Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.
1. Einführung
Das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) als maßgebliche Rechtsgrundlage des ÖPNV in Deutschland nennt als grundlegende Zielstellung des Betriebes öffentlicher Verkehrssysteme die wirtschaftliche Verkehrsgestaltung und die Vorhaltung eines zuverlässigen (betrieblich verfügbaren) Bedienungsangebotes. Diese beiden Ziele müssen auch bei der Konzeption technologisch neuartiger Bussysteme von Beginn an mit bedacht und in der anschließenden Betriebsphase auch langfristig erreicht werden.
Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit des Verkehrsangebotes wirkt sich im Systemzusammenhang induktiv zu ladender Fahrzeuge sowohl auf die Infrastruktur als auch auf die Fahrzeuge aus. Hierbei bestehen Wechselwirkungen zwischen den Aufgaben einer fahrzeugseitigen Dimensionierung der Leistungselektronik und Antriebsaggregate und der infrastrukturseitigen Positionierung und Bemessung der Ladeeinrichtungen [LW12].
a. Einsatz elektrisch betriebener Busse als komplexes Planungsproblem
Im Zuge einer optimalen Systemgestaltung, insbesondere vor dem Hintergrund der langen angestrebten betrieblichen Nutzungsdauer der Infrastruktureinrichtungen, kommt der Infrastrukturplanung eine große Bedeutung zu. Diese umfasst insbesondere die Positionierung und Dimensionierung der Infrastrukturelemente. In der Planung müssen Aussagen darüber getroffen werden, ob punktförmig wirkende Ladeinfrastrukturen (beispielsweise in Haltestellenbereichen), oder linienförmig wirkende Ladeinfrastrukturen (beispielsweise auf Busspuren) geschaffen werden sollen. Möglicherweise bietet sich auch die gemeinsame Nutzung vorhandener Energieversorgungsinfrastrukturen mit Straßenbahnen an [Mue12]. Neben den technischen Aspekten und den infrastrukturellen Randbedingungen ist eine Optimierung hinsichtlich der Lebenszykluskosten ortsfester Ladeeinrichtungen und kompatibler Fahrzeuge erforderlich. Somit wird eine Abwägung zwischen erforderlichen Ladeinfrastrukturelementen und der Batterielebensdauer ermöglicht [Bro05], wodurch eine Wechselwirkung zur Auslegung der Fahrzeuge und ihrer Komponenten besteht.
Bei der Fahrzeugdimensionierung und ‐konzipierung spielt die Batterie für elektrisch angetriebene Fahrzeuge eine Schlüsselkomponente. Dies gilt zum einen hinsichtlich ihres erheblichen Anteils an den Investitionen des Gesamtfahrzeugs. Zum anderen erhöht sich auch das Fahrzeuggewicht in erheblichem Umfang. In der Entwicklung von Fahrzeugkonzepten ist im Sinne des Energiebedarfs so wenig Batteriekapazität wie möglich vorzusehen, jedoch so viel wie nötig, um eine hohe Verfügbarkeit zu erzielen und folglich die Kundenzufriedenheit zu gewährleisten. Hierbei muss das betriebliche Einsatzprofil, wie zum Beispiel verkehrsabhängig schwankende Fahrzyklen oder sich durch unterschiedliche Besetzungsgrade ergebende differierende Fahrzeugmassen, beachtet werden.
b. Wirtschaftlichkeit und Fahrzeugverfügbarkeit im Linienbetrieb
Neben der Wirtschaftlichkeit der Verkehrserbringung müssen die Verkehrsunternehmen die mit der Annahme einer Linienkonzession übernommene Verpflichtung zur Aufrechterhaltung des Fahrgastbetriebes erfüllen. Diese rechtlichen Pflichten dürfen nicht durch das Antriebskonzept der eingesetzten Betriebsmittel negativ beeinflusst werden. Im Zuge eines aktuell laufenden Forschungsvorhabens zum Einsatz induktiv geladener Fahrzeuge im Busverkehr soll daher ihre betriebliche Verfügbarkeit maximiert werden. Aus Sicht der technischen Zuverlässigkeit kann die Verfügbarkeit zum einen durch die Minimierung der Zeit des nicht‐betriebsfähigen Zustands (down time) und zum anderen durch die Maximierung der Zeit des betriebsfähigen Zustands (up time) beeinflusst werden [MP10]. Diese beiden Hebel spannen den Lösungsraum für die Strategieentwicklung zur betrieblichen und verkehrlichen Optimierung des Energiemanagements induktiv geladener Fahrzeuge auf:
Um die down time zu minimieren, dürfen keine zusätzlichen Verlustzeiten im Betriebsablauf durch Ladevorgänge an den induktiven Ladeinfrastrukturen entstehen. In der Planung der Infrastruktur und des ÖPNV‐Betriebes ist daher eine zeitliche Synchronisation von Ladezeiten mit den im Betrieb erfolgenden Fahrzeugstillständen erforderlich. Ansatzpunkte hierfür sind möglicherweise längere Haltestellenaufenthaltszeiten durch erhöhten Fahrgastwechsel oder in Folge von Verfrühungen im Fahrplan. Weitere mögliche Ansatzpunkte ergeben sich aus der Wartezeiten vor Lichtsignalanlagen, die mit Ladezeiten räumlich und zeitlich zusammenfallen können. Hierfür muss dem Bus ein spezifischer Standort im öffentlichen Straßenraum (z. B. eine Busschleuse [Bos07]) für einen Zeitraum exklusiv zugewiesen werden können. Das größte Potenzial stellen Kehr‐ und Wendezeiten an den Endhaltestellen dar. Ringlinien sind hierbei besonders geeignet, da die Kehr‐ und Wendezeiten im Gegensatz zu Durchmesser‐ oder Radiallinien immer an der gleichen Stelle erfolgen können.
Gegebenenfalls können bei der Strategieentwicklung auch im Fahrplan enthaltene Pufferzeiten für einen Verspätungsausgleich und taktbedingte Verlustzeiten bzw. Wartezeiten bis zur nächsten Abfahrt berücksichtigt werden. Gleiches gilt für Pausenzeiten des eingesetzten Personals, welche je nach Dienstplanregime (z. B. 1/6‐Regelung) ebenfalls einen erheblichen Anteil an der betrieblichen Einsatzzeit des Fahrzeugs aufweisen können [Scho12].
Für die Maximierung up time ist insbesondere die Kapazität der Batterien zu berücksichtigen. Diese ist aus technischen und betriebswirtschaftlichen Gründen (Lebenszykluskosten) begrenzt. Daher zielen Strategieoptionen auf die Maximierung der mit einer Ladung zurückgelegten Strecke ab und die Minimierung der Degradation des Energiespeichers. Ein hohes Potenzial besteht hierbei bei der Vermeidung unnötiger Fahr‐ und Bremsspiele. Durch die gezielte Priorisierung an Lichtsignalanlagen, die Vermeidung der Bewegung von Fahrzeugen im stockenden motorisierten Individualverkehr durch Busspuren oder das Auslassen nicht frequentierter Haltestellen in Schwachverkehrszeiten stellen hierbei zu berücksichtigende Ansätze dar. Da auch die Nebenaggregate (wie z. B. Klimatechnik) einen erheblichen Energiebedarf aufweisen, kann auch hier durch die Betriebsoptimierung und intelligente Steuerung der Klimatechnik zusätzliches Energieeinsparpotenzial generiert werden [Bas13].
Der entscheidende technologische Aspekt bei der Verfügbarkeit ergibt sich aus dem Verhältnis der Fahr‐ zur Ladezeit: Nur durch im Automobilsektor unüblich hohe Ladeleistungen können geringe Ladedauern sichergestellt werden, die wiederum den Dauereinsatz von elektrisch betriebenen Nutzfahrzeuge im Linienbetrieb ermöglichen. Die Strategiedefinition zur Maximierung der betrieblichen Verfügbarkeit ist insofern komplex, als dass alle zuvor genannten Zeitanteile im Betrieb einer teilweise erheblichen Schwankung unterliegen. Im Folgenden wird das zuvor dargestellte komplexe Optimierungsproblem durch ein mit empirischen Daten gestütztes Modell des Batterieladezustands näher beleuchtet. Die Modellbildung des Batterieladezustands ist die Grundlage der im weiteren Projektverlauf durchgeführten Optimierung des Laderegimes eingesetzter Fahrzeuge und der Platzierung von Ladeinfrastrukturelementen.
2. Modellbildung eines generischen Kinematikmodells für Elektrofahrzeuge
Grundlage für eine Optimierung des Energiemanagements induktiv geladener Elektrobusse ist die Wahl einer zu minimierenden Zielfunktion. Hierfür eignet sich, besonders in Hinblick auf Maßnahmen zur Optimierung des kollektiven städtischen Verkehrs, die für den Betrieb benötigte Energie. Derzeit sind noch keine Elektrobusse im flächendeckenden Einsatz, die eine ausreichende Messdatenbasis der im Betrieb benötigten Energie liefern können. Aus diesem Grund ist für die Ermittlung des Energieverbrauchs im Betrieb ein physikalisches Modell erforderlich, welches aus existierenden Datensätzen über Fahrzeugtrajektorien die erforderlichen Energiemengen berechnet [KS13]. Auf der Grundlage eines physikalischen Modells des Batterieladezustands werden eine anschließende Verortung der Ladeinfrastruktur im Liniennetz des ÖPNV‐Betreibers sowie ihre Dimensionierung hinsichtlich der bereitzustellenden Leistung möglich. Abbildung 1 stellt die Vorgehensweise der Modellbildung dar. Grundlage ist eine strukturelle Modellbildung (vgl. weiterführende Darstellung dieses Abschnitts). Der strukturelle Term wird mit entsprechenden Parametern hinterlegt, mit denen eine Berechnung von Fahrzeugvariablen unter Berücksichtigung von Verlustanteilen ermöglicht wird. Das erstellte Modell wird auf der Grundlage einer vorgegebenen Referenztrajektorie (Vorgaben von Weg‐ und Geschwindigkeitswerten) des Fahrzeugherstellers berechnet.
Die aus dem kinematischen Modell erhaltenen Werte wurden mit den vom Hersteller vorgegebenen Referenzwerten zur Leistungsaufnahme des Fahrzeugs verglichen. Über die gewählten Parameter wurden entsprechende Anpassungen des Modells vorgenommen, bis dieses hinsichtlich des abgebildeten Fahrzeugverhaltens den Vorgaben des Herstellers entsprach. Ergebnis der Modellbildung ist ein kinematisches Fahrzeugmodell, welches in der Lage ist, das Fahrzeugverhalten hinsichtlich der Herstellervorgaben hinreichend genau abzubilden.
Abbildung 1: Mittlere Besetzung in verschiedenen Tageszeitbereichen über den Linienverlauf
Zur Berechnung der Variation des Energiegehaltes eines Fahrzeugs aus dessen Trajektorie, müssen von der Differenz der mechanischen Energie zwischen zwei diskreten Zeitpunkten die Verluste innerhalb des gleichen Betrachtungszeitraums abgezogen werden. Die mechanische Fahrzeugenergie EFzg[k] zum beliebigen diskreten Zeitpunkt k ist dabei die Summe der kinetischen, potenziellen und rotatorischen Energie und kann mit den bekannten Variablen Fahrzeuggeschwindigkeit v[k] und Fahrzeughöhe (über Normal‐Null) h[k] und Fahrzeugparametern Fahrzeugmasse m und Trägheitsmoment interner rotierender Elemente Jint (das Fahrzeug selbst wird als Punktmasse modelliert) und der Gravitationskonstante g über Gleichung 1 berechnet werden
Formel (1) siehe PDF.
Unter Berücksichtigung von Energieverlusten ΔEVerl[k], die durch Luft‐, Roll‐, Kurvenreibung und konstanten Verbrauchern verursacht werden, kann die Änderung des Fahrzeugenergiegehaltes EVar[k] zwischen den Zeitpunkten [k] und [k+1] mittels Gleichung 2 berechnet werden
Formel (2) siehe PDF.
Die erwähnten Verluste bestehen aus den in Gleichung 3 beschriebenen Termen, die mit den bekannten Fahrzeug‐ und Umgebungsparametern Fahrzeugstirnfläche AFzg, Luftwiderstandsbeiwert cw, Rollwiderstandsbeiwert cRoll, Kurvenwiderstandsbeiwert cRad, mittlerer Leistungsaufnahme von Verbrauchern und Aggregaten PKonst und Luftdichte ρLuft und den Variablen Zentripetalkraft Frad[k] und zurückgelegter Strecke s[k] berechnet werden können [MW04]:
Formel (3) siehe PDF.
Abhängig von dessen Vorzeichen ist EVar[k] die Energiemenge, die ein Fahrzeug resultierend aus dessen Bewegung im aktuellen Zeitschritt entweder konsumiert oder zurückgewonnen hat. Die Variation des Energiegehaltes in der Fahrzeugbatterie EBat unterliegt weiteren Wirkungsgraden, die zwischen Rekuperation (Energierückgewinnung) ηRekup (EVar[k]>0) und Antrieb ηAntr (EVar[k]<0) differenziert werden müssen. Die resultierende Variation des Energiegehaltes in der Fahrzeugbatterie ist in Gleichungen 4 und 5 beschrieben.
Formel (4) siehe PDF.
Formel (5) siehe PDF.
Neben der Energievariation durch Fahrzeugbewegung, kann im Rahmen eines (induktiven) Ladesystems Fahrzeugen auch Energie durch Ladung zugeführt werden, sobald diese entsprechend an einer Ladestation positioniert sind. Der Energiegehalt der Fahrzeugbatterie wächst dann mit der unter Gleichung 6 beschriebenen Rate und ist von Ladeleistung PLad, vom Wirkungsgrad der Ladung ηLad und der Ladedauer abhängig.
Formel (6) siehe PDF.
Bei der Energievariation, sowohl durch Ladung als auch durch Bewegung ist darauf zu achten, dass die Energiemenge der Fahrzeugbatterie nur Werte zwischen den Sättigungspunkten 0 kWh (Batterie entladen) und EBat,max (Batterie vollgeladen) annehmen kann.
Dieses entwickelte generische Fahrzeugkinematikmodell für Elektrofahrzeuge bietet eine Bewertungsgrundlage für betriebliche und technische Optimierungsmaßnahmen. Neben der Anwendung auf erhobene Messdaten, kann es auch in Verkehrssimulationswerkzeugen (wie zum Beispiel SUMO; vgl. [BBEK11]) verwendet werden, um die Auswirkung von gezielten Einflussnahmen und Optimierungsmaßnahmen auf den vorherrschenden Verkehr und dessen weiteren Kenngrößen, wie zum Beispiel Beförderungs‐ und Wartezeiten, Verkehrsstärke oder Fahrzeug‐Routing, zu untersuchen.
3. Instanziierung des generischen Modells auf Grundlage empirischer Daten
Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) geförderten Forschungsvorhabens emil (Elektromobilität mittels induktiver Ladung) arbeitet die Braunschweiger Verkehrs‐AG gemeinsamt mit Bombardier Transport GmbH, dem lokalen Energieversorger BS|ENERGY und der Technischen Universität Braunschweig daran, eine inductive Ladeinfrastruktur und eine kompatible Prototypen‐Busflotte auf den Ringlinien M19 und M29 in Betrieb zu nehmen [MG11]. Das Deutsche Zentrum für Luft‐ und Raumfahrt e.V. (DLR) hat im Zuge des Aufbaus der Anwendungsplattform Intelligente Mobilität (AIM) vorhandene dieselangetriebene Fahrzeuge der Braunschweiger Verkehrs AG mit automatisierten Fahrgastzählanlagen und Schnittstellen zur Fahrzeugelektronik (unter anderem IBIS1‐Wagenbus und CAN2/FMS3) ausgerüstet. Diese betrieblichen Daten können im Vorfeld der baulichen Planung der Ladeinfrastrukturen und der betrieblichen Planung des Einsatzprofils der Fahrzeuge ausgewertet werden, um zu einer optimalen Gesamtstrategie zu kommen.
Die nachfolgende Abbildung stellt in Form eines Regelkreises die Abhängigkeiten des Batterieladezustands dar. Dabei wird die Wechselwirkung bei der Mehrgrößenoptimierung zwischen Ladeinfrastruktur‐ und der Fahrzeugkomponentenauslegung in Form zwei vermaschter Regelkreise deutlich. Der obere Bereich stellt das Fahrregime dar. Hier kann beispielsweise über die Vermeidung unnötiger Fahr‐ und Bremsspiele und durch Verkehrssteuerungssysteme Einfluss genommen werden. Der untere Bereich ist die Ladestrategie, die über die Anordnung zusätzlicher Ladeinfrastrukturen und/oder verlängerte Verweildauern auf Ladeinfrastrukturen, kann der Ladezustand des Fahrzeugs beeinflusst werden kann. Beide Regelkreise wirken auf eine gemeinsame Regelstrecke, den Ladezustand.
Abbildung 2: Mehr größenoptimierung eine selektrischen Linienbetriebs hinsichtlich Fahrregime und Ladeinfrastrukturplatzierung
Im Folgenden wird Anhand empirisch gemessener Trajektorien der zu elektrifizierenden Buslinie M19 sowie tatsächlich beobachteter Fahrzeugbesetzungen der tatsächliche Energiebedarf für Fahrzeugumläufe entlang des Linienweges dargestellt. Bereits frühzeitig wurde festgestellt, dass der Besetzungsgrad der Fahrzeuge zu einer erheblichen Schwankung des Fahrzeuggewichts führt. Insofern stand eine Fahrgastzählung nach einschlägigen Richtlinien zunächst im Vordergrund [VDV07]. Vor dem Hintergrund der Aufgabenstellung wird hierbei in mehreren Schritten vorgegangen:
• Schritt 1: Identifikation des bemessungsrelevanten Tageszeitbereichs. Abbildung 3 zeigt, dass für die Linie M19 für das Liniensegment Hauptbahnhof ‐> Madamenweg, der Tageszeitbereich W4 (werktags, 18:00 Uhr bis Betriebsschluss) den für eine Worst‐Case‐ Abschätzung maßgebliche Bemessungsfall darstellt. Für das zweite Liniensegment ist dies der Tageszeitbereich W1 (werktags, Betriebsbeginn bis 09:00 Uhr).
Abbildung 3: Mittlere Besetzung zu verschiedenen Tageszeitbereichen/Verkehrsintensitäten über den Linienweg
• Schritt 2: Identifikation der minimalen, mittleren und maximalen Besetzung der Fahrzeuge über den Linienverlauf. Hierfür werden für die Worst‐Case‐Abschätzung die zuvor definierten kritischen Bereiche vertieft analysiert. Für die Bemessung sollen die drei maßgeblichen Fälle Minimalfall, Mittelfall und Maximalfall untersucht werden, um die Sensitivität der Batterieauslegung für den Parameter der Fahrzeugbesetzung zu untersuchen.
Abbildung 4: Minimale, mittlere und maximale Besetzung im Verkehrszeitraum W3 über den Linienweg
• Schritt 3: Ermittlung der Haltestellenaufenthaltszeiten. Um die Ladeinfrastruktur an geeigneten Orten zu positionieren ist die Haltestellenaufenthaltszeit von Relevanz. Zu diesem Zweck wurden zum einen Haltestellenaufenthaltszeiten aus den Ergebnissen des Fahrgastzählsystems abgeleitet. Diese Werte wurden durch, am gleichen Erhebungstag, durchgeführte manuelle Erhebungen plausibilisiert (siehe Abbildung 5). Die Ergebnisse beider Erhebungsverfahren ergaben relativ geringe Abweichungen.
Abbildung 5: erhobene Haltestellenaufenthaltszeiten der Linie M19 am Erhebungstag
4. Anwendung empirischer Daten im Modell
Resultierend aus den Messdaten zur Besetzung der Fahrzeuge im betrachteten Verkehrszeitraumzeigt W3, zeigt den errechneten (synthetischen) Energiebedarf eines Busses füreinen Umlauf in Abhängigkeit der Besetzung und der Verlustzeiten. Für die Simulation wurde das Kinematikmodell entsprechend eines einzusetzenden Busses (Solaris Urbino 12 electric) vorgenommen. Entlang eines Umlaufs auf der Linie M19 befinden sich 27 Haltestellen und 42 Lichtsignalanlagen.
Tabelle 1: Energiebedarf eines Umlaufs der Buslinie M19 in Abhängigkeit der Besetzung und Verlustzeiten an LSA
Wie aus Simulationen auf Grundlage der synthetischer Fahrtverläufe hervorgeht (vgl. Tabelle 1), haben neben der Besetzung der Fahrzeuge (minimale, mittlere und maximale Besetzung) auch Verlustzeiten (bspw. in Folge zusätzlicher Verzögerungen, Aufenthalte und Beschleunigungsvorgänge an lichtsignalanlagengeregelten Knoten) einen maßgeblichen Einfluss auf den Energiebedarf der Fahrzeuge. Um eine ausreichende Zuverlässigkeit der Betriebsabwicklung zu ermöglichen, ist ein Ladesystem auf das Worst‐Case‐Szenario hin zu dimensionieren. Um jedoch den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit nicht aus den Augen zu verlieren, können verkehrsleittechnische Maßnahmen einen Beitrag zur Reduktion dieser Verlustzeiten ermöglichen, indem Energieverluste durch unnötige Halte vermieden werden.
Die zuvor dargestellten auf synthetischen Fahrtverläufen basierenden Energiebedarfe können mit Felddaten validiert werden. Die erste für die Systemauslegung relevante Variable ist der Energiebedarf, der in Abbildung 6 dargestellt ist. Für jedes Streckensegment zwischen zwei Haltestellen sind die Energiebedarfe für unterschiedliche Besetzungsgrade der Fahrzeuge dargestellt und linksseitig skaliert (Bus leer, minimale gemessene Besetzung, mittlere gemessene Besetzung, maximale gemessene Besetzung, Bus voll besetzt). Darüber hinaus ist in Abbildung 6 der kumulierte Energiebedarf entlang des gesamten Linienverlaufs durch einen kontinuierlichen Funktionsverlauf für die zuvor genannten variierenden Besetzungsgrade dargestellt (rechtsseitig skaliert).
Abbildung 6: Streckenabschnittsbezogene Auswertung: Energiebedarf in Abhängigkeit des Besetzungsgrades pro Segment (Balken; linksseitigskaliert) und kumuliert (kontinuierlicher Verlauf; rechtseitigskaliert)
Die komplementäre für die Auslegung der Ladeinfrastruktur relevante Systemvariable ist die mögliche Energieaufnahme von Fahrzeugen im Linienverlauf (bspw. an Haltestellen). Haltestellen sind Zwangspunkte im Betriebsablauf kollektiver Verkehrssysteme. Sie eignen sich auf Grund der zu erwartenden höheren Aufenthaltsdauern der Fahrzeuge in besonderem Maße für die Anordnung von Elementen der Ladeinfrastruktur. Das Laderegime ist hier vorhersagbar und planbar. Abbildung 7 zeigt die aus Messwerten ermittelten Aufenthaltsdauern (gemessen in Sekunden, vgl. linksseitige Skala) von im Betrieb befindlichen Fahrzeugen an den Haltestellen entlang des Linienweges. Zusätzlich ist die korrespondierende mögliche Energieaufnahme für jede Haltestelle entlang des Linienverlaufs dargestellt (vgl. rechtsseitige Skala).
Abbildung 7: Haltestellenbezogene Auswertung: Haltedauern (linksachsigskaliert) und zugehörige ladbare Energie (rechtsachsigskaliert) mit Kennzeichnung des Mittel‐, Maximal‐ und Minimalwertes (Linien) und der Streuung (Balken)
Durch eine Überlagerung der beiden korrespondierenden Systemvariablen kann in einem nächsten Schritt der Verlauf des Batterieladezustands werden und durch entsprechende Systemgestaltung (Infrastruktur‐ und Fahrzeugkomponenten) beeinflusst werden. Unter Berücksichtigung dieser Zusammenhänge, wird im weiteren Projektverlauf die Anzahl und Position erforderlicher Ladestellen bestimmt. Neben der Anordnung und Dimensionierung der Infrastruktur‐ und Fahrzeugkomponenten müssen dabei insbesondere die Lebensdauern der Li‐Ionen‐Batterie und die betriebliche Verfügbarkeit des elektrischen öffentlichen Personenverkehrs bei Störungen (z. B. Umleitung, Stau) entlang des Linienweges bei der Optimierung berücksichtigt werden.
5. Ausblick auf weitere Aktivitäten
Die ersten Ergebnisse des Projekts zeigen, dass für zukünftige Arbeiten eine differenziertere Betrachtung von Verlustzeitanteilen von ÖPNV‐Fahrzeugen erforderlich ist. Aktuelle Ansätze des DLR im Zuge des Aufbaus einer ÖPNV‐Fahrzeugplattform gehen in diese Richtung. Die zum aktuellen Zeitpunkt primär auf die Bewertung von Fahrgastwechseln und Haltestellenaufenthaltszeiten ausgerichtete Erhebung soll zukünftig um weitere Aspekte ergänzt werden. Für die Analyse von Verlustzeitanteilen vor Lichtsignalanlagen ist hierbei eine Ergänzung der Fahrzeuge um Sende‐ und Empfangseinrichtungen nach dem WLAN‐Standard IEEE 802.11p für die Fahrzeug‐Infrastruktur‐ Kommunikation geplant. Diese Komponenten ermöglichen den Empfang von Informationen von Restrot‐ und Restgrünzeiten (SPAT‐Telegramm) der 35 mit kooperativer Infrastruktur ausgerüsteter Kreuzungen entlang des Wilhelminischen Rings in Braunschweig. Zusätzlich zu diesen Informationen stellt die Analyse von Fahrzeugtrajektorien mit den Daten des CAN‐Fahrzeugbusses ein Potenzial dar, da hierdurch der Verkehr des Fahrzeugs im stockenden Verkehr ermittelt werden kann.
Abbildung 8: Integration des entwickelten Fahrzeugkinematikmodells in eine Verkehrsflusssimulation
Neben einer weiteren Ausarbeitung der empirischen Datenbasis durch das DLR ist seitens der TU Braunschweig eine Fortentwicklung der in diesem Beitrag dargestellten Basismodellierung in MATLAB vorgesehen. Ziel der Fortentwicklung ist eine verkehrslagesensitive Trajektorienplanung, beispielsweise unter Integration weiterer Simulationswerkzeuge wie SUMO. Hierbei kann auf die im Zuge der Anwendungsplattform Intelligente Mobilität (AIM) aufgebaute Verkehrsflusssimulation zurückgegriffen werden.
Dank
Ein besonderer Dank gebührt der Braunschweiger Verkehrs‐AG für die Bereitstellung betrieblicher Daten für Forschungszwecke. Darüber hinaus sei Frau Anna‐Maria Ademeit für Ihre Auswertung der von der Braunschweiger Verkehrs‐AG erhaltenen umfangreichen Datenbasis gedankt.
Literatur
[BBEK12] Behrisch, Michael; Bieker, Laura; Erdmann, Jakob; Krajzewicz, Daniel: Recent Development and Applications of SUMO – Simulation of Urban MObility, International Journal on Advances in Systems and Measurements, 5 (3&4):128‐138, December 2012.
[Bas13] Basile, Robert: Nebenverbraucher und ihr Einfluss auf Reichweiten von E‐Bussen ‐ Herausforderungen an Klimatisierungs‐ und Heizungslösungen bei ÖPNV‐Fahrzeugen mit Elektroantrieb. In: der Nahverkehr, 11/2013, S. 20ff, Alba, 2013.
[Bos07] Bosserhoff, Dietmar: Handbuch für Verkehrssicherheit und Verkehrstechnik: Kapitel 6.1. Hessisches Landesamt für Straßen‐ und Verkehrswesen (Wiesbaden) 2007.
[Bro05] Broussely, M.; et al: Main Aging Mechanisms in Li ion batteries. Journal of Power Sources, S. 90‐96 (2005), Elsevier, 2005.
[Ki02] Kirchhoff, Peter: Städtische Verkehrsplanung – Konzepte, Verfahren, Maßnahmen. Teubner (Stuttgart) 2002.
[KS13] Kurczveil, Tamás; Schnieder, Eckehard: Implementation of an Energy Model and a Charging Infrastructure in SUMO. SUMO 2013 – Simulation of Urban MObility, DLR (Berlin) 2013.
[LW12] Lampmann, Volker; Wüst‐Rocktäschel, Christine: Premiere in Offenbach: 100‐Prozent‐ Elektrobus im Test – Erfahrungsbericht der Offenbacher Verkehrs‐Betriebe zum Einsatz des deutschlandweit ersten rein elektrischen Standardlinienbusses. In: Der Nahverker 09/2012, S. 47ff, Alba, 2012.
[MG11] Meins, Jürgen; Graffam; Christopher: Induktive Energieübertragung für Elektrobusse nutzen – Ein Mosaikstein in der Elektromobilität wird in Braunschweig erprobt. In: Der Nahverkehr 9/2011, S. 18ff, Alba, 2011.
[MP10] Meyna, Arno; Pauli, Bernhard: Zuverlässigkeitstechnik – Quantitative Bewertungsverfahren. Hanser (München) 2010.
[Mue12] Müller‐Hellmann, Adolf: Stadtbahnen und Elektromobilität – Ideen zu einer Symbiose. In: Der Nahverkehr 03/2012, S. 10ff, Alba, 2012.
[Mue13] Müller‐Hellmann, Adolf: Batteriebusse ante portas!? Zeit ist reif für Start der Ablösung von Diesel‐ durch Elektrobusse. In: Der Nahverkehr, Heft 5/2013, S. 21 ff, Alba, 2013.
[MW04] Mitschke, Manfred, Wallentowitz, Henning: Dynamik der Kraftfahrzeuge. Springer (Berlin) 2004.
[Scho12] Scholz, Gero: IT‐Systeme für Verkehrsunternehmen – Informationstechnik für den öffentlichen Verkehr. Dpunkt.Verlag (Berlin) 2012.
[SL12] Schnieder, Lars; Lemmer, Karsten: Eine Plattform für die Verkehrsforschung. In: Internationales Verkehrswesen 4/2012, S. 62‐63, DVV (Hamburg) 2012.
[VDV07] Verband Deutscher Verkehrsunternehmen: VDV‐Schrift 457 – Rahmenlastenheft Automatische Fahrgastzählsysteme (AFZS). VDV (Köln) 2007. |