FGSV-Nr. FGSV 002/119
Ort Bergisch Gladbach
Datum 29.03.2017
Titel Humantoxikologische Wirkung und umweltmedizinische Bewertung von Luftschadstoffen
Autoren Dr. Sabrina Michael
Kategorien Luftqualität
Einleitung

Durch die zunehmende Industrialisierung und Motorisierung ist der Mensch im privaten sowie im beruflichen Umfeld einer Vielzahl verschiedener luftgetragener Umweltnoxen ausgesetzt. Aufgrund ihrer ubiquitären Präsenz und der geringen Möglichkeit zur persönlichen Expositionsprophylaxe stellen die Luftschadstoffe ein weitreichendes umweltmedizinisches Problem dar.

Luftschadstoffe zählen neben Strahlung (elektromagnetisch), Wärme und Lärm auch zu den klassischen Emissionen, welche entsprechend ihrer physikalischchemischen Eigenschaften in Dämpfe, Gase und Stäube unterteilt werden. Neben dieser übergeordneten Klassifizierung kann auch eine stoffoder quellenbezogene Einordung der Luftbestandteile in z.B. Emissionsursprung, Freisetzungsort, Substanzeigenschaften oder pathogenetische Eigenschaften erfolgen. Zu den gesundheitlich- und umweltschutzrelevanten Luftschadstoffen zählen u.a. SO2, NOx, O3 und Feinstaub (PM10, PM2.5) [1].

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Durch die zunehmende Industrialisierung und Motorisierung ist der Mensch im privaten sowie im beruflichen Umfeld einer Vielzahl verschiedener luftgetragener Umweltnoxen ausgesetzt. Aufgrund ihrer ubiquitären Präsenz und der geringen Möglichkeit zur persönlichen Expositionsprophylaxe stellen die Luftschadstoffe ein weitreichendes umweltmedizinisches Problem dar.

Luftschadstoffe zählen neben Strahlung (elektromagnetisch), Wärme und Lärm auch zu den klassischen Emissionen, welche entsprechend ihrer physikalischchemischen Eigenschaften in Dämpfe, Gase und Stäube unterteilt werden. Neben dieser übergeordneten Klassifizierung kann auch eine stoffoder quellenbezogene Einordung der Luftbestandteile in z.B. Emissionsursprung, Freisetzungsort, Substanzeigenschaften oder pathogenetische Eigenschaften erfolgen. Zu den gesundheitlich- und umweltschutzrelevanten Luftschadstoffen zählen u.a. SO2, NOx, O3 und Feinstaub (PM10, PM2.5) [1].

Gesundheitliche Wirkung von Luftschadstoffen

Im Allgemeinen können Luftschadstoffe zu akuten und chronischen Gesundheitsschäden führen, wobei sie allein oder in Kombination mit anderen Stoffen wirken. Die gesundheitlichen Effekte reichen dabei von vorübergehenden Beeinträchtigungen der Atemfunktion, über einen erhöhten Medikamentenbedarf bei Asthmatikern bis hin zu vermehrten Krankenhausaufnahmen sowie einer Zunahme der Mortalität aufgrund von Atemwegserkrankungen oder Herz-Kreislauf-Problemen [2]. Das Wirkungspotential wird dabei durch die stofflichen Eigenschaften, wie die Wasserlöslichkeit, Größe, Eindringtiefe oder die Zusammensetzung (biologisch oder chemisch) des Schadstoffes beeinflusst. Wirkungsort dieser inhalativ aufgenommenen Substanzen ist der Atemtrakt mit seinen Schleimhäuten, dem komplexen Röhrensystem der Bronchien, Bronchiolen und Alveolen, welche neben dem Gasaustausch auch als Filter fungieren, der die Lunge vor Fremdkörpern und Krankheitserregern schützt [1; 3].

Abbildung 1: Wirkungsort und gesundheitliche Effekte von Luftschadstoffen [1]

Gasförmige Luftschadstoffe

Nach ihrer Wirkung auf den menschlichen Organismus werden gasförmige Luftschadstoffe in Reizgase, Stickgase und narkotische Gase unterteilt. Der Angriffsort ist dabei abhängig von der Wasserlöslichkeit (Hydrophilie) und Reaktivität der inhalierten Verbindung. Reizgase und –dämpfe wie Schwefeldioxid (SO2), Ammoniak (NH3) oder Halogenwasserstoffsäuren (HCl, HF) wirken aufgrund ihrer guten Wasserlöslichkeit bereits in den oberen und mittleren Atemwegen stark reizend, wo sie eine reduzierte mukoziliäre Reinigung durch Verengung der Bronchien hervorrufen [3]. Eine andauernde, übermäßige Mucussekretion sowie Reizung der Schleimhäute kann zu verschiedenen chronischen Atemwegerkrankungen, wie Bronchitis, Asthma oder COPD (Chronisch obstruktive Lungenerkrankung) führen. Schadgase mit einer geringen Wasserlöslichkeit, wie Ozon (O3) oder Stickstoffdioxid (NO2), dringen bis in die Bronchiolen und Alveolen vor, wo sie je nach Expositionszeit und Konzentration, Störungen der Lungenfunktion als auch ein toxisches Lungenödem hervorrufen können. Stickgase (CO oder NO) gelangen aufgrund ihrer geringen Hydrophilie direkt in die Alveolen, diffundieren ins Blut, wo sie anstelle von Sauerstoff mit einer höheren Affinität an das Hämoglobin binden (reduzierte Sauerstoffsättigung) [4]. Viele organische Verbindungen wirken aufgrund ihrer hohen Lipophilie narkotisch auf das Zentralnervensystem. Weitere Effekte organischer Stoffe (PAK, BTEX) hängen von den jeweiligen physikalisch-chemischen Eigenschaften und den metabolischen Aktivierungsreaktionen (Phase I und II, z.B. Cytochrom P-450 Enzyme) der verschiedenen Stoffe im Körper ab [3]. Eine Übersicht über die Angriffsorte sowie schadstoffspezifischen Einflussgrößen ist Abbildung 1 zu entnehmen.

Partikuläre Luftschadstoffe

Partikuläre Luftschadstoffe bzw. Feinstäube sind ein komplexes, heterogenes Gemisch aus festen und flüssigen Bestandteilen. Den Ursprung können natürliche sowie anthropogene Quellen bilden, wobei die Partikel während ihrer Verweilzeit in der Atmosphäre ständigen Veränderungen unterliegen. Hierbei vermischen sich Stäube aus dem Verkehr, Kraft- oder Fernheizwerken (anthropogen) mit natürlichen Partikeln wie Pflanzenpollen, Sand oder Pilzsporen (Abbildung 2) [2; 5]. Die chemische Zusammensetzung der Partikel ist somit keine einheitliche Konstante, sondern stets ein Spiegelbild ihrer Quelle nebst meteorologischen Wechselwirkungen. Die Eindringtiefe und Wirkung der partikulären Luftschadstoffe richtet sich vor allem nach Partikelgröße, -masse und Zusammensetzung [1]. Die Charakterisierung von Stäuben und Partikeln erfolgt im Wesentlichen über den aerodynamischen Durchmesser (dae) eines Teilchens, welcher den Ort der Deposition von inhalierten Partikeln im menschlichen Respirationstrakt bestimmt. Größere Teilchen des Schwebstaubes (dae > 15 μm) werden nahezu ausschließlich im Nasen-, Rachen- oder Kehlkopfbereich abgelagert, wohingegen kleinere Partikel (dae < 10 μm) im Tracheo-Bronchial- bzw. Alveolarraum deponiert werden (Abbildung 1). Durch die Translokation von Partikeln der Größe < 0,1 μm von dem Luft- in den Blutraum können die Teilchen in periphere Zielorgane wie Gehirn, Herz, Leber oder Milz gelangen und dort übergeordnete Effekte (Erhöhung der Blutviskosität, Herz- Kreislauferkrankungen) hervorrufen [3]. In diesem Zusammenhang gewinnt die Partikelanzahlkonzentration gegenüber der massenkonzentrationsabhängigen Bewertung immer mehr an Bedeutung, da sie im Bereich der ultrafeinen Partikel eine realistischere Dosis-Wirkungsbeziehung herstellt [2].

Abbildung 2: Rasterelektronenmikroskop (REM) - Aufnahmen von PM10 und PM2.5 Feinstaubproben eines städtischen (Verkehr) und ländlichen Standortes im Raum Aachen, 1500-fache Vergrößerung, Glasfaser [2]

Für die beobachteten toxikologischen Effekte sind neben der durch die Partikeldeposition ausgelösten Reizwirkung im gesamten Respirationstrakt auch die Absorption toxikologisch aromatische Kohlenwasserstoffe, Pilzsporen oder Bakterien auf der Partikeloberflache relevanter Komponenten wie Schwermetalle, Polyzyklische von besonderem Interesse. Als Initialreaktion der beobachteten Effekte gilt die Induktion von oxidativem Stress und die damit verbundene Induktion einer pulmonalen Entzündung, die zur Freisetzung verschiedener Entzündungsmarker (Zytokine oder Chemokine) - sowie reaktiven Sauerstoff- oder Stickstoffspezies (ROS/RNS) führt.

Abbildung 3 veranschaulicht beispielhaft die möglichen toxikologischen partikelinduzierten intra- und extrazellularen Prozesse in der Lunge [1; 2].

Umweltmedizinische Bewertung von Luftschadstoffen

Die umweltmedizinische Bewertung von Emissionen umfasst in erster Linie (präventiv) medizinische Aspekte sowie die individuelle Suszeptibilität verschiedener Personengruppen (Kinder, Ältere, Immunsupprimierte). Hierbei spielen insbesondere Leit- und Richtwerte, wie z.B. der Referenz- und die Human-Biomonitoring (HBM)-Werte eine entscheidende Rolle [4]. Der Referenzwert ist eine rein statistisch abgeleitete Größe (95. Perzentil), welche die Hintergrundbelastung der Referenzpopulation zu einem bestimmten Zeitpunkt beschreibt (keine gesundheitliche Bewertung). Die Human-Biomonitoring-Werte werden dagegen auf der Grundlage von toxikologischen und epidemiologischen Untersuchungen abgeleitet. Eine Differenzierung erfolgt hierbei in HBM I und HBM II. Der HBM I-Wert (Prüfwert) repräsentiert die Konzentration eines Stoffes in einem Körpermedium (Blut oder Urin), bei dessen Einhaltung nicht mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung zu rechnen ist. Der HBM II-Wert ist als Interventionswert konzipiert und liegt im Vergleich zum HBM I-Wert höher. Bei einer Überschreitung des HBM II-Wertes ist eine als relevant einzustufende gesundheitliche Beeinträchtigung möglich [1; 3].

Darüber hinaus werden für die allgemeine Abschätzung bzw. Beurteilung des Gefährdungspotentials von Emissionen vor allem die physikalisch-chemischen Eigenschaften des Einzelschadstoffes, der Aufnahmepfad, die Expositionshöhe (Konzentration), die Quelle/Vorkommen, den Wirkmechanismus als auch bestehende Beurteilungswerte (Grenzwerte, Leitwerte, Richtwerte, Schwellenwerte) berücksichtigt [2].

Im realen Alltag sind Mensch und Umwelt jedoch einem Schadstoffgemisch aus vielen Einzelsubstanzen ausgesetzt, deren Kombinationswirkung noch weitgehend unbekannt ist. Ein mögliches Zusammenwirken einzelner Substanzen kann der Summe der Einzelwirkungen, aber auch synergistischen Effekten entsprechen, also einer Zunahme der Toxizität. Durch die Vielzahl der Luftschadstoffe (biologisch und chemische Emissionen) und ihre Kombinationsmöglichkeiten in der Luft ist eine systematische Gefahrenabschätzung ihrer Kombinationswirkung nur durch das Zusammenspiel der Bereiche Monitoring (Emissionsabschätzung), Toxikologie (Wirkanalyse/ Wirkmechanismus) und Epidemiologie (Immissionseffekte) zu gewährleisten [1; 4]. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Diversität im Wirk- und Risikospektrum und den daraus resultierenden Bewertungsszenarien wird deshalb exemplarisch eine umweltmedizinische Bewertung vorgestellt.

Abbildung 3: Wirkmechanismen von Feinstaub auf zellularer Ebene am Beispiel von Lungenepithelzellen [2; 5]

Literatur

1) Michael, S. und Dott, W.: Bestimmung der Humantoxizität von Emissionen und ihre umweltmedizinische Bewertung. In K. J. Thomé-Kozmiensky, Löschau, M. (Ed.), Immissionsschutz Vol. Band 4, Vivis - TK-Verlag, 2014, 249- 266

2) Michael, S.: Umweltmedizinische Bewertung von Feinstäuben - Schadstoffmonitoring, physikochemische Einflussgrößen und in vitro Toxizität -, Dissertation, RWTH Aachen, 2016, http://publications.rwth-aachen.de/record/670908/files/670908.pdf

3) Dott, W.; Merck, H.F.; Neuser, J.; Osieka, R.: Lehrbuch der Umweltmedizin, Grundlagen Untersuchungsmethoden – Krankheitsbilder – Prävention, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft GmbH Stuttgart, 2002

4) Dott, W.; Michael, S.: Dosis, Dauer und Häufigkeit – Für die toxikologische Wirkung und umweltmedizinische Bewertung von Luftinhaltsstoffen spielen viele Faktoren eine Rolle-, In: ReSource – Fachzeitschrift für nachhaltiges Wirtschaften, 11(29), 2011, S. 61-66

5) Michael, S.; Montag, M.; Dott, W.: Pro-inflammatory effects and oxidative stress in lung macrophages and epithelial cells induced by ambient particulate matter, Environmental Pollution, 183, 2013, S. 19 – 29