Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.
1 Einleitung
Das „Handbuch für die Bewertung der Verkehrssicherheit von Straßen“ ergänzt die vorhandenen Bewertungshandbücher bzw. Richtlinien wie HBS „Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen“ und EWS „Empfehlungen für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen“ bzw. die in Bearbeitung befindliche RAS-W „Richtlinien für die Anlage von Straßen – Wirtschaftlichkeitsuntersuchung“.
Grundlage für die Ausarbeitung des HVS bildet ein gleichnamiges Forschungsprojekt (Auftragnehmer FH Gießen / BSV), das durch die Begleitung einer BASt-Projektgruppe erarbeitet wurde und nunmehr die Diskussionsgrundlage für die weitere Arbeit in dem neu gegründeten ad hoc-Ausschuss 3.0.1 „Handbuch für Bewertung der Verkehrssicherheit von Straßen“ der FGSV darstellt.
Das HVS ergänzt die bereits vorhandenen formalisierten Instrumente der Verkehrssicherheitsarbeit in Deutschland.
Bild 1: Einordnung des HVS in die formalisierten Instrumente der Verkehrssicherheit
Es gilt für die Bereiche vom Straßenentwurf bis zum Betrieb und umfasst insbesondere die Sicherheitsbewertung, dann auch die Bestandsanalysen und die Sicherheitsanalyse von Straßennetzen.
Nach einer Einführung behandelt das HVS die Einflussfaktoren auf die Verkehrssicherheit und die Grundbegriffe der Unfallstatistik. Es geht ein auf die Auswertung von Straßenverkehrsunfällen, erläutert die Sicherheitsanalyse bestehender Straßennetze und gibt Arbeitshinweise für die Sicherheitsbewertung bestehender und geplanter Straßen.
Gliederung HVS
1 Einführung
2 Einflussfaktoren auf die Verkehrssicherheit von Straßen
3 Grundbegriffe der Unfallstatistik
4 Auswertung von Straßenverkehrsunfällen
5 Sicherheitsanalyse bestehender Straßennetze
6 Sicherheitsbewertung bestehender und geplanter Straßen
Bild 2: Gliederung HVS
Das HVS basiert auf den in Deutschland geltenden technischen Regelwerken und soll dazu beitragen die Sicherheit mit einer Straßenverkehrsanlage für den Nutzer zu optimieren. Es soll den Anwender in die Lage versetzen
- Verkehrsunfälle auszuwerten,
- Unfalluntersuchungen durchzuführen,
- Sicherheitspotenziale in bestehenden Straßennetzen zu bestimmen,
- Sicherheitsbewertung für geplante und bestehende Straßen durchzuführen, sowie
- Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit zu entwickeln.
Die Zielgruppen des HVS sind Planer, Sicherheitsauditoren und Wissenschaftler, aber auch für die Schulung von Polizeibeamten ist das HVS von Interesse.
Das HVS gilt für alle Straßenkategorien der RIN, wobei die Anwendungsbereiche der Sicherheitsanalyse und der Sicherheitsbewertung sich auf die Straßenkategorien Autobahn, Landstraßen und Hauptverkehrsstraßen beschränken.
Bild 3: Geltungsbereich des HVS für die Straßenkategorien der RIN
2 Auswertung von Straßenverkehrsunfällen
Für die Auswertung von Straßenverkehrsunfällen geht das HVS auf die Unfalldarstellungen, die Ermittlung von Unfallkosten sowie von Unfallkennwerten ein und gibt Hinweise zur Durchführung von Unfalluntersuchungen und zur Beurteilung von Kennwerten.
Also wesentliche Unfalldarstellungen sind nach wie vor die Unfalltypensteckkarten, Unfalldiagramme und Unfalllisten geeignet.
Die Ermittlung von Unfallkosten wird im HVS auf eine neue methodische Grundlage gestellt und es wird Wert darauf gelegt, den Rechengang nachvollziehbar darzustellen.
Bei den Unfallkennwerten wird unterschieden zwischen Basiswerten, Anteilswerten und Verhältniswerten, die sich jeweils sowohl auf das Unfallgeschehen als auch auf Verkehr und Straße beziehen. Sie haben durchaus unterschiedliche Anwendungsbereiche.
Bild 4: Unfallkennwerte
3 Sicherheitsanalyse bestehender Straßennetze
Die Sicherheitsanalyse bestehender Straßennetze wurde bisher nach den Empfehlungen für die Sicherheitsanalyse von Straßennetzen durchgeführt und soll in das HVS integriert und weiterentwickelt werden.
Die Weiterentwicklung des ESN-Verfahrens im HVS bezieht sich im Wesentlichen auf die detaillierte Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Vorgehensweisen bei der Abschnittsbildung als Grundlage der Ermittlung der Sicherheits- und Verbesserungspotenziale sowie auf die Einbeziehung differenzierterer Grundunfallkostenraten für Straßentypen.
Bei der Abschnittsbildung ist grundsätzlich zu unterscheiden eine Abschnittsbildung nach Unfallgeschehen und nach Netzstruktur.
Bei der Abschnittsbildung nach dem Unfallgeschehen werden auf Grundlage der Unfalltypensteckkarten Bereiche identifiziert, die bezüglich ihrer Unfallcharakteristik relativ homogen sind. Bei der Abschnittsbildung auf Grundlage der Netzstruktur werden entweder verschiedene Netze, z. B. der verschiedenen klassifizierten Straßen und/oder Streckenabschnitte und Knotenpunkte unterschieden.
Auf der Basis des in der Regel dreijährigen Unfallgeschehens können Sicherheitsverbesserungspotenziale SIPU für die untersuchten Netze identifiziert und ausgewiesen werden. Die Sicherheitsverbesserungspotenziale ermöglichen eine Prioritätenreihung notwendiger Maßnahmen. Um darüber hinaus geeignete Maßnahmen mit hohen Sicherheitsverbesserungspotenzialen auswählen zu können, sollte die Unfallstruktur der Abschnitte bzw. Netze mit großem SIPO näher untersucht werden.
Zur Konkretisierung geeigneter Lösungsansätze ist die Durchführung einer Bestandsanalyse empfehlenswert. In Kenntnis des notwendigen planerischen und finanziellen Aufwands kann die vorgenommene Prioritätenreihung gegebenenfalls modifiziert werden.
Bild 5: Sicherheitsanalyse bestehender Straßennetze
4 Sicherheitsbewertung von bestehenden und geplanten Straßen
Das HVS stellt ein neues Verfahren zur standardisierten Bewertung der Verkehrssicherheit für Autobahn, Landstraßen und Stadtstraßen jeweils getrennt für Streckenabschnitte und Knotenpunkte zur Verfügung.
Dabei erfolgt die Abgrenzung von Strecken und Knotenpunkten für die einzelnen Straßenkategorien in unterschiedlicher Art und Weise. Die Sicherheitsbewertung für ein Netzelement erfolgt stufenweise: Auf Basis der Grundunfallkostenrate gUKR werden verschiedene Zuschläge für das Fehlen oder die unsichere Ausgestaltung richtliniengemäßer Elemente angesetzt, und es wird der Sicherheitsgrad des betrachteten Netzelementes ermittelt. Diesem Sicherheitsgrad soll analog dem HBS eine Qualitätsstufe der Verkehrssicherheit QSS zugeordnet werden.
Bei der Interpretation/Bewertung des Sicherheitsgrads ist zu beachten, dass die Sicherheitsgrade SG0 und SGP virtuelle Befragungsgrößen der Verkehrssicherheit sind, deren Differenz eine Abschätzung der durch die Planung erwartbaren Veränderung der Verkehrssicherheit erlaubt. Ebenso sind durch Vergleiche der verschiedenen Sicherheitsgrade von Planungsvarianten SGP1, SGP2 Entscheidungshilfen bei der Variantenauswahl zu gewinnen. Der Vergleich der Unfallkostenraten für den heutigen (UKR0) und den zukünftigen Bestand (UKRZ) dient der Wirkungskontrolle der durchgeführten Maßnahmen auf Basis des tatsächlichen Unfallgeschehens.
Bild 6: Sicherheitsbewertung von Netzelementen
Die mit HVS durchzuführenden Bewertungsfälle sind im Wesentlichen orientiert an den wichtigsten Querschnittstypen, die die aktuellen Richtlinien für die Autobahnen, Landstraßen und Stadtstraßen enthalten.
Für die jeweiligen Bewertungsfälle stellt das HVS die entsprechenden Grundunfallkostenraten zusammen und benennt in Abhängigkeit differenzierter Faktoren, die jeweils notwendigen Zuschläge für Abweichungen. Diese Abweichungen beziehen sich zum Beispiel bei einem Streckenabschnitt einer Autobahn auf linienhafte Abweichung oder punktueller Abweichungen, wobei das Verfahren für die Streckenabschnitte an Landstraßen analog aufgebaut ist. Bei den Knotenpunkten von Landstraßen werden ebenfalls aufbauend auf einer Grundunfallkostenrate Zuschläge für verschiedene Kriterien für knotenpunktspezifische Abweichungen und zufahrtspezifische Abweichungen zur Verfügung gestellt.
Die Grundunfallkostenraten für die Streckenabschnitte von Stadtstraßen sind ebenfalls auf den Ausgangsquerschnitt orientiert. Die Zuschläge zur Grundunfallkostenrate ergeben sich aus dem Fehlen und unsicheren Ausgestaltung der richtliniengemäßen Entwurfselemente in Abhängigkeit von der jeweiligen typischen Entwurfssituation in der der Querschnitt angewendet wird. Die Zuschläge sind elementbezogen in entsprechenden Tabellen zusammengestellt.
Bild 7: Kenngrößen des tatsächlichen Unfallgeschehens und virtuelle Kenngrößen
Bild 8: Überblick über die Bewertungsfälle
5 Reifegrad des HVS
Zum derzeitigen Stand der Bearbeitung ist zu beachten, dass die im Entwurf des HVS angegebenen Grundunfallkostenraten unterschiedlichen Ursprungs sind und daher noch nicht kompatibel sind. So wurden die Grundunfallkostenraten für Stadtstraßen aus aktuellen Unfallanalysen verschiedener Städte abgeleitet und zwar als Perzentil-Werte (30 % der Gesamtverteilung der Unfallkostenraten aller betrachteten Stadtstraßen). Demgegenüber wurde die Unfallkostenrate für Autobahnen und Landstraßen aus den Werten der RAS-Q 96 abgeleitet, die als Mittelwerte ermittelt wurden. Von daher scheint es notwendig und möglich, die Grundfallkostenrate für Autobahnen und Landstraßen auf Basis laufender Forschungsprojekte zur aktualisieren und methodisch in ähnlicher Weise abzuleiten wie die der Stadtstraßen.
Darüber hinaus erscheint es unumgänglich die Kostenansätze für die im HVS Entwurf differenzierten Zuschläge an Bestands- und Entwurfsbeispielen zu validieren, um der praktischen Anwendung gerecht zu werden.
6 Fazit
Das Handbuch für die Bewertung der Verkehrssicherheit von Straßen stellt einen komplexen Ansatz dar, der in dieser Zusammenschau bisher nicht zur Verfügung stand. Die Arbeit in der ad hoc-Gruppe 3.0.1 „Handbuch für die Bewertung der Verkehrssicherheit von Straßen“ wird sich auf die genannten Restarbeiten konzentrieren. Die Fertigstellung des HVS wird in Abhängigkeit von den Abstimmungsnotwendigkeiten erfolgen können. Eine Prognose dazu ist erfahrungsgemäß sehr schwierig. |