FGSV-Nr. FGSV 002/140
Ort Stuttgart
Datum 13.03.2024
Titel Ein Modellsystem zur Abschätzung der Auswirkungen der Pkw-Automatisierung auf das deutsche Verkehrssystem
Autoren M.Sc. Nina Thomsen, M. Sc. Dennis Seibert, Michael Schrömbges, Prof. Dr.-Ing. Christine Eisenmann
Kategorien HEUREKA
Einleitung

Kurzfassung

Die Einführung des vernetzten und automatisierten Fahrens (connected and automated driving-CAD) in den Massenmarkt wird sich auf das Verkehrssystem auswirken. Um abzuschätzen, wie sich diese Auswirkungen darstellen, kommt ein System bestehend aus drei zusammenhängenden Modellen zum Einsatz: ein Pkw-Besitzmodell, ein Pkw-Bestandsmodell und ein Nachfragemodell. Mit der Modellkette werden zwei Szenarien der Automatisierung von privaten und geteilten Fahrzeugen für Deutschland im Jahr 2050 berechnet. Die Ergebnisse zeigen, dass die Einführung privater autonomer Fahrzeuge zu einem leichten Anstieg des Pkw-Besitzes (+1%) und der gefahrenen Fahrzeugkilometer (+3%) führt. Das zusätzliche Angebot von automatisiertem On-Demand-Verkehr in Städten kann den Pkw-Besitz reduzieren (-4%), die Verkehrsleistung des Straßenpersonenverkehrs insgesamt steigt jedoch aufgrund der neuen Mobilitätsdienste (+ 5%).

 

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1 Einleitung

Der technologische Fortschritt und die ständige Weiterentwicklung automatisierter Systeme prägen das heutige und zukünftige Verkehrssystem. Groß angelegte Feldversuche mit automatisierten Fahrzeugen und daraus resultierenden neuen Dienstleistungen sind in der Praxis noch selten, werden aber zunehmend vorangetrieben (z.B. MOIA in Hamburg, [1]). Während des Übergangs zu einem stärker automatisierten Straßenpersonenverkehr spielen Verkehrsmodelle daher eine wichtige Rolle bei der Bewertung der potenziellen Auswirkungen der Automatisierung. Modelle können Veränderungen im Verkehrsverhalten auf der Grundlage von Beobachtungsdaten und erklärten Präferenzen simulieren. In einem innovativen Ansatz wurde erstmals eine integrierte Modellierung mit drei Modellen, die durch eine Modellkette verbunden sind und das deutsche Bundesgebiet abdecken, entwickelt. Der Einsatz dieser Modellkette ermöglicht sowohl eine flächendeckende als auch eine regional differenzierte Abschätzung der Auswirkungen. Darüber hinaus reagiert das Modell auf Rückkopplungseffekte zwischen verschiedenen Regionen. So können politische Empfehlungen auf mehreren Ebenen abgeleitet und die Transformation zur Automatisierung des Verkehrs nachhaltig gesteuert werden.

Die Modellierung der Auswirkungen des vernetzten und automatisierten Fahrens (Connected and Automated Driving, CAD) auf das Verkehrsverhalten ist ein wesentlicher Bestandteil der bisherigen Forschung zur Automatisierung des Straßenverkehrs. Die meisten Studien fokussieren einzelne Aspekte wie die methodische Implementierung von autonomen Fahrzeugen und verbundener Angebote, die Auswirkungen auf die Straßenkapazität oder Effekte geteilter Mobilität (Soteropoulos et al. 2019, [2]). In diesen Studien sind agentenbasierte Simulationen oft die bevorzugte Methode (z. B. Bischoff & Maciejewksi, 2016, [3] oder Fagnant & Kockelman, 2014, [4]). Angesichts des Umfangs eines nationalen Modells ist jedoch ein aggregierter makroskopischer Ansatz praktikabler. Friedrich et al. (2019, [5]) und Sonnleitner et al. (2021, [6]) verwenden makroskopische Verkehrsnachfragemodelle und nehmen feste Raten für die Diffusion von autonomen Fahrzeugen im privaten Fahrzeugbestand an. CAD wirkt sich jedoch sowohl auf langfristige Haushaltsentscheidungen wie Pkw-Besitz und Wahl der technologischen Ausstattung der Fahrzeuge als auch auf kurzfristige Entscheidungen zur Verkehrsmittelwahl aus (Kim et al., 2020, [7]). Die vorliegende Studie zielt darauf ab, sowohl die langfristigen als auch die kurzfristigen Auswirkungen von CAD abzuschätzen. Aus diesem Grund wird ein makroskopisches Verkehrsnachfragemodell mit vorgelagerten Modellen für den Pkw-Besitz und den Pkw-Bestand kombiniert, um realistischere Annahmen der Verkehrsmittelverfügbarkeit und Technologiediffusion in der Verkehrsnachfragemodellierung zu berücksichtigen.

2 Methodik

Die Automatisierung von Personenkraftwagen vollzieht sich auf zwei Pfaden: die Automatisierung von Privatfahrzeugen (Autonomous Vehicles – AV) und die Einführung neuer Dienste wie bedarfsgesteuerte, gemeinsam genutzte Flotten (Shared Autonomous Vehicles - SAV). Für diese Pfade ist es entscheidend, dass Fahrzeuge mit einem SAE-Level 4 oder höher auf dem Massenmarkt verfügbar sind. Beide Pfade beeinflussen das Verkehrssystem auf unterschiedliche Weise, insbesondere im Hinblick auf den Pkw-Besitz und das Verkehrsverhalten. Die Integration neuer Verkehrsmittel in das System erfordert eine optimale Gestaltung in Bezug auf Infrastruktur, Fahrzeuggröße und Betrieb. Anfängliche Modellierungsansätze zur Ermittlung möglicher Service-Layouts beruhen in hohem Maße auf Annahmen, da die zukünftigen Entwicklungen (z. B. Pkw-Besitzraten, Zeitwerte) unbekannt sind. Um die Genauigkeit der Prognose der Auswirkungen der Automatisierung zu erhöhen, wird ein spezielles Modellsystem für Deutschland verwendet, welches aus den drei in Abbildung 1 dargestellten Modellen besteht: Pkw-Besitzmodell (COM), Pkw-Bestandsmodell (CAST) und Verkehrsnachfragemodell DEutschland-MOdell (DEMO). Diese Modellkette ermöglicht es, die Auswirkungen der Fahrzeugautomatisierung auf die Besitzentscheidung, auf die Flottenentwicklung im Zeitablauf und auf das Verkehrsverhalten für das Jahr 2050 zu simulieren.

Abbildung 1:  Modellsystem zur Ermittlung der Auswirkungen von CAD auf das Verkehrsverhalten (Quelle: Schrömbges et al., 2023, [8])

2.1 Pkw-Besitzmodell

Der Pkw-Besitz beeinflusst nicht nur die Infrastrukturplanung, sondern auch die Verkehrsnachfrage wie die Verkehrserzeugung und die Verkehrsmittelwahl (Ortúzar & Willumsen, 2011, [9]). Die beiden dargestellten Pfade der Automatisierung haben entgegengesetzte Auswirkungen auf die Motorisierung. Die Automatisierung von Privatfahrzeugen könnte den Pkw-Besitz erhöhen, indem sie beispielsweise neuen Nutzergruppen ohne Führerschein den Besitz eines Privatfahrzeugs ermöglicht. Im Gegensatz dazu könnten gemeinsam genutzte automatisierte Dienste günstig und flexibel sein und somit eine praktikable Alternative zum Privatwagen darstellen, was zu einem Rückgang des Pkw- Besitzes führen würde. Um diese beiden Effekte zu quantifizieren, ist es notwendig, den Pkw- Besitz unter den Bedingungen der Automatisierung zu prognostizieren. Zu diesem Zweck wurde ein Car Ownership Model (Schrömbges & Kuhnimhof, 2023, [10]) entwickelt. Dieses verwendet zwei sequentielle binäre Logit-Modelle, um die Entscheidung zu simulieren, ob ein Haushalt ein Auto besitzt (ja/nein), und wenn ja, ob es von einem oder mehreren Haushaltsmitgliedern genutzt wird. Die Basis von COM ist der georeferenzierte Haushaltsdatensatz der Studie Mobilität in Deutschland (MiD) (MiD 2017, infas et al., 2019, [11]), welcher die soziodemographischen Eigenschaften wie beispielsweise das Alter der ältesten Person, die Haushaltszusammensetzung anhand der Anzahl der Erwachsenen, Erwerbstätigen und Kinder sowie den ökonomischen Status beinhaltet. Das Modell wird für das Jahr 2050 unter Verwendung von Bevölkerungsprognosen angewendet. Anhand des Wohnstandortes werden zusätzlich die Raumstruktur in Form der Gemeindegröße, Bevölkerungs- und Gebäudedichte sowie die Attribute des Verkehrssystems wie der Garagenanteil und die Erreichbarkeiten mit dem Pkw und ÖPNV imputiert. Über die Erreichbarkeit bildet das Modell die zukünftige Entwicklung von Automatisierung ab. Zum einen erhöht die Automatisierung des privaten Pkw die Erreichbarkeit mit dem Auto, da das Reisen komfortabler wird und somit die Kosten der Reisezeit sinken. Zum anderen verbessern gemeinsam genutzte automatisierte Fahrzeugflotten die Erreichbarkeit des öffentlichen Nahverkehrs durch die Schaffung neuer Tür-zu-Tür- oder Zubringerverbindungen zur nächsten Station. Das Ergebnis von COM sind Veränderungen in der Wahrscheinlichkeit für den Pkw-Besitz eines Haushalts. In Kombination mit der allgemeinen Pkw-Dichte pro Haushalt entstehen Pkw-Besitzquoten. Die auf diese Weise errechnete Veränderung des Pkw-Besitzes im Jahr 2050 dient als Input für das nachgelagerte Pkw-Bestandsmodell CAST

2.2 Pkw-Bestandsmodell

Nach der Modellierung der Auswirkungen der Automatisierung auf den Pkw-Besitz schätzt CAST die Diffusion von automatisierten Fahrzeugen im deutschen Pkw-Bestand des Jahres 2050. CAST ist ein dynamisches agentenbasiertes Modell, das die Entwicklung des Pkw- Bestands in jährlichen Schritten simuliert (Kröger et al., 2018, [12]). Kern von CAST ist ein Entscheidungsmodell für den Autokauf durch private Haushalte. Die Haushaltsinformationen basieren auf den Daten der MiD 2017 und werden mittels einer Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamtes (Destatis) fortgeschrieben. Das Entscheidungsmodell besteht aus drei diskreten Wahlmodellen, die aufeinander aufbauend den Pkw-Kauf, im Fall eines Gebrauchtwagens die Wahl einer Qualität und die Wahl eines Automatisierungsgrads abbilden (siehe Abbildung 2). Die Entscheidung für den Kauf eines Neu- oder Gebrauchtwagens im aktuellen Jahresschritt wird mit einem Mixed-Logit-Modell simuliert, während für die Wahl der Qualität bei Kauf eines Gebrauchtwagens ein Ordered-Logit-Modell angewandt wird. Die Wahl des Automatisierungsgrades erfolgt im Anschluss in Kombination mit der Wahl des Antriebs und des Fahrzeugsegments.

Abbildung 2: Schematische Übersicht des Pkw-Bestandsmodells CAST

Da hochautomatisierte Fahrzeuge mit erheblichen Zusatzkosten verbunden sind, entscheiden sich Haushalte mit hohem Einkommen als erste für diese Fahrzeuge. Auch eine hohe jährliche Fahrleistung erhöht die Wahrscheinlichkeit, ein hochautomatisiertes Fahrzeug zu kaufen. Der Pkw-Bestand wird aus den Transaktionen auf dem Neu- und Gebrauchtwagenmarkt abgeleitet; dabei werden Verteilungen von Haltedauern und eine alters- und laufleistungsabhängige Fahrzeugverschrottung berücksichtigt. Auf diese Weise ist CAST in der Lage, die Durchdringung privater automatisierter Pkw umfassender abzuschätzen als Modelle, die nur den Markt für neue Pkw betrachten. Die Verbreitung automatisierter Privatfahrzeuge basiert auf drei Schlüsselfaktoren: erstens dem Jahr der Markteinführung von Pkw mit SAE-Stufe 4 oder höher, zweitens den zusätzlichen Kosten der Technologie im Vergleich zu Fahrzeugen ohne oder mit niedrigerem Automatisierungsgrad und drittens auf Modellannahmen, die alle zusätzlichen Faktoren zusammenfassen, die Haushalte am Kauf eines automatisierten Privatfahrzeugs hindern. Solche Faktoren können mit Sicherheits- oder Datenschutzbedenken oder mit der Freude am unabhängigen Fahren zusammenhängen. Unter Berücksichtigung der von COM modellierten automatisierungsbedingten Veränderungen des Pkw-Besitzes differenziert CAST den deutschen Pkw-Bestand im Jahr 2050 nach Fahrzeugautomatisierung und verschiedenen personenbezogenen Informationen (z.B. Regionstyp, Erwerbsstatus). Diese Informationen dienen als Input für das Verkehrsnachfragemodell DEMO.

2.3 Verkehrsnachfragemodell

Aufbauend auf dem Pkw-Bestand aus CAST werden im deutschlandweiten Verkehrsnachfragemodell DEMO die Auswirkungen von CAD auf das Verkehrssystem und die Verkehrsnachfrage modelliert. Der Pkw-Besitz der Bevölkerung wird in DEMO durch eine Pkw- Verfügbarkeitsrate modelliert, die zunächst anhand der MiD 2017 kalibriert wurde. Die Verfügbarkeit ist ein Attribut einer Verkehrszelle und es gibt regionale Differenzierungen. Um die Auswirkungen des automatisierten Fahrens auf den Pkw-Besitz und die Verbreitung privater automatisierter Fahrzeuge aus den Modellen COM und CAST zu berücksichtigen, werden die Basisverfügbarkeiten inkrementell angepasst. Die Sätze für die inkrementellen Anpassungen werden durch den Vergleich des modellierten Pkw-Besitzes mit einem Referenzszenario ohne automatisierte Fahrzeuge abgeleitet. Da der Pkw-Besitz eine langfristige Entscheidung der Haushalte ist, ist die Wahl zwischen verschiedenen Fahrzeugtypen kein logischer Bestandteil eines Standardmodells für die Verkehrsmittelwahl.

Daraus folgt, dass die Verfügbarkeit eines bestimmten Fahrzeugtyps eher als Vorbedingung einbezogen werden sollte. Die Lösung für dieses Problem in DEMO ist ein umstrukturiertes Nachfragemodell. Es besteht aus einem unveränderten Basismodell, das für die individuelle Verkehrserzeugung mit festen Mobilitätsraten verwendet wird. Diese generierten Fahrten werden dann auf zwei spezielle Teilmodelle verteilt, die entweder konventionelle oder automatisierte Fahrzeuge als Pkw-Alternative anbieten, basierend auf den CAST- Diffusionsraten und der allgemeinen Pkw-Verfügbarkeit. Die Verkehrsmittel- und Zielwahl wird dann für beide Teilmodelle mit der gegebenen Gesamtzahl von Fahrten berechnet, unter Anwendung der in Winkler & Mocanu (2017, [13]) näher beschriebenen Methoden. Die Auswirkungen des automatisierten Fahrens werden im Rahmen dieser Studie für Alltagswege bestimmt, dafür wird DEMO für den Nahverkehr (Wege unter 100 km) angewendet. DEMO verwendet ein Modell-Setup mit einer kombinierten Verkehrsmittel- und Zielwahl unter Verwendung eines multinomialen Logit-Modells (MNL). Die Nutzenfunktionen innerhalb des Nachfragemodells umfassen Komponenten wie Reisezeit und Kosten, wobei Präferenzparameter und Nutzenformulierungen aus einer Zeitwertstudie für Deutschland verwendet werden (Ehreke et al., 2015, [14]). Für automatisiertes Fahren werden Reisezeiten durch reduzierte wahrgenommene Reisezeiten ersetzt, basierend auf Umfrageergebnissen von Steck et al. (2018, [15]). Dabei werden alle Wege mit Reisezeiten über 5 Minuten und Entfernungen unter 10 km mit einem Faktor 0,87, längere Wege mit dem Faktor 0,79 multipliziert. Grundlage dafür ist die Annahme, dass durch den Wegfall des manuellen Fahrens die Reisezeit für andere Dinge genutzt werden könnte und dadurch als kürzer wahrgenommen wird. Zusätzlich werden neue Modi implementiert, die geteilte autonome Fahrzeuge als On- Demand-Service in Großstädten anbieten, entweder als Taxi-ähnliche Einzelfahrt oder geteilt mit anderen Passagieren, die in eine ähnliche Richtung reisen. Deren Nutzen im Verkehrsmittelwahlmodell wird anhand einer Mischung aus Präferenzparametern für das Auto und den öffentlichen Verkehr berechnet. Flottengröße, Kosten, Umwege und Fahrten werden mit Hilfe eines Bündelungs-Algorithmus für makroskopische Modelle (Friedrich et al., 2018, [16] und Thomsen, 2022, [17]), eines Tourenplanungsalgorithmus (Hartleb et al., 2022, [18]) und Angaben von Branchenexperten zu Fix- und Betriebskosten ermittelt. Da Routing und Reisezeiten durch eine neue Anzahl von Fahrzeugfahrten beeinflusst werden, gibt es mehrere Iterationen der Verkehrsmittel- und Zielwahl sowie der Umlegung. Die Berechnungen werden für alltägliche Fahrten durchgeführt, andere Pkw-Fahrten und der Güterverkehr werden als festes Straßenvolumen in die Umlegung einbezogen. Als Ergebnis werden verschiedene Indikatoren erzeugt, um die Auswirkungen der Automatisierung auf den straßengebundenen Personenverkehr zu bewerten, einschließlich Modal Splits, Fahrzeugkilometer und Reisezeiten auf nationaler und regionaler Ebene.

2.4 Modellschnittstellen

Für die Ermittlung der Auswirkungen der Pkw-Automatisierung werden die drei beschriebenen Modelle COM, CAST und DEMO zu einer Modellkette verknüpft. Dabei werden Ergebnisse zwischen den Modellen ausgetauscht, was in einem iterativen Prozess zum finalen Ergebnis führt (siehe Abbildung 1). Zu Beginn wird mit dem Pkw-Besitzmodell COM die Veränderung der Pkw-Dichte nach Regionaltyp aufgrund veränderter Erreichbarkeiten durch die Automatisierung bestimmt. Diese Änderung wird im Pkw-Bestandsmodell CAST genutzt, um den Pkw-Bestand für das Jahr 2050 zu modellieren. Das Ergebnis von CAST ist eine synthetische Bevölkerung, deren Haushalte nach Regionaltyp klassifiziert werden können und die Informationen zum Pkw-Bestand und dem Automatisierungsgrad enthält. Dieses Ergebnis wird für die Nutzung im Nachfragemodell DEMO weiterprozessiert, indem Veränderungen der Pkw-Besitzraten sowie die Anteile von AVs nach Regionaltyp ermittelt werden. DEMO liefert abschließend aktualisierte Erreichbarkeiten, die als Eingabeparameter in einer nächsten Iteration von COM genutzt werden. Weiterhin können Parameter von CAD wie Umwegfaktoren und Wartezeiten bei geteilten AVs in COM genutzt werden.

3 Ergebnisse und Diskussion

Abbildung 3: Auswirkungen von CAD auf die Verkehrsnachfrage im Nahverkehr in DEMO und die Pkw-Dichte in COM

Für die Ermittlung der Effekte der Entwicklungspfade wird die beschriebene Modellkette für zwei Szenarien angewandt, die unterschiedliche Aspekte der Automatisierung widerspiegeln:

  • Automatisierung von Privatfahrzeugen (1): AVs sind als Privatfahrzeuge verfügbar, es gibt keine anderen damit verbundenen Mobilitätsdienste.
  • SAV in Großstädten (2): Neben den privaten AVs gibt es in deutschen Städten mit mehr als 000 Einwohnern SAV-Dienste in Form von Car- und Ride-Sharing auf Abruf.

In den Szenarien wird vom Jahr 2035 für die Markteinführung von Pkw des SAE Levels 4+ ausgegangen. Die Ergebnisse der Szenarien werden mit einem Referenzszenario (0) für das Jahr 2050 ohne Fahrzeugautomatisierung verglichen (siehe Abbildung 3). Es umfasst die beiden Pkw-Modi PCV (private konventionelle Fahrzeuge) und PAV (private AV), den öffentlichen Nahverkehr (PuT), die aktiven Modi Fuß und Rad sowie die SAV-Modi Carsharing (SAVc) und Ride-Sharing (SAVr).

Mit der Einführung von automatisierten Privatfahrzeugen steigt der Pkw-Besitz um etwa 1%. Dieser Anstieg ist die relative Veränderung zwischen dem Pkw-Bestand in der Referenz des Prognosenullfalls ohne Automatisierung und dem Szenario mit Automatisierung im Prognosejahr 2050. Die Ursache des Wachstums liegt in der Verdopplung der Erreichbarkeit durch Automatisierung von Privatfahrzeugen. Die Bestandsdiffusion automatisierter Privatfahrzeuge im Jahr 2050 beträgt bis zu 43%. Bei der gegebenen Verbreitung privater automatisierter Fahrzeuge steigt die Zahl der täglichen Pkw-Fahrten um 5%, wobei der Anstieg in ländlichen Regionen stärker ausfällt. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass vorrangig Fahrten mit dem ÖV durch mehr Pkw-Fahrten ersetzt werden. Auch die jährliche Fahrleistung im Nahverkehr (Wege unter 100 km) nimmt um etwa 3% zu. Eine weitere Beobachtung ist der Unterschied in der durchschnittlichen Reisezeit pro Autofahrt, da die Fahrten mit automatisierten Fahrzeugen tendenziell 8% bis 10% länger sind als konventionell durchgeführte Fahrten. Dieser Effekt erscheint logisch, wenn man bedenkt, dass sich die wahrgenommenen Reisezeiten beim automatisierten Fahren reduzieren.

Die Einführung gemeinsam genutzter autonomer Fahrzeuge in Form von On-Demand-Car- und Ride-Sharing in Großstädten reduziert den Pkw-Besitz im Durchschnitt um 4%. Dies führt zu einer Verringerung der Pkw-Fahrten um fast 7% im Vergleich zu einem Szenario mit ausschließlich privaten automatisierten Fahrzeugen, aber die Gesamtfahrleistung einschließlich gemeinsam genutzter Fahrzeuge steigt um fast 2%. Dies ist ein Anstieg um 5% im Vergleich zum nichtautomatisierten Referenzszenario. Außerdem ist ein Anstieg der mittleren Reisezeit im Pkw-Verkehr um 22% zu beobachten, was nochmal einen Anstieg um 9 Prozentpunkte im Vergleich zu Szenario 1 ohne SAV darstellt. Da die mittleren Distanzen sich nur geringfügig verändern, lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass das zusätzliche Verkehrsaufkommen durch gemeinsam genutzte Fahrzeuge zu erhöhten Stauraten im Modell führt. Die Besetzungsgrade für die geteilte Flotte liegen zwischen 1,19 und 1,36 mit Flottengrößen zwischen 7,9 und 26,4 Fahrzeugen pro 1000 Einwohner. Ein Grund für die unterschiedliche Ausprägung der Indikatoren ist die Heterogenität der Servicegebiete, mit Bevölkerungszahlen zwischen 100.000 und 4.000.000. Insgesamt liegt die jährliche Verkehrsleistung der SAV-Angebote bei 42 Mrd. km, wodurch sich ein mittlerer Besetzungsgrad über alle Servicegebiete von 1,35 ergibt.

4 Zusammenfassung und Ausblick

Das hier vorgestellte Modellsystem kombiniert auf einzigartige Weise zwei Modelle zur Abbildung langfristiger Entscheidungen (Pkw-Besitzmodell COM, Pkw-Bestandsmodell CAST) mit einem klassischen Verkehrsnachfragemodell (DEMO), um die Auswirkungen von CAD auf den Pkw-Besitz, die Verkehrsnachfrage und den Verkehrsfluss im Szenariojahr 2050 umfassend abzubilden. Der Vorteil dieser Modellkombination liegt darin, dass der Pkw-Besitz und die Diffusion von automatisierten Fahrzeugen nach aktuellem Wissensstand möglichst genau und Szenario-sensitiv abgebildet werden. Dies ist ein erheblicher Erkenntnisgewinn im Vergleich zum bisherigen State-of-the-Art, bei dem bei der Abbildung von CAD in Verkehrsnachfragemodellen lediglich Annahmen zu Pkw-Besitz und Flottenentwicklung genutzt wurden.

Darüber hinaus ermöglicht der nationale Geltungsbereich (Deutschland) eine groß angelegte Bewertung der möglichen Auswirkungen des autonomen Fahrens auf das Verkehrssystem, was die Methode zu einem nützlichen Instrument für Politik und Entscheidungsträger macht. Die Modellkette berücksichtigt somit die Auswirkungen der Automatisierung auf mehreren Ebenen. Darüber hinaus ermöglicht die Implementierung von Rückkopplungsschleifen die Analyse der Wechselwirkungen zwischen lang- und kurzfristigen Effekten in der zukünftigen Forschung, z.B. wie sich Entscheidungen zum Pkw-Besitz auf Serviceindikatoren des SAV- Betriebs auswirken.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Einführung von CAD sowohl über private als auch geteilte Fahrzeuge einen geringen Einfluss auf den Pkw-Besitz in der Größenordnung von -4% bis +1% bei einer Diffusionsrate von etwa 40 % in 2050 besitzen. Sie geht jedoch mit einem Anstieg der Fahrleistung einher, wobei SAV voraussichtlich zu mehr Staus in den Städten führen. Diese Erkenntnisse können politischen Entscheidungsträgern als Grundlage für die Gestaltung eines automatisierten Verkehrssystems dienen. Darüber hinaus ist das vorgestellte Modellierungssystem für die Berechnung verschiedener Szenarien mit politischen Maßnahmen anwendbar, wobei die Auswirkungen auf verschiedenen Ebenen bewertet werden, und die Möglichkeit besteht, regionale Unterschiede zu ermitteln. Da die Pkw- Verfügbarkeit einen starken Einfluss auf die Verkehrsnachfrage und das Verkehrsverhalten hat, hilft die Einbeziehung von Modellergebnissen anstelle von angenommenen Effekten bei der Analyse von Maßnahmen, die auf den Pkw-Besitz abzielen, wie etwa Steuern und Anreize.

5 Danksagung

Die Autoren bedanken sich für die Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Projekts "Connected and Automated Driving Japan Germany (CADIA)". Weitere Ergebnisse sind in einer gemeinsamen Buchveröffentlichung zu finden (DLR et al., 2023). Wir bedanken uns bei Dr. Thomas Meissner und Jonas Hennig für die umfangreichen Beiträge zum Markteintritt und zu den Kosten von automatisierten Privatfahrzeugen der Stufe 4+ sowie zu den Kosten gemeinsam genutzter autonomer Fahrzeugflotten und bei unserem Kollegen Dr.-Ing. Christian Winkler für fundierte Diskussionen.

6 Literatur

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