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1 Einleitung
Um den zukünftigen Herausforderungen bei der Abnahme und dem Betrieb von Verkehrsflächen zu entsprechen, ist es notwendig, den in der Praxis tätigen Ingenieuren und Unternehmen ganzheitliche (möglichst computergestützte) Analyse- und Beurteilungsverfahren zur Verfügung zu stellen. Mithilfe dieser Verfahren gelingt es, das Verhalten von Verkehrswegebefestigungen unter äußeren Einwirkungen aus Verkehr und Witterung am Computer zu analysieren und die Befestigungen bezüglich Tragfähigkeit, Griffigkeit, Ebenheit, Dauerhaftigkeit und Schadensanfälligkeit zu beurteilen und zu optimieren.
Auswirkungen verkehrlicher und klimatischer Änderungen – wie beispielsweise das steigende Verkehrsaufkommen, tendenziell höhere Achslasten, neue funktionale Anforderungen zur Verbesserung der Sicherheit und des Fahrkomforts, die Verknappung und Verteuerung hochwertiger Rohstoffe oder das vermehrte Auftreten starker Regenereignisse und langanhaltender Hitze- bzw. Kälteperioden – zwingen die im Bereich des Verkehrswegebaus tätigen Ingenieure und Unternehmen, die herkömmlichen Konstruktions- und Herstellungsprinzipen, Vorgaben und Baustoffe zu überprüfen und gegebenenfalls zu verbessern.
Nur ein ganzheitlicher Ansatz, der die Bestandteile Fahrzeug, Reifen und Fahrbahn umfasst (Bild 1), schafft ein tieferes Verständnis der komplexen Interaktionsmechanismen und erlaubt problemangepasste Beurteilungs- und Lösungsstrategien.
Bild 1: Gekoppeltes System Fahrzeug-Reifen-Fahrbahn
Die vorliegende Veröffentlichung adressiert lediglich die Teilaspekte Reibung zwischen Reifen und Fahrbahn (Griffigkeit) und Schwingungsverhalten des Fahrzeuges und des Reifens auf unebenen Fahrbahnen und dessen Auswirkungen (Bewertetes Längsprofil). Andere Aspekte der Fahrzeug-Reifen-Fahrbahn-Interaktion – wie beispielsweise die Entstehung von Lärm oder von Rollwiderständen oder die frühzeitige Ermüdung der Fahrbahn infolge hoher dynamischer Achslasten – werden im Rahmen der Veröffentlichung nicht behandelt. Die theoretischen Zusammenhänge der Griffigkeits- und Längsebenheitsanalyse werden in der Veröffentlichung lediglich kurz erläutert, fokussiert wird auf die Anwendung der Algorithmen zur ingenieurpraktischen Beurteilung von Griffigkeit und Längsebenheit.
2 Computergestützte Verfahren zur Beurteilung der Griffigkeit
Die Griffigkeit einer Straßenoberfläche spielt eine wichtige Rolle im Hinblick auf die Verkehrssicherheit. Zwar wurde ein statistischer Zusammenhang zwischen Griffigkeit und Unfallgeschehen eines Straßenabschnittes lange Zeit als nicht gegeben angesehen, jedoch konnte mit verschiedenen Arbeiten am Institut für Straßenwesen der RWTH Aachen nachgewiesen werden, dass die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Nass-Unfallhäufungsstelle eindeutig auch von der Griffigkeit abhängt. Damit ist auch der Zusammenhang Fahrgeschwindigkeit, Halte-Sichtweite und Griffigkeit in den Fokus der Forschung gerückt. Die Warn- und Schwellenwerte der Griffigkeit wurden für die Zustandserfassung von Straßen sowie die Abnahme- und Gewährleistungsanforderungen bei Bauverträgen neu definiert. Allerdings wird bis heute die Griffigkeit mit verschiedenen Messgeräten berührend gemessen. Durch die zahlreichen Einflüsse auf das Messergebnis wird schon seit Jahren angestrebt, aus der Textur einer Straßenoberfläche mithilfe von computergestützten Verfahren die Griffigkeit zu berechnen. Der Vorteil einer solchen Vorgehensweise liegt darin, das Reibpotenzial einer Straße unter genau definierten Bedingungen ermitteln zu können. Aufwendige und teurere Messverfahren, die stark von äußeren Messbedingungen – wie Lufttemperatur, Oberflächentemperatur und Annässungsgrad – abhängen, sind dann nicht mehr flächendeckend nötig.
Der Kraftschluss zwischen Reifen und Fahrbahn ist u. a. von folgenden fünf Einflussfaktoren abhängig: 1) dem Fahrzeug (Achslastverteilung, Bremskraftverteilung, Schwerpunktlage, Radstellung etc.), 2) dem Reifen (Dimension, Konstruktion, Material, Profiltiefe, Profildesign, Reifendruck, Reifentemperatur etc.), 3) dem Fahrzustand (Bremsung, Beschleunigung, Kurvenfahrt, Fahrgeschwindigkeit, Umgebungstemperatur etc.), 4) dem Fahrbahnzustand (trocken, nass, Wassertiefe, Verschmutzung, Schnee, Eis etc.) und 5) der Fahrbahn (Material, Mikrotextur, Makrotextur, Drainagevermögen etc.).
Im Bild 2a ist eine typische Bremsverzögerungskurve für eine ABS-Bremsung auf nasser Fahrbahn abgebildet. Nach einer kurzen Übergangsphase stellt sich eine konstante Abbremsung von in diesem Falle 9 m/s2 ein. Wenn wir mal annehmen, wir könnten den Luft-, Roll- und Steigungswiderstand sowie den Einfluss der rotierenden Massen durch Räder, Motor und Getriebe vernachlässigen und hätten ein Fahrzeug vor uns, das das Kraftschlusspotential an der Vorder- und Hinterachse durch entsprechende Bremskraftverteilung voll ausschöpfen kann, dann könnten wir eine direkte Verbindung zwischen der erreichten Verzögerung und dem Kraftschlusspotenzial der Fahrbahn bzw. der Reifen/Fahrbahn-Kombination herstellen. Das Kraftschlusspotenzial bei Nässe würde sich reduzieren auf μwet = a/g mit „a“ als der erreichten Abbremsung und „g“ der Erdbeschleunigung. Wir könnten es als Kraftschlusspotenzial “der Straße” oder als „Griffigkeit“ der Straße bezeichnen, weil es sozusagen das Optimum an Kraftschluss markiert, das ein „ideales“ Fahrzeug unter den gegebenen Randbedingungen Reifen, Fahr- und Fahrbahnzustand mobilisieren könnte. Wir könnten dann noch einen Schritt weitergehen und festhalten, dass sich das komplexe dynamische System „bremsendes Fahrzeug“ in diesem speziellen Fall auf eine einzelne abgebremste Masse reduzieren lässt, oder anders betrachtet, auf einen Gummiblock, der sich unter einer bestimmten Auflast gleitend über die Fahrbahn bewegt, wie im Bild 2b dargestellt.
Bild 2: a) Bremsverzögerungskurve einer ABS-Bremsung; b) Vereinfachtes dynamisches Modell
Bild 3: Konzept der Berührungslosen Griffigkeitsmessung
Diese Analogie legt den Ansatz nahe, das Kraftschlusspotenzial eines Fahrbahnbelages bzw. dessen Griffigkeit mittels eines Gummireibungsmodell aus der Textur der Straßenoberfläche zu berechnen. In einem weiteren Schritt folgt daraus unmittelbar das Konzept der Berührungslosen Griffigkeitsmessung, wie im Bild 3 dargestellt: 1) berührungslose Messung der Fahrbahnoberfläche (z. B. durch ein optisches System) und 2) Bestimmung des Kraftschlusspotenzials bzw. der Griffigkeit der Fahrbahn über ein Gummireibungsmodell auf Basis der gemessenen Texturdaten.
Die Gummireibung ist das beherrschende physikalische Phänomen bei der Griffigkeitsmessung. Sie beinhaltet verschiedene Komponenten: 1) die Hysteresekomponente, die aus der inneren Dämpfung des Gummis resultiert. Während des Gleitens über eine raue Oberfläche erzeugen die Rauheitsspitzen oszilliernde Kräfte auf die Gummioberfläche, die zu einer Energiedissipation durch die innere Dämpfung des Gummis führen. 2) die Adhäsionskomponente, die aus Anziehungskräften zwischen der Gummioberfläche und dem Untergrund resultiert. Sie spielt nur bei sauberen, relativ glatten Oberflächen und kleinen Gleitgeschwindigkeiten eine Rolle. 3) die Kohäsionskomponente, die den Energieanteil beinhaltet, der benötigt wird, um neue Oberflächen zu erzeugen. Sie ist mit Riefenbildung und Abrieb des Gummis verbunden; 4) die viskose Komponente, die aus der Scherung einer viskosen Zwischenschicht zwischen Reifen und Fahrbahn entsteht. Sie kann nur auf nasser Fahrbahn in Erscheinung treten. Bei der Scherung entsteht ein hydrodynamischer Druck, der den Reifen von der Fahrbahn abhebt und, abhängig von Fahrgeschwindigkeit und Wasserfilmdicke, zum Aquaplaning führen kann. Hysterese und Adhäsion werden als die beiden Hauptkomponenten der Gummireibung angesehen.
In den letzten Jahren ist sehr viel Arbeit in die Schaffung mathematischer Modelle für die Gummireibung investiert worden, namentlich von Persson, Klüppel und Heinrich, mit denen es möglich geworden ist, die Reibung zwischen einem Gummikörper und einer steifen, rauen Oberfläche quantitativ zu bestimmen [1, 2-5]. Bei diesen Theorien steht die Hysteresekomponente im Vordergrund, dennoch bieten sie die Möglichkeit, auch die Adhäsion zu berücksichtigen.
Das Modell, das wir für die Bestimmung der Griffigkeit aus der Textur verwenden, basiert auf der Theorie von Persson. Zum Vergleich zwischen gerechneten und gemessenen Reibwerten wurde das Wehner/Schulze-(W/S)-Messverfahren herangezogen – ein Labormessverfahren, das einer Blockierbremsung bei 60 km/h entspricht.
Weil Straßenoberflächen vergleichsweise rau sind und das Messverfahren bei angenässtem Zustand und unter hohen Gleitgeschwindigkeiten betrieben wird, kann die Adhäsionskomponente vernachlässigt und die Hysteresereibung als der entscheidende Reibmechanismus angesehen werden. Im Folgenden wird die Theorie von Persson in Form der wesentlichen Gleichungen vorgestellt. Für einen tieferen Einblick in die Herleitung wird jedoch auf die entsprechenden Veröffentlichungen, insbesondere [2-3], verwiesen.
Der Gleitreibungskoeffizient im stationären Zustand (µk) ist das Ergebnis von Hystereseverlusten auf einer weiten Skala von Rauheitsgrößenordnungen, wie in den folgenden Gleichungen ausgedrückt:
Formel 1 siehe PDF
Formel 2 siehe PDF
Formel 3 siehe PDF
Hierin bezeichnet q die Wegkreisfrequenz bzw. den Betrag des Wellenvektors q = (qx,qy) = (qcosϕ,qsinϕ) entsprechend einer Wellenlänge von λ = 2π/q. qL ist die untere Grenzfrequenz, wobei L die Größe eines Reifenprofilelementes darstellt (Größenordnung Zentimeter). q1 ist die obere Grenzfrequenz entsprechend einer Beschneidung des Anregungsspektrums zu kurzen Wellenlängen hin, die abhängig ist von den Messbedingungen, wie Verschmutzungen des Straßenbelages, Nass- oder Trockenreibung, Messgeschwindigkeit und Wassermenge, die aus der Reifen-Fahrbahn-Kontaktzone verdrängt werden muss. Auf nasser Straße wird die kleinste Wellenlänge durch die kleinsten Rauheitselemente bestimmt, die den Wasserfilm noch durchbrechen können bzw. durch die Größenordnung der in den Kavitäten eingeschlossenen Wasseransammlungen, die während des Gleitvorganges nicht mehr verdrängt werden können.
Die Funktion C(q) bezeichnet die zweidimensionale spektrale Leistungsdichte (Power Spectral Density, PSD) der Straßenoberfläche
Formel 4 siehe PDF
Hier ist h(x) die Oberflächenhöhe an der Stelle x = (x,y), gemessen von einer mittleren Bezugsfläche für die <h> = 0 gilt. Die geometrischen Eigenschaften der Oberfläche werden als isotrop angenommen, sodass C(q) nur vom Betrag q = |q| des Wellenvektors q abhängt. Ein typisches Beispiel für die zweidimensionale PSD einer Straßenoberfläche ist im Bild 4 abgebildet. Über die Gleitgeschwindigkeit v wird das Gummi zu Frequenzen f = qvcosϕ angeregt, die auf den Profilblock einwirken und abhängig sind von dem zwischen der Gleitrichtung und dem jeweiligen Wellenvektor eingeschlossenen Winkel ϕ. Sie bestimmen das Materialverhalten über den Verlustmodul Im(E(qvcosϕ)) in der „Reibungsgleichung“ (1) und den Absolutwert |E(qvcosϕ| in Gleichung (3), die die Kontaktbedingungen während des Gleitvorganges bestimmt.
Bild 4: Zweidimensionale Spektrale Dichte (PSD) eines Straßenbelags (Beispiel)
Das Bild 5 zeigt den frequenzabhängigen Elastizitätsmodul eines Gummis in Form seines Verlust- (blau) und Speichermoduls (rot). Für niedrige Anregungsfrequenzen verhält sich das Gummi relativ weich. Mit steigender Frequenz versteift es sich und erreicht zu hohen Frequenzen hin schließlich ein Maximum, das die Steifigkeit bei niedriger Frequenz um ein Vielfaches übertrifft, in diesem Falle um den Faktor 200, was den Speichermodul betrifft. In der Übergangszone durchläuft der Verlustfaktor (ImE/ReE) ein Maximum (hier nicht gezeigt). Das ist der Bereich, in dem die meiste Energie dissipiert wird. Noch zu erwähnen ist, dass σ0 den nominellen (makroskopischen) Kontaktdruck und ν die Querkontraktionszahl bezeichnet. Für Gummi kann ν = 0.5 angesetzt werden.
Bild 5: Verlust- und Speichermodul eines Gummis (schematisch)
Zuletzt muss noch die Kontaktfunktion P(q) = A(q)/A0 erklärt werden. Sie beschreibt das Verhältnis von realer zu nomineller (makroskopischer) Kontaktfläche in Abhängigkeit von dem betrachteten Längenmaßstab in Form der Wegkreisfrequenz q, wobei die Oberfläche oberhalb der betrachteten Wegkreisfrequenz (das heißt unterhalb des betrachteten Längenmaßstabs) jeweils als glatt angenommen wird. Über Gleichung (3) ist P(q) wiederum abhängig vom Kontaktdruck, der Gleitgeschwindigkeit, der Spektralen Leistungsdichte und den Materialeigenschaften in Form des Elastizitätsmoduls und der Querkontraktionszahl. Die reale Kontaktfläche ist normalerweise nur ein Bruchteil der nominellen Kontaktfläche, weil der Kontakt zwischen Gummi und Fahrbahn nur auf den Rauheitsspitzen der Textur stattfindet. Würde man eine einzelne Rauheitsspitze nun unter die Lupe nehmen, würde man feststellen, dass auch diese wiederum mit einzelnen Rauheitsspitzen bedeckt ist und der Kontakt wiederum nur auf diesen feinen Rauheitsspitzen stattfindet. P(q) beschreibt genau dieses skalenabhängige oder fraktale Kontaktverhalten. Ein Beispiel für eine Kontaktfunktion P(q) ist im Bild 6 dargestellt. Man kann erkennen, dass sich die Funktion zu kleinen Wegkreisfrequenzen (großen Längenskalen) hin dem Wert „1“ annähert (das heißt makroskopisch betrachtet entspricht die reale der nominellen Kontaktfläche) und zu hohen Wegkreisfrequenzen (kleinen Längenskalen) immer kleinere Werte annimmt.
Bild 6: Normalisierte Kontaktfunktion P(q) in Abhängigkeit von der Wegkreisfrequenz q (Beispiel)
Wir können an dieser Stelle festhalten, dass der Reibkoeffizient nach den Gleichungen (1) bis (3) das Ergebnis von Hysteresebeiträgen aus einem weiten Band von Frequenzen q ist, begrenzt auf der einen Seite von den Frequenzen, denen das Gummi gerade noch folgen kann, und auf der anderen Seite von der Größenordnung eines Profilstollens. Er ist abhängig vom Kontaktdruck, der Gleitgeschwindigkeit, der Textur der Straßenoberfläche und den Materialeigenschaften des Gummis in Form seines Elastizitätsmoduls und seiner Querkontraktionszahl.
Für die Modellierung werden folgende Annahmen getroffen: 1) Hysterese ist der dominierende Reibmechanismus, 2) Adhäsion kann aufgrund der vorherrschenden Gleitgeschwindigkeiten und Wassermengen, wie auch in Anbetracht der vergleichsweise hohen Rauheit von Straßenoberflächen vernachlässigt werden, 3) die Kontaktbedingungen entsprechen den Bedingungen der Grenzschichtreibung, bei der in Teilen trockener Kontakt hergestellt werden kann, 4) viskose Effekte sind gegenüber Hystereseeffekten vernachlässigbar, 5) das Wasser wirkt als Kühlmittel und sorgt für moderate Temperaturen im Kontaktbereich im Vergleich mit den Bedingungen bei der Trockenreibung, und 6) das Wasser wirkt wie ein Tiefpass-Filter, der die Wellenlängen, dem der Reifen folgen kann, zu kleinen Werten (also hohen Frequenzen) hin begrenzt (Wassereinschluss- und Verdrängungsgrenze).
Für den Vergleich mit der Wehner/Schulze-Maschine sind 33 verschiedene Oberflächen untersucht worden. 13 von ihnen waren Waschbetonoberflächen, die im Labor hergestellt wurden und unterschiedliches Größtkorn (8 und 11 mm) sowie unterschiedliche Polierzustände aufwiesen. 20 von ihnen waren Asphaltoberflächen, die aus Straßen und Parkplätzen gezogen wurden und Größtkorndurchmesser zwischen 5 und 11 mm aufwiesen. Mit Ausnahme von Oberfläche Nr. 26, einem SMA, bestanden alle anderen Oberflächen aus Asphaltbeton. Das Bild 7 zeigt beispielhaft einen Asphalt- und einen Betonprobekörper. Im Mittel standen zwei Probekörper pro Oberfläche zur Verfügung. Das konnte jedoch schwanken, je nach Verfügbarkeit und Verwendbarkeit. An den Proben wurde zunächst die Texturmessung (12 je 100 mm lange Längsprofile entlang des Messpfades der W/S-Griffigkeitseinrichtung) durchgeführt. Für die Texturmessung kam ein Chromatischer Weißlichtsensor zur Anwendung. Anschließend erfolgte die Griffigkeitsmessung.
Bild 7: Probenbeispiele: Asphaltbohrkern und Waschbetonprobe
Die gemessenen und berechneten Wehner-Schulze-Reibwerte sind in Tabelle 1 aufgeführt. Bild 8 zeigt den Vergleich mit den gemessenen Reibwerten. Für die Berechnung wurde ein nomineller (makroskopischer) Kontaktdruck von σ0 = 0.2 N/mm2, eine Querkontraktionszahl von ν = 0.5 und eine maximale und minimale Wellenlänge von 25 Millimetern bzw. 20 Mikrometern zugrunde gelegt. Die beste Übereinstimmung zwischen berechneten und gemessenen Reibwerten wurde für eine Hintergrundtemperatur im Gummi von 57 °C und mit einer im doppelt-logarithmischen Maßstab linearisierten Spektralen Dichte erzielt, für die die Prämisse galt, dass nur die Wellenlängen zwischen 1 Millimeter und 60 Mikrometern für das Fitting ausschlaggebend sind. Das bedeutet, dass zwar Wellenlängen zwischen 25 Millimetern und 20 Mikrometern in die Berechnung des Reibwertes eingehen, dass aber der Bereich zwischen 1 Millimeter und 60 Mikrometer als maßgebend für den Reibwert betrachtet wird (das ist die Rauheit auf den Gesteinskörnern).
Tabelle 1: Untersuchte Oberflächen für den Vergleich mit der Wehner-Schulze-Maschine
Wie man dem Bild 8 entnehmen kann ist die Übereinstimmung zwischen gemessenen und berechneten Reibwerten sehr gut (R2 = 0.97). Die blauen Punkte markieren die jeweiligen Mittelwerte der 33 Oberflächen, die weißen Punkte die Einzelwerte (70 an der Zahl). Der 95-%-Vertrauensbereich ist im Bild 8b dargestellt. An der Taille beträgt das 95-%-Konfidenzintervall +/- 0.04 und die mittlere Abweichung (Streuung) 0.02.
Bild 8: Wehner-Schulze-Maschine: Vergleich zwischen gemessenen und berechneten Reibwerten
Die Ergebnisse erscheinen sinnvoll. 60 °C ist eine typische Reifentemperatur für die Fahrt auf trockener Straße. Auf nasser Straße ist die Reifentemperatur infolge der Kühlung durch das Wasser niedriger – typischerweise im Bereich um 30 °C [6]. Das heißt, dass Gummitemperaturen von 57 °C im Falle der Wehner/Schulze-Maschine als mittlere Temperaturen im Kontaktbereich zwischen Reifen und Fahrbahn bei Gleitvorgängen auf nasser Fahrbahn durchaus erwartet werden können.
3 Computergestützte Verfahren zur Beurteilung der Ebenheit
Traditionell wird die Längsebenheit mit antiquiert anmutenden Verfahren – wie beispielsweise die 4-Meter-Latte – gemessen. Der Nachteil dieser Verfahren liegt in dem Sachverhalt begründet, dass lediglich kurzwellige Unebenheiten identifiziert werden können. Langwellige Unebenheiten, die besonderes bei hohen Fahrgeschwindigkeiten problematisch sind, und Periodizität werden nicht erfasst. Ein erster Entwicklungsschritt wurde mit der Einführung zum Längsebenheitswirkindex (LWI) unternommen. Hierbei wird die Wirkung der Unebenheit auf die Beschleunigung im Fahrersitz, auf die Beschleunigung des Ladegutes und auf die dynamischen Achslasten projiziert. Mit einem Normierungsverfahren wird die maßgebende Wirkgröße identifiziert und daraus der LWI berechnet. Allerdings kann dieses Verfahren lediglich für fest definierte Fahrgeschwindigkeiten eingesetzt werden. Mit dem Bewerteten Längsprofil liegt ein weiterer Entwicklungsschritt vor, mit welchem Fahrgeschwindigkeit explizit im Auswerteverfahren automatisch berücksichtigt wird. Darüber hinaus ist diese neue Bewertung der Fahrbahn in Längsrichtung, unabhängig vom Fahrzeugtyp und wie erwähnt von der Geschwindigkeit – was zweifelsfrei ein wesentlicher Vorteil aller bisher entwickelten Längsebenheitsbewertungsverfahren ist.
Das am Institut für Straßenwesen der RWTH Aachen entwickelte Verfahren bewertet die Ebenheit einer Fahrbahn nach dem Wirkungsprinzip, das heißt welche Auswirkungen hat das Befahren einer Fahrbahn im Hinblick auf Fahrkomfort, Ladegutbeanspruchung und dynamische Achslasten. Hierzu wird das Fahrzeug als Mehrmassenschwinger betrachtet – die Unebenheiten der Fahrbahn stellen quasi die Schwingungsanregung des Systems dar. Mit dem
Verfahren der Technischen Mechanik kann z. B. aus bekannten, zulässigen Grenzwerten der Beschleunigung von Menschen am Arbeitsplatz die zulässigen Systemanregungen bzw. die zulässigen Unebenheiten der Fahrbahn berechnet werden.
Für die Ermittlung von Unebenheiten – die wohlgemerkt in allen Fahrbahnen in unterschiedlicher Ausprägung vorhanden sind – wird jeweils ein Höhenprofil einer Fahrbahn mit modernen HRM (High-Speed-Road-Monitor) Geräten aufgenommen und erhält ein engmaschiges Höhenprofil (Bild 9).
Bild 9: Modernes HRM-Gerät zur Aufnahme der Längsebenheit
Mit diesen Daten kann man die Qualität der Längsebenheit einer Fahrbahn sehr gut berechnen. Jedenfalls ist mit der 4-m-Latte, wie in den technischen Regelwerken (ZTV Asphalt-StB, ZTV Beton-StB) bis heute in Deutschland festgelegt, keine Aussage über die Ebenheit einer Straße im Hinblick auf Fahrkomfort, Ladegutbeanspruchung und dynamischer Achslast möglich (Bild 10).
Bild 10: Bewertungskriterien zur Beurteilung der Längsebenheit
Man hat aus diesem Grund in verschiedenen Ländern schon seit Jahrzehnten den IRI eingeführt, der die Beschleunigungen eines Fahrzeugs beim Befahren einer Straße berechnet – die Ergebnisse gelten aber nur für eine Geschwindigkeit und für ein bestimmtes Fahrzeug.
Das am Institut für Straßenwesen der RWTH Aachen entwickelte Berechnungsverfahren des „Bewerteten Längsprofils“ [7] weist demgegenüber eine ganze Reihe von Vorteilen auf:
– Die Ergebnisse sind unabhängig von der Geschwindigkeit.
– Die Ergebnisse gelten für alle Fahrzeuge.
– In die Berechnungen gehen sowohl stochastische als auch periodische und Einzelhindernisse ein.
– Durch zwei einfache geometrische Kennziffern kann man nicht nur die Qualität der Ebenheit der Straße bestimmen, sondern auch feststellen, ob stochastische Unebenheiten oder periodische Einflüsse das Ergebnis prägen (s. Bild).
– Anhand der Berechnungen ist schließlich zu sehen, wo genau die Problembereiche oder Problempunkte sind.
Welchen Stellenwert die Längsebenheit auch auf die Gesundheit der Berufskraftfahrer hat, wird durch die Tatsache bestärkt, dass diese schon im Durchschnitt mit 49 Jahren, das heißt etwa nach 21 Berufsjahren, ihren Beruf wegen Rückenproblemen nicht mehr ausüben können (Bild 11). Es ist deshalb unerlässlich, dass die Ebenheit in Zukunft mittels Methoden, die wissenschaftlich fundiert die Auswirkungen der Ebenheit auf das Gesamtsystem (Reifen-Fahrzeug-Mensch) klassifiziert beschreibt, angewandt werden.
Bild 11: Beanspruchung des Rückrades eines Kraftfahrers
Kurze Einführung in die Theoretischen Grundlagen
Für den Praktiker ist es nicht erforderlich, den theoretischen Hintergrund zu kennen, um mit dem Bewerteten Längsprofil arbeiten zu können. Der Begriff WLP (Weighted Longitudinal Profile) hat sich in der Fachwelt bereits etabliert. Um die Ebenheit einer Straße beurteilen zu können, ist es notwendig, die „Energie“ die in ihr beim Befahren steckt, zu kennen. Dazu wird von einem zu bewertenden Straßenlängsprofil (in der Regel 100 m) eine Fourier-Analyse getätigt. Hierbei wird aus dem wegabhängigen Längsprofil der Fahrbahn ein Frequenzspektrum hergestellt (Bild 12).
Bild 12: Umformung von den Weg- in den Frequenzbereich
Es hat sich gezeigt, dass man jede Straße durch eine linearisierte Funktion beschreiben kann (Bilder 13 und 14). Durch zwei Parameter, einen Wert auf der Geraden und dem Neigungswinkel, kann man das Spektrum hinreichend genau beschreiben.
Bild 13: Typisches Frequenzspektrum einer Straße mit Ausgleichsgerade
Bild 14: Darstellung der zuverlässigen Amplituden als Funktion der Wellenlängen einer guten Straße
Nun kennt man von einer guten, relativ ebenen Straße die linearisierten Amplituden als Funktion der Wellenlängen. Damit hat man eine Referenz, die zu einer Bewertungsfunktion für die Ebenheiten von Straßen entwickelt wird (siehe Bild 15). Darin kann man sofort sehen, dass lange Wellen z. B. mit einer Wellenlänge von 50 m mit dem Faktor 1,7 bewertet werden, während eine Wellenlänge von 0,50 m mit dem Faktor 17,0 in Ansatz gebracht werden muss. Daraus ergeben sich in einer ersten Annäherung die im Bild 16 dargestellten Verfahrensabläufe.
Die Straße wird hierbei in einem ersten Rechenschritt durch eine Fourier-Transformation in eine Frequenz-Darstellung gebracht. Dieses Frequenzspektrum wird mit der Bewertungsfunktion (Bild 15) multipliziert und damit entsteht ein bewertetes Spektrum.
Bild 15: Bewertungsfunktion des Bewerteten Längsprofils
Bild 16: Ablaufschritte des Verfahrens „Bewertetes Längsprofil“
Dieses bewertete Spektrum muss nur noch durch eine inverse Fourier-Transformation aus dem Frequenzbereich in den Wegbereich überführt werden. Von dem nunmehr bewerteten Profil wird die Standardabweichung und die Spannweite gebildet. Mit diesen beiden Parametern kann man eine Fahrbahn qualitativ beschreiben, wenn keine Periodizitäten und Einzelhindernisse vorhanden sind. Da diese erst oft erkannt werden, wenn man eine Straße befährt, muss man den Verfahrensgang erweitern.
Der Hintergrund zur Einbeziehung von Periodizitäten und Einzelhindernisse in das Berechnungsverfahren ist der gewichtete Oktavbandfilter. Vereinfacht ausgedrückt wird hier der Energieinhalt für alle Oktavband-Frequenzen berechnet und somit Periodizitäten und Einzelhindernisse erfasst und in die Bewertung integriert. Dies ist möglich, da die menschlichen
Beschleunigungs-Wahrnehmungen der Unebenheiten und die Dynamik der Fahrzeuge (Achsen und Fahrerhaus) gut in einem Oktavband geschwindigkeitsneutral abgebildet werden können. Durch die Oktavband-Filterung entstehen neun Frequenzbereiche, deren Energieinhalte berechnet und zu einem Bewerteten Längsprofil zusammengesetzt werden (siehe Bild 17).
Bild 17a: Berechnungsschritt 1
Bild 17b: Berechnungsschritt 2
Zusammensetzung der 9 Spektren: 3. Schritt
Bild 17c: Berechnungsschritt 3
Bild 17d: Berechnungsschritt 4
Mittels zweier einfacher Indikatoren wie Standardabweichung und Spannweite kann, wie bereits dargestellt, die Qualität der Straßenoberfläche angegeben werden. Darüber hinaus kann man aus dem Verhältnis Spannweite zu Standardabweichung sofort feststellen, ob Periodizitäten, Einzelhindernisse oder stochastische Unebenheiten ausschlaggebend für die Bewertung waren (siehe Bild 18, unten links).
Bild 18: Bewertungsbeispiel für einen 50-m-Abschnitt
In [8] werden Grenzwerte für das Bewertete Längsprofil angegeben.
Tabelle 2: Grenzwerte für das Bewertete Längsprofil [8]
In den Bildern 19 und 20 wurden die Ergebnisse für eine gute Straße und eine schlechte Straße mit dem neuen Bewertungsverfahren dargestellt. In den oberen Bildhälften sind die Originalprofile und in den unteren die jeweiligen Bewerteten Längsprofile dargestellt. Die beiden Indikatoren Standardabweichung und Spannweite sind jeweils mit σbew und Δbew in den Diagrammen ausgewiesen.
Bild 19: Gute Straße
Bild 20: Schlechte Straße
Zusammenfassend kann festgehalten werden: das Bewertete Längsprofil bewertet
– die Allgemeinen Unebenheiten,
– Einzelhindernisse und
– Periodizitäten.
Weitere Vorteile sind:
– es bewertet das gesamte Spektrum,
– es lokalisiert die Problembereiche und
– es handelt sich um geometrische Indikatoren, die die Längsebenheit beschreiben und bewerten.
Eine Bewertung der Längsebenheit, wie in den letzten Jahrzehnten mit der 4-m-Latte üblich, kann aus der Längsebenheit-Forschung der letzten Jahre nicht mehr hingenommen werden.
4 Zusammenfassung
Um den zukünftigen Herausforderungen bei der Abnahme und dem Betrieb von Verkehrsflächen zu entsprechen, ist es notwendig, den in der Praxis tätigen Ingenieuren und Unternehmen ganzheitliche (möglichst computergestützte) Analyse- und Beurteilungsverfahren zur Verfügung zu stellen. Am Beispiel der Griffigkeit und Längsebenheit wird dargestellt, welche Entwicklung die Beurteilungsverfahren in der Zukunft nehmen können.
Bei der Griffigkeit wird die Berührungslose Griffigkeitsanalyse vorgestellt. Sie ermöglicht die Bestimmung der Griffigkeit mittels eines im Computer hinterlegten Griffigkeitsmesssystems. Dazu muss lediglich die Textur der Straßenoberfläche optisch aufgenommen werden. Mittels eines Gummireibungsmodells wird daraus im Rechner die Griffigkeit berechnet. Der Vorteil liegt in den konstanten Messbedingungen, die z. B. nicht Temperaturschwankungen, dem Reifenverschleiß oder Veränderungen der Wasserfilmdicke unterworfen sind. Beispielhaft wird ein Vergleich zwischen berechneten und gemessenen Griffigkeiten für das Griffigkeitsmesssystem „Wehner-Schulze“ vorgenommen.
Am Beispiel der Längsebenheit wird das Bewertete Längsprofil (WLP) dargestellt. Es basiert auf der Messung des Straßenlängsprofils und bietet eine Bewertung der Längsebenheit für verschiedene Abschnittslängen, in der Regel 100 m und 20 m. Der Berechnungsvorgang ist analog zur Berührungslosen Griffigkeitsmessung: optische Messung der Straßenoberfläche (in Form des Straßenlängsprofils) und Bewertung des Längsprofils durch einen Rechenalgorithmus (WLP-Algorithmus). Als Ergebnis erhält man ein „Bewertetes Längsprofil (WLP)“, welches durch zwei Indikatoren quantifiziert wird: die Standardabweichung (SBL bzw. σbew) und die Spannweite (DBL bzw. Δbew) des Bewerteten Längsprofils.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass bereits Ansätze für eine bessere und umfänglichere Bewertung der Ebenheit vorhanden sind. Sie sollten genutzt werden. Ansätze für die Berechnung der Griffigkeit mittels eines Gummireibungsmodells sind am Beispiel des Wehner-Schulze-Verfahrens ebenfalls aufgezeigt worden. Damit liegt ein starker Hinweis vor, dass es in der Zukunft möglich sein könnte, die Straßengriffigkeit computergestützt zu berechnen.
Literaturverzeichnis
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- U e c k e r m a n n, A.: Ein geometrisch basiertes Verfahren zur Lokalisierung und Bewertung einzelner, periodischer und regelloser Unebenheiten im Straßenlängsprofil, Dissertation, veröffentlicht in: Aachener Mitteilungen Straßenwesen, Erd- und Tunnelbau Nr. 44 (2004)
- M a e r s c h a l k, G.; U e c k e r m a n n, A.; H e l l e r, S.: Längsebenheitsauswerteverfahren „Bewertetes Längsprofil“, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Heft S 73 (2011)
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