FGSV-Nr. FGSV B 34
Ort Aschaffenburg
Datum 26.09.2020
Titel Informationssysteme zur permanenten Einschätzung des Straßenzustands
Autoren Dr.-Ing. Marko Wieland, Dipl.-Ing. Stephan Villaret
Kategorien Betonstraßen
Einleitung

Zunehmende Belastungen insbesondere der Bundesstraßen durch Schwerverkehr und Witterungsextreme führen dazu, dass viele Straßenabschnitte vor Ablauf der geplanten Nutzungsdauer erneuert werden müssen. Hinzu kommt die Herausforderung der Beseitigung von Investitionsstaus, das heißt die Erneuerung von Straßenabschnitten, deren substanzieller Zustand durch Überschreiten der geplanten Nutzungsdauer nicht mehr wirtschaftlich ist. Insbesondere bei extremen Witterungsbedingungen zeigen sich unter Umständen die Schwächen der verschiedenen Bauweisen. So kann es bei hohen Temperaturen und Stop-and-go-Verkehr bei Asphaltbauweisen zur erhöhten Spurrinnenbildung oder zur Schädigung der Längsnähte kommen. In der Betonbauweise können unter Umständen Hitzeschäden auftreten, wenn größere Imperfektionen – die direkt aus der Herstellung oder mangelnder/fehlerhafter Erhaltung resultieren – vorliegen. Aufgrund außergewöhnlicher klimatischer Situationen (Hitzeperioden) im Jahr 2013 kam es insbesondere im Bundesland Bayern zu einem vermehrten Auftreten von Hitzeschäden. Deshalb wurde im gleichen Jahr eine „Expertengruppe Hitzeschäden“ gegründet, die aus Vertretern des BMVI, der BASt, der Straßenbauverwaltungen und externer Experten bestand. Ziel war es, die Ursachen und Mechanismen von Hitzeschäden zu eruieren, um geeignete Maßnahmen zu deren Vermeidung ergreifen zu können. In diesem Zusammenhang wurde eine spezielle Messstation entwickelt, um die Temperatur über den Betondeckenquerschnitt, die Fugenbewegungen und weitere relevante Klimadaten ermitteln zu können. In enger Zusammenarbeit mit dem Bund und den Ländern wurden bisher 15 derartige Stationen aufgebaut. Somit besteht die Möglichkeit, in der Praxis auftretende witterungsinduzierte Spannungszustände im Kontext mit den verschiedenen Bauweisen sowie den zunehmend auftretenden Witterungsextrema zu analysieren. Die genaue Kenntnis über den Temperaturverlauf im Betonquerschnitt und zur Fugenbewegung, im zeitlichen und örtlichen Kontext zu den Witterungsbedingungen ist notwendig, um das Spannungsniveau im Deckensystem ableiten und prognostizieren zu können. Zudem ist die Kenntnis über konstruktive und materialtechnische Parameter aus dem zu betrachtenden Straßenoberbau erforderlich. Um Aussagen zur zeitlichen Entwicklung des Verhaltens des Plattensystems im Lebenszyklus treffen zu können, ist die kontinuierliche Erfassung, Speicherung und Analyse relevanter Daten von Bedeutung. Für die temporäre Spannungsprognose (z. B. über den Zeitraum einer Hitzeperiode) ist jedoch eine Analyse der Ausgangsdaten innerhalb weniger Stunden notwendig, um entsprechende Handlungsempfehlungen (z. B. Einrichtung von Tempolimits) treffen zu können. Durch die Verknüpfung mit weiteren Daten können ferner Aussagen zur Entwicklung wichtiger zeitlich veränderlicher Parameter über den Nutzungszeitraum gewonnen werden.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Informationssysteme im BAB-Netz

In den Zeiten von BigData ist die Massendatenerhebung und die Reduktion der Daten auf nutzbare Datenmengen für fast alle Wirtschaftsbereiche von großer Bedeutung. Auch im deutschen Autobahnnetz werden zunehmend Daten zum Straßenoberbau erhoben und gespeichert. Die Auswertung und Bewertung erfolgt momentan in den meisten Fällen singulär, komplexere Auswertungen und Bewertungen bilden die Ausnahme.

Mit Hilfe von BAB-Messstationen wird hier die Datenerhebung betrieben, um bessere Kenntnisse über relevante Spannungszustände, Funktionstüchtigkeit und Restnutzungsdauer zu bekommen. Diese Kenntnisse sind bedeutend für die Einschätzung des jeweiligen Zustands sowie der Kurz- und Langzeitprognose. Dabei ist es unabdingbar, die wichtigen Daten zu erfassen, zu sammeln sowie auszuwerten und sie von unwichtigen Daten zu trennen.

Kenntnisse zur Verkehrsbelastung können aus den Verkehrszählungen und Achslastwägungen hinreichend genau für das BAB-Netz abgeleitet werden.

Angaben zum Schichtenaufbau des Oberbaus und dessen Alter sowie etwaige Erhaltungsmaßnahmen lassen sich aus den Straßendatenbanken der Länder entnehmen. Die Qualität dieser Daten ist jedoch kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls durch geeignete Beprobungen zu verifizieren.

Mit der Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) werden seit vielen Jahren wichtige Oberflächenkenngrößen erfasst, gespeichert und ausgewertet. Diese zielen insbesondere auf die Gebrauchseigenschaften des BAB-Netzes ab. Für Verkehrsflächen mit Betondecke kann die Aufnahme des Oberflächenbildes für die Bewertung der Substanzeigenschaften herangezogen werden, wenn die Aufnahmen über eine entsprechende Auflösung verfügen und eine ingenieurtechnische Auswertung durchlaufen.

Die Einschätzung des Straßenzustands (Substanz und Funktion) sollte sich jedoch nicht ausschließlich auf die Gebrauchseigenschaften an der Straßenoberfläche beschränken. So sind für die sichere Beurteilung der strukturellen Substanz eines Fahrbahnabschnitts sowie deren Restnutzungsdauer die relevanten Materialkennwerte statistisch abgesichert zu bestimmen. Dazu zählen derzeit die Spaltzug- und Druckfestigkeit, der E-Modul sowie die Wärmedehnzahl des Deckenbetons (Kapitel 2). Diese können im Rahmen der Deckenherstellung und/oder im Nutzungszeitraum durch entsprechende Beprobungen an homogenen Abschnitten ermittelt werden. Aufgrund der notwendigen Stichprobengröße, die für eine statistisch abgesicherte Betrachtung auf Netzebene erforderlich ist, sind entsprechend große Datenmengen zu verarbeiten.

Ergänzend zu den Materialkennwerten werden mittels spezieller BAB-Messstationen seit einigen Jahren Daten zur Betondeckentemperatur über den Querschnitt, zur Fugenbewegung und relevante Wetter- bzw. Klimadaten an verschiedenen Standorten im BAB-Netz erfasst. Die Messstationen werden im Kapitel 3 ausführlicher beschrieben.

Wie der Grafik im Bild 1 zu entnehmen ist, stellen die oben abgebildeten Informationssysteme/-quellen den herkömmlichen Standard, bezogen auf das BAB-Netz, dar. Um umfassendere Aussagen zum Deckenzustand bzw. zum Deckensystem treffen zu können, sind diese mit den unten in der Grafik angeführten Informationssystemen/-quellen zu ergänzen. Im Kontext mit der Thematik Hitzeschäden können bei ganzheitlicher Betrachtung Aussagen zum realen Spannungszustand in der Betondecke gemacht werden. Zudem kann dieser temporär prognostiziert werden.

Bild 1: Informationssystem und -quellen

2 BAB-Materialkenngrößen

Der Straßenzustand lässt sich nicht allein mittels Funktions- bzw. Gebrauchseigenschaften der Oberfläche beschreiben. Vielmehr ist die Kenntnis zur Substanz über relevante Materialkenngrößen notwendig, um sichere Aussagen zum Zustand der Fahrbahndecken sowie zu deren Langzeitverhalten zu erhalten. Ebenso sind diese Kenngrößen von Bedeutung, wenn mit Hilfe von Messdaten aus BAB-Messstationen der aktuelle Spannungszustand ermittelt und der zukünftige prognostiziert werden soll. Aus diesen Gründen ist es notwendig, die Daten, zu denen insbesondere die Spaltzug- und Druckfestigkeit, der E-Modul sowie die Wärmedehnzahl des Deckenbetons zählen, im Zuge von Kontrollprüfungen bei der Herstellung oder in der Nutzungsphase im Rahmen von Beprobungen zu ermitteln. Dabei sind im Vorfeld homogene Abschnitte zu bestimmen, deren Abschnittsgrenzen sich oftmals an den ehemaligen Baulosgrenzen orientieren.

Die Prüfung der Druckfestigkeit erfolgt nach (DIN EN 12390-3) am mittleren Teil der Bohrkerne (d = 100 mm). Die Kenngröße wird als erste Eingangsgröße zur Beurteilung des Längsdehnungsverhaltens der Betondecke herangezogen.

Die Spaltzugfestigkeit wird gesondert für den oberen und unteren Teil der Betondecke gemäß (TP B-StB), Teil 3.1.05 geprüft. Sie ist die maßgebende Eingangsgröße im Verfahren der rechnerischen Dimensionierung und der Substanzbewertung.

Die Prüfung des statischen E-Moduls erfolgt nach (DIN 1048-5). Dieser Parameter gibt Auskunft über das Spannungs-Dehnungs-Verhalten des Betons im linearen Arbeitsbereich.

Für die Bestimmung der Wärmedehnzahl an Straßenbetonen gibt es kein genormtes Prüfverfahren. In der BASt wurde im Rahmen der Thematik Hitzeschäden ein Prüfverfahren in Anlehnung an die Vorgehensweise gemäß (DIN EN 1770:04.1998) entwickelt, welches derzeit Anwendung findet. Um künftig ein genormtes Verfahren für Fragestellungen des Betonstraßenbaus zur Verfügung stellen zu können, wird dieses fortlaufend weiterentwickelt und andere Verfahren auf ihre Eignung untersucht. Die Wärmedehnzahl ist sowohl für die Beurteilung des Längsdehnungsverhaltens als auch bei der rechnerischen Dimensionierung und Substanzbewertung von Bedeutung.

3 BAB-Messstationen

Im Zeitraum zwischen Dezember 2015 und Oktober 2016 erfolgte die Installation von insgesamt 15 BAB-Messstationen in verschiedenen Bundesländern (siehe Bild 2). Die Stationen verfügen zum einen über Sensoren zur Erfassung der Beton- und Lufttemperaturen sowie der Fugenbewegung an den Querscheinfugen. Zum anderen dienen weitere Sensoren der Erfassung der Globalstrahlung, des Niederschlags, der Windstärke und -richtung.

Bild 2: Messstationen an Bundesautobahnen zur Erfassung von Wetter-/Klimadaten

Für die Erfassung der Betondeckentemperatur werden Temperatursensoren mit Industriestandard eingesetzt. Die Aufnahme der Fugenbewegungen erfolgt über potentiometrische Wegsensoren, die an der Betondeckenflanke gekapselt montiert werden, um störende Einflüsse (z. B. durch Feuchtigkeit) auf die Messgröße oder die dauerhafte Funktion weitgehend auszuschließen. Für die Aufnahme der meteorologischen Daten werden Sensoren eingesetzt, die auch für die Ausstattung konventioneller Wetter- und Klimamessstationen Anwendung finden. In der Tabelle 1 sind die Messgenauigkeit der zu erfassenden Messgrößen und die Messtoleranzen der einzelnen Sensoren dargestellt.

Die Betondeckentemperaturen werden bei allen Messstationen an jeweils zwei nebeneinander liegenden Betonplatten in jeweils sechs Horizonten in der Fahrbahndecke, deren Abstand zueinander mit der Tiefe der Betondecke zunimmt, erfasst (Bild 4). Die Abstände der Sensoren zueinander orientieren sich an den vor Ort angetroffenen Deckendicken.

Die Abtastrate der Sensoren ist über einen Fernzugriff frei konfigurierbar, um eine individuelle Anpassung an die jeweilige Fragestellung bzw. Messsituation zu ermöglichen. Im Regelfall erfolgt die Datenerfassung in einem Messintervall von einer Stunde.

Zu jedem Messzeitpunkt wird jeweils ein Datensatz für alle Messgrößen in einem Datenlogger abgelegt. Mit Hilfe eines Übertragungsmodems erfolgt einmal täglich die Übertragung der Daten an einen E-Mail-Server. Von dort werden die Datensätze über eine speziell eingerichtete Schnittstelle als Rohdaten in die Datenbank infospan importiert. Zur Vermeidung von Redundanzen werden die Daten dann normalisiert und in einzelnen Tabellen für die weitere Verarbeitung abgelegt.

Tabelle 1: Zu erfassende Messgrößen und Messtoleranzen

Der Informationsfluss zwischen Messstation und Datenbank ist im Bild 3 dargestellt.

Um eine weitreichend unterbrechungsfreie Stromversorgung für die Erfassung, Speicherung und Übertragung der Daten zu gewährleisten, verfügt die Messstation über ein Solarpanel mit einer batteriegepufferten Energieversorgung. Das Bild 6 zeigt eine Messstation mit Erfassung von Klimadaten.

Bild 3: Datenübertragung von der Messstation zur Datenbank

Bild 4: Temperaturmessfühler zur Messung in sechs Ebenen

Bild 5: Messsystem zu Ermittlung der Fugenbewegungen

Bild 6: Messstation zur Messung der Betontemperaturen, der Fugenbewegungen und der Klimadaten

Bild 7: Prinzipskizze Messstation

4 Informationssystem für Kurzzeitprognose

Die Temperaturverlaufsberechnung ordnet sich gemäß des Prozessablaufs in die Live-Berechnung der Spannungszustände von Betondecken ein.

Bild 8: Einordnung der Temperaturverlaufsberechnung in den Berechnungsalgorithmus

Im Kontext mit immer häufiger auftretenden extremen Witterungsereignissen (z. B. Hitzeperioden) werden insbesondere Informationen über in der Zukunft liegende Temperatur- und Spannungszustände benötigt. Hierfür sind Prognosen auf Basis des Ist-Zustandes und der zu erwartenden Klimaentwicklung erforderlich. Die Temperatur- und Spannungszustände leiten sich direkt aus den Klimadaten ab.So werden prognostizierte Klimawerte als Eingangsgröße für die Ermittlung von in der Zukunft liegenden Temperatur- und Spannungszuständen genutzt. Dabei werden die Prognoserechnungen für unterschiedliche Zeiträume (z. B. 3, 6, 12 und 24 Stunden) realisiert. Für die Prognoserechnungen wird das firmeneigene Berechnungsmodul für die Fahrbahntemperaturgradienten benutzt. Der Ausgangszustand ergibt sich aus den laufenden Berechnungen mit den gemessenen Klimadaten. Als Eingangsgrößen für die weitere Berechnung dienen prognostizierte Klimadaten. Diese werden mit einem vereinfachten FE-Modell erzeugt, welches auf Praxiserfahrungen basiert.

So hat sich in der Praxis beispielsweise gezeigt, dass Hitzeschäden i. d. R. nach mehreren Tagen mit nahezu identischen ungünstigen Klimaeinwirkungen auftreten. Zudem ist bekannt, dass hohe Temperaturen bei gleichzeitig hoher Globalstrahlung bei konstant hohem Niveau über mehrere Tage zu einem Aufschaukeln der Fahrbahndeckentemperatur führen (Bild 14).

Das Modell für die Erzeugung von prognostizierten Klimadaten bedient sich zwei der wesentlichen Erkenntnisse aus der Praxis:

– Druck-Spannungsextrema treten im Deckensystem nicht am ersten Tag einer Hitzeperiode auf und

– das Klima an den Tagen einer Hitzeperiode ist jeden Tag nahezu gleich.

Somit kann aus den Daten der letzten drei Tage ein sogenannter „korrelierender Worst-Case-Klimadatensatz“ für die nächsten 24 Stunden erstellt werden. Das bedeutet: Am ersten Tag einer Hitzeperiode werden die Temperaturen in der Fahrbahndecke systembedingt unterschätzt, jedoch ist dies nicht relevant, da mehrere Tage mit ungünstigem Klima zusammenhängend erst die relevanten Temperaturverläufe in den Fahrbahndecken erzeugen. Bereits der zweite Tag einer Hitzeperiode wird hinreichend genau beschrieben.

Im Ergebnis ergibt sich über den gesamten Prognosezeitraum für jeden Zeitschritt ein Temperaturverlauf über den Betonquerschnitt. Diese Temperaturverläufe können dann zur Spannungsberechnung herangezogen werden.

Für jeden Zeitpunkt werden die Witterungsprognosedaten, die sich daraus ergebenden prognostizierten Temperaturverläufe sowie die damit korrespondierenden prognostizierten Spannungen in der Betonfahrbahn ermittelt und gespeichert.

Zur besseren Handhabung wurde der Prozess der Datenübertragung, -speicherung und der Prognoserechnungen weitgehend automatisiert. Somit lassen sich kurzfristig und effizient kontinuierlich Aussagen zu ggf. auftretenden Spannungsniveaus generieren. Diese können beispielsweise als Entscheidungshilfe für die Einrichtung temporärer Tempolimits bei auftretenden Hitzeperioden herangezogen werden.

Bild 9: Vergleich Spannungsprognose A92, 24. Mai bis 30. Mai 2017

Bild 10: Prinzip des Prognosesystems

5 Ausgewählte Ergebnisse

5.1 Selektion relevanter Temperaturverläufe hinsichtlich temperaturinduzierter Plattenverformungen

Der Baustoff Beton dehnt sich allgemein bei Erwärmung aus und zieht sich bei Abkühlung zusammen bzw. verformt sich durch Biegung und Verwölbung. Wird die Verformung in der Betonfahrbahn behindert, entstehen Spannungen.

Der Temperaturverlauf in der Betondecke ist in der Regel über die Plattenhöhe nicht konstant. Aus diesem Grund ist es zweckmäßig, den Temperaturzustand einer Platte in seine Bestandteile, die für die Längenänderung, die Biegung und die Verwölbung verantwortlich sind, aufzuspalten (Bild 11).

Bild 11: Zerlegung der Temperaturanteile im Plattenquerschnitt

In (Villaret; Freudenstein et al., 2018) und (Villaret; Augter et al., 2019) sind die Berechnungen der einzelnen Temperaturanteile beschrieben.

Danach berechnet sich die mittlere Plattentemperatur, und damit der konstante Anteil D des Tempertaturverlaufs in der Platte nach der Formel:

Gleichung (1) siehe PDF

Für die Berechnung des linearen Temperaturverlaufs über den Plattenquerschnitt ist zunächst die Kenntnis des mechanisch äquivalenten Temperaturgradienten Voraussetzung. Dieser berechnet sich unter der Verwendung der abstrakten Momentengleichung für einen linearen Temperaturverlauf:

Gleichung (2) siehe PDF

Den mechanisch äquivalenten Temperaturgradienten erhält man dann unter Verwendung der Formel:

Gleichung (3) siehe PDF

Der Verlauf des mechanisch äquivalenten lineareren Temperaturverlaufs, der die Biegung verursacht, berechnet sich nach:

Gleichung (4) siehe PDF

Der für die Wölbung zuständige nichtlinearere Anteil des Temperaturverlaufs kann dann durch Subtraktion der Längsdehnungs- und Biegeanteile vom Gesamttemperaturverlauf berechnet werden:

Gleichung (5) siehe PDF

Im Bild 12 ist am Beispiel der Messstation BAB A 2, km 57,8, RF Berlin dargestellt (Villaret; Frohböse, 2018), wie die Temperaturverteilung in der Betondecke und die für Längenänderung, Biegung und Wölbung verantwortlichen Temperaturanteile verlaufen.

Die hier dargestellten Temperaturverläufe im Plattenquerschnitt unterliegen einer tageszeitlichen Veränderung, die von der Plattenoberseite ausgeht. Vom Temperaturminimum (22,9 °C) des obersten Sensors am 07. 08. 2018 um 05:00 Uhr bis zum Temperaturmaximum (47,1 °C) um 14:00 Uhr liegt eine Differenz von 24,2 K. Am untersten Sensor wurde hingegen ein Minimum von 29,5 °C und ein Maximum von 31,0 °C, also eine sehr kleine Differenz von 1,5 K, ermittelt.

Bei Abkühlung des Betons an der Plattenoberseite in der Nacht stellt sich ein negativer Temperaturverlauf ein und die Platte schüsselt sich an den Rändern auf. Die Erwärmung des Betons durch Sonneneinstrahlung und Wärmeaustausch mit der Luft im weiteren Tagesverlauf führt zu einem positiven Temperaturgradienten im gesamten Querschnitt, wobei sich die Plattenoberseite stärker ausdehnt als die Unterseite und sich die Platte im mittleren Bereich aufwölbt.

Bild 12: Temperaturverlauf in der Betondecke und Temperaturanteile, Messstation BAB A 2, km 57,8, RF Berlin am 07. 08. 2018

Zu besonders hohen Wölbspannungen führen plötzlich auftretende Temperaturänderungen an der Plattenoberfläche. Diese können z. B. durch einen Gewitterregen entstehen, welcher auf eine stark erhitzte Fahrbahn trifft. In solchen Fällen kommt es zu einer scharfen Umkehrung des Temperaturverlaufs.

Im Bild 13 ist ein derartiges Ereignis „Umkehrung des Temperaturverlaufes“ exemplarisch dargestellt, das durch einen Gewitterregen ausgelöst wurde.

Bild 13: Temperaturverlauf in der Betondecke und mittlere Plattentemperatur, Messstation BAB A 48, km 76,0, RF Koblenz am 21. 07. 2018

5.2 Signifikante Temperaturanstiege über mehrere Tage

Hohe Lufttemperaturen über mehrere Tage in Verbindung mit sehr hohen Globalstrahlungen, wie sie um die Sommersonnenwende auftreten, können zu einem starken Aufheizen der Fahrbahn führen. Wie im Bild 14 ersichtlich, steigt dabei die mittlere Plattentemperatur über mehrere Tage kontinuierlich an, so dass fortlaufend neue Maximalwerte erreicht wurden. Die Dauer und Intensität der vor und nach dem dargestellten Bereich vom 22. bis 25. 07. 2018 anhaltenden Hitzeperiode hat den Straßenaufbau bereits soweit erwärmt, dass die Plattenunterseiten außergewöhnlich warm geworden sind (teilweise über 25 °C). Der Trend der Erwärmung des Straßenaufbaus hat auch an den Folgetagen weiter angehalten. Bis zum deutlichen Ende der Hitzeperiode liegen hier sehr hohe Spannungszustände über einen längeren Zeitraum in dem Plattensystem vor. Dies ist insofern von Bedeutung, als dass ein schneller Temperaturwechsel zu den im Punkt 5.1 beschriebenen Spannungszuständen führt. Zudem ist ein derartiger Fall erst nach ca. 48 Stunden auszuschließen.

Bild 14: Signifikanter Temperaturanstieg, gemessen an der Messstation BAB A 2, km 57,8, RF Berlin vom 27. bis 30. 06. 2019

5.3 Messtechnisch ermittelte Nullspannungstemperatur

Für die Bestimmung der Nullspannungstemperatur (Riwe; Villaret, 2018), ist ein möglichst zusammenhängender Datensatz über einen Messzeitraum von mehreren Monaten erforderlich. Die Analysen wertbarer Datensätze haben gezeigt, dass die ermittelte Nullspannungstemperatur zwischen 16 °C und 26 °C lag.

Das Bild 15 zeigt die virtuelle Fugenschließung für einen Streckenabschnitt auf der BAB A 94. Die absoluten Werte für die Fugenöffnung sind dabei ohne Belang. Von Bedeutung ist allein der Verlauf in Abhängigkeit von der Betontemperatur.

Bild 15: Bild der virtuellen Fugenschließung für eine Messstelle auf der BAB 94

Die Nullspannungstemperatur stellt sich durch einen Knick im Kurvenverlauf dar und kann hier mit ca. 18 °C identifiziert werden.

Auch die Visualisierung des zeitlichen Verlaufs der Fugenöffnung und der Betontemperatur in ausgewählten Bereichen (Bild 16) zeigt deutlich, wie sich die Fugenöffnung bei Erreichen einer bestimmten Temperatur nicht weiter verändert.

Bild 16: Zeitlicher Verlauf von Betontemperatur (rot) und Fugenöffnung (blau) in der Nähe der Nullspannungstemperatur

Im Bild 15 wird allerdings auch eine relativ starke Streuung der Messwerte deutlich. Diese lässt sich nur teilweise durch Messungenauigkeiten erklären. Eine genauere Analyse möglicher störender Einflüsse zeigt, dass die Fugenschließung bei höheren Temperaturen erfolgt als die Fugenöffnung. Offensichtlich generiert die Reibung der Dübel im Beton eine Widerstandskraft, welche sowohl beim Schließen, wie auch beim Öffnen der Fugen überwunden werden muss. Eine Abschätzung der möglichen Reibungskräfte mit Hilfe eines einfachen mechanischen Modells (Bild 17) zeigt, dass sie groß genug sein können, um die beobachteten Temperaturdifferenzen zu erklären. Dabei ist zu beachten, dass die Reibungskraft durch eine Winkelabweichung zwischen Dübelachse und Fahrbahnachse wesentlich erhöht wird. Eine mittlere Winkelabweichung von 5° kann bereits eine Spannung von ca. 1 MPa im Plattenquerschnitt bewirken. Da eine perfekte Ausrichtung der Dübel im Allgemeinen nicht realisiert werden kann, ist davon auszugehen, dass regelmäßig erhebliche Normalkräfte beim Öffnen und Schließen der Fugen überwunden werden müssen.

Bild 17: Druckspannung an einem Dübel mit Winkelabweichung zur Fahrbahnachse

Die Reibung der Betonplatte auf der Unterlage spielt dagegen keine wesentliche Rolle. Auch die Verdrehung des Plattenquerschnittes infolge Biegung kann vernachlässigt werden. Gleiches gilt für die Querschnittsverwölbung durch Zwangsspannungen.

Die detaillierte Darstellung des Temperaturverlaufs und der damit verbundenen Fugenöffnung für einen einzelnen Tag (Bild 18) macht deutlich, wie sich die Betontemperaturen beim Schließen und Öffnen der Fuge unterscheiden.

Bild 18: Tagesverlauf von Betontemperatur (rot) und Fugenöffnung (blau) in der Nähe der Nullspannungstemperatur

Die Kurvenverläufe zeigen, dass sich die Fugenweite nicht mehr wesentlich geändert hat, nachdem die Betontemperatur ca. 19 °C überschritten hatte. Die Fuge war geschlossen. Bei der späteren Abkühlung des Betons erfolgte die Fugenöffnung aber erst nachdem die Betontemperatur ca. 15,5 °C unterschritten hatte. Es ist also davon auszugehen, dass die Nullspannungstemperatur zwischen 17 °C und 18 °C liegt. Nachdem die mittlere Betontemperatur diesen Wert erreicht hatte, war aber noch kein Fugenschluss erfolgt, weil die Reibung zwischen Dübel und Beton dies verhindert. Bei vorschreitender Erwärmung wurde deshalb eine Druckkraft aufgebaut. Sobald die Druckkraft die Reibungskraft überstieg, kam es zu einer weiteren Fugenbewegung, welche die Fuge schloss. Die Druckkraft im Beton wurde dabei teilweise abgebaut. Im weiteren Tagesverlauf erhöhte sich die Betontemperatur weiter, was aber keinerlei Fugenbewegung, sondern nur noch Druckspannungsaufbau bewirkte. Nachdem die Tageshöchsttemperatur überschritten war, erfolgte die allmähliche Abkühlung des Betons, verbunden mit einem Abbau der Druckspannungen. Nach dem Unterschreiten der Nullspannungstemperatur kam es zum Zugspannungsaufbau, welcher sich fortsetzte bis die Zugkräfte im Betonquerschnitt die Reibungskräfte an den Dübeln überschritten. Danach öffnete sich die Fuge wieder.

Resümee

Im Bereich des Straßenbaus steht seit einiger Zeit zunehmend die Thematik Witterungs-extreme im Fokus der Wissenschaft. Diese führen zu erhöhten Belastungen und damit zu größeren Beanspruchungen. Dadurch treten mit der Häufung extremer Witterungsereignisse auch vermehrt Schäden an der Straßeninfrastruktur auf. Diese variieren je nach Ereignis und Art des Straßenoberbaus. Für Straßenbefestigungen aus Asphalt und Beton können beispielsweise extreme Hitzeperioden zu signifikanten Schäden am Oberbau und somit zur Einschränkung der Verfügbarkeit führen. Seit dem Jahr 2013 untersucht die „Expertengruppe Hitzeschäden“ die Ursachen und Mechanismen von Hitzeschäden an Betonfahrbahndecken.

Um hierzu fundierte Aussagen treffen bzw. Erkenntnisse erlangen zu können, bedarf es einer Vielzahl an Informationen und Daten. Einige davon werden seit vielen Jahren erhoben und stehen für das BAB-Netz zur Verfügung. Dies betrifft insbesondere Informationen und Daten aus Verkehrszählstellen und Achslastwaagen, der Zustandserfassung und -bewertung sowie aus Straßendatenbanken. Orts- und zeitbezogene Informationen/Daten zu realen Temperaturverläufen in Betonfahrbahndecken, zu Wetter und Klima sowie zu den jeweils vorliegenden Materialkenngrößen stellen nicht den aktuellen Standard dar.

Dem Mainstream von BigData folgend, wurden im BAB-Netz über 15 spezielle Messstationen an Streckenabschnitten in Betonbauweise installiert und große Datenmengen aufgenommen. Unter Beachtung der Daten und Informationsquellen in ihrer Gesamtheit bzw. in einem System, konnte ein neuartiges Informationssystem entwickelt werden. Dieses ist in der Lage, Aussagen zu den im Deckensystem vorliegenden Spannungen z. B. während einer Hitzeperiode zu treffen. Ferner kann eine Prognose der Spannungszustände erfolgen, um ggf. auftretende Druckspannungsextrema zu erkennen. Im Kontext mit der Thematik Hitzeschäden werden derartige Informationen beispielsweise als Entscheidungshilfe für die Einrichtung von Tempolimits herangezogen.

Darüber hinaus können wichtige Erkenntnisse zu dem jahreszeitlichen Verhalten des Deckensystems und wichtiger Konstruktionsdetails (z. B. Querscheinfuge) sowie zum Langzeitverhalten unterschiedlicher Bauweisen gewonnenen werden. Ferner können Aussagen zur Robustheit der Betonbauweise gegenüber den verschieden Witterungsextremen in Art und Ausprägung getroffen werden. Die gesammelten Erkenntnisse werden nunmehr genutzt, um beispielsweise betroffene Regelwerke an die neuen klimatischen Verhältnisse anzupassen.

Literaturverzeichnis

Bilanzbericht der Expertengruppe „Fahrbahndecken aus Beton – Hitzeschäden“, August 2017

Riwe, A.; Villaret, S., (2018): Measuring the zero-stress temperature in concrete carriageways, Vortrag zum 13th International Symposium on Concrete Roads (ISCR) vom 20. bis 22. Juni 2018 in Berlin

Villaret, S.; Augter, G.; Kayser, S.; Riwe, A. (2019): Forschungsprojekt FE 08.0254/2017/KRB „KIST-Zonen-Karte RDO und RSO Beton – Verteilungsfunktion und Extremwerte“, Schlussbericht 04/2019

Villaret, S.; Freudenstein, S.; Frohböse, B.; Eger, M.; Pichottka, S.; Riwe, A.; Villaret, K. (2018): Forschungsprojekt FE 08.0237/2015/ARB „Informationssystem – Ermittlung und Prognose von Spannungszuständen in Betonfahrbahndecken“, Schlussbericht 04/2018

Villaret, S.; Frohböse, B. (2018): Übergeordnete Auswertung der Daten von Messstationen zum Thema Hitzeschäden an Betonfahrbahndecken, Bericht im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen, 09/2018