass durch ein Erhaltungsmanagementsystem Schlaglöcher und Risse schneller und kostengünstiger „geflickt“ werden. Auch Dienstleister werben damit, derartige Schäden zu diesem Zweck detektieren zu können. Die Feststellung solcher Schäden und deren Beseitigung sind jedoch Aufgaben im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht.

Die Zustandserfassung und -bewertung erfolgt in der Regel in Zyklen von 4 bis 6 Jahren. Die daraus durch ein Erhaltungsmanagementsystem vorgeschlagenen flächenhaften Maßnahmen dienen der kontinuierlichen Aufrechterhaltung der Gebrauchseigenschaften und der baulichen Substanz der Verkehrsanlagen in der Regel durch den Ersatz einer oder mehrerer Schichten des Straßenaufbaus.

Während niemand die Festlegung von Maßnahmen der Erhaltungsplanung im herkömmlichen analogen Entscheidungsprozess als eine Sonderaufgabe wahrnehmen würde, wird die IT-basierte systematische Erhaltungsplanung häufig separat vom Tagesgeschäft der Straßenbauverwaltung betrachtet. Das verkompliziert die Prozesse und vermindert die Akzeptanz und die Wirksamkeit dieses mächtigen Werkzeugs. Ein Erhaltungsmanagementsystem soll alle Prozesse von der Detektion der Notwendigkeit über die Festlegung der Maßnahmenart und des Eingriffszeitpunktes bis zur Maßnahmenwirkung steuern. Dazu muss es in diese Prozesse eingebunden sein und nicht als externer Datenpool, der nur bei Bedarf abgefragt wird, mitgezogen werden. Für das EMS Berlin ist es vorgesehen, dass abgeschlossene Maßnahmen eingepflegt und damit die Zustandsdaten bis zur nächsten Zustandserfassung entsprechend den Rücksetzwerten gesetzt werden.

5 Stand und Aussicht des EMS Berlin

Das entsprechend dem Vertrag entwickelte IT-System EMS Berlin befindet sich derzeit in funktionaler Abnahme.

Es musste den Ansprüchen der Gebrauchstauglichkeit und der Barrierefreiheit entsprechend gestaltet werden, eine Zweitbegutachtung der Einhaltung der Forderungen bezüglich der Barrierefreiheit läuft parallel zur Abnahme.

Nach funktionaler Abnahme des Systems werden die Modelle und Algorithmen auf Praktikabilität und Plausibilität geprüft und gegebenenfalls nachjustiert.

Ziel ist es, für 2024 die Jahresplanung der bezirklichen Erhaltungsmaßnahmen zu unterstützen und das EMS ab 2025 als führendes System im Erhaltungsmanagement zu etablieren.

2020/21 erfolgte eine Stadtweite qualitätsgesicherte Zustandserfassung der Fahrbahnen der Hauptverkehrsstraßen – das heißt die Erfassung erfolgt durch Systeme mit zeitbefristeter Betriebszulassung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt).

2022 ergab ein offenes Vergabeverfahren, dass die Nebenverkehrsstraßen ebenfalls durch BASt-Zertifizierte Erfassungsfahrzeuge in den Jahren 2022 bis 2024 befahren werden.

Die vertraglich gesicherte Option der Erweiterung des EMS-Berlin um die Verkehrsflächen des Rad- und Fußverkehrs wird auf Basis des aktuellen Standes des Wissens konkretisiert, die Umsetzung soll bis 2024 erfolgen.

Da für die Erfassung des baulichen Zustands von Radverkehrsanlagen bisher keine qualitätsgesicherte standardisierte Technik beschrieben ist, wurde auf gemeinsamen Antrag des Landes Berlin und der Kommission Kommunale Straßen K2 der FGSV das FE-Projekt „Erfassung und Bewertung des baulichen Zustandes von städtischen Radverkehrsanlagen“ ausgeschrieben, welches 2024 abgeschlossen sein soll. Sofern zielführend sollen die Ergebnisse 2025 bei der Zustandserfassung der Radverkehrsanlagen angewandt werden. Gleichzeitig soll die Beschreibung der Zustandserfassung von Fußverkehrsanlagen erarbeitet werden, um diese dann 2026 umzusetzen.

Literaturverzeichnis

  1. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2012): Empfehlungen für das Erhaltungsmanagement von Innerortsstraßen (E EMI), Ausgabe 2012, Köln (FGSV 487)
  2. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2016): Arbeitspapiere zur Systematik der Straßenerhaltung, Reihe K: Kommunale Straßen, Ausgabe 2016, Köln (FGSV 490 AP 9 K)
  3. Krause, C.; Pfeifer, U.; Stöckner M.; Stöckner U. (2022): New procedure for quality assurance of municipal road survey and assessment campaigns. Pavement Surface Characteristics IX. Proceedings of the 9th Symposium on Pavement Surface Characteristics (SURF 2022, 12 – 14 September 2022, Milan, Italy).
  4. Krause, C.; Pfeifer, U.; Stöckner M.; Stöckner U. (2023): Qualitätssicherung von Kampagnen der Zustandserfassung und -bewertung kommunaler Verkehrsflächen, Seminar Straßenbau in der Praxis, Februar 2023, TAE, Technische Akademie Esslingen, Veröffentlichung in Vorbereitung