FGSV-Nr. FGSV 001/21
Ort Karlsruhe
Datum 11.10.2006
Titel Sicherheit von Straßennetzen – Die ESN in der Praxis
Autoren Univ.-Prof. Dr.-Ing. Kerstin Lemke
Kategorien Kongress
Einleitung

Mit der Einführung der „Empfehlungen für die Sicherheitsanalyse von Straßennetzen“ (ESN) im Jahr 2003 durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen wurde ein weiteres Instrument zur Sicherheitsbewertung des Straßenbestands geschaffen. Danach werden für alle Abschnitte eines Straßennetzes die Differenzen zwischen den vorhandenen und den bei richtliniengerechtem Ausbau zu erwartenden Unfallkosten pro Kilometer errechnet, die sogenannten Sicherheitspotenziale, die dann im Rahmen von Investitionsentscheidungen über Um- und Ausbaumaßnahmen Berücksichtigung finden sollen. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hat inzwischen die Sicherheitspotenziale im Bundesautobahnnetz ermittelt. Durch einen Pilotversuch in Rheinland-Pfalz wird die Anwendung des Verfahrens speziell im Landstraßenbereich demonstriert. Dabei zeigt sich, dass ein großer Teil des Verbesserungspotenzials bereits auf einem geringen Teil des Netzes erzielt werden könnte. Für die so priorisierten Abschnitte müssen nun weitere Detailuntersuchungen erfolgen und streckenbezogene sicherheitsverbessernde Maßnahmen abgeleitet werden.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1  Ziele und Einsatzbereiche der ESN

Zur Gewährleistung eines reibungslosen Verkehrsablaufs wurden und werden Aspekte der Verkehrssicherheit schon seit vielen Jahren direkt oder indirekt bei der Planung und dem Betrieb von Straßenverkehrsanlagen berücksichtigt. Grenz- und Regelwerte in den Planungs- und Entwurfsrichtlinien wurden so festgesetzt, dass durch die Einhaltung dieser Werte die Verkehrssicherheit indirekt ausreichend berücksichtigt sein sollte. Stehen verschiedene Planungsalternativen zur Auswahl, wird die Verkehrssicherheit als ein Zielfeld im Rahmen des Abwägungsprozesses (z. B. einer Kosten-Nutzen-Analyse) berücksichtigt. Zur Qualitätssicherung des Entwurfs im Hinblick auf die Verkehrssicherheit wurde mit den „Empfehlungen für das Sicherheitsaudit an Straßen“ (ESAS) vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) das Sicherheitsaudit als eigenständiger, planungsbegleitender Prozess eingeführt.

Im historisch gewachsenen deutschen Straßennetz entsprechen aber längst nicht alle Straßen dem derzeit gültige Regelwerk oder dem heutigen Stand der Erkenntnisse zum Einfluss der Straßengestaltung auf die Verkehrssicherheit. Daher ist vor allem auch der Überprüfung des in Betrieb befindlichen Straßennetzes unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten eine hohe Bedeutung beizumessen. Hier werden seit vielen Jahren zwei bewährte Verfahren eingesetzt. Diese sind die örtliche Unfalluntersuchung und die Verkehrsschau. Ziel der örtlichen Unfalluntersuchung ist es, anhand der Unfalldaten lokal begrenzte Unfallhäufungen zu identifizieren und geeignete Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Die Verkehrsschau ist ein Verfahren, bei dem ohne Berücksichtigung von Unfalldaten – allenfalls in Kenntnis von Unfallhäufungsstellen – durch eine Streckenbefahrung Defizite in der Infrastruktur identifiziert werden sollen, welche die Betriebssicherheit der Strecke beeinträchtigen können. Bei der örtlichen Unfalluntersuchung ist die Polizei als die Unfälle aufnehmende Stelle der Hauptakteur. In den Unfallkommissionen sind jedoch im Hinblick auf mögliche Gegenmaßnahmen auch die Straßenbau- und Straßenverkehrsbehörden vertreten. Die gleiche Kooperation findet bei den Verkehrsschauen statt, allerdings liegt deren Organisation im Wesentlichen in der Verantwortung der Verkehrsbehörde.

Aus beiden Verfahren können infrastrukturelle Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit abgeleitet werden. Diese zielen jedoch in der Regel entweder auf eine Wiederherstellung des ursprünglichen, regelgerechten Zustands (Verkehrsschau) oder auf die Beseitigung lokal begrenzter Defizite (örtliche Unfalluntersuchung). Insofern fehlte ein Verfahren, mit dem die Straßenbauverwaltung systematisch das Unfallgeschehen des gesamten Straßennetzes in ihrer Zuständigkeit analysieren kann, um daraus den Bedarf an Um- und Ausbaumaßnahmen mit dem speziellen Zweck einer Erhöhung der Verkehrssicherheit abzuleiten. Mit der Einführung der „Empfehlungen für die Sicherheitsanalyse von Straßennetzen (ESN)“ [1] im Jahr 2003 durch das BMVBW steht nun ein solches Verfahren zur Verfügung. Analog zu einem solchen Verfahren könnte man systematisch die Verkehrsqualität eines Straßennetzes bewerten, in dem man für alle Streckenabschnitte und Knotenpunkte die Nachweise nach dem „Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen“ (HBS) durchführt.

Auch die Europäische Kommission hat den Bedarf für ein solches ergänzendes Verfahren herausgearbeitet. Der von der Kommission verabschiedete und derzeit vorliegende Entwurf einer Direktive mit dem Titel „Road Infrastructure Safety Management“ [2] behandelt ein solches Verfahren unter dem Titel „Network Safety Management“ (NSM). Dank des Engagements von Vertretern der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) in der vor einigen Jahren von der Kommission eingesetzten Arbeitsgruppe „Infrastructure Safety“ und der guten Kooperation mit den französischen Kollegen [3] ist dieser Teil des Entwurfs der Direktive zu den deutschen ESN kompatibel. Der von dieser Arbeitsgruppe erarbeitete Bericht [4] bildete eine wesentliche Grundlage für die Formulierung der Direktive durch die Kommission. Der Entwurf der Direktive behandelt insgesamt vier Verfahrenskomplexe:

  • Bewertung des Sicherheitseffekts von Netzergänzungen oder grundlegenden Ausbaumaßnahmen (Road Safety Impact Assessment)
  • Sicherheitsaudit (Road Safety Audit)
  • Verbesserung der Sicherheit im bestehenden Straßennetz (Management of High-Risk Road Sections and Network Safety Management)
  • Sicherheitsüberprüfung (Road Safety Inspections).

Insbesondere beim erstgenannten Verfahren konnten die Vertreter der BASt in der Arbeitsgruppe der Kommission erreichen, dass hierunter die Berücksichtigung der Verkehrssicherheit im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Analyse verstanden wird, wie sie in Deutschland bereits seit vielen Jahren in der Bundesverkehrswegeplanung praktiziert wird. Auch die Beschreibung der übrigen Verfahren weist eine recht weitgehende Übereinstimmung mit den in Deutschland existierenden Regelwerken auf; in einzelnen Detailregelungen gibt es jedoch durchaus Unterschiede. Es wird sich zeigen, welche Änderungen der Text im Rahmen des weiteren Abstimmungsprozesses noch erfahren wird.

2  Grundgedanken des ESN-Verfahrens

Für eine Sicherheitsbewertung vollständiger Straßennetze ist es grundsätzlich möglich, die bereits bekannten Unfallkenngrößen für Straßenzüge nach dem „Merkblatt für die Auswertung von Straßenverkehrsunfällen“ (FGSV 2003) [5] zu ermitteln:

  • Unfalldichte UD [U/(km·a)]
  • Unfallrate UR [U/Fz·km]
  • Unfallkostendichte UKD [€/(km·a)]
  • Unfallkostenrate UKR [€/(Fz·km)].

Dabei wird üblicherweise die Unfallrate bzw. die Unfallkostenrate als Indikator für eine Unfallauffälligkeit verwendet. Im Bild 1 ist eine im Auftrag des Automobilclubs RACC [6] unter dem Logo von EuroRAP erstellte Unfallratenkarte des spanischen Nationalstraßennetzes der Jahre 2002 bis 2004 dargestellt. Darin sind zahlreiche Strecken mit hohen Unfallraten (schwarze und rote Färbung) erkennbar.

Bild 1: Unfallraten der Unfälle mit Getöteten und Schwerverletzten im spanischen Nationalstraßennetz 2002 bis 2004 [6]

Bild 2: Unfalldichten der Unfälle mit Getöteten und Schwerverletzten im spanischen Nationalstraßennetz 2002 bis 2004 [6]

Die zugehörige Karte der Unfalldichten (Bild 2) zeigt jedoch, dass nur sehr wenige Strecken absolut gesehen hohe Unfallzahlen (pro Kilometer) aufweisen. Bei der Verwendung der Unfallrate oder der Unfallkostenraten als Kriterium zur Beurteilung der Verkehrssicherheit von Strecken besteht somit die Gefahr, dass vor allem auch schwach belastete Strecken mit absolut eher geringen Unfallzahlen in den Fokus der Betrachtung geraten.

Ziel der Straßenbauverwaltung ist es jedoch, die beschränkten finanziellen Mittel für die Infrastruktur möglichst dort einzusetzen, wo sie volkswirtschaftlich den größten Nutzen stiften. Daher ist es ihre Aufgabe, insbesondere die Strecken im Netz zu identifizieren, auf denen eine auffällige Häufung von Unfällen vorliegt, das heißt die eine hohe Unfallrate oder Unfallkostenrate aufweisen, und auf denen gleichzeitig möglichst viele Unfälle durch eine entsprechende Maßnahme vermieden werden können, das heißt die ebenfalls eine hohe Unfalldichte aufweisen.

In den ESN [1] wird als neue Unfallkenngröße das sogenannte Sicherheitspotenzial SIPO definiert. Es beschreibt die Differenz zwischen den vorhandenen und den bei richtliniengerechtem Ausbau im Mittel zu erwartenden Unfallkosten pro Kilometer Strecke:

Formel siehe PDF

Insofern stellt das Sicherheitspotenzial von seiner Einheit her eine Unfallkostendichte dar und beschreibt das Maß potenziell einzusparender Unfallkosten je Kilometer Strecke. Die dabei als Bezug verwendete Grundunfallkostendichte (gUKD) wird aus einer für jede Straßenart festgelegten Grundunfallkostenrate (Bild 3) und der Fahrleistung auf der betrachteten Strecke ermittelt:

Formel siehe PDF

Bild 3: Grundunfallkostenraten verschiedener Straßenarten bezogen auf Unfälle mit Personenschaden und schwerwiegende Unfälle mit Sachschaden zum Preisstand 2000 [1]

Mit anderen Worten: Die Bewertung, ob das Unfallgeschehen auf einer Strecke auffällig ist, erfolgt zwar durch den relativen Vergleich mit einer Unfallkostenrate. Die Differenz gegenüber dieser Grundunfallkostenrate wird jedoch in eine Unfallkostendichte umgerechnet, um die absolute Höhe der Sicherheitsgefahren bzw. des Potenzials zur Verbesserung wiederzugeben. Somit weist ein hohes Sicherheitspotenzial auf eine relativ hohe Unfallkostenrate, im Wesentlichen aber auf eine absolut hohe Unfallkostendichte hin. Deswegen ist es nicht erforderlich, zwei Kenngrößen bzw. zwei Karten zu betrachten und zu bewerten.

Neben dem hier skizzierten Ansatz stellen die ESN auch ein ähnliches Verfahren für Straßennetze mit überwiegender Erschließungsfunktion innerhalb bebauter Gebiete bereit, welches jedoch im Rahmen dieses Beitrags nicht behandelt wird.

3  Anwendung auf das BAB-Netz

Bild 4: Sicherheitspotenziale auf BAB 2002 bis 2004 der Unfälle mit Personenschaden und schwerwiegenden Unfälle mit Sachschaden [8]

Für das Bundesautobahnnetz hat die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) inzwischen die Sicherheitspotenziale nach den ESN [1] ermittelt [7, 8] (Bild 4). Grundlage waren die für Forschungszwecke vorliegenden Daten der amtlichen Unfallstatistik der Jahre 2002 bis 2004. Die Berechnung erfolgt jeweils für die durch Autobahnknotenpunkte und Anschlussstellen begrenzten Netzabschnitte. Im Ergebnis liegt das Sicherheitspotenzial von über 4 000 der insgesamt ca. 5 000 Abschnitte bei unter 50 000 € pro Kilometer. Lediglich 82 Abschnitte weisen Sicherheitspotenziale von 250 000 und mehr € pro Kilometer auf.

Sortiert man die Strecken nach der Höhe ihres Sicherheitspotenzials und bringt diese in Relation zur Netzlänge (Bild 5), so zeigt sich, dass die Hälfte des Sicherheitspotenzials des gesamten BAB-Netzes auf nur ca. 10 % des Netzes gegeben ist. Insofern liefert das Verfahren nach den ESN eine gute Auswahl an sicherheitsauffälligen Strecken des Netzes, die mit Priorität einer detaillierten Untersuchung unterzogen werden sollten.

Erkennbar ist allerdings auch, dass bei ca. 50 % des Netzes kein Sicherheitspotenzial ermittelt werden konnte. Dies spricht auf der einen Seite für einen guten Ausbaustandard unseres BAB-Netzes. Auf der anderen Seite zeigen die Unfallzahlen der letzten Jahre insbesondere bei den schwerwiegenden Unfällen eine stark rückläufige Tendenz. So liegt die mittlere Unfallkostenrate des BAB-Netzes der Jahre 2002 bis 2004 mit 11,3 €/(1 000 Kfz·km) bei gleichem Preisstand nur knapp über der Grundunfallkostenraten nach ESN von 11 €/(1 000 Kfz·km) (Bild 3). Insofern ist eine Aktualisierung der Grundunfallkostenraten nach ESN [1] auf der Grundlage neuerer Daten sinnvoll.

Bild 5: Summenfunktion der Anteile am gesamten Sicherheitspotenzial des BAB-Netzes in Relation zum Längenanteil

4  Erste Erfahrungen im Landstraßenbereich

Die Autobahnen weisen unbestritten das höchste Sicherheitsniveau der Straßen des überörtlichen Verkehrs auf. Daher ist der Hauptanwendungsbereich der ESN eher bei den Landstraßen zu sehen. Hier werden in Deutschland die meisten Menschen (60 % im Jahr 2005) durch Straßenverkehrsunfälle getötet.

Durch eine wissenschaftlich begleitete Pilotanwendung [9] sollte daher die Anwendbarkeit der Verfahren nach ESN im Landstraßenbereich demonstriert werden. Weiterhin werden Hinweise für die EDV-gestützte Anwendung erwartet. Die Bearbeitung des Projekts ist derzeit noch nicht abgeschlossen. Sie erfolgt in enger Kooperation mit dem Land Rheinland-Pfalz, welches die benötigten Daten bereitstellte und erste Schritte in Richtung einer EDV-technischen Umsetzung der ESN eingeleitet hat. Das Projekt wird durch ein vergleichsweise großes Gremium betreut, in dem sowohl die derzeitigen Wissensträger zu den ESN als auch weitere potenzielle Anwender vertreten sind.

Im Rahmen der Pilotanwendung wurden die folgenden Problembereiche der praktischen Anwendung identifiziert:

  • Qualität der Lokalisierungsinformation in den Unfalldaten
  • Verfügbarkeit von Straßendaten
  • Berücksichtigung von Netzänderungen
  • Qualität und Verfügbarkeit der DTV-Werte
  • Abschnittsbildung.

Eine wesentliche Voraussetzung für die Anwendung der ESN ist die Zuordnung der Unfalldaten zu den Abschnitten des Straßennetzes. Zu diesem Zweck werden die Lokalisierungsinformationen aus den Unfalldatensätzen benötigt, die leider in der Praxis nicht für alle Unfälle vorliegen. Somit kann stets ein in Abhängigkeit von der Unfallschwere variierender Teil der Unfälle nicht für die Auswertung verwendet werden. Weiterhin kommen für die Lokalisierung der Unfälle je nach Zuständigkeit verschiedene Systeme zum Einsatz:

  • Netzknoten-System nach ASB
  • Betriebskilometrierung
  • Blocksystem oder
  • Abschnittsnummerierung.

Die Vielfalt der verschiedenen Systeme birgt nicht nur eine erhöhte Fehleranfälligkeit, sondern erfordert auch die Bereitstellung der Straßendaten in dem jeweils zugehörigen Lokalisierungssystem. Da EDV-Programme typischerweise auf einem Lokalisierungssystem aufbauen, ist die länderübergreifende Verwendung einheitlicher EDV-Programme erschwert. Auch wenn der Bund seine Bundesfernstraßen durchgängig auf das Netzknotensystem nach ASB referenziert, ist eine Vereinheitlichung in den Ländern derzeit nicht absehbar. Eine Lösung könnte langfristig darin bestehen, dass alle Unfälle künftig mit Hilfe z. B. von GPS-Empfängern in Form von Koordinaten aufgenommen werden. Anschließend müsste dann jedoch immer noch eine Zuordnung zur Strecke erfolgen.

Kritisch in diesem Zusammenhang sind auch Änderungen im Straßennetz. Als noch praktikabler Kompromiss wird empfohlen, die Unfälle jahresweise dem Straßennetz zuzuordnen und dann die für die ESN-Anwendung empfohlenen 3 Jahre zusammenzufassen. Diese Vorgehensweise ist dann besonders hilfreich, wenn z. B. eine Neu-Kilometrierung erfolgt ist. Bei substanziellen Netzänderungen sollten die betroffenen Strecken jedoch aus der Auswertung eliminiert werden.

Für die Berechnung der Sicherheitspotenziale werden weiterhin die zu den Unfalldaten korrespondierenden DTV-Werte benötigt. Während für die Bundesautobahnen anhand der Dauerzählstellen eine jährliche Hochrechnung für alle Abschnitte erfolgt, liegen für die Bundesstraßen in der Regel nur die Werte der 5-jährlichen Straßenverkehrszählung vor. Bei den Landes- und Kreisstraßen liegen je nach Zuständigkeit manchmal keinerlei Daten vor. Alternativ können bei entsprechender Verfügbarkeit auch Belastungszahlen aus Modellrechnungen als Näherung verwendet werden.

Im Hinblick auf die Abschnittsbildung bieten die ESN zwei mögliche Wege: Gliederung nach der Netzstruktur oder nach dem Unfallgeschehen. Die Abschnittsbildung auf Basis des Unfallgeschehens wurde jedoch nicht weiter verfolgt, weil sie einerseits kaum EDV-technisch automatisiert werden kann, und weil andererseits keine Kontinuität der Abschnittsbildung über verschiedene Auswertezeiträume zu erwarten ist. Deshalb wurden verschiedene Ansätze zur Abschnittsbildung aufgrund der Netzstruktur getestet. Dabei wurden die in der Straßendatenbank von Rheinland-Pfalz vorliegenden Netzabschnitte als Basis verwendet. Eine erste Auswertung nach Abschnittslängen zeigte jedoch einen hohen Anteil besonders kurzer Abschnitte (Bild 6).

Dann wurden in einem iterativen Prozess Abschnitte zusammengefasst und die Auswirkungen auf die Rangfolge der Sicherheitspotenziale beobachtet. Knoten an Zuständigkeits- und Unterhaltsgrenzen wurden herausgenommen. Nach derzeitigem, vorläufigem Diskussionsstand in der Betreuergruppe sollten

  • Innerorts- und Außerortsabschnitte getrennt betrachtet werden
  • zweibahnige Abschnitte mit einer Mindestlänge von 500 m separate Abschnitte bilden
  • Abschnitte vor und hinter Ortsdurchfahrten zusammengefasst werden, sofern die Länge der Ortsdurchfahrt nicht mehr als 500 m beträgt
  • Abschnitte mit unterschiedlichen DTV-Werten eher großzügig zusammengefasst werden.

Trotz dieser schon recht weitreichenden Regeln sind einzelne sehr kurze Abschnitte nicht ganz auszuschließen. Das Verfahren nach den ESN soll jedoch nur eine Vorauswahl von Abschnitten für weitere Detailuntersuchungen liefern. Im Rahmen dieser ist dann zu überprüfen, ob durch geeignete infrastrukturelle Maßnahmen die errechneten Potenziale ausschöpfbar sind. Die Durchführung dieser Analysen ist vergleichbar mit der Arbeit der Unfallkommissionen. Mit dem Ziel der Qualitätssicherung ist jedoch eine Formalisierung der zugehörigen Verfahrensabläufe wünschenswert. So fasst der französische, den ESN vergleichbare Prozess SURE [10] alle Arbeitsschritte bis zu Maßnahmenentwicklung zusammen.

Die vergleichende Bewertung von Bundes- und Landesstraßen führte teilweise dazu, dass – stärker als erwartet – Landesstraßen hohe Prioritäten erhielten. Daher wird empfohlen, beide Netze gesondert auszuwerten. Dies kann eventuell ein Zeichen dafür sein, dass eine Überprüfung und Aktualisierung der Grundunfallkostenrate für Landstraßen ebenfalls sinnvoll ist. Möglicherweise unterscheiden sich Bundes- und Landesstraßen in ihrer verkehrlichen Funktion und ihrem Ausbaustandard derart gravierend, dass getrennte Grundunfallkostenraten zweckmäßig sind. Weitere Erkenntnisse dazu sollen verschiedene Forschungsprojekte liefern, die sich derzeit in der Vergabe durch die BASt befinden.

Bild 6: Beispiel einer Häufigkeitsverteilung der Abschnittslängen auf Landstraßen [9]

Als letzter Schritt der Pilotanwendung in Rheinland-Pfalz sollen Strecken mit besonders hohem Sicherheitspotenzial näher untersucht und nach Möglichkeit sicherheitsverbessernde Maßnahmen vorgeschlagen werden. Dabei zeigten erste Analysen, dass teilweise bereits bekannte Unfallhäufungsstellen der Grund für die hohen Sicherheitspotenziale sind. Deshalb sollten die Bewertungen nach den ESN grundsätzlich mit Daten der örtlichen Unfalluntersuchung abgestimmt werden. Bewährt hat sich auch eine gemeinsame Darstellung von Sicherheitspotenzialen und Unfällen mit Personenschaden in einer Karte.

5  Zusammenfassung und Ausblick

Die ersten Erfahrungen mit der Anwendung der ESN zeigen, dass die Qualität und die Vollständigkeit der für die Berechnungen benötigten Eingangsdaten im nachgeordneten Netz immer weiter abnimmt. Somit sind derzeit die Analysen dort am einfachsten zu realisieren, wo der Sicherheitsstandard sowieso am höchsten ist, das heißt auf den Autobahnen. Daher ist es wichtig, die Bemühungen um Qualitätsverbesserungen bei den Eingangsdaten insbesondere bei den Landstraßen fortzusetzen, um künftig ein besseres Bild über infrastrukturelle Defizite und volkswirtschaftliche sinnvolle Verbesserungsmaßnahmen gerade im sicherheitsmäßig weniger zufrieden stellenden nachgeordneten Netz zu erhalten.

Die Diskussion über eine sinnvolle Abschnittsbildung ist noch nicht abgeschlossen. Trotz dieser noch offenen methodischen Frage ist jedoch festzuhalten, dass eine netzweite Analyse der Verkehrssicherheit ein weiterer wichtiger Baustein der Verkehrssicherheitsarbeit ist. Nur so ist es möglich, infrastrukturelle Defizite flächendeckend zu erfassen und beheben zu können. Eine solche netzweite Auswertung ist jedoch ohne EDV-technische Unterstützung nicht möglich. Daher sollten – soweit nicht bereits vorhanden – zentrale Unfalldatenbanken mit grafischer Unterstützung (Bild 7) in allen Straßenbauverwaltungen der Länder aufgebaut werden. Durch dieses Instrument würde die Verkehrssicherheit neben den übrigen Belangen bei der Straßenplanung ein stärkeres Gewicht bekommen.

Bild 7: Beispiel einer elektronisch erstellten Karte verschiedener Unfallkenngrößen [9]

 

Literaturverzeichnis

  1. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2003): Empfehlungen für die Sicherheitsanalyse von Straßennetzen (ESN). Köln,
  2. Keu (2006): Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur (Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on road infrastructure safety management) der Kommission der Europäischen Gemeinschaften. http://ec.europa.eu/transport/roadsafety/infrastructure/safety_mgnt_en.htm., Brüssel, 2006.
  3. Bundesanstalt für Straßenwesen (2006): Sicherheitsanalyse von Straßennetzen.
    http://www.bast.de/cln_005/nn_42742/DE/BASt/Organisation/abteilung-v/referat-v1/sicherheitsanalyse/sicherheitsanalyse.html., Bergisch Gladbach,
  4. Keu (2003): Road Infrastructure Safety Management. http://europa.eu.int/comm/transport/road/roadsafety/roadinfra/reports_en.htm., European Commission, DG Energy and Transport, High Level Group Road Safety, Brüssel,
  5. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2003): Merkblatt für die Auswertung von Straßenverkehrsunfällen, Teil 1: Führen und Auswerten von Unfalltypen-Steckkarten. Köln,
  6. RACC (2005): El Programa EURORAP – La determinación del riesgo vial, 3, Informe de evaluación del índice de riesgo en las carreteras de España (2005). RACC Automóvil Club Fundación. Barcelona,
  7. Pöppel-Decker, M.; Schepers, A.; Kossmann, I. (2003): Grundlagen streckenbezogener Unfallanalysen auf Bundesautobahnen. Schriftenreihe Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft M 153, Bergisch Gladbach, 2003.
  8. Bundesanstalt für Straßenwesen (2006): Streckenbezogene Analysen der Unfälle auf Bundesautobahnen. http://www.bast.de/cln_005/nn_42740/DE/BASt/Organisation/abteilung-u/referat- u2/analyse/analysen.html. Bergisch Gladbach,
  9. Weinert, R. (2006): Pilotanwendung der Empfehlungen für die Sicherheitsanalyse von Straßennetzen (ESN). Entwurf des Schlussberichts zum FE 01.165/2004/CRB im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen. November 2006.
  10. Ministère des Transports, de l'Équipement, du Tourisme et de la Mer (2006): SURE - Sécurité des usagers sur les routes
  11. http://www.sure.equipement.gouv.fr/. Paris, 2006.