Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.
1 Ausgangssituation
Die Zahl der in Deutschland bei Verkehrsunfällen im Jahr 2011 verletzten bzw. getöteten Personen lag mit 392.365 bzw. 4.009 trotz hoher Sicherheitsstandards der Verkehrsinfrastruktur und aller Verbesserungen der aktiven und passiven Sicherheit von Kraftfahrzeugen noch immer sehr hoch. Dazu kommen die jährlich durch Staus im Straßenverkehr verursachten volkswirtschaftlichen Kosten.
Hessen Mobil – Straßen- und Verkehrsmanagement hat seit 2003 die Stauzeiten auf hessischen Autobahnen überwiegend durch Anwendung von Intelligenten Verkehrssystemen – kurz IVS – um ca. 80 % reduziert und damit gezeigt, was durch diese erreichbar ist. Nach Ansicht vieler Experten kann eine darüber hinausgehende Stauvermeidung nur dann erreicht werden, wenn es unter anderem gelingt, die Fahraufgabe so zu unterstützen, dass Unfälle und die daraus resultierenden, oft massiven Beeinträchtigungen des Verkehrs vermieden werden. Eine solche Verbesserung von Verkehrssicherheit und Verkehrseffizienz kann durch eine Ergänzung der autonomen Fahrzeugsysteme mit kommunikationsbasierten Ansätzen unter Einbeziehung intelligenter Verkehrsinfrastruktur gelingen.
Der im März 2011 von der Europäischen Kommission veröffentlichte Fahrplan (Weißbuch) zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum sowie einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem nennt die Kooperativen Systeme im Zusammenhang mit der Entwicklung und Einführung von Schlüsseltechnologien, die für den Ausbau des EUVerkehrssystems zu einem modernen, effizienten und benutzerfreundlichen System sorgen sollen. Im Rahmen der verkehrspolitischen Zielsetzung sind Beiträge für eine höhere Verkehrssicherheit, für eine optimalere Nutzung der knappen Infrastrukturkapazitäten, für eine Verringerung der Verkehrsemissionen sowie für eine bessere Interoperabilität zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern genannt.
Das Europäische Parlament hat am 7. Juli 2010 die „Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates zum Rahmen für die Einführung Intelligenter Verkehrssysteme im Straßenverkehr und für deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern“ (2010/40/EU) verabschiedet. Gemäß dieser Richtlinie wird die Europäische Kommission innerhalb der nächsten sieben Jahre funktionale, technische, organisatorische oder dienstbezogene Vorgaben für Intelligente Verkehrssysteme beschließen, um europaweit die Kompatibilität, Interoperabilität und Kontinuität der IVS-Lösungen zu gewährleisten.
Vor diesem Hintergrund wurden die folgenden Handlungsfelder identifiziert:
– optimale Nutzung von Straßen-, Verkehrs- und Reisedaten,
– europaweite Koordinierung von Verkehrstelematik,
– Sicherheit und Gefahrenabwehr durch Fahrerassistenzsysteme,
– Integration von Fahrzeug und Verkehrsinfrastruktur,
– Datenschutz und Haftungsfragen,
– Kontinuität der IVS-Dienste auf europäischen Verkehrskorridoren und in Ballungsräumen.
Die Richtlinie ist innerhalb von 18 Monaten in nationales Recht umzusetzen. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) hat darauf basierend die Initiative ergriffen, einen nationalen Rahmen für Intelligente Verkehrssysteme (IVS) aufzustellen, in dem die Schwerpunkte und Zielsetzungen des Betriebs und der Weiterentwicklung von IVS sowie das Vorgehen bei der Umsetzung der Ziele für Deutschland zwischen allen Beteiligten abgestimmt werden sollen. Der nationale Aktionsplan Koordinierte Weiterentwicklung bestehender und beschleunigte Einführung neuer Intelligenter Verkehrssysteme in Deutschland bis 2020 soll die Vorgehensweise bei der koordinierten Weiterentwicklung bestehender und der beschleunigten Einführung neuer Intelligenter Verkehrssysteme zur Erhöhung der Verkehrssicherheit, Verbesserung der Verkehrseffizienz und Verringerung der negativen Auswirkungen des Verkehrs auf die Umwelt definieren. Die rechtliche Grundlage dazu leitet sich aus dem Gesetz über Intelligente Verkehrssysteme im Straßenverkehr und deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern (Intelligente Verkehrssysteme Gesetz – IVSG) ab. Es definiert, dass Intelligente Verkehrssysteme vorrangig für folgende Zwecke eingeführt werden sollen:
– optimale Nutzung von Straßen-, Verkehrs- und Reisedaten,
– Kontinuität der Dienste Intelligenter Verkehrssysteme in den Bereichen Verkehrs- und Frachtmanagement,
– Anwendungen Intelligenter Verkehrssysteme für die Straßenverkehrssicherheit,
– Verbindung zwischen Fahrzeug und Verkehrsinfrastruktur.
Das Handlungsfeld „IVS-Anwendungen zur Steigerung der Verkehrseffizienz, Verkehrssicherheit und Umweltverträglichkeit“ des IVS-Aktionsplans Straße sieht die Konzeption und Erprobung Kooperativer Systeme als Maßnahme vor und schreibt ihnen zusätzliches Potenzial zu, den Verkehrsablauf für den Verkehrsteilnehmer und sein Umfeld sicherer, effizienter und umweltverträglicher zu machen. Als Ziel sind die Untersuchung der Machbarkeit einer Einführung Kooperativer Systeme sowie die Erarbeitung der Grundlagen für eine Einführungsentscheidung genannt. Danach sollen alle Informationen vorliegen, um über eine Markteinführung von Kooperativen Systemen in Deutschland zu entscheiden. Insbesondere geht es um die Definition und Ausgestaltung eines konkreten Einführungsszenarios.
2 Entwicklungsstand der C2X-Projekte
Der Entwicklungsprozess Kooperativer Systeme wird in Deutschland als auch in ganz Europa seit vielen Jahren fokussiert. Wichtige Schritte in diesem Prozess werden durch Kooperationsprojekte markiert, die unter anderem durch die Bundesministerien für Wirtschaft und Technologie, Bildung und Forschung, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie durch die Europäische Union gefördert werden. Die hierbei bearbeiteten Aufgabenstellungen reichen von der prototypischen Entwicklung der Basistechnologien über die Auswahl und funktionale Gestaltung von Anwendungen, den Feldversuchen zur Absicherung der technischen Machbarkeit und Wirksamkeit der Systeme bis hin zur Frage denkbarer Organisations- und Betreibermodelle. Mittlerweile wurde dadurch in enger Kooperation von öffentlicher Verwaltung, Industrie, Dienstleistern sowie Forschung und Wissenschaft in Deutschland ein herausragender Entwicklungsstand erreicht, der die Frage nach einer Einführung Kooperativer Systeme hervorruft.
In Hessen werden bereits seit 2003 innerhalb der Initiative Staufreies Hessen im Rahmen des Teilprojektes „Intelligente Infrastruktur – Intelligentes Fahrzeug – Kommunikationsnetze“ technische und organisatorische Lösungsansätze zum kooperativen Verkehr entwickelt und erprobt. Dabei stehen seit Jahren Gemeinschaftsprojekte mit Industrie und Wissenschaft im Fokus der Aktivitäten von Hessen Mobil. In Feldtests werden unter anderem Systemkomponenten validiert, erste verkehrliche Anwendungen evaluiert sowie mögliche Organisationsformen und Kooperationsmodelle für eine Einführung Kooperativer Systeme definiert. Hessen Mobil bringt in Kooperationen mit der Automobilindustrie sowie namhaften Zulieferern insbesondere Anforderungen aus Sicht eines Straßenbetreibers ein. Um eine technische Plattform vorzuhalten, die den laufenden Betrieb der Verkehrszentrale Hessen (VZH) nicht beeinflusst, hat man bereits 2009 mit dem DRIVE (Dynamic Road Intelligent Vehicle Experimental)-Center Hessen eine entsprechende Forschungseinrichtung geschaffen. Um der gesteigerten Verkehrsnachfrage in den kommenden Jahren zu begegnen, setzt Hessen auf das Potenzial leistungsstarker Verkehrsleitzentralen und intelligenter Fahrzeug-Infrastruktur-Vernetzung (sog. C2X-Kommunikation). Zukunftsfähige Verkehrsleitzentralentechnik und innovative Kommunikationstechnologien stehen im DRIVE-Center Hessen daher auf dem Prüfstand – und das bei optimalen Testbedingungen. Seither haben die Forschungsprojekte CVIS, AKTIV und DIAMANT ihre Feldversuche zur C2X-Kommunikation in Hessens Testfeld entlang der BAB A 5 zwischen Westkreuz Frankfurt und Zeppelinheim sowie der BAB A 3 im Bereich des Flughafens von dort gesteuert. Im Projekt simTD wurde die Versuchszentrale des größten europäischen Feldversuchs für Kooperative Systeme und damit die erste Verkehrszentrale für Kooperative Systeme von Hessen Mobil entwickelt und im DRIVE-Center installiert. Von hier aus wird Hessens Testfeld für intelligente Verkehrssysteme gesteuert, das sich insgesamt über eine Länge von ca. 150 km erstreckt und Autobahnen, Bundes-, Landes- und städtische Straßen mit einbezieht. Bild 1: simTD-Testfeld Deutschland Bild 2: Entwicklungslinie hessischer C2X-Projekte Die Entwicklungslinie hessischer C2X-Projekte zeigt, welche spezifischen Beiträge die einzelnen Projekte geleistet haben und wie somit schrittweise der derzeitige Entwicklungsstand Kooperativer Systeme unterstützt wurde.
Die Projekte, die unter ausschließlicher oder maßgeblicher deutscher Beteiligung stattgefunden haben, deren Umsetzungsergebnisse im Testfeld Hessen validiert bzw. evaluiert wurden, sind nachfolgend im Einzelnen dargestellt:
CVIS (2006 bis 2010) Co-operative Vehicle-Infrastructure-Systems
Bei CVIS stand die Entwicklung einer technischen Plattform im Fokus. In diesem durch die Europäische Union geförderten Projekt wurden unter Beteiligung von Straßenbetreibern und Industrie in Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Belgien, Schweden und Großbritannien eine Systemarchitektur für Kooperative Systeme entwickelt und auf gleicher Hardund Softwarebasis mehrere Testfelder ausgestattet. Auf der so geschaffenen einheitlichen Technologieplattform wurden Applikationen wie Routenplanung, Echtzeit-Verkehrsinformationen und Verkehrsmanagement-Dienste unter den regional unterschiedlichen Voraussetzungen in den erfolgreichen Testbetrieb überführt. In Deutschland wurden Testfelder in Hessen (BAB A 5 im Bereich Frankfurt) sowie in Dortmund (im städtischen Bereich) eingerichtet. Die Ergebnisse und Erfahrungen aus CVIS sollten zum Aufbau einer europäischen Technologieplattform beitragen, die drahtlose Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur sowie die Einführung von kooperativen Anwendungen für Straßeninfrastruktur (Verkehrszentralen einschließlich straßenseitiger Infrastruktur) und Fahrzeugen erlaubt (z. B. Routenplanung, Echtzeit-Verkehrsinformationen sowie Verkehrsmanagement-Dienste, die auf der aktuellen Verkehrslage basieren).
Das Projekt wurde 2010 nach einer Laufzeit von vier Jahren abgeschlossen. Zunächst wurden die straßenseitigen Kommunikationseinrichtungen (sogenannte Roadside Units (RSU)) unter anderem im Testfeld Hessen entlang der BAB A 5 zwischen Westkreuz Frankfurt und der Anschlussstelle Zeppelinheim installiert. Anschließend wurden hier – wie auch zeitgleich in anderen europäischen Testfeldern – Feldversuche mit Fahrzeugen durchgeführt, die mit entsprechender Kommunikationstechnologie ausgestattet waren. Dabei konnte die technische Funktionsfähigkeit der CVIS-Anwendungen nachgewiesen werden.
AKTIV (2006 bis 2010) Adapative und Kooperative Technologien für den Intelligenten Verkehr
Das Teilprojekt AKTIV-VM (Verkehrsmanagement) hatte die Entwicklung und Erprobung verkehrlicher C2X-Anwendungen zum Ziel. In diesem durch das Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) geförderten Projekt entwickelte ein Konsortium aus 28 Partnern (Fahrzeughersteller, Zulieferer, Softwarefirmen, Forschungsinstitute, Straßenbetreiber) C2X-Anwendungen unter anderem zu den Themen Virtuelle Verkehrsbeeinflussung, Netzoptimierung, Kooperative Lichtsignalanlage, Adaptive Navigation und Störungsadaptives Fahren. Diese wurden in einer umfangreichen Probe- und Evaluationsphasen in das Testfeld Hessen überführt. Hierzu wurden Komponenten einer Verkehrszentrale mit kooperativen Funktionsanteilen aufgebaut und zusammen mit Roadside Units und kooperativen Fahrzeugeinheiten eine vollständige C2XSystemarchitektur realisiert. Durch die Verbindung mit dem Teilprojekt AKTIV-AS (Adaptive Sicherheit) wurde die C2X-Technologie in den Kontext der Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen gestellt. AKTIV-CC (Cooperative Cars) erprobte die Mobilfunkkommunikation als Informationskanal Kooperativer Systeme.
AKTIV schloss prototypisch den Informationskreislauf zwischen Fahrzeugen, Versuchsgebiet (straßenseitige Kommunikationspunkte, Lichtwellenleiter) und Versuchszentrale (DRIVECenter Hessen). Die frühzeitige Erprobung der AKTIV-Anwendungen unter Realbedingungen begünstigte die zeitnahe Identifizierung von Optimierungspotenzialen im Vorfeld des groß angelegten Feldversuchs des Projekts simTD. Darüber hinaus lieferte AKTIV auch die Voraussetzungen für eine vergrößerte Anzahl von Anwendungen und Versuchsträgern (Fahrzeuge, straßenseitige Kommunikationspunkte) in simTD.
DIAMANT (2007 bis 2011) Dynamische Informationen und Anwendungen zur Mobilitätssicherung mit Adaptiven Netzwerken und Telematikinfrastruktur
Der Fokus des von den vier Partnern Adam Opel AG, Continental AG, Swarco Traffic Systems GmbH und Hessen Mobil durchgeführten Kooperationsprojekts DIAMANT lag auf der Praxiserprobung eines breiten Spektrums von C2X-Anwendungen in den Bereichen Fahrerinformation, Fahrerwarnung und Virtuelle Verkehrsbeeinflussung unter realen Verkehrsbedingungen. Die Applikationen wurden erfolgreich im Testfeld Hessen getestet. Mit dem Projekt DIAMANT wurden im Rahmen eines Public Private Partnership existierende Forschungslösungen für den Regelbetrieb und die Umsetzung folgender Funktionen weiterentwickelt. Das Projekt hat daher grundlegende Erkenntnisse für die Entwicklung erster C2X-Anwendungen und die Vorbereitung für deren Einführung in einen späteren Regelbetrieb geschaffen. Erkenntnisse aus DIAMANT flossen in weiterführende Forschungsprojekte wie zum Beispiel simTD ein. DIANA2 (2010 bis 2012) Dynamic Information And Navigation Assistance 2
Das Ziel im Projekt DIANA2 war die Erprobung einer unmittelbaren Warnung der Verkehrsteilnehmer vor Ereignissen auf der Straße über Bordsysteme im Fahrzeug. Diese Applikation wurde beispielhaft an Arbeitsstellen kürzerer Dauer (AkD) im Rahmen eines Kooperationsprojektes zwischen Hessen Mobil und der BMW AG auf ausgewählten hessischen Autobahnabschnitten getestet. Die dazu erforderlichen Positions- und Informationsdaten der Tagesbaustellen werden von den mit GPS ausgestatteten fahrbaren Absperrtafeln der Autobahnmeistereien durch den Einsatz des Systems DORA (Dynamische ORtung von Arbeitsstellen) in die Verkehrszentrale Hessen (VZH) übertragen. Von dort wurden die für eine Gefahrenwarnung relevanten Informationen direkt ins Fahrzeug gesendet, um Verkehrsteilnehmer im Zulauf auf AkD entsprechend zu warnen. Der Probebetrieb erfolgte im Frühjahr 2012. Das Potenzial erwarteter Sicherheitsgewinne konnte dabei aufgezeigt werden. Technische Erkenntnisse fließen bereits in laufende Entwicklungen ein.
simTD (2008 bis 2013) Sichere und Intelligente Mobilität – Testfeld Deutschland
Mit simTD wurde der Entwicklungsschritt zu einer umfassenden verkehrlichen und volkswirtschaftlichen Bewertung vollzogen. Das von den Bundesministerien für Bildung und Forschung (BMBF) sowie Wirtschaft (BMWi) geförderte und vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) sowie dem Land Hessen finanziell unterstützte Projekt simTD umfasst den bisher europaweit größten Feldversuch zur Erprobung der C2X-Technologie. Dabei war zum Aufbau eines kompletten Systemverbunds zunächst Entwicklungsarbeit der Basistechnologie sowie der Systemkomponenten kooperativer Verkehrszentralen (ICS), der straßenseitigen Kommunikationseinheiten (IRS) sowie Fahrzeugeinheiten (IVS) erforderlich. Im Jahr 2012 waren über 100 Fahrzeuge mehrere Monate lang im Testfeld Hessen auf Autobahnen und Bundesstraßen sowie in der Stadt Frankfurt unterwegs, um unter verschiedenen detailliert geplanten Betriebs- und Verkehrsszenarien über 20 kooperative Anwendungen zu erproben. Das für das Projekt simTD erheblich erweiterte Testfeld Hessen stellt das in der C2XForschung bisher größte Versuchsgebiet dar. Die Technologie soll perspektivisch dauerhaft in den Regelbetrieb überführt werden. simTD befasst sich hierzu intensiv mit dem Entwurf von Organisations- und Betreibermodellen sowie Roll-Out-Szenarien. Durch den Umfang der Felderprobung im Rahmen des simTD-Feldversuchs wird erstmals eine Datengrundlage geschaffen, die eine umfassende volkswirtschaftliche Bewertung der C2X-Technologie ermöglicht. Auf dieser Basis werden die einzuleitenden Prozesse bezüglich der Entwicklung von Einführungs- und Betriebsszenarien beschrieben.
Parallel und unter Beteiligung wesentlicher simTD-Partner befindet sich das durch die Europäische Kommission geförderte Projekt DRIVE-C2X in der Umsetzung, das im europäischen Rahmen zur Harmonisierung der C2X-Technologie beitragen und die Interoperabilität der bisherigen prototypischen Entwicklungen erreichen soll.
CONVERGE (2012 bis 2015) COmmunication Network VEhicle Road Global Extension
Ziel des Projekts CONVERGE ist die Entwicklung und Erprobung eines Systemverbunds für Fahrzeug-Fahrzeug- und Fahrzeug-Infrastruktur-Kommunikation (sogenannte C2X-Kommunikation). Dabei sollen die Erkenntnisse aus den Forschungsprojekten simTD und AKTIV sowie europäischen Projekten weiterentwickelt werden. Der Systemverbund soll als Referenzarchitektur die Einführung der auf der C2X-Kommunikation basierenden Kooperativen Systeme unterstützen. Dafür soll eine ganzheitliche Systemarchitektur eines C2X-Systemverbunds entwickelt werden, die unabhängig von spezifischen Anwendungen, Kommunikationstechnologien oder Betreibermodellen Anwendung finden kann. Anspruch eines zugrundeliegenden Architekturkonzeptes soll sein, über die Definition eines verteilten, flexiblen, aber wohldefinierten Rollenmodells industrieweite Akzeptanz und länderübergreifende Übertragbarkeit sicher zu stellen. In einem offenen, geschützten, aber dynamisch erweiterbaren Datenverbund sollen sich unterschiedliche Straßenbetreiber sowie ITS-Diensteanbieter und deren Nutzer vernetzen. Damit soll der C2X-Systemverbund sowohl öffentlichen als auch privaten Akteuren neue Anwendungspotenziale und Geschäftsfelder rund um einen sicheren und ressourcenschonenden Straßenverkehr eröffnen. Der angestrebte Verbund soll zu einem hinsichtlich der verfügbaren Kommunikationsnetze transparenten Netzwerk dreier gleichrangiger Gruppen werden: den mobilen Knoten, den Zugangsnetzbetreibern sowie den ITS-Daten- und -Diensteanbietern. Die in simTD von Hessen Mobil entwickelte kooperative Verkehrszentrale soll mit dem Ziel erweitert werden, künftig einzelne Fahrzeuge individuell in die kollektive Verkehrssteuerung einbinden zu können. Die Funktionalität des Systemverbunds soll im Rahmen einer Demonstration im Testfeld Hessen erprobt werden.
Darüber hinaus sind sowohl auf europäischer wie auf nationaler Ebene weitere Projekte wie beispielsweise SAFESPOT (2006 bis 2010) – Co-operative Systems for Road Safety „Smart Vehicles on Smart Roads“ – zur Erprobung der C2X-Technologie im Hinblick auf deren Einführung realisiert worden, auf die hier im Einzelnen nicht eingegangen wird.
3 Rahmen für die Einführung Kooperativer Systeme 3.1 Potenzial Kooperativer Systeme
Die in den letzten Jahrzehnten errichteten kollektiven Verkehrsbeeinflussungssysteme auf Autobahnen bilden in Deutschland das Rückgrat der sogenannten intelligenten Straße und unterstützen die Umsetzung verkehrssteuernder und verkehrslenkender Maßnahmen. Streckenbeeinflussungsanlagen steuern beispielsweise den Verkehrsablauf situationsangepasst und die dynamischen Anzeigen sind für Verkehrsteilnehmer ebenso verbindlich wie Anordnungen durch herkömmliche statische Verkehrszeichen. Auf den damit ausgestatteten Autobahnabschnitten ist es in den meisten Fällen gelungen, den Verkehrsablauf unter Ausnutzung der vorhandenen Kapazität zu optimieren, die Verkehrssicherheit zu erhöhen und Kosten zu reduzieren. Auch in puncto Umweltbelastungen sind deutlich positive Effekte zu verzeichnen.
Die kollektiven Verkehrsbeeinflussungsanlagen werden kontinuierlich im Rahmen des vom Bundeministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) in Abstimmung mit den Bundesländern aufgestellten Projektplans Straßenverkehrstelematik weiter ausgebaut. Mit den dafür zur Verfügung stehenden Investitionsmitteln lässt sich allerdings eine flächendeckende Ausrüstung aller Autobahnen oder gar Bundesstraßen nicht realisieren. Zudem lassen die anzuwendenden Bewertungsverfahren, anhand derer die Abschätzung der Wirksamkeit von Verkehrsbeeinflussungsanlagen zu erfolgen hat, nur einen begrenzten Spielraum für eine weitergehende Implementierung solcher kollektiven Systeme zu. Aufgrund dieser Rahmenbedingungen wird eine flächendeckende Einführung auf Bundesfernstraßen künftig nicht erreicht, ganz abgesehen von der Ausstattung des übrigen klassifizierten Straßennetzes. Kollektive Verkehrsbeeinflussungsanlagen sowie die mit ihnen verknüpfte Verkehrsdatenerfassung wird es perspektivisch nur auf hoch belasteten Autobahnen geben, deren Verkehrsbelastung und Unfallgeschehen überdurchschnittlich sind.
Die in den bisherigen Kooperationsprojekten zur Erprobung der C2X-Technologie vorgenommenen und erprobten Entwicklungen haben mittlerweile einen hohen Reifegrad erreicht. Es ist daher eine der Herausforderungen und zugleich Zukunftsaufgabe im Verkehr aufbauend auf diesen Ergebnissen das Wirkungspotenzial der kollektiven Telematiksysteme effizient und langfristig durch eine zeitnahe Einführung Kooperativer Systeme zu erweitern. Entscheidende Beiträge werden aus Sicht der Straßenbaulastträger bzw. Straßenbetreiber insbesondere bei folgenden Themenstellungen erwartet:
– Verbesserung der Verkehrsdatengrundlage durch mobile Erfassung, vor allem im nachgeordneten (strategischen) Straßennetz,
– Weiterentwicklung der Netzbeeinflussung durch Harmonisierung von individuellen Leit- und kollektiven Verkehrslenkungsstrategien,
– Straßenvorausschau zur präventiven Adaption der Längsführung, z. B. im Zusammenhang mit dynamischen Anzeigen,
– aktuelle Warnung vor Baustellen und Gefahrenstellen. Bild 3: Kooperative Systemwelt aus Sicht eines Straßenbetreibers/-baulastträgers Zur Untermauerung der These, dass Kooperative Systeme zur Erhöhung der Verkehrssicherheit und Verkehrseffizienz in Zukunft einen wesentlichen Beitrag leisten können, werden bei Hessen Mobil seit 2007 regelmäßig Auswertungen vorgenommen, um deren Unfallvermeidungspotenzial abzuschätzen. Um hinsichtlich des Wirkungsgrades Kooperativer Systeme einen Orientierungsrahmen zu erlangen, wurden zuletzt für die Jahre 2009 bis 2011 insgesamt 10.836 Unfälle mit Personenschaden bzw. schwerem Sachschaden (Kategorie 1 bis 4), die sich auf hessischen Autobahnen ereigneten, analysiert. Dabei wurde jeweils betrachtet, ob mit Unterstützung einer der zahlreichen Applikationen, die im Rahmen Kooperativer Systeme angedacht sind, der einzelne Unfall oder zumindest dessen Auswirkungen hätten verhindert bzw. abgemildert werden können. Von den untersuchten Unfällen sind 4.539 dem Unfalltyp 1 (Fahrunfall) zuzuordnen, bei denen die häufigste Ursache nicht angepasste Geschwindigkeit ist. Von den 4.764 Unfällen des Unfalltyps 6 (Unfall im Längsverkehr) sind 2.652 Unfälle auf Stau (Fahrzeug fährt auf), unzureichenden Sicherheitsabstand, unangepasste Geschwindigkeit und Fahrstreifenwechsel zurückzuführen. Für alle diese Fälle, die in Summe mehr als die Hälfte der untersuchten Unfälle des Typs 6 ausmachen, kann eine positive Einflussnahme kooperativer Applikationen unterstellt werden. Bild 4: Wirkungsabschätzung C2X für Autobahnen in Hessen Darüber hinaus wird ein großes Potenzial für Kooperative Systeme bei der Warnung der Verkehrsteilnehmer im Zulauf auf Arbeitsstellen kürzerer Dauer (AkD) sowie – daraus resultierend – auch für die Sicherheit des eingesetzten Betriebspersonals gesehen. In den Jahren 2006 bis 2009 haben sich auf hessischen Autobahnen insgesamt 368 Unfälle im Vorfeld einer Arbeitsstelle kürzerer Dauer ereignet. In 144 dieser Fälle kam es zur Kollision mit parallel fahrenden Fahrzeugen beim Fahrstreifenwechsel im Vorfeld der Absperrung, in 118 Fällen zum Auffahren auf andere Fahrzeuge im Zulauf (Stau). In 106 Fällen prallte das Fahrzeug auf die zur Sicherung eingesetzte fahrbare Absperrtafel. Die Wahrscheinlichkeit eines Aufpralls auf die Absperrung besteht vor allem bei freiem Verkehrsfluss. In diesen Fällen ist aufgrund von zu erwartenden hohen Geschwindigkeiten mit erheblichen Unfallfolgen für die Verkehrsteilnehmer, aber auch für das Betriebsdienstpersonal auszugehen, insbesondere wenn Lkw in den Unfall verwickelt sind. Wie sich diese Unfälle im Zulauf auf Arbeitsstellen vermeiden lassen, hat Hessen Mobil gemeinsam mit der BMW AG im Rahmen des Projekts DIANA2 (Dynamic Information And Navigation Assistance) gezeigt. Bild 5: Testumgebung Projekt DIANA2
3.2 Aktionspunkte der Einführung Kooperativer Systeme
Auf Grundlage der Ergebnisse der bisher im Kontext Kooperativer System umgesetzten Kooperations- und Entwicklungsprojekte lassen sich unter Zugrundelegung der Sicht eines Straßenbaulastträgers bzw. -betreibers die erwarteten Beiträge Kooperativer Systeme zur Erweiterung des Wirkungsumfangs kollektiver Verkehrsbeeinflussungssysteme bewerten. Folgende Anwendungen, die unter dem Themenkomplex Fahren und Sicherheit angesiedelt sind, kristallisieren sich dabei als prioritär heraus:
– lokale Gefahrenwarnung • Hinderniswarnung, • Einsatzfahrzeugwarnung,
– Fahrerassistenz • Verkehrszeichen-Assistent/-Warnung,
– Erfassung der Verkehrslage und ergänzende Dienste/Basisdienste • Identifikation von Ereignissen, • fahrzeugseitige Datenerfassung,
– Verkehrs(fluss)-Information und Navigation • Straßenvorausschau, • Baustelleninformationssystem, • erweiterte Navigation,
– Verkehrs(fluss)-Steuerung • Umleitungsmanagement.
Eine entscheidende Hürde, die einer erfolgreichen Einführung Kooperativer Systeme möglicherweise entgegen steht, ist die Thematik des Netzeffekts. Dieser Herausforderung kann dadurch begegnet werden, indem bei der Einführung Kooperativer Systeme Anwendungen angeboten werden, bei denen der Kundennutzen möglichst vom ersten Tag an wahrnehmbar und gleichzeitig uneingeschränkt verfügbar ist. Denn, ähnlich wie bei der Steuerung kollektiver Verkehrsbeeinflussungssysteme, ist für den Verkehrsteilnehmer bzw. Nutzer nicht nachvollziehbar, ob eine Anwendung grundsätzlich nicht bereit gestellt wird oder das System nur fehlerhaft ist. Akzeptanzprobleme wären vorprogrammiert. Bild 6: Lösungsansatz des Netzeffektproblems Es wird also darum gehen, C2X-Applikationen zu identifizieren und über geeignete Kooperationsmodelle einzuführen, die beispielsweise durch Kooperation von Straßenbetreibern bzw. anderen Anbietern von Verkehrstelematikdiensten und der Automobilindustrie zu einem erhöhten Anfangsnutzen beitragen können. Unter Berücksichtigung der Kriterien zur Lösung der Netzeffektthematik und der von technischer Seite hoch priorisierten Anwendungen zeichnen sich aus der Funktionslandkarte zwei Anwendungen ab, die als sogenannte Day-1-Applikationen, also Anwendungen, die mit Einführung Kooperativer Systeme von Beginn an zur Verfügung stehen, zu priorisieren sind. Bild 7: C2X-Funktionslandkarte
4 Einführungsszenarien für Kooperative Systeme 4.1 Baustellenwarner
Die Warnung der Verkehrsteilnehmer vor Baustellen erfolgt derzeit durch straßenseitig aufgestellte Vorwarn- und Sicherungseinrichtungen, an Tagesbaustellen in der Regel durch fahrbare Absperrtafeln. Im Zulauf bzw. im Verlauf der Baustellen sind neben den Verkehrsteilnehmern insbesondere alle im Zuge dieser Baustelle beschäftigten Personen einer besonderen Gefahrensituation ausgesetzt. Durch die unmittelbare Warnung im Fahrzeug, beispielsweise über die Integration von Baustellenpositionsdaten in die Fahrzeugnavigation, kann das Gefahrenpotenzial deutlich reduziert werden. Mit dieser Anwendung wird der erste Schritt zur Realisierung eines Kommunikationsverbunds zwischen intelligentem Fahrzeug und intelligenter Infrastruktur möglich. Dazu bedarf es neben der entsprechenden Ausstattung der Fahrzeuge auch der flächendeckenden Positionsbestimmung von Tagesbaustellen, die in Hessen bereits seit längerer Zeit möglich ist. Die Fahrzeuge kommunizieren über WLAN [ETSI ITS-G5] mit den fahrbaren Absperrtafeln, die wiederum über Mobilfunk mit der kooperativen Verkehrszentrale (C2X-Zentrale) verbunden sind. Über eine Anbindung an den Mobilitätsdatenmarktplatz (MDM) können zudem Verkehrsrechnerzentralen und private Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen in den Verbund einbezogen werden. Bild 8: Kooperative Anwendung – Baustellenwarner
4.2 Verkehrsdatenerfassung
Perspektivisch soll mit Hilfe Kooperativer Systeme eine flächendeckende Verkehrsdatenerfassung im gesamten Straßennetz ermöglicht werden. Auf Grundlage der Applikation „Baustellenwarner“ kann ein Kommunikationsverbund mit entsprechend ausgestatteten Fahrzeugen aufgebaut werden, über den im Zulauf auf Baustellen aktuell generierte Positionsdaten des Fahrzeugs mittels WLAN [ETSI ITS-G5] an fahrbare Absperrtafeln bzw. Vorwarntafeln übermittelt werden können. Über deren Mobilfunkanbindung können die Daten infolge an die kooperative Verkehrszentrale (C2X-Zentrale) übermittelt werden, die die Informationen dann in den Datenverbund einspeist. Dies kann aber nur ein erster Schritt sein, um verkehrsflussrelevante Daten direkt über Fahrzeuge zu generieren.
Eine Datendirektverbindung der Fahrzeuge über Mobilfunk zu einem Diensteanbieter bei einer vom Baustellenwarner unabhängigen Verkehrsdatengenerierung kommt dem Ziel einer flächendeckenden Verkehrsdatenerfassung dann schon näher (Bild Verkehrslageerfassung) und darf als mittel- bis langfristige Perspektive nicht aus den Augen verloren werden. Dies bedingt in erster Linie Entwicklungen im Fahrzeug, die eine Vorverarbeitung der Positionsdaten zu streckenbezogenen Reisezeiten ermöglichen, die dann zyklisch per Mobilfunk oder über strategische Roadside Units, die straßenseitig platziert werden könnten, zur kooperativen Verkehrszentrale übertragen werden. Bild 9: Kooperative Anwendung – Verkehrslageerfassung
4.3 Vorentwicklungsprojekt zur Einführung Kooperativer Systeme
Aus Sicht der Straßenbetreiber stellt die zusätzliche Warnung vor Tagesbaustellen durch fahrbare Absperrtafeln bzw. Vorwarntafeln, die im Zuge der Infrastruktur-Fahrzeug-Kommunikation (C2X-Kommunikation) mit den sich nähernden Fahrzeugen kommunizieren, eine wichtige Applikation zur Erhöhung der Verkehrssicherheit dar. Aus Sicht der Automobilindustrie ist diese Funktion im Rahmen der Markteinführung eine wichtige Komponente, da für die ausgestatteten Fahrzeuge auch schon bei noch geringer Penetration ein direkter Kundennutzen entsteht (Netzeffekt). Eine weitere Nutzenkomponente stellen Informationen über den Fahrtverlauf dar, die von den sich einer Tagesbaustelle nähernden Fahrzeugen gesammelt und an die kooperative Verkehrszentrale abgegeben werden können. Die übermittelten Daten können dazu beitragen, über eine dadurch verbesserte Informationslage die Verkehrssteuerung im Zulauf zur Baustelle sowie die gegebenenfalls sich daraus ergebende großräumige Netzsteuerung zu optimieren. Bild 10: Projektstruktur und Arbeitspakete des Vorentwicklungsprojekts
Nachdem die konkreten Erst-Anwendungen für eine Einführung Kooperativer Systeme identifiziert sind, erarbeiten die Volkswagen AG, die Bundesanstalt für Straßenwesen, Hessen Mobil und weitere Partner das Ziel, über ein sogenanntes Vorentwicklungsprojekt die konkreten organisatorischen und technischen Grundlagen zur Einführung Kooperativer Systeme zu schaffen.
Zur Realisierung der beiden beschriebenen Anwendungen im Rahmen dieses Projektes sollen fahrbare Absperrtafeln von Hessen Mobil mit Kommunikationseinheiten (IRS) ausgerüstet werden, die eine Warnung vor einer Tagesbaustelle zusammen mit einer aktuellen Ortsangabe an Fahrzeuge im Zulauf zur Baustelle versenden. Die Applikation soll später auch auf fahrbare Vorwarntafeln übertragbar sein. Im Gegenzug sollen die Fahrzeuge Daten des Fahrtverlaufs im Vorfeld einer Baustelle jeweils an die Kommunikationseinheit versenden, die diese vorverarbeitet und aggregiert an die kooperative Verkehrszentrale übermittelt. Die Kommunikation mit den Fahrzeugen erfolgt dabei auf der Basis von WLAN [ETSI ITS-G5]. Der Ort der Tagesbaustelle wird über ein eingebautes GPS-Modul selbständig ermittelt. Die Kommunikation mit der kooperativen Verkehrszentrale erfolgt auf Basis von Mobilfunk. Für die Ausstattung fahrbarer Absperrtafeln mit Kommunikationseinheiten wird zunächst eine Nachrüstlösung für die bei den Autobahnmeistereien schon im Einsatz befindlichen Absperrtafeln benötigt. Später sollen bei Neubeschaffungen die Absperrtafeln direkt werksseitig damit ausgerüstet werden. Das gilt auch für Tafeln von Firmen, die im Auftrag der Straßenbetreiber tätig sind. Daraus ergeben sich entsprechende Anforderungen an die IRS und den Organisationsprozess.
Ziel des Vorentwicklungsprojektes ist es, fahrbare Absperrtafeln mit prototypischen IRS auszustatten, welche die oben skizzierten Anforderungen erfüllen und diese dann im Baustelleneinsatz praktisch zu erproben. Hierbei sollen nicht nur technische Aspekte (Funktionsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Robustheit, Wartung, Software-Update, Betriebssicherheit usw.), sondern auch der Einfluss des IRS-Einsatzes auf die gesamte Prozesskette betrachtet werden.
4.4 Systemarchitektur
Die den beiden Erstanwendungen Kooperativer Systeme im Vorentwicklungsprojekt zugrunde liegende Systemarchitektur orientiert sich an den Entwicklungen des Projekts simTD. Dort wurde von Hessen Mobil eine kooperative Verkehrszentrale (simTD-Versuchszentrale) entwickelt, die sowohl mit der Verkehrszentrale Hessen als auch mit der Leitzentrale (IGLZ) der Stadt Frankfurt sowie den ITS-Roadside Stations (IRS) bzw. ITS-Vehicle Stations (IVS) vernetzt war. Bild 11: simTD-Systemarchitektur Bild 12: C2X-Funktionslandkarte Analog dazu könnte im Folgenden für eine autobahnbezogene Erstanwendung Kooperativer Systeme ein kooperativer Systemverbund aufgebaut werden, der neben den Verkehrsrechnerzentralen auch den MDM einbezieht und den Verbund auf diese Weise als zentrale Kommunikationsplattform für die Anbindung der Diensteebene nutzt.
Da in der dem Vorentwicklungsprojekt folgenden Einführungsphase im sogenannten Eurokorridor neben den beteiligten Bundesländern mit der ASFINAG (Österreich) und Rijkswaterstaat (Niederlande) weitere europäische Straßenbetreiber einbezogen sind, bedarf der oben geschilderte Ansatz der Verifikation anhand der sich insgesamt ergebenden spezifischen Anforderungen, die sich überwiegend auch aus bestehenden Architekturen ableiten.
Ergänzend dazu soll im Projekt CONVERGE eine Referenzarchitektur für Kooperative Systeme konzipiert und erprobt werden, die sich unabhängig von den unterschiedlichen Entwicklungsständen bestehender Verkehrszentralen der Straßenbetreiber sowie der verschiedenen Geschäftsmodelle der einzelnen Automobilhersteller gestaltet. Damit soll eine zügige Einführung Kooperativer Systeme unterstützt werden. Der offene, erweiterbare, sichere sowie kommunikationstechnisch transparente Systemverbund soll insbesondere der Rollenverteilung der beteiligten Organisationen Rechnung tragen.
5 Fazit und Ausblick
Umfangreiche kollektive Telematikentwicklungen in Deutschland bieten eine gute Ausgangsbasis für gemeinsame kooperative Anwendungen zwischen öffentlicher Hand und Industrie. Die in vielen Verkehrsleitzentralen oder entsprechenden Netzwerken verfügbaren Verkehrsdaten und -informationen können den Einstieg in die kooperative Systemwelt wesentlich erleichtern. Im Gegenzug können bereits die Informationen weniger Fahrzeuge zu Verkehrsund Umfeldsituationen in den Verkehrsleitzentralen zur Generierung von Mehrwerten führen, die wiederum sowohl in kollektive als auch in individuelle Informationen einfließen können. Hier können sich relativ kurzfristig Synergieeffekte einstellen und Potenziale besser genutzt werden. Die Einführung Kooperativer Systeme kann auf diesem Wege beschleunigt werden, da sich verkehrliche Nutzen möglicherweise relativ kurzfristig einstellen werden. Dabei muss jedoch immer abgewägt werden, ob sich aus Kosten-Nutzen-Sicht neue Technologien eines Kooperativen Systems besser zur Lösung verkehrlicher Probleme eignen als alternative – teils schon bestehende – Systemlösungen. Das Projekt simTD ist geprägt durch die technische Entwicklung und Erprobung einer Vielzahl kooperativer Anwendungen in Europas größtem Testfeld. Allen Beteiligten sind sich einig, dass nach einem derart umfangreichen Projekt eine weitere Fortführung dieser Aktivitäten in der Forschungslandschaft nicht zielführend ist. So ist simTD der Wegbereiter für einen konstruktiven Dialog staatlicher und privater Aufgabenträger, an dessen Ende nur die Einführung Kooperativer Systeme im europäischen Kontext stehen kann. Die identifizierten Day-1-Anwendungen Baustellenwarner und Verkehrslageerfassung sind aus verkehrlicher Sicht eine gute Grundlage zur Erreichung gemeinsamer Ziele der beteiligten Institutionen. Sie treffen zum einen den kollektiven Nutzen, der das Handeln der Straßenbetreiber maßgeblich prägt, sowie zum anderen industrieseitig auf individuellen Kundennutzen, der maßgeblich über Erfolge von Geschäftsmodellen entscheidet. Die bisherigen Aktivitäten auf Seiten der kollektiven Verkehrsbeeinflussung dienen als gute verkehrstechnische Grundlage und tragen zur Lösung des Netzeffektproblems bei. Die vorgenannten Anwendungen ermöglichen zudem eine klare Identifikation und Verteilung der Rollen aller Beteiligten.
Das Einführungsszenario sieht mehrere Stufen vor und berücksichtigt insbesondere die europäische Komponente (Entwicklungslinie siehe Bild). Aufbauend auf den Ergebnissen von simTD sollen zunächst die spezifischen Grundlagen in dem oben erwähnten Vorentwicklungsprojekt geschaffen werden. Aufbauend darauf sollen die Erstanwendungen in einem Eurokorridor Rotterdam – Frankfurt – Wien realisiert werden, bevor dann in der dritten Phase eine flächendeckende Anwendung in Deutschland angestrebt wird. Bild 13: Zeitplanung zur Einführung Kooperativer Systeme
Literaturverzeichnis
1 B u s c h, F.; H o y e r, R.; K e l l e r, H.; R e u p k e, H.; R i e g e l h u t h, G.; Z a c k o r, H.: Telematikanwendungen im Straßenverkehr und Perspektiven, Straßenverkehrstechnik (2004), Nr. 6 und 7, Kirschbaum Verlag, Bonn 2 Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Materialien zur Gestaltung von Verkehrsmanagementstrukturen (Arbeitspapier), Köln, 2009, FGSV 307 3 R i e g e l h u t h, G.: Kooperative Systeme – sicher und staufrei in die Zukunft, Strasse und Verkehr (2010) Nr. 6, Zürich 4 simTD Konsortium, Newsletter, 08.2012 |