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1 Ausgangssituation
Der Verkehrsentwicklungsplan ist ein seit langem etabliertes strategisches Planungsinstrument, das die Entwicklungsrichtung innerhalb einer Kommune für die kommenden 10 bis 15 Jahre umfasst. Es handelt sich um einen unverbindlichen Plan, da es für die Aufstellung keinerlei gesetzliche Verpflichtung gibt. Gleichwohl verlangen die meisten Landesvorschriften für die Vergabe von Fördermitteln nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz GVFG, dass die beantragte Maßnahme Bestandteil eines gesamtstädtischen Konzeptes ist.
Diese gesamtstädtische Strategieebene der Verkehrsplanung hat sich auch in der Vergangenheit kontinuierlich weiterentwickelt. Stand ursprünglich überwiegend die Angebotsplanung für den motorisierten Verkehr und für den öffentlichen Verkehr im Vordergrund, so fand spätestens seit den 1980er Jahren eine Ausweitung auf den nichtmotorisierten Verkehr statt. Der erweiterte Anspruch unter stärkerer Berücksichtigung von Umweltaspekten und Nachfrageseite wurde auch durch die Bezeichnung zum Ausdruck gebracht, als der ursprüngliche Begriff des Generalverkehrsplans ersetzt wurde durch die bis heute gebräuchliche Bezeichnung Verkehrsentwicklungsplan (in einigen Städten werden auch die Bezeichnungen Masterplan Mobilität oder Stadtentwicklungsplan, Teil Verkehr verwendet). Obwohl sich in der Verkehrsentwicklungsplanung ein gewisser Standard etabliert hat, gibt es eine Reihe von Problempunkten und erweiterten Anforderungen. Die FGSV hat daher einen neuen Arbeitskreis 1.1.9 „Hinweise zur Weiterentwicklung der integrierten kommunalen Verkehrsentwicklungsplanung“ (Leiter: Prof. Gerd-Axel Ahrens) eingerichtet. Ziel ist es, in Erweiterung des FGSV-Papiers „Leitfaden zur Verkehrsplanung“ (FGSV 2001) darzustellen, welche methodischen Aspekte künftig bei der Verkehrsentwicklungsplanung berücksichtigt werden sollten. Dieser Beitrag beschreibt zunächst die Ausgangssituation mit den sich daraus ergebenden Anforderungen und gibt einen ersten Überblick über die Handlungsansätze für eine weiterentwickelte Verkehrsentwicklungsplanung.
2 „State of the art“ bei den Inhalten und der methodischen Vorgehensweise
Die wesentlichen Arbeitsschritte einer Verkehrsentwicklungsplanung sind: Bestands- und Problemanalyse, Entwicklung des Zielsystems, Verkehrssimulationsberechnungen für den Prognosehorizont einschließlich Szenariobetrachtung, Öffentlichkeitsbeteiligung und Entwicklung eines gesamtstädtischen Maßnahmenkonzeptes. Die Verkehrsentwicklungspläne werden durch die kommunale Verwaltung in der Regel mit der Unterstützung externer Gutachter erstellt. Eine Befragung unter Großstädten (N=53) aus dem Jahr 2007 gibt einen Überblick über den erreichten Stand der Verkehrsentwicklungsplanung (Gertz, Polzin 2009)1).
In fast allen befragten Städten werden Verkehrssimulationsprogramme verwendet. Unterschiede gibt es jedoch in der räumlichen und inhaltlichen Differenzierung. So wird beispielsweise der Wirtschaftsverkehr nur in wenigen Städten modelliert. In den räumlichen Ausdehnungen hingegen ist positiv festzustellen, dass das Modell in seiner räumlichen Abgrenzung des Untersuchungsgebietes mehrheitlich über das Stadtgebiet hinausgeht. Ein Problem bildet in diesen Fällen jedoch die Datenbasis für das Umland der jeweiligen Städte, da zwar 62 % der Städte über ein Modell verfügen, das auch die Region umfasst, aber nur 24 % dieser Städte (N=33) auch in der Region eine Haushaltsbefragung als Grundlage für die Modellierung durchgeführt haben (ebd.).
Über 80 % der Städte haben angegeben, dass ihr VEP eine Szenarienbetrachtung beinhaltet. Die Szenarien unterscheiden sich insbesondere in einer Variation der unterschiedlichen verkehrspolitischen Maßnahmenansätze (82 %, N=44). Szenarien, die eine unterschiedliche räumliche Verteilung der Einwohner sowie Arbeitsplätze (25 %) oder unterschiedliche Entwicklungen von Bevölkerungs- bzw. Arbeitsplatzzahlen (14 %, N=44, Mehrfachnennung möglich) zugrunde legen, sind dazu im Vergleich eher selten (ebd.).
Bei der Öffentlichkeitsarbeit ist ein begleitender Arbeitskreis, der überwiegend beratenden und empfehlenden Charakter gegenüber den politischen Gremien hat, bestehend aus Vertretern der Politik, Verbänden und Verwaltung zum Standard geworden. 80 % der befragten Städte haben ihren VEP mit dieser Form der Beteiligung erarbeitet (ebd.). Bei der Beteiligung ist die Herausforderung, die Balance zu halten, da es zunächst um den großen strategischen Rahmen geht und nicht um die Lösung von allen denkbaren kleinteiligen Fragestellungen.
Eine Auflistung der derzeitigen Maßnahmeninhalte der Verkehrsentwicklungspläne zeigt eine eher klassische Maßnahmenstruktur mit einer hohen Bedeutung infrastruktureller Maßnahmen (Bild 1). Die meisten Großstädte haben in der Regel recht umfassende Maßnahmenpläne. Bei kleineren Städten findet sich häufiger ein schrittweises Vorgehen, bei dem sektorale Teilpläne z. B. zum motorisierten Verkehr und zum Radverkehr in zeitlicher Abfolge separat erstellt werden.
Eine Gegenüberstellung zwischen den bisherigen Bearbeitungsinhalten und zukünftig wichtiger werdenden Themen reflektiert eine Veränderung im Maßnahmenspektrum, bei dem Infrastrukturneubau nicht mehr die höchste Priorität besitzt und differenzierte Fragestellungen mit umweltrelevanten Grenzwerten stärker in den Vordergrund rücken. Als Themen und Maßnahmenbereiche, die in der Zukunft im VEP verstärkt an Bedeutung gewinnen werden, wurden insbesondere die Themen Umwelt/Klima/Luftreinhaltung/Lärmminderung, Mobilitäts-/Verkehrsmanagement sowie Demographischer Wandel genannt (Gertz, Polzin 2009).
1) Eine weitere Befragung zum Stand der Verkehrsentwicklungsplanung wurde von Wolfram (2009) durchgeführt.
Bild 1: Maßnahmen, die im aktuellen VEP enthalten sind, N=53, Mehrfachnennungen möglich (G e r t z, Po l z i n 2009)
3 Anforderungen an die Weiterentwicklung der Verkehrsentwicklungsplanung
Die Probleme und Anforderungen der Verkehrsentwicklungsplanung sind in den vergangenen Jahren mehrfach dargestellt worden (siehe z. B. Gertz 2007, Ahrens 2008, Wolfram 2010). Handlungsbedarf wird vor allem gesehen bei:
- der Überführung der Verkehrsentwicklungsplanung in einen kontinuierlichen Prozess,
- bei der Einführung eines Monitoring- und Evaluationskonzeptes,
- einer erweiterten räumlichen Perspektive, die entsprechend der räumlichen Verflechtungen über das eigene Gemeindegebiet hinausgeht,
- einer Koordination der Verkehrsentwicklungsplanung mit anderen Planwerken,
- einer fachlichen Ausweitung, die nicht nur Infrastrukturprojekte umfasst, sondern andere Maßnahmenansätze wie Mobilitätsmanagement einbezieht und
- Anforderungen von sich wandelnden Rahmensetzungen, wie Klimaschutz sowie postfossiler Mobilität, aber auch den demographischen Wandel einbezieht.
Wolfram (2010, S. 7) stellt zutreffend fest, dass zwar ein Konsens über die theoretischen Anforderungen und neuen Qualitätsstandards existiert, allerdings noch die Frage unbeantwortet ist, „wie das „Gute“ in die Praxis kommt“. Nachfolgend soll für die wesentlichen neuen Anforderungen der derzeitige Diskussionsstand skizziert werden.
4 Koordination der Planwerke
Bis vor einigen Jahren war der Verkehrsentwicklungsplan das einzige gesamtstädtische Planwerk, das die Leitlinien im Verkehr beschrieben hat. Dies hat sich gravierend geändert, da inzwischen Nahverkehrspläne, Lärmminderungskonzepte sowie Luftreinhaltepläne ebenfalls verkehrsplanerische Maßnahmen auf gesamtstädtischer Ebene auflisten. Diese genannten Pläne haben im Gegensatz zum VEP eine verbindliche gesetzliche Grundlage. In jüngster Zeit stellen immer mehr Kommunen zudem kommunale Klimaschutzkonzepte bzw. CO2-Minderungskonzepte auf, in denen Verkehr in der Regel ebenfalls thematisiert wird.
Neben der Abstimmung der unterschiedlichen Fachpläne auf der horizontalen Ebene ergibt sich häufig ein Problem auf der vertikalen Ebene in Bezug auf den Flächennutzungsplan (FNP). Die idealtypische Vorgehensweise, dass der VEP neben anderen sektoralen Fachplänen die Grundlage für die Überarbeitung des FNP darstellt, fehlt inzwischen in vielen Städten. Die unzureichende Integration der Fachplanungen dürfte das Risiko von teuren Fehlentwicklungen deutlich vergrößern.
Es stellt sich daher die Frage, welche Bedeutung ein VEP vor dem Hintergrund der zunehmenden Zahl an Planwerken besitzen kann und sollte. Keinesfalls ist der Schluss zutreffend, dass die anderen Planwerke den VEP überflüssig machen könnten. Lärmminderungsplan und Luftreinhalteplan betrachten Maßnahmen in sehr unterschiedlichen Sektoren und gehen damit weit über den Verkehr hinaus. Insofern gibt es zwar Überschneidungen bei der Auflistung von Maßnahmen. Lärmminderungs- und Luftreinhalteplan sind jedoch mit ihrer einerseits auf Umweltthemen bezogenen Fragestellung und der Betrachtung unterschiedlicher Sektoren, wie Industrie usw., nicht geeignet, einen VEP zu ersetzen. Gleichwohl stellt sich natürlich die Frage nach entsprechenden Synergien bei den Datengrundlagen und bei der Bearbeitung. Auch gesamtstädtische Klimaschutzkonzepte haben nicht den notwendigen Detaillierungsgrad, um einen VEP zu ersetzen. Konsequenter wäre eher der umgekehrte Weg, dass der VEP die Datengrundlage und Maßnahmenansätze für die verkehrsspezifischen Teile der anderen Planwerke bereitstellt. Eine mögliche Verknüpfung der strategischen Fachplanung Verkehr (VEP) mit dem Lärmminderungsplan, dem Luftreinhalteplan sowie dem Nahverkehrsplan bedeutet damit vor allem, dass durch den VEP eine gemeinsame Datenplattform erstellt wird, ein gemeinsames und widerspruchsfreies Maßnahmenprogramm formuliert wird sowie die Erstellung und Verabschiedung der unterschiedlichen Planwerke zeitlich koordiniert verläuft.
Als Konsequenz aus dem Nebeneinander unterschiedlicher Planwerke schlägt Schnüll (2009) eine Aufteilung der Verkehrsentwicklungsplanung auf zwei Ebenen vor (Bild 2). Unterschieden wird zwischen einer strategisch konzeptionellen Ebene, die die Datenhaltung, Modellierung, Szenarienbetrachtung und Evaluation enthält und einer Maßnahmenebene, auf der alle fünf Jahre neben Nahverkehrsplan, Luftreinhalteplan und Lärmminderungsplan ein Maßnahmenplan Verkehr die konkreten Maßnahmen auflistet.
Bild 2: Vorschlag zur künftigen Ausgestaltung der Verkehrsentwicklungsplanung (Schnüll 2009)
Innerhalb des Arbeitskreises 1.1.9 wurde dieser Vorschlag mehrfach kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite löst eine solche Aufteilung die Vernetzung der unterschiedlichen Planwerke und bietet gleichzeitig auch einen Einstieg in einen kontinuierlichen Planungsprozess; andererseits ist die Sorge, dass sich der Aufwand durch eine solche Aufteilung deutlich erhöht und damit überhaupt nur für Großstädte eine tragfähige Lösung darstellen kann. Die von Schnüll (2009) dargestellte Vorgehensweise ist damit sicherlich ein idealtypisch sinnvoller Weg, der aber nicht als Lösungsansatz für alle Kommunen in Frage kommen dürfte. Als Mindestvoraussetzung für eine verbesserte Koordination wäre zumindest eine zeitlich aufeinander abgestimmte Bearbeitung von VEP und anderen Planwerken mit Verkehrsbezug zu empfehlen, um Datengrundlagen gemeinsam nutzen zu können und widerspruchsfreie aufeinander abgestimmte Maßnahmenprogramme zu erreichen.
5 Verkehrsentwicklungsplanung auf der regionalen Ebene
Verkehrsentwicklungspläne beziehen sich fast ausschließlich auf das eigene Gemeindegebiet als den originären Zuständigkeitsbereich, obwohl Pendlerverflechtungen, regionale Lieferverkehre usw. als Verkehre über die Stadtgrenze in großem Maße die Verkehrssituation in den Städten beeinflussen. Planungsebenen und räumliche Verflechtungen passen nicht adäquat zusammen, lediglich im öffentlichen Verkehr gibt es mit den Verkehrsverbünden eine Organisationsform, die auf der regionalen Ebene agiert. Interkommunale Verkehrsentwicklungspläne bilden die absolute Ausnahme (Interkommunaler Verkehrsentwicklungsplan Hemer Minden Iserlohn; Pott 2009). Nur wenige Regionen haben Organisationsformen, die eine Zuständigkeit für strategische Planung auf der regionalen Ebene haben; dies trifft in Deutschland für die Regionen Hannover und Stuttgart sowie in eingeschränkter Form auf die Region Frankfurt zu. Daneben gibt es einige Beispiele für informelle Planungen wie das Intrakommunale Raumstrukturkonzept Bremen – Niedersachsen, bei dem Verkehr eine wichtige Rolle spielte.
Im Themenfeld der regionalen Kooperation ist es schwieriger als bei den anderen Anforderungen, übergreifende Empfehlungen zu entwickeln, da hier am stärksten die jeweilige Organisationsstruktur und bisherige Historie an Kooperation zu berücksichtigen sind. Letztlich muss hier jede Region ihren eigenen Weg finden und dabei die regionsspezifischen Besonderheiten entsprechend einbeziehen. Als erster Schritt ist es notwendig, dass die unterschiedlichen Kommunen ein entsprechendes Vertrauen für eine Zusammenarbeit aufbauen und sich auch bei unterschiedlicher Größe (Kernstadt und Umlandgemeinden) als gleichwertiger Partner betrachten und verhalten. Ein denkbarer Weg kann z. B. ein Planspiel bilden, bei dem die Beteiligten in einem geschützten Raum zunächst eine Zusammenarbeit erproben, ohne sich von Beginn an auf eine Umsetzung verpflichten zu müssen (zum Planspiel Interkommunale Verkehrsentwicklungsplanung in der Region München siehe Korte, Lehmbrock 2009).
In einer Befragung von Großstädten wurden das übergemeindliche ÖV-Netz, das regionale Leitbild und das regionale Radverkehrsnetz am häufigsten als mögliche Aufgaben für die regionale Ebene genannt (Gertz, Polzin 2009). Als Nachteile einer regionalen Kooperation in der Verkehrsplanung wurde in einer Befragung von Gemeinden in der Region München der höhere Aufwand benannt und der Konflikt mit der lokalen Planungshoheit thematisiert, die Gemeinden erwarten aber dennoch eine effektivere Planung mit deutlichen Verbesserungen vor allem beim MIV und ÖV (Korte 2008).
6 Strategische Umweltprüfung
In der Praxis noch weitgehend ungeklärt ist der Umgang mit der Strategischen Umweltprüfung. Die Strategische Umweltprüfung (SUP) ist ein entscheidungsvorbereitendes Verfahren zur Berücksichtigung von Umweltaspekten auf der Ebene von Plänen oder Programmen. Die SUP wurde durch Änderung verschiedener Gesetze 2005 in Deutschland eingeführt und betrifft grundsätzlich auch den Verkehrsbereich. Voraussetzung einer SUP-Pflichtigkeit ist, dass das Planwerk gesetzlich vorgeschrieben ist, so dass in Deutschland der Bundesverkehrswegeplan sowie der Nahverkehrsplan (NVP) SUP-pflichtig sind. Da kommunale Verkehrsentwicklungspläne keiner Pflicht unterliegen, spricht Gerlach (2008) daher von „Mut zur Kür“, um Elemente der SUP in die Aufstellung eines VEP zu integrieren.
Wenngleich ein grundsätzlicher Verfahrensvorschlag zur SUP in der Verkehrsentwicklungsplanung vorliegt (Gerlach u. a. 2006), wird das Thema bei der Bearbeitung von Verkehrsentwicklungsplänen kaum thematisiert. Hier kann vermutet werden, dass einerseits der Kenntnisstand über geeignete Vorgehensweisen in der Praxis derzeit noch nicht vorhanden ist und andererseits in der Durchführung bislang offenbar (noch) kein so hoher Nutzen gesehen wird. Hier ist es sicherlich erforderlich, weiter auszuloten, wo Synergien zwischen den Kernelementen einer SUP und den anderen hier angesprochenen Bausteinen zur Weiterentwicklung der Verkehrsentwicklungsplanung liegen. Dazu wäre es notwendig, weitere Erfahrungen aus der Nahverkehrsplanung auszuwerten.
7 Verkehrsentwicklungsplanung als dauerhafter Prozess
In der Verkehrsentwicklungsplanung ist häufig keine Kontinuität vorhanden. In der bereits erwähnten Umfrage wurde 2007 festgestellt, dass nur 40 % aller VEP nahtlos an den Vorgängerplan anschließen konnten (Gertz, Polzin 2009). Bei der Aufstellung von Verkehrsentwicklungsplänen sind inzwischen recht lange Bearbeitungszeiten üblich. Mehrere Jahre vom Aufstellungsbeschluss bis zur politischen Verabschiedung sind keine Seltenheit. Angesichts der dynamischen Entwicklung von externen Rahmenbedingungen stellt sich die Frage, ob ein Planwerk, das recht lange Bearbeitungszeiten und lange Laufzeiten ohne jegliche inhaltliche Anpassung besitzt, überhaupt noch sinnvoll die ihm zugedachte Funktion erfüllen kann. Ein kontinuierlicher Planungsprozess ist notwendig, wenn Verkehrsentwicklungsplanung mit der steigenden Dynamik der politischen und wirtschaftlichen Prozesse Schritt halten will (vgl. auch Leonhardt u. a. 2009). Die langen Bearbeitungszeiträume sowie die Laufzeit der Planwerke sprechen für Verkehrsentwicklungsplanung als Daueraufgabe. Die Prozessorientierung wird damit zu einer der wichtigsten Anforderungen für eine weiterentwickelte Verkehrsentwicklungsplanung.
Für die Kontinuität der Planung liefert der Vorschlag von Schnüll (2009) ebenso einen Ansatz. Die Dauerhaftigkeit hat einen engen Bezug zur Vernetzung der Planwerke (s. o.). Die Zweiteilung in strategische Ebene und Maßnahmenplan, der alle fünf Jahre erstellt wird, gewährleistet bei konsequenter Durchführung einen kontinuierlichen Planungsprozess.
Von Bedeutung für den kontinuierlichen Planungsprozess sind vor allem drei Elemente:
- Grundlage ist eine kontinuierliche Aktualisierung der Datenbasis und des Verkehrsmodells.
- Es findet eine Rückkopplung mit der Finanzplanung statt, die ansonsten auf der strategischen Ebene nicht möglich ist. Dies ist als zusätzlicher Schritt für eine verbesserte Umsetzung zu sehen, wenn der Querbezug zwischen dem Maßnahmenprogramm und einer konkreten Finanzierung kontinuierlich hergestellt wird. Dies darf im Umkehrschluss allerdings nicht dazu führen, dass strategisch sinnvolle Maßnahmen nicht in den VEP aufgenommen werden, weil sie momentan nicht finanzierbar erscheinen.
- Zur Unterstützung des kontinuierlichen Prozesses ist ein Evaluations- und Monitoringprogramm sinnvoll, das Hinweise liefert, an welchen Punkten eine Nachjustierung erforderlich ist (s. u.).
Um in der Umsetzungsphase eine Kontinuität zu gewährleisten und nicht Gefahr zu laufen, dass der VEP „in der Schublade verschwindet“, bietet sich die Möglichkeit von zeitlichen Schwerpunktsetzungen in der Umsetzungsphase an (wie sie im Masterplan Mobilität Dortmund praktiziert wurde). Hier werden für das Maßnahmenprogramm Umsetzungsschwerpunkte auf der Zeitachse definiert (z. B. Jahr 1: Mobilitätsmanagement, Jahr 2: Parkraumkonzept usw.). Diese Vorgehensweise berücksichtigt die eingeschränkten personellen Kapazitäten in der Verwaltung, die für eine Umsetzung zur Verfügung stehen.
8 Evaluation und Monitoring
Bislang spielt die Evaluation von Verkehrsentwicklungsplänen in der Praxis keine große Rolle. Zwar verschaffen sich Verwaltungen in der Regel einen Überblick über den Umfang der Umsetzung der im Plan aufgelisteten Maßnahmen. Diese Bilanz eines VEP wird jedoch in den seltensten Fällen öffentlich diskutiert, und es wird kaum überprüft, in welchem Maße die Effekte der umgesetzten Maßnahmen, den ursprünglich benannten verkehrsplanerischen Zielsetzungen gerecht werden. Eine Ausnahme bildet im deutschsprachigen Raum der Masterplan Mobilität der Stadt Wien. Hier wurden, abgeleitet aus dem Zielsystem, zahlreiche Kriterien definiert und die jeweiligen Bezugszeitpunkte definiert (z. B.: Die Zahl der Toten und Verletzten wird bis 2020 um 50 % im Vergleich zum Jahr 2002 gesenkt). Eine erste Fortschrittskontrolle fand 2008 statt und bildete die Grundlage für die Fortschreibung (Stadt Wien 2008).
Die Definition der Kriterien für eine Evaluation sollte unbedingt im Zusammenhang mit der Aufstellung des VEP erfolgen, da eine nachträgliche Ableitung auf erhebliche Probleme stößt. Das Hauptproblem der Evaluation besteht darin, dass häufig die notwendigen Ressourcen und auch das Wissen für eine Durchführung von Evaluierungen fehlen. Seitens der Verwaltung und der Politik bestehen zudem Befürchtungen, dass Evaluationsergebnisse als Dokumentation von Fehlentscheidungen interpretiert werden könnten, sofern die gesetzten Ziele nicht oder nur zum Teil erreicht wurden.
Voraussetzung für eine Evaluation ist ein Monitoringkonzept, das wichtige Parameter kontinuierlich erfasst, damit ein Überblick vorhanden ist, ob sich die ursprünglich in die Prognosen eingestellten Annahmen so verändert haben, dass auch die Aussagen des VEP in Frage zu stellen sind. Beim Monitoring sind folgende Ebenen zu differenzieren:
- Strukturdaten,
- Verkehrsverhalten,
- Grenzwerte (Lärm, Luft),
- Umsetzung von Maßnahmen.
Durch eine periodische Kontrolle sollte festgestellt werden, wann Anpassungen erforderlich werden.
9 Verbindliche Vorgaben versus Empfehlungen
Der Stand der Verkehrsentwicklungsplanung ist trotz zahlreicher Gemeinsamkeiten in der grundsätzlichen Methodik in den Kommunen recht unterschiedlich. Verschiedene Wege sollen je nach Verwaltungsstruktur, verkehrspolitischer Ausgangssituation, Datenlage und Vorgeschichte bisheriger Verkehrsentwicklungspläne auch künftig möglich sein. Einheitliche gesetzliche Vorgaben zur Verkehrsentwicklungsplanung erscheinen kaum realistisch und werden überwiegend nicht befürwortet. Gerade in Hinblick auf Pläne mit regionaler Kooperation ist es nicht möglich, Kooperation zu erzwingen.
Es gibt in Europa Beispiele für verbindliche Vorgaben für die kommunale Planungsebene, wie der „Plan de Déplacements Urbains“ (siehe Wulfhorst, Wolfram 2010) oder den „Local Transport Plan“ in Großbritannien, der durch Vorgabe von gemeinsamen Prioritäten (Verkehrsbelastung verringern, Erreichbarkeit herstellen, sichere Straßen, Luftqualität verbessern) eine strategische Anbindung der „Local Transport Plans“ an die nationale Verkehrspolitik sicherstellt (Albrecht 2010, S. 18). Vor diesem Hintergrund hat Wolfram (2009) eine Erhöhung der Verbindlichkeit der Standards gefordert. Insgesamt überwiegt jedoch die Skepsis gegenüber nationalen Vorgaben aufgrund von personellen und finanziellen Restriktionen sowie unterschiedlichen politischen Vorgaben und Verwaltungsstrukturen (siehe Horn 2010). Verron (2010, S. 44) verweist darauf, dass 2007 auf Grundlage eines Vorschlages des Sachverständigenrates für Umweltfragen, das Umweltbundesamt einen Workshop durchgeführt hat, bei dem die Frage einer gesetzlichen Vorgabe für die kommunale Verkehrsplanung („Gemeindeverkehrsplanungsgesetz“) als vollkommen unrealistisch eingeschätzt wurde.
Der Arbeitskreis 1.1.9 sieht das in Vorbereitung befindliche Hinweispapier zur Weiterentwicklung einer integrierten kommunalen Verkehrsentwicklungsplanung als Zusammenfassung sinnvoller methodischer Elemente mit Empfehlungscharakter und nicht als Grundlage für eine gesetzliche Vorgabe eines einheitlichen Standards. Wenngleich in Europa Beispiele für verbindliche Vorgaben für die kommunale Planungsebene existieren, so erscheint es für Deutschland sinnvoll, beim bisherigen Weg zu bleiben. Die Konsequenz ist, dass Kommunen, die weniger ambitioniert sind, damit nicht „zwangsläufig“ auf ein Mindestniveau verpflichtet werden können. Insofern bleibt zweifelsohne die Aufgabe bestehen, künftig für die erstrebenswerten Qualitätsstandards einen gezielten Wissenstransfer und ein Benchmarking zu organisieren.
Insgesamt ist sicherlich die Herausforderung, dass umfassendere Standards erst einmal in der Umsetzung auf Skepsis stoßen, weil ein deutlich erhöhter Aufwand unterstellt wird und dies in einer Situation, in der die konzeptionelle Planung ohnehin unter einem zunehmenden Legitimationszwang steht, da die Vorteile für die Kommunalpolitik nicht unmittelbar offensichtlich sind. Gelingen kann dies nur, wenn der kontinuierliche Arbeitsprozess eine Qualitätssteigerung der Arbeit erzielt und gleichzeitig in der Gesamtbilanz der Aufwand geringer ausfällt als bei einer umso aufwändigeren Neubearbeitung alle 10 bis 15 Jahre.
10 Umsetzung
Die Rahmensetzungen im Verkehrsbereich ändern sich derzeit gravierend (siehe als Überblick z. B. Gertz 2010). Klimawandel, ein künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit dauerhaft höheres Energiepreisniveau („postfossile Mobilität“), der notwendige Umstieg auf alternative Antriebstechniken, demographische Veränderungen sowie eine veränderte Verkehrsmittelnutzung (Ergebnisse von MID und SRV zeigen eine größere Bedeutung des Fahrrads, einen größeren MIV-Anteil bei Senioren, einen geringeren MIV-Anteil bei jungen Erwachsenen) bilden in der Kombination eine deutlich veränderte Ausgangssituation, für die bisherige Lösungsansätze und Mechanismen der Verkehrsplanung und Verkehrspolitik nicht ausreichend sind.
Es könnte leichtfertig der Eindruck entstehen, dass der demographische Wandel oder eine deutlich geringere Zahl an Infrastrukturprojekten dazu führt, dass der Bedarf nach strategischer Planung schwindet. Genau genommen ist jedoch das Gegenteil der Fall, zwar reduziert sich die Zahl der noch umzusetzenden Infrastrukturprojekte, die geringer werdenden Mittel erfordern aber eine umso größere Sicherheit, dass auch bei weniger finanziellen Ressourcen die richtigen Entscheidungen getroffen werden.
Aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen werden sich innerhalb der Verkehrsentwicklungsplanung künftig die Gewichte inhaltlich noch weiter verschieben. Die Ausweitung der Verkehrsinfrastruktur wird in den Hintergrund treten, während Maßnahmen der Verkehrssteuerung und des Mobilitätsmanagements an Bedeutung gewinnen werden. Da das Einhalten von Umweltstandards zukünftig eine noch größere Relevanz bekommen wird, werden die Städte, Gemeinden und Regionen nicht umhinkommen, sich über neue Wege Gedanken zu machen. Die Grenzen einer expansiven Verkehrsentwicklung sind erreicht und machen einen Paradigmenwechsel notwendig. Es geht daher nicht nur um methodische Innovationen, sondern um die planerische Unterstützung einer inhaltlichen Neuorientierung. Der Beitrag der Planung dabei sollte nicht überschätzt werden, aber gerade der VEP hat die Funktion über die gemeinsame Entwicklung eines Zielsystems aller relevanten Akteure, auf der kommunalen Ebene eine Entscheidungs- und Planungsgrundlage zur Verfügung zu stellen, deren Prämissen sich von den Schwerpunktsetzungen der Vergangenheit deutlich unterscheiden.
Literaturverzeichnis
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