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1 Einleitung
Eine hohe Verkehrsqualität ist ein wichtiger Standortfaktor, welcher die Attraktivität einer Region für Unternehmen, Bewohner und Besucher maßgeblich beeinflusst. Die Verkehrsqualität wird neben ökonomischen Aspekten auch von ökologischen und sozialen Belangen geprägt. Verkehrsunfälle, Störungen im Verkehrsablauf, schlechte bauliche Zustände der Verkehrsanlagen sowie eine zunehmende Verkehrsbelastung können sie erheblich verschlechtern, wenn diesen Beeinträchtigungen nicht frühzeitig mit gezielten Maßnahmen entgegengewirkt wird. Zudem wird das Straßen- und Verkehrswesen durch strengere Vorgaben im Umweltschutz vor neue Herausforderungen gestellt. Sind beispielsweise Maßnahmen zur Luftreinhaltung und Lärmminderung erforderlich, so können diese die Verkehrsqualität beeinflussen und unter Umständen sogar zu einem Zielkonflikt mit der Erreichbarkeit der Städte führen. Da trotz der wachsenden Herausforderungen nur ein begrenztes Budget für Ausbau, Instandhaltung und Betrieb der Verkehrsnetze zur Verfügung steht, müssen die finanziellen Mittel für diesen Bereich besonders effizient und zielgerichtet eingesetzt werden. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, empfiehlt der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) in einer Stellungnahme, ebenso wie Blees und Roos (2004), ein systematisches und umfassendes Qualitätsmanagement (QM) im Straßen- und Verkehrswesen (Wissenschaftlicher Beirat 2013).
Während ein systematisches QM im produzierenden und dienstleistenden Gewerbe in vielen Branchen bereits gut etabliert ist, fanden Ansätze zum QM erst recht spät ihren Einzug in das Straßen- und Verkehrswesen. So existieren für den Straßenverkehr, der traditionell nicht durch eine marktwirtschaftlich beeinflusste Kunden-Lieferanten-Beziehung geprägt ist, zwar schon vereinzelte Konzepte zur Qualitätssicherung (z. B. im Bereich der Verkehrssicherheit und der Bauausführung). Die Sicherung der Qualität erfolgt aber im Straßen- und Verkehrswesen bisher weitgehend durch isolierte Ansätze bzw. als Reaktion auf akute Mängel. Sie ist von „Intuition und individuellem Sachwissen geprägt, und es wird durch die einsetzbaren Ressourcen sowie die verfügbaren Methoden und Verfahren beschränkt“ (Boltze 2005). Somit kann festgehalten werden, dass bisher noch kein vollständiges, übergeordnetes Konzept für ein QM für diesen Bereich entwickelt wurde (Jentsch 2009).
Mit Hilfe eines systematischen QM im Straßen- und Verkehrswesen kann jedoch dazu beigetragen werden, die Prozess- und Ergebnisqualität der betrachteten Verkehrssysteme zu sichern und zu verbessern, wodurch eine erhebliche Effizienzsteigerung erwartet wird (Wissenschaftlicher Beirat 2013). Entsprechend zeigen das BMVI und die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) großes Interesse an der Entwicklung eines solchen Ansatzes. Mit dessen Hilfe wird auch die Verknüpfung der Phasen des gesamten Lebenszyklus einer Verkehrsanlage, bestehend aus Planung, Entwurf, Bau, Betrieb, Erhaltung sowie Umnutzung bzw. Rückbau, wesentlich verbessert. Vorteile ergeben sich hieraus insbesondere für die Straßen- und Verkehrsverwaltungen, die in ihrem laufenden Modernisierungsprozess und in ihrem Bemühen um Effizienzsteigerungen Unterstützung erhalten. Des Weiteren reduziert ein einheitlicher Rahmen, welcher von einer Gesamtarchitektur des QM getragen wird, das Risiko von widersprüchlichen Anforderungen und Festlegungen in den zu beachtenden Regelwerken. Und nicht zuletzt profitieren am Ende sowohl Nutzer als auch Anlieger der Verkehrsanlagen von den Verbesserungen durch ein QM. Es erleichtert die vollständige Berücksichtigung aller Interessen und ermöglicht somit im Falle des Auftretens von Zielkonflikten (z. B. Griffigkeit der Fahrbahnoberfläche versus Geräuschemission des Reifen-Fahrbahn-Kontaktes) das Finden ausgewogener Kompromisse. Erst mit einem integrierten QM für das Straßen- und Verkehrswesen wird es möglich sein, die Angebotsqualität der Straßeninfrastruktur hinsichtlich Verkehrssicherheit, Umweltverträglichkeit und Leistungsfähigkeit gezielt zu steuern und dabei einen effizienten Mitteleinsatz zu gewährleisten.
2 Grundlagen des Qualitätsmanagements
Seit 1987 werden zur Sicherung der Produktqualität innerhalb eines Unternehmens QM-Systeme nach der weltweit anerkannten Normenreihe DIN ISO 9000 ff. aufgebaut und zertifiziert, welcher die einzelnen Normen DIN EN ISO 9000, 9001, 9004 und 19011 angehören. Um die bei der Anwendung der DIN-Normen gesammelten praktischen Erfahrungen und Kritiken sowie die Abläufe in Unternehmen besser zu berücksichtigen, wurde die Normreihe im Jahr 1994 überarbeitet und sechs Jahre später prozessorientiert reformiert (Brüggemann, Bremer 2012). Die Norm DIN EN ISO 9000:2005 beinhaltet die Grundlagen und Begrifflichkeiten für QMSysteme. So kennzeichnet sie z. B. den Begriff Qualität als Grad, zu welchem Anforderungen fortwährend erfüllt werden, und definiert den Begriff Qualitätsmanagement (QM) als die Abstimmung von „Tätigkeiten zum Leiten und Lenken einer Organisation bezüglich Qualität“ (DIN EN ISO 9000:2005). Darüber hinaus werden qualitätsbezogene Ziele und Verantwortlichkeiten genannt, die von einer Organisation festgesetzt und eingehalten werden sollen. Gegenstand der Norm DIN EN ISO 9001:2008 sind allgemeine Anforderungen sowie Dokumentationsanforderungen an QM-Systeme. Es wird aufgezeigt, wie ein solches QM-System entsprechend der Norm aufzubauen und weiterzuentwickeln ist (z. B. Planung der Prozesse zur Produktrealisierung). Die DIN EN ISO 9001:2008 wurde in enger Abstimmung mit der Norm DIN EN ISO 9004:2009 entwickelt. Die DIN EN ISO 9004:2009 ist als eine Anleitung zur Lenkung und Leitung für den nachhaltigen Erfolg einer Organisation zu verstehen. Ziel der Norm ist die Verbesserung der Kundenzufriedenheit sowie der Leistung einer Organisation. Die Normenreihe schließt mit der Norm DIN EN ISO 19011, welche eine Anleitung zur Umsetzung der Auditierung von QM-Systemen darstellt.
Der Anwendungsbereich der Normenreihen sieht alle Organisationen unabhängig von ihrer Größe, ihrer Art oder ihren bereitgestellten Produkten vor, die durch die Umsetzung eines QMSystems die Qualität ihrer Produkte sicherstellen möchten. Nach DIN EN ISO 9000:2005 wird dabei als Organisation eine „Gruppe von Personen und Einrichtungen mit einem Gefüge von Verantwortungen, Befugnissen und Beziehungen“ verstanden, die sowohl öffentlich-rechtlich als auch privatrechtlich sein kann. Als Beispiele werden u. a. Gesellschaft, Körperschaft, Unternehmen und Institution benannt, welche auch im Bereich des Straßen- und Verkehrswesen zu finden sind. Somit kann die Normenreihe samt ihrer Begrifflichkeiten grundsätzlich auch auf das Straßen- und Verkehrswesen übertragen werden.
3 Qualitätsmanagement im Straßen- und Verkehrswesen
3.1. Elemente des Qualitätsmanagements
Nach DIN EN ISO 9000:2005 besteht das QM im Allgemeinen aus den Elementen Qualitätsplanung („plan“), Qualitätslenkung („do“), Qualitätsprüfung („check“) und Qualitätsverbesserung („act“), welche einen Kreislauf (Deming- oder PDCA-Zyklus genannt) bilden und auf den Erkenntnissen des vorhergehenden Durchlaufs aufbauen (Bild 1).
Die Qualitätsplanung ist auf die grundlegende Festlegung von Qualitätszielen, auf die Erarbeitung von Vorgaben für die notwendigen Ausführungsprozesse sowie auf die dazugehörigen Aufgaben und Kompetenzen zum Erreichen der Qualitätsziele gerichtet. Das QM-Element Qualitätslenkung fast alle Maßnahmen und dazu erforderlichen Ressourcen zusammen, die zur Erfüllung der im Rahmen der Qualitätsplanung definierten Qualitätsanforderungen dienen. Die Qualitätsprüfung, auch Qualitätssicherung genannt, ist auf die Erzeugung von Vertrauen in die Organisation ausgerichtet. Sie soll gewährleisten, dass diese in der Lage ist, die Qualitätsziele bzw. -anforderungen zu erfüllen. Viertes Element des Kreislaufs ist die Qualitätsverbesserung, welche auf den Ausbau der Fähigkeiten gerichtet ist, um den Qualitätsanforderungen gerecht zu werden (DIN EN ISO 9000:2005). Sie nutzt die Erkenntnisse bzw. Ergebnisse der vorangegangenen Elemente für einen Prozess der stetigen Verbesserung. Bild 1: Deming-Zyklus („PDCA-Circle“) (Kamiske, Brauer 2011) Basierend auf den Begrifflichkeiten gemäß DIN EN ISO 9000:2005 und den sechs Schritten des QM aus den „Hinweisen zur Anwendung von Qualitätsmanagement in kommunalen Verkehrsplanungsprozessen“ (FGSV 2007) wurden die Elemente des QM zum besseren Verständnis in aussagekräftige Bestandteile untergliedert (Tabelle 1).
Tabelle 1: Definition der Qualitätsmanagementelemente (in Anlehnung an DIN EN ISO 9000:2005 und FGSV 2007)
3.2 Produkte im Qualitätsmanagement
Ein Produkt ist gemäß DIN EN ISO 9000:2005 das „Ergebnis eines Prozesses“ und kann in die Produktkategorien Hardware, Software, Dienstleistung und verfahrenstechnische Produkte unterschieden werden. Jentsch (2009) hat diese Kategorien auf das Straßen- und Verkehrswesen übertragen. Demnach kann als Hardware das physische Verkehrssystem betrachtet werden, welches aus den unterschiedlichen Systemelementen der Infrastruktur besteht (z. B. Verkehrsfläche innerorts). Die Software, worunter nach DIN EN ISO 9000:2005 eine Regelung zu verstehen ist, die die Abläufe im System bestimmt oder beeinflusst, stellt im Verkehrssystem im Gegensatz zur Hardware eine flexible Komponente dar (z. B. Tarifgestaltung). Aus dem Blickwinkel des Kunden betrachtet sind Dienstleistungen solche Leistungen, die er unmittelbar in Anspruch nimmt und an die er dementsprechend unmittelbare Anforderungen stellt. In Abgrenzung zur Software ist ein weiteres Merkmal der Dienstleistung, dass sie keine grundlegende Voraussetzung für das Funktionieren eines Verkehrssystems darstellt. Im Straßen- und Verkehrswesen treten sowohl Dienstleistungen auf, die der Kunde nicht oder nur indirekt wahrnimmt (z. B. Vermessung), als auch solche, die der Kunde direkt in Anspruch nehmen kann (z. B. Verkehrsinformationen). Verfahrenstechnische Produkte sind im Straßenund Verkehrswesen nicht zu berücksichtigen, da sie im Verkehrssystem nicht entstehen bzw. vom Kunden nicht wahrgenommen werden und der Kunde somit keine direkten qualitätsbezogenen Anforderungen daran stellt. Die Tabelle 2 zeigt einen Auszug der Produkte, die im Straßen- und Verkehrswesen auftreten können.
Tabelle 2: Beispiele für Produkte im Straßen- und Verkehrswesen Produktkategorie
3.3 Lebensphasen im Qualitätsmanagement
Der Lebenszyklus eines Produktes kann in aufeinander folgende Lebensphasen eingeteilt werden, in denen jeweils QM für die Sicherung der Qualität notwendig ist. Für das Straßen- und Verkehrswesen lassen sich als grundlegende Lebensphasen die Planungs-, Realisierungsund Nutzungsphase sowie die Verwertungsphase nach dem Ende der bestimmungsgemäßen Nutzung identifizieren (Bild 2). Bild 2: Produkte und Lebensphasen des Qualitätsmanagements im Verkehr (in Anlehnung an Jentsch 2009) Der Planungsphase werden die Bedarfs- und Netzplanung sowie die Rahmen- und Detailplanung zugeordnet. Die Realisierungsphase untergliedert sich in die Bauvorbereitung und -durchführung. Die Nutzungsphase umfasst den Betrieb und die Erhaltung. Mit Blick auf eine Betrachtung des vollständigen Lebenszyklus wird als letzte Phase die Umnutzung oder der Rückbau betrachtet.
3.4 Stand der Umsetzung
Das deutsche Regelwerk für das Straßen- und Verkehrswesen ist inhaltlich sehr umfassend und hat im internationalen Vergleich einen sehr hohen Entwicklungsstand. Dies ist u. a. auf die in Deutschland gewählte institutionelle Verankerung der Erstellung von zahlreichen Teilen des Technischen Regelwerkes in der FGSV zurückzuführen. Dennoch finden sich noch systematische Lücken, die produkt- und/oder lebensphasenübergreifend zu beobachten sind.
Sowohl in Deutschland als auch im Ausland finden Ansätze des QM zunehmend Einzug in das Straßen- und Verkehrswesen. Der Bereich der Verkehrssicherheitsarbeit in Deutschland kann als ein positives Beispiel hervorgehoben werden. QM in Bezug auf Verkehrssicherheit weist auf Grund der eindeutig festgelegten Ziele und Messgrößen, wie z. B. zur Unfallreduzierung, sowie der einheitlichen Typisierung und Dokumentation von Unfällen einen hohen Entwicklungsstand auf (z. B. Bark, Kutschera et al. 2010 und Spahn 2012). Zudem werden spezifische Verfahren, wie die Verkehrsschau und das Sicherheitsaudit, die zur Vorbeugung von Unfällen dienen, in entsprechenden Regelwerken eingehend beschrieben. Der Wissenschaftliche Beirat (2010) und Vollpracht (2013) empfehlen, die bisherigen QM-Bestrebungen im Bereich der Verkehrssicherheit im nächsten Schritt in ein integriertes Gesamtkonzept einzubinden.
Andere QM-Ansätze sind z. B. für den Wirtschaftsverkehr, den Straßenbetrieb und die Verkehrsplanung vorhanden. Pfohl und Röth (2011) konzipierten ein integriertes QM für einen institutions- und akteursübergreifenden städtischen Wirtschaftsverkehr als Teilsystem des Stadtverkehrs. In Hess (2010) wurde ein Modell für eine Qualitätsüberwachung im Bereich des Straßenbetriebs entwickelt, welches u. a. die Messung des Qualitätszustandes ermöglicht. Im Bereich der Verkehrsplanung wurde von Blees (2004) ein Grundkonzept für ein QM entwickelt. Reusswig (2005) erarbeitete ein systematisches QM für Lichtsignalanlagen. In Jentsch (2009) wird ein Konzept für ein integriertes QM für den Stadtverkehr dargelegt.
Im Ausland sind im Straßen- und Verkehrswesen zahlreiche Anwendungen des „Performance Measurement“ zu finden. Im Gegensatz zum QM steht beim „Performance Measurement“ das Ergebnis eines Prozesses und nicht der Prozess selbst im Mittelpunkt. Umfassende Ansätze des „Performance Measurement“ sind z. B. in den USA, Japan, Kanada, Estland und Neuseeland verbreitet. In den USA wird „Performance Measurement“ in den Bundesstaaten fast flächendeckend und in Japan auf nationaler Ebene koordiniert durchgeführt. Allerdings ist das „Performance Measurement“ nicht normativ geregelt, weswegen sich die Ansätze z. B. im Hinblick auf die Zielsetzungen unterscheiden. Einen Überblick über verkehrsbezogene QMAnwendungen im Ausland bieten Karlaftis und Kepaptsoglou (2012) sowie Koppel und Kaare (2013).
Durch die weitgehend isolierten QM-Anwendungen können bisher kaum Synergien zwischen den einzelnen Ansätzen genutzt werden. Um dies zu ermöglichen, bedarf es eines umfassenden QM im Straßen- und Verkehrswesen. Bei der Entwicklung eines solchen QM-Ansatzes sind die bereits vorhandenen QM-Anwendungen in den einzelnen Bereichen zu integrieren.
4 Handlungsleitlinien für die Entwicklung eines integrierten Qualitätsmanagements im Straßen- und Verkehrswesen
4.1 Zuständigkeiten bei der Entwicklung
Für die Entwicklung eines umfassenden QM für das Straßen- und Verkehrswesen sollten zunächst folgende Rahmenbedingungen geklärt werden:
- Definition von Zuständigkeiten und Aufgabenbereichen,
- Berücksichtigung von übergeordneten Anforderungen an ein QM und an dessen Ausgestaltung,
- Erarbeitung einer modularen QM-Gesamtstruktur.
Im ersten Schritt sollten die unterschiedlichen Zuständigkeiten für die Entwicklung und schließlich für die Umsetzung des QM festgelegt werden. Hierbei können drei Ebenen unterschieden werden. Die erste bzw. die oberste Ebene stellt dabei das BMVI dar, das ein umfassendes QM initiiert und auch dessen Pflege sowie Entwicklung fördert (Wissenschaftlicher Beirat 2013). Die FGSV unterstützt dies durch koordinierende Vorgaben für die zweite Ebene, welche aus den FGSV-Gremien besteht. In den FGSV-Gremien werden Vorgaben zum QM für die verschiedenen Produkte im Straßen- und Verkehrswesen konkret ausgestaltet. Die Anwendung des QM erfolgt schließlich auf der Ebene der Aufgabenträger. Die Tabelle 3 zeigt die Zuständigkeiten sowie deren Aufgabenbereich bestehend aus der übergeordneten Aufgabe und den zu formulierenden Vorgaben bei der Umsetzung des QM. Tabelle 3: Zuständigkeiten, deren übergeordnete Aufgabe und zu formulierende Vorgaben zur Umsetzung eines integrierten QM
4.2 Anforderungen an das QM im Straßen- und Verkehrswesen
Für einen umfassenden und integrierten QM-Ansatz im Straßen- und Verkehrswesen sind im nächsten Schritt die übergeordneten Anforderungen, die an ein QM gestellt werden, zu definieren. Diese Anforderungen beziehen sich zum einen auf das QM selbst und stellen zum anderen Vorgaben zur Entwicklung des integrierten QM-Ansatzes dar.
In DIN EN ISO 9000:2005 werden acht Grundsätze des QM (z. B. Kundenorientierung und ständige Verbesserung) aufgeführt, die die Leistungsfähigkeit einer Organisation sicherstellen sollen. Diese Grundsätze können nach Blees (2004) prinzipiell auch auf das Straßen- und Verkehrswesen übertragen werden. Reusswig (2005) greift diese Grundsätze auf und benennt mit
- Effizienz,
- Flexibilität,
- Transparenz und
- Übertragbarkeit
vier Verfahrensziele eines QM, denen die Grundsätze aus DIN EN ISO 9000:2005 zugeordnet werden können. Auf Basis dieser Verfahrensziele können Anforderungen an ein QM im Straßen- und Verkehrswesen definiert werden. Strukturiert nach den Verfahrenszielen sind im Bild 3 grundlegende übergeordnete Anforderungen an ein QM im Straßen- und Verkehrswesen dargestellt, welche bei der Umsetzung eines umfassenden QM zu berücksichtigen sind. Bild 3: Anforderungen an ein QM hinsichtlich Effizienz, Flexibilität, Transparenz und Übertragbarkeit
Aufgrund der Komplexität des Straßen- und Verkehrswesen erscheint es im dritten Schritt sinnvoll, das Gesamtsystem Verkehr in standardisierte Einzelbausteine, sogenannte Module, zu unterteilen. Für diese Modularisierung spricht, dass das QM-System damit flexibel wird, schrittweise aufgebaut werden kann und sich somit an Veränderungen der Anforderungen seitens der Akteure (Politik, Aufgabenträger, Verkehrsteilnehmer etc.) anpassen kann. Die Basis der modularen Gesamtstruktur bilden dabei Grundmodule, welche alle Prozesse und QM-Elemente innerhalb der einzelnen Lebensphasen eines Verkehrssystems für ein Produkt abbilden (Jentsch 2009). Die einzelnen Grundmodule können z. B. anhand der Produkte oder QM-Elemente im Straßen- und Verkehrswesen abgegrenzt werden.
Aus Sicht der Akteure ist das Verkehrssystem jedoch ein Gesamtkonstrukt, das von einer Vielzahl von Prozessen beeinflusst wird. Grundmodule decken lediglich einzelne Prozesse ab, ermöglichen aber nicht die Erlangung übergeordneter Erkenntnisse. Dazu bedarf es nach Jentsch (2009) der übergeordneten Module, welche auf den Grundmodulen aufbauen. Beispiele hierfür sind QM-Module zum Radverkehr, zur Verkehrssicherheit oder zum Infrastrukturzustand, die sich jeweils mehrerer Qualitätskenngrößen aus verschiedenen Basismodulen bedienen. Die Möglichkeiten zur Bildung von übergeordneten Modulen sind sehr vielfältig, daher sollten sie nicht zuletzt aus Aufwandsgründen bedarfsorientiert entwickelt und abgegrenzt werden (z. B. basierend auf vorhandenen Berichten wie z. B. Luftreinhalte- und Lärmminderungspläne).
4.3 Aufgaben zur Umsetzung eines integrierten Qualitätsmanagements
In einem umfassenden und koordinierten QM sollten alle im Straßen- und Verkehrswesen auftretenden QM-Elemente, Produkte und Lebensphasen berücksichtigt werden. Darüber hinaus sollten die verschiedenen Verkehrsmittel, Akteure sowie auch bereits bestehende Organisationsstrukturen und Prozesse sukzessive in das QM integriert werden. Zweckmäßig sollte dies in einer QM-Gesamtarchitektur strukturiert abgebildet werden. Auf Grund dieser hohen Komplexität erscheint es sinnvoll und notwendig, ein solches QM schrittweise umzusetzen.
Für die Einführung eines koordinierten QM nennt bereits der Wissenschaftliche Beirat (2013) einige erforderliche Schritte, wie z. B. die klare Definition von Zielen sowie die Entwicklung neuer Instrumente zur Qualitätsüberwachung und Qualitätsverbesserung, die von Seiten des BMVI zu prüfen sind. Unter Berücksichtigung dieser Punkte und der übergeordneten Anforderungen an ein QM kann für einen hierarchisch gegliederten Gesamtansatz des QM im Straßen- und Verkehrswesen ein schrittweiser Ansatz zur Umsetzung hergeleitet werden.
Durch die Abbildung der erforderlichen Informationen zum QM im Technischen Regelwerk kann eine gute Grundlage zur Umsetzung eines integrierten QM für das Straßen- und Verkehrswesen in der Praxis geschaffen werden. Diese einzelnen Informationen zum QM unterstützen Anwender aber noch nicht in der Gestaltung der spezifischen Prozesse des QM. Hierfür sollte zusätzliche Hilfestellung durch Leitfäden gegeben werden. Um ein integriertes QM für das Straßen- und Verkehrswesen in der Praxis zu etablieren, können somit die Handlungssäulen „Umsetzung im Technischen Regelwerk“ und „Umsetzung als Leitfaden“ abgeleitet werden, welche gemeinsam mit den ihnen zugeordneten Aufgaben im Bild 4 veranschaulicht sind.
Hinsichtlich der Umsetzung im Technischen Regelwerk könnte es dabei auf höchster Ebene Aufgabe des BMVI und der FGSV-Leitung sein, übergeordnete QM-Anforderungen an Regelwerke und ihre Pflege zu definieren. Diese sollten dann von den FGSV-Gremien durch fachspezifische QM-Aussagen in den jeweiligen Regelwerken ausformuliert werden. Hierbei sollten die qualitätsrelevanten Aussagen vervollständigt werden, so dass für alle Produkte und Lebensphasen die QM-Elemente vollständig abgedeckt sind. Auf Ebene der Aufgabenträger könnten die QM-Aussagen aus dem Technischen Regelwerk dann an die spezifischen Rahmenbedingungen angepasst werden. Bild 4: Aufgaben zur Umsetzung des QM Neben der Verankerung von Aussagen zum QM im Technischen Regelwerk erscheint es notwendig, die praktische Umsetzung des QM durch Leitfäden zu unterstützen. Der QM-Leitfaden ist von dem in der DIN EN ISO 9000:2005 beschriebenen QM-Handbuch abzugrenzen. Entgegen der Definition eines QM-Handbuches nach DIN EN ISO 9000:2005 soll sich der QM-Leitfaden nicht auf eine Organisation, sondern auf die gewählte Modularisierung im Straßen- und Verkehrswesen beziehen. So kann die Qualität jedes Moduls einheitlich ermittelt und dokumentiert werden, wodurch eine Vergleichbarkeit auch über das Modul hinaus ermöglicht wird.
Die erarbeitete Gesamtarchitektur des QM sollte zur Dokumentation in einem übergeordneten Rahmendokument festgehalten werden, welches vom BMVI und der FGSV formulierte übergeordnete Vorgaben zur Gestaltung und zum Inhalt der fachspezifischen Muster-QM-Leitfäden enthält. Analog zur Umsetzung im Technischen Regelwerk sollten diese Muster-QM-Leitfäden von den unterschiedlichen FGSV-Gremien sowie Aufgabenträgern spezifiziert werden.
Die Dokumentationsstruktur des QM im Straßen- und Verkehrswesen ist in der Tabelle 4 zusammenfassend mit den möglichen Inhalten und den Zuständigkeiten dargestellt.
Tabelle 4: Dokumentationsstruktur des QM im Straßen- und Verkehrswesen
5 Fazit und Ausblick
Die hohe Bedeutung der Verkehrsqualität als Standortfaktor führt dazu, dass die knappen verfügbaren Finanzmittel für diesen Bereich besonders effizient und zielgerichtet eingesetzt werden müssen. Ein integriertes QM ist daher im Straßen- und Verkehrswesen unverzichtbar. QM dient der Sicherung der Leistungsfähigkeit, der Verbesserung der Verkehrssicherheit, Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit sowie der Erhöhung der Zufriedenheit der Nutzer. Erste QM-Ansätze sind im Straßen- und Verkehrswesen, beispielsweise im Bereich der Verkehrssicherheit oder mit dem sogenannten „Performance Measurement“ in anderen Ländern, bereits vorhanden. Auch das inhaltlich sehr umfassende und damit im internationalen Vergleich einen hohen Entwicklungsstand aufweisende Technische Regelwerk der FGSV beinhaltet zahlreiche qualitätsrelevante Aussagen.
Demnach besteht bereits eine gute Grundlage in Bezug auf QM in Theorie und Praxis. Diese gilt es aufzugreifen, um einen einheitlichen Rahmen für ein umfassendes QM im Straßen- und Verkehrswesen zu entwickeln. Ein solcher Rahmen kann zu folgenden, grundlegenden Nutzen beitragen:
- Sicherung und Verbesserung der Qualität des Verkehrssystems in Bezug auf Verkehrssicherheit, Mobilität, Umwelt und Wirtschaftlichkeit.
- Effizienter und transparenter Ressourceneinsatz sowie Entscheidungshilfe bei verkehrlichen Maßnahmen (-konzepten) durch umfangreiche Erfassung und Dokumentation der Qualität.
- Gezielte Identifizierung und Minderung von Defiziten im Verkehrssystem.
Um ein umfassendes QM im Straßen- und Verkehrswesen zu entwickeln und somit den grundlegenden Nutzen zu gewährleisten, werden zusammenfassend die folgenden Aufgaben zur Operationalisierung empfohlen:
- Festlegung der Zuständigkeiten und Aufgabenbereiche bei der Initialisierung und Gestaltung eines integrierten QM (BMVI/FGSV, FGSV-Gremien, Aufgabenträger).
- Erarbeitung von Vorgaben für die Gestaltung und Umsetzung des QM durch BMVI/FGSV.
- Modularisierung des komplexen Straßen- und Verkehrswesens unter wissenschaftlicher Begleitung in eigenständige und kombinierbare Bausteine.
- Definition und Spezifizierung von übergeordneten QM-Anforderungen an Regelwerke und ihre Pflege zur Umsetzung des integrierten QM im Technischen Regelwerk.
- Vervollständigung der qualitätsrelevanten Aussagen im Technischen Regelwerk durch die FGSV-Gremien.
- Dokumentation der in der Modularisierung erarbeiteten Gesamtarchitektur des QM sowie der durch BMVI und FGSV formulierten übergeordneten Vorgaben hinsichtlich der Gestaltung und des Inhalts eines Muster-QM-Leitfadens in einem übergeordneten Rahmendokument.
- Spezifizierung der Muster-QM-Leitfäden durch die unterschiedlichen FGSV-Gremien sowie Aufgabenträger.
Bis ein umfassendes Qualitätsmanagement im Straßen- und Verkehrswesen gemäß diesen Kriterien vorliegt, ist es noch ein weiter Weg, auf dem viele Akteure einen Beitrag leisten müssen. Insbesondere die Gremienmitarbeiter der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen sind aufgerufen, dieses Qualitätsmanagement aktiv mitzugestalten und auf Grundlage ihrer Fachkompetenz an seiner Umsetzung in Regelwerken und Leitfäden zu arbeiten. Ihr Beitrag wird darüber entscheiden, ob die genannten Nutzen auch tatsächlich aktiviert werden können.
Danksagung
Diesem Beitrag liegen Teile des im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), unter FE 9.0160/2011/MRB laufenden Forschungsvorhabens zugrunde. Die Verantwortung für den Inhalt liegt allein bei den Autoren. An der Bearbeitung des Projektes waren außer den Autoren Herr Dipl.-Wirtsch.-Ing. Frederik Rühl, Frau Dipl.-Ing. Annette Witzsche, Herr Robert Linton, Frau Dipl.-Ing. Martina Lohmeier und weitere Kollegen bei der Durth Roos Consulting GmbH beteiligt. Darüber hinaus wurde die Bearbeitung durch das Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik der Technischen Universität Darmstadt und die ZIV – Zentrum für integrierte Verkehrssysteme GmbH unterstützt. Die Autoren dieses Beitrags bedanken sich hiermit bei allen Beteiligten sowie den Mitgliedern der Betreuergruppe, die dem Projekt wichtige Impulse gegeben haben.
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