FGSV-Nr. FGSV 001/28
Ort Dortmund
Datum 05.10.2022
Titel Strategie der Autobahn GmbH zum intelligenten und vernetzten Verkehr
Autoren Prof. Gerd Riegelhuth
Kategorien Kongress
Einleitung

Als eine der größten Infrastrukturbetreiberin in Europa ist die Autobahn GmbH für rund 13.000 Kilometer Autobahnnetz in Deutschland verantwortlich. Diesem leistungsstarken Autobahnnetz sowie dessen Einbindung in das transeuropäische Verkehrsnetz kommt hierbei eine zentrale Bedeutung zu. Insbesondere im Güterverkehr wird auch in Zukunft ein überpro- portionales Wachstum der auf den Autobahnen zu erbringenden Transportleistung erwartet. Angesichts der wachsenden Verkehrsnachfrage und der daraus resultierenden Auswirkungen auf Verkehrssicherheit, Ressourcenverbrauch und Umwelt bedarf es eines leistungsstarken Verkehrssystems Autobahn, um die Mobilität von Personen und Gütern nachhaltig zu sichern. Die Bewältigung dieser Aufgaben wird darüber hinauszunehmend von den Zielen einer klimaschonenden und umweltfreundlichen Entwicklung der Mobilität beeinflusst.

Die Digitalisierung und die Automatisierung werden die Mobilität der Zukunft entscheidend prägen. Neue Technologien und Dienste werden die Einsatzmöglichkeiten Intelligenter Verkehrssysteme (IVS) erweitern und deren Wirkungen verstärken. Die Autobahn GmbH setzt hierauf, damit der Verkehr auf Deutschlands wichtigstem Verkehrsträger immer sicherer, effizienter und umweltfreundlicher wird. Ziel ist die digital vernetzte Autobahn – basierend auf einer Strategie zur Fortentwicklung von Intelligenten Verkehrssystemen (IVS) unter besonderer Berücksichtigung von Entwicklungen im Bereich der Kooperativen, Vernetzten und Automatisierten Mobilität. Im Folgenden wird auf einige Schwerpunktthemen eingegangen.

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Volltext

Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Wissen optimieren – Verkehrslage Deutschland

Man kann nur das managen, was man messen kann

Entscheidungen werden auf Grundlage eines umfassenden Wissens über die aktuelle Verkehrssituation und die derzeitigen beeinflussenden Faktoren (z. B. Wetterereignisse) sowie über die Verfügbarkeit der Grundleistungsfähigkeit (historisch und aktuell) getroffen.

Strategie und Handlungsfelder

Unverzichtbar für den Betrieb und die Optimierung der Infrastruktur ebenso wie für eine wirksame und rechtskonforme Verkehrssteuerung ist ein Grundbestand an Verkehrsdaten, der für die Verkehrslenkung bzw. Verkehrsinformationen sowie Managementmaßnahmen genutzt wird. Die Autobahn GmbH wird hierzu ein flächendeckendes Konzept für eine abgestufte Ausstattung des Autobahnnetzes mit Sensorik sukzessive umsetzen. Dies betrifft vordringlich den fließenden Verkehr auf den Streckenabschnitten sowie Knotenpunkten und Anschlussstellen ebenso wie die Erfassung der Belegung der Lkw-Parkflächen auf den Rastanlagen.

Bild 1: Transportaufkommen je Verkehrsträger

Mit der Verkehrslage Deutschland steht in der Verkehrszentrale Deutschland erstmals ein konsistentes und flächendeckendes Lagebild über die Verkehrssituation, aktuelle Störungen sowie die Reisezeiten auf dem Autobahnnetz zur Verfügung (Bild 1). Diese Informationen werden im Verkehrszentralen-Verbund allen Verkehrszentralen der Autobahn GmbH zur Verfügung stehen. Sukzessive werden eigene und externe Datenquellen durch ein zentrales Datenmanagement erschlossen und in die Verkehrslage Deutschland integriert.

Die informationelle Begleitung der Verkehrsteilnehmenden nimmt eine Schlüsselstellung bei der Umsetzung eines deutschlandweiten Verkehrsmanagements ein. Zuverlässige und ständig verfügbare Verkehrsinformationen zur aktuellen oder prognostizierten sollen die Verkehrsteilnehmenden in die Lage versetzen, die für sie persönlich optimale Routen und eventuell auch Verkehrsmittelwahl treffen zu können. Als zentrales Medium der Kommunikation mit den Nutzern wird hierzu die Autobahn-App schrittweise zu einem digitalen Begleiter rund um die Planung und Optimierung der Mobilität auf der Autobahn weiterentwickelt.

Die qualitativ hochwertigen Informationen der Autobahn GmbH werden auf den nationalen Plattformen und Zugangspunkten für Verkehrsdaten und -Informationen für Dritte bereitgestellt. Hierzu zählen in erster Linie die Mobilithek, die als Nachfolgerin des Mobilitätsdatenmarktplatzes des Bundes [MDM] die Aufgabe des Nationalen Zugangspunkts (NAP) übernommen hat sowie der Mobility Data Space [MDS], der eher individuelle Lösungen ermöglicht, wie beispielsweise Datenräume für Verkehrsmanagement in Metropolregionen oder für spezielle Fahrzeug-Infrastruktur-Applikationen.

2  Intelligente Infrastruktur – smarte Mobilität

Teamwork makes the dream work

Wesentliches Ziel ist es, die für den Autobahnverkehr verantwortlichen Verkehrszentralen deutschlandweit zu vernetzen und damit ein qualitativ hochwertiges Verkehrsmanagement auf Autobahnen koordiniert aus einer Hand in Verantwortung und im Verbund der Verkehrszentralen der Autobahn GmbH zu realisieren.

Strategie und Handlungsfelder

Der Aufbau einer digital vernetzten Verkehrstelematik-Infrastruktur in der Autobahn GmbH hat einen Namen: Plattformstrategie E21X (Bild 2). Zum Jahreswechsel 2021/22 wurde mit der Inbetriebnahme des E21X-Basissystems ein wichtiger Meilenstein erreicht, der zugleich Ausgangspunkt für die umfassende Vernetzung aller Verkehrszentralen der Autobahn GmbH ist.

Bild 2: Plattformstrategie E21X

Die Verkehrszentrale Deutschland stellt als Masterzentrale das E21X-Basissystem für das bundesweit vernetzte Verkehrsmanagement auf eine komplett neue und leistungsfähige Systemplattform. Diese ist serviceorientiert aufgebaut und kann modular auf alle heutigen und zukünftigen Anforderungen hin angepasst werden. Über sie stehen Kernbestandteile der Verkehrszentralensoftware wie ein Geodienst zur Echtzeit-Verortung hochdynamischer Verkehrsdaten, A2X-Datenschnittstellen zur internen und externen Kommunikation, Datenbanken und eine Telematikplattform zur Anbindung der technischen Außenanlagen zur Verfügung. In den weiteren Implementierungsschritten werden u. a. ein Workflow- und Betriebsmanagementsystem, diverse Auswertungsfunktionen, eine Gangliniendatenbank, ein Tool zur einheitlichen Steuerung von Netzbeeinflussungsanlagen, ein übergeordnetes Strategiemanagement, ein Störfall- und Ereignismanagement und eine einheitliche Visualisierungs- und Bedienoberfläche (Operator View) integriert.

In einem stufenweisen Vorgehen werden die bestehenden Verkehrszentralen unter Berücksichtigung ihrer individuellen Struktur und ihres Aufgabenzuschnitts über die E21X-Systemplattform in einen modernen und redundant ausgelegten Verkehrszentralen-Verbund integriert. In den einzelnen Verkehrszentralen können sukzessive die zentral auf der Plattform bereitgestellten Basisdienste und Fachanwendungen genutzt werden, wodurch zukünftig erhebliche Entwicklungs- und Betriebskosten eingespart werden. Außerdem stehen auf Basis durchgängiger Daten- und Informationsflüsse die Verkehrszentralen-Funktionen flächendeckend in definierten System- und Qualitätsstandards zur Verfügung. Im ersten Integrationsschritt werden alle Verkehrszentralen der Autobahn GmbH netzwerkseitig in das E21X-System eingebunden und in die bundesweite Netzsteuerung integriert.

Die kollektive dynamische Verkehrsbeeinflussung auf hoch ausgelasteten Streckenabschnitten ist das Rückgrat einer gezielten und effektiven Verkehrssicherheitsarbeit sowie Stauvermeidung. Mit der Aufstellung und Realisierung eines IVS-Rahmenplans Autobahn wird der weitere Ausbau der Intelligenten Verkehrssysteme auf den deutschen Autobahnen nach klaren Kriterien priorisiert und fokussiert. Gleichzeitig wird das Feld mit IVS-Maßnahmen deutlich breiter aufgestellt.

Ein innovatives Instrument zur Realisierung des IVS-Rahmenplans ist die Einführung eines funktionalen IVS-Regelwerks, mit dessen Hilfe Wirkungsvorgaben der Verkehrsbeeinflussung in Abhängigkeit der verkehrlichen Anforderungen (Einsatzumgebungen) formuliert werden und die Zielerreichung transparent dokumentiert und kontrolliert wird. Die Realisierung von IVS auf funktionaler Leistungsbasis schafft zudem den Freiraum für Innovationen im Wettbewerb der Anbieter.

Der Verkehrszentralen-Verbund und die Projekte des IVS-Rahmenplans Autobahn sind die Werkzeuge zum flächendeckenden Ausbau der koordinierten Verkehrslenkung auf Autobahn- Korridoren. Das Korridormanagement (Bild 3) bündelt verschiedene Handlungsfelder, die dazu dienen, die Nutzerinnen und Nutzer auf den wichtigen Mobilitätsachsen zwischen den Wirtschafts- und Metropolregionen sicher und störungsfrei an ihr Ziel zu bringen: die dynamische Lenkung des Verkehrs auf Alternativrouten im Fall von Störungen, die abgestimmte Planung und Koordinierung von Baustellen und die Bereitstellung konsistenter Verkehrsinformationen.

Bild 3: Prioritätenreihung der Autobahnkorridore

Nach erfolgreicher Etablierung der beiden Pilotkorridore West und Süd wird der stufenweise Aufbau des bundesweiten kooperativen Netzmanagements fortgesetzt. Als nächste Korridore folgen Nord-West (Hamburg, Bremen, Hannover, Dortmund) und Ost-West (Dortmund, Hannover, Dresden/Leipzig, Berlin). Außerdem werden die nationalen Autobahnkorridore in Richtung der europäischen Nachbarländer erweitert, um die Steuerung des Fernverkehrs in transeuropäischen Korridoren zu optimieren. Hierzu wurden bereits Kooperationsvereinbarungen mit den Autobahnbetreibern in Österreich (ASFINAG) und der Schweiz (ASTRA) abgeschlossen. Weitere mit den Niederlanden, Dänemark sowie anderen europäischen Nachbarn sind auf dem Weg.

Aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit sind die Autobahnen nicht nur für die großräumigen Ver- kehrsströme, sondern auch für die regionalen Verkehrsströme in den großen Metropolräumen Deutschlands von herausragender Bedeutung. Die Autobahn GmbH sieht sich hier in der Rolle, das regionale kooperative Verkehrsmanagement in Deutschland mit einem durchgehenden und einheitlichen organisatorischen und technischen Architekturansatz voranzubringen. Die Autobahn GmbH wird daher die Entwicklung und Umsetzung zuständigkeitsübergreifender Verkehrsmanagement-Strategien gemeinsam mit den Ländern und Städten initiieren, um adäquat im Interesse der Verkehrsteilnehmenden Maßnahmen zum Mobilitätsmanagement proaktiv im regionalen Verbund umzusetzen und damit die Erreichbarkeit der Metropolregionen sicherzustellen.

3 Digital vernetzt und automatisiert in die Zukunft

Fahrzeuge als Sensoren und Aktoren

Eine sichere und intelligente Mobilität wird künftig durch die Vernetzung von Fahrzeugen und Infrastruktur im Rahmen von Kooperativen Systeme (C-ITS) maßgeblich unterstützt.

Durch die direkte Kommunikation zwischen Fahrzeugen, straßenseitiger Verkehrsleittechnik bzw. kooperativen Verkehrszentralen werden Verkehrsteilnehmende aktuell, präzise und individuell über die aktuelle Verkehrssituation und Gefahrensituationen informiert. Darüber hinaus erhalten die Verkehrszentralen aus den Fahrzeugen präzise und umfassende Informationen. Das automatisierte Fahren korrespondiert mit den Entwicklungen des vernetzten kooperativen Verkehrs und erweitert dessen Wirkungsrahmen. Die Automatisierung von Fahraufgaben leistet einen wesentlichen Beitrag dazu, Fahrfehler, die das Unfallgeschehen maßgeblich prägen, zu vermeiden, die Effizienz des Verkehrssystems zu erhöhen und die Verkehrsteil- nehmenden bei ihrer Fahraufgabe zu entlasten.

Strategie und Handlungsfelder

Nach der Aufnahme des Regelbetriebs für den ersten kooperativen Dienst Baustellenwarner in Europa durch die Autobahn GmbH, mit dem Verkehrsteilnehmende unmittelbar über Tagesbaustellen informiert werden, auch wenn diese für sie noch nicht im Sichtfeld sind, wird der deutschlandweite Roll-Out auf Autobahnen mit der Ausstattung aller fahrbaren Absperrtafeln zügig fortgesetzt. Damit steht der Dienst kurzfristig flächendeckend auf den Autobahnen zur Verfügung; hierbei werden auch die privaten Verkehrssicherungsfirmen einbezogen.

Parallel zum Rollout des Baustellenwarners werden weitere kooperative Dienste, wie die Einsatzfahrzeugwarnung, im europäischen Kontext spezifiziert, im Testfeld Deutschland erprobt und sukzessive eingeführt. Dazu kommen die verbesserte Verkehrslage mittels Fahrzeugdaten und daraus generierte Meldungen wie die Stauendewarnung. Zudem sollen Informationen von Verkehrsbeeinflussungsanlagen direkt in die Fahrzeuge übertragen werden, z. B. Geschwindigkeitsanzeigen und Reisezeitinformationen. Damit ebnet sich der Weg zur Virtuellen Verkehrsbeeinflussungsanlage [VBA], die als wirtschaftliche Ergänzung zur Flächendeckung eingesetzt werden kann. Eine virtuelle VBA überträgt die Anzeigen von Wechselverkehrszeichen, wie sie von physikalischen Verkehrsbeeinflussungsanlagen mit Schilderbrücken bekannt sind, mittels Fahrzeug-Infrastruktur-Kommunikation in entsprechend ausgestattete Kraftfahrzeuge.

Als Teil der E21X-Architektur wird in der Verkehrszentrale Deutschland die C-ITS-Zentrale sämtliche kooperativen Dienste vernetzen und die Anwendungen über die E21X-Plattform allen Verkehrszentralen der Autobahn GmbH flächendeckend zur Verfügung stellen.

Alle genannten Aktivitäten finden in Abstimmungen mit Nachbarländern statt, um die Dienste perspektivisch harmonisiert und grenzüberschreitend lückenlos in Europa zur Verfügung zu stellen (Österreich, Schweiz, Niederlande, Dänemark). Auf Fahrzeugseite findet ein intensiver Austausch mit der Automobilindustrie unerlässlich.

Mit dem Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und des Pflichtversicherungsgesetzes hat der deutsche Gesetzgeber den Rechtsrahmen für die Einführung hochautomatisierter Fahrfunktionen im öffentlichen Straßenraum geschaffen. Der Betrieb hochautomatisierter Fahrzeuge ist demnach unter anderem dann möglich, wenn er auf dafür freigegebenen Betriebsstrecken durchgeführt wird und von einer technischen Aufsicht überwacht wird.

Die Autobahn GmbH sieht die Freigabe von Betriebsstrecken für das automatisierte/ autonome Fahren auf der Autobahn als dynamischen, situationsabhängigen Prozess, der durch die C-ITS-Zentrale gemanagt wird. Darüber hinaus wird die Autobahn GmbH eine zentrale Funktion bei der Bereitstellung von hochpräzisen und hochdynamischen Daten an der Schnittstelle zwischen Infrastruktur und Fahrzeugen ausüben, die für den sicheren Betrieb hochautomatisierter Fahrzeuge erforderlich sind, da aus Sicht der Autobahn GmbH automatisierte/autonome Fahraufgaben nicht ohne dynamische Interaktion mit der Straße durchführbar sind.

4 Verkehr im Wandel und als Herausforderung

Aus dem Spannungsfeld zwischen den ehrgeizigen Zielen der Autobahn GmbH und wachsendem Verkehrsaufkommen ergibt sich die Notwendigkeit eines entschlossenen Handelns. Bei der Sicherstellung eines funktionalen Verkehrsnetzes geht es angesichts des Verkehrswachstums insbesondere um die Erhöhung der „Grundleistungsfähigkeit“ und Verfügbarkeit1) des Autobahnnetzes. Dies kann im Sinne eines kundenorientierten Ansatzes durch zielgerichtete Anwendung Intelligenter Verkehrssysteme (IVS) und organisatorischer Maßnahmen erheblich unterstützt werden.

1) Verfügbarkeit (Beispiel): Anteil der Streckenabschnitte und Zeiteinheiten pro Jahr, in denen 100 %, 90 %, 80 % usw. der definierten Grundleistungsfähigkeit (bezüglich Fahrzeugdurchsatz und Reisegeschwindigkeit) erreicht wurden