FGSV-Nr. FGSV 002/106
Ort Stuttgart
Datum 02.04.2014
Titel Schaltzeitprognose verkehrsabhängiger Lichtsignalanlagen im Rahmen des Forschungsprojektes EFA 2014/2
Autoren Prof. Dr.-Ing. Jürgen Krimmling, Dipl.-Ing. Mario Krumnow, Dipl.-Ing. Sebastian Pape, Dipl.-Ing. Andreas Kretschmer
Kategorien HEUREKA
Einleitung

Die Nutzung aktueller Verkehrsinformationen im Fahrzeug zur Unterstützung des Fahrers bei seiner Fahraufgabe ist Gegenstand vieler aktueller Forschungsprojekte (vgl. [1][2][3]). Die Aufgaben der Car-2-Infrastructure Kommunikation (C2I) sind dabei vielfältig ausgeprägt. Zum einen soll der Fahrer in sicherheitskritischen Situationen unterstützt werden und zum anderen sollen neue Komfortfunktionen ermöglicht werden. Im aktuellen Forschungsprojekt Energieeffizientes Fahren 2014 (EFA 2014/2), werden u.a. verschiedene Komfortfunktionen umgesetzt, welche eine Reichweitenerhöhung von Elektrofahrzeugen begünstigen. Im urbanen Raum wird der Verkehr vorrangig von Lichtsignalanlagen (LSA) beeinflusst [4], somit ist hier ein erhöhtes Energieeinsparpotential durch eine effiziente Annäherung an die LSA möglich. Für eine flächenhafte Nutzung einer solchen „Ampelphasenassistenz“ wurde daher ein allgemeiner Ansatz entwickelt, welcher unterschiedliche verkehrsabhängige LSASteuerverfahren berücksichtigt. Dabei wird die vorhandene LSA Infrastruktur verwendet, ohne zusätzliche Umrüstungen oder besondere Installationen vorzunehmen. Der entwickelte und hier vorgestellte Algorithmus arbeitet sowohl hersteller- und schnittstellenunabhängig und lässt dabei eine Schaltzeitprognose für eine Vielzahl von verkehrsabhängigen LSA Steuerverfahren zu.

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1 Motivation

Die begrenzte Reichweite von E-Fahrzeugen ist ein Katalysator für neue innovative Ideen. Im Rahmen des Forschungsprojektes EFA 2014/2 werden daher neue Fahrerassistenzfunktionen auf Basis von C2I-Technologien erforscht. Durch aktiven Informationsaustausch soll dem Fahrer dabei ein möglichst energieoptimales Fahrverhalten vermittelt werden. Darunter versteht man u.a. eine konkrete Geschwindigkeitsempfehlung bei der Annäherung an Lichtsignalanlagen. Weiterhin werden angepasste Routingstrategien untersucht, welche zu einer Reichweitenerhöhung der E-Fahrzeuge führen sollen. Das Optimierungskriterium all dieser Fahrerassistenzfunktionen ist demnach die Minimierung des Energieverbrauches.

2 Ausgangssituation

Die Lichtsignalanlagen welche in den deutschen Städten vorrangig eingesetzt werden, können über Detektoren die Verkehrsnachfrage detektieren und gezielt berücksichtigen. Diese verkehrsabhängigen Steuerungen sind weitverbreitet und werden meist bei der Modernisierung alter Anlagen installiert (vgl. [5][6]).
Bei einer mittleren Lebensdauer der Lichtsignalanlagen von ca. 20 Jahren, ist daher mit einer weiter steigenden Anzahl von verkehrsabhängigen Anlagen in den nächsten Jahren zu rechnen (vgl. [7]).

Dresden hat beispielsweise einen Anteil von 99,4% verkehrsabhängig gesteuerter LSA.

In Großstädten werden LSA Anlagen verstärkt in hohem Maße vernetzt umso beispielsweise die Bewegung von Verkehrsströmen gezielt zu optimieren, z.B. linienförmig in Form einer Grünen Welle (vgl. [8]).

Bei einer durchschnittlichen LSA-Dichte von ca. 1 LSA/1000 EW in deutschen Großstädten, ist eine Umrüstung sämtlicher Lichtsignalanlagen mit Kommunikationseinrichtungen ökonomisch kaum vertretbar.

Durch die lange Lebensdauer von Lichtsignalanlagen benötigen neue Technologien sehr lange bis sie flächendeckend verfügbar sein werden.

3 Anforderungen

Das entwickelte Verfahren ermöglicht eine flächendeckende Prognose von Schaltzeiten, wobei die bestehende LSA Infrastruktur nicht verändert wird.

Eine weitere Anforderung, welche u.a. durch die eingesetzte Kommunikationstechnologie (UMTS/Internet) erforderlich wird, ist die lange Prognose von über 180 Sekunden in die Zukunft. Hierbei ist anzumerken, dass zuverlässige Prognosen bei verkehrsabhängigen Steuerungen, selbst bei Vorhandensein aller Eingangsgrößen eine große Herausforderung darstellt. [2] [9]

Das entsprechende Verfahren erfüllt daher folgende Anforderungen:

-    Herstellerunabhängigkeit

-    Schnittstellenunabhängigkeit

-    Robustheit

-    Erweiterbarkeit

Um ein Höchstmaß an Lichtsignalanlagen unterstützen zu können und um unabhängig von Planungsunterlagen zu sein, benutzt die Schaltzeitprognose nur die resultierenden Schaltdaten der Signalgruppen. In Abbildung 1 ist die Einordnung einer solchen Schaltzeitprognose schematisch dargestellt

Abbildung 1: Das Verfahren nutzt nur die Schaltinformationen der Signalgruppen

4 Klassifikation von LSA-Steuerungsverfahren

Die Richtlinien für Lichtsignalanlagen (RiLSA) unterscheiden bei den Steuerungsverfahren grundsätzlich in zwei Ebenen (vgl. [10]). Zum einen die makroskopische Steuerungsebene, welche die zeitliche Veränderung der gewählten Signalprogramme beschreibt. In dieser Ebene wird unterschieden in die Signalprogrammauswahl, welche entweder zeitplan- oder verkehrsabhängig agiert und zum anderen in die dynamische Bildung von Rahmensignalprogrammen.

Die lokale Steuerungsebene wird als mikroskopische Steuerungsebene bezeichnet, welche grundlegenden Möglichkeiten der Modellierung von LSA-Steuerprogrammen beschreibt. Dabei wird unterschieden in nicht dynamische Programme (Festzeitsteuerung) und dynamische Programme (Signalprogrammanpassung, Signalprogrammbildung).

4.1 Einschränkungen der zu entwickelnden Schaltzeitprognose

In Tabelle 1 und 2 wird bereits eine erste Einschränkung verschiedener Steuerverfahren nach RiLSA vorgenommen, welche sich an den zu erwartenden Freiheitsgrad richten [11].

Tabelle 1: Prognose von makroskopischen Steuerverfahren

Tabelle 2: Prognose von mikroskopischen Steuerverfahren

5 Algorithmus für die LSA-Schaltzeitprognose

Um den Anforderungen der Schaltzeitprognose genügen zu können, wie z.B. die gute Übertragbarkeit/Erweiterung des Verfahrens und der Minimierung der benötigten Eingangsdaten, sind verschiedene Annahmen sinnvoll.

Der Signalzustand der später im Fahrzeug ausgewertet werden soll (probability to go), soll eine Aussage darüber geben, ob gefahren werden darf oder nicht. Daher werden die unterschiedlichen Signalzustände der (KFZ-) Signalgruppen vereinfacht zu Freigabe (grün) und keine Freigabe (rot, gelb, rot/gelb).

Weiterhin erscheint es zweckmäßig die zeitdiskreten (Sekundentakt) Schaltdaten einer Signalgruppe als binären Vektor darzustellen. Dabei wird allen Zuständen in denen keine Freigabe für den Strom vorliegt eine „0“ zugewiesen. Den Signalzuständen mit Freigabe eine „1“. Dieses Vorgehen ist in Abbildung 2 beispielhaft dargestellt.

Abbildung 2: Überführung der Signalzustände in Vektoren mit binärer Interpretation

Das Zerlegen der LSA Schaltdaten in Binärvektoren führt zu einer Reduzierung der Signalzustände. Am Beispiel einer verkehrsabhängigen Steuerung (siehe Abbildung 3) ist zu erkennen, dass die vier Schaltzustände einer KFZ Signalgruppe analog des Beispiels in Abbildung 2, alle Umläufe in Binärvektoren überführt werden können.

Abbildung 3: Überführung der Signalzustände in Vektoren mit binärer Interpretation

In Abbildung 3 konnte bereits die vom Steuergerät gesendete Umlaufsekunde genutzt werden, um die Umläufe klar voneinander zu unterscheiden.

Eine Prognose über einen längeren Zeitraum hinweg, d.h. über mehrere Umläufe hinweg, impliziert entweder eine sehr gute Kenntnisse über das konkrete Steuerverfahren inklusive sämtlicher eintretender Detektordaten, bzw. ist ein hoher Anteil von festen Signalbildern Voraussetzung.

Da die konkrete Kenntnis des Steuerverfahrens nicht Bestandteil dieses Forschungsprojektes ist und eine flächenhafte Anwendung des Prognoseverfahrens so kaum möglich erscheint, ist für eine sichere Aussage (100% Wahrscheinlichkeit des Eintreffens) das Vorhandensein von „Kernzeiten“ eine Grundvoraussetzung (vgl. Abbildung 4). Andere Forschungsprojekte haben dazu bewusst verkehrsabhängige Steuerungen für einen definierten Zeitbereich, z.B. 15 Minuten mit statischen Signalzuständen versorgt, um dieses Kriterium zu erfüllen [12].

Abbildung 4: Darstellung von Kernzeiten

Das heißt ein gutes Prognoseergebnis kann dann erreicht werden, wenn man es schafft die Periodizität des Umlaufes (Modulo-Operation) so zu wählen, dass möglichst viele Kernzeiten innerhalb des Umlaufes auftreten. Typischerweise ist dies bereits durch die Umlaufzeit des Programmes selbst und den damit verbundenen Rahmenplänen realisiert.

Da dem entwickelnden Prognoseverfahren unter Umständen keine Information zur aktuellen Schaltsekunde des Steuergerätes zur Verfügung steht, bzw. die Maximierung der Kernzeiten auch durch dynamische Variation der Umlaufzeit erreicht werden kann, wird im Folgenden ein neuer Ansatz vorgestellt.

Dabei wird durch eine Mustererkennung auf Basis der Autokorrelationsfunktion (AKF) die Umlaufzeit berechnet, welche zu einer Maximierung der Kernzeiten führt [13].

5.1 Autokorrelationsanalyse von LSA-Steuerverfahren

Der Verlauf von LSA-Schaltdaten, kann als zeitdiskreter Prozess betrachtet werden. Die Kovarianz solcher stochastischer Prozesse (Verteilung der Freigabezeiten) kann dabei mithilfe der Autovarianzfunktion beschrieben werden [14].

Autovarianz:

Formel (1) siehe PDF.

Für die Erkennung von periodischen Mustern, welche sich zwangsläufig bei umlaufbasierten Steuerverfahren einstellen, kann eine Autokorrelationsfunktion wichtige Aussagen liefern. Dabei steht Ε für den Erwartungswert und µt1 für den Erwartungswert von X zum Zeitpunkt t.

Autokorrelationsfunktion:

Formel (2) siehe PDF.

Die Faktoren σt1 und σt2 beschreiben dabei die Standardabweichung zum jeweiligen Zeitpunkt. Die Besonderheit der AKF besteht darin eine Korrelation des Signals mit sich selbst durchzuführen. Somit können Muster innerhalb des Eingangssignal, welche sich zyklisch wiederholen, sichtbar gemacht werden.

Das Ergebnis der AKF ist normiert für den Bereich -1 bis 1. Im Bereich von Signalprogrammen kann -1 als komplementärer Signalverlauf und +1 als vollkommen identischer Umlauf (z.B. Festzeitsteuerung) interpretiert werden.

Um die Aussagekraft der AKF im Bezug auf LSA-Signalgruppen zu demonstrieren, wurden verschiedene Signalgruppen unterschiedlicher LSA ausgewählt und berechnet. Dabei wurde die Zeitverschiebung (time lag) im Bereich zwischen 40 und 180 Sekunden variiert. Dies erscheint zweckmäßig, da die Umlauflänge in Deutschland in diesem Bereich zu erwarten ist.

Im gewählten Untersuchungszeitraum des 25.02.2013 (Montag) in der Zeit von 06:00 bis 18:00 Uhr wurden die Korrelationskoeffizienten ausgewählter Signalgruppen berechnet. Die Schaltdaten wurden dabei jeweils auf 20 Minuten aggregiert, womit 36 Zeitscheiben pro Signalgruppe verfügbar sind.

5.1.1 Festzeitsteuerungen

Die Korrelationskoeffizienten für den Dresdener Knotenpunkt Columbusstr./Wernerstr. (siehe Abbildung 5) zeigt bei einer vermuteten Umlaufdauer von 60 Sekunden (time lag) ein lokales Maximum an. Dies deutet darauf hin, dass sich das Signalmuster periodisch wiederholt. Dies wird auch ersichtlich aus den weiteren lokalen Maxima bei 120s und 180s, welches ein Vielfaches der prognostizierten Umlaufdauer entspricht.

Abbildung 5: Autokorrelationskoeffizienten für den Zeitraum 25.02.2013 – 6 bis 18 Uhr

Weiterhin kann festgestellt werden, dass es keinen Programmwechsel innerhalb des Untersuchungszeitraumes gab, da sich weder die geschätzte Umlaufdauer noch die Muster signifikant verändert haben. Eine Überprüfung mit den Steuerungsdaten dieser LSA konnte diese Vermutung bestätigen.

Eine hervorragende Prognostizierbarkeit derartiger Signalverläufe ist zu erwarten.

5.1.2 Teilverkehrsabhängige Steuerungen

Am Dresdener Knotenpunkt Nürnberger Platz läuft derzeit eine verkehrsabhängige Steuer- ung auf Basis des Steuerverfahrens VS-Plus1 und einer starken ÖPNV Beeinflussung. Die Autokorrelationskoeffizienten spiegeln dieses Verhalten der Anlage gut wieder. In Abbildung 6 kann man deutlich erkennen, dass verschiedene Programmwechsel stattgefunden haben (z.B. 08:30 Uhr und 15:30 Uhr), womit die makroskopische Steuerungsebene nach RiLSA bereits beschrieben werden kann.

Weiterhin kann man innerhalb der einzelnen Programme erkennen, dass das lokale Maximum nicht mehr so klar ausgeprägt ist, wie bei der vorangegangenen Festzeitsteuerung. Dies deutet darauf hin, dass es in der mikroskopischen Steuerungsebene zu Signalprogrammanpassungen gekommen ist. Diese Anpassungen sind allerdings nicht sehr stark ausgeprägt, da ein Bereich des lokalen Maximums deutlich erkennbar ist, z.B. im Bereich von 120 Sekunden.

Abbildung 6: Autokorrelationskoeffizienten für den Zeitraum 25.02.2013 – 06 bis 18 Uhr

Die verkehrstechnischen Unterlagen (VTU) belegen diese Annahmen. Diese Anlage unterliegt zum einen der zeitplanabhängigen Signalprogrammauswahl, zum anderen kommt es innerhalb des LSA-Steuerverfahrens zu Freigabezeitanpassungen und Sonderphasenanforderungen durch den ÖPNV.

Eine Schaltzeitprognose größer 180 Sekunden erscheint bei diesem Steuerverfahren sinnvoll.

5.1.3 Vollverkehrsabhängige Steuerungen

In Abbildung 7 sind die Autokorrelationskoeffizienten für den Dresdener Knotenpunkt Wasaplatz dargestellt. Im Vergleich zu den zuvor dargestellten Steuerungen, handelt es sich bei diesem Knoten um einen sogenannten „Freiläufer“, d.h. diese LSA befindet sich weder in einer Koordinierung noch sind feste Rahmenpläne für die Umläufe definiert. Dieser Sachverhalt wird durch die berechneten Korrelationskoeffizienten deutlich dargestellt. In diesem Falle kann ein eindeutiges Maximum nicht erkannt werden. Auch ändert sich die geschätzte Umlaufdauer für jeden einzelnen Zeitbereich.

Abbildung 7: Autokorrelationskoeffizienten für den Zeitraum 25.02.2013 – 06 bis 18 Uhr

Schaltzeitprognosen mit die über mehrere Sekunden hinausgehen, sind ohne zusätzliche Informationen kaum möglich.

5.1.4 Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Autokorrelationsanalyse einen guten Beitrag leisten kann zur Einschätzung der erzielbaren Prognosequalität für unterschiedliche Signalgruppen. Weiterhin kann die Umlauflänge bestimmt werden, bei der eine Maximierung der Kernzeit eintritt. Dieses Verfahren ist daher in der Lage die Umlauflänge sowie die Umlaufsekunde zu berechnen, womit diese Information vom Steuergerät nicht mehr benötigt wird.

Auf Basis dieser Betrachtungen soll nun ein online Verfahren vorgestellt werden, welches basierend auf aktuellen LSA-Schaltdaten eine Prognose der zu erwartenden Signalzustände zulässt.

5.2 Schaltzeitprognose auf Basis historischer Schaltdaten

Es wurde ein Algorithmus für die Schaltzeitprognose entwickelt der einen Basisvektor berechnen kann, der die Wahrscheinlichkeiten für eine Freigabe für jede Umlaufsekunde beinhaltet [11]. Dieser Basisvektor wird gebildet indem die Umläufe von mehreren Tagen analysiert werden. Dabei wird registriert wie oft und in welcher Umlaufsekunde der Zustand der Freigabe vorhanden war um daraus die Wahrscheinlichkeiten zu berechnen. Dadurch lässt sich die Steuerungsart ermitteln und die dazugehörigen Parameter wie Kernzeiten, Mindestgrünzeit oder Maximalgrünzeit. Für jede Signalgruppe und für jedes Programm wird solch ein Basisvektor erstellt [15].

Abbildung 8: Basisvektor Signalgruppe K1/K2 (Nürnberger Platz/Dresden)

Für die eigentliche Prognose wird dieser Basisvektor zu Grunde gelegt und mit Hilfe aktueller Schaltdaten optimiert. Ein weiterer Ansatz besteht darin, die letzten Umläufe einer Signalgruppe zu analysieren und die Wahrscheinlichkeiten innerhalb des Rahmens entweder zu erhöhen oder zu verringern. Damit soll der Bereich, innerhalb dessen die Freigabe geschalten werden kann, verringert werden. Prognosen können somit über mehrere Minuten oder sogar Stunden erstellt werden, nimmt man als Nutzinformation nur die Kernzeiten. Mit Hilfe der Zeiten für die Wochenautomatik sind auch Programmwechsel in der Prognose berücksichtigt. Um die Auswahl des richtigen Basisvektors abzusichern, werden die Umläufe permanent mit dem Basisvektor abgeglichen. Auf diese Weise kann geprüft werden, in welchem Programm sich die Lichtsignalanlage gerade befindet. Somit kann auch auf die verkehrsabhängige Signalprogrammauswahl reagiert werden, die jederzeit die Möglichkeit hat, die Programme an das aktuelle Verkehrsgeschehen anzupassen.

Sollte kein Basisvektor hinterlegt sein, so kann das Verfahren aus den letzten Umläufen einen Basisvektor selbst erstellen und diesen als Grundlage nehmen [16].

Anschließend wird jeder Prognosevektor mit den realen Schaltdaten verglichen und eine Güte für die Genauigkeit ermittelt. Dabei wird durch ein Schwellenwert aus dem Prognosevektor mit den Wahrscheinlichkeiten ein Binärvektor erstellt. Somit gibt die Güte an, wie viele Sekunden richtig prognostiziert wurden. Dieser Wert wird dem nächsten Prognosevektor übermittelt und dient als momentane Prognosequalität. Ebenfalls kann eine Verfügbarkeit angegeben werden, die aussagt, wie viele Umlaufsekunden mit ihren Wahrscheinlichkeiten über oder unter einen angegebenen Schwellenwert liegen (z.B. über 95% und unter 5%). Je größer die Verfügbarkeit, desto kleiner der Rahmen in dem die Prognose nicht genau bestimmt werden kann.

Der Prognosealgorithmus wurde als Softwaredienst ausgebildet, welcher permanent Schaltzeitprognosen liefern kann. In Abbildung 9 ist beispielhaft ein so erstellter Prognosevektor dargestellt zusammen mit den realen Schaltdaten.

Abbildung 9: Vergleich zwischen Prognosevektor und realen Schaltdaten

5.3 Einsatz weiterer Informationsquellen

An vielen Lichtsignalanlagen bei den ÖPNV-Verkehrsströme involviert sind, wird auf das Mittel der Priorisierung zurückgegriffen. So sollen die Warte- und Verlustzeiten für diese Verkehrsmittel minimiert werden. Realisiert wird diese Priorisierung meist auf mikroskopischer Steuerungsebene (vgl. [10]). So wird durch Freigabezeitanpassung, d.h. durch Stauchung bzw. Dehnung einzelner Phasen, durch Phasenverschiebung oder Phaseneinschub, die Verkehrsqualität zu Gunsten des ÖPNV beeinflusst. Durch verschiedene Informationen, u.a. über die ÖPNV-Verkehrslage, können solche Eingriffe in den „normalen“ Programmablauf bei der Prognose berücksichtigt werden. Wichtig hierbei ist die genaue Ankunftszeit der Fahrzeuge an der LSA, an welcher Signalgruppe sie sich anmelden und welche Freigabefenster für das ÖPNV-Fahrzeug zur Verfügung stehen. An einigen Anlagen ist sogar die Fahrplanlage von Bedeutung, da Verfrühungen oder Verspätungen berücksichtigt werden können. Auch ist an einigen Anlagen die Möglichkeit der Anschlusssicherung vorgesehen (vgl. [17]).

Durch eine Vielzahl weiterer Randbedingungen (zukünftige Verkehrsstärken etc.), die ebenfalls Einfluss auf die Schaltzeiten der einzelnen Phasen haben, kann die Prognosegüte durch die ÖPNV-Informationen nur bedingt verbessert werden oder sogar verringert werden. Daher ist eine hohe Qualität der ÖPNV Ankunftsprognose entscheidend für die Qualität der Schaltzeitprognose.

Abbildung 10: Erweiterung des generischen Algorithmus um Daten des ÖPNV

Für die Verarbeitung dieser Zusatzinformationen wurde der Prognosealgorithmus so erweitert, dass durch Eingabe der Ankunftszeit des ÖPNV-Fahrzeugs an der Signalgruppe, die Priorisierung auch berücksichtigt wird (siehe Abbildung 10). Auf Basis der zuvor berechneten Basisvektoren lassen sich nahezu alle möglichen Freigabefenster ermitteln. Darüber hinaus wurden die kausalen Zusammenhänge der zueinander feindlichen bzw. verträglichen Signalgruppen ermittelt. Dies ist der bei der Betrachtung von ÖPNV Priorisierung von besonderer Bedeutung, da Abhängigkeiten zum MIV so berücksichtigt werden können.

Abbildung 11 zeigt die speziellen Freigabefenster einer KFZ-Signalgruppe, die parallel zu einer verträglichen ÖPNV-Signalgruppe geschalten wurde. Die geringe Freigabewahrscheinlichkeit innerhalb dieser Bereiche macht deutlich, dass diese Freigabezeiten nicht häufig genutzt werden und sehr wahrscheinlich nur durch den ÖPNV angefordert werden.

Abbildung 11: Basisvektor mit zusätzlichen Phase für den ÖPNV

Wie der Prognosevektor konkret aussieht, wenn keine ÖPNV-Informationen zur Verfügung stehen, zeigt Abbildung 12. Dabei repräsentiert die schwarze Linie die tatsächliche Schaltung der Signalgruppe. Ein Wert von eins bedeutet, die Signalgruppe zeigt grün, der Wert null gibt an das etwas anderes (rot, gelb, rot/gelb) geschaltet wurde. Im Bereich zwischen 125 – 130 Sekunden kann man erkennen, dass ein extra Freigabefenster geschaltet wurde, dass bei der Prognose nicht berücksichtigt wurde.

Abbildung 12: Vergleich Prognosevektor mit realen Schaltdaten

In Abbildung 13 sind die ÖPNV-Ankunftszeiten bekannt. Das erste Fahrzeug ist feindlich zur gegebenen Signalgruppe wodurch die Freigabezeit zu Gunsten des ÖPNVs gestaucht wird. Dies konnte in der Prognose berücksichtigt werden und wurde korrekt prognostiziert. Hierbei konnte die Prognosegüte verbessert werden. Beim zweiten Fahrzeug (ganz rechts) handelt es sich um ein verträgliches Fahrzeug wodurch die Nutzung des extra Freigabefensters prognostiziert wurde. Durch eine ungenaue Ankunftszeitprognose des Fahrzeugs, wurde das Freigabefenster jedoch nicht geschaltet und es kam zu einer falschen Prognose. Als Resultat auf diesen Sachverhalt wurde die Prognosegüte des Prognosevektors angepasst.

Abbildung 13: Vergleich Prognosevektor mit realen Schaltdaten

6 Ergebnisse

Der entwickelte Algorithmus ist bereits seit einigen Monaten im Einsatz und liefert derzeit online Schaltzeitprognosen für über 180 Lichtsignalanlagen in Dresden. In Abbildung 14 sind die derzeit verfügbaren LSA mit Schaltzeitprognose schematisch dargestellt.

Abbildung 14: Orange: LSA mit Prognose (ca. 180), Schwarz: LSA ohne Prognose (ca. 290)

Derzeit finden zum einen verschiedene Validierungen der Prognosedaten offline durch Vergleich der prognostizierten Daten mit den tatsächlich eingetretenen Schaltzuständen statt. Zum anderen finden Validierungen direkt an den Anlagen statt, um beispielsweise zeitliche Offsets zu berücksichtigen. Dazu wurden mobile Applikationen („Apps“) speziell für den Einsatz auf Smartphones und Tablets entwickelt. In Abbildung 15 und 16 wird der Einsatz der Schaltzeitprognose, am Beispiel des Nürnberger Platzes in Dresden, dargestellt.

Abbildung 15: Schaltzeitprognose als mobile "App" für Tablet und Smartphone (GPRS/UMTS)

Abbildung 16: Schaltzeitprognose auf Basis von Wahrscheinlichkeitsvektoren

Zur Informationen des Fahrzeugführer dient im Forschungsprojekt EFA2014/2 ein MMI Konzept im Fahrzeug. In Abhängigkeit der Prognosegüte und des erreichbaren Energieeinsparpotentials sollen dem Fahrer verschiedene Informationen oder Fahrempfehlungen vorgegeben werden. Bei sehr hoher Zuverlässigkeit der prognostizierten Daten und einem hohen Einsparpotential wird der Fahrer sowohl optisch als auch haptisch über ein Fahrpedal auf die Fahrempfehlung hingewiesen. Bei schlechter Prognosegüte und wenig Einsparpotential, wird dem Fahrer keine Empfehlung gegeben. Dazwischen existieren verschiedene Ausbaustufen dieser Fahrempfehlung, die in Probandenversuchen noch detailliert untersucht werden müssen.

Die möglichen Einsparpotentiale bei 100% zuverlässiger Vorausschau konnten bereits für ein Beispielszenario aufgezeigt werden (vgl. [18]). Durch die Unsicherheit der Vorhersagen, wie sie bei verkehrsadaptiven LSA kaum zu vermeiden sind, ergeben sich jedoch weitere Herausforderungen bei der Geschwindigkeitsempfehlung durch Simulation und Feldtests noch genauer untersucht werden müssen.

7 Literatur

[1]    www.simtd.de (24.07.2013)

[2]    www.projekt-koline.de (24.07.2013)

[3]    www.travolution-ingolstadt.de (24.07.2013)

[4]    Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2009): Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen: HBS. FGSV Verlag, 2009

[5]    WIRTH, W.; KAEMMERER, H.; SCHÖNLEITER, J. (2006): Der Siegeszug der Ampel – 75 Jahre Verkehrsregelung in deutschen Großstädten: Archiv für die Geschichte des Straßen- und Verkehrswesen. FGSV Verlag, 2006

[6]    KÜLZER, B. (1996): Untersuchungen zum Alterungsprozeß von Lichtsignalprogrammen. Dissertation Technische Universität Darmstadt

[7]    MÖRNER, J.; LEOPOLD, A. VESPER, A. (2009): Befragung zum Betrieb von Lichtsignalanlagen und deren Steuerung in innerstädtischen Straßennetzen. Shaker Verlag Aachen, 2009

[8]    BOLTZE, M. (1989): Optimierung von Umlaufzeiten in der Lichtsignalsteuerung für Straßennetze. in: Straßenverkehrstechnik, Nr. 6, 1989, S. 203-207

[9]    www.kolibri-projekt.de (24.07.2013)

[10]    Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, (2010): Richtlinien für Lichtsignalanlagen: RiLSA. FGSV Verlag, 2010.

[11]    KRUMNOW, M. (2012): Schaltzeitprognose verkehrsadaptiver Lichtsignalanlagen im Rahmen des Projektes EFA 2014/ 2. VIMOS-Tagung vom 29.11.2012, Dresden

[12]    FRIEDRICH, B.; MAURER, M. (2011): Kooperative Optimierung von Lichtsignalsteuerung und Fahrzeugführung.

[13]    KRUMNOW, M. (2013): Die Ampeln der Stadt verkehrsabhängig steuern. Dresdner Universitätsjournal vom 26.03.2013

[14]    SCHLITTGEN, R. (2001): Angewandte Zeitreihenanalyse. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2001

[15]    PAPE, S. (2010): Untersuchungen zur Rekonstruktion von LSA Signalprogrammen unter Nutzung von Datensätzen des Sipl.-Online-Datenstrome, Technische Universität Dresden

[16]    PAPE, S. (2012): Untersuchung und Umsetzung eines Verfahrens zur Prädiktion von Freigabezeiten an verkehrsabhängig gesteuerten Lichtsignalanlagen unter Berücksichtigung des eingesetzten Steuerungsverfahrens und der möglichen ÖPNV Beeinflussung. Diplomarbeit, Technische Universität Dresden, 2012

[17]    GASSEL, C.; KRIMMLING, J. (2013): Effects of Cooperative Traffic Signals on Tramway Systems In: Proceedings of 3rd International Conference on Models and Technologies for Intelligent Transportation Systems (2013) p.301-310

[18]    SCHUBERT, T.; KRUMNOW, M.; BÄKER, B.; KRIMMLING, J. (2013): Using Nanoscopic Simulations to validate the Benefit of Advanced Driver Assistance Systems in complex Traffic Scenarios. Proceedings of the 3rd International Conference on Models and Technologies for Intelligent Transportation Systems 2013, Verkehrstelematik. Vol. 3, TUDpress, Dresden, 2013, ISBN: 978-3-944331-34-8