FGSV-Nr. FGSV 001/28
Ort Dortmund
Datum 05.10.2022
Titel Anwendung und Anpassung von FGSV-Regelwerken im Bereich Verkehr zur Einhaltung von Klimaschutzzielen
Autoren Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jürgen Gerlach
Kategorien Kongress
Einleitung

Klimaschutz ist eine der wohl wichtigsten Aufgaben dieses und des nachfolgenden Jahrzehnts und hat eine immense Bedeutung für die Erhaltung der Lebensbedingungen und für eine gute Lebensqualität der heutigen und der künftigen Generationen. Erfolgt jetzt kein entschlossenes Handeln, ist die Lebensgrundlage mit der Erfüllung von Bedürfnissen heutiger und künftiger Generationen extrem gefährdet. Die „E Klima – Empfehlungen zur Anwendung von FGSV-Veröffentlichungen im Bereich Verkehr zur Erreichung von Klimaschutzzielen“ folgen der Notwendigkeit entschlossenen Handelns und enthalten teils grundlegend neue klima-relevante Vorgaben, Standards und Handlungsoptionen zur Berücksichtigung bei der Planung, dem Entwurf und dem Betrieb von Verkehrsangeboten und Verkehrsanlagen. Sie dienen als Auftakt weiterer Aktivitäten dazu, notwendige Veränderungen innerhalb der Gremien der FGSV und in der Praxis zu bewirken, um adäquat auf klimarelevante Aspekte einzugehen und um neue Methoden und Maßnahmen zur Erreichung von Klimaschutzzielen im Verkehrswesen zu fördern sowie in Planungs- und Entscheidungsprozessen zu etablieren. Während die bisherige Aufstellung von FGSV-Veröffentlichungen ähnlich wie die bisherige Entwicklung der Straßenverkehrsordnung das Ziel der Gleichbehandlung der Verkehrsmodi hatte, werden nunmehr Priorisierungen in Regelwerken und Wissensdokumenten verankert. Zudem stehen Sicherheitskriterien und Qualitätsanforderungen insbesondere für ungeschützte Verkehrsteilnehmende im Vordergrund und es sollen alle Möglichkeiten genutzt werden, den Öffentlichen Verkehr spürbar zu stärken. Diese veränderten Vorgehensweisen sind zunächst in Steckbriefen der E Klima formuliert – werden aber mittel- bis langfristig zu teils grundlegend anderen Regeln mit veränderten Vorgaben für die Planung, den Entwurf und das Verkehrsmanagement von Verkehrsanlagen und Verkehrsangeboten führen.

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1 Einführung

Die „E Klima – Empfehlungen zur Anwendung von FGSV-Veröffentlichungen im Bereich Verkehr zur Erreichung von Klimaschutzzielen“ enthalten klimarelevante Vorgaben, Standards und Handlungsoptionen zur Berücksichtigung bei der Planung, dem Entwurf und dem Betrieb von Verkehrsangeboten und Verkehrsanlagen. Sie wurden in kurzer Zeit eines halben Jahres durch eine ad-hoc-Gruppe der Kommission K 6 der FGSV Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen in Abstimmung mit allen Gremien der Arbeitsgruppen 1 Verkehrsplanung, 2 Straßenentwurf, 3 Verkehrsmanagement sowie mit allen relevanten Kommissionen erstellt.

Die E Klima dienten und dienen insofern dazu, Prozesse innerhalb der Gremien der FGSV anzustoßen, um bei künftigen Überarbeitungen oder Erarbeitungen von Regelwerken und Wissensdokumenten adäquat auf klimarelevante Aspekte einzugehen und um Methoden und Maßnahmen zur Erreichung von Klimaschutzzielen im Verkehrswesen zu fördern.

Die E Klima zeigen aber auch derzeitige Möglichkeiten in den Bereichen Verkehrsplanung, Straßenentwurf und Verkehrsmanagement auf, die zur Senkung der Treibhausgas- (THG-) Emissionen und des Endenergieverbrauchs im Bereich Verkehr beitragen können. Dabei wird dargelegt, wie und inwieweit die existierenden und anerkannten Regeln der Technik im Verkehrswesen – und hier insbesondere die Regelwerke und Wissensdokumente der FGSV – bereits derzeit, bzw. mit im E Klima dargelegten ergänzenden Anforderungen – dazu beitragen können, die THG-Emissionen und den Endenergieverbrauch zu reduzieren. Die ergänzenden Anforderungen sind in Steckbriefen zu einzelnen FGSV-Regelwerken und – Wissensdokumenten dargelegt. Bei deren Anwendung werden sich teils durchgreifende Veränderungen im Planungsprozess, im Entwurf und im Betrieb von Verkehrsanlagen ergeben.

2 Klimaschutzgesetz und Verfassungsgerichtsurteil als Ausgangspunkte notwendiger Veränderungen

Klimaschutz ist eine der wohl wichtigsten Aufgaben dieses und des nachfolgenden Jahrzehnts und hat eine immense Bedeutung für die Erhaltung der Lebensbedingungen und für eine gute Lebensqualität der heutigen und der künftigen Generationen. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass durch den Ausstoß von Treibhausgasen (THG) durch den Menschen ein Klimawandel mit massiven ökologischen, wirtschaftlichen, sozialen oder humanitären Konsequenzen verursacht wird. Erfolgt jetzt kein entschlossenes Handeln, ist die Lebensgrundlage mit der Erfüllung von Bedürfnissen heutiger und künftiger Generationen extrem gefährdet.

Die Vereinten Nationen (UN) haben gesellschaftlich festgeschriebene Nachhaltigkeitsziele formuliert und die Europäische Union (EU) haben diese in einem Europäischen Klimagesetz konkretisiert. Im Bereich Verkehr und Mobilität wurden zudem seitens der EU die Strategie „Nachhaltige und intelligente Mobilität“ sowie das Maßnahmenpaket „Fit for 55“ zur THG-Minderung um 55 % bis 2030 entwickelt (EU 2020).

Deutschland hat sich zu seiner Verantwortung im Klimaschutz bekannt und ist mit quantitativ hinterlegten Klimaschutzzielen, die gesetzlich verankert sind, Verpflichtungen eingegangen, die THG-Emissionen zu reduzieren. Derzeit gilt das Bundes-Klimaschutzgesetzes mit Stand vom 18. August 2021 (BGBl. I S. 3905) (Bundestag 2021). Es definiert zulässige Jahresemissionsmengen für die Jahre 2020 bis 2030 sowie jährliche Minderungsziele für die Jahre 2031 bis 2040 (Bild 1). Demnach sollen die THG-Emissionen in allen Sektoren in der Summe

  • bis zum Jahr 2030 gegenüber 1990 um mindestens 65 % (bzw. 48% im Sektor Verkehr)

und

  • bis zum Jahr 2040 gegenüber 1990 um mindestens 88 % reduziert werden sowie
  • bis zum Jahr 2045 so weit gemindert sein, dass Netto-Treibhausgasneutralität erreicht wird, und
  • nach dem Jahr 2050 negativ werden.

Bild 1: Zulässige Jahresemissionsmengen für die Jahre 2020 bis 2030 und jährliche Minderungsziele für die Jahre 2031 bis 2040 (Bundestag 2021)

Ausgangspunkt und Referenzwert sind die Jahresemissionen in CO2-Äquivalenten (CO2eq) von 1990 (1.241,9 Mio. t CO2eq bzw. 1.268,9 Mio. t CO2eq einschließlich Emissionen aus dem Landnutzungssektor, 163,4 Mio. t CO2eq im Verkehrssektor, davon 154,8 Mio. t CO2eq im Straßenverkehr).

Die Minderungsziele sind jährlich zu überprüfen. Eine Nichteinhaltung wird in jedem einzelnen Sektor, also auch im Verkehrssektor, zur Notwendigkeit von einzurichtenden Sofortmaßnahmen führen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für den Fall, wenn die einzelnen Jahreszielwerte nicht eingehalten werden, zusätzlich zu den eigentlich vorgesehenen Einsparungen noch die verfehlten Einsparungen der letzten Jahre reduziert werden müssen.

Im Bundes-Klimaschutzgesetz [Bundestag 2021] wird zur Nichteinhaltung sinngemäß Folgendes ausgeführt:

  • Weisen Emissionsdaten eine Überschreitung für einen Sektor in einem Berichtsjahr aus, so legt das Bundesministerium innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm für den jeweiligen Sektor vor, das die Einhaltung für die folgenden Jahre sicherstellt (§ 8 Abs. 1 KSG).

Dabei konnte trotz zahlreichen Innovationen und Fortschritte im Verkehrssektor seit 1990 – mit Ausnahme der pandemiebedingten Rückgänge im Jahr 2020 – keine Reduzierung der THG-Emissionen erreicht werden. Im Jahr 2019 lagen die verkehrsbedingten Jahresemissionsmengen noch bei 164,1 Mio. t CO2eq. Im Jahr 1990 waren es 163,4 Mio. t CO2eq (Bild 2). Im Jahr 2030 sollen es nach Bundes-Klimaschutzgesetz [Bundestag 2021] nur noch 85 Mio. t CO2eq sein, was in etwa der Hälfte der verkehrsbezogenen THG-Emissionen des Jahres 1990 entspricht (Bild 2).

Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass im Jahr 2021 trotz Pandemiebedingungen die Emissionsziele des Verkehrssektors in Höhe von 145 Mio. t CO2eq um etwa 3 Mio. t CO2eq überschritten wurden. Das BMDV stellte dementsprechend im Juli 2022 ein Sofortprogramm vor, das einen Aufbau der Ladeinfrastruktur, eine Ausbauoffensive Radverkehr sowie eine Ausbau- und Qualitätsoffensive Öffentlicher Personennahverkehr umfasst.

Bild 2: Entwicklung der THG-Emissionen 1990 – 2020, Vorjahresschätzung 2021 sowie Ziele nach Bundes-Klimaschutzgesetz (Quelle: UBA 2022; Zahlen: Bundesregierung 2021b)

Aufgrund eines sich nicht abzeichnenden Abstiegspfads gemäß den Klimazielen und der projektierten Entwicklung im Verkehrssektor wird es erheblicher Anstrengungen bedürfen, die jährlichen Minderungsziele einzuhalten. Zu erwarten ist, dass die Folgen von Nichteinhaltungen noch nie dagewesene Veränderungen im Umgang mit dem Angebot und der Nachfrage in allen Verkehrsteilsystemen mit sich bringen werden.

Hinzu kommt, dass der Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 (BVerfG 2021) dazu führen wird, dass bisherige Methoden, Entscheidungsprozesse und Maßnahmen im Straßen- und Verkehrswesen auf den Prüfstand gestellt werden. Der Beschluss hat bekräftigt, dass alles Gebotene zu tun ist, um den Klimawandel in beherrschbaren Grenzen zu halten. Dem Beschluss ist u. a. zu entnehmen, dass

  • die Schutzpflicht des Staates die Verpflichtung umfasst, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen,
  • die Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen gilt,
  • das relative Gewicht des Klimaschutzgebots in der Abwägung bei fortschreitendem Klimawandel weiter zunimmt,
  • der Staat sich seiner Verantwortung nicht durch den Hinweis auf die Treibhausgasemissionen in anderen Staaten entziehen kann,
  • es Notwendigkeit ist, mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten.

Mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes bekommen die im Bundes-Klimaschutzgesetz (Bundestag 2021) hinterlegten Minderungsziele einen noch weiter verstärkten verbindlichen Charakter. Gleichzeitig adressiert der Beschluss den Grundsatz der Nachhaltigkeit insgesamt.

Im Bundes-Klimaschutzgesetz (Bundestag 2021) ist das zuständige Bundesministerium als handelnde Institution aufgeführt, somit für den Bereich Verkehr das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV). Es liegt daher auf der Hand, dass in den nächsten Jahren bundesweit wirkende Maßnahmen folgen werden, um die im Verkehr im jeweiligen Jahr zulässigen Jahresemissionsmengen nicht zu überschreiten bzw. um auf etwaige Überschreitungen adäquat zu reagieren. Die Vorbereitung derartiger Maßnahmen ist im Gange, wobei die auf Bundesebene zu treffenden Maßnahmen voraussichtlich allein nicht ausreichen werden, um die Klimaschutzziele einzuhalten.

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 2021) legt die Verantwortung nicht allein in die Hand des Staates, sondern er legt vielmehr nahe, dass jetzige Generationen mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umgehen müssen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten.

Auch im Verkehrssektor ist daher auf allen Ebenen „das Mögliche zu tun“ (BVerfG 2021), um die jetzige Generation dahin zu bewegen, mit den natürlichen Lebensgrundlagen sorgsam umzugehen.

3 Wissensstand zur Verteilung der THG-Emissionen im Verkehrssektor

Der Straßenverkehr lieferte im Jahr 2020 mit rd. 97 % den weitaus größten Beitrag zu den THG-Emissionen des inländischen Verkehrs. Dabei entfielen rd. 37 % auf den Straßengüterverkehr und rd. 60 % auf den MIV (Bild 3).

Bild 3: THG-Emissionen des Verkehrssektors in CO2eq im Jahr 2020 [UBA 2022]

Anzumerken ist, dass die Bilanzierung der THG-Emissionen nach dem Territorialprinzip erfolgt. Verkehrsbedingte THG-Emissionen der internationalen Luftfahrt und des interkontinentalen Seeverkehrs sind insofern weder in den Zielwerten des deutschen Klimaschutzgesetzes noch in den Bilanzierungen der THG-Emissionen des Verkehrssektors enthalten.

Hinsichtlich der Zusammenhänge sowie der Erfordernisse und Möglichkeiten zu Veränderungen im Güterverkehr wird an dieser Stelle auf die „Hinweise zu Maßnahmen für eine Verkehrswende im Güterverkehr“ (H VwG), (FGSV 2021) verwiesen. Der vorliegende Beitrag behandelt im Folgenden den Personenverkehr.

Bezogen auf den Motorisierten Individualverkehr (MIV) teilen sich die Wegelängen des Pkw-Verkehrs in Deutschland nach dem Ergebnisbericht Mobilität in Deutschland – MID 2017 (BMVI 2020) so auf, dass

  • 18 % der Fahrten Wege von unter 2 km
  • 42 % der Fahrten Wege von unter 5 km
  • 62 % der Fahrten Wege von unter 10 km und
  • 81 % der Fahrten Wege von unter 20 km

umfassen. Die durchschnittliche Wegeentfernung beim Pendeln zwischen Wohnort und Arbeitsstätte liegt dem Bericht zu Folge bei rd. 16 km.

Dabei fallen aufgrund der Wegelänge rd. 9 % der Pkw-Verkehrsleistung auf Wege unter 5 km und rd. 33 % der Pkw-Verkehrsleistung auf Wege unter 20 km (Bild 4). Alle zurückgelegten Pkw-Fahrten unter 5 km verursachen damit rd. 9 % der THG-Emissionen des Pkw-Verkehrs, alle Fahrten unter 20 km rd. 34 % der THG-Emissionen des Pkw-Verkehrs. Den größeren Anteil in Höhe von 66 % der THG-Emissionen des Pkw-Verkehrs verursachen 19 % aller Pkw-Fahrten, die eine Wegelänge von über 20 km aufweisen.

Bild 4: Verteilung der Pkw-Fahrten, der Pkw-Fahrleistung und der THG-Emissionen des Pkw-Verkehrs nach Entfernungsklassen (Quelle: NPM 2021; Zahlen nach BMVI 2020)

4 Abzuleitende Ziele, Handlungsfelder und deren Wirkungen im Verkehrssektor

Als maßgebende Ziele können

  • die Reduzierung der verkehrsbedingten THG-Emissionen, von denen derzeit rd. 1/3 auf den Güterverkehr Straße und rd. 2/3 auf den Personenverkehr Straße (davon rd. 2/3 auf Pkw-Fahrten mit über 20 km Fahrtweite) entfallen,
  • die Reduzierung des verkehrsbezogenen Energieverbrauches, da der zukünftige Energiebedarf motorisierter Mobilität durch regenerative Energien – legt man die heutigen Rahmenbedingungen und die bislang beschlossenen Maßnahmen zugrunde – nicht zu decken sein wird (Agora 2020a), sowie
  • die Reduzierung des Material- und Ressourcenverbrauches durch Verkehrsinfrastruktur, Verkehrsangebot und Verkehrsmittel im Sinne des Klimaschutzes, zumal der Bausektor neben dem Verkehrssektor den größten Nachholbedarf bezüglich der Reduzierung der THG-Emissionen aufweist,

genannt werden.

Sollen diese Ziele erreicht werden, müssen

  • die Verkehrsleistungen, ausgedrückt in Personen- und Tonnenkilometer,
  • die spezifischen Wirkungen der Verkehrsnachfrage, ausgedrückt in Energie, CO2-Emissionen pro Personen- bzw. Tonnenkilometer,

vermindert werden. Dabei sind motorisierte Verkehre auf den Umweltverbund zu verlagern und/oder die spezifischen Wirkungen der motorisierten Verkehre, ausgedrückt in Energie, CO2-Emissionen pro Personen- bzw. Tonnenkilometer zu verringern. Hierzu sind weitreichende Veränderungen und vielfältige Handlungen in mehreren Handlungsfeldern erforderlich.

Im Folgenden werden beispielhaft einige Handlungen aufgezeigt, die zur Reduzierung der THG-Emissionen und zur Reduzierung des Energieverbrauchs beitragen:

  • Im Energiesektor sind Handlungen auszuführen, um ausreichend Energie aus erneuerbaren Quellen zu generieren und die Energie den motorisierten Fahrzeugen mit geeigneten Energieträgern (Batterien, Brennstoffzellen, synthetische Kraftstoffe) zur Verfügung zu stellen. Die Verkehrsplanung kann durch das Angebot und die Anordnung von geeigneten Ladeeinrichtungen die Umstellung auf die Nutzung regenerativer Energien unterstützen.
  • Im Rahmen der Fahrzeugentwicklung sollten die direkten Emissionen und der Energieverbrauch der Fahrzeuge durch neue Fahrzeugkonzepte, geringere Massen, effizientere Verbrennungsmotoren und durch alternative Antriebe reduziert werden. Um die heutige Fahrzeugflotte durch leichtere, emissionsarme oder emissionsfreie Fahrzeuge zu ersetzen, sollten den Kunden zum einen entsprechende Fahrzeuge angeboten werden. Zum anderen sollte das Kaufverhalten so zu verändert werden, dass diese Fahrzeuge sich im Markt durchsetzen. Dabei sollten verstärkt leichtere und kleinere Fahrzeugkonzepte gefördert und genutzt werden, was durch entsprechende Infrastrukturgestaltung und -zuordnung unterstützt werden kann.
  • Motorisierte Verkehre sollten in einen möglichst störungsfreien Verkehrsablauf überführt werden. THG-Emissionen sind dann gering, wenn möglichst wenig beschleunigt werden muss und wenn das Geschwindigkeitsniveau gleichbleibend gering Hinzu kommt, dass ein geringeres Geschwindigkeitsniveau zu Fahrtzeitverlängerungen und damit zu höheren Widerständen zur Überwindung längerer Fahrtweiten führt. Zu erwarten ist bei einem geringeren Geschwindigkeitsniveau insofern mittel- bis langfristig eine Reduzierung der Fahrtweiten und somit der reduzierten motorisierten Verkehrsleistungen. In diesem Handlungsbereich ergeben sich weitgreifende Einflussmöglichkeiten der Verkehrsplanung, des Straßenentwurfs und des Verkehrsmanagements.
  • Die Rahmenbedingungen sind generell so zu setzen, dass Ortsveränderungen von Personen und Gütern mit möglichst geringen Emissionen verbunden sind. Einen wesentlichen Einfluss hat dabei die Abschätzung, wie sich eine möglichst verringerte Verkehrsnachfrage (reduzierte Anzahl der Wege) im Raum (reduzierte Fahrtweiten) und auf die einzelnen Modi, möglichst häufig auf den ÖV, Rad- und Fußverkehr sowie auf Sharing/Pooling-Systeme (Erhöhung der Besetzungsgrade, Verlagerungseffekte auf emissionsarme Modi) verteilt. Im Güterverkehr können zudem Stadtlogistik-Konzepte sowie Entscheidungen zur Wahl von Produkten, die mit geringen Transportleistungen bereitgestellt werden können, unterstützen. Die Einflussmöglichkeiten der Verkehrsplanung, des Straßenentwurfs und des Verkehrsmanagements sind auch hier wesentlich.

Vorhaben und Studien zu potenziellen Wirkungen einzelner Handlungsbereiche auf die THG-Emissionsreduzierung (Agora 2020a, Bundesregierung 2021b, NPM 2021, Ariadne 2021, UBA 2022) kommen zu folgenden Schlüssen:

  • Die Umsetzung der bisher geplanten Maßnahmen reicht nicht aus. Der Verkehrssektor wird unter Zugrundelegung der bisher geplanten Maßnahmen die gesetzlich verankerten Ziele der THG-Emissionsreduzierung Es sind insofern weitere Maßnahmen auf allen Ebenen zu planen und umzusetzen.
  • Maßnahmen, die in der Bevölkerung mehrheitlich unterstützt werden und weitgehende Akzeptanz finden, führen nur zu geringen THG-Emissionsreduzierungen, so dass die Erreichung der Klimaziele ohne kontroverse Maßnahmen, die Kommunikations- und Partizipationsprozesse zur Erhöhung der Bevölkerungsakzeptanz bedingen, unwahrscheinlich ist.
  • Die Klimaschutzziele lassen sich bei weitem nicht allein durch einen Anstieg der Zulassung batterieelektrischer Fahrzeuge erreichen.
  • „Push-Maßnahmen“, welche die Nutzung von Kfz mit Verbrennungsmotor einschränken, können besonders hohe Emissionsminderungen erreichen. Für keine der „Pull-Maßnahmen“, die die Nutzung klimafreundlicher Mobilitätsformen anreizen, wird eine ähnlich hohe Minderungsleistung erwartet, wie für besonders wirksame „Push-Maßnahmen“.
  • Aufgrund der Wechselwirkung zwischen verschiedenen Klimaschutzmaßnahmen bestehen Unsicherheiten in der Wirkung und Zuordnung der Effekte zu einzelnen Handlungsbereichen. Große Synergie- und Überlappungseffekte können gemeinsam wirkende Maßnahmen-Bündel in verschiedenen Handlungsbereichen „So kann beispielsweise die Minderungswirkung eines CO2-Preises durch Synergieeffekte ansteigen, wenn Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit erhalten, klimaschonende Verkehrsmittel wie Elektromobilität oder den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen, verglichen zu einer Entwicklung, in der es keine Alternativen zu fossilbetriebenen Verkehrsträgern gibt“ [Ariadne 2021].
  • Der Weg hin zu aktiven, sozial gerechten, umwelt- und klimaschonenden Verkehrsformen trägt zum Erreichen der Klimaschutzziele bei, mindert Lärm und Luftbelastungen, verringert den Flächenverbrauch und erhöht die Lebensqualität. Um die notwendigen Effekte zu erzielen, werden ausreichend viele und hinreichend qualifizierte Fachkräfte im Themenkomplex Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Öffentlichkeitsarbeit benötigt.

5 Anwendung von bestehenden FGSV-Veröffentlichungen bei der Aufgabe der Erreichung von Klimaschutzzielen

Die Anwendung von Regelwerken und Wissensdokumenten der FGSV kann bei der Erreichung von Klimaschutzzielen helfen. Sie kann dazu beitragen, fachlich sinnvolle Maßnahmen zu begründen und diese Begründungen in politische Entscheidungsprozesse einfließen zu lassen. Zahlreiche FGSV-Veröffentlichungen können dazu genutzt werden, in den aufgeführten Handlungsbereichen im Sinne der THG-Emissions- und Energiereduzierung tätig zu werden.

Zur Einhaltung von Klimaschutzzielen sollten insbesondere diejenigen FGSV-Veröffentlichungen der Arbeitsgruppen Verkehrsplanung, Straßenentwurf und Verkehrsmanagement zur Anwendung kommen, die in einzelnen Steckbriefen, die als Anhang der E Klima unter fgsv.de zur Verfügung stehen, erörtert werden. In diesen Steckbriefen werden Hinweise zur Anwendung – und soweit erforderlich ergänzende Anforderungen an die Anwendung – im Hinblick auf die Reduzierung von THG-Emissionen und Energieverbrauch gegeben.

Ausdrücklich und mit wenigen Ergänzungen zur Anwendung empfohlen werden beispielsweise

  • die Hinweise zu Radschnellverbindungen und Radvorrangrouten (FGSV 284/1), Ausgabe 2021,
  • das Arbeitspapier zum Betrieb von Radverkehrsanlagen, Ausgabe 2021, (FGSV 390/4)
  • die Empfehlungen für Verkehrsplanungsprozesse, Ausgabe 2018, (FGSV 116)
  • die Empfehlungen zur Anwendung des Mobilitätsmanagements, Ausgabe 2018,(FGSV 167)
  • die Hinweise zu Park+Ride (P+R) und Bike+Ride (B+R), Ausgabe 2018, (FGSV 240)
  • die Empfehlungen für einen verlässlichen öffentlichen Verkehr, Ausgabe 2017, (FGSV 166)

oder auch die schon länger vorliegenden, sehr hilfreichen und gleichwohl nach der Empfehlung der ad-hoc-Gruppe möglichst bald zur Überarbeitung anstehenden

  • Hinweise zur Beteiligung und Kooperation in der Verkehrsplanung, Ausgabe 2012,(FGSV 161)
  • Hinweise zu regionalen Siedlungs- und Verkehrskonzepten, Ausgabe 2006, (FGSV 146)
  • Hinweise zur verkehrlichen Erschließung von Innenstadtbereichen, Ausgabe 2000,(FGSV 135)
  • Hinweise zu einer stadtverträglichen Verkehrsplanung, Ausgabe 1996, (FGSV 130).

Der zu verzeichnende Erfolg, aber auch der Bedarf an fachlich sinnvollen Maßnahmen lässt sich beispielhaft an der Entwicklung des Verkehrs in deutschen Innenstädten und auf Stadt-Umland-Beziehungen illustrieren. Typisch sind solche Entwicklungen, die aus der Stadtrandzählung Frankfurt 2020 (Stadt Frankfurt am Main 2021) abzuleiten sind. Die Bilder 5 und 6 zeigen die positiven Entwicklungen hinsichtlich einer Zunahme des Radverkehrs um den Faktor von rd. 6 und einer Abnahme des Kfz-Verkehrs um rd. 1/3 im inneren Kordon vom Jahr 1988 bis zum Jahr 2020. Am Stadtrand war hingegen eine Zunahme des Kfz-Verkehrs bis zum Jahr 2018 um 30 % zu verzeichnen. Erst unter Einfluss pandemischer Lage nahm der Kfz-Verkehr 2020 dort ab. Führt man die im Bild 6 dargestellte Entwicklung des Kfz-Verkehrs am Stadtrand und im inneren Kordon mit der im Bild 2 dargestellten und gesetzlich verankerten Zielrichtung fort, wird deutlich, dass sich die zumindest am Stadtrand erst unter Pandemiebedingungen zu verzeichnende Abnahme des Kfz-Verkehrs fortsetzen muss. Dabei ist zu bedenken, dass mit einer alleinigen Umstellung auf E-Fahrzeuge auch unter dem Gesichtspunkt, dass der resultierende Energiebedarf mit regenerativen Energien nicht zu decken sein wird, die Klimaschutzziele nicht zu erreichen sein werden. Effektive Maßnahmen, die in den oben aufgeführten FGSV-Veröffentlichungen behandelt werden, sind somit unabdingbar.

Bild 5: Entwicklung des Radverkehrs am inneren Kordon der Stadt Frankfurt am Main (Quelle: Stadt Frankfurt am Main 2021)

Bild 6: Entwicklung des Kfz-Verkehrs am inneren Kordon und am Stadtrand der Stadt Frankfurt am Main (Quelle: Stadt Frankfurt am Main 2021)

Vor dem Hintergrund der zu etwa 2/3 aus Fahrten mit längeren Fahrtweiten resultierenden THG-Emissionen des Pkw-Verkehrs kommen solchen Maßnahmen, die überregional und regional wirken, eine besondere Bedeutung zu.

Die genannten Regelwerke und Wissensdokumente können eine wesentliche Hilfestellung in den – in diesem Zusammenhang ab sofort zu forcierenden – Handlungsfeldern

  • der Aufstellung und Umsetzung von überregionalen und regionalen Verkehrsentwicklungspläne und Verkehrskonzepte,
  • der Kommunen-übergreifende Abstimmung von verkehrlichen Maßnahmen, wie flächendeckendes Parkraummanagement und flächendeckende Parkraumbewirtschaftung,
  • der Aufstellung und Umsetzung von integrierten kommunalen Siedlungsstrukturentwicklungs- und Verkehrsentwicklungsplänen zur Förderung kurzer Wege und zur Stärkung von ÖV- und Radverkehrsachsen,
  • der Aufstellung und Umsetzung von integrierten Klimaschutzplänen mit quantitativ evaluierbaren Zielen und verbindlich umzusetzenden Maßnahmen,
  • der Sensibilisierung zu Verhaltensänderungen und zur Verantwortung, Partizipation und Öffentlichkeitsarbeit,
  • Beschleunigung und Priorisierung des ÖV,
  • der Stärkung des Schienenverkehrs und der Förderung von Fern- und Schnellbuslinien,
  • der Verlässlichkeit, Qualitätssicherung und Finanzierung des ÖV,
  • der Förderung von Sharing-Konzepten und multimodalen Angebote,
  • des Ausbaus von Radschnellverbindungen und Radvorrangrouten,

leisten.

Ein Beispiel, bei dem die aufgeführten Handlungsfelder zum Tragen gekommen sind, ist der im Jahr 2018 veröffentlichte Masterplan Mobilität KielRegion (Kiel, 2018), der in einem umfassenden Beteiligungsprozess mit rd. 750 Akteuren entwickelt wurde. In der regionalen Zusammenarbeit mit gemeinsamen Planungsstrukturen wurde es ermöglicht, Synergien im Bereich der Mobilitätsplanung zu nutzen und zum Erreichen von Klimaschutzzielen beizutragen. Eine der Herausforderungen ist der Bevölkerungszuwachs in der Landeshauptstadt Kiel bei einem begrenzten Angebot an Wohnbauflächen. Dies erfordert eine zunehmende Ausweisung von Wohnbauflächen im Umland des Oberzentrums, was zu einer weiteren Zunahme der Stadt-Umland-Verflechtungen führen wird. Bilanziert wurde, dass in der Region Kiel im Analysejahr 2015 1,6 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr auf Straße und Schiene emittiert wurden. Ziel des Mobilitätsmasterplans ist es, die CO2-Emissionen des Verkehrs in der Region bis 2035 um insgesamt 35 % zu reduzieren. Ausgehend vom Analysefall im Jahr 2015 bis zum Jahr 2035 wurde für die CO2-Trendentwicklung ohne regionale Maßnahmen erwartet, dass externe Faktoren die CO2-Emissionen des Verkehrs durch effizientere Fahrzeuge und alternative Antriebe nur um ca. 20 % reduzieren werden. Weitere CO2-Reduktionen erfordern eine Reduzierung der Verkehrsleistung, eine Veränderung der Verkehrsmittelwahl (Bild 7) und hierfür regionale Maßnahmen, die im Masterplan Mobilität untersucht und festgelegt wurden.

Bild 7: Ziel zur Modal Split-Veränderung in der Region Kiel bis zum Jahr 2035 (Kiel 2018)

Seit der Veröffentlichung des Masterplans wurden in den letzten vier Jahren zahlreiche Maßnahmen umgesetzt. Unmittelbar nach der Veröffentlichung wurden drei Personalstellen ausschließlich für die Umsetzung der Maßnahmen eingerichtet. Nach drei Jahren der Förderung haben die Kommunen beschlossen, die Stellen zu verstetigen und zunächst auf fünf Jahre zu verlängern. Für die Umsetzung wird jedes Jahr ein großer Betrag zur Verfügung gestellt. Darauf aufbauend wurden z. B. Mobilitätsstationen gebaut, ein Bike-Sharing-System eingerichtet, vieles im Bereich der digitalen Mobilität umgesetzt und unzählige kleinere Maßnahmen und vor allem Beratungen etabliert. Mit der Einführung dieses regionalen Mobilitätsmanagementsystems u. a. in Anlehnung an die „Hinweise zu regionalen Siedlungs- und Verkehrskonzepten“ wurde in der Region Kiel der Grundstein für die kontinuierliche und effiziente Weiterführung des eingeschlagenen Weges zu einer klimaneutralen Mobilität gelegt.

6 Ergänzende Anforderungen zur Anwendung bestehender FGSV-Veröffentlichungen und Anpassungsbedarf bei der Aufgabe der Erreichung von Klimaschutzzielen

In Steckbriefen zu einer Vielzahl von FGSV-Veröffentlichungen werden ergänzende Anforderungen an die Anwendung im Hinblick auf die Reduzierung von THG-Emissionen und Energieverbrauch gegeben. Diese Anforderungen beinhalten auch neue Vorgaben, Standards, Regelfälle, Empfehlungen und Handlungsoptionen. Die FGSV empfiehlt, diese ab sofort bei der Anwendung bestehender FGSV-Veröffentlichungen bei allen Verkehrsplanungen sowie beim Entwurf und beim Betrieb von Verkehrsangeboten und Verkehrsanlagen zum Erreichen von Klimaschutzzielen heranzuziehen.

Der Weg der Einführung neuer Anforderungen über immer aktuelle und über die Website fgsv.de abrufbare Steckbriefe zu einzelnen FGSV-Veröffentlichungen wurde gewählt, da teils dringender Handlungsbedarf besteht, der sich nicht mit den teils lang andauernden Überarbeitungen und Abstimmungsprozessen vorliegender Regelwerke und Wissensdokumente vereinbaren lässt. Dabei enthalten die Steckbriefe, die mit den für die Veröffentlichung jeweils zuständigen Gremien abgestimmt sind, bewusst auch Formulierungen von neuen Vorgaben und Anforderungen („es ist/es muss/es darf nicht“) sowie neuen Standards und Regelfällen („es soll/es soll nicht“). In den Vorbemerkungen der E Klima, die Arbeitsgruppen-übergreifend in dieser Form für viele neue FGSV-Veröffentlichungen erstellt worden sind, wird die Verbindlichkeit der E Klima und der zugehörigen Steckbriefe behandelt. Explizit erörtert wird, dass R 2-Veröffentlichungen, wie die E Klima und die zugehörigen Steckbriefe, ebenfalls wie die R 1-Veröffentlichungen der FGSV erfahrungsgemäß bei der Planung, bei der Genehmigung und beim Betrieb von (Verkehrs-)Anlagen und insbesondere in Streitfällen als anerkannte Regeln der Technik bzw. als Stand der Technik gewertet und herangezogen werden. Es wird insofern empfohlen, von Vorgaben und Anforderungen nicht bzw. nur, wenn zwingend erforderlich, und von Standards und Regelfällen nur aus triftigen Gründen abzuweichen und diese Abweichungen schriftlich zu begründen. In diesem Sinne sind die in Steckbriefen aufgeführten ergänzenden Anforderungen verbindlich anzuwenden.

Herausgegriffen werden an dieser Stelle exemplarisch die ergänzenden Anforderungen zur Anwendung

  • des HBS – „Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen“, Ausgabe 2015,
    sowie
  • der RASt – „Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen“, Ausgabe 2006 (letzte Änderung 2013).

Der Steckbrief zum HBS 2015 (Stand 09/2022) führt u. a. folgende ergänzende Anforderungen auf:

  • Für die verkehrstechnische Bemessung sollen Bemessungsverkehrsstärken aus aktuellen Verkehrsprognosen abgeleitet werden. Die Prognosen sollen auch die Nachfragewirkungen von Entwicklungen und Maßnahmen umfassen, die sich aus den Zielsetzungen des Klimaschutzes Die Bemessungsverkehrsstärken sollen die Wirkung aller geplanten Maßnahmen im ÖV, Kfz-, Rad- und Fußverkehr berücksichtigen (Bild 8).
  • Für den ÖV sollen die Qualitätsstufen QSV A und B, für den Rad- und Fußverkehr sollen die Qualitätsstufen QSV A bis C angestrebt werden (siehe Bild 9). Dies gilt sowohl für Anlagen des jeweiligen Verkehrsmittels als auch für Knotenpunkte mit und ohne Lichtsignalanlage. Dazu sind die QSV an diesen Anlagen für alle Verkehrsmittel separat auszuweisen. Dies gilt bei der Bewertung der Qualität des Verkehrsablaufs von Knotenpunkten mit Lichtsignalanlage unabhängig von einer möglichen Führung auf Bussonderfahrstreifen oder einer Priorisierung durch eine verkehrsabhängige Steuerung auch für eine Führung im Mischverkehr mit dem allgemeinen Kfz-Verkehr.

Bild 8: Veränderte Ableitung der Bemessungsverkehrsstärken gemäß HBS-Steckbrief der E Klima (beispielhaft, eigene Darstellung)

  • Für Verkehrsanlagen des motorisierten Individualverkehrs spiegelt die Qualitätsstufe D einen effizienten Ressourceneinsatz wider. Sofern sich für Anlagen des Kfz-Verkehrs eine QSV besser als D ergibt, soll nachgewiesen werden, dass keine sparsamere Variante für die zu Grunde liegende Straßenkategorie vorhanden ist, für die eine QSV von D erreichbar ist.

Bild 9: Anzustrebende QSV Qualitätsstufen des Verkehrsablaufs gemäß HBS-Steckbrief der E Klima (beispielhaft, Quelle der Tabelle: HBS 2015)

  • Im Rahmen der Bemessung sollen sowohl die Qualitätsstufen des Verkehrsablaufs (QSV) im Kfz-Verkehr der einzelnen Strecken und Knoten, als auch die Stufen der Angebotsqualität in Netzabschnitten (SAQN) nach dem HBS 2015 ermittelt werden (siehe Bild 10).
  • Eine weitergehende integrierte Betrachtung für den Kfz-Verkehr und den öffentlichen Personenverkehr aber auch den Radverkehr ermöglicht der Vergleich der Stufen der Angebotsqualität von Netzabschnitten SAQN einer Verbindung SAQV nach den RIN (siehe ebenfalls Bild 10).

Bild 10: Notwendigkeit zur Betrachtung der Stufen der Angebotsqualität SAQ immer zusätzlich zur Betrachtung der QSV Qualitätsstufen des Verkehrsablaufs gemäß HBS-Steckbrief der E Klima (beispielhaft, eigene Darstellungen)

Der Steckbrief zu den RASt 2006 (Stand 09/2022) führt folgende ergänzende Anforderungen und auch neue, bereits abgestimmte Vorgaben auf:

  • Sowohl beim Entwurfsziel als auch bei der Abwägungsentscheidung soll der Punkt „Beitrag zur Einhaltung der Klimaschutzziele“ priorisiert berücksichtigt werden.
  • Die Belange des Umweltschutzes sind ebenso wie das Ziel einer ausreichenden Begrünung mit standortgerechten Vegetationsstrukturen zu beachten. Es sind grundsätzlich Möglichkeiten der Entsiegelung zu prüfen und Retentionsräumen zu schaffen.
  • Die Belange des ÖV, Rad- und Fußverkehrs sind generell gegenüber den Belangen des fließenden und ruhenden Kfz-Verkehrs zu priorisieren. Zusätzlich sind die Ansprüche des Lade-, Liefer- und Wirtschaftsverkehrs zu berücksichtigen.
  • Zur Erreichung von Klimaschutzzielen soll für den ÖV ein attraktives Angebot vorgehalten werden, dass die Leistungsfähigkeit bei konkurrenzfähigen Reisezeiten zum MIV gewährleistet.
  • Zur Erreichung von Klimaschutzzielen sollen für den Rad- und Fußverkehr durchgehend regelkonforme und möglichst attraktive Netze mit der zugehörigen Anbindung an Infrastruktur- und Kultureinrichtungen, Wohnen und Gewerbe angeboten werden (Bild 11).

Bild 11: Standard durchgehend regelkonformer und möglichst attraktiver Netze für den Rad- und Fußverkehr gemäß RASt-Steckbrief der E Klima (beispielhaft, eigene Fotos)

  • In beengten Situationen und bei Flächenkonflikten sind auch einzelne Abschnitte (Orientierungslänge 50 bis 150 m) mit reduzierter Fahrbahnbreite zu bilden, um eine durchgehend regelkonforme und möglichst attraktive Infrastruktur für den Rad- und Fußverkehr anbieten zu können und um Geschwindigkeiten in Stadtstraßen zu reduzieren. Diese Abschnitte können Fahrbahnbreiten für die Begegnungsfälle Lkw/Pkw oder Pkw/Pkw aufweisen, wenn ausreichende Sichtbeziehungen auf entgegenkommende Fahrzeuge unter Berücksichtigung der Haltesichtweiten nachgewiesen sind.
  • Um objektive und subjektive Sicherheit und damit eine gesteigerte Nutzung von Rad- und Fußverkehrsanlagen zu gewährleisten, sind ausreichend breite Anlagen zur Verfügung zu stellen. Die in den RASt 06 angegebenen Regelmaße für Gehwege und Radverkehrsführungen sind als Mindestwerte anzusehen und diese Anlagen sind möglichst breiter zu wählen. Die in den RASt 06 angegebenen Klammerwerte für Radverkehrsanlagen sind nicht mehr anzuwenden.
  • Wenn ruhender Verkehr nicht zu vermeiden ist, sind Sicherheitstrennstreifen zu allen Arten der Radverkehrsführung vorzusehen – so auch bei Schutzstreifen. Auch im Mischverkehr sollte insbesondere bei schmalen Fahrbahnen ein Sicherheitstrennstreifen vorgesehen werden (Bild 12).

Bild 12: Vorgabe eines notwendigen Sicherheitstrennstreifens zum ruhenden Verkehr bei Rad-verkehr im Mischverkehr mit und ohne Schutzstreifen gemäß RASt-Steckbrief der E Klima (beispielhaft, eigenes Foto, eigene Darstellung)

  • Für den Fuß- und Radverkehr sind vermehrt Überquerungshilfen anzubieten.
  • Die Anlage von Parkständen im Straßenraum, die nicht für Menschen mit schwerer Gehbehinderung und Rollstuhlnutzende notwendig sind, soll weitgehend vermieden werden, um Flächen für Grünbereiche, für die Retention und/oder dezentrale Entwässerung mit Versickerung und/oder für andere umweltfreundliche Modi zu gewinnen und ein Aufheizen von Straßenräumen zu verringern (Bild 13). Die alternative Unterbringung von Parkständen in zusammenhängenden Parkflächen oder Parkbauten bietet sich auch zur effizienten Abwicklung von E-Ladevorgängen, Liefer- und Ladeverkehre sowie für Sharing-Angebote als Mobilitätshub/Mobilitätsstation an.

Bild 13: Standard der Vermeidung von Parkständen im Straßenraum zugunsten von Flächen für Grünbereiche, Retention und umweltfreundliche Verkehrsmodi gemäß RASt-Steckbrief der E Klima (beispielhaft, Quelle der Darstellungen: Riel, J.; Gothe, K.: Vortrag im Rahmen des TAE Kongresses 2021)

Werden die hier exemplarisch aufgeführten und in einen Zusammenhang gebrachten ergänzenden Anforderungen zur Anwendung des HBS, der RIN und der RASt betrachtet, wird deutlich, wie durchgreifend die Veränderungen des Planungs-, Entwurfs- und Verkehrsmanagementprozesses sein müssen und werden. Während die bisherige Aufstellung von FGSV-Veröffentlichungen ähnlich wie die bisherige Entwicklung der Straßenverkehrsordnung das Ziel der Gleichbehandlung der Verkehrsmodi hatte, werden nunmehr Priorisierungen in den Regelwerken und Wissensdokumenten verankert. Zudem stehen Sicherheitskriterien und Qualitätsanforderungen insbesondere für ungeschützte Verkehrsteilnehmende im Vordergrund und es sollen alle Möglichkeiten genutzt werden, den Öffentlichen Verkehr spürbar zu stärken. Diese veränderten Vorgehensweisen sind zunächst in Steckbriefen der E Klima verankert – werden aber mittel- bis langfristig zu teils grundlegend anderen Vorgaben für die Planung, den Entwurf und das Verkehrsmanagement von Verkehrsanlagen und Verkehrsangeboten führen.

Im Falle der neuen Vorgaben werden parallel zur Veröffentlichung der E Klima sowie der Steckbriefe Korrekturblätter beispielsweise zur RASt 06 herausgegeben, die bereits abgestimmte Vorgaben der Neufassung – vorab als neue Vorgaben und Standards einführen.

7 Fazit und Ausblick

Die neuen E Klima stellen die Relevanz der Klimaschutzziele im Verkehrsbereich dar, formulieren neue Anforderungen an die Anwendung von FGSV-Veröffentlichungen und unterstützen damit Planerinnen und Planer bei der Umsetzung fachlicher Erfordernisse.

Bei der künftigen Anpassung und Aktualisierung einzelner FGSV-Veröffentlichungen werden die zunächst in Steckbriefen formulierten neuen Anforderungen Berücksichtigung finden. Die neue Regelwerkgeneration wird insofern ihren Beitrag dazu leisten, Klimaschutzziele möglichst zu erreichen.

Die E Klima sind ad hoc entstanden und bilden den Auftakt von Veränderungsprozessen, die mit dem veröffentlichten Werk längst nicht abgeschlossen sind. Vorgesehen und notwendig sind vielmehr weitere Anpassungen, die sich beispielsweise auf die Erstellung von Methoden von THG-Bilanzierungen und deren Einbindung in Bewertungsverfahren, auf Prozesse der Entscheidungsfindung geeigneter Maßnahmen, auf bauliche Ausführungen oder auf Möglichkeiten zur beschleunigten Umsetzung von Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimafolgenanpassung beziehen.

Neu formulierte Anforderungen können nur dann ihre Wirksamkeit entfalten, wenn sich Planungen, Prozesse und Entscheidungen vor Ort darauf ausrichten. Es ist insofern gemeinsames verantwortliches Handeln gefragt, um adäquate Lebensbedingungen für uns und für künftige Generationen zu bewahren.

Literaturverzeichnis

Agora Energiewende / Agora Verkehrswende / Stiftung Klimaneutralität 2020: Klimaneutrales Deutschland 2045, Wie Deutschland seine Klimaziele schon vor 2050 erreichen kann, Berlin 2020

Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Kopernikus-Projekt Ariadne 2020: Ariadne-Analyse – Klimaschutz und Verkehr: Zielerreichung nur mit unbequemen Maßnahmen möglich, Potsdam 2021

BMVI 2020: Mobilität in Deutschland – MID 2017, Ergebnisbericht, Berlin 2020

Bundesregierung 2021a: Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, Weiterentwicklung 2021, Kabinettbeschluss vom 10. März 2021

Bundesregierung 2021b: Öko-Institut; Fraunhofer ISI; IREES GmbH; Thünen-Institut: Projektionsbericht 2021 für Deutschland, Berlin/Karlsruhe/Braunschweig 2021

Bundestag 2021: Bundesgesetzblatt Jahrgang 2021, Teil I Nr. 59: Erstes Gesetz zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes vom 18. August 2021, Bonn 2021

BVerfG 2021: Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 –, Rn. 1-270, Karlsruhe 2021

EU 2021: Verordnung (EU) 2021/1119 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 2021 zur Schaffung des Rahmens für die Verwirklichung der Klimaneutralität und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 401/2009 und (EU) 2018/1999 („Europäisches Klimagesetz“)

FGSV 2006: Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt), Ausgabe 2006, Köln (FGSV 200)

FGSV 2008: Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Richtlinien für integrierte Netzgestaltung (RIN), Ausgabe 2008, Köln (FGSV 121)

FGSV 2015: Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS), Ausgabe 2015, Köln (FGSV 299)

FGSV 2021: Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Hinweise zu Maßnahmen für eine Verkehrswende im Güterverkehr (H VwG), Ausgabe 2021, Köln (FGSV 171)

NPM 2021: Nationale Plattform Zukunft der Mobilität, Arbeitsgruppe 1 „Klimaschutz im Verkehr“: Wege für mehr Klimaschutz im Verkehr, Berlin 2021

UBA 2022: Umweltbundesamt: Nationale Trendtabellen in der Abgrenzung der Sektoren des Klimaschutzgesetzes (KSG); Webdatenbank https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/treibhausgasemissionen; Abgerufen am 15. 8. 2022