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1 Einleitung
Beim Ridesharing bietet ein Autofahrer (Anbieter) anderen Reisenden (Nachfrager) die Möglichkeit, in seinem Fahrzeug umsonst oder gegen ein Entgelt mitzufahren. Die angebotene Fahrt ergibt sich allein aus dem Fahrtwunsch des Anbieters und umfasst Quelle, Ziel, Abfahrtszeit und Route der Fahrt. Decken sich die Fahrtwünsche eines Anbieters und eines Nachfragers räumlich und zeitlich, dann entsteht ein Ridesharing-Potenzial. Nutzt der Nachfrager das Angebot des Anbieters, kommt es zu einem Ridesharing, bei dem der Anbieter einen Teil seiner Kosten erstattet bekommt und der Nachfrager günstig und schnell an sein Ziel gelangt. Das heute übliche Ridesharing, auch als Carpooling bezeichnet, weist folgende Eigenschaften auf:
· Die Fahrten der Anbieter werden auch dann durchgeführt, wenn es keine Nachfrage nach einer Mitfahrgelegenheit gibt.
· Da bisher nur wenige Fahrten angeboten werden, ist Ridesharing nur bei Ortsveränderungen im Fernverkehr (Mitfahrbörsen) oder bei regelmäßigen Ortsveränderungen (Mitnahme von Arbeitskollegen) sinnvoll möglich.
Neue Online-Plattformen ermöglichen eine kurzfristige Vermittlung von Anbietern und Nachfragern. Damit kann Ridesharing auch im Nahverkehr Beförderungsmöglichkeiten bereitstellen und so auf Relationen oder in Zeiten mit unzulänglichem oder teurem ÖV-Angebot eine Alternative anbieten, die den Pkw-Verkehr reduziert und die Umwelt schont. Wie das Beispiel Uber zeigt, kann Ridesharing allerdings auch als professionelle Dienstleistung in Form eines taxiähnlichen Ridesellings angeboten werden und zu zusätzlichem Pkw-Verkehr führen.
Die Erwartung, dass die Bedeutung von Ridesharing in Form von Carpooling oder Rideselling zunehmen wird, führt in der Verkehrsplanung zu der Aufgabe, die Wirkungen von Ridesharing abzuschätzen. Wie groß ist das Potenzial von Ridesharing? Welche kritische Masse an Anbietern ist erforderlich, um mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen? Was würde passieren, wenn Ridesharing mit autonomen, fahrerlosen Fahrzeugen angeboten werden könnte? Um diese Fragen zu beantworten eignen sich Verkehrsnachfragemodelle, die hierfür um einen geeigneten Algorithmus für das Matching von angebotenen und nachgefragten Fahrten ergänzt werden müssen.
Für das Matchingproblem beim Ridesharing gibt es eine Reihe von Veröffentlichungen, die auch Patente für das „Automated carpool matching“ (Levine et al., 2010, [8]) umfassen, bei denen der konkrete Lösungsweg aber häufig nicht im Detail beschrieben ist. Agatz et al. (2012, [1]) formulieren das Matchingproblem und geben einen Literaturüberblick über bisherige Lösungsansätze. Ghoseiri et al. (2011, [7]) beschreiben Ridesharingsysteme, die in den USA in Betrieb sind und formulieren ein „Dynamic Rideshare Matching Optimization Model“, das eine Vielzahl zusätzlicher Randbedingungen (z. B. Geschlecht) einführt. In der Verkehrsnachfragemodellierung wird Ridesharing bisher ausschließlich im Kontext mikroskopischer Nachfragemodelle adressiert (z. B. Galland et al., 2013, [6], Dubernet et al., 2013, [2]), in denen die Verhandlungsprozesse von Verkehrsteilnehmern (Agenten) nachgebildet werden.
In diesem Beitrag wird ein Algorithmus für das Matching von Fahrtwünschen vorgestellt, der sich in vorhandene makroskopische Verkehrsnachfragemodelle integrieren lässt, die sich von mikroskopischen Nachfragemodellen in mehreren Eigenschaften (siehe Tabelle 1) unterscheiden. Der Algorithmus geht von folgenden Annahmen aus:
· Alle Wege von Anbietern und Nachfragern beginnen und enden in Verkehrszellen. Für jeden Weg wird die direkte Route zum Ziel gewählt. Zusätzliche Umwegfahrten zum Aufnehmen oder Absetzen von Mitfahrern in eine andere Verkehrszelle werden nicht abgebildet. Die Routen der Anbieter werden also nicht durch die Fahrtwünsche der Nachfrager beeinflusst.
· Die Verkehrszelle stellt keinen exakten Treffpunkt von Anbieter und Nachfrager dar, sondern ein geeignetes Gebiet. Innerhalb dieses Gebiets wird die Bereitschaft für das Zusammenkommen unterstellt. Der exakte Treffpunkt wird nicht modelliert. Umwege zum Aufnehmen oder Absetzen innerhalb einer Verkehrszelle können bei der Reisezeitberechnung durch zellengrößenabhänge Zuschläge berücksichtigt werden.
· Die Nachfrage liegt in Form von tageszeitabhängigen Nachfragematrizen vor. Das Matching erfolgt für jedes Zeitintervall getrennt.
Tabelle1: Eigenschaften von mikroskopischen und makroskopischen Nachfragemodellen mit Bedeutung für das Ridesharing
2 Algorithmus
Ein Algorithmus zur Lösung des Matchingproblems beim Ridesharing soll für eine gegebene Nachfragesituation die Fahrtwünsche der Nachfrager dem Fahrtenangebot der Anbieter so zuordnen, dass eine möglichst große Zahl von Matches gefunden wird. Der Algorithmus, der im Folgenden vorgestellt wird, ist der Klasse der Greedy-Algorithmen zuzuordnen und garantiert keine optimale Lösung für das Matchingproblem. Der Algorithmus erfordert neben dem Verkehrswegenetz zwei Nachfragematrizen als Input:
· Nachfragematrix der Anbieter A (Teilmenge aus der Matrix Pkw-Selbstfahrer), die bereit sind, fremde Reisende mitzunehmen.
· Nachfragematrix der Nachfrager N (Teilmenge aus den Matrizen der Pkw-Selbstfahrer, Pkw-Mitfahrer und ÖV-Nutzer), die einen Mitfahrservice nutzen würden.
Die Nachfrage sollte in ausreichend kleinen Zeitintervallen (≤ 15 Minuten) und räumlich in Verkehrszellen angemessener Größe (Fahrzeit in der Verkehrszelle << mittlere Reisezeit einer Fahrt) vorliegen.
Der Algorithmus wurde unter Nutzung der Verkehrsplanungssoftware VISUM implementiert, da in VISUM alle erforderlichen Datenstrukturen des Verkehrsangebots (Knoten und Strecken) und der Verkehrsnachfrage (Verkehrszellen, Nachfragematrizen) vorhanden sind. Von besonderer Bedeutung für das Matching sind die Wegobjekte, die VISUM als Ergebnis einer Verkehrsumlegung abspeichert. Ein Wegobjekt w umfasst Daten des Weges (auf den Weg entfallende Verkehrsnachfrage, Länge, Reisezeit) und Wegeelemente (Folge von Knoten bzw. Strecken). Unter Nutzung der VISUM-Wegobjekte und von in VISUM verfügbaren Methoden (Verschneiden, Bestwegumlegung) kann ein Matching von Wegen mit geringem Aufwand implementiert und so das Potenzial eines Ridesharingszenarios bestimmt werden. Dazu werden folgende Schritte durchgeführt:
· Den Strecken s, an denen ein potenzieller Ridesharer aufgenommen werden kann, wird über eine Verschneiden-Operation ein Bezugsobjekt b zugeordnet. Bezugsobjekte können Verkehrszellen, Haltestellen oder Ridesharing-Sammelpunkte sein. So kann beispielsweise durch Verschneiden geprüft werden, in welcher Verkehrszelle eine Strecke liegt. Im nächsten Schritt kann die Strecke dann dieser Verkehrszelle zugeordnet werden. Der beim Verschneiden verwendete räumliche Puffer beschreibt die Bereitschaft der Anbieter, einen Umweg auf sich zu nehmen, um Nachfrager einzusammeln. Autobahnähnliche Straßen, an denen nicht gehalten werden kann, erhalten kein Bezugsobjekt. Ein- und Ausstiegspunkte für Ridesharing können so begrenzt werden.
· Für jedes Zeitintervall t wird aus dem Nachfragemodell je eine Nachfragematrix der Anbieter und der Nachfrager ermittelt. Diese beiden Matrizen werden dann mit einer Bestwegumlegung auf das Verkehrsnetz umgelegt. Ergebnis ist die Wegemenge der Anbieter Wt(A) und die Wegemenge der Nachfrager Wt(N) für ein Zeitintervall. Jede Wegemenge enthält für jede Quelle-Ziel-Relation maximal einen Weg mit der zugehörigen Nachfrage der Anbieter und Nachfrager.
· Jeder Weg einer Wegemenge w ϵ Wt überfährt eine Abfolge von Strecken s1, s2, …, sn und damit eine Folge an Bezugsobjekten bs1, bs2, …, bsn. Die Bezugsobjektfolge wird als String-Attribut eines Weges abgespeichert und beschreibt z. B. die Folge der durchfahrenen Verkehrszellen, an denen Mitfahrer aufgenommen oder abgesetzt werden können. Die Bezugsobjektfolge enthält in vielen Fällen jedes Bezugsobjekt mehrfach (bs1 ≡ bs2). Mehrfach vorkommende Bezugsobjekte werden gelöscht, so dass am Ende jeder Weg über eine reduzierte Bezugsobjektfolge dargestellt werden kann, die deutlich weniger Elemente enthält als die Streckenfolge. Abbildung 1 illustriert die Vorgehensweise zur Ermittlung der reduzierten Bezugsobjektfolge für ein Beispiel.
· Jedem Weg der Anbietermenge Wt(A) wird eine Mitnahmekapazität zugeordnet, die sich aus der Nachfrage der Anbieter und der Fahrzeugkapazität (z. B. 5 Gesamtplätze) ergibt. Dabei wird ein bereits vorhandener Anteil privater Mitfahrer (Modus Pkw-Mitfahrer) der betrachteten Relation als Vorbelastung berücksichtigt. Beträgt die Nachfrage der Anbieter auf einer Relation in einem Zeitintervall beispielsweise 0,1 Fahrten, dann können bei einem Mitfahreranteil von 0 % und einer Fahrzeugkapazität von 5 Gesamtplätzen maximal 0,1 ∙ (5 – 1) = 0,4 Personen im Ridesharing mitgenommen werden.
· Im letzten Schritt erfolgt das eigentliche Matching der Wege, das als Stringvergleich implementiert wird. Sind die Bezugsobjektfolgen zweier Wege aus den Wegemengen Wt(A) und Wt(N) im Zeitintervall t identisch, dann liegt ein Match über den gesamten Weg vor. Ist die Bezugsobjektfolge des nachgefragten Weges in der Bezugsobjektfolge des angebotenen Weges enthalten, ist ein Match für einen Teilweg möglich. Abbildung 1 verdeutlicht, dass über die Bezugsobjektfolge auch Wege gematcht werden, deren Streckenfolge nicht vollständig übereinstimmt. Nachdem ein Match gefunden wurde, reduziert sich die Mitnahmekapazität um die Anzahl der Ridesharer und die Auslastung des Fahrzeugs steigt. Diese Zustandsänderung kann direkt in der jeweiligen Wegemenge verbucht werden: beim Weg der Anbietermenge wird die Nachfrage addiert, beim Weg aus der Nachfragemenge wird die Nachfrage abgezogen.
Beim Matching der Wege werden zuerst die Wege gematcht, bei denen Quelle und Ziel übereinstimmen. Die Bearbeitung der verbleibenden Wege erfolgt sequentiell, d. h. es wird beim Matching mit dem ersten Weg der Wegemenge Wt(N) begonnen. Hier sind auch andere Regeln denkbar, z. B. könnten die Wege für die Bearbeitung absteigend nach der Länge sortiert werden.
Nachdem alle Wege eines Zeitintervalls auf ein Matching geprüft wurden, kann die Zahl der Ridesharer und die Zahl der Nachfrager ohne Beförderung über alle Wege aufsummiert werden. Die beschriebenen Schritte werden für jedes Zeitintervall wiederholt.
Abbildung 1: Aufbereitung von Wegen für das Matching(Annahme: Verkehrszelle ist Bezugsobjekt)
3 Ergebnisse
Der Algorithmus wird unter Nutzung von Daten aus dem Verkehrsnachfragemodell der Region Stuttgart (Verband Region Stuttgart, 2011, [9]) beispielhaft angewendet. Dieses Verkehrsnachfragemodell umfasst 1.100 Verkehrszellen und eine Binnenverkehrsnachfrage von rund 5 Millionen motorisierten Wegen an einem Werktag. Die Nachfrage liegt differenziert nach 96 Zeitintervalle à 15 Minuten vor. Auch wenn der oben vorgestellte Algorithmus für nicht ganzzahlige Nachfragematrizen geeignet ist, werden im Beispiel ganzzahlige Nachfragematrizen genutzt,
Bis jetzt gibt es keine Informationen, in welchem Umfang sich Verkehrsteilnehmer an einem flächendeckenden Ridesharing im Nahverkehr als Anbieter oder Nachfrager beteiligen würden. Deshalb werden für die Beispielrechnung Annahmen für folgende Größen getroffen:
· Anteil der Pkw-Selbstfahrer, die bereit sind, andere Personen in ihrem Fahrzeug mitzunehmen (Anbieter).
· Anteil der Pkw-Selbstfahrer, die bereit sind, ihr eigenes Fahrzeug stehen zu lassen und bei jemand anderem mitzufahren (Nachfrager).
· Anteil der ÖV-Nutzer, die bereit sind, nicht den öffentlichen Verkehr zu nutzen und bei jemand anderem mitzufahren (Nachfrager).
Eine nutzenbasierte Entscheidung im Sinne eines ökonometrischen Verkehrsmittelwahlmodels wird nicht getroffen. Stattdessen wird ein fester Anteil vorgegeben. Die Ziehung erfolgt mit einem deterministischen Zufallszahlengenerator. Lediglich Verkehrsteilnehmer, die heute bereits als Pkw-Mitfahrer unterwegs sind, werden immer zu 100 % als Nachfrager hinzugenommen.
Für die Beurteilung und zur Abschätzung des Ridesharingpotenzials für die Region Stuttgart werden zwei Szenarien mit folgenden Ausprägungen untersucht:
· S1: Aus der Grundgesamtheit der Pkw-Selbstfahrer bieten 5 % eine Fahrt an. Die restlichen 95 % der Pkw-Selbstfahrer nutzen ihr Fahrzeug wie bisher. 25 % der ÖV-Nutzer sind bereit, auf die Ridesharing-Alternative zu wechseln, sofern sich ein Match ergibt.
· S2: Aus der Grundgesamtheit der Pkw-Selbstfahrer bieten 25 % eine Fahrt an. Weitere 5 % der Pkw-Selbstfahrer sind bereit, ihr Fahrzeug stehen zu lassen und bei einem Match zum Ridesharing zu wechseln. Der Rest nutzt weiterhin sein Fahrzeug wie bisher. Alle ÖV-Nutzer (100 %) sind bereit, auf die Ridesharing-Alternative zu wechseln, sofern sich ein Match ergibt.
Die Rechenzeit steigt mit der Anzahl der Vergleiche quadratisch an. Die maximale Anzahl der Vergleiche ergibt sich, wenn die Anzahl der Wege zwischen Anbieter und Nachfrager 50:50 aufgeteilt wird. Um die Rechenzeiten zu reduzieren, wurde die Suchmaschine von Elasticsearch (Elastic, 2016, [3]) über ein Python Skript in den Verfahrensablauf in VISUM integriert. Im Vergleich zu einer sequentiellen Abfrage über alle Wegkombinationen konnte mit der externen Suchmaschine die Rechenzeit ungefähr um den Faktor 1.000 reduziert werden. Es wurde ein Computer mit 64 GB Arbeitsspeicher und einem Prozessor Intel(R) Core(TM) i75820k, 3.30 GHz, als einzelnes Cluster verwendet. Die Rechenzeit für ein einzelnes Zeitintervall beträgt abhängig von der Nachfrage zwischen einer und 20 Minuten. Für einen gesamten Untersuchungstag ergibt sich im Szenario S1 eine Rechenzeit von rund einer Stunde und im Szenario S2 von etwa 3 Stunden.
Die Ergebnisse der Szenarien sind für S1 in Abbildung 2 und für S2 in Abbildung 3 zu finden. Nachfrager werden in blau und Anbieter in rot dargestellt. In grün ist der Anteil der Nachfrager dargestellt, für die sich ein Match ergibt, die also eine Mitfahrgelegenheit finden. In den Abbildungen ist der zeitliche Verlauf der Matchingrate über den Tag zu erkennen. Die Matchingrate ist abhängig von der Menge der Anbieter und Nachfrager: je mehr Anbieter Reisenden das Mitfahren ermöglichen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für Nachfrager ein Ridesharingangebot zu bekommen und desto attraktiver wird das System.
Bezogen auf den gesamten Tag besteht im Fall von Szenario S1 eine Chance von 10-15 % als Nachfrager mittels Ridesharing an das Ziel zu gelangen. Im Szenario S2 steigt die Wahrscheinlichkeit deutlich an und beträgt etwa 30 %. Diese Zahlen verdeutlichen die Bedeutung der kritischen Masse an Teilnehmern, die ein solches System tragbar machen. Beide Seiten profitieren von einer hohen Partizipation. Nachfrager erhalten dadurch eine höhere Zuverlässigkeit und Anbieter die Sicherheit, die Kosten der Fahrt zu senken.
Die Matchingrate korreliert mit der Menge von Anbietern zu Nachfragern. Über den Tag bleibt die Matchingrate konstant und unterliegt lediglich kleinen Schwankungen im Bereich von ungefähr 5 Prozentpunkten. Das gilt für beide Szenarien. Kommen auf einen Nachfrager ungefähr zwei Anbieter, kann das System mit einer konstanten Matchingrate rechnen. Es stellt sich eine Art Gleichgewicht ein. Das Niveau der Matchingrate hängt ebenfalls von der Summe der Teilnehmer ab. Diese Tatsache lässt sich aus der räumlichen und zeitlichen Erschließung der Fahrten ableiten.
Abbildung 2: Szenario S1: Ridesharingpotenzialim Tagesverlauf, wenn 5% der Pkw-Fahrer als Anbieter und 25% der ÖV-Fahrgäste als Nachfrager am Ridesharing teilnehmen
Abbildung 3: Szenario S2: Ridesharingpotenzialim Tagesverlauf, wenn 25% der Pkw-Fahrer als Anbieter und 100% der ÖV-Fahrgäste sowie 5% der Pkw-Fahrer als Nachfrager am Ridesharing teilnehmen
Die meisten Ortsveränderungen werden zu irgendeinem Zeitpunkt – kurz nach dem Verlassen der Quelle bis kurz vor dem Erreichen des Ziels – auf Hauptverkehrsstraßen gebündelt. Alle Fahrtwünsche entlang der Hauptverkehrsstraßen können leicht durch eine geringe Zahl von Anbietern erschlossen werden. Die Fahrzeugkapazität spielt in diesen Fällen meistens eine untergeordnete Rolle. Es müssen zwar Pärchen von gematchten Fahrten auf Grund fehlender Kapazitäten abgelehnt werden, jedoch gibt es genügend andere Personen, die den gleichen (Teil-)Weg zurücklegen. Der Nachfrager wird dem nächsten Anbieter zugeordnet. Entscheidender ist die räumliche Verteilung der Fahrtwünsche. Mit steigender Anzahl der Teilnehmer wird die räumliche Erschließung größer. Je verteilter die Ortsveränderungen in der Region, desto wahrscheinlicher kann ein Match innerhalb eines Zeitintervalls auch für abgelegene Relationen gefunden werden. Liegt die Relation nahe einer Verkehrsachse kann ein Match mit einer geringen Anzahl von Anbietern bedient werden. Für Fahrten außerhalb der Haupterschließungsgebiete bedarf es einer fast vollständigen Bereitschaft zur Ridesharingteilnahme. Da dies kaum für jede Relation passiert, sinkt dort das Ridesharingpotenzial.
Die Verteilung der Fahrzeugauslastung über den Tag liefert einen weiteren Aspekt zum Wirkungszusammenhang von Ridesharingsystemen. In Abbildung 4 ist dargestellt, wie viele Personen in einem Fahrzeug unterwegs sind: von einfach besetzten Fahrzeugen (dunkel) bis zu vollbesetzten Fahrzeugen (hell). Unterstellt wird eine Fahrzeugkapazität von insgesamt fünf Sitzplätzen inklusive Fahrer. Die Verteilung der Fahrzeugbesetzung unterscheidet sich kaum zwischen den beiden betrachteten Szenarien.
Abbildung 4: Verteilung der Fahrzeugauslastungim Tagesverlauf
Ähnlich zur Matchingrate funktioniert das Bündeln von Fahrtwünschen besonders gut, wenn genügend Angebot zur Befriedigung der Nachfrage vorhanden ist. Ab der Grenzsättigung können nicht nur die Fahrtwünsche der Nachfrager bedient werden, sondern es ergibt sich ein hoher Besetzungsgrad im Fahrzeug. Das Fahrzeug ist dann in der Regel voll besetzt. Hohe Nachfrage trifft auf genügend Anbieter. Die Wege der Anbieter und Nachfrager decken sich tagsüber. Die Anzahl der Fahrzeugfahrten kann gesenkt werden, was zu einem Rückgang der Fahrzeugkilometer bei unveränderten Personenkilometern führt. Der Anteil der Fahrten in den Tagesrandzeiten mit einem niedrigen Besetzungsgrad reduzieren den durchschnittlichen Besetzungsgrad auf knapp 2,5 Personen. Das entspricht fast einer Verdopplung des durchschnittlichen Besetzungsgrad in der Region Stuttgart (Verband Region Stuttgart, 2011, [9]).
In der Studie MEGAFON (Friedrich und Hartl, [4] und [5]) wurde der Algorithmus zur Potenzialabschätzung für Rideharing angewendet. Dort wird die Grundidee für Szenarien mit autonomen Fahrzeuge erweitert. Es wird angenommen, dass die Technologie so weit fortgeschritten ist, dass alle motorisierten Fahrten von autonomen Fahrzeugen durchgeführt werden. Die Modellierung von Ridesharing erfolgt analog zu der hier vorgestellten Vorgehensweise. Die gebündelten Ridesharingfahrten werden durch Leerfahrten verknüpft, wodurch die Anzahl der insgesamt benötigten Fahrzeuge reduziert werden kann. Allerdings erhöhen sich durch die Leerfahrten auch die Fahrzeugkilometer um 5 % bis 7 %.
4 Fazit und Ausblick
Mit dem beschriebenen Algorithmus lässt sich das Matchingproblem beim Ridesharing für die in der Verkehrsnachfragemodellierung üblichen Problemgrößen lösen. Der Algorithmus kann sowohl mit ganzzahligen als auch nicht ganzzahligen Nachfragemengen arbeiten und eignet sich deshalb für makroskopische Nachfragemodelle. Die Fahrzeugkapazitäten können für jede Anbieterfahrt individuell variiert und so an die vorhandene Fahrzeugflotte angepasst werden. In der oben beschriebenen Variante ist der Algorithmus statisch, d. h. es werden die Fahrtwünsche eines Zeitintervalls gematcht, was beim Matching von Teilwegen bei längeren Fahrten zu ungenauen Ergebnissen führt. Um den Algorithmus zeitabhängig zu gestalten, muss allerdings der einfache Stringvergleich durch eine komplexere Überprüfung der zeitlichen Übereinstimmung erweitert werden. Zudem kann prinzipiell die Zuordnung eines Bezugsobjektes auf eine beliebige Anzahl ausgeweitet werden. Hierfür sind Überlegungen nötig, wie die einzelnen Bezugsobjekte miteinander verknüpft werden können.
Untersuchungen mit dieser Methode zeigen, dass die Effekte von Ridesharing dann Wirkungen auf die Verkehrsleistung haben können, wenn eine kritische Masse von mindestens 5 % der Pkw-Fahrer als Teilnehmer gewonnen werden können. Je höher die Anzahl der Teilnehmer, desto stabiler wird das System und die Matchingrate steigt. Tagsüber kann mit einer konstanten Matchingrate gerechnet und von einem hohen Besetzungsgrad im Fahrzeug ausgegangen werden.
5 Literatur
[1] Agatz, N., Erera, A., Savelsbergh, M., Wang, X. (2012). Optimization for Dynamic RideSharing: A review. European Journal of Operational Research, 223(2), 295-303.
[2] Dubernet, T., Rieser-Schüssler, N., Axhausen, K. W. (2013). Using a Multi-Agent Simulation Tool to Estimate the Carpooling Potential. In Transportation Research Board 92nd Annual Meeting (No. 13-0866).
[3] Elastic, https://www.elastic.co, Zugriff am 20.12.2016 um 10:00 Uhr.
[4] Friedrich, M., Hartl, M. (2016). MEGAFON – Modellergebnisse geteilter autonomer Fahrzeugflotten des öffentlichen Nahverkehrs, Schlussbericht, gefördert von: Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V., Stuttgarter Straßenbahnen AG, Verkehrsund Tarifverbund Stuttgart GmbH.
[5] Friedrich, M., Hartl M. (2017). Wirkungen autonomer Fahrzeuge auf den städtischen Verkehr. Tagungsbericht Heureka 17, FGSV Verlag, Köln.
[6] Galland, S., Gaud, N., Knapen, L., Janssens, D., Lamotte, O. (2013). Simulation model of carpooling with the janus multiagent platform. Procedia Computer Science, 19, 860-866.
[7] Ghoseiri, K., Haghani, A. E., Hamedi, M. (2011). Real-time Rideshare Matching Problem. Mid-Atlantic Universities Transportation Center.
[8] Levine, U., Shinar, A., Shabtai, E., Shmuelevitz, Y. (2010). Automated carpool matching, U.S. Patent Application No. 12/453,133.
[9] Verband Region Stuttgart (2011). Mobilität und Verkehr in der Region Stuttgart 2009/2010. |