FGSV-Nr. FGSV 002/131
Ort online-Konferenz
Datum 24.03.2021
Titel Potenziale zur Emissionsreduktion auf Autobahnen mit Streckenbeeinflussungsanlagen
Autoren Prof. Dr.-Ing. Peter Vortisch, Dr.-Ing. Claude M. Weyland, Dipl.-Ing. H. Sebastian Buck
Kategorien Luftqualität
Einleitung

Einleitung und Forschungsziele

Streckenbeeinflussungsanlagen (SBA) werden in Deutschland auf Autobahnabschnitten eingesetzt, die eine hohe Verkehrsbelastung und Stauanfälligkeit aufweisen. Über Wechselverkehrszeichen werden in Abhängigkeit der Verkehrssituation automatisch u. a. Geschwindigkeitsbeschränkungen, Stauwarnungen und Überholverbote angeordnet, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen und den Verkehrsablauf zu optimieren.

Konventionelle SBA haben eine positive Wirkung auf Verkehrsemissionen, da sie zu einer Harmonisierung des Verkehrsflusses und dadurch zu einer Reduktion von hohen Geschwindigkeiten und Beschleunigungen beitragen. Durch die Ergänzung des Steuerungsalgorithmus einer SBA um umweltbasierte Schaltkriterien sollen die Luftschadstoff- und Lärmbelastungen auf Autobahnabschnitten mit SBA weiter gesenkt werden.

Ziel ist die Entwicklung einer dynamischen Umweltsteuerung für SBA. Diese soll in bereits existierende SBA integriert werden, um die Umweltwirkungen der betrachteten Streckenabschnitte zu reduzieren, ohne den Verkehr unnötig auszubremsen. Hierzu werden zunächst umfangreiche Untersuchungen zur Umweltwirkung von Autobahnabschnitten mit SBA mit Hilfe eines mikroskopischen Verkehrsflussmodells einer deutschen Bundesautobahn inklusive aller Steuerungsmaßnahmen durchgeführt. So können vor einer Realimplementierung die Auswirkungen einer Umweltsteuerung simulativ untersucht werden.

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Einleitung und Forschungsziele

Streckenbeeinflussungsanlagen (SBA) werden in Deutschland auf Autobahnabschnitten eingesetzt, die eine hohe Verkehrsbelastung und Stauanfälligkeit aufweisen. Über Wechselverkehrszeichen werden in Abhängigkeit der Verkehrssituation automatisch u. a. Geschwindigkeitsbeschränkungen, Stauwarnungen und Überholverbote angeordnet, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen und den Verkehrsablauf zu optimieren.

Konventionelle SBA haben eine positive Wirkung auf Verkehrsemissionen, da sie zu einer Harmonisierung des Verkehrsflusses und dadurch zu einer Reduktion von hohen Geschwindigkeiten und Beschleunigungen beitragen. Durch die Ergänzung des Steuerungsalgorithmus einer SBA um umweltbasierte Schaltkriterien sollen die Luftschadstoff- und Lärmbelastungen auf Autobahnabschnitten mit SBA weiter gesenkt werden.

Ziel ist die Entwicklung einer dynamischen Umweltsteuerung für SBA. Diese soll in bereits existierende SBA integriert werden, um die Umweltwirkungen der betrachteten Streckenabschnitte zu reduzieren, ohne den Verkehr unnötig auszubremsen. Hierzu werden zunächst umfangreiche Untersuchungen zur Umweltwirkung von Autobahnabschnitten mit SBA mit Hilfe eines mikroskopischen Verkehrsflussmodells einer deutschen Bundesautobahn inklusive aller Steuerungsmaßnahmen durchgeführt. So können vor einer Realimplementierung die Auswirkungen einer Umweltsteuerung simulativ untersucht werden.

Funktionsweise einer SBA

Autobahnabschnitte, die mit einer SBA ausgestattet sind, verfügen über Mess- und Anzeigequerschnitte. Der Verkehr wird an den Messquerschnitten erfasst und über einen Steuerungsalgorithmus ausgewertet. In Abhängigkeit der Verkehrssituation stellen an jedem Messquerschnitt Schaltprogramme (beispielsweise Stau- oder Harmonisierungsprogramme) Schaltanforderungen. Alle Schaltanforderungen eines Messquerschnitts werden priorisiert, sodass i. d. R. die restriktivste Schaltanforderung Vorrang hat. Anschließend gleicht der Steuerungsalgorithmus die Schaltanforderungen aller Messquerschnitte des Autobahnabschnitts ab und passt die Anzeigen aufeinanderfolgender Anzeigequerschnitte aneinander an. So kann eine kontinuierliche Anzeigenfolge erzielt und sich widersprechende Anzeigenfolgen vermieden werden. Die resultierenden Geschwindigkeitsbeschränkungen, Warnungen und Lkw-Überholverbote werden über Wechselverkehrszeichen an den Anzeigequerschnitten angezeigt. Je nach Anlage können die dynamischen Anzeigen minutenfein, zum Teil alle 15-Sekunden an die Verkehrssituation angepasst werden.

Die Verkehrsteilnehmenden reagieren auf die dynamischen Anzeigen, wodurch eine Beeinflussung des Verkehrs stattfindet. Ausschlaggebend für die Wirkung einer SBA ist die Akzeptanz gegenüber den angezeigten Geschwindigkeitsbeschränkungen. Nicht nachvollziehbare Geschwindigkeitsbeschränkungen erzielen eine geringere Akzeptanz als Geschwindigkeitsbeschränkungen, bei denen die Verkehrsteilnehmenden erkennen, dass sie aus der vorherrschenden Verkehrssituation resultieren.

Mikroskopisches Verkehrsflussmodell einer SBA

Die Untersuchungen zur Umweltwirkung von Autobahnabschnitten mit SBA basieren auf einem mikroskopischen Verkehrsflussmodell eines deutschen Autobahnabschnitts, der mit einer SBA ausgestattet ist. Für die Modellierung stehen die Verkehrs- und Anzeigedaten eines etwa 30 Kilometer langen Abschnitts der Bundesautobahn 5 bei Frankfurt zur Verfügung. Der Modellaufbau und die Kalibrierung erfolgen in PTV Vissim und bauen u. a. auf diesen umfangreichen Daten auf.

Um belastbare Simulationsergebnisse zu erhalten, muss die Akzeptanz der Verkehrsteilnehmenden realitätsnah abgebildet werden. Idealisierte Annahmen zum Geschwindigkeitsverhalten würden zu einer Überschätzung des Einsparpotentials an Luftemissionen führen. Die Akzeptanz der Geschwindigkeitsbeschränkungen spiegelt sich in mikroskopischen Verkehrsflussmodellen hauptsächlich in der Verteilung der Wunschgeschwindigkeiten wider. Zur Ermittlung von geeigneten Wunschgeschwindigkeitsverteilungen wird deshalb in einer Akzeptanzstudie untersucht, wie sich die gefahrenen Geschwindigkeiten in Abhängigkeit von den angezeigten Geschwindigkeitsbeschränkungen, den angezeigten Warnungen und der Verkehrsdichte verhalten. Das Ergebnis sind Wunschgeschwindigkeitsverteilungen in Abhängigkeit von den dynamischen Anzeigen und der Verkehrsdichte, separat für Pkw und Lkw. Bei gleicher Verkehrsbelastung und Geschwindigkeitsbeschränkung sollen in der Simulation reale Geschwindigkeitsverteilungen reproduziert werden.

Der Steuerungsalgorithmus der untersuchten hessischen SBA wird in Python reimplementiert und als Skript über die COM-Schnittstelle von PTV Vissim an das Verkehrsflussmodell gekoppelt. An jedem Messquerschnitt der realen SBA werden im Modell Querschnittsmessungen angelegt, welche während der Simulation kontinuierlich den Verkehr aufzeichnen. Diese Verkehrsdaten werden von dem Skript ausgelesen und dienen als Eingangsgrößen für den Steuerungsalgorithmus. An jedem Anzeigequerschnitt werden im Modell Wunschgeschwindigkeitsentscheidungen angelegt. Wenn der Steuerungsalgorithmus eine geänderte Geschwindigkeitsbeschränkung für einen oder mehrere Anzeigequerschnitte festlegt, werden die entsprechenden Wunschgeschwindigkeitsverteilungen zugeordnet. Das Modell bildet ebenfalls Lkw-Überholverbote und den Betrieb einer temporären Seitenstreifenfreigabe ab.

Die Kalibrierung des Fahrverhaltens basiert auf den realen Verkehrsstärke- und Geschwindigkeitsverläufen. An jedem Messquerschnitt werden die realen Verkehrsdaten mit dem Verkehrsfluss in der Simulation verglichen und anhand des mittleren quadratischen Fehlers (RMSPE) bewertet. Um den Steuerungsalgorithmus zu validieren, wird das reimplementierte Skript auf die realen Messdaten anstatt auf die Simulation angewendet. Die resultierenden Geschwindigkeitsbeschränkungen und Warnungen werden mit den realen Anzeigen verglichen.

Emissionsberechnung

Die Verkehrsemissionen werden anhand des Handbuch Emissionsfaktoren des Straßenverkehrs (HBEFA) für Luftemissionen und der Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen (RLS-90) für Lärmemissionen berechnet. Für die Luftemissionen werden die CO2-, NOx- und Feinstaubemissionen berücksichtigt.

Das HBEFA ist ein makroskopisches Verkehrsemissionsmodell, welches Emissionen (u. a. CO2-, NOx- und Feinstaub) pro Fahrzeugkilometer für verschiedene Fahrzeugkategorien berechnet. Für die Emissionsberechnung in der Simulation wäre ein mikroskopischer Ansatz wie bspw. PHEM oder EnViVer anwendbar, da raumkontinuierliche Daten auf Einzelfahrzeugebene für den simulierten Verkehr zur Verfügung stehen. Reale SBA erheben jedoch aggregierte Daten an lokalen Messquerschnitten, sodass keine Fahrzeugtrajektorien auf individueller Fahrzeugebene verfügbar sind. Da das Ziel dieser Forschung die Implementierung einer Umweltsteuerung in bereits existierende SBA ist, wird ein makroskopischer anstatt eines mikroskopischen Ansatzes zur Emissionsberechnung gewählt.

Die Berechnungsmethoden werden in ein Python-Skript implementiert und mit der Simulation verknüpft. Die in der Simulation entstandenen Verkehrsemissionen werden lokal an jedem Messquerschnitt berechnet und während der Simulation kontinuierlich ausgewertet. Somit ist es möglich, Verkehrsemissionen als Steuerungskriterium im Steuerungsalgorithmus zu ergänzen. Wenn die Emissionswerte in der Simulation einen bestimmten Grenzwert überschreiten, werden schadstoffbedingte Geschwindigkeitsbeschränkungen aktiviert. Die gesamten entstandenen Verkehrsemissionen werden nach Abschluss eines Simulationslaufs ausgewertet. Die Simulationsergebnisse mit und ohne zusätzlichem Umweltsteuerungsprogramm werden gegenübergestellt, um eine Aussage hinsichtlich der Schadstoff- und Lärmreduktion treffen zu können.

Umweltsteuerung

Der Steuerungsalgorithmus der SBA wird in einem weiteren Schritt um umweltbezogene Steuerungskriterien erweitert. Die konventionellen Steuerungskriterien Verkehrsstärke, Verkehrsdichte und Geschwindigkeit werden um die Luftschadstoffe NOx und Feinstaub ergänzt. Bei einem bestimmten Emissionsgrenzwert schaltet das Umweltprogramm ein und der Verkehr wird früher oder stärker beeinflusst, als es im konventionellen Steuerungsalgorithmus der Fall ist.

Die Ergänzung von Verkehrsemissionen im Steuerungsalgorithmus wird in zwei Szenarien untersucht:

  • Szenario 1: Verschärfung der Grenzwerte für konventionelle Steuerungsprogramme

Die Grenzwerte der konventionellen Steuerungsprogramme werden verschärft, wenn ein bestimmter Emissionswert überschritten wird. So werden Geschwindigkeitsbeschränkungen schon bei geringerem Verkehrsaufkommen angezeigt. Die Beschränkungen beginnen früher und halten länger an als ohne Überschreitung der Luftemissionsgrenzwerte.

  • Szenario 2: Entwicklung eines Umweltprogramms

Das Umweltprogramm wird aktiviert, wenn die berechneten NOx- oder Feinstaubemissionen einen gewissen Grenzwert überschreiten. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit an dem Mess- und Anzeigequerschnitt, der die Emissionsüberschreitung meldet, wird auf 100 km/h gesetzt. An dem Anzeigequerschnitt stromaufwärts zeigen die Wechselverkehrszeichen eine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h an. Dies gilt allerdings nur, wenn kein anderes Steuerungsprogramm eine geringere Geschwindigkeitsbeschränkung anfordert.

Vorläufige Ergebnisse

Erste Simulationsergebnisse zeigen, dass die Integration von emissionsabhängigen Steuerungskriterien einen positiven Effekt hat. Alle Luft- und Lärmemissionen können durch die Anpassung der Steuerungslogik leicht gesenkt werden, ohne dass sich die Reisezeiten wesentlich ändern. Insgesamt ist die erzielte Emissionseinsparung in Szenario 2 größer als in Szenario 1, sodass das Umweltprogramm ein größeres Potenzial für eine verbesserte Umweltwirkung aufweist.

Die untersuchten umweltbezogenen Steuerungen haben ihr größtes Potenzial außerhalb der Spitzenstunden. Die emissionsbedingten Geschwindigkeitsbeschränkungen kommen in beiden Szenarien nur zum Einsatz, wenn der Autobahnabschnitt nicht vollständig ausgelastet ist. Dies ist dadurch begründet, dass bei hoher Auslastung die Verkehrsstärke und -dichte oberhalb der Einschaltgrenzwerte der konventionellen Steuerungsprogramme liegen und eine Grenzwertverschärfung keinen weiteren Einfluss hat. Des Weiteren wird das Umweltprogramm nur aktiviert, wenn die Verkehrsemissionen hoch sind, jedoch kein restriktiveres Steuerungsprogramm eine Schaltanforderung stellt. Auch dies ist nur bei geringen und mittleren Auslastungen außerhalb der Hauptverkehrszeiten der Fall.

Diese simulativen Ergebnisse zeigen, dass eine Reduktion der Verkehrsemissionen durch Anpassung des Steuerungsalgorithmus einer SBA möglich ist.

Ausblick

Das beschriebene mikroskopische Verkehrsflussmodell wird verbessert und weiterentwickelt, um die Effekte der SBA realitätsnäher abzubilden. So können die Auswirkungen einer Umweltsteuerung umfangreich simulativ untersucht und das Umweltprogramm vor einer Realimplementierung in Hinblick auf die Emissionen und den Verkehrsfluss optimiert werden, ohne dabei den realen Verkehr zu beeinflussen.

Die Modellierung der Akzeptanz basiert zurzeit auf der Annahme, dass es keinen Unterschied zwischen der Akzeptanz gegenüber konventionellen und emissionsbedingten Geschwindigkeitsbeschränkungen gibt. Die Akzeptanz gegenüber Beschränkungen aus Umweltgründen wurde jedoch noch nicht untersucht. Mithilfe einer KI-basierten Akzeptanzanalyse wird die Reaktion der Verkehrsteilnehmenden auf die dynamischen Geschwindigkeitsbeschränkungen realitätsnah modelliert.

Des Weiteren wird der Steuerungsalgorithmus um ein KI-basiertes Prognosemodell erweitert. Ein solches Prognoseverfahren wird voraussichtlich die Fehlalarmrate der Steuerung reduzieren und dadurch die Akzeptanz erhöhen und einen positiven Beitrag für die Verkehrs- und Umweltwirkung leisten. Es werden historische Verkehrsdaten genutzt, um entsprechende Algorithmen des maschinellen Lernens zu trainieren und so den Verkehrszustand mit einigen Minuten Vorschau prognostizieren zu können.

Die Emissionsbetrachtung wird weiter ausgebaut. Neben Berechnungen nach HBEFA wird das mikroskopische Emissionsberechnungsmodell PHEMlight an die Simulation gekoppelt und die Ergebnisse werden gegenübergestellt. Zudem werden lokale Immissionsmessungen (NOx- und Feinstaub) am untersuchten Streckenabschnitt durchgeführt und die berechneten Verkehrsemissionen werden anhand der Messungen validiert.

In einem Praxistest wird die Umweltsteuerung unter realen Bedingungen getestet und evaluiert. Der Praxistest wird von einer Immissionsmessung begleitet.

Forschungshintergrund

Diese Untersuchungen basieren auf Arbeiten in den Forschungsprojekten U-SARAH und U-SARAH live, die vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) im Rahmen der Forschungsinitiative mFUND gefördert werden. Alle Daten und Informationen zu der Steuerungslogik wurden von der Hessen Mobil zur Verfügung gestellt.