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Automatische Detektion von Straßenbäumen in Laserpunktwolken
Von Dr. Dietmar Berthold
Dietmar Berthold ist promovierter Mathematiker und seit 2001 bei der LEHMANN + PARTNER GmbH Ingenieurgesellschaft für Straßeninformationen Erfurt in leitender Funktion in den Bereichen Entwicklung, Technologie und SIB-Datenmanagement tätig. Das Unternehmen bietet Produkte und Dienstleistungen für die Erfassung, Bewertung und das Management von Straßeninformationen an und ist sowohl im überörtlichen Netz als auch in kommunalen Straßennetzen tätig. Herr Dr. Berthold war Beiratsmitglied des KIM-STRASSE e.V.
Eine gute und exakte Bestandsdatendokumentation ist eine wesentliche Grundlage für Entscheidungen zur Unterhaltung, Instandsetzung und zum Um- und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. In den letzten Jahren wurden die Geodaten in der Regel manuell erhoben. Setzt man zur Datenerhebung Laserscanner auf Mobile Mapping Systemen ein, entstehen Punktwolken, die ein sehr detailliertes dreidimensionales Abbild der Straße und deren Umfeld erzeugen. Der OKSTRA für den Bereich Bestandsdaten und die ihm zu Grunde liegenden Regelwerke der ASB haben jedoch eine weitgehend generalisierte Sichtweise auf die Straße und fokussieren – wie auch schon durch den Namen Objektkatalog ausgedrückt – auf Straßenobjekte als funktionale Einheiten.
Kinematisch erzeugte Punktwolken haben oftmals gigantische Ausmaße, was deren Auswertung – also die Extraktion der benötigten OKSTRA-Objekte – sehr aufwendig werden lässt. Auch wenn es für einen Menschen beim Anblick eines Ausschnittes einer Punktwolke ein Leichtes ist, Strukturen und Gegenstände der realen Welt zu erkennen, ist es nach heutigem Stand der Technik noch immer eine sehr anspruchsvolle und auch schwierige Aufgabe, dies algorithmisch durch Computer zu lösen.
Abb. 1: Visuelle Darstellung einer Punktwolke
Daher werden Punktwolken in den meisten Fällen visuell begutachtet und Objekte werden manuell ausgemessen. Sofern eine Auswertung nicht nur punktuell benötigt wird (Bsp.: Durchfahrtshöhen von Einzelbauwerken) sondern netzweit, steht die dafür benötigte lange Zeit für die Auswertung in keinem günstigen Verhältnis zur sehr viel schnelleren örtlichen Befahrung.
Die LEHMANN + PARTNER GmbH untersucht derzeit in Zusammenarbeit mit dem Department of Geoscience & Remote Sensing der niederländischen TU Delft ein Verfahren, Positionen und Aufmaße von Straßenbäumen weitgehend automatisiert aus kinematisch erfassten Laserscannerpunktwolken zu gewinnen. Dies geschieht im Rahmen eines Pilotprojektes im Auftrag der LISt Gesellschaft für Verkehrswesen und ingenieurtechnische Dienstleistungen mbH und mit freundlicher Unterstützung durch das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Die ersten Ergebnisse liegen vor und zeigen erfolgversprechende Resultate und weisen auch akzeptable Verarbeitungszeiten auf.
Aufgabenstellung
Im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht hat der Träger der Straßenbaulast die Verkehrsteilnehmer vor Gefahren zu schützen, die von dem Straßengrundstück ausgehen. Bäume im Zuge von Straßen können im Einzelfall solche Gefahrenquellen darstellen. Für den Träger der Straßenbaulast ist daher die Kenntnis seines Baumbestandes wichtig. Darunter fällt insbesondere die Frage, ob sich ein bestimmter Baum auf dem Straßengrundstück befindet oder außerhalb oder auch, ob ein entfernt stehender Baum bei einem möglichen Bruch (Sturmschaden) den Straßenverkehr beeinträchtigen würde.
Neben diesem sicherheitsrelevanten Aspekt sind Kenntnisse über den Bestand an straßenbegleitenden Bäumen für den Träger der Straßenbaulast auch von hoher Bedeutung für die Pflege und Unterhaltung des Straßenbegleitgrüns und für den Aufbau bzw. die Laufendhaltung eines Baumkatasters. Eine genaue Bestandsdokumentation ist für die monetäre Bewertung der Pflege- und Unterhaltungsarbeiten, die oftmals extern vergeben werden, eine wesentliche Grundlage.
Wichtige Basiskenngrößen eines jeden Baumes sind:
- der Baumstandort in geografischen Koordinaten,
- der Brusthöhendurchmesser (BHD),
- der Kronendurchmesser,
- die Baumhöhe.
Für Aufbau und Pflege eines aussagefähigen Baumkatasters sind natürlich viele weitere Baummerkmale (Baumart, Zustand, Pflegemaßnahmen) von Interesse. Der Baum als OKSTRA-Objekt ist mit seinen möglichen Attributen im Paket S_Oekologie im Detail beschrieben.
Der Fokus im Pilotprojekt liegt auf der Bestimmung von Koordinaten und Aufmaßen sowie auf der Wirtschaftlichkeit des Gesamtprozesses für Erhebung und Verarbeitung der Laserpunktwolken. Um eine ausreichend große Datengrundlage zu haben, wurden für das Pilotprojekt etwa 50 km Bundes- und Staatsstraßen in Sachsen in beiden Richtungen befahren. Die ausgewählten Strecken wiesen bzgl. des Baumbestandes verschiedene Charakteristiken auf (Einzelbäume in Ortsdurchfahrten und auf freier Strecke, Alleen, Waldstrecken).
Befahrung
Für die Erfassung der Laserpunktwolken wurde ein Mobile-Mapping-Fahrzeug der LEHMANN + PARTNER GmbH eingesetzt, welches über moderne Laserscannertechnologie (Clearance Profile Scanner - CPS) und ein hochgenaues APPLANIX-Positionierungssystem verfügt.
Der Clearance Profile Scanner (Abb. 2) wurde in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut IPM Freiburg speziell für schnell fahrende Messfahrzeuge entwickelt. Er arbeitet nach dem Phasenvergleichsverfahren für die Längenmessung und hat Laserklasse 1 (augensicher). Die Auslenkung des Laserstrahls in Querrichtung erfolgt durch einen rotierenden Spiegel. Durch die Bewegung des Fahrzeuges in Längsrichtung entsteht ein dreidimensionales Abbild. Der Scanner arbeitet mit Frequenzen zwischen 10 und 200 Hz. Für jeden einzelnen 3D-Messpunkt wird zusätzlich die Reflexivität erfasst (Intensitätswert i, auch als Graustufe interpretierbar). Jeder Punkt hat somit die vier Messwerte x, y, z, und i. Die Punktwolke kann als dreidimensionales Graustufenbild aufgefasst werden (siehe Abb. 1 und 3).
Abb. 2: CP-Scanner (Fraunhofer)
Die wesentlichen Spezifikationen des Gesamtsystems sind:
- Erfassung von bis zu 2 Mio. Punkten je Sekunde
- Erfassungswinkel: 350°
- Breite des Korridors: 60 m, jeweils 30 m nach links und rechts
- relative Genauigkeit der Einzelpunkte: 4 mm
- absolute Lagegenauigkeit der Punktwolke: ca. 15 cm (mit Passpunkten sogar 2 cm)
Die relative Koordinate jedes einzelnen Messpunktes in Bezug zum Fahrzeug wird aus der gemessenen Distanz und dem Winkel des Spiegels ermittelt. Zusammen mit der vom Positionierungssystem gelieferten Fahrzeugkoordinate und den hochpräzisen Lagewinkeln (Roll, Pitch und Heading) ergibt sich für jeden einzelnen Laserpunkt eine 3D-Georeferenzierung. In einem Postprozessingschritt werden die Positionierungsdaten noch mittels SAPOS-Korrekturdaten verbessert, so dass sich die hohe Lagegenauigkeit der Punktwolke ergibt.
Abb. 3: Darstellung eines Ausschnittes der Laserpunktwolke in CloudCompare
Im Ergebnis aller Messfahrten (100 km), die alle innerhalb eines Tages stattfanden, lagen Punktwolken mit insgesamt etwa 6 Mrd. 3D-Messpunkten vor. Dies entsprach etwa 120 GByte Laserscannerrohdaten in einem proprietären Binärformat bzw. 243 GByte im ASCII-xyzi-Format. Für eine bessere Handhabbarkeit aufgeteilt in Teilabschnitte, standen schließlich ca. 10.00 xyzi-Dateien bereit, die jeweils die Laserpunkte von 10 m Strecke enthielten.
Abb. 4: Ausschnitt einer xyzi-Datei
Verarbeitung
Methoden, um Punktwolken algorithmisch mit der Zielstellung zu verarbeiten, bestimmte Strukturen oder Objekte zu detektieren, sind in den letzten Jahren verstärkt entwickelt worden. Die Verfahren betreffen aber noch oft wissenschaftliche Fallstudien oder sie sind begrenzt auf stationär erzeugte Punktwolken oder auf die Erkennung einfacher Strukturen (Kanten). Anwendungen, die sich speziell den Herausforderungen ausgedehnter, kinematisch erhobener Laserpunktwolken annehmen und die Detektion von Objekten, die in sehr verschiedener Ausprägung auftreten können, sind noch nicht weit verbreitet.
Mit dem Department of Geoscience & Remote Sensing der niederländischen TU Delft wurde ein Forschungspartner gefunden, der hierzu schon über einschlägige Erfahrungen und Softwarelösungen verfügte. Die Open Source Software wurde teilweise im Rahmen des EU-Projektes IQ-mulus (FP7-ICT-2011-318787) entwickelt und gefördert. Die bestehenden Algorithmen sind im Zuge der gemeinsamen Arbeit durch den Forschungspartner in den vergangenen Monaten im Hinblick auf die hier relevanten Fragestellungen ergänzt und optimiert worden. Ausgehend von den Daten im xyzi-Format (10-m-Teilabschnitte) wurde eine Verarbeitungskette erstellt, die geometrische Extraktionsmethoden verwendet, um die Positionen und Aufmaße der Bäume zu berechnen. Der Gesamtprozess besteht aus folgenden Schritten. Der Ablauf kann durch verschiedene Parameter beeinflusst werden.
Abb. 5: Verfahrensschritte
Im ersten Schritt werden die Eingangsdateien durch Voxelbildung1 in ihrer Größe reduziert. Das heißt, auf Basis der gewählten Voxelgröße (Eingabeparameter) wird ein 3D-Gitter über die Szene gelegt und die enthaltenen Messpunkte im jeweiligen Schwerpunkt konzentriert (Downsampling). Ferner werden die 10-m-Teilabschnitte der Punktwolke für die nächsten Verarbeitungsschritte zu größeren Einheiten zusammengefasst (Retiling).
Der Klassifikationsschritt teilt die Voxel in "Baum" und "Nicht-Baum" ein. Kriterien dafür sind u.a. Anzahl und Maximalwert der jeweils übereinander liegenden Voxel. Um Fehlklassifikationen zu verringern ist eine Mindestbaumhöhe als Eingabeparameter anzugeben (siehe Abb. 7).
Im Separationsschritt wird die Gesamtheit der ermittelten Baumvoxel einzelnen Bäumen zugeordnet. Auf Basis von lokalen Höhenmaxima der "Voxelwolke", der vorzugebenden minimalen Kronenbreite und unter Verwendung von Octrees2 werden die Baumvoxel geclustert. War die Separation erfolgreich, entspricht ein Cluster genau einem Einzelbaum (siehe Abb. 8). Der Erfolgsgrad der Separation wird von der Software durch ein extern auswertbares Flag angegeben.
Abb. 6: Baum in Voxeldarstellung
1 Voxel - Kunstwort aus volume + pixel, kleinstes Element in digitalen 3D-Darstellungen, vglb. mit Pixel in 2D.
2 Octrees sind Datenstrukturen, mit denen man dreidimensionale Datensätze hierarchisch untergliedern kann.
Abb. 7: Klassifikationsschritt
Abb. 8: Separationsschritt
Für die finalen Berechnungen werden den Clustern wieder die Original-Laserpunkte zugeordnet. Um jedes Cluster wird eine Bounding Box (kleinster umschließender Quader, in Abb. 8 angedeutet) gelegt. Daraus ergeben sich Kronenbreite und Baumhöhe. Mit den mathematischen Methoden Histogramm-Analyse und Hauptachsentransformation wird in jedem Cluster noch der Baumstamm von der Baumkrone separiert. Somit lassen sich die Standortkoordinate (auch bei Schiefstand) und der Brusthöhendurchmesser des Stammes ermitteln.
Ergebnisse
Das beschriebene Verfahren ist erst im Laufe der letzten Monate entwickelt worden und befindet sich noch in der erweiterten Testphase. Aktuell liegen aber schon erste erfolgversprechende Teilergebnisse vor, die auch akzeptable Verarbeitungszeiten aufweisen. Die Detektion ist gut bis sehr gut bei alleeartigen Strecken und bei Einzelbäumen. Erwartungsgemäß ist in bestimmten Fällen manuelle Nacharbeit erforderlich, z.B. in Walddurchfahrten, bei niedrigen Gehölzen im Straßenseitenraum und bei kleinen unbelaubten Bäumen in größerem Abstand zur Straße. Auch falsch-positive Erkennungen traten vereinzelt auf (Freileitungsgittermast als Baum).
Abb. 9: Darstellung der Ergebnisse der automatischen Detektion
Die Software (C++) wurde auf aktueller Hardware installiert und benötigte zur Baumdetektion etwa 4 min pro Kilometer Punktwolke. Natürlich sind Rechenzeit und Qualität des Ergebnisses stark von der Charakteristik der befahrenen Strecke und von den Eingabeparametern, z.B. der Voxelgröße, abhängig. Hierzu sind noch intensive vergleichende Untersuchungen notwendig.
Derzeit findet eine umfassende Bewertung der automatisch erkannten Bäume statt. Dazu stehen einerseits Daten aus dem Fachinformationssystem Baum der sächsischen Straßenbauverwaltung und andererseits die bei der Befahrung auf allen Strecken miterfassten Einzelbildfolgen zur Verfügung. Daraus werden sich weitere Ansätze zur Verbesserung der Algorithmen und zur Optimierung der Eingabeparameter ergeben.
Ausblick
Diese ersten Ergebnisse stellen aus Sicht der Projektbeteiligten einen wichtigen Meilenstein bei der automatischen Extraktion von komplexen Objekten aus großen Laserscannerpunktwolken dar. Damit rückt ein produktionsreifes Verfahren zur Erhebung des Baumbestandes mittels mobilem Laserscanning auch für ganze Straßennetze, z.B. zur Unterstützung des Aufbaus eines Baumkatasters, in den Bereich des Machbaren.
Auch ist damit ein innovativer Weg für die kinematische Erfassung weiterer OKSTRA-Objekte für die Straßeninformationsbank aufgezeigt worden.
Das technische Equipment für eine flächendeckende Erfassung ist vorhanden. Das mobile Verfahren zur Erzeugung von Laserpunktwolken mit Genauigkeiten im Dezimeter- und Subdezimeterbereich wird von LEHMANN + PARTNER auch für verschiedene andere Zielstellungen bei der Datenerhebung erfolgreich angewendet.
Im Pilotprojekt zur Baumdetektion wurde eine Softwareprozesskette zur Verarbeitung dieser großen Datenmengen mit dem Ziel der automatischen Objektextraktion aufgestellt und erprobt. Die Software, die größtenteils aus Open Source Komponenten besteht, kann grundsätzlich weiterentwickelt und für die Erkennung anderer geeigneter OKSTRA-Objekte eingesetzt werden.
Abb. 10: Staatsstraße S100: Einzelbild, Laserpunktwolke (Farbe = Intensität i) und Detektionsergebnis |