FGSV-Nr. FGSV 001/20
Ort Berlin
Datum 13.10.2004
Titel Fahrbahnmarkierungen mit erhöhter Sichtbarkeit bei Nacht und Nässe – Anforderungen und Sachmangelhaftung
Autoren Ass. jur. Dieter John, Dr. rer.nat. Hans-Hubert Meseberg
Kategorien Kongress
Einleitung

Um ihre wichtige Verkehrsführungsfunktion vollständig erfüllen zu können, müssen Fahrbahnmarkierungen jederzeit eindeutig und unzweifelhaft erkennbar sein. Dies erfordert den flächendeckenden Einsatz von Typ II-Markierungen, weil nur sie auch bei Nacht und Nässe ausreichend erkennbar sind. Die in den ZTV M 02 festgelegten verkehrstechnischen Eigenschaften für Typ II-Markierungen gelten für den Neu- und Gebrauchszustand. Sie stellen jedoch keine Beschaffenheits- oder Haltbarkeitsgarantie dar. Das bloße Unterschreiten eines Wertes beweist daher noch keinen Mangel. Nur wenn für die Wertunterschreitung ein Fehler ursächlich war, der der Markierung bereits zum Zeitpunkt der Abnahme irgendwie anhaftete, ist darin ein vom Auftragnehmer zu vertretener Mangel zu sehen. Normaler gebrauchsbedingter Verschleiß ist kein Mangel. Viele der vom Auftragnehmer zu vertretenden Fehler lassen sich nur bei oder unmittelbar nach der Applikation sicher feststellen. Die derzeit gängige Praxis, Markierungen erstmals wenige Tage vor Ablauf der Verjährungsfrist für Sachmangelansprüche zu begutachten bzw. ausschließlich zu messen, sollte aufgegeben werden. Denn zu diesem Zeitpunkt lässt sich kaum noch feststellen, ob eine mögliche Wertunterschreitung vom Auftragnehmer zu vertreten ist oder nur normaler Verschleiß vorliegt. Es sollte verstärkt von den in den ZTV M 02 vorgesehenen Kontrollmechanismen bei der Applikation und an der fertigen Markierung durch fachkundiges Personal oder anerkannte Prüfstellen Gebrauch gemacht werden. Hierfür sollten Hinweise und Checklisten erstellt werden.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Einleitung

Gut sichtbare und somit funktionsfähige Fahrbahnmarkierungen sind für eine sichere und flüssige Verkehrsführung von sehr großer Bedeutung. Gerade bei Dunkelheit und in Bereichen von Straßenarbeitsstellen ist die Verkehrsführungsfunktion von Fahrbahnmarkierungen überdurchschnittlich groß. Der starke Kontrast zu den meist dunkleren Fahrbahndecken bewirkt eine gute Erkennbarkeit der Fahrbahnmarkierungen am Tage. Ihre Nachtsichtbarkeit erhalten sie im Wesentlichen durch Reflexperlen, die in der Oberfläche eingebettet sind und das Scheinwerferlicht überwiegend in die Richtung des Kraftfahrers zurückstrahlen.

Auf Grund der stetig steigenden Verkehrsdichte müssen Fahrbahnmarkierungen heute jederzeit eine kontinuierliche visuelle Führung der Verkehrsteilnehmer gewährleisten und höchsten mechanischen Belastungen standhalten. Insbesondere bei Nacht und Nässe muss die Markierung für den Verkehrsteilnehmer deutlich erkennbar sein, da er wenig andere Möglichkeiten hat, sich über den weiteren Straßenverlauf zu orientieren. Fahrbahnmarkierungen sind Verkehrszeichen im Sinne der §§ 39 ff StVO. Aus diesem Grunde dürfen Fahrbahnmarkierungen den Verkehrsteilnehmer nicht verwirren und müssen von diesem jederzeit durch einen raschen und beiläufigen Blick unzweifelhaft zu erkennen sein. So hat auch der Verkehrsgerichtstag in Goslar im Januar 1999 die Empfehlung ausgesprochen, „dass Verkehrszeichen – also auch Markierungen und Wegweisungen – jederzeit eindeutig und einwandfrei erkennbar sein müssen.“

Aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht sind Fahrbahnmarkierungen das ideale Instrument, um eine kontinuierliche visuelle Führung der Kraftfahrer sicherzustellen. Denn der relativ geringe Preis von Fahrbahnmarkierungen und ihr unbestritten hoher Nutzen machen sie zu einem der effektivsten Gegenstände der Straßenausstattung.

2 Typ II-Systeme mit verbesserter Nachtsichtbarkeit bei Nässe

Fahrbahnmarkierungen werden heute grundsätzlich in zwei Kategorien unterteilt:

  • Herkömmliche Markierungen (Typ I) und
  • Markierungen mit erhöhter Nachtsichtbarkeit bei Nässe (Typ II).

Markierungssysteme vom Typ I

Bis zur Mitte der 80er Jahre waren lediglich Fahrbahnmarkierungen der herkömmlichen Art bekannt. Bei diesen werden die unterschiedlichen Stoffe (Farben, Plastiken) bei der Applikation mit einem Gemisch aus kleinen Glasperlen (Durchmesser weit unter 1 mm) und Griffigkeitsmitteln bestreut oder enthalten diese Komponenten bereits werkseitig (Folien u. sonstige vorgefertigte Markierungszeichen). Bei allen Dickschichtmaterialien (z.B. Plastiken) werden diese Komponenten dem Markierungsstoff zusätzlich beigemischt. Die Problematik aller Typ I-Markierungen war und ist, dass sich bei Feuchtigkeit oder Regen ein Wasserfilm auf der Markierungsoberfläche bildet und dadurch die Retroreflexion extrem herabgesetzt wird (Bild 1). Dieser Nachteil und die damit verbundenen Gefahren für die Verkehrsteilnehmer führten zur Entwicklung von Systemen mit verbesserter Nachtsichtbarkeit bei Nässe.

Bild 1: Prinzip der Retroreflexion

Markierungssysteme vom Typ II

Eine Grundidee verbindet fast alle Typ II-Systeme: Teile der Markierung sind so ausgebildet, dass sie aus der flachen Oberfläche der Markierung – und somit auch aus dem Wasserfilm – deutlich herausragen. Die bei der Typ I-Markierung bei Nässe nicht zu verhindernde spiegelnde Reflexion an der Oberfläche wird dadurch zumindest teilweise vermieden und die Sichtbarkeit auch bei Regen entscheidend verbessert. Dies ist auch der Grund dafür, weshalb Typ II-Markierungen nur aufgelegt und nicht in die Fahrbahnoberfläche eingelegt werden sollten.

Gerade für die Funktionen einer Typ II-Markierung (erhöhte Nachtsichtbarkeit auch bei Nässe und Regen) sind die bei der Verlegung nachgestreuten oder teilweise bereits im Markierungsstoff enthaltenen Reflexperlen von herausragender Bedeutung. Nach den ZTV M 02 werden Typ II-Systeme wie folgt definiert:

Fahrbahnmarkierungen des Typs II unterscheiden sich von Markierungen des Typs I dadurch, dass Teile der Markierung so ausgebildet sind, dass sie aus der flachen Oberfläche der Markierung herausragen. Auch Typ II-Markierungen müssen vollflächig ausgefüllt sein. Auch eine aus Einzelteilen bestehende Markierung gilt als vollflächig ausgefüllt, wenn sie aus der Perspektive eines Lkw-Fahrers (mittlere Augenhöhe 2,20 m) bei 30 m Beobachtungsentfernung vollflächig gesehen wird.

Die Typ II-Systeme können nach dem gegenwärtigen Stand der Technik folgendermaßen klassifiziert werden:

  • Glattstrichsysteme mit groben Nachstreumitteln

Die Nachtsichtbarkeit bei Nässe wird bei diesem System durch den Einsatz von großen Reflexperlen erreicht, die bei Nässe aus dem Wasserfilm herausragen. Bei einer starken Verkehrsbelastung oder mechanischen Einwirkungen werden die großen Glasperlen oftmals zerstört oder aus dem Markierungsstoff herausgerissen (Bild 2).

Bild 2: Typ II-System mit groben Nachstreumitteln

Die richtige Einbettung der nachgestreuten Reflexperlen ist daher bei diesem System von großer Bedeutung. Das Bild 3 zeigt eine Markierung mit viel zu gering eingebetteten Perlen, die sich schnell vom Markierungsstoff ablösen werden.

Bild 3: Markierung mit viel zu gering eingebetteten Perlen

Bei dickschichtigen Systemen sind bereits im Markierungsstoff Reflexperlen enthalten wie im Bild 4 deutlich zu sehen ist. Durch den Abrieb werden immer wieder neue Reflexperlen freigesetzt, die eine langanhaltende Retroreflexion sicherstellen. Dünnschichtige Systeme werden hingegen nur mit Reflexperlen abgestreut. Sind diese verschlissen, findet keine Retroreflexion mehr statt.

Bild 4: Dickschichtiges System mit eingebetteten Reflexperlen

  • Strukturierte Markierungen Markierungen mit groben Inhaltsstoffen

    Die Nachtsichtbarkeit bei Nässe wird bei den beiden Systemen (Bilder 5 und 6) durch die Erhebungen im Markierungsstoff selbst erreicht.

Bild 5: Strukturierte Typ II-Markierung

Bild 6: Typ II-Markierung mit groben Inhaltsstoffen

  • Agglomeratmarkierungen

    Bei diesem System wird der Markierungsstoff nicht vollflächig auf die Fahrbahn appliziert. Eine entsprechende Unterlegung ist jedoch möglich. Das Regenwasser kann durch die Lücken gut ablaufen und die erhabenen Teile ragen aus dem Wasserfilm heraus. Durch die großen Erhöhungen (bis zu 7 mm) kann auf den Einsatz von großen Reflexperlen verzichtet werden. Wichtig ist, dass sich auch im Markierungsstoff selbst Reflexperlen befinden müssen und diese nicht nur nachgestreut werden (Bild 7).

Bild 7: Agglomeratmarkierung

  • Profilierte Markierungen

    Profilierte Markierungen (Bild 8) besitzen eine akustische und haptische Warnwirkung. Beim Überfahren hört der Kraftfahrer ein lautes Geräusch. Profilierte Markierungen eignen sich auf Grund ihrer Warnwirkung insbesondere für den Einsatz am Fahrbahnrand. Wegen der Geräuschentwicklung sollten sie jedoch nicht in bebauten Gebieten eingesetzt werden.

Bild 8: Profilierte Typ II-Markierung

Im Bild 9 ist deutlich zu sehen, dass die hohen Stege aus dem Wasserfilm herausragen und dadurch die Markierung auch bei Nacht und Nässe sichtbar ist. Je nach geometrischer Anordnung der Stege werden diese allerdings mehr oder weniger vom Schneepflug zerstört.

Bild 9: Profilierte Markierung bei Nacht und Nässe während der Beregnung durch den „Regensimulator“ der BASt

3 Einsatzgebiete von Typ II-Markierungen

Grundsätzlich sollten auf allen Straßen (inner- und außerorts) nur noch Markierungssysteme vom Typ II, also mit verbesserter Nachtsichtbarkeit bei Nässe, eingesetzt werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Markierungszeichen auch bei ungünstigen Witterungsbedingungen sichtbar sind. Da dies leider derzeit aus finanziellen Gründen vielfach nicht möglich ist, wird im Abschnitt 4.2 der ZTV M 02 folgende Empfehlung gegeben:

Markierungssysteme des Typs II sollen vorzugsweise dort vorgesehen werden, wo zur Erhöhung der Verkehrssicherheit eine ausreichende visuelle Führung auch bei Dunkelheit und Nässe gewährleistet sein muss. Dabei sind zu kurze Abschnitte zu vermeiden und längere Abschnitte (z.B. Strecken zwischen zwei Knotenpunkten) zu bevorzugen. Mögliche Anwendungsbereiche sind:

  • Alle Markierungen auf mehrbahnigen Straßen
  • Markierungen auf einbahnigen Straßen im Bereich von
    • Knotenpunkten außerorts
    • durchgehenden Doppellinien
    • Kuppen und Kurven
    • Warnlinien
    • Umrandungen von Sperrflächen
    • Fahrstreifenbegrenzungen bei ungenügender Überholsichtweite sowie vor Fahrbahnteilern
    • Fahrbahnbegrenzungen in kritischen Fällen (Fahrbahnverschwenkungen, Verengungen, Einziehung von Fahrstreifen).

Der Einsatz von Markierungssystemen des Typs II empfiehlt sich außerdem in Baumalleen und im Bereich von Unfallschwerpunkten...

Empfehlungen darüber, welche der verschiedenen Typ II-Systeme wo eingesetzt werden sollten, können der Tabelle 1 entnommen werden.

Tabelle 1: Empfohlene Einsatzgebiete der jeweiligen Typ II-Systeme

4 Anforderungen und Sachmangelhaftung

Die Anforderungen (verkehrstechnische Eigenschaften) an weiße Fahrbahnmarkierungen sind in den ZTV M 02 festgelegt und können der Tabelle 2 entnommen werden.

Tabelle 2: Anforderungen an weiße Fahrbahnmarkierungen gemäß ZTV M 02

Oftmals strittig ist derzeit zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern, für welchen genauen Zeitraum die in den ZTV M 02 festgelegten Anforderungen gelten und ob bereits das bloße Unterschreiten eines Wertes vor Ablauf der Verjährungsfrist für die Sachmangelhaftung im Sinne einer Haltbarkeitsgarantie einen Mangel darstellt.

Den ZTV M 02 kann an keiner Stelle entnommen werden, dass zwischen den Vertragsparteien eine Beschaffenheits- bzw. Haltbarkeitsgarantie vereinbart wird. Für das Vorliegen einer Garantie fehlt es somit bereits an der hierfür erforderlichen eindeutigen Garantieerklärung. Die ZTV M 02 basieren vielmehr auf dem normalen, gesetzlich geregelten Gewährleistungs- bzw. Sachmangelrecht. Im Abschnitt 9 der ZTV M 02 sind ausdrücklich Gewährleistungsfristen und keine Garantiefristen festgelegt worden. Ferner ist in den ZTV M 02 oftmals das Wort „Gewährleistung“ zu lesen, aber nirgendwo das Wort „Garantie“. Als Zwischenergebnis lässt sich also festhalten, dass die in den ZTV M 02 festgelegten Anforderungen keine zugesicherten Eigenschaften im Sinne einer Beschaffenheits- und Haltbarkeitsgarantie sind.

Da bei Markierungsarbeiten zumindest bei Verträgen mit der „öffentlichen Hand“ regelmäßig die VOB Teil B zur Vertragsgrundlage gemacht wird, ist für die Frage, ob ein Sachmangel vorliegt oder nicht, die Bestimmung des § 13 Nr. 1 VOB/B einschlägig. Nach dieser Vorschrift hat der Auftragnehmer (also hier das Markierungsunternehmen) dem Auftraggeber seine Leistung (die Markierung) zum Zeitpunkt der Abnahme frei von Sachmängeln zu verschaffen. Die Leistung (Markierung) ist zum Zeitpunkt der Abnahme frei von Sachmängeln, wenn sie die (in den ZTV M 02) vereinbarte Beschaffenheit hat und den anerkannten Regeln der Technik entspricht.

Für die Frage, ob ein Sachmangel vorliegt oder nicht, kommt es also entscheidend auf den Zeitpunkt der Abnahme an. Zum Zeitpunkt der Abnahme muss der Markierung also ein Fehler anhaften, um die Sachmangelhaftung des Applikateurs auszulösen, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Fehler sofort erkennbar oder nicht erkennbar war. Der Fehler muss zum Zeitpunkt der Abnahme – zumindest im Keim – bereits vorhanden gewesen sein, also z.B. ein bei der Abnahme noch nicht erkennbarer Applikationsfehler oder ein falsches oder fehlerhaftes Nachstreumittel bzw. ein sonstiger Materialfehler. Für Einflüsse, die erst nach der Abnahme ursächlich einen Fehler an der Markierung herbeiführen, kann der Verleger – im Gegensatz zur uneingeschränkten Haltbarkeitsgarantie – bei der gesetzlichen Sachmangelhaftung nicht verantwortlich gemacht werden. Das Schema des Bildes 10 verdeutlicht diesen Unterschied.

Bild 10: Sachmangelhaftung/Haltbarkeitsgarantie

Das heißt jedoch nicht, dass die in den ZTV M 02 festgelegten Anforderungen nur Anforderungen des Neuzustandes sind und unmittelbar nach der Abnahme – egal aus welchem Grund – im freien Fall unter die vorgegebenen Werte absinken dürfen. In den ZTV M 02 wurde ganz bewusst auf eine Unterscheidung zwischen Anforderungen im Neuzustand und Anforderungen im Gebrauchszustand – wie noch in den ZTV-M 84 – verzichtet. Die im Abschnitt 3 der ZTV M 02 festgelegten Anforderungen an weiße Fahrbahnmarkierungen gelten für den Neuzustand und auch für den Gebrauchszustand. So ist im Abschnitt 3.1 (Allgemeines) der ZTV M 02 ausdrücklich festgelegt worden, dass die verkehrstechnischen und andere Anforderungen für den gesamten Zeitraum von der Abnahme bis zum Ende der Gewährleistung gelten, ohne dass hier jedoch konkrete Werte benannt werden. Ferner ist im Abschnitt 6.1.6 (Prüfungen vor Ablauf der Gewährleistung) als Richtlinientext festgeschrieben worden, dass sich die Anforderungen bei den Prüfungen nach den Abschnitten 3.3 bis 3.6 und 3.8 richten. Das belegt, dass die in den ZTV M 02 festgelegten Werte nicht nur für den Neuzustand maßgeblich sind, sondern eben auch für den Gebrauchszustand. Allerdings nicht – wie bereits dargestellt und leider vielfach falsch verstanden – im Sinne einer Haltbarkeitsgarantie, sondern im Rahmen des gesetzlichen Sachmangelrechtes, auf der Grundlage der VOB Teil B. Das Unterschreiten eines in den ZTV M 02 festgelegten verkehrstechnischen Wertes stellt nach der Abnahme also nur dann einen Sachmangel dar, wenn der hierfür ursächliche Fehler der Markierung bereits zum Zeitpunkt der Abnahme irgendwie (und sei es auch nur im Keim) anhaftet.

Daraus ergibt sich im Umkehrschluss als weiteres Zwischenergebnis, dass das bloße Unterschreiten eines der im Abschnitt 3 der ZTV M 02 festgelegten verkehrstechnischen Wertes, für sich allein genommen, noch keinen Sachmangel darstellt oder beweist. Diesem Umstand wird auch im Allgemeinen Rundschreiben Straßenbau ARS Nr. 23/2004 (Erläuterungen zu den ZTV M 02) des BMVBW vom 5. Oktober 2004 Rechnung getragen. Dort heißt es als Erläuterung zu Abschnitt 6.1.6 „Prüfungen vor Ablauf der Gewährleistung“: „Dabei ist der übliche Verschleiß angemessen zu berücksichtigen“.

Diese Sichtweise des BMVBW ist nicht neu; bereits im RS Nr. 174 des BMVBW vom 2. September 2003 bezüglich der in den ZTV Asphalt-StB 01 und ZTV Beton-StB 01 festgelegten Griffigkeitswerte bei Ablauf der Gewährleistungsfrist wird u. a. ausgeführt, dass ein Unterschreiten dieser festgelegten Griffigkeitswerte noch keinen Mangel beweist. Ferner führt das BMVBW im ARS 23/2004 zu den ZTV M 02 aus, dass bei der Verfolgung von Sachmängeln die Hinweise zur VOB, Ausgabe 2002 zu § 13 Nr. 1 VOB/B letzter Absatz, zu beachten sind. In diesen Hinweisen wird ausgeführt, dass normaler gebrauchsbedingter Verschleiß kein Mangel ist.

Aus alledem ergibt sich im Ergebnis Folgendes:

Wird bereits bei der Abnahme festgestellt, dass eine in den ZTV M 02 festgelegte Anforderung an der zu beurteilenden Markierung fehlt bzw. nicht erreicht wurde, so hat der Auftragnehmer regelmäßig seinen Bauvertrag nicht vollständig erfüllt und ist zur Nachbesserung verpflichtet oder muss ggf. – je nach Einzelfall – eine Minderung akzeptieren.

Wird nach der Abnahme und vor Ablauf der Verjährungsfrist für die Geltendmachung von Sachmängelansprüchen festgestellt, dass ein in den ZTV M 02 festgelegter Wert für die verkehrstechnischen Eigenschaften der Markierung – z.B. Nachtsichtbarkeit – unterschritten wird, dann steht damit noch nicht fest, dass zwingend auch ein vom Auftragnehmer zu vertretener Sachmangel vorliegt. Nur wenn die Ursache hierfür bereits zum Zeitpunkt der Abnahme vorlag bzw. der Markierung – wenn auch nur im Keim – anhaftete (z.B. nicht richtig eingebettete Reflexperlen oder Verwendung falscher Nachstreumittel oder nicht richtig silanisierte Reflexperlen bzw. sonstige Material- oder Applikationsfehler), liegt ein Sachmangel vor. Ist dies nicht der Fall, ist also die Unterschreitung des Wertes nicht auf einen Fehler zurückzuführen, welcher der Markierung bereits irgendwie zum Zeitpunkt der Abnahme anhaftete, so ist in der Unterschreitung des Wertes auch kein vom Auftragnehmer zu vertretener Sachmangel zu sehen. Verschleiß und Abnutzung durch vertragsgemäßen Gebrauch stellen bei mangelfrei hergestellten Markierungen grundsätzlich keinen Sachmangel dar.

Es muss allerdings hinzugefügt werden, dass die Mehrheit der Vertreter der Bundesländer in den einschlägigen Fachgremien die hier vorgetragene Argumentation nicht ohne weiteres akzeptiert. Man ist nach wie vor der Auffassung, dass die Mindestwerte der ZTV M 02 vom Auftrag-nehmer bis zum Ablauf der Gewährleistungsfrist zu garantieren sind. Dafür werden weniger Schadensersatz- als vielmehr Verkehrssicherheitsgründe angeführt: Man hätte sich von Seiten der Bundesländer nicht auf die Mindestwerte der ZTV M 02 festgelegt, wenn man gewusst hätte, dass bei diesen Werten bei Prüfungen vor Ende der Gewährleistungsfrist noch ein gewisser Abschlag wegen des üblichen Verschleißes zu berücksichtigen sei.

Die Abgrenzung zwischen normalem, vom Auftragnehmer nicht zu verhinderndem Verschleiß oder sogar einem außergewöhnlichen bzw. unsachgemäßen Gebrauch einerseits und einem vom Auftragnehmer zu vertretenen Sachmangel andererseits wird mit fortschreitender Liegedauer der Markierung immer schwieriger. Vielfach ist zu beobachten, dass die Markierungen durch den Auftraggeber erst kurz vor Ablauf der Verjährungsfristen für Sachmängelansprüche erstmals eingehend begutachtet werden. Dann ist allerdings kaum noch festzustellen, ob ein vom Auftragnehmer zu vertretender Sachmangel oder normaler gebrauchsbedingter Verschleiß oder Fremdursachen für ein mögliches Unterschreiten der in den ZTV M 02 vorgegebenen verkehrstechnischen Eigenschaften verantwortlich ist. Streitigkeiten zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer sind in diesen Fällen vorprogrammiert. Von den in den ZTV M 02 vorgesehenen Kontrollmechanismen unmittelbar vor oder nach der Abnahme der Markierungsleistung wird hingegen nur selten Gebrauch gemacht. So werden dringend erforderliche Kontrollprüfungen während der Applikation nach Abschnitt 6.1.3.2. und Kontrollprüfungen an der fertigen Markierung vor der Abnahme nach Abschnitt 6.1.3.3. sowie Mustergleichheitsprüfungen nach Abschnitt 6.1.3.4. und auch Eigenüberwachungsprüfungen an der fertigen Leistung (Fremdüberwachungen durch ein von der BASt anerkanntes Prüfinstitut) nach Abschnitt der ZTV M 02 viel zu selten durchgeführt. Aber gerade und nur bei der Kontrollprüfung während der Applikation lassen sich fast alle vom Auftragnehmer zu vertretenden Fehler feststellen, sofern die Prüfungen durch fachkundiges Personal durchgeführt werden. Die später immer schwerer werdende Abgrenzung zum Verschleiß bzw. zum unsachgemäßen Gebrauch entfällt zu diesem frühen Zeitpunkt völlig. Nur im relativen Neuzustand der Markierung können die vom Verleger zu vertretenen Ursachen beweissichernd festgehalten werden.

Auch wenn die in den ZTV M 02 festgelegten verkehrstechnischen Eigenschaften im Neuzustand regelmäßig noch vorhanden sein werden, so ist die Feststellung bei der Durchführung einer Kontrollprüfung während der Applikation, dass z.B. die Nachstreumittel nicht richtig eingebettet oder nur ungleichmäßig verteilt sind, ein kaum noch zu erschütternder Anscheinsbeweis dafür, dass ein eventuell späteres Unterschreiten des Wertes für die Nachtsichtbarkeit, auf diese vom Auftragnehmer zu vertretende Ursache zurückzuführen ist. Wurde diese Feststellung jedoch nicht getroffen, sondern die Markierung erst unmittelbar vor Ablauf der Verjährungsfrist für die Sachmangelhaftung erstmals begutachtet, so fehlt dieser wichtige Anscheinsbeweis. Dem Auftraggeber wird es dann sehr schwerfallen nachzuweisen, dass der Auftragnehmer die Unterschreitung der Mindestwerte der ZTV M 02 verursacht hat. Es ist wichtig, dass die Auftraggeberseite umfangreiche Messungen nicht erst kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist durchführt, sondern bereits unmittelbar vor bzw. bei und nach der Abnahme der Markierungsleistung eine Begutachtung durchführt. Dies wird umso deutlicher, wenn man sich die typischen Fehler, die zum Versagen – insbesondere von Typ II Markierungssystemen – führen, in der Tabelle 3 ansieht.

Tabelle 3: Häufige Fehlerquellen bei Markierungen

Sechs der in der Tabelle 3 beschriebenen Fehler lassen sich nur unmittelbar bei bzw. nach der Applikation feststellen. Mit fortschreitender Liegedauer sind diese Fehler kaum noch feststellbar bzw. nachweisbar, wie das Schema im Bild 11 verdeutlicht.

Bild 11: Zeitpunkt der Prüfungen

7 Konsequenzen

Die im ARS 23/2004 formulierte Forderung des BMVBW, bei Prüfungen vor Ablauf der Gewährleistung den angemessenen Verschleiß zu berücksichtigen, stößt in der Praxis auf große Schwierigkeiten, da derzeit nicht bekannt ist, welche Verschleißgrade in Abhängigkeit der ver-schiedenen Einflussgrößen (verwendetes Markierungssystem, Straßenart, Lage im Querschnitt, DTV, Unterlage) zu erwarten sind. Deshalb hat das BMVBW die Bundesländer gebeten, der BASt alle Ergebnisse von Kontrollprüfungen zur Verfügung zu stellen, damit versucht werden kann, diese Verschleißgrade zu ermitteln. Andererseits denken die Bundesländer daran, die ZTV M 02 mit dem Ziel überarbeiten zu lassen, dort höhere Mindestwerte zu vereinbaren, damit bei Berücksichtigung des angemessenen Verschleißes wenigstens die heutigen ZTV M-Mindestwerte der ZTV M 02 als Entscheidungskriterium für zu vermutende Material- bzw. Applikationsfehler herangezogen werden können.

8 Ergebnis

  • Die in den ZTV M 02 festgelegten verkehrstechnischen Eigenschaften von Fahrbahnmarkierungen sind nicht als Beschaffenheits- oder Haltbarkeitsgarantie zu verstehen. Sie gelten, im Rahmen der normalen gesetzlichen Sachmangelhaftung des Auftragnehmers, für den Neu- und Gebrauchszustand.
  • Das bloße Unterschreiten eines in den ZTV M 02 festgelegten verkehrstechnischen Wertes (z.B. Nachtsichtbarkeit) – nach der Abnahme und vor Ablauf der Verjährungsfrist – stellt für sich allein genommen noch keinen Sachmangel dar.
  • Gebrauchsbedingter Verschleiß ist kein Mangel.
  • Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob eine Fahrbahnmarkierung den vertraglichen Anforderungen entspricht die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit aufweist, ist deren Abnahme.
  • Eine sachgerechte und vollständige Qualitätsbeurteilung der Fahrbahnmarkierung lässt sich nur unmittelbar während oder nach deren Applikation durchführen und wird immer schwieriger, je mehr sich der Kontrollzeitpunkt dem Ablauf der Gewährleistungsfrist nähert.
  • Das ausschließliche Messen der verkehrstechnischen Eigenschaften von Markierungen unmittelbar vor Ablauf der Verjährungsfrist für die Sachmangelhaftung führt nicht zu einer Qualitätsverbesserung der Markierungen, sondern nur zu Streitigkeiten zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer
  • Folgende Maßnahmen sollten zur Qualitätsverbesserung neuer Markierungen umgesetzt werden:
    • Verstärkte Schulungen des Personals.
    • Einführung einer definierten Praxisbewährungsprüfung als Ergänzung zur Laborprüfung der BASt auf der Rundlaufprüfanlage.
    • Schnelle Herausgabe der Freigabeliste.
    • Nicht tragfähige Altmarkierungen müssen vor einer Neuapplikation entfernt werden. Die Entwicklung geeigneter Haftabzugsprüfungen für Markierungen und die Festlegung entsprechender Werte sollte durchgeführt werden.
    • Zwingende Durchführung von Mustergleichheitsprüfungen bei richtiger Probenentnahme aus der Maschine.
    • Die Durchführung von Kontrollprüfungen während der Applikation und Kontrollprüfungen der fertigen Markierung nach den Ziffern 1.3.2 und 6.1.3.3 der ZTV M 02 durch fachlich geschultes Personal oder anerkannte Prüfstellen muss erheblich verstärkt werden. Dabei sollten Probebleche und ggf. Referenzstrecken für den späteren Qualitätsvergleich angelegt werden. Zur Vereinfachung sollten Hinweise und Checklisten für die Durchführung dieser Prüfungen erarbeitet werden.
    • Bei der Eigenüberwachung an der fertigen Leistung (Fremdüberwachung) durch eine von der BASt anerkannte Prüfstelle sollten die gemessenen relativen Neuzustandswerte mit den Neuwerten bei der Eignungsprüfung des verlegten Systems verglichen und vom Prüfer – unter Berücksichtigung der jeweiligen örtlichen Begebenheiten und aller Umstände des Einzelfalls – beurteilt werden.
    • Unter Berücksichtigung der Weiterentwicklung der Markierungssysteme und Markiertechniken sowie der Anerkennung eines angemessen Verschleißes sollten die ZTV M 02 überarbeitet werden. Die vorstehenden Ausführungen sollten dabei beachtet werden.