FGSV-Nr. FGSV 002/141
Ort Kassel
Datum 13.02.2025
Titel Optimales Asphaltrecycling für schwach belastete Verkehrswege
Autoren Markus Stöckner, Christian Holldorb, Amina Wachsmann, Loba Sagnol, Hartmut Herb
Kategorien Kommunal
Einleitung

Das kommunale Verkehrsnetz in Deutschland erstreckt sich über etwa 230.000 Kilometer (Lippold, 2024) und bildet eine zentrale Grundlage für Mobilität und Infrastruktur. Jedoch weist es vielerorts erhebliche Mängel auf, die deutschlandweit eine zustandsbedingte jährliche Wertminderung von etwa 950 Millionen Euro verursachen (VIFG, 2012). Angesichts der immer größer werdenden Bedeutung von Klimaschutz und Ressourcenschonung steht die Frage nach nachhaltigen Bauweisen und Recyclingverfahren im Mittelpunkt. Ein 100-%-iges Recycling von Ausbauasphalt ohne zusätzliche Wärme- oder Ressourcenzufuhr ist nach aktuellem Stand der Technik noch unüblich. Mit der Entwicklung der ORRAP-Methode wurde eine innovative Methode etabliert, die das 100-%-ige Recycling von Ausbauasphalt als Kaltrecyclingmethode ermöglicht. Im Rahmen der Entwicklung dieser Methode wurden umfangreiche Laboruntersuchungen durchgeführt, darunter die Ermittlung des optimierten Wassergehalts für den Einbau des ORRAP-Materials, die Bestimmung der California Bearing Ratio (CBR), die Charakterisierung von rückgewonnenem Bitumen, Triaxialversuchen zur Untersuchung von Verdichtungseigenschaften sowie Untersuchungen hinsichtlich der Spurrinnenbildung. Die Ergebnisse dieser Analysen bildeten die Basis für den Bau von Teststrecken in Frankreich und der Schweiz, auf denen das ORRAP-Material als gebundene Schicht zum Einsatz kam. In Frankreich wurde eine Oberflächenbehandlung über die OR-RAP-Schicht aufgetragen, während in der Schweiz eine 4 cm dicke Deckschicht darüber eingebaut wurde. Diese Maßnahmen sollen das Risiko von Abplatzungen verhindern. Alle Teststrecken wurden über einen Zeitraum von einem Jahr beobachtet. Bereits nach drei Monaten zeigte sich eine Verbesserung der Tragfähigkeit. Es wurden keinerlei Schäden festgestellt, was die Praxistauglichkeit und Zuverlässigkeit der Methode bestätigt. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die ORRAP-Methode eine vielversprechende Innovation für Straßen mit geringem bis mittlerem Verkehrsaufkommen darstellt. Besonders hervorzuheben ist, dass das Kaltrecycling nicht nur eine nachhaltige Verwertung von Ausbauasphalt ermöglicht, sondern auch die Wiederverwendung von PAK-haltigen Materialien unterstützt. Die ORRAP-Methode trägt durch ihre ressourcen- und energiesparende Verarbeitung maßgeblich zur Entwicklung nachhaltiger Bauweisen im kommunalen Straßenbau bei. Zur Förderung der Verbreitung und weiteren Nutzung wurde ein Leitfaden zur ORRAP-Methode erstellt, der verschiedenen Stakeholder Empfehlungen zur Anwendung des Materials bietet

PDF
Volltext

Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Einleitung

Die angegebenen Werte unterschiedlicher Quellen zur Größe des kommunalen Straßennetzes unterscheiden sich, allerdings, es ist wesentlich größer als das Netz der klassifizierten Straßen. So wird die Netzlänge des klassifizierten Straßennetzes mit ca. 230.000 Netz-Kilometer angegeben (Lippold, 2024), während das kommunale Netz nach den aktuellen Erhebungen des Deutschen Institutes für Urbanistik (DIfU) (Arndt et al., 2023) mit ca. 714.000 Netz-Kilometer angegeben wird. Das durchschnittliche Alter der Bestandteile des kommu­nalen Straßennetzes wird dort mit 30,4 Jahren angegeben, die übliche Nutzungsdauer mit durchschnittlich 50 Jahren veranschlagt. Die Festlegung von allgemeinen Nutzungsdauern kommunaler Straßen wird allerdings je nach Quelle ebenfalls unterschiedlich angesetzt. Der Zustand der Verkehrsstraßen wird nach (Arndt et al., 2023) mit einem Anteil von 10 % als sehr schlecht und einem Anteil von 20 % als schlecht angesetzt. Dies entspricht auch ande­ren Erfahrungen aus verschiedenen kommunalen Zustandserfassungen und -Bewertungen, sodass weitgehend gesichert davon ausgegangen werden kann, dass im kommunalen Netz ein nennenswerter Erhaltungsstau besteht. Ein Bericht aus dem Jahr 2012 beziffert die zu­standsbedingten Wertminderungen bundesweit mit rund 950 Millionen € p.a. (VIFG, 2012), während das DIfU den Nachholbedarf bundesweit mit bis zu 63 Milliarden € bis zum Jahr 2030 benennt. Solche Zahlen müssen sorgfältig interpretiert werden, da unterschiedliche An­sätze zu deren Ermittlung herangezogen werden und auch unterschiedliche Kostengruppen mit aufgenommen sind. So bezieht sich die Studie des DIfU zu den finanziellen Auswirkungen einer kommunalen Verkehrswende, mit der zum einen alle Anlagenteile einer kommunalen Verkehrsinfrastruktur betrachtet werden und zum anderen neben der reinen Erhaltung auch die Umgestaltung der Verkehrsinfrastruktur mitberücksichtigt wird. Dennoch kann festgehalten werden, dass bezüglich der kommunalen Verkehrsflächen ein erheblicher Nachholbedarf in der Erhaltung besteht und gleichzeitig auch enorme Aufgaben der Umgestaltung im Rahmen der Verkehrswende anstehen.

Ein weiterer Aspekt der Anforderungen kommunaler Verkehrsflächen besteht mit der Klimafolgenanpassung. Dabei geht es zunächst darum, möglichst klimaneutrale Bauweisen anzuwenden, aber auch Anstrengungen hinsichtlich der Überhitzung von Städten als auch die Minimierung von Risiken durch extreme Wetterereignisse, wie sie durch den Klimawandel verursacht werden, zu unternehmen. Dazu können zum Beispiel sogenannte Blue Green Streets Maßnahmen (BGS) eingesetzt werden (BGS, 2022).

All diese Anforderungen machen es notwendig, traditionelle Bauweisen zu überdenken und gegebenenfalls unkonventionelle Ansätze zu testen und auf ihre Praxistauglichkeit zu untersuchen. Dabei kommen im kommunalen Straßenbau vor allem Asphaltbauweisen und Pflasterbauweisen zum Einsatz. Obwohl eine genaue Verteilung zwischen beiden Bauweisen nicht angegeben werden kann, kann unterstellt werden, dass die Asphaltbauweise im kommunalen Straßenbau einen erheblichen Anteil einnimmt.

So wird auch ein Mangel an entsprechenden Daten zu kommunalen Verkehrsinfrastrukturen konstatiert (Rechnungshof Rheinland-Pfalz, 2020). Insofern ist es sicher sinnvoll, die Asphaltbauweise im kommunalen Straßenbau genauer zu betrachten. Sie erfordert bei der Herstellung einen nennenswerten Energieeinsatz sowie auch den Einsatz ungebrauchter Rohstoffe, auch wenn Verfahren erprobt, bewährt und etabliert sind, die einen erheblichen Anteil an Recycling von Asphaltgranulat zulassen. Unabhängig von der Art der Zugabe von Asphaltgra­nulat im Mischwerk ist trotzdem noch der Energieeinsatz nötig, um die nach Regelwerk erforderlichen Verarbeitungstemperaturen des Mischgutes zu erreichen. Insofern wurden in der Ver­gangenheit sogenannte Niedrigtemperaturasphalte entwickelt, die zum einen einen verringerten Energieeinsatz erfordern und zum anderen auch ein Beitrag zu den aktuellen Anforderungen an den Arbeitsschutz beim Einbau des Mischgutes leisten können (DAV, 2021). Die damit ver­bundenen Herausforderungen sind aktuell Gegenstand der fachlichen Diskussion und sollen hier nicht weiter erläutert werden.

Eine Weiterentwicklung entsprechender Verfahren auch zur Erhöhung der Produktivität der deutschen Bauwirtschaft wird gefordert, so auch vor allem neue Ideen für Bauweisen und Baustoffe zu entwickeln und diese auch vorurteilsfrei zu prüfen und zu bewerten (Johannsen, 2024). Derzeit wird quasi mit dem Technischen Regelwerk ein festgelegter Standard definiert, ohne den ein Einsatz innovativer Verfahren nicht möglich sei (Kugoth, 2023). Natürlich steht es außer Frage, dass das Technische Regelwerk Grundlage des Baugeschehens und auch der Anforderungen an Qualität und Ausführung ist, allerdings sollten trotzdem unkonventionelle Verfahren getestet und hinsichtlich ihrer Tauglichkeit für die Praxisanwendung geprüft werden. Dies war auch der Leitgedanke des Forschungsprojektes ORRAP, in dem eine direkte Wiederverwendung von Asphaltgranulat ohne weitere Aufbereitung auf der Baustelle geprüft wurde (Chazallon et al., 2020). Über dieses Projekt, die Ergebnisse sowie den Nachweis der Praxistauglichkeit über Versuchsstrecken wird nun nachfolgend berichtet.

2 Grundlagen

Der Zustand kommunaler Straßen lässt sich durch Oberflächen- sowie strukturellen Eigenschaften charakterisieren. Die Oberflächeneigenschaften werden durch die Zustandserfassung und -bewertung beschrieben und lassen sich in Ebenheitseigenschaften sowie Oberflächenschäden unterteilen. Strukturelle Eigenschaften zielen auf den Bemessungszustand und vor allem auch auf die Ermüdung von Asphaltschichten ab (Stöckner et al., 2021). Der Erhaltungsbedarf kann dann auf Basis des Zustandes der Oberfläche sowie des strukturellen Zustandes ermittelt werden und in Verbindung mit weiteren Auswertungen objektscharf eine Erhaltungsmaßnahme zugeordnet werden. Dabei werden vier Maßnahmengruppen unterschieden, sogenannte Instandsetzungsmaßnahmen, die über die gesamte Fahrbahnbreite gehen und in der Regel als Dünnschichtbeläge oder Ersatz der Deckschicht definiert sind. Erhaltungsmaßnahmen umfassen dann eine Deckenerneuerung, Ersatz der gebundenen Schichten oder der Ersatz des kompletten Aufbaus (Hess et al., 2018). Dieses System stammt aus dem Bereich der Außerortsstraßen und wird sinngemäß auch für kommunale Straßenbefestigungen eingesetzt (Stöckner, 2024). Steht nun der konkrete Erhaltungsabschnitt fest, wird im Rahmen der Bauvorbereitung die auszuführende Maßnahme sowie Ausführungsdetails überprüft und dann endgültig festgelegt. In diesem Zusammenhang kann dann auch entschieden werden, ob und in welchem Umfang Ausbauasphalt mit eingesetzt wird. Eine Rolle bei der Entscheidungsfindung kann daher auch der CO2-Abdruck spielen. Dabei wird die CO2-Bilanz einer Ausführungsvariante bewertet und die damit zu erwartende Lebensdauer anhand einer Dimensionierungsberechnung auf Basis der RDO Asphalt (FGSV, 2009) abgeschätzt. So kann über die gesamte Lebensdauer eines Abschnittes ermittelt werden, welche Recyclingvariante den geringsten CO2-Abdruck bei einer vorgegebenen Lebensdauer verursacht.

Die grundsätzlichen im technischen Regelwerk beschriebenen Verfahren zum Recycling von Asphaltgranulat lassen sich wie folgt charakterisieren:

Bisher übliche Nutzung von 100 % Recycling:

– durch zusätzliche Wärmezufuhr,

– hinzufügen von Schaumbitumen oder anderen Zusätzen,

– nur Nutzung von AC aus unkontaminierte Schichten.

Möglichkeiten des Recyclings mit möglichst wenig Erhitzungswärme:

– Warmasphalt statt Heißasphalt,

– Nutzung von Additiven zur Absenkung der Temperatur,

– Niedrigtemperaturasphalt,

– Kalteinbau unter Einsatz von Schaumbitumen.

In dem Zusammenhang kann man für kommunale Straßen bei der Maßnahmenauswahl auch die Ursache der Schädigung mit in Betracht ziehen. Die Beschreibung der strukturellen Eigen­schaften zielt auf die Abschätzung der Ermüdung in Abhängigkeit einer bestimmten Anzahl an Lastwechseln ab. Damit ist implizit verbunden, dass Straßenbefestigungen generell im nennenswerten Anteil einer Ermüdungsbeanspruchung unterliegen. Grundlage für die Berech­nungen ist der Schwerverkehrsanteil und damit die Anzahl der Übergänge an äquivalenten 10-t-Achsübergängen. Im kommunalen Bereich finden sich aber Strecken mit einer nennens­werten hohen Verkehrsbelastung, diese können als ermüdungsbeansprucht bezeichnet werden und dann auch Bereiche, die keiner nennenswerten Ermüdungsbeanspruchung unterliegen, beispielsweise schwach belastete Bereiche wie Erschließungs- oder Anwohnerstraßen. Für die letztgenannten Bereiche wäre dann zu hinterfragen, inwieweit der Recyclinganteil weiter erhöht werden kann, ohne dabei einen nennenswerten Verlust an Lebensdauer zu erzielen. Dies war der Grundgedanke des ORRAP-Projektes, in dem versucht wurde, in bestimmten Schichten mit einem Recyclinganteil von 100 % mit möglichst wenig Wärmezufuhr für schwach belastete Straßen zu realisieren.

3 Projekt ORRAP

Im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts ORRAP (Optimales Recycling von Aus-bauasphalt auf verkehrsschwachen Straßen; Projekt kofinanziert durch EFRE – INTERREG V (Chazallon et al., 2020)) wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet mit dem Ziel, Ausbauasphalt bei Umgebungstemperatur ohne Zusatz von bituminösem Bindemittel oder Verjüngungsmit-teln zu 100 % wiederzuverwenden. Der Ausbauasphalt wird dabei mit einem bestimmten Wassergehalt verdichtet und zum Bau von Straßen mit schwachem Verkehrsaufkommen ein­gesetzt. Als Ergebnis dieses Projekts entwickelte und modifizierte das ORRAP-Team eine Methode, die auf schwedischen Erfahrungen basiert (Jacobson, 2003; Jacobson, 2007; Jacobson et al., 2011). Diese Methode wird im Folgenden als „ORRAP-Methode” bezeichnet. Sie berücksichtigt verschiedene wirtschaftliche, ökologische, technische und gesundheitliche Aspekte, da sie natürliche Ressourcen schont und die Verwendung von Materialien geringerer Qualität ermöglicht. Darüber hinaus reduziert diese 100%ige Recyclingtechnologie nicht nur die Menge der AA-Lagerbestände, sondern stellt auch eine umweltfreundliche Bauweise dar, die zur CO2-Einsparung und Reduzierung anderer Emissionen führt (Chazallon et al., 2020). Die Vorgehensweise im Gesamtprojekt war wie folgt:

In einem ersten Arbeitsschritt wurden die aktuellen Rahmenbedingungen in der Region Oberrhein analysiert und bewertet. Kernpunkt waren die technischen und gesetzlichen Beschränkungen bezüglich der Rückgewinnung der Lagerung und der Wiederverwertung von Ausbauasphalt. In einem zweiten Arbeitspaket wurden in den beteiligten Ländern repräsentative Proben von Ausbauasphalten entnommen und im Labor hinsichtlich ihrer baustofftechnologischen Eigenschaften, insbesondere auch zum Alterungszustand des Bitumens untersucht und vergleichend beschrieben. Weiter wurde im Labormaßstab in Bezug auf die Wiederverwertung der Einfluss von Temperatur und Wassergehalt auf die Verdichtbarkeit und die Homogenität der Proben untersucht und dann auch Performance-Prüfungen zur Ermittlung der zu erwartenden Lebensdauer bei Variation der Einbaubedingungen durchgeführt. Dabei wurde erwartet, dass sich eine Schicht aus Ausbauasphalt kurzfristig wie ungebundenes Material (elastisch) verhält, mittelfristig elastoplastisch und langfristig wie gebundenes Material verhält. Die E-Moduli wurden aufgrund von Triaxial-Versuchen bestimmt, die Ermüdungs- und Steifigkeitseigenschaften dann durch direkte und indirekte dynamische Zugversuche. Im nächsten Arbeitspaket wurde aufgrund der Laborergebnisse eine Dimensionierung einer verkehrsschwachen Straße mit einer dann selbst bindenden Tragschicht durchgeführt. Damit waren die materialtechnischen Voraussetzungen für die Umsetzung einer solchen Bauweise auf einer Teststrecke gegeben. Teststrecken wurden dann in der Schweiz und in Frankreich angelegt, um die Laborergebnisse in die Praxis zu übertragen und zu überprüfen, inwieweit sich die vorgeschlagene Bauweise unter Realbedingungen bewährt. Begleitend dazu wurde eine wirtschaftliche und ökologische Bewertung der Anwendung dieser Bauweise erstellt. Ziel war da-bei die Rahmenbedingungen für die Umsetzung innerhalb der Region zu ermitteln und auch zu evaluieren, auf welchen Netzteilen die Bauweise einsetzbar ist und welches Gesamtpotenzial überhaupt vorhanden ist. Die Ergebnisse sind als Leitfaden für die Praxis zusammengefasst (Chazallon et al., 2020).

4 Projektergebnisse

4.1 Charakterisierung der Materialien

Vorwiegend wurden Ausbauasphaltgranulate der Kornklasse 0/16 untersucht (Herb et al., 2021). Zur Ermittlung der modifizierten Proctordichte des Ausbauasphaltgranulats bei entsprechendem optimalen Wassergehalt wurde der Proctorversuch mit modifizierter Verdichtungsarbeit eingesetzt (DIN EN 13268-2). Mit dem CBR (California Bearing Ratio)-Test erfolgten Untersuchungen zur Tragfähigkeit (DIN EN 13286-47). Die Ergebnisse zeigen für die Proctorversuche, dass die optimalen Wassergehalte bei ca. 5 % liegen. Abhängig von den Feuchtegehalten auf der Halde sind die Ausbauasphalte daher für den Einbau auf der Baustelle entsprechend mit Wasser einzustellen. Die gemessenen CBR-Werte betragen ca. 14 %. Um eine Abschätzung der aus den ermittelten CBR-Werten zu erwartenden EV2-Werten auf der realen Straße vorzunehmen, wurde anhand einer in der Literatur (Lottmann, 2003) beschriebenen Relation eine Kalkulation der EV2-Werte vorgenommen. Ein CBR-Wert von 14 % sollte damit einem EV2-Wert von ca. 75 MN/m² entsprechen (Lottmann, 2003). Weiter wurden im Projekt verschiedene Ausbauasphaltgranulate hinsichtlich ihres mechanischen Verhaltens eingehend mit Triaxialversuchen auf Verdichtungseigenschaften (Gaillard et al., 2019) und mit dem Verkehrslastsimulator (MMLS3) hinsichtlich Spurrinnenbildung (Raab et al., 2020) untersucht.

4.2 Charakterisierung der rückgewonnenen Bitumen

Nach Heißextraktion der Ausbauasphaltgranulate wurden die Bitumen im Rotationsverdampfer zurückgewonnen und charakterisiert. Als mechanisch-physikalische Testmethoden wurden neben der Ermittlung des Bitumengehalts die Bestimmung des Erweichungspunkts (Ring und Kugel), der Nadelpenetration (bei 25 °C), der elastischen Rückstellung, des komplexen Schermoduls und des Phasenwinkels mit dem Dynamischen Scherrheometer (T-Sweep) und das Tieftemperaturverhalten mit dem Biegebalkenrheometer eingesetzt. Chemisch wurden die Bitumen durch Bestimmung der Carbonyl- und Sulfoxid-Indices mit Fourier Transformierter-Infrarot-Spektroskopie (FT-IR), der mittleren Molmasse mit Gelpermeationschromatographie (GPC) und der SARA (Saturates, Aromatics, Resins, Asphaltenes)-Analyse charakterisiert. Im Bild 1 sind die Ergebnisse zur Bestimmung der Nadelpenetration der zurückgewonnenen Bitumen der Ausbauasphaltgranulate aufgetragen. Vergleichend hierzu wurde zusätzlich das Ergebnis für ein Bitumen der Sorte 50/70 dargestellt, sowohl im Zustand frisch aus der Raffi­nerie als auch nach einem künstlichen Alterungsprozess im Labor (PAV-Verfahren – Pressure Ageing Vessel). Die zurückgewonnenen Bitumen weisen geringere Eindringtiefen auf als das gealterte Vergleichsbitumen. Sie sind somit durch erfolgte Alterungsprozesse in ihrem Gebrauchsverhalten entsprechend erwartbar härter.

Bild 1: Ergebnisse der Bestimmung der Nadelpenetration der Bitumen (Herb et al., 2021)

Komplementär zu diesen Ergebnissen zeigt die FT-IR-Bestimmung (Lu et al., 2002) der Oxidationsindices, welche eine Quantifizierung für den Oxidationsgrad von Kohlenstoff- und Schwefelverbindungen im Bitumen darstellen (Le Guern et al., 2010), in der Tabelle 3, dass die zurückgewonnenen Bitumen der Ausbauasphalte höhere Indices aufweisen als das künstlich gealterte Bitumen der Sorte 50/70 (Bild 2). Durch Oxidation mit Sauerstoff während der Bau- und Nutzungsphase waren die Bitumen entsprechend gealtert. Alle aus den untersuchten Ausbauasphaltgranulaten zurückgewonnenen Bitumen zeigen somit hinsichtlich mechanisch-physikalischer und chemischer Charakterisierung, wie beispielhaft an den zwei erläuterten Testmethoden dargestellt, einen fortgeschrittenen Alterungsgrad, was beim Recycling zu berücksichtigen ist (Herb et al., 2021).

Bild 2: Ergebnisse der Bestimmung der Carbonyl (C=O)- und der Sulfoxid (S=O)-Indices der Bitumen (Herb et al., 2021)

5 Teststrecken und weiterführende Ergebnisse

5.1 Anlage und Untersuchungen der Teststrecken

Aufbauend auf den bisherigen Ergebnissen wurden zwei Teststrecken, einmal bei Wahlen in der Schweiz und dann bei Sermersheim in Frankreich, jeweils im Juni 2019 realisiert (Raab et al., 2020). Die Bestandsstrecke in der Schweiz war 380 m lang und 5,50 m breit (Bild 3). Die folgenden Arbeiten wurden durchgeführt:

– Verstärken und Verbreitern der existierenden Straße um 0,50 m,

– Teilweise Erneuerung des bestehenden Asphaltoberbaus auf einer Breite von 1,50 m,

– Fräsen der Asphaltdecke (Dicke 0,03 bis 0,05 m), damit Dicke des verbleibenden Asphaltoberbaus 0,10 m,

– Aufbringen einer Bitumenemulsion auf den verbleibenden Asphaltoberbau,

– Einbau und Verdichten eines 0/22-Asphaltgranulat unter Zugabe von Wasser (Dicke der ORRAP-Schicht 0,10 m),

– Einbau und Verdichten einer Asphaltdeckschicht (Dicke 0,04 m).

Bild 3: ORRAP-Versuchsstrecke Schweiz (v. Loeben, 2019)

Bild 4: ORRAP-Versuchsstrecke nach einem Jahr Liegezeit (Raab et al., 2020)

Die Strecke bei Sermersheim in Frankreich (Bild 5) wurde neben dem Einbau von ORRAP-Material auf zwei Abschnitten von jeweils rund 200 m und auf einem weiteren Abschnitt von 200 m Länge eine ungebundene Schicht eingebaut (vergleichbar mit einer ungebundenen Tragschicht). Die Breite der Strecke betrug rund 4,50 m, die Schichtdicken des ORRAP-Materials 0,12 und 0,15 m sowie der ungebundenen Schicht 0,15 m. Auf allen Abschnitten wurde damals keine Asphaltdeckschicht, sondern nur eine Oberflächenbehandlung aufgebracht. Folgende Schritte wurden durchgeführt:

– Aufbringen einer Oberflächenbehandlung inklusiver Abstreuung auf den vorhandenen Oberbau,

– Anliefern und Verteilen des ORRAP- und des ungebundenen Materials auf dem bestehenden Oberbau,

– Befeuchten des Materials mit Wasser,

– Verdichten des Materials,

– Aufbringen eine Oberflächenbehandlung inklusiver Abstreuung.

Bild 5: ORRAP-Versuchsstrecke Frankreich (v. Loeben, 2019)

Für beide Strecken wurde eine wirtschaftliche und umweltbezogene Bewertungsmethodik entwickelt und angewandt. Vorgehensweise und Ergebnisse sind umfassend in einem Bericht von (Holldorb et al., 2020) beschrieben. Die Untersuchung kommt aufgrund der damals noch fehlenden Langzeiterfahrungen noch zu keinem eindeutigen Ergebnis, auch weil beide Ausführungsvarianten aufgrund der technischen Unterschiede nicht direkt vergleichbar sind. Allerdings enthält der Bericht bereits eine qualitative Wertung der angesetzten Einflusskriterien (Bild 6). Die Erfahrungen beim Einbau sind in (Raab et al., 2020) dargelegt, die die grundsätzliche Machbarkeit aufzeigen, aber auch Punkte darstellen, die beim Einbau besondere Beachtung erfordern. Während des Einbaus wurden Verdichtungsprüfungen durchgeführt, um eine ordnungsgemäße Verdichtung des verwendeten Materials sicherzustellen. Die Dicke der Schicht wurde während des Einbaus mit einem Tiefenmesser überprüft. Nach dem Einbau wurden am folgenden Tag Plattendruck- und Deflektionstests durchgeführt. Zudem wurden die Streckenabschnitte nach 3 Monaten und einem Jahr bezüglich einer Nachverdichtung des Materials und auf eventuell auftretende Spurrinnenbildung überwacht. Grundsätzlich zeigte sich dabei nach 3 Monaten eine Erhöhung der Tragfähigkeit (Bild 7), ausgedrückt durch den EV2-Wert sowie auch ausreichende mit dem Benkelman-Balken gemessene Deflektionen leicht unter 100 μm.

Bild 6: Relevante Einflusskriterien für die Entscheidung des Einsatzes der ORRAP-Methode gegenüber einer konventionellen Bauweise mit: + = positive Auswirkungen; 0 = keine Auswirkungen; - = negative Auswirkungen (Holldorb et al., 2020)

Bild 7: Ermittelte EV1- und EV2-Werte auf der französischen Teststrecke 1 bzw. 96 Tage nach dem Einbau

5.2 Entwicklung des Leitfadens

Basierend auf den Untersuchungsergebnissen wurde ein technischer Leitfaden für die Anwendung der ORRAP-Methode erstellt (Chazallon et al., 2020). Der Leitfaden soll potenziell Anwendende insoweit unterstützen, dass Fragen zur Herstellung, zur Entwicklung und zur Anwendung der Methode umfassend beschrieben werden und auch Angaben zur Qualitätskontrolle getätigt werden. Des Weiteren sind Hinweise zur Bewertung von Nachhaltigkeits- und Gesundheitsaspekten mitgegeben. Die ORRAP-Methode ist demnach ein 100-%-iges Asphaltrecyclingverfahren für Straßen mit schwacher (Verkehrsklasse T3–T5 in Frankreich, Verkehrsklasse T1–T3 in der Schweiz, Belastungsklasse Bk0,3 und Bk1,0 in Deutschland, siehe Tabelle 1). Es eignet sich besonders für regionale Straßen mit geringem Verkehrsaufkommen. Damit ist gleichzeitig klar, dass dies grundsätzlich auch für den kommunalen Anwendungsfall in Frage kommt.

Tabelle 1: Geeignete Verkehrsbelastung für die Verwendung der ORRAP-Methode, abhängig von der vorhandenen Verkehrsklasse in Frankreich, Deutschland und der Schweiz (FGSV 2012; SNV 2014; AFNOR 2019)

Zum Einsatz der Methode können gemäß dem Leitfaden folgende Empfehlungen gegeben werden:

– Die ORRAP-Methode wird nur für Tragschichten und für Straßen mit geringer Verkehrsbelastung empfohlen (siehe Tabelle 1). Eine Verwendung auf Straßen mit hohem Verkehrsaufkommen wird nicht empfohlen, da dies nicht evaluiert wurde.

– Das Auftragen der ORRAP-Schicht in der kalten Jahreszeit wird nicht empfohlen: (niedrigere Temperaturen haben negative Auswirkungen auf die Verdichtbarkeit und Festigkeitsentwicklung des Produkts, auch ist das Aufbringen einer Versiegelung in der kalten Jahreszeit problematisch).

– Bei der Herstellung des Asphaltgranulats muss die Bildung von Brocken/Klumpen, die den Einbau mit dem Fertiger erschweren oder zu Fehlstellen in der eingebauten Schicht führen können, vermieden werden.

– Die in einem Arbeitsgang einzubringende Schichtdicke beträgt maximal 15 cm. Die maximale Gesamtschichtdicke beträgt 25 cm.

– Um Rissbildung zu vermeiden, wird empfohlen, die Verwendung von zu schweren Stahlwalzen zu vermeiden.

– Die ORRAP-Schicht erfordert einen hohen Verdichtungsaufwand, vergleichbar mit ungebundenem Material (Schotterstraße), jedoch ungefähr doppelt so hoch wie beim Heißasphalteinbau.

– Da die Verdichtung der Bankette schwierig ist, wird empfohlen, die ORRAP-Schicht mit einer größeren Breite einzubauen, die größer ist als diejenige der Fahrspur, um ein Befahren der Randbereiche an den Fahrbahnrändern zu vermeiden (ca. 30 bis 50 cm zusätzliche Breite). Falls erforderlich, kann eine Stabilisierung der Bankette in Betracht gezogen werden.

– Die ORRAP-Schicht muss mit einer Deckschicht (Versiegelung oder Asphaltbeton) überdeckt sein.

– Eine gute Längsebenheit ist bei einer ORRAP-Schicht mit einer Versiegelung (Oberflächenbehandlungsmittel) nur schwer zu erreichen.

– Die ORRAP-Methode erfordert während der ersten Monate eine Überwachung (mögliche Spurrinnenbildung).

6 Fazit und Ausblick

Die Untersuchungen zeigen, dass die ORRAP-Methode eine praxistaugliche Lösung für die Wiederverwendung von Straßenbaumaterialien auf Strecken mit schwachem Verkehrsaufkommen darstellt. Besonders hervorzuheben ist, dass eine 100-%-ige Recyclingmethode ohne zusätzliche Heizenergie erfolgreich umgesetzt werden kann. Damit leistet die Methode einen signifikanten Beitrag zur Nachhaltigkeit im Straßenbau.

Allerdings weist das durch die ORRAP-Methode erzeugte Korngerüst noch Schwächen auf, wodurch das Material derzeit nicht als eigenständige Deckschicht für Straßen geeignet ist. Eine zusätzliche Deckschicht oder Oberflächenbehandlung bleibt nötig, um die notwendige Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit zu gewährleisten. Ein bedeutender Vorteil der ORRAP-Methode liegt in der Wiederverwendbarkeit von auch PAK-haltigem Material aus den Bewertungsklassen B und C gemäß RuVA-StB 01, da keine Erhitzung während des Prozesses erforderlich ist.

Zukünftige Forschungs- und Entwicklungsarbeiten sollten sich darauf konzentrieren, die Qualität des Materials so zu erhöhen, dass die Nutzung auf stärker befahrenen Straßen möglich wird. Zudem bietet sich Potenzial, das Material als wasserdurchlässige Deckschicht auf Radwegen einzusetzen, was den Nachhaltigkeitsgedanken weiter fördern würde.

Ein weiterer vielversprechender Ansatz besteht in der Untersuchung der Auswirkungen von Additiven und Rejuvenatoren auf die Dauerhaftigkeit und Tragfähigkeit des Materials. Diese Erkenntnisse könnten langfristig zu einer breiteren Anwendung der ORRAP-Methode im Stra­ßenbau führen.

Literaturverzeichnis

Danksagung

Das Projekt ORRAP wurde von mehreren Partnern kofinanziert: INSA Strasbourg (Hauptpartner), Cerema, Hochschule Karlsruhe (HsKA), Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) und Tiefbauamt – Kanton Basel-Landschaft. Zwölf assoziierte Partner sind Teil des Konsortiums: Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Deutsches Asphaltinstitut (DAI), Colas Est, LABINFRA (Groupe hydro-géotechnique), Société alsacienne de recyclage des matériaux (SARM), Südwest Asphalt GmbH & Co, Ziegler AG – Bauunternehmung, Dépar­tement du Haut-Rhin (CD68), Département du Bas-Rhin (CD67), Regionalverband Mittlerer Oberrhein, Stadt Karlsruhe und Landkreis Karlsruhe.

Mit einem Gesamtbudget von 1,48 Mio. € wird ORRAP vom Programm INTERREG V Oberrhein mit 436.201 € des EFRE (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung) kofinanziert. Im Rahmen der Schweizerischen Neuen Regionalpolitik (NPR) wird das Projekt zusätzlich von der Schweizerischen Eidgenossenschaft, dem Kanton Aargau und dem Kanton Basel-Landschaft unterstützt.