FGSV-Nr. FGSV 001/20
Ort Berlin
Datum 13.10.2004
Titel Die neuen Richtlinien für Landstraßen – Ein Schritt zu selbsterklärenden Straßen?
Autoren Dir. und Prof. Dipl.-Ing. Gert Hartkopf, Dr.-Ing. Roland Weber
Kategorien Kongress
Einleitung

Die EU-Kommission strebt an, bis zum Jahr 2010 die Zahl der Verkehrstoten um 50% zu senken. Dazu sind auch Verbesserungen der Straßeninfrastruktur erforderlich. Neben der Aufdeckung und Bekämpfung von unfallauffälligen Abschnitten gilt es, für den Neubau sowie den Um- und Ausbau vorhandener Straßen bessere Technische Regelwerke zu erarbeiten. Die neuen Entwurfsrichtlinien streben mehr Verkehrssicherheit durch eine stärkere Standardisierung an. Ziel ist es, wenige Straßentypen zu schaffen. Diese sollen in sich homogen sein und sich von anderen Straßentypen möglichst deutlich unterscheiden. Um Straßen stärker standardisieren zu können, benötigt man eine Leitgröße, der sich die verschiedenen Straßentypen und somit die verschiedenen Querschnitte, Knotenpunke und Entwurfsparameter zuordnen lassen. Als eine solche Leitgröße galt bisher die Entwurfsgeschwindigkeit. Diese soll künftig durch eine dimensionslose Größe – die Entwurfsklasse – ersetzt werden. Zur Überprüfung, ob auf der gebauten Straße jederzeit vor einem unerwarteten Hindernis gebremst werden kann, wird ein neues Prüfverfahren mit variabler Prüfgeschwindigkeit konzipiert. Zudem soll die Qualität der räumlichen Linienführung durch quantitative Vorgaben gesichert werden.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Motivation, Hintergrund

Jährlich sind in den Staaten der Europäischen Union 40 000 Verkehrstote zu beklagen. Die Kommission hat sich ein sehr anspruchsvolles Ziel gesetzt: Halbierung der Zahl der jährlichen Verkehrstoten bis zum Jahr 2010. Dieses Ziel wird aber nicht erreicht werden, wenn sich der bisherige Entwicklungstrend fortsetzt (Bild 1). Aus diesem Grund sind verstärkte Anstrengungen in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union erforderlich.

Bild 1: Verkehrssicherheit in Europa

Um Bewegung in diesen Bereich hineinzubringen, haben inzwischen die meisten Staaten Verkehrssicherheitsprogramme erarbeitet und machen diese zur Grundlage ihres staatlichen Handelns. Alle Länder haben erklärt, dass es notwendig ist, neben der weiteren Verbesserung der Fahrzeugsicherheit und der medizinischen Notfallversorgung, neben verstärkten Anstrengungen im Bereich Verkehrserziehung und Aufklärung auch die Straßeninfrastruktur zu verbessern.

Seitens der Europäischen Kommission soll die Zielerreichung durch eine Empfehlung oder Direktive zur Straßenverkehrssicherheit unterstützt werden. Die wichtigsten Maßnahmen dieser Empfehlung/Direktive werden sein:

  • die Sicherheitsanalyse von Straßennetzen
  • die Aufdeckung und Bekämpfung von Unfallschwerpunkten
  • die Prüfung von Straßenplanungen durch ein begleitendes Sicherheitsaudit
  • die Abschätzung der Auswirkungen neuer Infrastrukturmaßnahmen auf die Verkehrssicherheit.

In den vorbereitenden Arbeitsgruppen wurde deutlich, dass die Kommission über die vorgenannten Maßnahmen hinaus auch die Einführung von Regeln für standardisierte und sich möglichst selbsterklärende Straßen für dringlich hält. Und das ist genau der Fokus, auf den sich die Gremien der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) bei der Erarbeitung der neuen Entwurfsrichtlinien konzentrieren.

Neben den Forderungen der Europäischen Kommission gibt es vier wesentliche Gründe für die Überarbeitung der derzeit gültigen Entwurfsrichtlinien:

  • die geltenden Regelwerke sind durch neuere Forschungserkenntnisse teilweise überholt, sie sind sozusagen „in die Jahre gekommen“
  • die getrennte Behandlung von Aspekten der Linienführung, der Querschnittsausbildung und der Knotenpunktgestaltung hat sich als wenig nutzerfreundlich erwiesen
  • es werden – vor allem in den RAS-L – zahlreiche Regelungen mit hoch verfeinerten fahrdynamischen Modellen erklärt. Diese halten aber zu großen Teilen einer kritischen Hinterfragung nicht Zu denken ist hier z. B. an die komplizierten Formeln zur Berechnung der erforderlichen Haltesichtweiten
  • die bisherigen Entwurfsrichtlinien, bei denen vor allem Festlegungen zur Größe von einzelnen Entwurfselementen getroffen werden, ohne gleichzeitig zu beachten, wie wichtig deren wechselseitige Abstimmung ist, haben zu einer großen Vielfalt von Straßenausprägungen geführt.

Vor diesem Hintergrund werden derzeit alle geltenden Entwurfsrichtlinien auf den Prüfstand gestellt. Durch Anreicherung des darin gesammelten Wissens um neue Forschungskenntnisse und um die Erfahrungen aus den Sicherheitsaudits sollen in intensiven Diskussionen die 3 neuen Richtlinien für die Anlage von Autobahnen (RAA), von Landstraßen (RAL) und von Stadtstraßen (RASt) entstehen. Bei diesem Prozess wird immer wieder geprüft, ob eine neue Festlegung ein Schritt in Richtung stärker standardisierter und sich möglichst selbsterklärender Straßentypen ist.

2 Standardisierte und selbsterklärende Straßen

„Standardisierte Straßen“ bedeutet die Herausarbeitung von wenigen, in sich selbst möglichst einheitlichen Typen von Straßen, die sich ihrerseits von anderen Typen möglichst deutlich abheben.

„Selbsterklärend“ sind solche Straßen dann, wenn sie so ausgebildet sind, dass der Verkehrsteilnehmer – gleichsam aus dem Unterbewusstsein heraus – versteht, welche Fahrweise von ihm erwartet wird.

Beide Ziele können erreicht werden, wenn

  • für abgestufte Straßentypen möglichst enge Entwurfs- und Gestaltungsvorgaben festlegt werden
  • dabei für jeden Typ die Elemente der Linienführung, des Querschnitts und der Knotenpunktausbildung möglichst gut aufeinander abstimmt sind
  • dabei die betrieblichen Vorgaben, insbesondere die Vorgaben, mit welcher Geschwindigkeit ein solcher Straßentyp befahren werden soll, berücksichtigt werden.

Genau diese Aspekte werden bei der Umstellung der bisherigen sektoralen Entwurfsrichtlinien zu straßenkategorienbezogen Entwurfsrichtlinien für Autobahnen, Landstraßen und Stadtstraßen in Deutschland verfolgt.

3 Leitgröße für Straßenentwurf

Wenn Straßen zu Typen gruppiert werden, wird eine Leitgröße benötigt, der sich die verschiedenen Typen zuordnen lassen. Das war nach Auffassung vieler Fachleute und auch der meisten Richtlinienanwender bisher die Entwurfsgeschwindigkeit Ve.

Aber leistet die Entwurfsgeschwindigkeit Ve dies wirklich?

Die Entwurfsgeschwindigkeit ist nach fahrdynamischen Grundüberlegungen diejenige Geschwindigkeit, die ein frei fahrender PKW bei nasser Fahrbahn im Mindestradius und bei maximaler Querneigung sicher fahren kann, wobei er bei dieser Geschwindigkeit vor unerwarteten Hindernissen noch anhalten können soll.

Mehr ist sie nicht

Auf fast allen anderen Streckenteilen mit größeren Radien kann der Fahrer schneller fahren, bei trockener Fahrbahn kann er dies auch in kleineren Radien. Deshalb korrespondiert die Entwurfsgeschwindigkeit in keiner Weise mit der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit.

Die Entwurfsgeschwindigkeit bestimmt damit nur:

  • die Mindestradien und
  • damit indirekt die Klotoidenparameter.

Die Entwurfsgeschwindigkeit bestimmt damit nicht:

  • die Kuppen und Wannen
  • die Längsneigung
  • die Querneigung
  • die Mindestradien bei falscher Querneigung
  • die erforderlichen Sichtweiten
  • den Querschnittstyp
  • den Knotenpunkttyp und
  • die Betriebsform.

Also muss an die Stelle der Entwurfsgeschwindigkeit eine neue Leitgröße treten, mit der die Grundtypen von Straßen gekennzeichnet werden können. In den zuständigen Gremien der FGSV hat man sich darauf verständigt, diese Leitgröße „Entwurfsklasse“ zu nennen.

Mit der Einführung der Entwurfsklasse als neue geschwindigkeitsunabhängige Leitgröße stellen sich zwei grundsätzliche Fragen:

  • Welche Einflussgrößen bestimmen die Festlegung der Entwurfsklassen?
  • Welche Entwurfsparameter werden durch Entwurfsklassen bestimmt?

Zur Festlegung der Entwurfsklassen wurde ein ganz einfaches Modell entwickelt. Das Modell basiert auf der Vorstellung, dass sich die Grundanforderungen an die Ausbildung einer Straße letztlich auf zwei Einflussgrößen reduzieren lassen:

  • die Verkehrsbedeutung einer Straßenverbindung als Ganzes
  • die Intensität, mit der das straßenseitige Umfeld Ansprüche an die Straßenverbindung stellt.

Diese beiden Einflussgrößen können mit unterschiedlich starker Ausprägung aufeinander treffen, was zu unterschiedlichen Entwurfsklassen führt.

Dieses vereinfachte Modell liegt auch der Kategorisierung von Straßen im Rahmen der funktionalen Gliederung von Netzen zu Grunde. Die Verkehrsbedeutung wird dort durch die Verbindungsfunktionsstufe ausgedrückt. Stufe I steht dabei für eine sehr hohe Bedeutung, Stufe V steht für eine sehr geringe Bedeutung. Die Ansprüche aus dem straßenseitigen Umfeld werden durch die Kategoriengruppen A bis E ausgedrückt. Gruppe A steht für sehr schwache Umfeldansprüche und Gruppe E für sehr hohe Umfeldansprüche (Bild 2).

Bild 2: Spannungsfeld Verkehr – Umfeld

Da mit der Kategoriengruppe die Umfeldbedeutung gekennzeichnet wird, also die Intensität, mit der Erschließungsansprüche und Aufenthaltsansprüche gleichsam auf den Verbindungsstrang „Straße“ einwirken, ist es sinnvoll, bei der Fortschreibung der RAS-N zur RIN die Autobahnen, bei denen systembedingt keinerlei unmittelbare Interaktionen zwischen der Fahrbahn und dem straßennahen Umfeld existieren, aus dem bisherigen Schema der Kategorisierung herauszuziehen.

Dies führt zur Unterteilung der bisherigen Kategoriengruppe A, in der alle Außerortsstraßen subsummiert wurden, in die neuen Gruppen AA für Autobahnen und die Gruppe AL für Landstraßen (Bild 3). Anhand dieses Schemas ist deutlich zu erkennen, dass die Kategoriengruppe der Indikator für die Stärke der Ausprägung die Erschließungs- und Aufenthaltsansprüche aus dem Umfeld ist.

Bild 3: Kategoriengruppen nach RIN

Es gilt bei der Kategoriengruppe:

  • AA: keinerlei Ansprüche aus dem Umfeld, da Autobahnen zufahrtbeschränkt sind
  • AL: sehr geringe Ansprüche aus landwirtschaftlicher Erschließung
  • B: geringe Ansprüche aus der typischen gewerblichen Nutzung im Bereich der Flächen am Rand der Städte
  • C: mittlere Ansprüche aus der angrenzenden Nutzung des Handels und der tertiären Versorgung
  • D: hohe Ansprüche aus der angrenzenden Nutzung des Wohnens und des Einkaufens
  • E: sehr hohe Ansprüche aus der straßenseitigen Spiel- und Aufenthaltsnutzung.

Dieses Modell eines zweidimensionalen Spannungsfeldes zwischen Verkehrsbedeutung und Umfeldrestriktionen wird zukünftig auch der Bestimmung einer Entwurfsklasse zu Grunde liegen.

Bezogen auf die Landstraßen wird häufig die mögliche Ausprägung der Verkehrsbedeutung in Abhängigkeit von der Netzfunktion der Straße in vier Kategorien unterschieden. Diese werden ausgedrückt mit den Bezeichnungen AL I bis AL IV.

Die mögliche Ausprägung von Umfeldrestriktionen an Landstraßen basiert auf Einschätzungen und Bewertungen der Topografie, der schutzbedürftigen Bereiche von Natur und Landschaft sowie der Schutzbedürfnisse nahe gelegener Siedlungen.

Nach längerer Diskussion wurde in den Gremien entschieden, nur zwei Stufen zur Kennzeichnung der unterschiedlichen Ausprägung von Umfeldrestriktionen einzuführen: normale Restriktionen und erhebliche Restriktionen (Bild 4).

Bild 4: Landstraßenkategorien

In matrixartiger Verknüpfung von vier Straßenkategorien und zwei Umfeldrestriktionsstufen ergeben sich so acht Felder.

Bei normalen Umfeldrestriktionen entsprechen die vier Straßenkategorien den vier Entwurfsklassen EKL 1 bis EKL 4 (EKL = Entwurfsklasse einer Landstraße) (Bild 5).

Bild 5: Entwurfsklassen

Straßen mit einer für die jeweilige Kategorie außergewöhnlich hohen Verkehrsbedeutung, z. B. Straßen mit besonders hoher Belastung oder solche mit ungewöhnlich hohen Fahrtweiten, sollen wie Straßen einer höheren Kategorie behandelt werden. Ferner sollen Straßen einer bestimmten Kategorie mit erheblichen Restriktionen aus dem Umfeld ähnlich gestaltet werden wie Straßen der nächstniedrigeren Kategorie, wenn bei dieser die Umfeldrestriktionen normal sind.

Eine Ausnahme bildet die Entwurfsklasse EKL 4. An die Entwurfselemente dieser Entwurfsklasse werden so niedrige Ansprüche gestellt, dass eine weitere durch Umfeldrestriktionen bedingte Reduzierung des Standards, der dann die Entwurfsklasse EKL 5 darstellen würde, nicht zweckmäßig ist.

Durch die ganz bewusst getroffene Beschränkung auf vier Entwurfsklassen kann das Ziel, standardisierte Straßen, die innerhalb einer Entwurfsklasse einen möglichst einheitlichen Typ von Straßen darstellen, der sich seinerseits von anderen Typen möglichst deutlich abhebt, erreicht werden.

Diese Entwurfsklassen sind nun die Basis für die Ausprägung sämtlicher Entwurfs- und Betriebsmerkmale. Sie sind maßgebend für

  • den erwünschten Querschnitt
  • die erwünschte Knotenpunktausbildung
  • den Bereich erwünschter Radien
  • die erwünschten maximalen Längsneigungen
  • die erwünschten Kuppen- und Wannenausrundungen
  • die erwünschte Betriebsform.

4. Details zu Entwurfsklassen und Gestaltungselementen

4.1 Regelquerschnitte

Es ist beabsichtigt, die Anzahl der möglichen Regelquerschnitte (RQ) pro Entwurfsklasse auf zwei zu begrenzen.

Für hohe Verkehrsbelastungen auf Landstraßen soll in Deutschland künftig der vierstreifige RQ 21 gewählt werden. Er hat anders als bisher unterschiedliche breite Fahrstreifen, rechts für den Lkw-Verkehr 3,50 m, links für den Pkw-Verkehr 3,25 m. Die Randstreifen bleiben wie bisher 0,50 m breit. Der Mittelstreifen soll aber gegenüber heutigen Ausbildungen auf 2,50 m verbreitert werden, um Schutzeinrichtungen mit höherem Leistungsvermögen unterbringen zu können (Bild 6).

Bild 6: Vierstreifiger Regelquerschnitt (RQ)

Für relativ hohe Belastungen sollen künftig regelmäßig dreistreifige Straßen geplant werden, bei denen abschnittsweise einmal für die eine Fahrtrichtung, anschließend für die andere Fahrtrichtung ein Überholstreifen angeordnet wird. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem RQ 15 und dem RQ 11+Z.

Beide Querschnitte erhalten Lkw-Fahrstreifen von 3,50 m und im zweistreifigen Teil einen Überholfahrstreifen von 3,25 m. Die Fahrtrichtungen sollen durch eine 0,75 m breite Doppellinie voneinander getrennt werden. Beide Querschnitte erhalten aus bautechnischen Gründen symmetrische Bankette von 1,50 m, wobei die Schutzeinrichtungen nah am Fahrbahnrand gesetzt werden sollen (Bild 7).

Bild 7: Dreistreifige Regelquerschnitte (RQ)

Folgen diese Wechsel einstreifiger und zweistreifiger Abschnitte ununterbrochen aufeinander, so wird der Querschnitt mit RQ 15 bezeichnet. Werden solche Überholabschnitte im Zuge zweistreifiger Straßen nur vereinzelt angelegt, so bezeichnet man den Querschnitt als RQ 11+Z; Z steht hier für Zusatzfahrstreifen (Bild 8).

Bild 8: Gegenüberstellung System RQ 15 – System RQ 11+Z

Zu klären ist noch, in welchem Umfang bei diesem Querschnitt RQ 11+Z die zusätzlich geschaffene Möglichkeit, in geregelter Form in bestimmten Abschnitten sicher überholen zu können, kombiniert werden soll mit einem Überholverbot in den angrenzenden Abschnitten. Zu klären ist auch, ob diese Überholverbote ggf. verkehrstechnisch unterstützt werden sollen, z. B. durch überfahrbare Schwellen, Bischofsmützen oder durch Farbe.

Auch bei den zweistreifigen Landstraßen sollen künftig nur noch 2 Querschnittstypen vorgesehen werden.

Regulär wird bei normalem Lkw-Aufkommen der RQ 11 eingesetzt. Auch er hat 3,50 m breite Fahrstreifen. Dieser Wert hat sich in Unfalluntersuchungen als besonders sicher herausgestellt. Bei geringem Lkw-Verkehr wird die Fahrstreifenbreite aus Kostengründen auf 3,00 m reduziert, so ergibt sich der RQ 10. Diese Festlegung ist ein Zugeständnis in Bezug auf das Erfordernis, Verkehrssicherheit mit Baulastträgerkosten abzuwägen (Bild 9).

Bild 9: Zweistreifige Regelquerschnitte (RQ)

Bei insgesamt sehr geringem Verkehrsaufkommen mit seltenen Begegnungsfällen wird der einstreifige RQ 8,5 eingesetzt. Bei diesem Querschnitt entfällt die Mittelmarkierung (Bild 10). Um Schädigungen des Fahrbahnrandes durch Schwerverkehr gering zu halten sollen alle Regelquerschnitte – also auch der einstreifige – künftig mit 0,50 m breiten Randstreifen ausgestaltet sein.

Bild 10: Einstreifiger Regelquerschnitt (RQ)

Im Sinne der gewünschten stärkeren Standardisierung sind für die Entwurfsklassen die im Bild 11 dargestellten Regelquerschnitte vorgesehen.

Bild 11: Einsatzbereiche der Regelquerschnitte

4.2 Knotenpunkte

Die Einsatzbereiche der Knotenpunkttypen sollen im Sinne einer stärkeren Standardisierung ebenfalls eng gefasst werden. Ähnlich wie bei den Querschnitten sollen möglichst nur 2 Knotenpunkttypen je Entwurfsklasse zur Anwendung kommen (Bild 12). Der Begriff Knotenpunkttyp steht hier für die Kombination von Knotenpunktgrundform und Betriebsform.

Bild 12: Einsatzbereiche der Knotenpunkttypen

Knotenpunktgrundformen sind

  • PF = planfrei
  • TP = teilplanfrei
  • KR = Kreisverkehr
  • PG = plangleich.

 Als Betriebsformen gelten

  • die Vorfahrtregelung durch Verkehrszeichen
  • die Vorfahrtregelung durch Lichtsignale (LSA), wobei noch unklar ist, ob eine 2-phasige Signalsteuerung durch eine andere Betriebsform gekennzeichnet werden soll als eine 3- oder 4-phasige Steuerung.

Die Bilder 13 bis 16 zeigen, wie sich die Straßen verschiedener Entwurfsklassen künftig deutlich erkennbar unterscheiden sollen.

In der Entwurfsklasse EKL 1 soll der vierstreifige Querschnitt RQ 21 mit planfreien Knotenpunkten sowie der dreistreifige Querschnitt RQ 15 mit planfreien oder teilplanfreien Knotenpunkten mit Lichtsignalanlagen Standard sein. Diese Straßen sollen als Kraftfahrstraße betrieben werden (Bild 13).

Bild 13: Charakteristische Elemente der EKL 1

Der vierstreifige Querschnitt RQ 21 soll in der Entwurfsklasse EKL 2 mit plangleichen Knotenpunkten mit Lichtsignalanlagen kombiniert werden. Zudem soll in dieser Entwurfsklasse der zweistreifige Querschnitt mit Zusatzfahrstreifen RQ 11+Z mit plangleichen Knotenpunkten und Lichtsignalanlagen bzw. mit Kreisverkehren standardmäßig eingesetzt werden. Auf diesen Straßen soll Radverkehr ausgeschlossen werden (Bild 14).

Bild 14: Charakteristische Elemente der EKL 2

In der Entwurfsklasse EKL 3 sollen nur die zweistreifigen Querschnitte RQ 11 und RQ 10 eingesetzt werden. Anders als in der Entwurfsklasse EKL 2 sollen in der Entwurfsklasse EKL 3 neben Kreisverkehren und plangleichen Knotenpunkten mit Lichtsignalanlagen auch plangleiche Knotenpunkte ohne Lichtsignalanlagen standardmäßig angewendet werden. Straßen der Entwurfsklasse EKL 3 sollen für den allgemeinen Verkehr freigegeben werden, wobei der Radverkehr bei Straßen dieser Klasse möglichst auf separaten Wegen geführt werden soll (Bild 15).

Bild 15: Charakteristische Elemente der EKL 3

Der Standard für Entwurfsklasse EKL 4 sollen der zweistreifige Querschnitt RQ 10 und der einstreifige Querschnitt RQ 8,5 sein. Diese Querschnitte sollen mit vorfahrtgeregelten plangleichen Knotenpunkten kombiniert werden. Straßen der Entwurfsklasse EKL 4 sollen für den allgemeinen Verkehr freigegeben werden (Bild 16).

Bild 16: Charakteristische Elemente der EKL 4

4.3 Linienführung

Für den Bereich der Linienführung ergeben sich 3 wesentliche Änderungen:

  • Um eine gut an die Landschaft an vorhandene Zwangspunkte angepasste Trassierung zu ermöglichen, sollen künftig für die Trassierung der Straße im Lageplan nach Entwurfsklassen differenzierte Bereiche empfohlener Radien ausgewiesen werden (Bild 17). Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der unteren Angabe nicht um Mindestradien im herkömmlichen Sinne handelt. Die empfohlenen Werte können bei Zwangspunkten unterschritten werden, falls die Bedingungen der Relationstrassierung eingehalten werden.

Bild 17: Radienbereiche

  • Eine gravierende Änderung ist für die Festlegung der Querneigung vorgesehen. Die bisherige Differenzierung nach der V85 und der Radiengröße soll Künftig wird die Querneigung nur noch radienabhängig festgelegt, wie dies z. B. in Österreich seit langem gilt (Bild 18).

Bild 18: Querneigung RAS-Q/RAL

  • Verzichtet werden soll künftig generell auch auf die Forderung nach bestimmten Streckenanteilen mit ausreichenden Überholsichtweiten. Dafür gibt es zwei Gründe:

Bei Straßen der Entwurfsklassen EKL 1 und 2 soll der Überholbedarf verkehrssicher auf Überholfahrstreifen abgewickelt werden. Überholungen, bei denen der Gegenfahrstreifen in Anspruch genommen werden muss, sollen dann weitgehend durch Markierungen unterbunden werden. Bei Straßen der Entwurfsklasse EKL 3 soll wegen der geringen Fahrtweiten generell auf Überholsichtweiten als Planungsprinzip verzichtet werden. Bei Straßen der Entwurfsklasse EKL 4 ist Überholen unerwünscht.

4.4 Prüfung des Entwurfs

In den neuen Richtlinien werden aber nicht nur neue Festlegungen für Elemente der Linienführung getroffen. Wesentlich ist auch, dass das Modell zur Überprüfung des Entwurfs verfeinert wird. Hierzu ist eine Prüfgeschwindigkeit zu definieren, die sich möglichst am tatsächlichen Fahrverhalten orientiert. Diese Prüfgeschwindigkeit soll in Abhängigkeit von den Radiengrößen bestimmt werden und zur Überprüfung der erforderlichen Haltesichtweiten sowie zur Ermittlung von Streckenabschnitten mit kritischen Sichtweiten dienen. Für solche Abschnitte ist dann zu klären, inwieweit verkehrsrechtliche Anordnungen geboten sind.

Fester Bestandteil der neuen Entwurfsrichtlinien werden auch Modelle zur Überprüfung der räumlichen Linienführung sein. Hierzu werden Standardraumelemente definiert und bewertet. Ferner werden Verfahren beschrieben, wie Entwurfsfehler quantitativ bestimmt werden können, z.B. Sichtschattenbereiche, gefahrträchtige Dehnungen und Stauchungen oder verdeckte Kurvenanfänge. Zumindest in kritischen Abschnitten sollen derartige Prüfverfahren durch dreidimensionale Visualisierung mit Hilfe von Computer-Simulation unterstützt werden.

In den neuen Entwurfsrichtlinien sollen schließlich auch die Fragen behandelt werden, die sich im Rahmen eines abschnittsweisen Ausbaus von vorhandenen Straßen an den Übergängen zwischen dem neuen Entwurf und dem Bestand ergeben. Dies gilt insbesondere für die Knotenpunktausbildung am Beginn und Ende von Ortsumgehungen.

5 Schlussbemerkung

Dieses Konzept der standardisierten und weitgehend selbsterklärenden Straßen soll ein Baustein sein zur Steigerung der Verkehrssicherheit auf deutschen Straßen.

Für viele Kollegen in Deutschland gehen die Vorschläge schon sehr weit. Man kann jedoch auch noch einen Schritt weitergehen. Dies zeigen die Kollegen aus den Niederlanden. Dort verfolgt man ein Konzept mit nur 3 Entwurfsklassen für Landstraßen unterhalb der Autobahnen:

  • Durchgangsstraßen
  • Gebietserschließungsstraßen
  • Grundstücksanschlussstraßen.

Durchgangsstraßen sind Kraftfahrstraßen mit planfreien Knotenpunkten, möglichst mit baulichen Richtungstrennungen, mit einstreifigen oder zweistreifigen Fahrbahnen. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf diesen Straßen beträgt 100 km/h (Bild 19).

Bild 19: Durchgangsstraßen

Gebietserschließungsstraßen sind für den landwirtschaftlichen Verkehr freigegeben, der Radverkehr wird allerdings auf gesonderten Flächen geführt. Die Knotenpunkte sind plangleich, meist mit Lichtsignalanlage. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt – wie in den Niederlanden landesweit vorgeschrieben – 80 km/h.

Gebietserschließungsstraßen haben meist schmale Fahrstreifen und häufig relativ breite markierte Richtungstrennung aus Doppellinien mit profilierten Markierungen (Bild 20).

Bild 20: Gebietserschließungsstraßen

Grundstücksanschlussstraßen sind „einstreifig“, also nicht durch Mittelmarkierungen in zwei Fahrtrichtungen gegliedert (Bild 21). Sie haben außen weit vom Fahrbahnrand abgesetzte unterbrochene Randlinien, die im Begegnungsfall überfahren werden sollen.

Bild 21: Grundstücksanschlussstraßen

Die niederländischen Kollegen erwarten, dass die Fahrzeugführer auf den Grundstücksanschlussstraßen maximal 60 km/h fahren. Dafür werden im Straßenraum optische Signale gesetzt. Aber sie stellen fest, dass diese Signale nicht hinreichend wirken. Die Gremien der FGSV haben deshalb empfohlen, die Erwartungen in Bezug auf eine gewünschte sichere Geschwindigkeit durch die Anordnung einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit zum Ausdruck zu bringen. Und das geschieht nun auch.

Für die neuen deutschen Entwurfsrichtlinien kann man daraus Folgendes ableiten: Selbst bei einer noch weitergehenden Standardisierung wird es kaum gelingen, Straßen allein durch die entwurfstechnische Ausprägung so selbsterklärend auszubilden, dass verkehrsrechtliche Anordnungen entbehrlich werden. Deshalb sollte das Konzept für die Gestaltung der neuen Straßentypen mit verkehrsrechtlichen Zielvorstellungen kombiniert werden. Und dann würden auf den Straßen der neuen deutschen Entwurfsklassen zweckmäßigerweise die im Bild 22 gezeigten Höchstgeschwindigkeiten gelten.

Hierzu müsste das deutsche Verkehrsrecht allerdings so geändert werden, dass zulässige Höchstgeschwindigkeiten nicht nur auf Grund von konkreten Sicherheitsdefiziten, sondern auch auf Grund von planerischen Zielvorstellungen bezüglich einer sicheren Fahrweise angeordnet werden können.

Bild 22: Zulässige Höchstgeschwindigkeiten

Ob es dabei möglich sein wird, derartige Zielgeschwindigkeiten in der StVO generell an bestimmte Merkmale der Straßengestaltung zu knüpfen, wodurch eine Anzeige mittels Verkehrszeichen entbehrlich wäre, ist derzeit nicht abzusehen. Denkbar wäre aber z.B., dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit für Außerortsstraßen generell 70 km/h beträgt, wenn keine Mittelmarkierung aufgebracht ist.

Warum soll nicht für Außerortsstraßen etwas möglich sein, was auf Innerortsstraßen in Tempo 30-Zonen in ähnlicher Weise gelöst worden ist?

Dazu allerdings noch ein Hinweis: Wenn man mit Vorschriftzeichen zum Ausdruck bringt, welche Verhaltensweisen man von Kraftfahrern erwartet, scheint es legitim, die Einhaltung dieser Vorschriften öfter zu überwachen, z. B. durch die Aufstellung von ortsfesten Geschwindigkeitsüberwachungsanlagen. Wer Überwachungsmaßnahmen mit Skepsis begegnet, sollte bedenken, dass es Frankreich im Rahmen eines umfassenden Sicherheitsprogramms gelungen ist, unter anderem mit landesweiter Überwachung der Geschwindigkeiten – ortsfest und mobil – die Zahl der Unfalltoten in einem Jahr um über 20 % zu senken.

Die „Macher“ der neuen deutschen Entwurfsrichtlinien sind überzeugt, dass standardisierte, weitgehend selbsterklärende Straßen, auf denen eindeutige Vorschriften signalisieren, was man vom Fahrer erwartet und auf denen die Befolgung der Vorschriften auch überwacht wird und die zudem über ein Straßenumfeld verfügen, das dennoch auftretende Fehler verzeiht und nicht mit dem Tode bestraft, auch in Deutschland mittelfristig einen wesentlichen Beitrag dazu leisten können, die Zahl der Unfallopfer um 50 % zu senken.