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1 Motivation
Vor 150 Jahren stieß Edwin L. Drake in Pennsylvania auf Erdöl und löste damit einen „Öl-Rausch“ aus. Fossile Energieträger wurden zur energetischen Grundlage der Industrialisierung. Heute liefern fossile Energieträger die energetische Basis für alle Bereiche unserer Wirtschaft und sind konstitutiv für unseren Wohlstand, wobei der Verkehr ca. 54 % des Erdöls verbraucht.
Zwei Entwicklungen legen es nahe, sich mit der Frage zu befassen, wie Mobilitätsangebote und die Verkehrsinfrastruktur künftig zu gestalten sind:
- Niemand kennt die wahren, mit darstellbarem Aufwand und vertretbarem Umweltrisiko förderbaren Vorräte an Erdöl genau. Niemand weiß, ob der „peak oil“ bereits erreicht, schon überschritten oder noch zu erwarten ist. Wir wissen allerdings, dass die Ölpreise sich sehr „volatil“ gestalten und die „Nebenkosten“ für Energie immer unkalkulierbarer Es geht also um die Aufgabe, sich von fossiler Energie unabhängig und die Energiepreise durch eigene Energieinfrastrukturen, wenn auch auf höherem Niveau, so doch auf Dauer kalkulierbar zu machen. Aufgabe ist es, eine nachhaltige Energieversorgung zu gewährleisten.
- Die Beschäftigung mit den Folgen des Klimawandels zeigt, dass Klimaschutz Kosten durch Klimaschäden vermeiden hilft. Je eher man mit Vermeidung beginnt, desto geringer fallen die Kosten für Klimaschäden aus. Dies ist der zweite Grund, der es vernünftig erscheinen lässt, sich mit der Frage der postfossilen Mobilität zu befassen.
Welche Effekte eine Energiekrise entwickeln kann, wissen wir aus der Ölkrise von 1973. Damals hat sich der Rohölpreis binnen kürzester Zeit vervierfacht. Die Bürger unternahmen „Hamsterkäufe“. Die Höchstgeschwindigkeit auf Straßen wurde generell auf 100 Stundenkilometer begrenzt. Das bundesdeutsche Wirtschaftswachstum stagnierte schlagartig. Die Preise, vor allem die von Benzin, und die Arbeitslosenrate stiegen. Den Menschen wurde klar, in welchem Maße die entwickelte Welt vom Öl abhängig ist, und man begann nach alternativen Formen der Energiegewinnung zu suchen, was damals in den forcierten Ausbau der Kernenergie mündete.
Eine Vorstellung der Effekte eines Klimawandels fehlt uns, weil die letzten spürbaren Klimaverschiebungen im Mittelalter stattgefunden haben. Allerdings lassen Winterbilder von Malern wie Pieter Brueghel und Zeitgenossen erahnen, dass die kleine Eiszeit für die Menschen von Hunger und Armut geprägt war und die Verbreitung von Seuchen förderte. Wir wissen, dass erst nach der kleinen Eiszeit Entwicklung und Prosperität eingesetzt haben.
Es gibt also eine existenzielle Nachhaltigkeitsaufgabe im Sinne der Gefahrenabwehr:
- zum Schutz unserer Lebensgrundlage,
- zur Sicherung des sozialen Friedens im Innern,
- zur Sicherung des globalen Friedens und
- zur Sicherung unserer wirtschaftlichen
Wir stehen an einem Systemübergang von der fossilen in die postfossile Gesellschaft, von der fossilen in die postfossile Mobilität. Solche Systemübergänge bergen Risiken für diejenigen, die die Zeichen der Zeit nicht erkennen und an konventionellen Technologien festhalten; sie bieten Chancen für diejenigen, die als erste gute Lösungen für die neuen Aufgaben anbieten können. Insofern handelt es sich bei der postfossilen Wende gleichzeitig auch um eine Gestaltungsaufgabe mit fundamentalen Chancen:
- durch Verbesserung unserer Umwelt (Lärm, Schadstoffe, Flächengewinn),
- durch Verbesserung der Lebensqualität (Gesundheit, sozialen Teilhabe, Sicherheit),
- durch Qualifizierung von Stadtstrukturen,
- durch neue Produkte und die Erschließung neuer Geschäftsfelder.
2 Postfossiler Verkehr
Wie lässt sich postfossile Mobilität nun definieren?
Der prae-fossile Verkehr war gekennzeichnet durch:
- die Abwesenheit von fossilen Verkehrsmitteln,
- die Nutzung von Naturkräften (z. Flöße oder Segelschiffe),
- die Ergänzung des Zufußgehens durch die Nutzung von Tieren (als Trage- oder Zugtiere z. B. auch beim Treideln),
- eine entsprechende Infrastruktur im Landverkehr,
- kohärente Raum- und Baustrukturen, die durch die Minimierung des Energieeinsatzes geprägt sind.
Der heutige fossile Verkehr,
- nutzt fossile, in großen unterirdischen Lagern gespeicherte, nicht-regenerative Energieträger,
- setzt durch den massiven Einsatz fossiler Energieträger in für die Natur inadäquaten Zeiträumen große Mengen Treibhausgase frei,
- belastet die Ökosysteme durch Lärm und Schadstoffe,
- erschließt weitläufige Raum- und Siedlungsstrukturen.
Der post-fossile Verkehr wird geprägt sein:
- durch regenerative Energieträger,
- hohe Energieeffizienz,
- Körperkrafteinsatz,
- Mobilitätsmanagement zur Steigerung der Wegeeffizienz
- kurze Wege und integrierte Siedlungsstrukturen.
3 Querschnittsausschuss: „Postfossile Mobilität“
Um ihren Beitrag zur Gestaltung des Übergangs zum postfossilen Verkehr zu leisten, hat die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen den Querschnittsausschuss 7: „Maßnahmen zur Anpassung der Mobilitätsangebote und der Verkehrsinfrastruktur an die Auswirkungen des Klimas“ ins Leben gerufen. Der Arbeitsausschuss befasst sich mit dem Beitrag des Verkehrs zur Minderung der Treibhausgase und zum Schutz des Klimas (Mitigation). Gleichzeitig sollen auch die Maßnahmen zur Anpassung der Mobilitätsangebote und der Verkehrsinfrastruktur an die Auswirkungen des Klimawandels erarbeitet werden (Adaption). Dies führt zu der Frage, wie die Mobilitätsangebote und Verkehrsinfrastrukturen einer Gesellschaft im Übergang vom fossilen zum regenerativen Energieeinsatz auszugestalten sind. Der QA: „Postfossile Mobilität“ hat sich zunächst zwei Arbeitspakte vorgenommen:
- eine Befragung aller Arbeitsausschusse
- eine Zukunftswerkstatt.
4 Stand der Diskussion
Die Frage der Gestaltung der postfossilen Mobilität spielt auch außerhalb der Forschungsgesellschaft eine Rolle. Derzeit zeichnen sich in Veröffentlichungen und Diskussionen folgende Einschätzungen der möglichen Entwicklung ab:
„Alles schon bekannt, machen wir immer schon!“
Die Instrumente seien bekannt, z. B: „nachhaltiger Verkehr“, „autofreies Leben“, „verkehrsarme Siedlungen“, „ÖV-orientierte Stadtentwicklung“, es handele sich lediglich um ein Vollzugsdefizit.
Außerdem mache die hohe Qualität der Infrastruktur, der Technik und der Abläufe eine weitere Optimierung immer schwieriger und der Politik fehle es an Gestaltungswillen.
Diese Sicht der Dinge ist sicher in Teilen richtig, allerdings erzeugt die Dimension der existenziellen Konsequenzen bei einem „Weiter so wie immer“ einen völlig neuen Handlungsdruck und die Effekte des Systemübergangs werden alle Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens mit einer ganz anderen Radikalität verändern. Es gilt, diese einzelnen Planungsstrategien in ein Gesamtkonzept zu integrieren.
„Die gesellschaftliche Tragweite der Umsetzung variiert zwischen Extremen“
Der Systemübergang werde sich im operativen Alltagsgeschäft erledigen lassen versus der umfassenden Durchdringung und Veränderung aller gesellschaftlichen Bereiche.
Es gibt inzwischen eine Reihe von Untersuchungen zur Realisierung der Reduktion der Treibhausgase im Verkehr mit dem Ziel die von der Bundesregierung angestrebten Minderungsziele zu erreichen. Ein Beispiel wird in der Untersuchung „Sustainable Urban Infrastructure“ aufgeführt, die das Wuppertal Institut für Klima, Energie und Umwelt 2009 für Siemens erarbeitet hat. Dort wird zur Erreichung des 70 % CO2-Reduktionsziel ein Szenario für 2058 am Beispiel München vorgestellt, in dem sich die Einsparungen zu 11% aus dem Wegfall von Verkehrsleistungen, zu 19 % aus modal shift, zu 22 % aus mehr Effizienz und E-Antrieben und zu 16 % aus dem Einsatz regenerativer Energien (u. a. Biofuels) zusammensetzen (Quelle: „CO2-Emissionsminderungen Zielszenario für München 2058“, Siemens, 2009, S. 34).
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt M. Wegener im Rahmen des STEP(s)-Projektes. Dort werden mit steigenden Treibstoffkosten signifikante Veränderungen im Verkehrsverhalten prognostiziert:
- viel mehr Wege werden zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt,
- die Anzahl der Wege mit dem ÖPNV steigt auf mehr als das
- mittlere Reiseweiten mit dem Auto je Einwohner auf Werte der achtziger Jahre
- Anteil Fahrten mit dem Auto an allen Wegen sinkt auf Werte der siebziger Jahre
- Steigende Treibstoffkosten führen zu Verringerung von Erreichbarkeit und Wirtschaftswachstum.
(Quelle: Prof. M. Wegener, STEPs (2006): Scenario Impacts. STEPs Deliverable D 4.2. Mailand: Trasporti e Territorio SRL. http://www.spiekermann-wegener.de/pro/ pdf/STEPs_D4_2.pdf)
Die Spannbreite der Lebensmodelle, die mit einer postfossilen Mobilität verknüpft werden, wird auf der einen Seite „etwas bildhaft“ durch das „gesellschaftlichen Modell der Amish“ illustriert und auf der anderen Seite durch „High-Tech-Lösungen“, welche uns die Industrie als Heilsbringer verspricht.
„Verhaltensänderung zwischen Askese und Technologiegläubigkeit“
Postfossile Mobilität werde mit Verzicht verbunden sein und nur durch Askese zu bekommen, bzw. alle gehen zu Fuß oder fahren mit dem Fahrrad. Versus die postfossile Mobilität ist ein reines Technologieproblem, das sich vor allem mit Elektromobilen und etwas modal shift schon lösen lässt.
„Verzicht oder Askese“ sind für die große Mehrheit unserer heutigen Gesellschaft sicher keine erstrebenswerten Optionen. Hierzu lässt sich allerdings anführen, dass es durchaus heute schon Orte des Verzichts gibt, die eine hohe Attraktivität besitzen, wie etwa die autofreie Insel Hiddensee oder das Skiparadies Saas Fee. Interessanterweise suchen wir solche Orte in unserem Urlaub – der sogenannten „schönsten Zeit des Jahres“ – auf, während wir uns für unseren Alltag solche Lebensmodelle nicht vorstellen können. Auch wenn jede Art von Ideologisierung selten ein guter Berater ist und apodiktische Forderungen nach Verzicht bisher wenig Resonanz in der Breite der Gesellschaft gefunden haben, muss man schon die Frage stellen, warum wir über Nahrung aufgenommene überzählige Energie in Fitness-Studios gleichsam „nutzlos“ vernichten oder gesundheitsschädigend in Übergewicht und Fettleibigkeit „einlagern“, anstatt sie „nutzenstiftend“ aufzuzehren, indem wir sie in körperbezogene Mobilität (zu Fuß gehen, Fahrradfahren, gegebenenfalls mit e-Unterstützung beim Pedelec) sinnvoll umzusetzen.
Genauso wenig zielführend werden reine Technologielösungen sein, wenn nicht die Frage der gesellschaftlichen Transition mitgedacht wird. Derzeit wird noch viel zu sehr mit politisch durchsichtigen Zielsetzungen (Schaffung von Arbeitsplätzen) an ausschließlich technischen Lösungen der e-Mobilität geforscht und noch viel zu wenig an deren Einbindung in urbane Mobilitätskonzepte. Gerade die e-Mobilität als Rückgrat der postfossilen Mobilität verlangt nach integrierten Ansätzen von unterschiedlichen Erzeugungsformen regenerativer Energie, über deren Verteilung in intelligenten Energienetzen (smart grids) bis hin zum Umbau unserer heute noch weitgehen von „Autogerechtigkeit“ geprägten Infrastruktur.
Die e-Mobilität-Diskussion hat einen deutlichen Schub in der Entwicklung innovativer Konzepte mit dem Ziel neuer Energieformen, leistungsstarker Akkus oder neuer Ladeinfrastruktur, wie die Idee von Desert-Tec, zur induktiven Übertragung von Energie bewirkt, zu. Allen Projekten gemeinsam ist, dass sie nur integriert und transdisziplinär gedacht werden können.
Die Vielzahl der in jüngster Zeit entwickelten Ideen zu neuen körperkraft- oder e-getriebenen Mobilen zeugt davon, dass der Systemübergang eine anregende Aufbruchstimmung zu erzeugen und innovative Kräfte freizusetzen vermag. Viele neue Mobile sind ein wenig „funky“ und der Markt wird auch hier auf Dauer das von den Verbrauchern „als nützlich“ Eingeschätzte vom Übertriebenen trennen. Von Bedeutung ist, dass in die mobile Entwicklung Bewegung gekommen ist, der sich auch die großen Player und automobilen Akteure nicht mehr entziehen können. Dies ist die Bedingung für tragfähige Lösungen als qualifizierte Antworten auf die neuen Anforderungen einer postfossilen Mobilität.
Neue Mobile und neue Technologie allein, sind jedoch noch kein Garant dafür, dass Verkehrsangebote effektiv funktionieren und von den Menschen angenommen werden. Viele Disziplinen und nicht zuletzt die Stadt- und Verkehrsplanung müssen diese neuen Technologien und Mobile in städtebauliche und verkehrliche Gesamtkonzepte integrieren, wie sie die Anpassung der autogerechten Straßen an die postfossile Mobilität erforderlich machen. Hier ergeben sich eine Fülle neuer Fragestellungen und Aufgaben, wie z. B.
- Wie können die mit regenerativer Energie betriebenen Mobile in ein Gesamtmobilitätskonzept integriert werden?
- Sollen künftig nur noch der Umweltverbund und e-Mobile in die Umweltzone einfahren dürfen?
- Brauchen wir neue Radwegkonzepte oder „Velo-Routen“?
- Wie werden Pedelecs, e-bikes, Segways, Pumas und e-mobile in den Straßenraum integriert?
- Wer baut wo und mit welchen Mitteln die notwendigen Ladestationen?
- Soll bei Fernreisen die alte Vesper-Idee des Transports der e-Mobile in der Bahn vorgenommen werden, oder leihen wir uns am Zielbahnhof besser ein e-Mobil (was dann allerdings eine neue Qualität des Gepäcktransports implizieren würde)?
Diese kurze Aufzählung soll genügen, um zu zeigen, dass der Systemwechsel vielfältige Gestaltungsoptionen eröffnet, die mit den Mobilitätswünschen der Bürger in Einklang gebracht werden müssen. Hierbei setzen wir an der reifen europäischen Stadt an, die sich durch die Energiewende ihrerseits in einen Umstrukturierungsprozess begeben wird.
Bei allen Ideen sollten wir Systembrüche weitgehend zu vermeiden suchen, da die Wirtschaft in hohem Maße von der Automobilindustrie abhängig ist. Neue Ideen müssen auf Weltmarktfähigkeit überprüft werden und Systemübergänge müssen so gestaltet werden, dass es den Menschen im Rahmen ihrer Lebensgestaltung auch möglich ist, neue Wege mitzugehen. Dies setzt klare und verlässliche politische Vorgaben voraus.
Die Diskussion um die postfossile Gesellschaft ist gerade erst eröffnet. Der Systemwechsel von der fossil gestützten zur regenerativen Energieversorgung wird alle Bereiche der Gesellschaft erfassen. Neue Energiegewinnungs- und -verteilungsanlagen werden die Raum- und Stadtstrukturen verändern und neue Anforderungen an die Gestaltung der Mobilitätsangebote und Verkehrsinfrastrukturen stellen.
5 Die zehn Binsenweisheiten der „Postfossilen Mobilität“
Jenseits der großen Konzepte können wir aber alle bereits heute beginnen, an der postfossilen Zukunft mitzuwirken, wenn wir folgende Binsenweisheiten zu Maximen unseres Handelns machen:
- laufen statt fahren
- „sun-fuels“ statt „fossil-fuels“
- mailen statt transportieren
- „public“ statt „indivdual“
- teilen/ leihen statt besitzen
- integrieren statt separieren
- „down-sizen“ statt „up-graden“
- nah statt fern
- vorausschauend statt spontan
- „einen Baum pflanzen“ statt „ein Haus bauen“
Eines ist sicher, wenn wir nicht handeln:
- der bezahlbare Sprit ist endlich und
- die Folgen des Klimawandels werden uns mit Härte treffen.
Dann wird sich die postfossile Gesellschaft zwangsweise einstellen. Ob diese oder eine von Technologen entwickelte postfossile Welt unseren Vorstellungen und Wünschen entspricht, darf getrost bezweifelt werden … oder frei nach Held, Schindler und Würdemann:
Eine „attraktive“ postfossile Mobilität ist keine automatische Folge des Strukturübergangs …
… „es geht darum den Übergang zu gestalten!“ |