FGSV-Nr. FGSV 001/28
Ort Dortmund
Datum 05.10.2022
Titel Klimaschutz und Verkehr – Wo stehen wir und was ist zu tun?
Autoren Dr. Katrin Dziekan, Manuel Hendzlik, Philipp Hölting
Kategorien Kongress
Einleitung

Mobilität ist ein unverzichtbarer Teil des täglichen Lebens. Allerdings ist der Verkehrssektor auch einer der größten Verursacher von Treibhausgasen in Deutschland. Er war im Jahr 2019 für rund 164 Millionen Tonnen (Mio. t) Treibhausgase verantwortlich (berechnet als CO2-Äquivalente; kurz: CO2-Äq.) und ist damit der einzige Sektor, dessen Treibhausgasemissionen seit 1990 nicht sanken. Nur die Corona-Pandemie brachte kurzfristig eine Verringerung der Emissionen auf 148 Mio. t CO2-Äq. im Jahr 2021. Der Handlungsdruck ist weiter groß, denn 2030 müssen sich die Treibhausgasemissionen des Verkehrs nach Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) auf 85 Mio. t CO2-Äq. fast halbieren und bis zum Jahr 2045 sogar auf null sinken. Mit den aktuell beschlossenen Maßnahmen werden aber laut Projektionsbericht der Bundesregierung nur rund 126 Mio. t CO2-Äq. in 2030 erreicht. Um die Klimaschutzlücke von 41 Mio. t CO2-Äq. im Jahr 2030 zu schließen und auch eine weitere Minderung der Emissionen nach 2030 sicherzustellen, müssen vorhandene Instrumente deutlich verschärft und zusätzliche Instrumente schon jetzt umgesetzt werden. Das Umweltbundesamt beschreibt acht Bausteine zum Schließen dieser Lücke:

  1. Effizienz und Elektrifizierung von Pkw,
  2. Effizienz und Elektrifizierung schwerer Nutzfahrzeuge,
  3. Abbau klimaschädlicher Subventionen,
  4. Verursachergerechte Bepreisung,
  5. Geschwindigkeitsbegrenzungen,
  6. Ausbau Schiene,
  7. Stärkung Umweltverbund und
  8. Postfossile Kraftstoffe.

Die Beiträge dieser Bausteine sind zwar unterschiedlich hoch, aber keiner davon ist verzichtbar, wenn das Klimaschutzziel 2030 im Verkehr sicher und sozialverträglich erreicht werden soll.

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1 Treibhausgasemissionen und Klimaschutzziele des Verkehrs in Deutschland

Im Jahr 2019 war der Verkehrssektor für rund 164 Millionen Tonnen (Mio. t) Treibhausgase (berechnet als CO2-Äquivalente; kurz: CO2-Äq.) verantwortlich und ist damit der einzige Sektor, der seine Treibhausgasemissionen seit 1990 nicht mindern konnte. Einen Rückgang bei den Emissionen brachte kurzfristig nur die Corona-Pandemie: Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie waren hauptverantwortlich dafür, dass die Emissionen des Verkehrs in 2020 auf rund 146 Mio. t CO2-Äq. sanken (UBA 2021a). Im Jahr darauf stiegen sie nach Berechnungen des Umweltbundesamtes wieder leicht auf rund 148 Mio. t CO2-Äq. (UBA 2022). Damit wurde die in Anlage 2 des Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) festgelegte Jahresemissionshöchstmenge von 145 Mio. t CO2-Äq. im Jahr 2021 erstmalig überschritten.

Im Jahr 2021 trug der Verkehrssektor mit rund 19 % zu den Treibhausgasemissionen Deutschlands bei (1990: 13 %) (Bild 1) und minderte seine Emissionen gegenüber 1990 um 9,4 % (Bild 2).

Bild 1: Anteil der Treibhausgasemissionen in Deutschland nach Sektoren des Klimaschutzgesetzes im Jahr 2021 (UBA 2022)

Bild 2: Entwicklung der Treibhausgasemissionen nach Sektoren des Klimaschutzgesetzes 1990-2021 (UBA 2021a, UBA 2022)

Der Straßenverkehr ist im Jahr 2020 für mehr als 97 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors verantwortlich und seine Bedeutung innerhalb des Verkehrs hat seit 1990 sogar leicht zugenommen. Zwar verursachen Pkw im Jahr 2020 mit 86,6 Mio. t CO2-Äq. absolut und relativ (59 Prozent) noch immer die meisten Treibhausgasemissionen im Verkehr. Im Vergleich zwischen 1990 und 2020 zeigt sich jedoch, dass die Bedeutung des Straßengüterverkehrs mit Lkw und leichten Nutzfahrzeugen deutlich von knapp 34 Mio. t CO2-Äq. (20,5 %) im Jahr 1990 auf 44,7 Mio. t CO2-Äq. (35,5 %) in 2020 zugenommen hat (Bild 3).

Bild 3: Vergleich der Treibhausgasemissionen einzelner Verkehrsmittel 1990 und 2020; unveröffentlichte Berechnung basieren auf Daten des Nationalen Inventarberichts zum Deutschen Treibhausgasinventar (2022)

Die Treibhausgasemissionen des Verkehrs müssen nach Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) verglichen mit 2019 fast halbiert werden (-48 %) und auf 85 Mio. t CO2-Äq. im Jahr 2030 sinken. Um die im KSG ebenfalls festgelegte Treibhausgasneutralität in Deutschland bis 2045 zu erreichen, müssen die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor bis dahin auf null reduziert werden (Bild 4). Aus Sicht des Umweltbundesamtes sollte eine Minderung der Treibhausgasemissionen in Deutschland bis 2030 sogar um mindestens 70 % und bis 2040 um mindestens 90 % gegenüber 1990 erreicht werden (UBA 2021b).

Obwohl bereits eine Reihe von Klimaschutzmaßnahmen beschlossen wurden, mit denen die Emissionen bis 2030 auf rund 126 Mio. t CO2-Äq. gesenkt werden können, reichen diese nicht aus um das Ziel des KSG von 85 Mio. t CO2-Äq. in 2030 zu erreichen. Vielmehr verbleibt eine „Klimaschutzlücke“ von rund 41 Mio. t CO2-Äq. in 2030 (Bundesregierung 2021a). Auch in den Jahren bis 2030 wird es voraussichtlich zu regelmäßigen Zielüberschreitungen der für die Vorjahre festgelegte Jahresemissionshöchstmengen kommen (Bild 4).

Die Politik ist jetzt also gefragt, im Verkehrssektor schnellstmöglich nachzusteuern und die Geschwindigkeit beim Klimaschutz drastisch zu erhöhen.

Als Grundlage für die Wirkungsabschätzung der hier vorgestellten Instrumente und Maßnahmen dient der Projektionsbericht der Bundesregierung (Bundesregierung 2021a). Diese Projektion beinhaltet bereits relativ weitreichende Maßnahmen, wie die aktuell gültigen europäischen CO2-Flottenzielwerte für Pkw, leichte und schwere Nutzfahrzeuge oder einen CO2-Preis von 125 €/t CO2 für das Jahr 2030. Außerdem wird ein verhältnismäßig hoher Anteil erneuerbarer Kraftstoffe unterstellt, der sich durch die nationale Umsetzung der Erneuerbare-Energie-Richtlinie (RED II) der EU ergibt.

Bild 4: Treibhausgasemissionen im Verkehr in Deutschland, Projektionen 2022 bis 2030 sowie Ziele nach Klimaschutzgesetz

2 Der richtige Rahmen: Verkehrsrecht und Verkehrsplanung

In seiner gegenwärtigen Form steht das Straßenverkehrsrecht einer klimagerechten Mobilität im Weg. Es folgt im Wesentlichen der Prämisse von Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs mit einer starken Priorisierung des motorisierten Individualverkehrs. Damit schränkt es die Gestaltungsspielräume der Kommunen für die lokale Verkehrswende stark ein. Die Hemmnisse für mehr Klimaschutz im Verkehr sollten durch eine Rechtsreform aufgelöst werden (UBA 2021c). Der Klimaschutz muss neben dem Umwelt-, Ressourcen und Gesundheitsschutz sowie städtebaulichen Belangen im Straßenverkehrsgesetz und in der Straßenverkehrsordnung (StVO) als Zielsetzung fest verankert werden.

Auf Bundesebene bedarf es einer integrierten Planung der Verkehrsinfrastruktur über alle Verkehrsträger hinweg. Der von der Bundesregierung geplante „Bundesverkehrswege- und Mobilitätsplan 2040“ (Bundesregierung 2021b) sollte bereits bei der Planung sicherstellen, welche Infrastrukturen für mehr Klimaschutz im Verkehr erforderlich sind. Hierzu ist ein breiter Infrastrukturkonsens notwendig, der ökologische und soziale Interessen angemessen berücksichtigt. Durch eine verkehrsträgerübergreifende Prüfung von Planungsalternativen kann die notwendige Verlagerungsinfrastruktur auf Bundesebene geschaffen werden. Grundlegend neu auszurichten sind zudem die Finanzierungsbedingungen für die Bundesfernstraßen, Schienen und Wasserstraßen, sodass beispielsweise die externen Klima- und Umweltkosten den Infrastrukturnutzenden verursachergerecht angelastet werden.

3 Acht Bausteine für ambitionierten Klimaschutz im Verkehr

Für einen klimaverträglichen Verkehr müssen verschiedene Hebel gleichzeitig bedient werden. Die dafür notwendigen Maßnahmen und Instrumente (ordnungsrechtlich, ökonomisch und infrastrukturell) können acht zentralen Bausteinen zuordnet werden. Die konkrete Ausgestaltung dieser Bausteine sollte dabei flexibel sein, um auf Veränderungen reagieren zu können. Wichtig ist, dass alle Bausteine für die Entwicklung hin zu einem klimaverträglichen Verkehr adressiert werden. Durch einen ausgewogenen Mix der Instrumente können Lasten, Kosten und notwendige Veränderungen zwischen Staat, Wirtschaft und Bürgerinnen und Bürger aufgeteilt und sozialverträglich gestaltet werden (Bild 5).

Bild 5: Bausteine für klimaverträglichen Verkehr

Im Folgenden werden die acht Bausteine für mehr Klimaschutz im Verkehr vorgestellt. Die Minderungswirkung entfaltet sich dabei zusätzlich zur Entwicklung, die im Projektionsbericht 2021 beschrieben ist.

3.1 Baustein 1: Effizienz und Elektrifizierung für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge

Bei Pkw und leichten Nutzfahrzeugen (LNF) kann Klimaschutz über zwei Hebel umgesetzt werden: eine Absenkung des Energieverbrauchs der Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor durch die Verbesserung der Effizienz sowie die Elektrifizierung der Antriebe.

Bis zum Jahr 2030 sind aus Sicht des Umweltbundesamtes rund 16 Mio. elektrische Pkw und LNF, welche Verbrennerfahrzeuge ersetzen, erforderlich um das Klimaschutzziel gemäß KSG zu erfüllen.

Ein wesentlicher Treiber für den Markthochlauf von Elektrofahrzeugen und für die Verbesserung der Effizienz von Neufahrzeugen sind die europäischen CO2-Standards für Pkw und LNF. Der Vorschlag der EU-Kommission, der bezüglich der Zielwerte in großen Teilen auch vom EU-Parlament und den Mitgliedsstaaten unterstützt wird, sieht vor die Grenzwerte in 2030 von -37,5 % (Pkw) und -31 % (LNF) gegenüber 2021 auf -55 % (Pkw) und -50 % (LNF) zu verschärfen. Er reicht jedoch nicht aus, um den Hochlauf der Elektromobilität mit der erforderlichen Geschwindigkeit herbeizuführen. Hier wäre eine deutliche Verschärfung auf -80 % (Pkw) bis 2030 gegenüber 2021 notwendig. Des Weiteren wäre ein ambitioniertes Zwischenziel für das Jahr 2025 erforderlich: hier sollte eine Verschärfung von -15 % auf 30 % gegenüber 2021 erfolgen. Zusätzlich sollten in den Folgejahren bis 2030 konkrete Zwischenziele definiert werden, um eine kontinuierliche Absenkung der Emissionen von Neufahrzeugen zu erwirken.

Plug-in-Hybride sollten dabei nur mit einem realistischen durchschnittlichen elektrischen Fahranteil auf die CO2-Flottenzielwerte angerechnet werden.

Eine mögliche Alternative zur Verschärfung der CO2-Flottenzielwerte besteht in der Einführung einer nationalen E-Quote bei Neufahrzeugen. Eine solche Quote müsste bei rund 40 % im Jahr 2025 und rund 85 % im Jahr 2030 liegen, um eine ähnlich hohe Minderungswirkung zu entfalten. Die Möglichkeit zur Einführung einer solchen nationalen Quote müsste dabei im EU-Recht verankert werden. Die aktuelle noch laufende Überarbeitung der EU-Flottenzielwerte wäre hierfür eine gute Gelegenheit

Die Einführung eines Bonus-Malus-Systems für Neuwagen könnte dabei den Hochlauf der Elektromobilität unterstützen. Über ein solches System könnte eine finanzielle Förderung für klimaschonende Pkw durch eine Verteuerung von klimaschädlichen Pkw realisiert werden, ohne dass hierfür Steuergelder eingesetzt werden müssen (Blanck, Zimmer 2021).

3.2 Baustein 2: Effizienz und Elektrifizierung für schwere Nutzfahrzeuge

Für den Klimaschutz ist auch eine Verlagerung von Straßengütertransporten auf Schiene und Schiff von besonderer Wichtigkeit. Mehr als ein Viertel der Treibhausgasemissionen im Verkehr werden in Deutschland von schweren Nutzfahrzeugen (SNF) verursacht. Selbst wenn die Güterverkehrsleistung auf der Schiene bis zum Jahr 2030 verdoppelt würde, würden immer noch knapp 60 % der Güterverkehrsleistung auf der Straße erbracht. Daher muss der Straßengüterverkehr dringend effizienter und dessen Elektrifizierung vorangetrieben werden.

Auch für SNF sind europäische CO2-Standards entscheidend für die Steigerung der Effizienz sowie die Elektrifizierung der Antriebe. Um das Marktangebot effizienter konventioneller Lkw sowie elektrischer Lkw ausreichend schnell zu steigern, müssten die CO2-Standards für SNF auf -50 % gegenüber 2021 verschärft werden, statt derzeit -30 %. Für die Jahre 2025 bis 2030 wären zudem jährliche Zwischenziele hilfreich, um für eine kontinuierliche Absenkung der Emissionen neuer SNF zu sorgen.

Für den Fernverkehr auf der Straße stellen Oberleitungshybrid-Lkw dabei nicht nur die klimaschonendste, sondern auch die kostengünstigste Option dar. Um diese zu ermöglichen, sollte schnellstmöglich mit dem Aufbau einer Oberleitungsinfrastruktur für Lkw auf deutschen Autobahnen begonnen werden, so dass bis 2030 rund 1700 km elektrifiziert sind.

Um eine nachhaltige Entwicklung des Schwerlastverkehrs voranzutreiben, spielt auch die Lkw-Maut eine wichtige Rolle. So können über die Integration einer CO2-Komponente in den Mauttarif ab 2023 die Klimakosten zielgerichtet angelastet und damit Lkw mit elektrischem bzw. effizientem Antrieb gegenüber konventionellen Lkw gefördert werden. Zudem sollte die Lkw-Maut ab 2025 auf alle Straßen und alle Lkw ab 3,5 t zulässigem Gesamtgewicht ausgeweitet werden.

3.3 Baustein 3: Abbau klimaschädlicher Subventionen

Dieselprivileg, Dienstwagenbesteuerung, Entfernungspauschale und Subventionen für den Luftverkehr sind nicht nur umwelt- und klimaschädlich, sondern haben häufig negative soziale Verteilungswirkungen und kosten den Staat viel Geld (UBA 2021d). Mit dem Abbau dieser klimaschädlichen Subventionen werden Anreize zu Verkehrsvermeidung gesetzt und die Wettbewerbsfähigkeit umweltfreundlicher Verkehrsträger erhöht, so dass deren Anteil am gesamten Verkehrsaufkommen wachsen kann. Der durch den Subventionsabbau geschaffene finanzielle Spielraum für den Staat sollte neben der Abfederung sozialer Härten (v. a. bei der Entfernungspauschale) für den Ausbau von Bus und Bahn genutzt werden.

Konkret sollte die steuerliche Begünstigung von Dienstwagen ab 2022 schrittweise abgebaut werden, um Steuerneutralität herbeizuführen. Kosten für private Fahrten mit dem Dienstwagen müssten dann die Fahrerinnen und Fahrer selbst tragen. Die Begünstigung von Plug-in-Hybriden sollte zudem zeitnah entfallen, da ihr Beitrag zur Emissionsminderung klein ist.

Die Energiesteuer für Diesel sollte ab 2023 schrittweise auf das Niveau der Energiesteuer von Benzin (bemessen am Energiegehalt) angehoben werden, damit das Dieselprivileg von heute 18,4 Cent pro Liter Diesel entfällt.

Auch die Entfernungspauschale sollte bis 2027 weitestgehend entfallen. Um soziale Härten abzufedern, könnten Wegekosten in Härtefällen bei der Einkommenssteuer berücksichtigt werden.

Im Luftverkehr sollten parallel zur Weiterentwicklung ökonomischer Instrumente (z. B. Emissionshandel) zeitnah umweltschädliche Subventionen entfallen. Dazu zählen die Energiesteuerbefreiung von Kerosin, die Mehrwertsteuerbefreiung für internationale Flüge und die Subventionierung von Regionalflughäfen.

3.4 Baustein 4: Verursachergerechte Bepreisung

Auch im Verkehr muss gelten: Wer einen Schaden verursacht, zahlt dafür. Die verursachergerechte Bepreisung von Klimaschäden hat großes Potenzial für den Klimaschutz und ein kontinuierlicher und planbar ansteigender CO2-Preis ist dafür ein geeignetes Instrument. Dieser müsste allerdings deutlich ambitionierter sein als aktuell im Gesetz über einen nationalen Zertifikathandel für Brennstoffemissionen (Brennstoffemissionshandelsgesetz – BEHG) beschlossen. So sollten die Fixpreise des BEHG von 2023 bis 2026 verdoppelt werden (z. B. 2023: 70 statt 35 Euro/t CO2) und im Jahr 2030 ein CO2-Preis von mindestens 200 bis 250 Euro/t erreicht werden (nominal). Im Gegensatz zu einer marktgetriebenen Erhöhung der Kraftstoffkosten können die zusätzlichen Einnahmen des Staates genutzt werden, um die CO2-Bepreisung sozialverträglich zu flankieren, z. B. durch eine Pro-Kopf-Prämie an private Haushalte, und gleichzeitig klimaverträgliche Antriebstechnologien und weitere Klimaschutzmaßnahmen im Verkehr zu fördern. Ein höherer CO2-Preis führt damit nicht zwangsläufig zu Mehrkosten für die Bürgerinnen und Bürger, sondern kann gerecht ausgestaltet werden.

Bei der Bepreisung fossiler Kraftstoffe ist zu bedenken, dass mit einer steigenden Zahl an Elektrofahrzeugen die Steuerungswirkung von Energiesteuer und CO2-Preis abnimmt. Zudem gehen mit sinkenden Benzin- und Dieselmengen die staatlichen Einnahmen zur Finanzierung des Verkehrs stark zurück. Um die Finanzierungslücke zu schließen, sollte in den kommenden Jahren die Einführung einer fahrleistungsabhängigen Pkw-Maut auf allen Straßen vorbereitet werden.

3.5 Baustein 5: Geschwindigkeitsbegrenzungen

Allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzungen auf allen Straßen in Deutschland würden die Treibhausgasemissionen des Verkehrs reduzieren und wären dabei kurzfristig realisierbar und kostengünstig. Auch die Verkehrssicherheit könnte so nachhaltig verbessert werden. Neben den Treibhausgasen könnten zudem die Emissionen von Lärm und Schadstoffen gemindert werden. Um diese Potenziale abzuschöpfen, schlägt das Umweltbundesamt eine Regelgeschwindigkeit von 30 km/h innerorts, ein generelles Tempolimit von 80 km/h außerorts sowie von 120 km/h auf Autobahnen vor.

3.6 Baustein 6: Ausbau Schiene

Der Schienenverkehr spielt in einem klimaverträglichen Verkehrssystem eine tragende Rolle. Die Bundesregierung hat das Ziel, die Verkehrsleistung im Schienenpersonenverkehr bis 2030 zu verdoppeln und den Marktanteil des Schienengüterverkehrs auf 25 % (von heute 19 %) zu erhöhen (Bundesregierung 2021b). Das kann nur gelingen, wenn deutlich mehr Mittel in den Neu- und Ausbau der Schieneninfrastruktur investiert werden. Um die Schienennetzkapazitäten zu erhöhen, sollte die Mittelausstattung für den Neu- und Ausbau auf jährlich mindestens 3 Mrd. € verstetigt werden, z. B. im Rahmen eines Infrastrukturfonds. Neubauprojekte müssen klar priorisiert und zügig umgesetzt werden, wobei Maßnahmen zum Lärmschutz direkt mitgeplant werden. Bestehende Kapazitätsreserven im Netz müssen konsequent erschlossen werden, beispielsweise durch kleinteilige Baumaßnahmen oder die Ertüchtigung für Zuglängen bis 740-Meter.

Güterverkehrstrassen sollten auf bestimmten Hauptachsen prioritär geplant und mit digitaler Technik ausgestattet werden. Zudem muss die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Straßengüterverkehr erhöht werden. Im Kombinierten Güterverkehr sind zusätzliche Terminals, die Weiterentwicklung der Verladetechnik und eine verbesserte Logistik zur flächendeckenden Erschließung erforderlich.

Im Personenverkehr muss die Bahn wieder zuverlässig und attraktiv werden. Dazu gehört, dass vernachlässigte Mittelzentren besser eingebunden werden und der Fernverkehr im Hochgeschwindigkeitsverkehr Lücken schließt (Verlagerung von Kurzstreckenflügen). Zudem muss die Systemgeschwindigkeit im klassischen IC-Verkehr erhöht werden. Voraussetzung ist eine stärkere Digitalisierung der Infrastruktur, der Planungsprozesse und Produkte sowie ein Maßnahmenpaket zur Gewinnung von Fachkräften für Planung und Bau.

3.7 Baustein 7: Stärkung Umweltverbund

Das Rückgrat eines klimaneutralen Verkehrssystems ist ein funktionierendes und nachhaltiges Angebot im Umweltverbund, also von Bussen und Bahnen, im Rad- und Fußverkehr sowie bei Sharingangeboten.

Der zusätzliche Finanzbedarf für einen gut funktionierenden und nachhaltigen ÖPNV liegt bei rund 11 bis 15 Mrd. Euro pro Jahr (kcw 2019) – und das galt für die Zeit vor dem 9 Euro Ticket. Für einen attraktiven ÖPNV sollten daher mindestens die Regionalisierungsmittel erhöht und mehr Gelder für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) zur Verfügung gestellt werden. Das ist eine wesentliche Grundlage für die Steigerung der Qualität und die Erweiterung des Angebots. Außerdem sind digitale Lösungen (z. B. Mobility as a Service) und flexiblere Bedienformen gerade in ländlichen Räumen (z. B. Rufbusse oder Ridepooling) nötig.

Rad- und Fußverkehr sind nicht nur gesunde, aktive Verkehrsformen, sondern sie sind auch emissionsfrei. Rad- und Fußverkehr sollten daher in der Verkehrsplanung von Beginn an mitgedacht und noch stärker gefördert werden. Die Maßnahmen, die der Nationale Radverkehrsplan vorsieht (BMDV 2022), sollten daher zügig umgesetzt werden und eine mit Finanzmitteln unterlegte nationale Fußverkehrsstrategie verabschiedet werden.

3.8 Baustein 8: Postfossile Kraftstoffe

Postfossile, alternative Kraftstoffe haben aus Sicht des Umweltbundesamtes nur ein begrenztes Potenzial, über die im Projektionsbericht bereits berücksichtigte Wirkung hinaus zum Klimaschutz beizutragen.

Dies liegt zum einen daran, dass die Herstellung von Power-to-Liquid (PtL, auch E-Fuels) oder Power-to-Gas (PtG) sehr viel teurer als andere postfossile Energieversorgungsoptionen sind und bis zum Jahr 2030 nur kleine Mengen bereitgestellt werden können. Aufgrund der begrenzten Mengen von PtL und PtG ist es von entscheidender Wichtigkeit, dass diese zuerst dort eingesetzt werden, wo es keine Alternativen zur direkten Elektrifizierung der Antriebe gibt, nämlich im Luft- und Seeverkehr.

Auf der Straße oder Schiene ist eine Förderung des Einsatzes von PtL und PtG derzeit wenig sinnvoll. Zudem wäre es nicht zielführend, postfossile Kraftstoffe auf die CO2-Flottenzielwerte anrechnen zu können, da dies die Anteile hocheffizienter und elektrischer Fahrzeuge an den Neufahrzeugen abschwächen würde. Das hochwirksame Instrument der CO2-Grenzwerte würde dadurch unnötig abgeschwächt.

Auch Biokraftstoffe sind nur in sehr begrenztem Umfang für den Klimaschutz wirksam: Biokraftstoffe aus Anbaubiomasse sollten aufgrund der Vielzahl negativer Effekte auf Mensch und Umwelt nicht stärker gefördert werden. Nachhaltige Kraftstoffe aus Abfall- und Reststoffen hingegen sind in ihrer Menge stark beschränkt, sodass die aktuellen Ziele weiter gelten sollten.

4 Klimaschutz im Verkehr nach 2030

Damit der deutsche Verkehrssektor bis 2045 klimaneutral werden kann, müssen bereits vor 2030 die Weichen gestellt werden. Das beinhaltet die konsequente Umsetzung der Maßnahmen und Instrumente, die in den acht Bausteinen genannt werden. Dazu gehören aber auch weitere Maßnahmen und Instrumente, die aus heutiger Sicht erst nach 2030 ihre Wirkung entfalten.

Zu diesen Post-2030-Instrumenten zählt die Einführung einer Pkw-Maut auf allen Straßen ab etwa 2030. Mit zunehmender Elektrifizierung sinken die Erträge aus Energiesteuer und CO2-Bepreisung, die aber für den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur notwendig sind. Eine Pkw-Maut würde künftig den größten Beitrag zur Straßenfinanzierung leisten (Blanck, Zimmer et al. 2021). Ein Maut-System, das die Tarife nach Fahrzeugeigenschaften und nach Ort und Zeit differenziert, hätte neben der erwünschten Umweltwirkung auch eine positive Lenkungswirkung. Beispielweise können Maut-Aufschläge zu bestimmten, besonders verkehrsreichen Tageszeiten den Verkehrsfluss verbessern.

Für die Zeit nach 2030 ist zudem die Abkehr von konventionellen Pkw und Lkw mit Verbrennungsmotor ein starker Hebel. Auf europäischer Ebene zeichnet sich bereits ein Verbot der Neuzulassungen von Pkw mit Verbrennungsmotor ab 2035 ab. In Deutschland könnte der Ausstieg bereits einige Jahre eher stattfinden. Für Lkw sollte ein Ausstieg nicht später als 2035 bis 2038 stattfinden. Plug-in-Hybrid-Lkw könnten unter Nachweis eines ausreichend hohen, elektrischen Fahranteils noch einige wenige Jahre länger neu zugelassen werden.

Zudem sollte nach 2030 die Produktion von PtL-/PtG-Kraftstoffen ambitioniert fortgeschrieben werden, um den Luft- und Seeverkehr mit postfossilen Kraftstoffen zu versorgen. Die beim Markthochlauf in größerer Menge anfallenden Nebenprodukte aus den Produktionsanlagen könnten als emissionsarmer Diesel-Ersatz bevorzugt im öffentlichen Verkehr genutzt werden, um dessen Klimabilanz zu verbessern.

Zudem ist die Stärkung der Schiene und des Umweltverbunds eine langfristige Aufgabe. Die Umsetzung vieler Infrastrukturprojekte wird bis 2030 nicht abgeschlossen sein, sondern braucht über längere Zeiträume eine konsistente Planung und verlässliche Finanzierung. Auch für Instandhaltung, Betrieb und Erweiterung der Angebote müssen die Mittel sichergestellt sein.

5 Fazit: So gelingt Klimaschutz im Verkehr – zielsicher und sozialverträglich

Die im Abschnitt 3 vorgestellten acht Bausteine können in Summe die Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors um zusätzlich rund 36 bis 47 Mio. t CO2-Äq. im Jahr 2030 reduzieren und damit die Lücke von 41 Mio. t CO2-Äq. zwischen der Referenzentwicklung des Projektionsbericht 2021 (126 Mio. t CO2-Äq.) und dem Ziel des Bundes-Klimaschutzgesetzes (85 Mio. t CO2-Äq.) schließen. Der Beitrag einzelner Bausteine ist zwar unterschiedlich hoch, aber keiner davon ist verzichtbar, wenn das Klimaschutzziel 2030 im Verkehr sicher und sozialverträglich erreicht werden soll.

Tabelle 1: Vorschläge des UBA für Bausteine für einen klimaverträglichen Verkehr und Treibhausgasminderungen im Jahr 2030 gegenüber dem Projektionsbericht 2021 der Bundesregierung

Bausteine für Klimaschutz
im Verkehr bis 2030

Zusätzliche Treibhausgasminderung

(in Millionen Tonnen CO2-Äquivalente)

Baustein 1: Effizienz und Elektrifizierung
für Pkw (inkl. leichte Nutzfahrzeuge)

13 bis 15

Baustein 2: Effizienz und Elektrifizierung
für schwere Nutzfahrzeuge

7 bis 10

Baustein 3:
Abbau klimaschädlicher Subventionen

5 bis 6

Baustein 4:
Verursachergerechte Bepreisung

3 bis 5

Baustein 5:
Geschwindigkeitsbegrenzungen

3

Baustein 6:
Ausbau Schiene

3 bis 5

Baustein 7:
Stärkung Umweltverbund

2 bis 3

Baustein 8:
Postfossile Kraftstoffe

keine Minderung
zusätzlich zur Referenzentwicklung

Insgesamt

36 bis 47

Im Verkehrssektor kollidieren so viele Interessen, Wünsche und Vorstellungen wie in kaum einem anderen Bereich, denn Verkehr und Verkehrsentwicklung gehen alle an. Die Entwicklung eines modernen und attraktiven Angebots für die Elektromobilität, die Schiene, den öffentlichen Verkehr, für Rad- und Fußverkehr ist nicht innerhalb weniger Jahre zu schaffen. Eine Verkehrswende braucht heute schon mutige Entscheidungen mit Weitblick über 2030 hinaus. Zudem ist Deutschlands Verkehrspolitik in einen europäischen Rahmen eingebunden, der durch seine Gesetzgebung die Richtung vorgibt und die Spielräume für einzelne Mitgliedsstaaten begrenzt, eigene Maßnahmen und Ambitionen zu realisieren. Umso wichtiger sind deshalb ambitionierte Ziele auch auf EU-Ebene.

Aber die Anstrengung lohnt sich. Eine Wende im Verkehr hin zu aktiven, sozial gerechten, umwelt- und klimaschonenden Verkehrsformen bringt nicht nur die deutschen und europäischen Klimaschutzziele in Reichweite. Sie mindert gleichzeitig auch Lärm und Luftbelastungen, verringert den Flächenverbrauch und fördert die Verkehrssicherheit. Vor allem aber erhöht sie die Lebensqualität und macht den öffentlichen Raum zum Begegnungsraum für alle.

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel, der im Internationalen Verkehrswesen erschienen ist: Hendzlik, Manuel; Lange, Martin; Klöckner, Philipp; Lambrecht, Martin; Frey, Kilian; Dziekan, Katrin; Dross Miriam; Schmied Martin (2022). Bausteine für einen klimagerechten Verkehr. Internationales Verkehrswesen Jg. 74, Heft 1, S.13-17

Weiterführende Informationen und Kurzpapiere zu verschiedenen Vertiefungsthemen:
https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm/klimaschutz-im-verkehr

Literaturverzeichnis

BMDV (2022): Nationaler Radverkehrsplan 3.0. Online verfügbar unter:
https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/StV/nationaler-radverkehrsplan-3-0.pdf?blob=publicationFile

Blanck, R.; Zimmer, W. (2021): Umgestaltung der KfZ-Steuer: Bonus-Malus-System. Umweltbundesamt (Hrsg.). Online verfügbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/366/dokumente/uba-kurzpapier_bonus-malus-system_kliv.pdf

Blanck, R.; Zimmer, W.; Mottschall, M.; Göckeler, K.; Keimeyer, F.; Runkel, M.; Kresin, J.; Kinski, (2021): Mobilität in die Zukunft steuern: Gerecht, individuell und nachhaltig. UBA Texte 85/2021. Umweltbundesamt (Hrsg.). Online verfügbar unter:
https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/3521/publikationen/2021-11-18_texte_85-2021_mobilitaet-zukunft-steuern.pdf

Bundesregierung (2021a): Projektionsbericht 2021 für Deutschland. Online verfügbar unter:
https://www.bmuv.de/download/projektionsbericht-der-bundesregierung-2021

Bundesregierung (2021b). Mehr Fortschritt Wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bundnis90/Die Grünen und FDP. Online verfügbar unter:
https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1990812/04221173eef9a6720059cc353d759a2b/2021-12-10-koav2021-data.pdf?download=1

KCW (2019): Finanzierung des ÖPNV. Status quo und Finanzierungsoptionen für die Mehrbedarfe durch Angebotsausweitungen. Im Auftrag des Umweltbundesamts. Online verfügbar unter:
https://www.kcw-online.de/media/pages/veroeffentlichungen/finanzierung-des-oepnv/3ba9f37997-1637144959/2019_ finanzierung_des_oepnv_fin.pdf

UBA (2021a): Daten der Treibhausgasemissionen des Jahres 2020 nach KSG. Emissionsübersichten in den Sektoren des Bundesklimaschutzgesetzes. Online verfügbar unter
https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/treibhausgasemissionen

UBA (2021b): Treibhausgasminderung um 70 Prozent bis 2030: So kann es gehen! Online verfügbar unter:
https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/treibhausgasminderung-um-70-prozent-bis-2030

UBA (2021c): Damit das Recht dem Klimaschutz nicht im Weg steht – Vorschläge zur Beseitigung von Hemmnissen im Straßenverkehrsrecht. Online verfügbar unter:
https://www.umweltbundesamt.de/sites/ default/files/medien/366/dokumente/uba-kurzpapier_strassenverkehrsrecht_kliv_0.pdf

UBA (2021d): Umweltschädliche Subventionen in Deutschland. Online verfügbar unter:
https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/umweltschaedliche-subventionen-in-deutschland-0

UBA (2022): Berechnung der Treibhausgasemissionsdaten für das Jahr 2021 gemäß Bundesklimaschutzgesetz. Begleitender Bericht. Online verfügbar unter:
https://www.umweltbundesamt. de/sites/default/files/medien/361/dokumente/220310_vjs_2021_-_begleitender_bericht_-_sauber_vbs_korr_kurzfassung.pdf