FGSV-Nr. FGSV 001/21
Ort Karlsruhe
Datum 11.10.2006
Titel Systemarchitektur für Telematik in Deutschland – Bestandsaufnahme und Grundsatzüberlegungen
Autoren Prof. Dr.-Ing. Fritz Busch
Kategorien Kongress
Einleitung

Systemarchitekturen werden in vielen Bereichen der Technik eingesetzt. Im Verkehrswesen wird darunter im Allgemeinen die gesamtheitliche Struktur der organisatorischen, funktionalen und technischen Elemente einer bestimmten Verkehrstelematik-Lösung verstanden. In Deutschland existiert derzeit keine einheitliche und umfassende Rahmenarchitektur für Anwendungen und Systeme der Verkehrstelematik, die es erlauben würde, effizient Anwendungen abzuleiten und umzusetzen. Für Teilsysteme (z. B. die Verkehrsbeeinflussung auf Außerortsstraßen) liegen zwar erfolgreiche Lösungen vor, jedoch besteht insbesondere auf dem Gebiet städtischer und zuständigkeitsübergreifender Anwendungen noch eine große Vielfalt an unterschiedlichsten Architektur-Lösungen. Seit einiger Zeit werden hierzu in verschiedenen Gremien und Arbeitskreisen auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene mit wechselnden Zielrichtungen Teilthemen in Richtung einer Vereinheitlichung, ggf. Standardisierung diskutiert. Einzelne Forschungsvorhaben des Bundes leisten dabei partielle Unterstützung. Handlungsbedarf wird in erster Linie gesehen, um

-       Synergien nutzen und dabei Kosten einsparen zu können,
-       effiziente Kooperationsmodelle zu entwickeln,
-       alle verfügbaren Potenziale aktivieren zu können, und
-       privaten Unternehmen eine nachhaltige Plattform für Investitionen zu bieten.

Einige Europäische Länder sind hier bereits einige Schritte weiter und haben Programme auf- und bereits teilweise umgesetzt, die auf die Schaffung nationaler ITS-Systemarchitekturen abzielen. Seitens der EU wurden, insbesondere im Projekt FRAME, umfangreiche unterstützende Vorarbeiten geleistet, die vor allem auf die Entwicklung einer Referenzarchitektur und die Bereitstellung unterstützender Hilfsmittel abzielten.

In der FGSV hat sich in 2005 der Arbeitskreis 3.17.5 „ITS-Systemarchitekturen“ konstituiert, mit der Zielsetzung, eine Harmonisierung der diversen Aktivitäten zu unterstützen, Empfehlungen für Kernfragen der Entwicklung und Nutzung von Systemarchitekturen zu erarbeiten und die Formulierung eines übergeordneten Leitbildes für die Verkehrstelematik in Deutschland anzuregen und mit zu gestalten. Ein solches Leitbild hat sich an der Subsidiaritätsstruktur der Verkehrsverwaltungen, deren Aufgaben und den Interessen der beteiligten Akteure und der betroffenen Nutzer zu orientieren. Damit sind folgende Akteure involviert:

-       Verkehrsverwaltungen des Bundes, der Länder, der Städte und Gemeinden
-       Unternehmen des Öffentlichen Verkehrs
-       Wirtschaft, inkl. klein- und mittelständischer Unternehmen
-       Wissenschaft
-       Verkehrsteilnehmer, eventuell vertreten durch ihre Interessenverbände.

Die Nutzen eines Leitbildes für den Einsatz von Verkehrstelematik in Deutschland können in folgenden Bereichen gesehen werden:

-       Durch das Leitbild kann gewährleistet werden, dass die Einführung der Verkehrstelematik nach einer klar gegliederten, zusammenhängenden Weise erfolgt und nicht als unkoordinierter, eher zufälliger Prozess.

-       Dies garantiert kostengünstige Systeme und vermeidet spätere kostenaufwendige Integrations- und Abstimmungsprozesse zu einem funktionierenden Gesamtsystem.

-       Das Leitbild kann der Industrie, einschließlich der klein- und mittelständischen Unternehmen, Wege aufzeigen, ihre Produktion entsprechend langfristig aufbauen zu können und einen offenen Wettbewerb im Telematikmarkt unterstützen.

Die Autoren sind der Auffassung, dass gerade durch Formulierung eines von breitem Konsens getragenen derartigen Leitbildes für die Verkehrstelematik ein deutlicher Fortschritt erreichbar wäre.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1  Einführung

Seit längerem wird – nicht nur in Deutschland – das Thema vereinheitlichter Systemarchitekturen für Anwendungen des Verkehrmanagements und der Verkehrstelematik (ITS = Intelligent Transportation Systems) diskutiert. Es wird darunter in der Regel nicht die bis ins letzte Detail standardisierte Festlegung von Organisation, Funktion und Technik der Verkehrssysteme verstanden, sondern primär die Fixierung von wichtigen Grundlagen, Prinzipien und Funktionseinheiten in Form einer Rahmenarchitektur.

Die generelle Motivation zur Nutzung derartiger, möglichst auf europäischem Level harmonisierter Rahmenarchitekturen ist offensichtlich. Sie liegt primär in der Reduzierung von Aufwand in allen Phasen des Einsatzes der Verkehrstelematik – von der Konzeptions- bis zur Betriebsphase. Aus zahlreichen Erfahrungen in der Entwicklung komplexer Systeme ist bekannt, dass der Aufwand zur Erweiterung, Adaption oder Korrektur einer Systemlösung mit fortschreitendem Fertigstellungsgrad des Systems überproportional steigt. Das Risiko, für Adaptionen grundlegende Änderungen vornehmen zu müssen, kann deutlich reduziert werden, wenn eine frühzeitige Festlegung der Systemarchitektur gelingt und zugleich die längerfristige Perspektive des Einsatzes der Verkehrstelematik klar ist. Genau dies wird durch Bereitstellung einer Rahmenarchitektur, idealerweise einer Referenzarchitektur (siehe Abschnitt 2), und eines Leitbildes für die Verkehrstelematik ermöglicht (Bild 1).

Bild 1: Aufwandsreduzierung durch Referenzarchitektur und Leitbild (erweiterte Darstellung nach Frame, 2004)

Leitbild und einheitliche Rahmenarchitektur verbessern die Effizienz der Umsetzung von Anwendungen erheblich, beziehungsweise schaffen überhaupt erst die Grundlage zur konzertierten Entwicklung verallgemeinerbarer Komponenten und Rahmenvereinbarungen. Letztendlich sollte ihre konsequente Nutzung zu einer Erhöhung des verkehrlichen und gesamtwirtschaftlichen Nutzens, zu einer Beschleunigung und Unterstützung des technologischen Fortschritts, zur Stärkung der nationalen Wirtschaft und nicht zuletzt zu einer Steigerung der Qualität der Mobilität in einem vernetzten Europa führen.

Voraussetzung zur Entwicklung und Nutzung von Leitbild und Rahmenarchitektur ist ein gemeinsames Interesse aller Beteiligten an entsprechenden System-Funktionalitäten, die im Falle des Verkehrs eine Verknüpfung von Telematik- und Managementfunktionen voraussetzen.

Einige Europäische Länder sind hier bereits einige Schritte weiter als Deutschland und haben Programme auf- und bereits teilweise umgesetzt, die auf die Schaffung nationaler ITS-Systemarchitekturen abzielen. Meist wurde oder wird als übergeordneter Rahmen ein sogenanntes Leitbild erarbeitet oder empfohlen, das die wesentlichen Ziele und Nutzen, aber auch Beteiligte und Vorgaben auf Basis eines breiten Konsenses mittelfristig fixiert.

 

2  Begriffe

Der Begriff Systemarchitektur wird in einer ganzen Reihe von Disziplinen verwandt. In allen Fällen handelt es sich aber um das Zusammenwirken unterschiedlichster Komponenten zu einer – in aller Regel – komplexen Gesamtfunktion. Das Denken in Architekturen ist eine wichtige Voraussetzung, um Zusammenhänge zwischen Einzelfunktionen, Komponenten und Details zu erkennen. Am häufigsten wird der Begriff heute im Bereich der Informationstechnologie eingesetzt, wo Rechnerarchitekturen und Betriebssysteme oder Softwarekomponenten und ihr Zusammenwirken als Systemarchitektur bezeichnet werden. Im Wesentlichen sind es (Teil-) Komponenten und ihre funktionalen Schnittstellen unter Einschluss der Datenübermittlungsfähigkeiten sowie deren Aufbau und Zusammenwirken, die als Systemarchitektur bezeichnet werden. Dahinter stehen strategische und operative Ausrichtungen, die unterschiedliche Komponenten an unterschiedlichen Stellen mit unterschiedlichen Stellenwerten miteinander vereinen.

Eine Systemarchitektur ist eine Funktionalbeschreibung basierend auf abgestimmten und akzeptierten Begriffen sowie formalisierten Schnittstellenbeschreibungen zur interoperablen Kommunikation mit allen erforderlichen Randbedingungen und organisatorischen Maßnahmen, die erforderlich sind, damit das System dauerhaft funktioniert. Damit erleichtern Systemarchitekturen die Standardisierung von Funktionen und Schnittstellen und damit den Herstellern und den Anwendern die Einschätzbarkeit der Möglichkeiten, Risiken und Resultate. Während eine Systemarchitektur in aller Regel eine relativ konkrete Beschreibung eines funktionalen Zusammenhangs unterschiedlicher Komponenten ist, sind es gerade die Schnittstellen mit ihren funktionalen Beschreibungen und Hinweisen zum operativen Einsatz, die Handlungsspielraum für neue Ideen erlauben, ohne "das Rad jedes Mal neu erfinden" zu müssen. Werden diese funktionalen Schnittstellen abstrahiert und in stärker verallgemeinerbare Formen überführt, so kann man von Rahmenvorgaben für eine Systemarchitektur oder von Rahmenarchitekturen sprechen. Die Rahmenarchitektur bietet strategische Richtlinien und umschließt nicht nur die technischen Elemente, sondern ebenso die organisatorischen, rechtlichen und betrieblichen Aspekte.

Systemarchitekturen sind einer konkreten Anwendung (einschließlich aller technischen Details und ihrer betrieblichen Anforderungen) zugeordnet, entweder in Form einer konkreten Implementierung für einen realen Anwendungsfall (z. B. Verkehrsmanagementsystem der Region München) oder in Form einer Referenzarchitektur für eine verallgemeinerte Anwendung (z. B. Lichtsignalsteuerung für ein Stadtgebiet). Die Referenzarchitektur dient als Vorbild (Blueprint) für konkrete Anwendungsfälle (Bild 2). Sie besteht im Wesentlichen aus Beschreibungen generischer (allgemeingültiger) Schnittstellen, abstrahierter Komponenten und organisatorischer Rahmenvereinbarungen.

Bild 2: Verwendung von Referenzarchitekturen

Die Konkretisierung einer Rahmenarchitektur für den jeweiligen Anwendungsfall erfolgt mit Hilfe einer Anforderungs- und Migrationsanalyse, in der technologische Möglichkeiten, funktionale Anforderungen, beteiligte Institutionen, aber auch existierende Komponenten zu berücksichtigen sind (Bild 3).

Bild 3: Vereinfachtes Vorgehensmodell zur Architektur-Entwicklung

Eine ITS-Rahmenarchitektur im Verkehrswesen folgt diesen Definitionen, indem Funktionsabläufe und Organisationsformen beispielhaft zusammen mit Schnittstellendefinitionen für auf verschiedenen Ebenen arbeitende, verteilte, kommunizierende Anwendungen und Komponenten beschrieben werden. Die Rahmenarchitektur umfasst die folgenden Teile:

  • Funktionale Beschreibung
  • Technische Beschreibung
  • Betreiberorganisation,

wobei diese Beschreibungen und Vereinbarungen so konkret sein müssen, dass sich die Funktionen kompatibel realisieren lassen, aber so abstrakt sein sollten, dass Gestaltungsspielraum vorhanden ist. (Unter diesem Gesichtspunkt kann man z. B. die Objektorientierung und Open Source als Bestandteile einer Rahmenarchitektur ansehen, die sich allerdings in einem anderen Kontext entwickeln als ITS.) Im Bild 4 sind die typischen Komponenten einer ITS-Systemarchitektur dargestellt. Sinnbildlich wurde ihnen eine Zeile überlagert, die das angesprochene eher politisch orientierte ITS-Leitbild für die Verkehrstelematiksysteme symbolisieren soll.

Bild 4: ITS-Leitbild und System-Architekturen (Keller, 2004)

Ein solches ITS-Leitbild hat sich in Deutschland an der Subsidiaritätsstruktur der Verwaltungen, deren Aufgaben und den Interessen der beteiligten Akteure und der betroffenen Nutzer zu orientieren. Das heißt, es sind folgende Interessengruppen involviert:

  • Straßenbauverwaltungen der Länder
  • Kommunale Gebietskörperschaften
  • Unternehmen des Öffentlichen Verkehrs
  • Vertreter der Wirtschaft, soweit sie mit der Verkehrstelematik Interessen verfolgen bzw. Dienste anbieten
  • Wissenschaft und klein- und mittelständische Unternehmen
  • Verkehrsteilnehmer, evtl. vertreten durch ihre Interessenverbände.

 

3  Verkehrsmanagement und Verkehrstelematik in Deutschland

Maßnahmen des Verkehrsmanagements lassen sich im Wesentlichen in verkehrslenkende/- steuernde und informierende Maßnahmen klassifizieren. Das BMVBS und die Wirtschaft haben als Leitlinie eine Abgrenzung vereinbart, indem Verkehrsinformationssysteme, vornehmlich individuell wirksame, als Aufgabenfeld der Wirtschaft angesehen werden, während die Umsetzung verkehrslenkender Maßnahmen, vornehmlich über die kollektiv wirksamen Verkehrsbeeinflussungssysteme als Aufgabe der öffentlichen Hand betrachtet werden. Die Steuerung und Lenkung des Verkehrs in konkreten Verkehrslagen erfordert die Umsetzung behördlicher Maßnahmen. Hierzu werden unterstützend überwiegend Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen eingesetzt, für deren Planung, Bau und Unterhaltung die Straßenbaubehörden zuständig sind.

Mit Blick auf die Umsetzung von Verkehrsmanagementmaßnahmen sind insbesondere die kollektiven Verkehrsbeeinflussungsanlagen (straßenseitige Telematikinfrastruktur) zu den Verkehrseinrichtungen nach der Straßenverkehrsordnung zu zählen. Der Betrieb dieser Anlagen gehört zu den Aufgaben der Straßenbaubehörden, die eng mit der jeweils zuständigen Straßenverkehrsbehörde zusammenarbeiten, da diese letztendlich festlegt, wo und welche Verkehrszeichen und -einrichtungen anzubringen sind.

Erste Beiträge zu einer Systemarchitektur an Bundesfernstraßen liefern das Merkblatt für die Ausstattung von Verkehrsrechnerzentralen und Unterzentralen (MARZ) sowie die Technischen Lieferbedingungen für Streckenstationen (TLS), die mit Bezug auf Verkehrsbeeinflussungsanlagen an Bundesautobahnen die notwendigen Festlegungen auf technisch-physikalischer Ebene treffen; auf Grund des vorliegenden Konkretisierungsgrades kann hier von einer Referenzarchitektur gesprochen werden. Insbesondere das MARZ beschreibt konkrete Aufgaben des Systems „Verkehrsbeeinflussung“, die damit den Handlungsrahmen für die Straßenbaubehörden beim Betrieb von Verkehrsbeeinflussungsanlagen bilden. Mit Hilfe dieser Regelwerke wurde bereits zu Beginn der 90er Jahre die Grundlage für eine Interoperabilität von Verkehrsbeeinflussungseinrichtungen im Zuge der Bundesautobahnen geschaffen, die auch im Ausland Anerkennung findet und z. B. beim Aufbau des Verkehrsmanagement- und Informationssystems des österreichischen Autobahnbetreibers ASFINAG Berücksichtigung gefunden hat. Vergleichbare Grundlagen für die Standardisierung und Offenlegung von Schnittstellen im Zusammenhang mit dem Bau und dem Betrieb von Lichtsignalanlagen werden derzeit mit der Einführung offener Schnittstellen für die Straßenverkehrstechnik (OCIT) und dem daraus weiterentwickelten Gesamtkonzept OTS (Open Traffic System) geschaffen. Für den Bereich des öffentlichen Personenverkehrs wurden in den vergangenen Jahren weitreichende Grundlagen zur Vernetzung und Standardisierung durch die Vorhaben DELFI, die Kernapplikationen des Verbandes deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und verschiedene neue VDV-Schnittstellendefinitionen erarbeitet. Die Entwicklung eines bundeseinheitlichen VRZ-Basissystems im Hinblick auf eine Standardisierung der Softwarekomponenten in den Verkehrsrechnerzentralen (VRZ) an Bundesautobahnen unter dem Namen „Datenverteilermodell“ ist als weitere Aktivität zu nennen.

Die Verbreitung von (Verkehrs-)Informationen als zweites Element von Verkehrsmanagementmaßnahmen erfolgt bundesweit koordiniert bisher nur auf Grundlage der Rahmenrichtlinie für den Verkehrswarndienst, die das Zusammenwirken der Beteiligten bei der Durchführung des Verkehrswarndienstes regelt. Die in diesem Zusammenhang auch digital über TMC (Traffic Message Channel) von den Rundfunkanstalten verbreiteten Informationen werden unter anderem auch zur Dynamisierung von Routenplanungen in Navigationssystemen genutzt.

Die wesentliche Grundlage für die automatische Generierung dieser Meldungen bilden mittlerweile überwiegend die Verkehrsdatenerfassungssysteme der Straßenbaubehörden, die ihre Verkehrsinformationen auch über verschiedene Medien wie zum Beispiel das Internet verbreiten. Die Inhalte sind weitestgehend kongruent zu den Informationen, die originär für den Betrieb der kollektiven Verkehrsbeeinflussungssysteme aufbereitet werden und haben daher meist lokalen oder regionalen Bezug. Eine beispielsweise bundesweite Darstellung der Verkehrslage ist daraus nicht ableitbar. Aufgrund der heterogenen Systemlandschaft würde eine technische Vernetzung dieser Angebote, sofern sie denn überhaupt möglich wäre, ein diffuses Abbild der Verkehrssituation bieten, da allein die Darstellung des Level of Service einer derartigen Gestaltungskreativität unterliegt, dass man dabei fast schon von Unikaten sprechen kann.

Verkehrsdaten werden zudem über standardisierte Datenüberlassungsverträge an Unternehmen verkauft, die sich zum Ziel gesetzt haben, unterschiedliche Verkehrsdienstleistungen am Markt zu platzieren. Teilweise stehen sie mit ihren angebotenen und bepreisten Produkten in unmittelbarer Konkurrenz zu den vorgenannten Angeboten, die kostenlos abrufbar sind sowie zu den aktuellen TMC-Meldungen. Unter diesen Rahmenbedingungen scheint es kaum möglich, die nötigen Geschäftsmodelle zu entwickeln, um informationsgestützte Verkehrsdienstleistungen am Markt zu etablieren

Große Demonstrationsprojekte für Verkehrstelematik, gefördert durch F+E-Projekte des BMVBS, des BMBF und vornehmlich durch die Europäische Kommission haben zu erfolgreichen Systemen geführt, die aber im wesentlichen doch Insellösungen geblieben sind oder nach Abschluss der Förderung nicht in vollem Maße weder von den Verkehrsverwaltungen noch von der Wirtschaft übernommen oder in vorhandene Systeme integriert worden sind. Dieser Entwicklungsstand verdeutlicht gerade durch die Vielfalt der sich mittlerweile abzeichnenden Systemarchitektur-Varianten die zwingende Notwendigkeit, diese Ansätze zu einem kooperativen Lösungsansatz zusammen zu führen. Als positives Beispiel ist hier die von Hessen initiierte Zusammenarbeit mehrerer Bundesländer zu nennen, die sich gemeinsam zum Ziel gesetzt haben, länderübergreifende Strategien zur überregionalen Steuerung des Fernverkehrs umzusetzen. Als Architektur dient dabei der konzeptionelle und technische Ansatz für ein zuständigkeitsübergreifendes Strategiemanagement, der im durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungs- und Entwicklungsprojekt WAYflow konzipiert und erprobt wurde.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass dort, wo staatliches Handeln im Rahmen gesetzlicher Aufgaben erforderlich ist, das Zusammenwirken der Akteure geregelt ist, wie z. B. die Zusammenarbeit durch die Straßenverkehrsordnung und die entsprechenden Straßengesetze definiert sind. Weitergehende Aufgaben, die regionalen oder interregionalen Charakter haben, werden von den handelnden Institutionen hinsichtlich des Grades ihrer Beteiligung unterschiedlich interpretiert, wodurch flächendeckende interoperable Lösungsansätze als Beitrag für eine nachhaltige Mobilitätssicherung in Deutschland kaum zustande kommen, weil

  • die Zielsetzungen und Rahmenbedingungen für ein bundesweites Verkehrsmanagement weitestgehend ungeklärt sind und
  • die Beteiligten sowie deren Rollen und Aufgaben nicht eindeutig identifiziert/definiert sind.

Seitens der Europäischen Kommission, aber auch im benachbarten Ausland gibt es Ansätze zur Entwicklung und Einführung von Rahmenarchitekturen, deren Vorhandensein auch dort als unabdingbare Voraussetzung für ein Zusammenwirken unterschiedlicher Partner, sowohl von Verwaltungs- als auch von Industrieseite, gesehen wird.

Die Förderung der Europäischen Kommission zur Entwicklung einer einheitlichen ITS-Systemarchitektur (im Sinne der hier festgelegten Begriffe eher als Rahmenarchitektur zu bezeichnen) mündet im letzten Stand der Arbeiten des FRAME-Projektes. Es hat sich gezeigt, dass weitere Detaillierungen erst aufgegriffen werden sollten, wenn von Seiten der Mitgliedsstaaten und auch aus Sicht der EU ein Policy Framework1) for Intelligent Transport Systems (ITS) definiert worden ist (Rosetta, 2004). Damit wird von der Europäischen Union nach einer formalen, aber äußerst abstrakten ITS-Rahmenarchitektur die Berücksichtigung von Anforderungen gemäß eines Bottom-Up-Vorgehens gewünscht, um die Konsolidierung einer einheitlichen Europäischen Rahmenarchitektur voranzutreiben. Es besteht damit die Herausforderung auch für die Bundesrepublik Deutschland, ein solches Leitbild unter Berücksichtigung der gegebenen Anforderungen für den Einsatz der Verkehrstelematik (ITS) zu definieren, das sich an den verkehrspolitischen Leitlinien des Bundes, der Länder, der Kommunen und der Wirtschaft orientiert.

1) Unter dem Policy-Framework werden einerseits sowohl das Leitbild als auch die Grundzüge der Rahmenarchitektur zusammengefasst.

 

4  Ziele des FGSV Arbeitskreises „ITS-Systemarchitekturen“

Der FGSV-Arbeitskreis 3.17.5 „ITS-Systemarchitekturen“ hat sich zum Ziel gesetzt, in Deutschland der oben skizzierten Bedeutung von Rahmenarchitekturen entsprechend Initiativen zu entwickeln, um zunächst ein Leitbild für das Verkehrsmanagement und die Verkehrstelematik zu formulieren und darauf aufbauend die funktionalen, technischen und institutionellen Aspekte mit Hilfe des Instrumentes der Rahmenarchitektur konkretisieren zu können.

Ziel eines Leitbildes ist die Definition eines Katalogs von Strategien mit entsprechenden Maßnahmen für den Einsatz der Telematik zur Verbesserung des Verkehrssystems in Deutschland. Mit diesen Maßnahmen soll ein Beitrag zur Erhöhung der Kapazität/Leistungsfähigkeit des Verkehrssystems, der Auslastung der Verkehrsmittel und der Vernetzung der Verkehrsträger geleistet werden, um eine nachhaltige Verkehrsentwicklung mit höchster Sicherheit, Effizienz und Umweltverträglichkeit zu erreichen und den ökonomischen und sozioökonomischen Anforderungen an das Verkehrssystem gerecht zu werden.

Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Klärung der institutionellen Rahmenbedingungen bei der Einführung und Weiterentwicklung von Telematikanwendungen zu, die eine Kooperation unterschiedlicher Beteiligter über die originäre Aufgabenwahrnehmung hinaus erforderlich machen.

Ansätze zu einer Leitbilddefinition bestehen bereits und könnten aufgegriffen werden. Sehr aufwändige und vertiefte Studien zu einem ITS-Leitbild und zur Gestaltung von Architekturen sind in den USA erarbeitet worden. Rahmenpläne für den Telematikeinsatz, die im Grundsatz Leitbildcharakter haben, sind für Österreich und für die Schweiz bereits entwickelt worden.

Die Gestaltung eines Leitbildes erfordert einen mehrstufigen Prozess, in dem zunächst die oben genannten unterschiedlichen Aufgabenträger und Interessengruppen aus ihrer spezifischen Sicht eine Zielvorstellung für den Einsatz der Verkehrstelematik erarbeiten und diese dann in iterativer Form zu einer Gesamtvorstellung – dem ITS-Leitbild – zusammenführen.

Um dieses zu institutionalisieren, bedarf es Organisationen, in denen Vertreter dieser Gruppen auftreten. Die dabei anfallenden operativen Aufgaben sollten einem Team im Rahmen eines spezifischen Auftrags im Wesentlichen oben genannten Institutionen übertragen werden, das dann auch die kontinuierliche Aufgabe der Erstellung und Fortschreibung der ITS-Rahmenarchitektur, gegebenenfalls -Referenzarchitektur, übernehmen müsste.

In Form einer Roadmap sollen die als erforderlich betrachteten Funktionen, Technologien, technologischen Anforderungen und organisatorischen Rahmenbedingungen dargelegt werden, an denen sich die Verantwortlichen in der Öffentlichen Verwaltung und die Interessenten aus der Wirtschaft orientieren können. Die für Deutschland geplanten Arbeiten müssen sich hinsichtlich nationaler Standardisierung und Regelwerke in ein übergeordnetes europäisches Konzept und in eine einheitliche Methodik integrieren lassen. Nur so kann die Interoperabilität von Systemen bis hin zum einfachen Austausch von Informationen bewältigt werden.

Es besteht die Vorstellung, das ITS-Leitbild in Form einer gemeinsamen und öffentlichen Absichtserklärung (eines Memorandum of Understanding (MoU) aller Interessengruppen, das heißt der öffentlichen Hand und der Wirtschaft, zu vereinbaren. Die Rahmenarchitektur sollte sich im Wesentlichen in Form von Regelwerken (zu Funktionen, Schnittstellen, Strategien und Maßnahmen), Musterverträgen und gegebenenfalls konkreten Referenzarchitekturen für repräsentative Anwendungen manifestieren. Zur Unterstützung der Anwendung gemäß oben genanntem Vorgehensmodell sollten entsprechende Leitfäden existieren, die dann zum Beispiel auch die Phasen der Risikoanalyse und der Kosten-/Nutzenanalyse einschließen.

Bild 5: Die Begriffe im Zusammenhang

Die formulierten Zielsetzungen sollen durch ein dreistufiges Vorgehen erreicht werden:

  1. Analyse des Status quo im In- und Ausland
  2. Erster Entwurf eines Leitbildes und Diskussion mit ausgewählten Experten
  3. Konkretisierung und Abstimmung eines Vorschlags für ein Leitbild auf breiter Ebene
    – Sicherung der fachlichen und politischen Akzeptanz.

Durch iterative Einbindung aller Interessengruppen in den Arbeitsprozess soll sichergestellt werden, dass nicht nur ein theoretisches Konzept erarbeitet wird, sondern über eine von breitem Konsens aller Handelnden getragene Mission eine „Arbeitsgrundlage“ für die Verkehrstelematik in Deutschland geschaffen wird. Um die entsprechende Marktakzeptanz und -durchdringung zu erreichen, ist erforderlich, dass

  • die Kernaussagen des Leitbildes öffentlich argumentiert und diskutiert werden
  • eine Verbindlichkeit der Anwendung der ITS-Rahmenarchitektur vereinbart wird
  • eine Fortschreibung entsprechend der Marktentwicklung sichergestellt ist
  • alle für die Anwendung maßgebenden Regelwerke frei verfügbar sind
  • Training und Beratung zur Nutzung der Vorgaben angeboten werden.

Nur, wenn der Entwicklungsprozess von Leitbild und Rahmenarchitekur von Beginn an und dauerhaft transparent und offen betrieben wird und er von der gesamten Interessengemeinschaft der Verkehrstelematik (das heißt der deutschen ITS-Community) getragen wird, sind die eingangs genannten Zielsetzungen erreichbar.

 

5  Resümee und Ausblick

Nachdem die Notwendigkeit der Erarbeitung einer ITS-Rahmenarchitektur für Deutschland von der Fachszene und den verantwortlichen verkehrspolitischen Entscheidungsgremien des Bundes, der Länder und der Kommunen gleichermaßen gesehen wird, sollte der weitere Schritt zur Verfolgung des oben skizzierten Weges getan werden. Weiterhin werden aktuell in entsprechenden Forschungsprojekten Empfehlungen mit stärker technikorientiertem Charakter erarbeitet. Als schwierigstes Terrain erweist sich bisher die Entwicklung von Empfehlungen (eventuell sogar Harmonisierungen) im Bereich der organisatorischen Fragen, wie z. B. Aufgabenträgerschaft. Hier besteht die Auffassung, dass gerade durch Formulierung eines von breitem Konsens getragenen Leitbildes für die Verkehrstelematik ein deutlicher Fortschritt erreichbar wäre. Es muss daher ein vordringliches Ziel sein, dieses Leitbild entsprechend den hier skizzierten Grundgedanken in naher Zukunft zu entwickeln und in der Fachöffentlichkeit zu diskutieren.

Dies ist umso dringlicher, wenn effiziente Lösungsansätze nicht zustande kommen oder sie schon ansatzweise, beispielsweise als Prototypen, vorhanden sind, aber nicht weiterverfolgt werden, weil Zielhorizont, Zuständigkeiten und Rollenverteilung ungeklärt sind. Nun laden die föderalen Strukturen und teils zersplitterten Zuständigkeiten auf regionaler und lokaler Verwaltungsebene nicht gerade dazu ein, unter diesen Rahmenbedingungen sich dem Gedanken einer Systemarchitektur für Telematik in Deutschland zu nähern. Doch zeigen positive Beispiele aus dem Ausland, aber auch innerhalb Deutschlands, die vom Willen eines integrierten Zusammenwirkens getragen und von Bottom-up-Architekturen geprägt sind, dass eine Weiterentwicklung der Telematik als wesentlicher Baustein der Mobilitätssicherung durchaus positive Effekte mit sich bringen kann. Will man jedoch eine sich damit ergebende heterogene Systemarchitekturlandschaft in Deutschland, die jegliche Interoperabilität mit benachbarten Regionen ausschließt, vermeiden, kommt man nicht umhin, sich mit der Frage einer nationalen Systemarchitektur für Deutschland zu beschäftigen.

Nutzen eines Leitbildes und einer Rahmenarchitektur für den Einsatz von Verkehrstelematik in Deutschland können wie folgt gesehen werden:

  • Durch das Leitbild kann gewährleistet werden, dass die Weiterentwicklung der Verkehrstelematik nach einer klar gegliederten, zusammenhängenden Weise erfolgt und nicht als unkoordinierter, eher zufälliger
  • Dies garantiert kostengünstige Systeme und vermeidet spätere kostenaufwendige Integrations- und Abstimmungsprozesse zu einem funktionierenden Gesamtsystem.
  • Ein solches Leitbild kann der Industrie Wege aufzeigen (Roadmap), um ihre Produktlinien und Geschäftsmodelle entsprechend langfristig aufbauen zu können und einen Wettbewerb zu eröffnen, der auch klein- und mittelständischen Unternehmen Marktchancen eröffnet.

Investitionen, vor allem von Industrieseite, erfolgen nur zögerlich und viele gute Ansätze, die teilweise in Forschungs- und Entwicklungsprojekten demonstriert wurden, werden nicht in nachhaltige Geschäftsmodelle überführt. Die dadurch drohende Stagnation in der Verkehrstelematik ist zu verhindern, damit Deutschland auch im internationalen Vergleich seine Schrittmacherrolle in diesem Bereich beibehalten bzw. ausbauen kann.

Handlungsbedarf ist daher in erster Linie geboten, um

  • Synergien nutzen und dabei Kosten einsparen zu können,
  • effiziente Kooperationsmodelle zu entwickeln und dabei den Rahmen für eine zuständigkeitsübergreifende, öffentlich-private Zusammenarbeit zu schaffen, die von Nachhaltigkeit geprägt ist,
  • alle verfügbaren Potenziale aktivieren zu können,
  • privaten Unternehmen eine nachhaltige Plattform für Investitionen zu bieten.

In diesem Prozess ist auch klarzustellen, dass ein solches Leitbild und die daraus folgenden Systemarchitekturen, wenn sie auf europäischem Niveau oder jedem höher geordneten Niveau harmonisiert werden sollen, zwar nicht gleichartig sein müssen, aber transnational und interoperabel.

 

Literaturverzeichnis

Busch, F. (2004): Verkehrsmanagement im Ballungsraum – noch Forschung oder schon Realität. Straßenverkehrstechnik Heft 12/2004

McDonald, M.; Keller, H.; Klijnhout, J.; Mauro, V. et al (2006): Intelligent Transport Systems in Europe – Opportunities for Future Research. World Scientific Publishing

Keller, H. (2004): ITS Architekturen. Expose für ein Arbeitsprogramm für den FGSV-Arbeitskreis 3.17.5 „ITS Architekturen“

Riegelhuth, G (2006): Vision Zero – Eine Momentaufnahme zur Initiative Staufreies Hessen – VSVI-Journal 1/06 VSVI Hessen e.V.

WAYflow-Gesamtbericht; Förderkennzeichen 19 B 9819 A/O; Dezember 2003 FRAME: http://www.frame-online.net/home.htm

Telematikrahmenplan Österreich: http://www.its-austria.info

ITS CH Leitbild Schweiz: Verkehrstelematik als Element der Verkehrspolitik