FGSV-Nr. | FGSV 002/136 |
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Ort | Kassel |
Datum | 23.02.2023 |
Titel | Erhaltungsprognosetool für Ingenieurbauwerke EPING |
Autoren | Dipl.-Ing. Jan Zwerger |
Kategorien | Kommunal |
Einleitung |
Ingenieurbauwerke wie vor allem Brückenbauwerke bilden schon seit jeher einen wesentlichen Bestandteil der kommunalen Verkehrsinfrastruktur und waren oft Grundlage und Ausgangspunkt der Stadtentwicklung. Nicht selten sind sie Wahrzeichen und touristischer Anziehungspunkt der Kommunen. Angesichts der Entwicklung des Verkehrsaufkommens bilden sie häufig den leistungsbestimmenden Bestandteil der Verkehrsinfrastruktur und verkörpern ein immenses Anlagevermögen. Eine der wesentlichen Aufgaben der kommunalen Baulastträger besteht daher in der Erhaltung dieser Ingenieurbauwerke. Die Aufrechterhaltung der Stand- und Verkehrssicherheit der Bauwerke bei immer höher werdenden Ansprüchen an die Verfügbarkeit und einer möglichst geringen Belastung der ohnehin klammen kommunalen Haushalte stellt eine große Herausforderung dar. Hierzu bedarf es neuer, intelligenter Managementwerkzeuge. Das Prognoseverfahren EPING ist ein solches neues Werkzeug. Es ermöglicht eine vollumfängliche Berücksichtigung der Lebenszykluskosten bei der Erhaltungsbedarfsprognose für Ingenieurbauwerke. Die Erhaltungsbedarfsprognose beginnt mit der Ermittlung des aktuellen Anlagevermögens der Ingenieurbauwerke, wie sie im Rahmen der Bilanzierung bei doppischer Haushaltsführung benötigt wird. Im Weiteren führt sie über die Ressourcenplanung (Baumittel, Planungsmittel, Personalbedarf) hin zur Prognose der künftigen Hauptkennwerte der Bauwerksentwicklung (Zustandsentwicklung, Tragfähigkeitsentwicklung, Anlagevermögen). Mit der Bereitstellung aller Berechnungsergebnisse für den gesamten Prognosezeitraum werden die Baulastträger in die Lage versetzt ihre Investitionsentscheidungen und Personalbedarfsplanungen den Erfordernissen anzupassen. |
Volltext | Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.1 Allgemeine ProblemstellungNicht zuletzt durch die Tragödie des Einsturzes des Polcevera-Viaductes in Genua am 14. 8. 2018 oder den Unfall im Zusammenhang mit dem Absturz eines Lärmschutzelementes auf der A 3 bei Köln im November 2020 ist der Fokus der Öffentlichkeit auf die Erhaltung der Ingenieurbauwerke unserer Verkehrsinfrastruktur gelenkt worden. Dabei wurde in der Vergangenheit vor allem der Erhaltungszustand größerer Autobahnbauwerke thematisiert. Mit der Gründung der Autobahn GmbH und einer speziellen „Brücken-Task-Force“ innerhalb der Autobahn GmbH wird der Problematik im Bereich der Bundesfernstraßen Rechnung getragen. Aber wie steht es um den Bestand unter kommunaler Bauträgerschaft? Mit 66.714 Brückenbauwerken [9] befinden sich in der Baulastträgerschaft der Kommunen weitaus mehr Brücken als in der Baulast der neu gegründeten Autobahn GmbH (27.830 Teilbauwerke [1]), der Baulastträgerschaft der Länder (46.530 Teilbauwerke [1]) sowie in der Baulastträgerschaft der DB AG (25.710 Bauwerke [10]). Bild 1: Brücken in Deutschland nach Baulastträgerschaft – Anzahl Auch im Bezug auf die Bauwerksfläche der Brückenbauwerke ist der Anteil der Kommunalen Baulastträgerschaft mit 27,5 Millionen m² der höchste. Bild 2: Brücken in Deutschland nach Baulastträgerschaft – Brückenfläche Damit übersteigt auch das Anlagevermögen der kommunalen Brücken das der weiteren Baulastträger. Das gesamte Anlagevermögen aller Straßen und Brücken in Deutschland wird auf rund 480 Milliarden € geschätzt [3]. Die Bauwerksprüfungen sind in Deutschland durch die DIN 1076 geregelt. Im Zuge jeder Bauwerksprüfung erfolgt die Ermittlung einer Zustandsnote für das Teilbauwerk. Die Zustandsnoten charakterisieren den Erhaltungszustand eines Ingenieurbauwerkes, sie werden unter Berücksichtigung der Schadensauswirkung auf die „Standsicherheit“, „Verkehrssicherheit“ und „Dauerhaftigkeit“ der Konstruktion berechnet und sechs Zustandsnotenbereichen zugeordnet. Eine Zustandsnote von 3,5 und schlechter beschreibt einen „ungenügenden Bauwerkszustand“ mit der Definition: „die Standsicherheit und/oder Verkehrssicherheit sind erheblich beeinträchtigt oder nicht mehr gegeben“. Es kann davon ausgegangen werden, dass für diese Bauwerke und auch für die Bauwerke mit einer Zustandsnote von 3,0 bis 3,4 (nicht ausreichender Bauwerkszustand) in näherer Zukunft Instandsetzungs- oder Ersatzneubaumaßnahmen erforderlich sind. Bild 3: Zustandsnoten der Brücken – Vergleich Bundesfernstraßen/Kommunale Brücken Im Vergleich der Zustandsdaten für Bundesfernstraßen mit den Erhebungen für kommunale Straßenbrücken zeigt sich ein 3-fach höherer Anteil an Bauwerken im kritischen Bauwerkszustand für kommunale Brücken. Die oben genannten Auswertungen zeigen, dass die Herausforderungen, welche sich für die Erhaltung der kommunalen Infrastruktur im Bereich der Brückenbauwerke und anderen Ingenieurbauwerke ergeben, insgesamt umfangreicher als die Herausforderungen im Bereich der Bundesfernstraßen sind. Die vielerorts prekären Haushaltslagen von Kommunen sowie die gesellschaftliche Erwartung einer stets verfügbaren, leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur beschreiben einen Zielkonflikt. Dieses Dilemma wird verstärkt, wenn man anerkennt, dass zusätzlich die Modernität und Zukunftsfähigkeit des Straßennetzes mit seinen Bauwerken sichergestellt werden soll, wozu es jährlicher Investitionen bedarf, die die jährlichen Wertverluste (Abschreibungen) übersteigen. Zur Auflösung dieses Widerspruchs bedarf es tiefgehender, fundierter Analysen und effizienter Prognosewerkzeuge im Erhaltungsmanagement. 2 ZielsetzungMit dem System EPING sollte ein Prognosetool zur Berechnung und Simulation der Lebenszykluskosten für Ingenieurbauwerke der Verkehrsinfrastruktur geschaffen werden, welches die Gesamtheit der zu erwartenden Erhaltungskosten inklusive der Bau-, Planungs- und Verwaltungskosten in Verbindung mit den zu erwartenden Zustandsentwicklungen und Leistungsfähigkeiten der Bauwerke ermitteln lässt. Die ingenieurtechnischen Fragestellungen waren dabei genauso zu berücksichtigen wie die betriebswirtschaftlichen Belange. Bild 4: Ingenieurbauwerke nach DIN 1076 Das Prognoseverfahren sollte die Betrachtung verschiedener alters- und bauwerksgrößenabhängiger Erhaltungsstrategien ermöglichen, wodurch eine iterative Optimierung im Hinblick auf unterschiedliche Zielgrößen erreicht werden kann. Dabei galt es, die Prognoseergebnisse so transparent darzustellen, dass für jedes berechnete Teilbauwerk eine Plausibilitätskontrolle erfolgen kann. Neben den zu erwartenden Erhaltungskosten sollten insbesondere die prognostizierten Zustandsnotenentwicklungen, künftige Tragfähigkeiten und Verkehrsbeschränkungen sowie die Entwicklung des Anlagevermögens und des Modernitätsgrades ermittelt werden. Der Finanzbedarf war in Form der zu erwartenden Baukosten und Kosten für die Planung der Baumaßnahmen zu berechnen. Zur Unterstützung der Personalbedarfsplanung sollte eine Prognose des bauherrenseitig für die Umsetzung der Bauwerkserhaltung erforderlichen Personals erstellt werden. 3 UmsetzungEPING wurde im Rahmen einer Arbeitsgruppe aus Vertretern der Straßenbauverwaltungen Thüringens, Bayerns, Brandenburgs, Hamburgs und Rheinland-Pfalz sowie der Ingenieurbüro Probst GmbH entwickelt und konzeptioniert. Die programmtechnische Umsetzung erfolgte durch die Ingenieurbüro Probst GmbH. Bild 5: Prinzipdarstellung des Programmablaufs Um die Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Berechnung zu gewährleisten, wurden im Zuge der Realisierung des Verfahrens und seiner Programmierung nahezu alle Parameter der Berechnung in speziellen Eingabemasken des Programms editierbar gemacht. Im gegenwärtigen Bearbeitungsstand sind insgesamt ca. 360 Berechnungsparameter in unterschiedlichen administrierbaren Bearbeitungsebenen einstellbar. Neben einer Vielzahl von prozessbezogenen Parametern gehören dazu auch strategische Ansätze für den prognostischen Zustandsnotenverlauf, Kostenfunktionen für verschiedene Maßnahmearten, Parameter für die zukünftige Baupreisentwicklung, Parameter zur Festlegung der Erhaltungsstrategie, Parameter für den Traglastindex, das Ziellastniveau und Parameter zur Abbildung des Planungsaufwandes. Bild 6: Eingabemasken zur Parametervariation Alle Parameter sind zunächst als Voreinstellung im Programm hinterlegt. Durch die Editierbarkeit ist eine Anpassung an aktuelle Baupreisentwicklungen, Vorschriftenfortschreibungen und wissenschaftliche Erkenntnisse sichergestellt. Auch wird so eine Anpassung des Berechnungsverfahrens an die speziellen Bedürfnisse verschiedener Baulastträger möglich. Neben den Straßenbauverwaltungen der Länder können dies Konzessionsnehmer, Kreise, Kommunen, Gewässerunterhalter etc. sein. Um eine Anwendung für eine breite Nutzergruppe zu ermöglichen, wurde die Datenübernahme so gestaltet, dass neben den Datenbeständen aus SIB-Bauwerke [5] auch andere Datenquellen herangezogen werden können. Die Ergebnisse lassen sich auf einzelne Organisationseinheiten einer Verwaltung aufschlüsseln, sodass eine sehr differenzierte, bedarfsgerechte Haushaltsmittelplanung und Haushaltsmittelbudgetierung möglich werden. 4 Methodik und VerfahrenDas Prognoseverfahren stützt sich neben den Erkenntnissen aus verschiedenen Fachbeiträgen auch auf umfangreiche Auswertungen der Bauwerksdaten mehrerer Bundesländer. Dabei wurde auf Datenbestände des bundeseinheitlich angewendeten Programmsystems SIB-Bauwerke zurückgegriffen. Bild 7: spezifische Bruttobaukosten „Ersatzneubau Brücken“ Preisbasis 12/2021 Das detaillierte Vorgehen ist in einer Verfahrensbeschreibung zur Prognose des Erhaltungsbedarfs von Ingenieurbauwerken [6] sowie einer Programmbeschreibung [7] niedergelegt. Das Vorgehen korrespondiert zudem mit der im Entwurf befindlichen Richtlinie für die strategische Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Ingenieurbauwerken (RPE-ING) [8]. Durch eine vorgefertigte Standardauswertung erfolgt zunächst die Übernahme der berechnungsrelevanten Bauwerksdaten aus dem Programmsystem SIB-Bauwerke oder anderer Datenverwaltungssysteme über die Datenformate XLS und DBF. Dabei werden die für die Berechnung relevanten Datenfelder jedes Teilbauwerkes eingelesen und überprüft. Die Berechnung erzeugt im Bottom-up-Verfahren teilbauwerksbezogene Ergebnisse, die mit hoher Aussagesicherheit die Basis für netzweite Betrachtungen des Bauwerksbestandes bilden. Im gegenwärtigen Bearbeitungsstand des Programmsystems ist eine Berechnung für die Bauwerksarten Brücken, Stützwände, Lärmschutzwände und Verkehrszeichenbrücken möglich. Neben den Erhaltungskosten können auch die Kosten für Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 mit den zugehörigen Nebenkosten für Verkehrssicherung, Zugangstechnik und Sperrung von Bahnstrecken abgebildet werden. Analog zur Ermittlung der Ingenieurkosten für die Maßnahmenplanungen erfolgt auch hier eine Differenzierung zwischen externen und verwaltungsinternen Leistungen. Bild 8: Bauwerksprüfung nach DIN 1076 mit einem Untersichtgerät Alle Prognosewerte werden separat für jedes einzelne Teilbauwerk in frei wählbaren Prognosezeiträumen (max. 50 Jahre) berechnet und in Excel-Arbeitsblättern jahresscharf dargestellt. Für den betrachteten Gesamtbestand werden danach die Ergebnisse sämtlicher Bauwerke thematisch gruppiert und in verschiedenen Diagrammen ausgegeben. Die Tabellenblätter und Grafiken haben folgenden Umfang:
Bild 9: Diagramme der Ergebnisdarstellung Bild 10: Ergebnisdiagramm am Beispiel des Anlagevermögens eines Bauwerksbestandes Die Ergebnisdarstellung der Einzelbauwerke ermöglicht eine Kontrolle, Plausibilitätsprüfung und Kalibrierung der Berechnung. Diese Möglichkeit der Prüfung des Ergebnisses am konkreten Bauwerk erhöht die Transparenz des Berechnungsverfahrens und trägt damit zur Akzeptanz der Berechnungsergebnisse bei. 5 Resümee und AusblickMit EPING wurde für die Baulastträger ein praxisorientiertes Werkzeug entwickelt, das neben der Ermittlung des zu erwartenden Erhaltungsbedarfs auch die Möglichkeit bietet, Strategien der Erhaltung zu variieren und anhand verschiedener Parameter zu vergleichen, wodurch globale Erhaltungsstrategien aufgestellt und analysiert werden können. Der Anwender kann so die Ziele der Erhaltung klar und nachvollziehbar ingenieurtechnisch definieren und dabei auch die Anlagevermögensrechnung in die Nachhaltigkeitsbetrachtung miteinbeziehen. Mit EPING lassen sich zudem Vorhersagen zu Entwicklungen des Personalbedarfs und der erforderlichen Mittel für externe Dienstleister (Planungsbüros) ableiten. EPING wird im Rahmen der Arbeitsgruppe kontinuierlich weiterentwickelt. Gegenwärtig erfolgt die Neuprogrammierung als HTML5-Version. Diese soll die bisher vorhandene Programmierung als EXCEL-VBA-Programm ablösen. Literaturverzeichnis
BildnachweisSämtliche verwendeten Fotos und Bilddarstellungen sind rechtefrei und stammen aus der Programmdokumentation und den Bauwerksdatenbanken der beteiligten Straßenbauverwaltungen. |