FGSV-Nr. | FGSV 002/127 |
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Ort | online-Konferenz |
Datum | 13.04.2021 |
Titel | Bewegungsprofile aus Mobilfunk- und FLoating-Car-Daten als Bestandteil richtlinien-konformer Verkehrsnachfragemodellierung |
Autoren | Univ.-Prof. Dr.-Ing. Klaus Bogenberger, Dr. rer. nat. Nikolaos Kainaris, M.Sc. Christoph Maget, Udo Heidl, Sebastian Gutmann |
Kategorien | HEUREKA |
Einleitung | Detaillierte Informationen über Quellen und Ziele von Reisen sowie Routenverläufe sind von entscheidender Bedeutung für Analysen und Prognosen des Verkehrs. Hierzu wurden kommerziell verfügbare Datenprodukte aus GPS-verorteten Floating Car Daten (FCD) und stationsverorteten Mobilfunkdaten akquiriert und die daraus gewonnenen Quelle-Ziel-Matrizen und Routenverläufe mit Ergebnissen der synthetischen Erzeugungsrechnung verglichen. Untersuchungsgrundlage bildete ein großräumiges, makroskopisches Verkehrsmodell mit rund 6.500 Verkehrszellen, welches u. a. auf Verkehrsbefragungen und Erhebungen mittels Fahrzeugwiedererkennung basiert. Keine der Datenquellen konnte allein alle Anwendungsfälle zufriedenstellend abdecken. In Kombination besitzen diese allerdings ein großes Potential zur Erstellung und zur Prognose von Nachfragemodellen. |
Volltext | Der Beitrag ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.1 Einleitung 1.1 Aufbau und Einsatz von Verkehrsmodellen Um fundierte Entscheidungen über infrastrukturelle oder ordnungspolitische Maßnahmen treffen zu können, benötigen die Aufgabenträger wie Behörden oder Verkehrsplaner detaillierte Analysen und Prognosen über Reisequellen und Reiseziele sowie Routenverläufe (Zeit-Weg-Trajektorien) von Verkehrsteilnehmern. Diese Daten werden heute fast ausschließlich durch den Einsatz von Verkehrsnachfragemodellen berechnet. Ein zentrales (Zwischen-) Ergebnis von Verkehrsnachfragemodellen sind Quelle-Ziel-Matrizen (QZM) für die verschiedenen Verkehrsmodi im privaten Verkehr (Pkw, öffentlicher Verkehr und nichtmotorisierter Verkehr) und im Wirtschaftsverkehr (Güter- und Personenwirtschaftsverkehr). 1.2 Motivation Die QZM werden für prognosefähige Verkehrsmodelle synthetisch, d. h. auf Basis von Strukturdaten (räumliche Verteilung von Einwohnern, Arbeitsplätzen, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, etc.), Angebotsdaten (Netzentfernungen, Reisekosten und Reisezeiten) und Verhaltensdaten (Erzeugungsraten, Reiseweiten nach Verkehrszwecken, Anteile Verkehrsmittel, etc.), ermittelt. In klassischen Verkehrsmodellen stellt die Ermittlung der Verkehrsverteilung die mit der größten Unsicherheit behaftete Größe dar, da empirische Erhebungen in Form von Verkehrsbefragungen hinsichtlich Zeit und Kosten aufwändig und aufgrund der geringen Stichprobe mit großen Unsicherheiten behaftet sind. In neuartige Datenquellen („Big Data“) werden daher große Hoffnungen gesetzt, diese „Lücke der Empirie“ zu schließen. In der vorliegenden Arbeit untersuchen wir die Daten verschiedener Anbieter hinsichtlich der Verwendbarkeit in einem großräumigen und richtlinienkonformen Verkehrsmodell, dem „Landesverkehrsmodell Bayern“ (LVM-By). Wir unterscheiden dabei Mobilfunkdaten (Mobile Network Data, MND), die auf Seiten des Netzbetreibers anfallen, und Floating-Car-Daten, die mittels globalen Navigationssatellitensystemen (z. B. GPS) verortet sind auf Seiten der Endgeräte in Fahrzeugen anfallen (GPS-Daten). Im Ergebnis sollen auch Aussagen getroffen werden, ob sich die Verwendung derartiger Datenquellen in für die Verkehrsplanung relevanten Richtlinien (z. B. „Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen“ oder „Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen“) niederschlagen sollte. 1.3 Stand der Forschung Die Verwendung von Mobilfunk- und GPS-Daten in der Verkehrsplanung wurde bereits in zahlreichen Projekten untersucht. Mobilfunkdaten werden einerseits zur Validierung von Mobilitätserhebungen eingesetzt, so beispielsweise im Projekt „KOMOD“ (Fellendorf 2011, [1]). Die Ableitung von Quelle-Ziel-Beziehungen aus Mobilfunkdaten andererseits erfolgt beispielsweise in (Caceres 2007, [2]) und (Cik 2014, [3]). Die anschließende konkrete Übertragung in Verkehrsmodelle wurde beispielsweise in (Schlaich 2010, [4]) und (Caceres 2008, [5]) untersucht. GPS-Daten werden in Form von Floating Car Data (FCD) zur Verkehrsflussanalyse eingesetzt (Hochgürtel 2018, [6]), finden jedoch auch bei der Stauanalyse Verwendung (Rehborn 2003, [7]). Auch wurden kennwertbasierte Verkehrsmodelle mit GPS-Daten aufgebaut (Krampe 2013, [8]), der Fokus liegt hier jedoch auf der Analyse des Verkehrs. In der internationalen Literatur findet sich der Einsatz von Mobilfunkdaten zur Kalibrierung von Verkehrsmodellen beispielsweise in einer Untersuchung des Tennessee Department of Transportation (TDOT) in TN, USA in Zusammenarbeit mit der Resource Systems Group (RSG) (Bernardin, Jr. 2017, [9]). Mobilfunkdaten werden dort zur Betrachtung großräumiger Verkehre ab 50 Meilen herangezogen. Die Verortung wird auch durch die Siedlungsstruktur von Tennessee (58 Einwohner / km²) begünstigt (Bayern: 185 Einwohner / km²). Die eingeschränkte Genauigkeit bei der Verortung von Mobilfunkdaten und die damit verbundene Mindestgröße des Untersuchungsgebiets betont auch eine Untersuchung aus Boston, MA, USA (Calabrese 2011, [10]). Darin wird zusätzlich auf eine mögliche Verzerrung der Stichprobe, in diesem Fall zugunsten potentiell handyaffiner Teenager, hingewiesen. Die eingeschränkte Genauigkeit ist auch ein wesentlicher Grund, warum Mobilfunkdaten nicht für die Weiterentwicklung kleinräumiger Verkehrsnachfragemodelle verwendet werden (Leerkamp 2013, [11]). Eine zusammenfassende Darstellung bisheriger Anwendungsfälle einschließlich einer Potentialabschätzung für den Einsatz von GPS- und Mobilfunkdaten findet sich in (Schmidt 2017, [12]). 1.4 Abgrenzung und Beitrag der Arbeit Die Literaturrecherche bestätigt die Verwendung von Mobilfunk- und GPS-Daten in der Verkehrsplanung als ein etabliertes Forschungsfeld. Unser Beitrag legt den Fokus speziell auf deren Verwendung in bestehenden, synthetisch erstellten Verkehrsmodellen. Er erweitert den Stand der Forschung in drei wesentlichen Gesichtspunkten. Erstens etablieren sich Geschäfts- und Datenmodelle seitens der Datenanbieter, die sich als konkrete Produkte auf dem Markt niederschlagen und insbesondere auch datenschutzrechtlich beurteilt wurden. Spezifizierte Datenmodelle ermöglichen nun erstmals die Entwicklung von einheitlichen Prozessen zur Datenaufbereitung und -bewertung. Weiterhin wird ein Vergleich der Ergebnisse durch nachfolgende Arbeiten erleichtert, da die Daten reproduzierbar bezogen und ausgewertet werden können. Zweitens hat sich mit dem LVM-By ein Verkehrsmodell in der Planungspraxis etabliert, das hinsichtlich seiner Größe und seines Umfangs die Möglichkeiten dieser neuen Datenquellen optimal ausschöpft. Bisher verwendete, regionale oder städtische Modelle lassen sich in Bezug auf die räumliche Einteilung nur schwer mit Mobilfunkdaten zur Deckung bringen. Drittens sind in das LVM-By aussagekräftige Referenzdaten, wie flächendeckende Verkehrsbefragungen und großräumige Erhebungen zur Fahrzeugwiedererkennung mittels Automatischer Kennzeichenerfassung (Automatic Number Plate Recognition, ANPR), eingeflossen, womit eine optimale Ground Truth zur Verfügung steht. 2 Datenakquise und -aufbereitung Für unsere Analyse wurden vier Anbieter von GPS-Daten und ein Anbieter von Mobilfunkdaten ausgewählt. Bei der Auswahl wurde darauf geachtet, alle derzeit am Markt etablierten Anbieter zu berücksichtigen. Ein weiterer Anbieter von Mobilfunkdaten war nicht zu einer Datenübergabe bereit. Für die Ermittlung der Verkehrsverflechtungen zur Erstellung der QZM sind zwei Schritte entscheidend. Zunächst müssen die Raum-Zeit-Bewegungen von mobilen Endgeräten detektiert werden. In einem zweiten Schritt müssen aus diesen Trajektorien die Wege und die Verkehrsmodi von Personen extrahiert werden. Im Folgenden besprechen wir diese Aufbereitungsschritte für die untersuchten Mobilfunkdaten und GPS- Daten. 2.1 Mobilfunkdaten 2.1.1 Randbedingungen Mobilfunknetze bestehen nach (Walke 1998, [13]) aus einer hierarchischen Struktur, um die Kommunikation zwischen mobilen Endgeräten zu ermöglichen. Zu den mobilen Endgeräten zählen neben Mobilfunktelefonen auch andere Geräte mit eingebauter SIM-Karte, wie z.B. On-Board-Units in Fahrzeugen. Mobilfunkmasten haben eingebaute Antennen jeweils für die Standards 2G, 3G und 4G, die Signale in einer bestimmten Umgebung senden und empfangen können. Diese Umgebung bezeichnet man als Mobilfunkzelle, wobei sie in den verschiedenen Standards als „Location Area“, „Routing Area“, bzw. „Tracking Area“ bezeichnet wird. Die Größe dieser Zellen variiert von ungefähr 0,5 km in urbanen Gebieten bis hin zu mehreren Kilometern in ländlichen Regionen. Die Zellen der unterschiedlichen Standards sind nicht deckungsgleich, und es können sich Zellen überlappen. Insbesondere bedeutet das, dass das Signal eines Endgerätes, welches sich in einem solchen Überlappungsbereich befindet, zwischen verschiedenen Zellen wechseln kann, ohne dass sich die Position des Endgerätes verändert („Flickering“). Das folgende Bild 1 zeigt die Abdeckungsdichte mit Mobilfunkmasten in Südbayern und angrenzenden Gebieten. Bild 1: Mobilfunkmasten im Südosten von Deutschland (eigene Darstellung nach [14] und [15]) Zusammenfassend kann die Position eines Endgerätes in folgenden Situationen vom Mobilfunknetzwerk erfasst werden: · Aktive Events: Bei Anrufen oder Versenden von SMS oder beim An- bzw. Ausschalten des Geräts. · Passive Events: Bewegungsbezogene Updates der Location Area, Routing Area und Tracking Area, sowie Inter-Zell-Übergaben innerhalb dieser Gebietstypen. Aus datenschutzrechtlichen Gründen werden die Trajektorien einzelner Mobilgeräte nur über einen Tag aufgezeichnet und dann die IDs neu vergeben. Um aus den detektierten Trajektorien Wege zu erzeugen, werden zunächst mobilfunkzellenspezifische Verweildauern definiert. Ist die zeitliche Differenz zwischen dem ersten und letzten Signal eines Endgeräts in derselben Zelle länger als die Verweildauer der Zelle, wird die Zelle als Wegeziel identifiziert. Die Moduserkennung beschränkt sich auf die drei Modi motorisierter Individualverkehr (mIV), öffentlicher Verkehr (ÖV) und Flugverkehr. Eine Erkennung von Fuß- und Radverkehr ist nicht möglich. Zudem ist keine Unterscheidung des mIV hinsichtlich Lkw und Pkw möglich. Die Moduserkennung erfolgt auf Basis einer Zuordnung der Trajektorie im Mobilfunkzellennetz auf ein Straßen- und Schienennetz. Wege mit dem ÖV oder dem Flugzeug werden zudem daran erkannt, dass die Quell- und Zielzellen eine ÖV-Haltestelle bzw. einen Flughafen enthalten. 2.1.2 Bereitgestellter Datensatz Die Mobilfunkdaten wurden von Telefónica NEXT bereitgestellt und umfassen QZM für die Verkehrsverflechtungen in Bayern sowie den umgebenden Bundesländern und Staaten. Das Untersuchungsgebiet ist in Verkehrszellen nach Postleitzahlen aufgeteilt. Innerhalb von Bayern ist die räumliche Aufteilung postleitzahlenfein, außerhalb sind Zellen nach den ersten drei Ziffern bzw. der ersten Ziffer der Postleitzahl gewählt. Die Matrizen wurden aus empirischen Daten von 20 Wochentagen (Mo-Fr) während der Schulzeit im Jahr 2017 aggregiert. Aufgrund der beschriebenen Eigenschaften von Mobilfunknetzen sind nur Wege ab 50km Reiseweite enthalten und diese zu 4-Stunden-Scheiben („Buckets“) aggregiert. 2.2 GPS-Daten 2.2.1 Randbedingungen Zur Generierung von GPS-Daten werden die Positionen von Fahrzeugen per GPS erfasst und als Floating- Car-Data (FCD) über mobile Kommunikationen an eine Zentrale weitergeleitet. Einige Anbieter zeichnen zudem Positions- und Wegedaten von Mobilfunkgeräten bei der Nutzung bestimmter Apps oder Dienste auf. Die Erzeugung von Wegeketten aus GPS-Daten basiert ebenfalls auf definierten, maximalen Verweildauern. Ändert sich die örtliche Position eines Signals innerhalb der Verweildauer nicht, wird dies als Stopp detektiert. Ausnahmen stellen Stopps in Staus oder an Autobahnraststätten dar. Diese werden nach Aussagen der Datenanbieter im Rahmen des Map Matchings aus den GPS-Rohdaten herausgefiltert. Zur Definition der Verweildauer wurde keine Information von Seiten der Anbieter zur Verfügung gestellt. Die Analyse lässt vermuten, dass stets eine konstante Verweildauer genutzt wird. Die angebotenen QZM werden nicht auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet und können Verkehrsverflechtungen im Untersuchungsgebiet damit nur partiell wiedergeben. Im Gegensatz zu Mobilfunkdaten ist aber eine Unterscheidung der Verkehrsmittel zwischen Pkw und Lkw möglich. Die Differenzierung nach Verkehrsmodus erfolgt probabilistisch auf Basis der bekannten Zusammensetzung der Fahrzeugflotte. 2.2.2 Bereitgestellter Datensatz Von den Anbietern TomTom und HERE liegen Quelle-Ziel-Matrizen für das Stadtgebiet München sowie für das südbayerische Autobahnnetz vor. Vom Anbieter INRIX wurden „waypoints“, d. h. mit Zeitstempel und weiteren Informationen verortete Datenpunkte für das südbayerische Autobahnnetz zur Verfügung gestellt. Alle bezogenen Daten sind in der nachfolgenden Tabelle zusammengestellt. Tabelle 1: Übersicht der verwendeten Datenquellen 2.3 Landesverkehrsmodell Bayern Das Landesverkehrsmodell Bayern (LVM-By) ist das rechen- und prognosefähige Verkehrsmodell des Freistaats Bayern. Das Untersuchungsgebiet umfasst den Freistaat Bayern einschließlich eines Gürtels der angrenzenden Landkreise. Das Modellgebiet umfasst ganz Europa, um alle relevanten Verkehrsströme abzubilden (vgl. Bild 2). Bild 2: Modell- und Untersuchungsgebiet des LVM-By [16] Das Raumstrukturmodell basiert in Bayern und einem Gürtel um Bayern auf der amtlichen Gemeindeeinteilung. Gemeinden mit über 10.000 Einwohnern wurden weiter unterteilt. Im übrigen Modellgebiet (Europa) wurde auf die Einteilung des Bundesverkehrswegeplans (PDVV (Schubert 2014, [17])) zurückgegriffen, auf der auch die zugehörigen Verkehrsströme basieren. Im Ergebnis ergeben sich für die Raumstruktur rund 6.500 Verkehrszellen. Für das Verkehrsangebot im Bereich Individualverkehr (IV) wird das „Netzmodell Bundesfernstraßen“ („NEMOBFStr“) des BMVI verwendet, das anhand des BAYSIS (SIB-) Netzes validiert wurde. Im Ergebnis sind im Modellgebiet die Straßenkategorien von Autobahnen bis zu Gemeindeverbindungsstraßen enthalten. Für das Verkehrsangebot im Bereich des öffentlichen Verkehrs (ÖV) wird das Netzmodell der Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG) verwendet. Für den Personenverkehr ist der entsprechende Fahrplan eines Normalwerktags hinterlegt. Kalibrierungsgrundlage für die Querschnittsbelastungen bildet die Straßenverkehrszählung (SVZ) 2015. Zur Verifizierung und Kalibrierung der Verkehrsverteilung wurden zusätzlich umfassende Verkehrsbefragungen und Erhebungen zur Fahrzeugwiedererkennung mittels automatischer Kennzeichenerfassung (Bild 3 und Bild 4) durchgeführt (Kathmann 2016, [18]). Bild 3: ANPR-Erfassung Bild 4: Anteil wiedererkannter Fahrzeuge Damit steht im Landesverkehrsmodell Bayern für ausgewählte Relationen eine Vollerfassung von Quelle-Ziel-Strömen zur Verfügung. 3 Ergebnisse ES werden die Quelle-Ziel-Matrizen (QZM) aus empirischen Daten mit den synthetisch erzeugten QZM des LVM-By verglichen. Die bereitgestellten Daten erlauben eine Bewertung der Aspekte Nachfrage, Symmetrie, Wegelängenverteilung und Vergleich der Quellverkehre. 3.1 Mobilfunkdaten 3.1.1 Gesamtnachfrage Die Summe aller Elemente der Quelle-Ziel-Matrix entspricht der gesamten Nachfrage im Untersuchungsgebiet an einem Standardwerktag. Der Vergleich der Verkehrsnachfrage aus LVM-By und Mobilfunkdaten ist in Tabelle 2 dargestellt. Die Nachfrage wurde auf Wege gefiltert, die entweder in Bayern beginnen oder enden. Durchfahrtsverkehr wird nicht betrachtet, da dieser im Mobilfunkdatensatz nicht enthalten ist. Die beobachtete Diskrepanz ist fast ausschließlich durch kurze Wege (<4km) bedingt. Diese Wege sind in den MND grundsätzlich technisch schwer auflösbar. Beschränken sich die Betrachtung auf Wege mit mindestens 4km Länge, so ergeben sich vergleichbare Werte für die Gesamtnachfrage. Tabelle 2: Vergleich Verkehrsnachfrage 3.1.2 Symmetrie Die elementweise Symmetrie einer Matrix M ist gemäß Gleichung (1) definiert: Formel siehe PDF Dabei ist MOD das Matrixelement eines speziellen Quelle-Ziel-Paares und MDO das jeweils transponierte Element. Die Zeilen- und Spaltensymmetrie einer Matrix ist gemäß Gleichung (2) definiert: Formel siehe PDF Symmetriewerte können zwischen -1 und +1 variieren, wobei -1 maximale Asymmetrie in die Rückrichtung und +1 maximale Asymmetrie in die Hinrichtung signalisiert. Für eine vollkommen symmetrische Matrix sind alle Werte der Symmetriematrix gleich 0. Der Symmetriewert wurde für die Daten aller untersuchten Anbieter ermittelt. Bild 5: Symmetriewerte für LVM-By und MND Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden. zeigt die Verteilung der Symmetriewerte der Quelle-Ziel-Matrix aus Mobilfunkdaten im Vergleich zur LVM-By-Matrix. Wie erwartet sind die Relationen der LVM-By-Matrix nicht komplett symmetrisch. Im Gegensatz dazu scheint die Mobilfunkdatenmatrix fast komplett symmetrisch zu sein. Da die Matrizen vom Datenanbieter noch auf die Bevölkerung extrapoliert werden, könnte es sich hier um ein Artefakt der Wertanpassung handeln. Es wurde überprüft, dass die Relationen, die vollkommen unsymmetrisch sind, ausschließlich Relationen mit sehr wenig Verkehrsaufkommen betreffen. 3.1.3 Wegelängenverteilung Um die Übereinstimmung von Verteilungen quantitativ zu bewerten, wird das Koinzidenzverhältnis (Coincidence Ratio, CR) gemäß Gleichung (3) verwendet: Formel siehe PDF Hierbei sind und die Häufigkeiten der gemessenen Werte (GPS-Daten oder MND) bzw. die der Modellwerte (LVM-By), jeweils im Intervall des Histogramms. Die Werte des Koinzidenzverhältnisses variieren zwischen 0 und 1, wobei 1 die identische Übereinstimmung zweier Verteilungen signalisiert. Da die Einteilungen der Verkehrszonen des LVM-By und der Teralytics-Daten nicht deckungsgleich sind, wurden die LVM-By-Zonen auf das Zonenschema der Mobilfunkdaten aggregiert. Bild 6 zeigt die relativen Wegelängenverteilungen. Deutlich erkennbar ist die signifikante Unterrepräsentation kurzer Wege (<4km) in den Mobilfunkdaten. Insgesamt wird die Anzahl kürzerer Wege im MND-Testdatensatz unterschätzt und die Anzahl längere Wege überschätzt. Die Werte der Koinzidenzverhältnisse für die Verteilungen der Wegelängen und der Reisestartzeitpunkte sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Allgemein liegt die Übereinstimmung in einem Bereich ab 0,6. Tabelle 3: Vergleich der Verteilungen der Wegelängen und Wegestartzeiten Bild 6: Relative Verteilungen der Wegelänge 3.1.4 Vergleich der Quellverkehre Das Streudiagramm der absoluten Quellverkehre ist in Bild 7 dargestellt. Die Daten weisen qualitativ eine Korrelation auf (R2 = 0,75, p = 0), quantitativ besteht jedoch eine Abweichung. Bild 7: Streudiagramm der Quellverkehre aus LVM-By und Mobilfunkdaten Zum einen beschreiben Modelldaten und MND unterschiedliche Analysejahre (2014 bzw. 2018). Gewisse Ungenauigkeiten könnten auch bei der Umgewichtung der Nachfrage auftreten, sowohl bei der vom Anbieter vorgenommenen Extrapolation der Rohdaten von Mobilfunkzellenebene auf die vorliegenden Verkehrszonen als auch bei der von uns vorgenommenen Umgewichtung von Modellverkehrszonen auf MND-Verkehrszonen. Ein weiterer entscheidender Punkt ist die unterschiedliche Wegedefinition im Modell und in den Mobilfunkdaten. Während Wege im Nachfragemodell stets mit einer Aktivität verbunden sind, basieren diese in den MND auf Verweildauern. Insbesondere in urbanen Gebieten sind viele Wege sowohl im Personenverkehr als auch bei Touren des Wirtschaftsverkehrs kürzer als die Verweildauer von 30 Minuten und werden deswegen in den Mobilfunkdaten nicht erfasst. 3.2 GPS-Daten 3.2.1 Gesamtnachfrage Die GPS-Daten wurden nur für einen Teilbereich des Untersuchungsgebietes bereitgestellt. Um die Nachfrage vergleichen zu können, wurde ein gleich großer Ausschnitt aus dem LVM-By herangezogen. Tabelle 4: Vergleich Verkehrsnachfrage [Wege] 3.2.2 Symmetrie Die Nachfrage an einem Standardwerktag besteht größtenteils aus einfachen Wegeketten, bestehend aus einem Hinweg von zu Hause zur täglichen Hauptaktivität (Arbeit, Schule) und einem Rückweg. Komplexere Wegeketten existieren, sind aber mit zunehmender Anzahl an Teilwegen zunehmend selten. Es ist daher davon auszugehen, dass die Quelle-Ziel-Matrizen fast symmetrisch sind. Bei der Verteilung der Symmetriewerte (s. Bild 8) fällt bei allen Anbietern auf, dass die Matrix bei elementweiser Betrachtung eine gute Symmetrie aufweist, während die Symmetriewerte der Zeilen- und Spaltensymmetrie stark streuen. Dies ist ein Indiz dafür, dass die GPS-Daten den Verkehr nur partiell beschreiben und insbesondere zu einigen Fahrten die entsprechenden Rückfahrten während desselben Tages nicht erfasst werden. Bild 8: Symmetriewerte für LVM-By und GPS-Daten 3.2.3 Wegelängenverteilung Für jeden GPS-Datenanbieter wurden die Verteilungen der Wegelängen und – soweit verfügbar – der Wegestartzeiten mit den Daten aus dem LVM-By verglichen. Die folgende Tabelle stellt die jeweilige CR bei verschiedenen Anbietern dar. Tabelle 5: Vergleich der Verteilungen von Wegelängen und -startzeitpunkte Der Vergleich zeigt, dass beide Verteilungen in einer vergleichbaren Größenordnung (>0,7) mit den modellierten Verteilungen übereinstimmen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass es sich um einen Vergleich der prozentualen Verteilungen handelt. 3.2.4 Vergleich der Quellverkehre Abschließend wurden die Quellverkehre je Verkehrszelle aus dem LVM-By mit Quellverkehren aus den GPS-Daten verglichen. Es wurde keine Hochrechnung der GPS-Daten vorgenommen. Tabelle 6: Vergleich der Quellverkehre aus LVM-By und GPS-Daten Die Verschiedenen Anbieter weisen starke Unterschiede bei der Übereinstimmung mit den modellierten Werten auf. Hier könnte sich die insgesamt geringe Stichprobengröße der GPS-Daten bemerkbar machen, da einzelne Häufungen in der Stichprobe der GPS-Daten besonders zum Tragen kommen. 4 Diskussion und Ausblick 4.1 Mobilfunk- und GPS-Daten in der Planungspraxis Der Vergleich von Quelle-Ziel-Matrizen aus empirischen Mobilfunk- und GPS-Daten mit den QZM aus dem Landesverkehrsmodell Bayern zeigte eine gute Übereinstimmung der relativen Verteilungen aus empirisch gemessenen und synthetisch ermittelten Quelle-Ziel-Matrizen. Eine grundsätzlich bestehende Schwäche der verwendeten GPS- und Mobilfunkdaten beim Einsatz in Verkehrsmodellen ist das Fehlen von Aktivitäten und der Klassifizierung von Personengruppen. Bei GPS-Daten ist die Bevölkerungsdurchdringung nicht ausreichend, um Aussagen über die Gesamtnachfrage treffen zu können. Hauptproblem der Mobilfunkdaten ist hingegen die zeitliche und räumliche Auflösung, was zur Bestimmung von Wegen jedoch wesentlich ist. Insbesondere die letztgenannten Punkte machen Verkehrsmodelle mit synthetisch erzeugter Nachfrage weiterhin unerlässlich als Werkzeug der Verkehrsplanung. Da es sich bei Verkehr um ein sehr dynamisches und komplexes System handelt, ist es nahezu unmöglich, die „Wahrheit“ in diesem System abschließend zu beschreiben. Mobilfunk- und GPS-Daten können ein Modell somit auch nicht „richtiger“ machen, jedoch kann durch deren Einsatz ggf. eine Erhöhung der „Glaubwürdigkeit“ erreicht werden. Entscheidende Punkte sind Transparenz, Nachvollziehbarkeit und damit Gerichtsfeste von Gutachten, die auf Basis von Mobilfunk- und GPS-Daten erstellt werden. Datenanbieter sind daher angehalten, die Prozesskette von der Erhebung, über die Algorithmen der Bearbeitung, bis zur Bereitstellung der Daten möglichst vollumfänglich zu dokumentieren und offenzulegen. Dies ist eine Voraussetzung, um die Berücksichtigung und Verwendung dieser Daten auch in einschlägigen Richtlinien der Verkehrsplanung voranzutreiben. Abhängig vom Geschäftsmodell kann der Einsatz von Mobilfunk- und GPS-Daten eine Kostenersparnis gegenüber klassischen Verkehrserhebungen bedeuten. Dies setzt jedoch voraus, dass Auftraggeber nicht in ein Abhängigkeitsverhältnis zu einzelnen Datenanbietern geraten. Es ist daher von großer Bedeutung, dass in diesem Bereich weiterhin Standards und Definitionen gesetzt werden, um neben der technischen Entwicklung die Etablierung eines Marktes sicherzustellen. Dadurch wird auch Start-Ups mit innovativen Ideen eine Partizipation in diesem Segment ermöglicht. 4.2 Verwendung der Daten bei der Planung neuartiger Verkehrssysteme Es hat sich gezeigt, dass die Stärke insbesondere von Mobilfunkdaten bei großräumigen Verkehrsbeziehung zum Tragen kommt, da dort die Schwierigkeit exakter Zuordnung von Endgeräten zu einzelnen Verkehrsbezirken eine untergeordnete Rolle spielt. Dies begünstigt den Einsatz von Mobilfunkdaten bei der Planung von Verkehrssystemen, die derartige großräumige Relationen bedienen. Dies können klassische Flugverbindungen, aber auch neuartige Transportsysteme für Personen und Güter aus dem Bereich der Urban Air Mobility (UAM) sein. Indem sich der Einsatz von Mobilfunkdaten auf die Potentialabschätzung für großräumige Relationen beschränkt, relativiert sich zudem die systematische Unterschätzung kurzer Wege. 5 Literatur [1] M. Fellendorf et al. (2011). KOMOD – Konzeptstudie Mobilitätsdaten Österreichs: Konzeptstudie der Programmlinie ways2go. BMVIT. [3] M. Cik, M. Fellendorf, J. Vogel. (2014). Mobilfunkbewegungsdaten als Erweiterung der Datengrundlage für Verkehrsmodelle. Straßenverkehrstechnik 11, S. 739-744. [5] N. Caceres, J.P. Wideberg, F.G. Benitez. (2008). Review of traffic data estimations extracted from cellular networks. IET Intelligent Transport Systems vol. 2, S. 179-192. [6] H. Hochgürtel. (2018). 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