FGSV-Nr. FGSV 002/116
Ort Stuttgart
Datum 22.03.2017
Titel Verkehrsmodellgestützte Nachfragepotentialermittlung eines urbanen Seilbahnsystems am Beispiel der Stadt Graz
Autoren Dipl.-Ing. Michael Haberl, Dipl.-Ing. Karl Hofer, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Martin Fellendorf
Kategorien HEUREKA
Einleitung

Vor dem Hintergrund einer steigenden Urbanisierung stoßen weltweit immer mehr Verkehrssysteme an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Daher ist sowohl die Weiterentwicklung bestehender als auch die Einführung neuartiger Verkehrssysteme im urbanen Raum notwendig. Die vorliegende Arbeit fokussiert sich auf das Potential eines Seilbahnsystems als integrativen Bestandteil des öffentlichen Personennahverkehrs im urbanen Raum am Beispiel der Stadt Graz. Anhand von Mobilitätsbefragungen wurden erst Reaktionen auf das zusätzliche Verkehrsangebot eines urbanen Seilbahnsystems abgefragt. Die Ergebnisse der Befragungen dienten als Grundlage für eine nachfragegestützte Modellierung des Mobilitätverhaltens in einem multimodalen Verkehrsmodell. Die modellierten Linienbeförderungsfälle bestätigen das Nachfragepotential einer Stadtseilbahn innerhalb des fortschreitenden multimodalen Stadtverkehrs in Graz.

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1 Einleitung

Die Stadt Graz ist eine jener europäischen Städte, in welchen das Verkehrsnetz für den öffentlichen Personennahverkehr im Zentrum bereits bis zur Kapazitätsgrenze ausgelastet ist. Die dichte Verbauung in der historisch gewachsenen Stadt lässt eine Ausweitung der konventionellen Infrastruktur jedoch nur schwer zu. Der Großraum Graz war zudem in den letzten 10 Jahren der am schnellsten wachsende Ballungsraum Österreichs. Eine weitere Bevölkerungszunahme in Graz (Stand 2014: rund 270.000 Einwohner) und seiner näheren Umgebung wird prognostiziert. Dies zeigt nachstehende Bevölkerungsprognose, welche die prozentuellen Veränderungen vom Bezugsjahr 2014 bis hin zum Prognosejahr 2025 und 2050 zeigt.

Bild 1: Bevölkerungsprognose: Veränderungen seit 2014 bis 2025 bzw. 2050

Um für das zusätzliche Verkehrsaufkommen eine entsprechende Bedienungsqualität anbieten zu können, ist eine Ausweitung des Verkehrsnetzes für den öffentlichen Personennahverkehr erforderlich. Diese Ausweitung in einer eigenen Verkehrsebene zu vollziehen erscheint sinnvoll. Eine kostengünstige Stadtseilbahn könnte dabei einen wesentlichen Beitrag zur Kapazitätsausweitung liefern, wenngleich die Kapazitäten einer Seilbahn nicht mit jenen einer U-Bahn konkurrieren können, CUP [1]. Bei einer Stadtgröße wie jener von Graz ist jedoch ein U-Bahnsystem ohnehin keine wirtschaftliche Alternative.

Aufbauend auf eine bereits vorangegangene Machbarkeitsstudie [2], beschreibt der vorliegende Beitrag die Erkenntnisse einer verkehrsmodellgestützten Nachfragepotentialermittlung eines urbanen Seilbahnsystems in der Stadt Graz. In einem ersten Schritt wurden anhand von Mobilitätsbefragungen, insbesondere nach der Stated Preference Methode, Reaktionen auf das zusätzliche Verkehrsangebot abgefragt. Die Ergebnisse der Befragung dienten als Grundlage für die nachfragegestützte Modellierung des Mobilitätverhaltens in einem multimodalen Verkehrsmodell. Anhand der modellierten Ergebnisse konnten Potentiale für verschiedene Nutzergruppen (Wohnbevölkerung, Pendler, Touristen, etc.) dargestellt werden. Es galt zu untersuchen in welchem Ausmaß und unter welchen Voraussetzungen ein Seilbahnsystem urbane Verkehrsnachfrage bedienen und damit einen Beitrag zur Stärkung der multimodalen Mobilität schaffen kann.

2 Grundlagen der Seilbahntechnologie

Seilbahnsysteme verfügen über eine unabhängige Verkehrsebene, damit unterscheiden sie sich bereits deutlich von den konventionellen Verkehrsträgern des öffentlichen Verkehrs im innerstädtischen Raum (Busse, Straßenbahnen) und ermöglichen zudem eine einfache Überwindung von topographischen und baulichen Hindernissen bei geringem Platzbedarf. Der Straßenverkehr wird durch die Erschließung einer neuen Verkehrsebene entlastet und somit eine hohe Verfügbarkeit der Infrastruktur sichergestellt, was sich auch positiv auf die Verkehrssicherheit auswirken kann. Nach Kremer [3] tragen Seilbahnen durch eine gute Energieund Ökobilanz zur Einsparung fossiler Energieträger und der Reduktion von Schadstoffemissionen bei. Sie zeichnen sich darüber hinaus durch geringe Umweltauswirkungen sowie einen kurzen, mit geringen baulichen Eingriffen verbundenen Realisierungszeitraum aus.

Aufgrund niedriger Investitionsund Betriebskosten werden Seilbahnsysteme häufig in Entwicklungsoder Schwellenländern dafür genutzt auch ärmeren Bevölkerungsschichten den Zugang zur öffentlichen Infrastruktur und damit dem öffentlichen Leben zu ermöglichen. In den letzten Jahren haben speziell südamerikanische Städte wie La Paz, Caracas oder Rio de Janeiro urbane Seilbahnen gebaut, um den wenig entwickelten öffentlichen Verkehr zu verbessern. Vor allem die topographischen Gegebenheiten in diesen Städten sind ideale Bedingungen für Seilbahnsysteme, da Höhendifferenzen überwunden werden müssen.

Europäische Städte wie London, Lissabon oder Koblenz haben hingegen städtische Seilbahnen für besondere Veranstaltungen (Olympia, Weltausstellung, Bundesgartenschau) gebaut. Diese sind jedoch kein integraler Bestandteil des öffentlichen Verkehrsnetzes und haben nur die Funktion die Stadt mit einem Veranstaltungsgelände zu verbinden. Es gibt damit in europäischen Städten keine Erfahrungen inwiefern ein Seilbahnsystem bei vollständiger Integration in den öffentlichen Personennahverkehr angenommen werden würde. Im europäischen und auch deutschsprachigen Raum sind jedoch bereits etliche Machbarkeitsstudien, urbane Seilbahnsysteme betreffend, projektiert worden. Diese umfassen neben Göteborg oder Zürich auch die deutschen Städte Wuppertal, Bochum, Bonn, Berlin oder Mannheim. Auch in Aachen, Hamburg, Ingolstadt, Köln, München oder Wolfsburg wurde bereits über urbane Seilbahnsysteme diskutiert.

Seilbahnen können anhand ihrer Betriebsart, des verwendeten Seilsystems sowie der Anzahl der Seile bzw. der Antriebsart in unterschiedliche Bauweisen eingeteilt werden, siehe Bild 2. Von allen zur Verfügung stehenden Seilbahnsystemen versprechen in erster Linie die Umlaufseilbahnen die besten Perspektiven für den urbanen Einsatzbereich. Für ein leistungsstarkes Seilbahnsystem empfiehlt sich laut Zatran [2] eine Dreiseilumlaufbahn (3S/TGD). Eine 3S-Bahn vereint dabei die Vorteile von Pendelbahnen, mit einer großen Kabine (maximal 35 Personen), mit den Vorteilen der Einseilumlaufbahn (MGD) und deren kontinuierlichen Kabinenverfügbarkeit. Das 3S-System wird als Stetigförderer ausgeführt, somit kommt es in den Stationen zu minimalen Wartezeiten für die Passagiere. Die 3S-Bahn hat zudem den Vorteil nur wenige Stützen zu benötigen und hat damit nur eine geringe Flächeninanspruchnahme. Durch die Kuppeltechnik kann bei Bedarf schnell die Kabinenfolgezeit durch zusätzliche Kabinen reduziert und die Förderkapazität erhöht werden. Alternativ zum 3S-System könnte auch eine kostengünstigere Einseilumlaufbahn den Anforderungen genügen. Die Einseilumlaufbahn fasst jedoch nur maximal 15 Personen.

Bild 2: Taxonomie der Seilbahnbauweisen [3]

Die Förderkapazität einer Stadtseilbahn ist von der Ausführung des Seilbahnsystems abhängig, Kremer [3]. So können Förderkapazitäten von bis zu 4.000 Personen pro Stunde und Richtung bei Einseilumlaufbahnen und 6.000 Personen pro Stunde und Richtung bei Dreiseilumlaufbahnen erreicht werden. Diese Förderleistungen kann man durchaus mit jenen von Straßenbahnlinien mit bereits dichter Taktfrequenz vergleichen. Eine Übersicht der Taktzeiten von unterschiedlichen Personennahverkehrssystemen für Förderleistungen von

3.000 respektive 5.000 Personen pro Stunde und Richtung wird in nachstehender Tabelle gezeigt. Dabei kann eine 3S-Bahn 3.000 Personen pro Stunde und Richtung bei einer Kabinenfolgezeit von 42 Sekunden befördern. Für selbige Förderleistung müsste eine Standardstraßenbahn in Graz (Cityrunner oder Variobahn) einen sehr dichten 3-Minuten Takt fahren.

Tabelle 1: Vergleich der Taktzeiten für spezifische Förderleistungen diverser Verkehrsmittel

3 Methode der Nachfragepotentialermittlung

Die vorgestellte Methodik für eine verkehrsmodellgestützte Nachfragepotentialermittlung eines urbanen Seilbahnsystems lässt sich in 5 Schritte gliedern, siehe Bild 3. Dem ersten Schritt einer mehrstufigen Mobilitätsbefragung folgten deren Analysen. Im darauffolgenden dritten Schritt wurden Erweiterungen des bestehenden kalibrierten Verkehrsmodells notwendig. Hauptaugenmerk dabei wurde auf die Integration des Seilbahnsystems in das bestehende kalibrierte Verkehrsmodell gelegt. Auf Basis einer Prognose wurde das Fahrgastpotential für unterschiedliche Planfälle ermittelt und die Systemwirkung des Seilbahnsystems im letzten Schritt bewertet. Darauf aufbauend lassen sich die Wirkungen der Integration der Seilbahn ermitteln, indem die Zustände mit und ohne Maßnahme anhand geeigneter Kenngrößen verglichen werden, wie es Friedrich [4] postuliert.

Bild 3: Projektsystemskizze zur Fahrgastpotentialermittlung

3.1 Mobilitätserhebung und -analysen

Die auf dem Kontiv-Design basierende RP-Befragung (Revealed-Preference-Befragung) der Grazer Wohnbevölkerung konzentrierte sich insbesondere auf einen Korridor entlang der geplanten Seilbahntrasse. Zudem wurden auch Pendler in der Mobilitätserhebung befragt. Anhand der Ergebnisse dieser ersten Stufe der Mobilitätserhebung wurden vertiefte personalisierte Personeninterviews nach der Stated Preference Methode abgefragt. Diese Befragungsmethode eignet sich nach Axhausen und Sammer [5] speziell dann, wenn es um die Nachfragewirkungen einer Maßnahme geht, die bis dato nicht umgesetzt wurde und deren Wirkungen deshalb auch nicht in der Realität beobachtet werden kann, so wie es für ein urbanes Seilbahnsystem mit vollständiger Integration in den öffentlichen Personennahverkehr der Fall ist. Neben allgemeinen Fragen zur Seilbahnnutzung und Tarifgestaltung wurden in erster Linie personalisierte Fragen zum Entscheidungsverhalten bei der Verkehrsmittelwahl für unterschiedliche Verkehrszwecke (Arbeiten, Freizeit, Einkaufen, Sonstige Aktivitäten) gestellt.

Bild 4: Übersicht der Befragungsorte und Verkehrsmittelwahlentscheidung der Stated Preference Befragung

Die Ergebnisse der Befragung dienten als Grundlage für die Modellierung des Mobilitätsverhaltens im bestehenden, multimodalen Verkehrsmodell. So konnten unter anderem Erkenntnisse über die Benutzungsfrequenz einer Stadtseilbahn gewonnen werden. Diese unterstreichen in erster Linie die Problematik, dass urbane Seilbahnsysteme nicht als alltägliches Verkehrsmittel gesehen werden. Sehr aufschlussreich für die weiteren Schritte der verkehrsmodellgestützten Nachfragepotentialermittlung waren die Fragen zum Entscheidungsverhalten der Verkehrsmittelwahl.

Bild 5: Wahlentscheidung zwischen einem Seilbahnsystem und den bestehenden traditionellen ÖV-Systemen (Bus, Straßenbahn)

Die Wahlentscheidung zwischen einem Seilbahnsystem und den bestehenden traditionellen ÖV-Systemen (Bus, Straßenbahn) spiegelt dabei einen „Schienenbonus“ wider. Während bei identer Reisezeit 53,6% die Straßenbahn gegenüber der Seilbahn bevorzugen, so wählen lediglich 40,8% den Bus gegenüber 59,2%, welche die Seilbahn wählen würden.

Eine Touristenbefragung machte zudem das Entscheidungsverhalten der Touristen bei einer etwaigen Stadtseilbahnverfügbarkeit analysierbar. Es wurden sowohl Tagesals auch Mehrtagestouristen befragt. Auf die Frage, ob die Personen eine städtische Seilbahn während des touristischen Aufenthaltes benützen würden, antworteten knapp 49% mit „ja“ und weitere 28% mit „eher ja“. Die Befragungsergebnisse zeigen außerdem, dass mehr als jeder fünfte Tourist die Stadtseilbahn zum Zwecke einer Rundfahrt nützen würde.

3.2 Erweiterung und Prognose des Verkehrsmodells

Das verwendete regionale, multimodale Verkehrsmodell verfolgt eine simultane, auf Aktivitätenketten-basierte Nachfragemodellierung mittel VISEM und wurde mit der makroskopischen Verkehrssimulationssoftware VISUM der PTV Group erstellt, Fellendorf et al. [6]. Der Analysefall wurde auf das Bezugsjahr 2011 hin kalibriert. Im Kalibrierungsschritt wurden Widerstandsparameter des Zielwahlmodells und Parameter des Logit Verkehrsmittelwahlmodells so verändert, dass die Differenz zwischen modellierten und gemessenen Querschnittsbelastungen des Kfz-Verkehrs, die Einsteigerund Aussteiger des Öffentlichen Verkehrs und die Fahrtweitenverteilung aus der Grazer Mobilitätsbefragung minimiert wurden.

Um den Anforderungen einer Maßnahmensensitivität gerecht zu werden, musste der Analysefall erweitert werden. So wurde das Verkehrsmodell um ein eigenes Nachfragemodell für den Tourismus erweitert, da diese Personengruppe ein nicht zu unterschätzendes Fahrgastpotential für das Seilbahnsystem besitzt. Graz verzeichnet über 1 Mio. Übernachtungen (Stand 2015). Zudem wurde das bereits existierende P&R-Konzept im Modell erweitert, da auch die Personengruppe der Pendler an den stadtrandnahen Seilbahnstationen die Möglichkeit zur Benutzung des Seilbahnsystems im Modell bekommen müssen. Etwa 170.000 Personen fahren werktags aus den umliegenden Regionen nach Graz, davon benutzen rund 85 Prozent den motorisierten Individualverkehr (Stand 2014).

Von der österreichischen Raumordnungskonferenz stehen ÖROK-Prognosen von 2010-2030 mit Projektion bis 2050 zur Verfügung. Anhand des Hauptszenarios dieser Prognosen wurden die Raumstrukturdaten innerhalb des Verkehrsmodells bis zum Prognosehorizont 2025 hochgerechnet. Aufbauend auf diesen Basisnullfall 2025 wurden fünf Planfälle des Seilbahnsystems modelliert. Die Unterscheidungen der fünf Planfälle (PF 1.1 – PF 4) betreffen die Trassierung und die Stationsstandorte aber auch das verwendete Seilbahnsystem per se. Ob es sich um eine Ein(MGD) oder um eine Dreiseilumlaufbahn (TGD) handelt, hat beispielsweise Einfluss auf die Attribute der Reisegeschwindigkeit oder Gefäßkapazität der Gondelkabinen und damit auf die Förderleistung des Seilbahnsystems Bild 6. Nicht berücksichtigt wurde bei der Modellierung die Attraktivität des Seilbahnsystems. Es gilt jedoch zu vermuten, dass eine Dreiseilumlaufbahn mit Kabinengrößen von bis zu 35 Personen Fassungsvermögen eher als vollwertiges urbanes Verkehrssystem gesehen wird, als eine Einseilumlaufbahn, welche eher mit alpinen Tourismussystemen in Verbindung gebracht werden könnte.

Bild 6: Übersicht der Erweiterungen und Prognose des Verkehrsmodells

Spezieller Fokus wurde auf die Integration des Seilbahnsystems in das bestehende kalibrierte Verkehrsmodell gelegt. Innerhalb der Nachfrageberechnung werden bei der Verkehrsaufteilung oft alle Modi gleichberechtigt nebeneinander betrachtet, dies war auch in der Analyseversion des vorliegenden Verkehrsmodells der Fall. Der neue Modus der Seilbahn weist mit seiner ständigen Verfügbarkeit jedoch deutliche Unterschiede zu den traditionellen Verkehrssystemen des öffentlichen Verkehrs (Bus, Tram, Zug) auf. Um diese Auswirkungen im Nachfragemodell abzubilden wurde das bestehende Multinomiale Logit Modell (MNL) der Verkehrsmittelwahl durch ein Nested Logit Modell ersetzt, da die Fehlerterme der Wahlalternativen nicht unabhängig voneinander und identisch verteilt sind [7]. Man möchte demnach eine hierarchische Moduswahl modellieren, bei der erst ein Anteil für den ÖV berechnet wird, der dann auf die verschiedenen ÖV-Modi (traditioneller ÖV und Seilbahn) aufgeteilt wird. Der traditionelle ÖV umfasst dabei sowohl das Bus-, Straßenbahnals auch das Zugsystem.

Die Nutzenfunktion des traditionellen ÖVs (VOEV) innerhalb des kalibrierten Analysefalls beinhaltet Kenngrößen wie die Reisezeit, die Zuund Abgangszeiten aber auch die Bedienungshäufigkeit. Um die bestehende Kalibrierung des traditionellen ÖVs zu erhalten, wurde ein Ansatz gewählt in dem die Nutzendefinition der Seilbahn in Abhängigkeit der kalibrierten Nutzendefinition des traditionellen ÖVs erstellt wird.

Innerhalb des ÖV-Nestknotens folgt das Aufteilungsverhältnis zwischen den zwei Alternativen des traditionellen ÖVs (POEV) und der Seilbahn (PSeil) den Eigenschaften des MNL und ist von deren jeweiligen Nutzen (VOEV und VSeil) abhängig, [8]:

Formel  (1) siehe PDF.

Die Auswahlwahrscheinlichkeit des traditionellen ÖVs (POEV) und der Seilbahn (PSeil) aus der Stated Preference Befragung wurde über deren Nutzenverhältnisse aufgetragen und folgt einer typischen S-förmigen Verteilungsfunktion. Anhand einer Weilbull-Verteilung wurde das Entscheidungsverhalten der Verkehrsmittelwahl beschrieben und die Formparameter c und k ermittelt, siehe Bild 7.

Bild 7: Entscheidungsverhalten der Verkehrsmittelwahl der Weibull-Verteilung folgend

Damit kann POEV und PSeil für jegliche OD-Matrixbeziehungen (i, j) berechnet werden:

Formel (2) und (3) siehe PDF.

Wobei x (i, j) das Nutzenverhältnis der zwei Wahlmöglichkeiten innerhalb des ÖV-Nestknotens jeglicher OD-Matrixbeziehungen repräsentiert:

Formel (4) siehe PDF.

β wird in (1) auf 1 normalisiert, daraus folgt der funktionale Zusammenhang der Nutzendefinition der Seilbahn (VSeil) in Abhängigkeit der bestehenden kalibrierten Nutzendefinition des traditionellen ÖVs (VOEV):

Formel (5) siehe PDF.

3.3 Fahrgastpotentialermittlung von Planfallvarianten

Die bereits definierten Planfallszenarien wurden detailliert trassiert, da insbesondere die Stationsstandorte von der technischen Machbarkeit der Trassierung, beispielsweise der maximalen Ablenkung der Seilbahntrasse, abhängt. Bei der Streckenführung wurde danach getrachtet, dass sich der benötigte Seilbahnkorridor (ca. 30 m Breite) und die Stationsflächen möglichst auf öffentlichem Grund befinden, damit eine rasche, unkomplizierte und kostengünstige Projektabwicklung gewährleistet wäre. Die Trasse verläuft von Norden bis Süden der Stadt und folgt weitgehend dem Verlauf des Flusses Mur. Es wurden kurze (rot) und lange Seilbahntrassen (blau) modelliert, siehe Bild 8.

Bild 8: Trassenverlauf einer kurzen und einer langen Planfallvariante

Als Ergebnis der Nachfrageberechnungen erhält man die Linienbeförderungen der einzelnen Planfallvarianten. In einem iterativen Prozess wurden die einzelnen Planfälle weiter optimiert. So konnten bereits Stationen, welche ein zu geringes Einbzw. Aussteigerpotential aufwiesen, identifiziert und entfernt werden. Dies hat Einfluss auf sowohl eine verkürzte Reisezeit als auch reduzierte Investitionskosten des Seilbahnsystems.

Die modellierten Ergebnisse der Linienbeförderungen der Stadtseilbahn liegen durch aus in der Größenordnung der gezählten Linienbeförderungsfälle der sechs Straßenbahnlinien in Graz (Stand 2015). Rund ein Drittel der Beförderungsfälle werden durch die Fahrten der Pendler generiert und unterstreicht das Potential eines multimodalen Verkehrs über die Stadtgrenzen hinaus. Durch die Integration der Touristen im Verkehrsmodell war es auch möglich deren Fahrgastpotential quantitativ zu ermitteln. Rund ein Sechstel der Seilbahnbeförderungen wird durch das Personensegment der Touristen absolviert. Die kurzen Trassenvarianten verzeichnen dabei rund ein Drittel weniger Linienbeförderungen als die langen Planfallvarianten.

4 Ergebnisse und Systemwirkung der Seilbahn

Die Ermittlung der Fahrgastpotentiale der unterschiedlichen Planfälle legt jedoch erst den Grundstein für den nächsten Schritt, in dem die Systemwirkung der Seilbahn innerhalb der Stadt Graz bewertet wird. Speziell die Wirkungen des neuen integrierten Verkehrssystems hinsichtlich der Verlagerungswirkung von anderen Verkehrsmitteln und in Bezug auf neu generierte Wege treten dabei in den Fokus. Gerade für den durch motorisierten Individualverkehr geprägten Pendlerverkehr lassen sich anhand der P&R-Möglichkeiten an den stadtrandnahen Seilbahnstationen erhebliche Potentiale zur Verlagerung hin zum öffentlichen Verkehr feststellen. Auch weitere verkehrliche Rahmenbedingungen für den Einsatz einer Seilbahn in einem multimodalen Verkehrssystem im urbanen Raum müssen in weiterer Folge zielführend abgeleitet werden.

Nachstehende Tabelle rekapituliert die ermittelten Potentialergebnisse der einzelnen Planfälle. Die Linienbeförderungen der einzelnen Planfälle sind für den Werktag angegeben.

Tabelle 2: Übersicht prognostizierte Linienbeförderungen pro Werktag

Welche Systemwirkung kann nun jedoch der Seilbahn bescheinigt werden und woher stammen die modellierten Fahrten des Seilbahnsystems? Werden die erzeugten Linienbeförderungsfälle der Seilbahn vielleicht nur vom bereits bestehenden ÖV nun auf die Seilbahn verlagert? Diese Frage kann mit „Nein“ beantwortet werden.

Betrachtet man nachfolgende Differenzdarstellung zwischen dem Basisnullfall und dem Planfall PF 1.2, so erkennt man die grünen Linienbalken der Seilbahn, welche im innerstädtischen Bereich bis über 24.000 Fahrten als Querschnittsbelastung aufweist. Die der Seilbahntrasse parallel verlaufenden Linienrouten alternativer ÖV-Linien weisen hingegen rote Linienbalken auf, welche einer Beförderungsabnahme gleichkommt. Diese Beförderungsabnahme betrifft in erster Linie die teilweise parallellaufenden Straßenbahnlinien (Linie 4 und 5). Im Bereich der Innenstadt kommt es im PF 1.2 im Vergleich zum Basisnullfall PF 0 zu Beförderungsabnahmen von bis zu 3.000 Fahrten, dies entspricht gerade einmal einem Achtel der 24.000 parallellaufenden Seilbahnfahrten. Wie nachstehende Abbildung illustriert kann es jedoch auch durch aus zu Beförderungszunahmen (grüne Balken) auf anderen Linien neben der Seilbahn kommen. Diese Zunahmen begründen sich auf neuen Umsteigerelationen, welche durch das integrierte Seilbahnsystem entstehen. Man kann hier also festhalten, dass es sehr wohl zu Abnahmen am Liniennetz des bereits bestehenden ÖVs kommt, jedoch können durch neue Umsteigerelationen genauso zusätzliche Fahrten am bestehenden ÖV-Netz erzeugt werden. Durch die Pendler sinken auch die Linienbeförderungen der S-Bahnen geringfügig.

Bild 9: Differenzdarstellung zwischen PF 0 und PF 1.2 (Grün: Zunahmen, Rot: Abnahmen)

5 Zusammenfassung und Ausblick

Durch die spezifisch abgestimmten Befragungen der Grazer Wohnbevölkerung aber auch der Pendler und Touristen konnten wesentliche Erkenntnisse über deren Mobilitätsverhalten und deren Verkehrsmittelwahlverhalten bei Verfügbarkeit einer Stadtseilbahn gesammelt werden. Kernpunkt der Verkehrsmodellerweiterungen bildete insbesondere die Integration des Seilbahnsystems. Das bestehende Multinomiale Logit Modell der Verkehrsmittelwahl wurde durch einen Nested Logit Ansatz ersetzt. Um die bestehende Kalibrierung des traditionellen ÖVs zu erhalten, wurde ein Ansatz gewählt in dem die Nutzendefinition der Seilbahn von jener des traditionellen ÖVs abhängt. Dabei wurde das Entscheidungsverhalten der Verkehrsmittelwahl durch eine S-förmige Weilbull-Verteilung beschrieben.

Die vorliegenden Ergebnisse bestätigen das Potential einer Stadtseilbahn innerhalb des fortschreitenden multimodalen Stadtverkehrs in Graz. Die Förderkapazitäten einer urbanen

Seilbahn lassen sich mit jenen einer Straßenbahn im dichten Takt vergleichen. Auch die modellierten Linienbeförderungsfälle der unterschiedlichen Planfälle und unterschiedlichen Trassenvarianten können mit gezählten Beförderungsfällen von Grazer Straßenbahnlinien konkurrieren. Die Modellergebnisse zeigen auch, dass die Seilbahn nicht nur aus touristischer Sicht interessant ist, sondern auch der Pendlerverkehr und die Stadtbevölkerung bei vollständiger Integration in das öffentliche Nahverkehrssystem wichtige Benutzergruppen darstellen.

Aussagen über die Realisierungswürdigkeit des neuen Verkehrssystems Seilbahn lassen sich jedoch lediglich anhand der modellierten Nachfragezahlen nicht treffen. Eine weiterführende gesamtwirtschaftliche Bewertung der definierten Planfälle anhand einer Nutzen-KostenAnalyse (NKA) ist in der Lage, Aussagen zur gesamtwirtschaftlichen Sinnhaftigkeit der Investition in ein Seilbahnsystem zu liefern. In Österreich wird dabei die Richtlinie RVS

02.01.22 [9] herangezogen, welche die Nutzen-Kosten-Untersuchung im Verkehrswesen beschreibt. Möglichst alle monetarisierbaren Wirkungseffekte sollen dabei in der NutzenKosten-Analyse erfasst werden, um die Rentabilität der eingesetzten Finanzmittel bewerten zu können.

Abschließend lässt sich eine generelle Skepsis hinsichtlich der Nutzung von Seilbahnen als urbanes Verkehrsmittel laut Befragungsergebnissen konstatieren. Dies ist damit zu begründen, dass die Integration eines weiteren Verkehrsmittels, in die bereits etablierten traditionellen Verkehrssysteme der europäischen Städte, deren Komplexität weiter erhöhen würde. Bis dato liegen im europäischen Raum keine Erfahrungen mit vollintegrierten, urbanen Seilbahnen vor. Dieses neue Verkehrsmittel stellt jedoch einen nicht von der Hand zu weisenden Eingriff in das Stadtbild dar, ob dieser Eingriff positiv oder negativ zu sehen ist, wird durchaus differenziert bewertet.

Bild 10: Rendering der Grazer Stadtseilbahn

Danksagung

Die Autoren danken der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie BMVIT für die finanzielle Unterstützung des Forschungsprojekts „ROPEWAY_POT Potential der Stadtseilbahn im multimodalen Stadtverkehr“ (Projekt 849062) im Rahmen des Förderprogrammes Mobilität der Zukunft. Besonderer Dank gilt auch den Projektpartnern Holding Graz Linien und PLANUM Fallast Tischler & Partner GmbH.

6 Literatur

[1]    CUP (2013) Cable Car Confidential – The essential guide to cable cars, urban gondolas & cable propelled transit. Creative Urban Project Inc. (CUP), Ontario, Kanada.

[2]    ZATRAN (2012) Machbarkeitsstudie ÖPNV Graz – Vertiefungsund Konzeptphase (Phase 2) Dreiseilumlaufbahn für eine Nord-/Südverbindung in der Mur. Graz, Austria.

[3]    KREMER, F. (2015) Innovation Seilbahn Potentiale für den urbanen Personennahverkehr und Positionen der beteiligten Akteure. Hrsg.: Technische Universität Berlin, Fakultät VI: Planen, Bauen, Umwelt Institut für Stadtund Regionalplanung.

[4]    FRIEDRICH, M.; RITZ, C. (2014) Was bringt wie viel? Alte und neue Verkehrsund Mobilitätskonzepte für Städte. in Heureka 2014 Heureka’14 – Optimierung in Transport und Verkehr, Tagungsbericht, FGSV Verlag.

[5]    AXHAUSEN, K.W., SAMMER, G. (2001) Stated Responses: Überblick, Grenzen, Möglichkeiten. Internationales Verkehrswesen, 53 (6), 274-278.

[6]    FELLENDORF, M.; HAUPT, T.; HEINDL, U.; SCHERR, W. (2000) VISEM – An activity chain based traffic demand model. PTV AG, Karlsruhe, Deutschland.

[7]    BEN-AKIVA, M.; LERMAN, S. (1985): Discrete Choice Analysis – Theory and Application to Travel Demand. Massachusetts Institute of Technology, Cambridge (Massachusetts).

[8]    ORTUZAR, J.de D.; WILLUMSEN, L.G. (2011) Modelling Transport. 4. Auflage, WileyBlackwell, Hoboken.

[9]    RVS 02.01.22 (2010) Nutzen-Kosten-Untersuchung im Verkehrswesen. Österreichische Forschungsgesellschaft Straße – Schiene – Verkehr (FSV), Ausgabe 1. Oktober 2010.