Volltext |
Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.
1 Einleitung
Passive Schutzeinrichtungen wie Stahlschutzplanken und Betonschutzwände werden in Deutschland bereits seit den 1950er Jahren eingesetzt und spielen seitdem eine bedeutende Rolle für die passive Sicherheit auf unseren Straßen.
Aufgrund des europäischen Einflusses aber auch wegen höherer verkehrlicher Anforderungen hat seit einigen Jahren eine Neuorientierung im Bereich der Fahrzeug-Rückhaltesysteme eingesetzt. Den Anfang dazu machen die neu erstellten, 2009 veröffentlichten „Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme“ (RPS 2009) [1]. Damit konnte ein über viele Jahre dauernder Prozess zum Abschluss gebracht werden. Seit Dezember 2010 sind die RPS 2009 nun auch formal vom BMVBS bekannt gegeben, das heißt eingeführt, worden.
2 Ziele der RPS 2009
Bereits zu Beginn der Arbeit zur Erstellung der RPS hat sich der zuständige Arbeitskreis der FGSV mit der Frage beschäftigt, für welchen Geltungsbereich die neuen Richtlinien angewendet werden sollen. Dabei ging es um die Frage, ob lediglich eine Anpassung an die DIN EN 1317 [3] erfolgen und damit das bereits vorhandene Sicherheitsniveau lediglich festgeschrieben werden soll oder ob mit den neuen RPS die Gelegenheit genutzt werden soll, das Sicherheitsniveau beim Neubau von Straßen und/oder Hindernissen anzuheben und an den Stand der Technik anzupassen. Im ersten Fall wäre die Möglichkeit der Anwendung der Regeln auch auf den Bestand gegeben, während dies im zweiten Fall aufgrund der damit verbundenen Kosten nicht möglich gewesen wäre. Die Entscheidung ist damals klar für die zweite Variante ausgefallen, weil damit eine Anpassung an den Stand der Technik und Weiterentwicklung möglich war, auch wenn der Weg dorthin nicht immer einfach ausgefallen ist.
Vorrangiges Ziel bei der Neubearbeitung war es, die für Mitgliedstaaten verbindlichen Vorgaben der europäischen Normen DIN EN 1317 [3] in das nationale Regelwerk zu integrieren. Dabei ging es vor allem darum, die in den europäischen Normen definierten Leistungsklassen für Aufhaltevermögen, Wirkungsbereich und Anprallheftigkeit aufzunehmen. Unabhängig davon sollte die Möglichkeit genutzt werden, das schon hohe Sicherheitsniveau im Straßenverkehr weiter anzuheben und somit die neuen Richtlinien an den Stand der Technik anzupassen. Aufgrund des sehr hohen Ausstattungsgrades der deutschen Außerortsstraßen mit Fahrzeug-Rückhaltesystemen und des damit verbundenen hohen volkswirtschaftlichen Kapitals beziehen sich diese Ziele zunächst in erster Linie auf Neu- und Umbaumaßnahmen, nicht auf unveränderte und unfallunauffällige Strecken. Was nicht ausschließt, das sukzessive eine Anpassung auch des Bestandes erfolgen kann.
Damit war auch klar, dass die Anwendung der RPS 2009 [1] auf unauffällige bestehende Situationen aus Kostengründen zunächst nicht erfolgen kann. Das heißt es wurde billigend in Kauf genommen, dass die vollständige Umsetzung der Richtlinien bei einer zu erwartenden Lebensdauer von Schutzeinrichtungen von 20 bis 30 Jahren erst nach vielen Jahren vollständig abgeschlossen sein wird. Eine generelle Umrüstung ist vielleicht wünschenswert aber unter den gegebenen Voraussetzungen nicht zu realisieren. Damit kann es örtlich zu sehr unterschiedlichen Situationen kommen. Ein Teil einer Strecke, z. B. im Mittelstreifen von BAB, kann bereits nach den neuen Richtlinien mit einer hohen Aufhaltestufe ausgestattet sein, während der daran anschließende noch die herkömmlichen Systeme enthält. Diese Situation existiert bereits heute schon, da manche Bundesländer die RPS 2009 [1] schon seit einiger Zeit anwenden. Nach Auffassung der BASt kann ein Anspruch von Dritten auf generelle Umrüstung z. B. der Mittelstreifen nicht abgeleitet werden.
Was bedeutet das für die Länder?
Auch wenn keine generelle Umrüstungspflicht besteht oder festgelegt worden ist, müssen die Länder abschätzen, an welchen Stellen im Bestand grundsätzlich Handlungsbedarf besteht. Auf der Basis muss unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel eine Planung ausgearbeitet werden, wie langfristig eine Anpassung an die in den RPS 2009 [1] festgelegten Anforderungen erfolgen soll. Dabei ist zu beachten, dass die neuen RPS sehr weit reichende Änderungen mit sich bringen, die auf den ersten Blick nicht unbedingt erkannt werden. Als Beispiele seien hier die Beachtung des Wirkungsbereiches und die Längen von Schutzeinrichtungen genannt. Dieser Plan muss dann sukzessive unter Beachtung von festgelegten Prioritäten umgesetzt werden. Dabei sollte die Unfallsituation im Vordergrund stehen. Danach stehen weniger die BAB als vielmehr die Außerortsstraßen im Vordergrund und dort sind es insbesondere die Bäume als ein massives Hindernis, für die die neuen RPS angewendet werden sollten.
3 Auswirkungen der RPS 2009
Auch wenn die RPS 2009 [1] erst im Dezember 2010 mit ARS 28/2010 formal vom BMVBS bekannt gegeben worden sind, wurden sie bereits seit mehreren Jahren in einigen Ländern zumindest bei Neubau oder anderen vergleichbaren Maßnahmen angewendet. Ihre Auswirkungen kann man daher bereits heute feststellen.
An erster Stelle ist zu nennen, dass heute nur noch nach DIN EN 1317 [3] geprüfte Systeme eingesetzt werden. Dies ist mittlerweile allgemein anerkannt und akzeptiert und wurde zur Grundvoraussetzung, auch wenn die Norm erst mit dem 1. 1. 2011 endgültig harmonisiert wurde und verbindlich gilt. So wird sichergestellt, dass die eingesetzten Systeme wenigstens in 2 Anprallversuchen ihre Eignung unter Beweis gestellt haben. Auch wenn eine langjährige Praxisbewährung damit noch nicht erbracht ist, ist dies sicher ein Fortschritt gegenüber früheren Zeiten, wo Systeme entweder gar nicht geprüft auf den Markt kamen oder aufgrund von Einschätzungen Einzelner.
An vielen Stellen im BAB Netz ist insbesondere im Mittelstreifen von BAB zu beobachten, dass die Schutzeinrichtungen erneuert werden. Zum Einsatz kommen Systeme aus Beton oder Stahl, die (mindestens) die Aufhaltestufe H2 erfüllen. Das heißt sukzessive findet hier eine Anpassung an die neuen Vorgaben statt und der Durchbruchschutz im Mittelstreifen auf BAB wird dadurch deutlich erhöht. Ebenfalls wird dabei die Absicherung von Hindernissen, wie z. B. Brückenpfeiler, mit umgesetzt.
Auch auf Brückenbauwerken sind die Auswirkungen der RPS 2009 [1] deutlich zu erkennen. Hier liegen die Anforderungen der Richtlinien unter vergleichbaren Umständen zum Teil höher als im Mittelstreifen.
Berücksichtigt werden jetzt die Kräfte, die von einem System beim Anprall in die Brückenkappe bzw. -bauwerk eingeleitet werden. Dazu gibt es auf der Homepage der BASt [4] eine Einteilung der geprüften Systeme in die Klassen des DIN-Fachberichts 101 [5]. Es gibt bereits eine Reihe von Systemen, die positiv getestet worden sind und die die Anforderungen grundsätzlich erfüllen. Welche Systeme dann tatsächlich an einer bestimmten Stelle zum Einsatz kommen, muss individuell entschieden werden. Probleme gibt es oft noch am Anfang und am Ende von Brücken, wenn das Brückensystem auf der Strecke weitergeführt werden soll (s. dazu auch die Ausführungen weiter hinten). Hier fehlen zum Teil noch geprüfte Übergänge und/oder Dilatationen.
Schon seit längerem ist zu beobachten, dass an besonderen Stellen im Straßennetz, vorzugsweise auf BAB, Anpralldämpfer zum Einsatz kommen. Sie werden erst seit einigen Jahren vermehrt eingesetzt. Bis weit in die 1950er Jahre waren sie eher eine Rarität. Anpralldämpfer können und sollen dort, wo der zur Verfügung stehende Platz nicht ausreicht, Schutzeinrichtungen in ausreichender Länge aufzustellen, eingesetzt werden und schützen Pkw-Insassen vor der Kollision mit einem Hindernis. Sie tragen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit bei (Bild 1).
Bild 1: Anpralldämpfer vor Verkehrszeichenbrücke
Bereits früh hat sich bei der Umsetzung der europäischen Vorgaben und der Diskussion darüber gezeigt, dass der Wirkungsbereich eine sinnvolle und notwendige Größe ist aber auch zu Schwierigkeiten führen wird. Insbesondere bei der Absicherung von massiven Hindernissen neben der Fahrbahn, wie Verkehrszeichen, Brückenfundamenten oder Verkehrszeichensockeln existierten so gut wie keine Systeme, die die Anforderungen erfüllen konnten. Mittlerweile hat es einige Anprallversuche gegeben, die nachweisen, dass Systeme in der Lage sind, bei der Aufhaltestufe H2 (Mittelstreifen BAB) sowohl die Insassenbelastung für Pkw in einem akzeptablen Maß zu halten als auch den Schutz vor dem Anprall an das Hindernis zu gewährleisten.
Jedoch sind nicht alle Auswirkungen der RPS 2009 [1] nur positiv zu bewerten. Der Gedanke bzw. sogar die Forderung nach einem freien europäischen Binnenmarkt mag aus wirtschaftspolitischer Sicht begrüßt werden, für die Praxis bringt dies allerdings auch einige Probleme mit sich. Durch die größere Konkurrenzsituation befinden sich mehr Systeme auf dem Markt. Vordergründig sieht das vorteilhaft aus aber diese Systeme sind nicht unbedingt kompatibel untereinander, so dass Übergänge nötig werden (Bild 2). Diese Übergänge sind konstruktive Verbindungen zwischen den beiden zu verbindenden Systemen, außerdem vermitteln sie zwischen unter Umständen vorhandenen Leistungsunterschieden bzgl. Aufhaltevermögen, Wirkungsbereich und dynamischer Durchbiegung. Auch wenn für Übergänge Anprallversuche definiert sind, sind diese (noch) nicht verbindlich und decken nur einen kleinen Bereich einer Übergangskonstruktion ab. Diese kann sich über eine längere Strecke hinziehen, speziell wenn sie sehr unterschiedliche Systeme bezogen auf Aufhaltestufe und Wirkungsbereich bzw. dynamische Durchbiegung miteinander verbinden soll. Es ist naheliegend, dass es innerhalb dieser Übergangskonstruktion mehrere kritische Stellen gibt, die es gilt, zu untersuchen. Da aber nur ein Anprallversuch pro Fahrzeugart absolviert wird, besteht die Aufgabe darin, hierfür jeweils den kritischsten Punkt ausfindig zu machen. Dafür ist sehr viel Know-How und Erfahrung nötig. Zurzeit geschieht dies durch die BASt im Rahmen des Einsatzfreigabeverfahrens (s. u.). In Zukunft kann erwartet werden, dass der Teil der europäischen Norm dies mit abdeckt. Übergangskonstruktionen bleiben aber Stellen im Gesamtsystem, die kritisch sein können und daher lieber vermieden werden sollten (Bild 3).
Bild 2: Übergänge vor Brückenpfeiler im Mittelstreifen (BAB)
Bild 3: Mehrere Übergänge zwischen verschiedenartigen Schutzeinrichtungen auf kurzem Abschnitt (BAB)
Wer nun meint – und solche Stimmen gibt es immer wieder – die alte RPS aus dem Jahr 1989 [2] wäre das bessere Werk, der sollte sich einige dort beschriebene Lösungen genauer anschauen. Als Beispiel sei hier der Kopfbogen genannt. In den RPS 1989 [2] noch als Standardlösung zu finden, um z. B. bei Ausfahrten aufeinander zulaufende Schutzeinrichtungen zu verbinden, taucht er in den RPS 2009 [1] nicht mehr auf und das aus gutem Grund. Unfälle und auch ein Anprallversuch der BASt haben gezeigt, dass Kopfbögen durchaus eine Gefahr für anprallende Fahrzeuge darstellen können. Hier gibt es heute bereits bessere Lösungen.
4 FAQ
Auch wenn viel Arbeit und Zeit in die RPS 2009 [1] investiert worden ist, ist es sicher kein perfektes Regelwerk und erst recht, kann es nicht Allem gerecht werden. Das heißt mit anderen Worten, es tauchen naturgemäß immer wieder Fragen von den Anwendern auf. Diese sind vielfältig. Im Folgenden werden zwei immer wieder gestellte Fragen herausgegriffen und beantwortet, um an diesen Beispielen exemplarisch zu zeigen, welche Grundsätze bei der Erstellung der Richtlinien eine maßgebende Rolle gespielt haben. Dazu werden vorab zwei Positionen im damaligen Arbeitskreis grundlegend aufgezeigt, die den Inhalt der RPS 2009 [1] stark beeinflusst haben. Die eine Fraktion möchte klare Angaben von Grenzen und Werten und darauf aufbauend eine Festlegung, ab wann Schutzeinrichtungen erforderlich werden. Die andere Fraktion hätte lieber eine beschreibende Anforderung mit einer offeneren Formulierung, die der Verwaltung Entscheidungsspielräume lässt. In den RPS 2009 [1] findet man Beispiele für beide Standpunkte aber oftmals wurde der offeneren Variante gefolgt. Die daraus resultierenden nicht eindeutig festgelegten Zustände werfen nun die Fragen auf.
Das erste Beispiel bezieht sich auf die immer wieder gestellte Frage, was ist mit dem Kriterium „stark frequentierte Geh- und Radwege“ genau gemeint (vgl. dazu RPS 2009 Bild 7 [1])?
Abhängig von der Beantwortung der Frage gilt die betrachtete Stelle als eine für die RPS 2009 [1] relevante Gefahrenstelle mit dem daraus zu ziehenden Konsequenzen nach dem Bild 7, RPS 2009 [1] oder nicht.
Die BASt steht auf dem Standpunkt, dass das Kriterium „nebenliegende stark frequentierte Geh- und Radwege“ dann gegeben ist, wenn regelmäßig oder unregelmäßig eine größere Anzahl von Radfahrern den Radweg benutzt. Das kann zum Beispiel ein touristisch interessanter Radweg sein, der im Sommer viel benutzt wird. Dann ist die Gefahr einer Kollision zwischen Fahrzeugen und Radfahrern und damit die Indikation für die Anwendung der RPS 2009 [1] gegeben. Auch wenn dieser Radweg im Winter praktisch gar nicht genutzt würde. Wäre in den RPS 2009 [1] ein bestimmter Wert, z. B. für den DTV Radverkehr, festgelegt worden, würde hier über die Jahresmittlung eine Verzerrung entstehen. Auch die Festlegung eines Stundenspitzenwertes hilft nicht in allen Situationen weiter. Beispielsweise Radwege, die eine Verbindungsfunktion haben und regelmäßig von einer mehr oder weniger konstanten Zahl von Fahrradfahren genutzt werden, z. B. auf dem Weg von und zur Arbeit, würden hiermit unter Umständen nicht richtig erfasst werden. In beiden Beispielen fehlt eine genaue Angabe der Anzahl der Fahrradfahrer, diese würde aber den Leitgedanken der RPS 2009 [1] auch verfälschen. Man möchte eine Sicherheitsdenkweise vermitteln und diese in unterschiedlichen Situationen bezogen auf die Randbedingungen umgesetzt sehen und nicht ein stures Anwenden einer festgelegten Größe, ohne Reflektion. Auch eine Festlegung auf einen bestimmten Wert würde nicht alle Fragen per se klären. Auch wenn nicht alle Anwender zufrieden sind mit einer solchen offenen Lösung, muss man letztendlich sagen, dass die RPS 2009 [1] hier den Verwaltungen den Spielraum lässt, den sie offenbar brauchen. Das heißt sie haben neben Einzelfallentscheidungen die Möglichkeit, konkretere allgemein gültige Regelungen in ihrem Zuständigkeitsbereich zu treffen. Damit besteht auch die Möglichkeit, auf regionale Unterschiede einzugehen. Es gibt ausgewiesene Radfahrregionen oder -zentren wie Freiburg oder Münster. Hier müssen sicher andere Maßstäbe angelegt werden als in anderen Regionen mit deutlich weniger Radverkehr. Würde man in den Richtlinien z. B. das Münsterland zum Maßstab machen, gäbe es nur dort geschützte Radwege, umgekehrt würde der Maßstab an einer schwach entwickelten Region ausgelegt, würde das Kriterium „stark frequentiert“ praktisch überall zutreffen.
Unklarheiten aufgrund der veränderten Festlegungen gegenüber den jahrelang praktizierten Vorgaben der RPS 1989 [2] gibt es auch immer wieder bei der Bestimmung der Länge von Schutzeinrichtungen auf Brücken.
Bislang bezogen sich die Anforderungen an Schutzeinrichtung auf Brücken auf den Bereich des Bauwerks und nicht auf die Bereiche davor und dahinter, mit der Folge, dass es immer wieder zu Unfällen kam, bei denen das Fahrzeug vor der eigentlichen Brücke bereits die Fahrbahn verlassen hat, eventuell die Schutzeinrichtung überquert hat und in der Folge dann quasi abgestürzt ist. Dies war z. B. 2004 bei dem spektakulären Tanklastzugunfall auf der Wiehltalbrücke der A 4 der Fall. Um dieses zu verhindern, ist in den RPS 2009 [1] nun festgelegt worden, dass „die Stelle, an der die Schutzeinrichtung ihre volle Wirkungsweise besitzt, so weit vor dem Beginn der Brücke bzw. Stützwand liegen muss, dass ein Absturz möglichst verhindert wird“ (vgl. RPS 2009, Abschnitt 3.5.1.3 [1]). Was heißt das aber nun konkret? Zunächst muss man feststellen, dass damit die Länge der Schutzeinrichtung nicht bestimmt ist, sondern von Einsatzort zu Einsatzort variiert. Für die Situation eines Dammes mit einer Brücke, die über eine andere Strecke (BAB oder Bahnstrecke) führt, muss in einer Einzelfallentscheidung festgelegt werden, wo die Stelle der Absturzgefahr liegt. Gemeint ist hier der Bereich, der noch mit der hohen Aufhaltestufe versehen werden muss, damit das abkommende Fahrzeug nicht in den Bereich der eigentlichen Gefahrenstelle gelangen kann. Also in dem Beispiel die BAB oder Bahnstrecke. Dieser wird in der Regel vor dem eigentlichen Brückenbauwerk liegen (Bild 4). Ab hier muss dann bereits die Aufhaltestufe wirksam sein, die für die Schutzeinrichtung auf der Brücke nach Tabelle 5 der RPS 2009 [1] ermittelt worden ist. Weiter beachtet werden müssen hier dann noch die Länge L2 gegen Hinterfahren aus der Tabelle 4 der RPS 2009 [1] daran anschließend eventuell Übergänge an bereits vorhandene Schutzeinrichtungen oder an andere Schutzeinrichtungen mit geringerem Aufhaltevermögen bzw. Anfangs- und Endkonstruktionen. Die Übergänge sind allerdings Folgeerscheinungen und haben mit der eigentlichen Forderung der Vermeidung des Absturzes nicht direkt etwas zu tun. Es bleibt festzuhalten, dass sich die Längen der Schutzeinrichtungen vor und hinter Bauwerken gegenüber den Vorgaben nach RPS 89 [2] deutlich erhöhen.
Bild 4: Schutzeinrichtungen auf Brücken nach RPS 2009 (Quelle RPS 2009)
5 Ergänzungen zu den RPS 2009
Der Einfluss Europas hat bei der Erstellung der RPS 2009 [1] eine große Rolle gespielt. Der freie Markt steht dort an erster Stelle, um existierende Handelshemmnisse abzubauen, ohne jedoch die Verkehrssicherheit zu vernachlässigen. Unstrittig ist dabei, dass Deutschland sich als Mitgliedsland diesen Forderungen nicht entziehen kann. So sind die RPS 2009 [1] systemneutral formuliert worden, um dem europäischen Gedanken Rechnung zu tragen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den alten und den neuen Richtlinien besteht daher darin, dass nunmehr keine konkreten Systeme für bestimmte Einsatzzwecke mehr genannt werden. Verlangt werden jetzt systemneutrale Anforderungsklassen, die sich an der europäischen Norm orientieren, und der Grundsatz, dass Fahrzeug-Rückhaltesysteme nach europäischen Vorgaben erfolgreich geprüft sein und das CE-Kennzeichen tragen müssen. Dies führt dazu, dass die Anwender der Richtlinien – also die Straßenbauverwaltungen der Länder– selber ein hohes Maß an spezieller Fachkompetenz für die Umsetzung in der Praxis besitzen müssen und eine ebenso hohe Verantwortung bei ihnen liegt. Bei der Vielzahl an Systemen mit den dazugehörenden Prüfungen und individuellen Eigenschaften ist es sehr, schwer den Überblick zu behalten und eine vergleichende objektive Bewertung durchzuführen. Außerdem sind nicht alle Systeme im gleichen Maße für den Einsatz geeignet, auch wenn sie die Anforderungen der europäischen Norm erfüllen. Daher taucht immer wieder die Frage auf, ob ein System, das ein CE-Kennzeichen trägt, zwingend akzeptiert werden muss? Diese Frage ist zunächst klar mit „ja“ zu beantworten, weil ansonsten ein Handelshemmnis aufgebaut würde, das den Grundsätzen des europäischen Binnenmarktes widersprechen würde. Allerdings heißt das nicht, dass alle diese Systeme auch zwingend an der Straße eingesetzt werden können, denn die CE-Kennzeichnung stellt nur eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung für die Verwendung eines Systems dar. Hierfür kommen weitere Kriterien ins Spiel, die durch die CE-Kennzeichnung nicht abgedeckt werden oder wo die Klassen der DIN EN 1317 [3] nicht passend sind.
Den Verantwortlichen war stets bewusst, dass die unter dieser Maßgabe erstellten RPS 2009 [1] so alleine für die Praxis nicht ausreichend sein würden. Ergänzt wurden sie deshalb durch die „Einsatzempfehlungen für Fahrzeug-Rückhaltesysteme“, die auf der BASt-Homepage [4] veröffentlicht sind und regelmäßig aktualisiert werden. Sie wurde vom Bund-Länder-Arbeitsgremium unter Leitung der BASt erarbeitet und dienen den Straßenbauverwaltungen als Hilfestellungen bei der Umsetzung der RPS 2009 [1]. In den Einsatzempfehlungen sind Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt, die angewendet werden können, wenn die Regelungen der RPS 2009 [1] nicht vollständig eingehalten werden können, beispielsweise erforderliche Längenkürzungen der Schutzeinrichtung aufgrund einmündender Wege.
Aber auch hiermit fehlt im Gesamtsystem noch ein weiterer Baustein. Die mittlerweile bereits vorhandene Vielfalt an zum Teil sehr unterschiedlichen Systemen auf dem Markt hilft den Anwendern nicht wirklich weiter. Das ganze Gesamtsystem muss zusammenpassen und ineinandergreifen. Und das tut es bislang noch nicht. Eine gute Versinnbildlichung stellt die fiktive Fahrt auf einer Bundesstraße von Ort A (z. B. Köln) nach Ort B (z. B. Frankfurt) dar. Die (fiktive) Aufgabe besteht darin, die hier auftretenden sehr unterschiedlichen Hindernisse und Gefahrensituationen im Sinne der RPS 2009 [1] zu behandeln, das heißt zu entscheiden ob, und wenn ja, welche Fahrzeug-Rückhaltesysteme eingesetzt werden sollen. Dann reicht es weder aus, nur die Vorgaben der Leistungsklassen (unbekannter) Systeme in den Ausschreibungen festzulegen, noch eine Auswahl an Systemen, die diese Leistungsklassen erfüllen. Benötigt wird ein Komplettsystem, so wie wir es bis heute von unseren Standardschutzeinrichtungen kennen. Dazu gehören z. B. Anfangs- und Endkonstruktionen, Verankerungen in unterschiedlichen Bodenarten, Absicherungen auf Brücken, Übergänge zwischen dem System auf der Brücke und auf der Strecke usw. Außerdem muss der Anwender aber auch wissen, ob die von ihm verlangten Schutzeinrichtungen zusammen mit Bordsteinen, Aufsatzgeländern etc. eingesetzt werden können. Alle diese praxisbezogenen Fragen löst die RPS 2009 [1] nicht konkret, auch nicht im Zusammenspiel mit einer in Europa angebotenen Vielzahl an Systemen. Außerdem ist es nicht zuletzt auch im Sinne der Sicherheit wichtig, dass das Gesamtsystem bezogen auf Verfügbarkeit, Qualität, Fertigung, Reparatur und Ersatz sowie Ausschreibung und Vergabe für alle Beteiligten umsetzbar bleibt. Aus diesen Gedanken heraus hat die BASt ein Einsatzfreigabeverfahren für Fahrzeug-Rückhaltesysteme entwickelt. Darin sind Systeme aufgeführt und zur Anwendung freigegeben, die die wesentlichen Anforderungen erfüllen und einen Modulcharakter aufweisen. Das bedeutet sie sind so aufgebaut, dass sie sich möglichst allen notwendigen Einsatzgebieten anpassen können, ohne entscheidende konstruktive Änderungen zu benötigen, um unsichere und aufwändige Übergangskonstruktionen möglichst zu vermeiden. Ziel des Einsatzfreigabeverfahrens ist es also, die Verkehrssicherheit in Deutschland zu wahren oder zu verbessern und die Handlungsfähigkeit Aller – also der Straßenbauverwaltungen der Länder und der Industrie – zu gewährleisten.
Grundlage für die Kriterien zum Einsatz von Fahrzeug-Rückhaltesystemen sind die Anforderungen der RPS 2009 [1], der ZTV-PS 98 [6], der TL-BSWF 96 [7], der TL-SP 99 [8] sowie die Anregungen aus den Ländern, die bereits Erfahrungen mit den RPS 2009 [1] und dem Einsatz neuer nach DIN EN 1317 [3] geprüfter Systeme gemacht haben. Die Einsatzfreigabekriterien wurden von der BASt im Auftrag des BMVBS erstellt und mit den Industrieverbänden und Ländervertretern abgestimmt. Die BASt führt auch die Bewertung der Systeme anhand der Kriterien durch und erstellt und veröffentlicht die Liste mit den für den Einsatz in Deutschland freigegebenen Systemen. Das heißt, im Einsatzfreigabeverfahren werden Fahrzeug-Rückhaltesysteme auf ihre Eignung für den Einsatz in Deutschland beurteilt, nicht die Anbieter der Systeme.
Da auf zahlreichen Streckenabschnitten die Situationen sehr vielfältig sind und dort häufige Systemwechsel vermieden werden sollen, werden nicht einzelne Schutzeinrichtungen, sondern Gesamtsysteme mit geprüften Modulen (z. B. Gesamtsystem „EDSP“ mit den Modulen EDSP 1,3 B-Profil, EDSP 2,0 A-Profil und EDSP 1,33 B-Profil, BW mit Geländer) bei der Einsatzfreigabe berücksichtigt.
Um eine Einsatzfreigabe zu erhalten, sind verschiedene Voraussetzungen zu erfüllen. Die Kriterien sind in drei Kategorien unterteilt:
- Grundvoraussetzungen (z. modulares Gesamtsystem, formale Anforderungen, Materialanforderungen)
- Anforderungen aufgrund des Einsatzortes (z. B. im Mittelstreifen mindestens Aufhaltestufe H2, geprüfte Übergangskonstruktionen an vorh. Systeme)
- Bedarfsanforderungen (z. B. Lösungen für geneigten Mittelstreifen, Haltesichtweite, besondere Lösungen für Alleen/Bäume)
6 Fazit
Die neuen „Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme“ (RPS 2009) [1] wurden nach ihrer Veröffentlichung durch die FGSV im Dezember 2010 mit Rundschreiben ARS 28/2010 des BMVBS vom Dezember 2010 nun auch von dort offiziell bekanntgegeben (d. h. eingeführt). Dies ist zusammen mit dem Einsatzfreigabeverfahren für den nationalen Einsatz von Fahrzeug-Rückhaltesystemen geschehen. Die BASt hat parallel eine Einsatzfreigabeliste erstellt, in der die Module (Cluster aus gleichartigen Systemen) aufgeführt sind, die zum einen für den Einsatz in Deutschland geeignet sind und zum anderen ein gewisses Maß an Kompatibilität untereinander bieten. Damit sind wichtige Schritte in der Umorientierung durch die europäischen Vorgaben erfolgt und sichergestellt, dass die Bauverwaltungen der Länder in Deutschland weiter handlungsfähig sind und ein in sich funktionierendes Gesamtsystem zu Verfügung steht, so wie wir es seit vielen Jahrzehnten kennen. Weitere Schritte werden noch folgen müssen. Zurzeit werden die Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Fahrzeug-Rückhaltesysteme neu erstellt. Die Länder arbeiten an den Texten für die zukünftigen Ausschreibungen. Auch im Einsatzfreigabeverfahren werden weitere Anpassungen und Verfeinerungen nötig werden. Dies geschieht dann aber mit einem etwas größeren Erfahrungshintergrund und auf einer jetzt gelegten umfassenden Basis.
Literaturverzeichnis
- Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme (RPS 2009), Ausgabe 2009, Köln, FGSV 343
- Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Richtlinien für passive Schutzeinrichtungen an Straßen (RPS 1989), Ausgabe 1989, Köln
- DIN EN 1317: Rückhaltesysteme an Straßen; 04/1998
- http://www.bast.de/Aufgaben/abteilung-v/referat-v4/schutzeinrichtungen; http://www.bast.de/Publikationen/Regelwerke
- DIN Fachbericht 101: „Einwirkungen auf Brücken“, Ausgabe 2009
- Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für passive Schutzeinrichtungen an Straßen (ZTV-PS 98), Ausgabe 1998, Köln, FGSV 367
- Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Technische Lieferbedingungen für Betonschutzwand-Fertigteile (TL BSWF 96), Ausgabe 1996, Köln, FGSV 362
- Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Technische Lieferbedingungen für Stahlschutzplanken (TL-SP 99), Ausgabe 1999, Köln, FGSV 366
|