FGSV-Nr. FGSV 002/103
Ort Erfurt
Datum 15.04.2013
Titel Förderung der Nahmobilität als neuer Schwerpunkt kommunaler Verkehrspolitik – Das Beispiel Berlin
Autoren Dipl.-Ing. Burkhard Horn
Kategorien Kommunal
Einleitung

Städtische Mobilität ist im Wandel begriffen – schon seit mehreren Jahren zeichnen sich vor allem in den größeren Städten Trends im Mobilitätsverhalten der Bevölkerung ab, die die Verkehrsplanung vor neue Herausforderungen stellen. Die Nutzung des eigenen Autos verliert an Stellenwert, Radfahren und Zu-Fuß-Gehen gewinnen an Beliebtheit. Gleichzeitig tragen weitere Entwicklungen zu einer steigenden Bedeutung der oft unter dem Begriff „Nahmobilität“ subsumierten Verkehrsarten des nichtmotorisierten Verkehrs bei: der demografische Wandel (insbesondere hinsichtlich der Alterung der Bevölkerung), Wanderungstrends vom Land zurück in die Stadt (Stichwort „Reurbanisierung“), das stadtentwicklungspolitische Ziel einer kompakten Stadt („Stadt der kurzen Wege“) und nicht zuletzt auch energie- und umweltpolitische Erfordernisse. Die Zahlen sprechen für sich: in Berlin werden in manchen Innenstadtbezirken bereits weit mehr als die Hälfte aller Wege zu Fuß oder per Fahrrad zurückgelegt, auch für die Gesamtstadt sind es bereits über 40 %, Tendenz steigend. So sehr diese Entwicklung den verkehrs- und stadtpolitischen Zielen entsprechen mag, sie bringt vielerorts auch problematische Entwicklungen mit sich, insbesondere im Bereich der Verkehrssicherheit. Hier besteht besonderer Handlungsbedarf. Der Beitrag stellt am Beispiel Berlins dar, wie auf den unterschiedlichen Ebenen kommunaler Verkehrspolitik Nahmobilität Gegenstand planerischen Handelns sein kann, von der Verkehrsentwicklungsplanung bis zur konkreten Maßnahme. Dies beschränkt sich nicht nur auf die Verkehrsinfrastruktur, sondern bezieht auch Aspekte wie Kommunikation und Information mit ein. Dargestellt werden unter anderem die vor zwei Jahren erarbeitete separate Fußverkehrsstrategie für Berlin (mit bundesweitem Pilotcharakter) und die im März 2013 vom Senat beschlossene neue Berliner Radverkehrsstrategie, ergänzt durch verschiedene Beispiele von konkreten Handlungsfeldern, Maßnahmenprogrammen und Modellvorhaben. Vertiefende Informationen zu den verschiedenen Teilthemen finden sich auch unter www.stadtentwicklung.berlin.de/verkehr.

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1 Nahmobilität – was ist das?

Städtische Mobilität ist im Wandel begriffen – schon seit mehreren Jahren zeichnen sich vor allem in den größeren Städten Trends im Mobilitätsverhalten der Bevölkerung ab, die die Verkehrsplanung vor neue Herausforderungen stellen. Die Nutzung des eigenen Autos verliert mancherorts an Stellenwert, Radfahren und Zu-Fuß-Gehen gewinnen an Beliebtheit. Das Schlagwort der „Nahmobilität“ macht in diesem Zusammenhang die Runde. Aber was versteht man eigentlich wirklich unter „Nahmobiliät“? Und was heißt das konkret für die kommunale Verkehrspolitik? Kann die Förderung der „Nahmobilität“ tatsächlich einen entscheidenden Beitrag zur Lösung kommunaler Verkehrsprobleme leisten? Dies soll im Folgenden am Beispiel Berlins genauer betrachtet werden.

Zunächst erscheint eine Klärung der Definitionsfrage erforderlich – was ist unter Nahmobilität zu verstehen? Grundsätzlich gibt es drei verschiedene Teilaspekte, die dem Begriff „Nahmobilität“ zugeordnet werden können1):

  • Mobilität über kurze Distanzen oder kurze Zeiten …
  • Mobilität in kleinen Netzen (Quartier, Wohn-/Arbeits-/Einkaufsumfeld) …
  • Mobilität ohne Motoren, also vor allem Fuß- und Fahrradverkehr ...

Daraus könnte als Kerndefinition abgeleitet werden, dass es sich bei Nahmobilität um eine quartiersbezogene, nichtmotorisierte Mobilitätsform zur Befriedigung der Mobilitätsbedürfnisse mit geringen Geschwindigkeiten und vertretbarem Aufwand in der Nähe handelt. Dies entspricht auch der Sichtweise des Arbeitskreises „Hinweise zur Nahmobilität“ der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV). Allgemein wird „Nahmobilität“ als Bestandteil des „Umweltverbunds“ empfunden, also neben dem ÖPNV alle Verkehrsmittel, die nicht dem motorisierten Individualverkehr (MIV) zuzuordnen sind. Ihre Förderung wird im Regelfall als Bestandteil einer nachhaltigen, auf Verbesserung der Umwelt- und Lebensqualität zielenden kommunalen Verkehrspolitik angesehen. Ihr Stellenwert ist in der Stadt deutlich höher als im ländlichen Raum. Dabei sollte eine zu enge Definition vermieden werden. Gerade hinsichtlich der mit Nahmobilität verbundenen Distanzen kann diese in einer kompakten Stadt durchaus relevante Anteile der Wege der Bevölkerung abdecken (und technische Entwicklungen wie Elektrofahrräder tragen zusätzlich zu einer „Reichweitenverlängerung“ bei).

Es gibt eine Reihe von Trends, die eine auch zukünftig weiter steigende Bedeutung der Nahmobilität in der Stadt gemäß der genannten Definition nahelegen:

  • Räumliche Trends: Vielerorts ist zu beobachten, dass der Trend zur Suburbanisierung der letzten Jahrzehnte sich umkehrt. Die (Innen-)Städte gewinnen wieder an Attraktivität als Wohnstandorte („Reurbanisierung“) und damit auch räumliche Konstellationen, die Nahmobilität im beschriebenen Sinne begünstigen.
  • Demografische Trends: Direkt im Zusammenhang damit stehen die Alterung der Gesellschaft („the greying society“) und die damit verbundenen Entwicklungen. Gerade ältere Menschen ziehen mit dem Wegbrechen wichtiger Versorgungseinrichtungen im ländlichen Raum in die Städte zurück. Und ältere Mensch sind zwar heute deutlich „autoaffiner“ als frühere Generationen, dennoch sind sie gerade in verdichteten städtischen Zusammenhängen potenzielle „Kunden“ der Nahmobilität.
  • Stadtentwicklungspolitische Ziele: Nachhaltige und zukunftsorientierte Stadtentwicklungspolitik folgt heute mehr denn je dem Leitbild einer kompakten Stadt („Stadt der kurzen Wege“). Nachverdichtung und Nutzungsmischung sind wichtige Stichworte in diesem Zusammenhang – und ganz wesentliche Treiber einer verstärkten Bedeutung von Nahmobilität.
  • Umweltpolitische Erfordernisse: Die Städte sind heute häufig Orte besonders hoher verkehrsbedingter Umweltbelastungen, seien es Schadstoffemissionen oder Lärm. Auch bei den klimaschutzpolitischen Herausforderungen für die Städte spielt der Verkehr eine besondere Rolle. Je mehr Wege der Bevölkerung auf den nichtmotorisierten Verkehr verlagert werden (und damit auf die Nahmobilität im Sinne der oben genannten Definition), desto mehr Fortschritte können bei der Reduzierung der Umweltbelastungen erreicht wer
  • Finanzielle Herausforderungen: Die kommunalen Kassen sind (nicht überall, aber doch weit verbreitet) weitgehend leer. Neue Verkehrsinfrastruktur, sei es Straße oder Schiene, kostet Geld, dazu kommen vielerorts immense Nachholbedarfe bei der Da können die der Nahmobilität zuzuordnenden Verkehrsmittel, der Fuß- und Radverkehr von erheblichem Nutzen sein – ihre Förderung ist im Vergleich ausgesprochen kostengünstig.

1) Vgl. hierzu auch: Heiner Monheim: Nahmobilität – Chance für mehr Lebens- und Bewegungsqualität und effizienten Verkehr, aus: mobilogisch!, Heft 4/2009

  • Gesellschaftliche Trends: Last but not least: viele Studien zeigen, dass das Auto an gesellschaftlichem Stellenwert verliert, gerade bei den jüngeren Die Selbstverständlichkeit von Führerscheinerwerb und Autobesitz als feste Meilensteine im Lebensweg scheint gebrochen. Noch wissen wir nicht, wie nachhaltig diese Trends sind, aber aktuell stärken sie die Nahmobilität: in einer Stadt wie Berlin etwa ist in vielen Stadtteilen das Fahrrad nicht mehr wegzudenkender Bestandteil eines urbanen Lebensstils – im Gegensatz zum Auto.

Dies macht auf jeden Fall schon einmal deutlich: Nahmobilität ist aus der kommunalen Verkehrspolitik nicht wegzudenken, ihr Gewicht wird zunehmen.

2 Nahmobilität in Berlin: Daten, Fakten, Trends

Die bereits heute bestehende reale Bedeutung der Nahmobilität im Verkehrsgeschehen wird häufig noch unterschätzt. Selbst bei allen Wegen der deutschen Bevölkerung werden schon ein Drittel der Wege zu Fuß oder per Fahrrad zurückgelegt, in den Städten sieht das noch einmal ganz anders aus. Beispiel Berlin: die Metropole und Bundeshauptstadt mit ihren ca. 3,5 Mio. Einwohnern und einer Stadtgröße von knapp 1.000 km2 scheint zunächst nicht unbedingt prädestiniert, auch Hauptstadt der Nahmobilität zu sein.

Ein Blick auf die Zahlen korrigiert diese Einschätzung umgehend:

  • Schon 2008 wurden von der Berliner Bevölkerung über 40 % aller Wege zu Fuß und per Fahrrad zurückgelegt2), das bedeutet einen deutlichen Zuwachs seit der Seit 2008 sind weitere Anstiege, insbesondere bei der Bedeutung des Radverkehrs zu beobachten.
  • In einzelnen Bezirken, vor allem in der Innenstadt, liegen diese Anteile noch deutlich höher, bis zu 53 % im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg3).
  • In den Bezirken Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow ist der Fußverkehr bezogen auf die Anzahl der Wege der dort lebenden Bevölkerung die wichtigste Verkehrsart4).
  • Berlin hat unter den Städten bundesweit den niedrigsten Motorisierungsgrad (324 Pkw/1.000 Einwohner). In manchen Innenstadtbereichen liegt dieser Wert unter 200 Pkw/1.000 Einwohner. 45 % aller Haushalte haben kein Auto zur Verfügung5).

Wenn man in die verfügbaren Daten zum Mobilitätsverhalten noch tiefer einsteigt, erkennt man umgehend, dass darüber hinaus noch erhebliche Potenziale für den nichtmotorisierten Verkehr in Berlin bestehen, insbesondere bei den Arbeitswegen. Und auch in Berlin sind fast die Hälfte der mit dem Auto zurückgelegten Wege nicht länger als 5 km – und damit im Bereich der Umverteilungspotenziale auf die Verkehrsmittel der Nahmobilität.

Dieser Trend hat aber auch seine Schattenseiten: beim Radverkehr steigen die Unfallzahlen kontinuierlich, insbesondere die Zahl der im Straßenverkehr getöteten und schwerverletzten Radfahrerinnen und Radfahrer. So stieg der Anteil der Radfahrenden an den im Berliner Straßenverkehr Verunglückten über 3-Jahres-Zeiträume betrachtet von 24,4 % im Zeitraum 2002 - 2004 auf 29,4 % im Zeitraum 2009 – 20116). Zum Vergleich: der Modal-Split-Anteil des Radverkehrs lag 2008 bei 13 %. Hier besteht dringender Beim Fußverkehr sind trotz eines ebenfalls steigenden Modal-Split-Anteils keine vergleichbaren Zuwächse bei den Unfallzahlen zu beobachten.

2)  Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Ergebnisse aus der Haushaltsbefragung „Mobilität in Städten – SrV 2008“, dokumentiert unter http://www.stadtentwicklung.berlin.de/verkehr/politik_planung/zahlen_fakten/mobilitaet/index.shtml

3)  ebenda

4)  ebenda

5)  ebenda

6) Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Verkehrssicherheitsbericht 2012, Download unter http://www.stadtentwicklung.berlin.de/verkehr/politik_planung/sicherheit/sicherheitsbericht/index.shtml

3 Nahmobilität in der Verkehrsentwicklungsplanung: der Berliner Stadtentwicklungsplan Verkehr

Zahlen und Trends machen bereits deutlich: das Thema Nahmobilität ist ein ganz zentrales der kommunalen Verkehrspolitik. Deshalb darf es auch nicht als sektorales Planungsproblem betrachtet werden, sondern muss integrierter Bestandteil der Verkehrsentwicklungsplanung, aber auch von Stadtentwicklungsplanung generell sein. So hat etwa die Verortung von neuen Wohnstandorten, Nahversorgungseinrichtungen und andere kommunaler Infrastrukturen ganz erhebliche Auswirkungen auf Verkehrsverhalten und Verkehrsmittelwahl.

Der 2011 vom Senat beschlossene Stadtentwicklungsplan Verkehr für Berlin (StEP Verkehr)7) verfolgt diesen integrierten Ansatz. Er bezieht nicht nur die Ziele und Strategien anderer wichtiger Politikfelder (Energie, Umwelt, Klimaschutz, Wirtschaft, Stadtentwicklung …) und die dazugehörigen Planwerke ein (z. B. die Stadtentwicklungspläne Wohnen, Zentren und Klima), sondern hat in einem partizipativen Erarbeitungsprozess (Stakeholder-Verfahren „Runder Tisch“) auch die jeweiligen Interessengruppen dieser Bereiche beteiligt, neben allen wichtigen kommunalen Akteuren der Verkehrspolitik (einschließlich Fraktionen des Abgeordnetenhauses). Da jeder Erarbeitungsschritt und jeder Baustein des StEP Verkehr im Rahmen dieses Verfahrens mit den Akteuren intensiv rückgekoppelt wurden, konnte am Schluss ein Verkehrsentwicklungsplan für Berlin beschlossen werden, der auf einem breiten Konsens aller Akteure beruht, insbesondere hinsichtlich Leitbild, Zielen und Teilstrategien.

Wie andere Verkehrsentwicklungspläne auch, gliedert sich der Berliner StEP Verkehr, aufbauend auf einer sorgfältigen Analyse und Untersuchung der wesentlichen Rahmenbedingungen und Trends in mehrere Ebenen, die aufeinander aufbauen:

  • Leitbild (langfristig auf das Jahr 2040 ausgerichtet),
  • Ziele (orientiert an der Verkehrsprognose auf das Jahr 2025 ausgerichtet, strukturiert nach den Dimensionen „ökologisch“, „ökonomisch“, „sozial“ und „institutionell“),
  • Teilstrategien (inhaltlich und räumlich gegliedert),
  • Maßnahmen (in den Kategorien „Raumordnung“, „Preis- und Ordnungsrecht“, Organisation“, „Kommunikation“, Infrastruktur“).

Am Beispiel des Leitbildes lässt sich die Einbeziehung der Nahmobilität in den StEP Verkehr auf allen Ebenen gut verdeutlichen. Das Leitbild enthält (als „pragmatische Vision“) acht gleichberechtigte Bausteine, die (mit durchaus programmatischen Überschriften) die ganze Breite des Themenfeldes Mobilität und Verkehr für Berlin abbilden:

  • „Zukunftsfähige Mobilität für alle“,
  • „Lebenswerte Großstadt“,
  • „Metropolregion vernetzt“,
  • „Sauber. Postfossil.“,
  • „Attraktive Berliner Innenstadt“,
  • „Verkehrsinnovationen stärken Mobilität und Wirtschaft“,
  • „Wirtschaftsverkehr: effizient, effektiv, umweltbewusst“,
  • „International erreichbar“.

7)        Alle Informationen zum Berliner Stadtentwicklungsplan Verkehr einschließlich aller Dokumente zum Download: http://www. stadtentwicklung.berlin.de/verkehr/politik_planung/step_verkehr/

In allen diesen Bausteinen wiederum finden sich aus der (teilweise rückschauenden) Sicht des Jahres 2040 bereits Aussagen zum Fuß- und Radverkehr als den wesentlichen Trägern der Nahmobilität. Das reicht von grundsätzlichen Aussagen, wie „Berlin hat sich als eine der fußgängerfreundlichsten Großstädte Europas profiliert“ bis zu Themen, wie Barrierefreiheit, gestalterische Qualität der öffentlichen Räume, Mobilitätskultur des Miteinanders oder Nutzungsmischung und Nahversorgung im Quartier.

Auch bei den Zielen spielt die Förderung der Nahmobilität eine wichtige Rolle. Als wesentliche Kernaussage enthält der StEP Verkehr das Ziel, beim Modal Split im Personenverkehr den Anteil des Umweltverbundes (ÖPNV, Rad- und Fußverkehr) bis 2025 auf 75 % (Gesamtstadt) bzw. auf 80 % (Innenstadt innerhalb des S-Bahn-Rings zu steigern). Besonders große Potenziale werden dabei für den Rad- und Fußverkehr gesehen. Aber auch andere Ziele weisen starke Bezüge zur Nahmobilität auf:

  • Entlastung sensibler Bereiche vom Durchgangsverkehr,
  • Verbesserte städtebauliche Integration von Verkehrsanlagen,
  • Verbesserung der Aufenthaltsqualität von Straßen und Plätzen, dadurch bessere Nutzbarkeit des öffentlichen Raums,
  • Erhöhung der Sicherheit nichtmotorisierter Verkehrsteilnehmer,
  • Stärkung der polyzentrischen Stadtstruktur,
  • Ermöglichung von Mobilität unabhängig von Geschlecht und Lebenssituation (Alter, Einkommen, Mobilitätseinschränkungen, sozialer Status).

Auf die zahlreichen Einzelaussagen zur Nahmobilität bzw. zum Rad- und Fußverkehr auf den weiteren Ebenen des StEP Verkehr (Teilstrategien, Maßnahmenkatalog) kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Wichtig ist die Durchgängigkeit der Einbeziehung der Nahmobilität auf allen Ebenen und deren Verknüpfung, so dass sich im Endeffekt jede einzelne Maßnahme aus den übergeordneten Ebenen bis hin zum Leitbild ableiten lässt.

4 Förderung der Nahmobilität konkret

Wie erreicht nun die Förderung der Nahmobilität vom strategischen gesamtstädtischen Ansatz die Umsetzungsebene? Zunächst: der StEP Verkehr als gesamtstädtisches Planwerk für Berlin kann aufgrund der Stadtgröße und der Vielfalt der zu berücksichtigen Themenfelder nicht gleichzeitig als strategisches Konzept für den Rad- und Fußverkehr dienen, da passen die Maßstabsebenen nicht zusammen, dies gilt vor allem für die Infrastrukturplanung. So enthält der StEP Verkehr weder Netzpläne noch einzelne spezifische Infrastrukturmaßnahmen für den Fuß- und Radverkehr. Deshalb sind für beide Verkehrsarten konkrete Einzelstrategien entwickelt worden, die bestehende Förderansätze und Maßnahmen aufnehmen, erweitern und in ein strategisches, gleichzeitig umsetzungsorientiertes Gesamtkonzept überführen. Sie sollen nachfolgend näher vorgestellt werden.

4.1 Die Berliner Fußverkehrsstrategie

Berlin hat eine gewisse Tradition als fußgängerfreundliche Stadt. Die im Vergleich zu anderen Großstädten vielerorts großzügigen Gehwege mit ihrer hochwertigen Gestaltung und Belagsdifferenzierung (vor allem in den Gebieten mit Gründerzeitbebauung in der Innenstadt sowie entlang der zentralen Boulevards) haben Berlin diesbezüglich auch international schon vor einhundert Jahren den Ruf einer „Stadt der Flaneure“ beschert. Diese Qualitäten zu bewahren, ist schon ein erster Schritt zur Förderung von Fußverkehr und Nahmobilität. Natürlich hat es vor der Erarbeitung einer speziellen Fußverkehrsstrategie in Berlin auch schon andere Maßnahmen gegeben, die in diesem Zusammenhang zu nennen sind:

  • Bereits seit 2001 Jahren gibt es ein Sonderprogramm zur Verbesserung der Überquerbarkeit von Straßen. In diesem Zusammenhang sind seitdem (erleichtert durch eine neue „Richtlinien für die Anlage und Ausstattung von Fußgängerüberwegen“ (R-FGÜ 2001)) ca. 300 neue Fußgängerüberwege („Zebrastreifen“) in Berlin eingerichtet worden8), außerdem weitere Maßnahmen, wie Gehwegvorstreckungen und Mittelinseln.
  • Berlin war schon in den 1980er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts Experimentierfeld für die Einrichtung verkehrsberuhigter Bereiche in Wohngebieten. Diese sind seither kontinuierlich erweitert worden, allerdings oft mit weniger baulichem Aufwand als früher.
  • Gerade unter Sicherheitsaspekten (z. B. bei Überqueren von Straßen) ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit von besonderer Bedeutung. Mittlerweile sind in Berlin über 70 % des Straßennetzes Bestandteil von Tempo-30-Zonen. Aber auch über 10 % des Hauptverkehrsstraßennetzes sind (aus unterschiedlichen Gründen) mit Tempo-30-Einzelregelungen versehen9) . In speziellen Gebieten mit besonderer Problemlage gibt es außerdem Tempo-10-Zonen (z. B. in der Spandauer Vorstadt im Bezirk Mitte: schmale Fahrbahnen, schmale Gehwege, hohe Dichte an gastronomischen Einrichtungen etc.).

Diese und andere Maßnahmen waren aber bislang nicht Bestandteil einer integrierten Strategie zur Fußverkehrsförderung.

Dies änderte sich mit der Erarbeitung der Berliner Fußverkehrsstrategie, die 2011 vom Berliner Senat beschlossen wurde. Sie war in einem konsultativen Planungsprozess gemeinsam mit Interessenvertretungen, den Akteuren aus der Verkehrssicherheitsarbeit und Experten aus verschiedenen Disziplinen (Beratungsgremium „Berlin zu Fuß“) erarbeitet worden und stellte in dieser Form bundesweit ein Novum dar10) .

Die Fußverkehrsstrategie gliedert sich in folgende Kapitel:

  1. Argumente für den Fußverkehr
  2. Ziele und Leitlinien der Fußverkehrsplanung
  3. Handlungsfelder und Maßnahmenbereich
  4. Modellprojekte
  5. Umsetzung, Erfolgskontrolle und Nachsteuerung

Zentrale verkehrspolitische Ziele der Strategie sind:

  • Senkung der Unfallzahlen: Reduzierung der im Straßenverkehr getöteten und schwerverletzten Fußgänger bis 2016 um mindestens 20 %,
  • Steigerung der Nutzerzufriedenheit: deutliche Steigerung des Anteils der Menschen, die mit den Bedingungen für den Fußverkehr in Berlin zufrieden oder sehr zufrieden sind (Überprüfung durch regelmäßige Befragungen),
  • Barrierefreie öffentliche Räume: bis 2020 barrierefreie Nutzbarkeit aller wichtigen Fußverkehrsverbindungen und Gehwege an Einmündungen und Kreuzungen.

Diese Ziele ordnen sich zusammen mit anderen wichtigen Themen in acht verschiedene Handlungsfelder ein, denen zahlreiche Maßnahmen zugeordnet sind:

  • Fußgängerfreundliche Stadtstrukturen: Stärkung der „Stadt der kurzen Wege“ mit guten Versorgungsstrukturen und hoher Nutzungsmischung, Schaffung einer abwechslungsreichen und belebten Umgebung,

8) http://www.stadtentwicklung.berlin.de/verkehr/politik_planung/fussgaenger/sicherheit/de/zebrastreifen.shtml

9) http://www.stadtentwicklung.berlin.de/verkehr/politik_planung/strassen_kfz/tempo/index.shtml

10) Alle Informationen zur Berliner Fußverkehrsstrategie einschließlich aller Dokumente zum Download: http://www.stadtentwicklung.berlin.de/verkehr/politik_planung/fussgaenger/strategie/index.shtml

  • Attraktive und barrierefreie Wege: Qualitätsstandards, Schwachstellenanalysen, Netzplanung, bedarfsgerechte Querungsmöglichkeiten, fußgängerfreundliche Lichtsignalanlagen, Barrierefreiheit im öffentlichen Raum etc.,
  • Aufwertung von Schwerpunkten des Fußverkehrs: belebte Stadtstraßen als Begegnungszonen, fußgängerfreundliche Zentren und Einzelhandelsstandorte, touristische Wege und Ziele,
  • Verknüpfungspunkte mit dem ÖPNV: Zugänglichkeit von Haltestellen und Stationen, komfortable Wartemöglichkeiten, kurze Wege beim Umsteigen etc.,
  • Sicher ans Ziel: Verbesserung der Ursachenforschung bei Fußverkehrsunfällen, Umsetzung der Maßnahmen des Berliner Verkehrssicherheitsprogramms, zielgruppenbezogene Maßnahmen (u. a. Kinder und ältere Menschen) etc.; Verbesserung der „sozialen Sicherheit“ (Beleuchtung, Sauberkeit etc.),
  • Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit: Gesamtkonzept für Öffentlichkeitsarbeit zum Fußverkehr, Kampagnen, Entwicklung eines Logos „Berlin zu Fuß“, Maßnahmen im Bereich Mobilitätsmanagement, Mobilitätserziehung etc.,
  • Hilfen zur Orientierung: Wegweisungssysteme, Stadtpläne und Routenbeschreibungen, Routenplaner (unter besonderer Berücksichtigung des Aspekts der Barrierefreiheit) etc.,
  • Verbesserung der Informationsbasis zum Fußgängerverkehr: Fußverkehrszählungen, Befragungen etc.

Die Umsetzung der Fußverkehrsstrategie erfolgt (neben den weitergeführten bestehenden Maßnahmeprogrammen) auf zwei Ebenen:

Sonderprogramm „Barrierefreie öffentliche Räume“ (2 Mio. €/Jahr bis 2020, Umsetzung durch die Bezirke)

Zehn Modellprojekte zu den unterschiedlichen Handlungsfeldern:

  1. Repräsentative Nutzerbefragung zur Ermittlung der Zufriedenheit mit den Bedingungen für den Fußverkehr,
  2. Erarbeitung von teilräumlichen Fußverkehrsnetzen,
  3. Erarbeitung eines Leitfadens für Schwachstellenanalyse,
  4. Überprüfung der Grundsätze für fußverkehrsfreundliche Lichtsignalanlagen,
  5. Erarbeitung von Standards, Kriterien und Gestaltungsregeln für Begegnungszonen,
  6. Erarbeitung von Kriterien für die Fußverkehrsfreundlichkeit von großen Einzelhandelsbetrieben und Einkaufsstraßen,
  7. Erarbeitung eines Rahmenkonzepts Öffentlichkeitsarbeit,
  8. Konzeption eines Informationsangebots Fußverkehr (Internet),
  9. Einrichtung eines „Geh-Sundheitspfads“ in Berlin-Mitte,
  10. Bearbeitung von realen und gefühlten Konflikten zwischen Radfahrern und Fußgängern.

Die Modellprojekte 1, 4 und 5 befinden sich bereits in der Umsetzung:

Zu 1: Im Jahr 2012 wurde eine erste Nutzerbefragung durchgeführt. Wichtigste Ergebnisse:

  • 54 % der Berliner Bevölkerung sind mit den Bedingungen für den Fußverkehr zufrieden oder sehr Die Einschätzungen sind allerdings von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich. Bei den genannten Sicherheitsrisiken befinden sich Konflikte mit dem Radverkehr ganz oben in der Rangliste.
  • Weitere häufig genannte Probleme beziehen sich auf die Überquerung von Straßen sowie Aspekte der sozialen Sicherheit (Beleuchtung etc.).

Zu 4: Seit 2013 werden in drei Pilotprojekten neue fußgängerfreundliche Signale erprobt, die insbesondere Sicherheit und Sicherheitsgefühl erhöhen sollen (Rot-Blinken, Grün-Blinken, Countdown-Signal).

Zu 5: In einem umfangreichen Dialogprozess wurden Kriterien für die Einrichtung von Begegnungszonen in Berlin nach Schweizer Vorbild erarbeitet und drei Straßenabschnitte für die modellhafte Erprobung identifiziert. Für den ersten Abschnitt haben die konkreten Planungen für die Umgestaltung begonnen.

Zu allen Modellprojekten gibt es ausführliche Informationen im Internet.

Die Erfahrungen im Erarbeitungsprozess und in den ersten Jahren der Umsetzung haben gezeigt: die Fußverkehrsstrategie erfreut sich hoher politischer Akzeptanz (auch wenn bei den Haushaltsberatungen immer neu um die erforderliche finanzielle Ausstattung gekämpft werden muss). Der Stellenwert des Fußverkehrs in der Verkehrspolitik ist deutlich gestiegen – dies macht Mut für die weitere Umsetzung.

4.2 Die Berliner Radverkehrsstrategie

Im Vergleich zur Fußverkehrsförderung hat die Förderung des Radverkehrs auf konzeptioneller Ebene in Deutschland bereits eine deutlich längere Tradition, Berlin hatte dagegen lange Zeit Nachholbedarf aufzuweisen. Dies änderte sich mit der ersten Berliner Radverkehrsstrategie, die im Jahr 2004 vom Berliner Senat verabschiedet wurde. In ihr wurden erstmals integrativ alle wesentlichen Handlungsfelder zur Radverkehrsförderung konzeptionell zusammengeführt und mit Maßnahmen hinterlegt. Sie war (ähnlich wie die Fußverkehrsstrategie) von einem Beratungsgremium („FahrRat“) erarbeitet und auch hinsichtlich der Umsetzung begleitet worden. Trotz knapper Kassen gelang es, die für Radverkehrsinfrastruktur zur Verfügung stehenden Mittel in den vergangenen Jahren kontinuierlich aufzustocken, wenn auch das bereits in 2004 formulierte Ziel, 5 € pro Jahr und Einwohner für den Radverkehr auszugeben, noch lange nicht erreicht ist. Immerhin trug auch die Radverkehrsstrategie dazu bei, dass sich das Fahrrad in Berlin als ernst zu nehmendes Alltagsverkehrsmittel etabliert hat (vgl. Abschnitt 2). Mittlerweile wird Berlin gelegentlich bereits als „Fahrradstadt“ bezeichnet und hinsichtlich seiner Radverkehrspolitik auch national und international aufmerksam beobachtet.

Im Jahr 2010 wurde beschlossen, die Radverkehrsstrategie aus dem Jahr 2004 fortzuschreiben. Dies geschah vor dem Hintergrund folgender Zwischenbilanz:

  • Radfahren ist in Berlin endgültig kein Nischenthema mehr, sondern gehört zum Mainstream, mit Tendenz zu weiterer Verstärkung und Verstetigung.
  • Zahlreiche Maßnahmen aus der ersten Radverkehrsstrategie konnten umgesetzt
  • Energiepreisentwicklung, Umweltgesetzgebung und andere im Wandel begriffene Rahmenbedingungen wirken sich auch zukünftig zusätzlich positiv auf die Fahrradnutzung.
  • Aber: Die Unfallentwicklung gibt Anlass zur Sorge – bei bestimmten Risikogruppen steigen die Zahlen deutlich.
  • Und: Der Akzeptanzgewinn des Fahrrads als Alltagsverkehrsmittel wird aktuell auch durch die Nutzer selbst gefährdet – das Fehlverhalten Weniger prägt die öffentliche Wahrnehmung überproportional stark. Der gesellschaftliche Grundkonsens zur Radverkehrsförderung erscheint zumindest teilweise gefährdet.

Dazu kam, dass neue Trends erhebliche Auswirkungen auf die Radverkehrsnutzung und die Anforderungen an die Radverkehrsplanung hatten und haben – und somit ebenfalls eine Neuorientierung der Radverkehrspolitik erforderlich machten:

  • Die Spannbreite von Nutzergruppen und Nutzungszwecken beim Alltagsverkehr mit dem Fahrrad ist deutlich gewachsen und wird das auch weiter tun. Dies hat Auswirkungen auf die Anforderungen an das „System Fahrrad“ (von der Infrastruktur über die Netzplanung bis zur Kommunikation).
  • Durch technische Innovationen sind moderne Fahrräder anders als vor 30 Jahren: die meisten Alltagsräder sind deutlich leichter, schneller und komfortabler. Dazu wächst die Vielfalt an Fahrradtypen bei Design und Funktionalität (z. B. bei Lasten- und Transportfahrrädern). Und schließlich sind Elektrofahrräder gerade dabei, den Markt zu revolutionieren. All dies führt ebenfalls zu ganz neuen Rahmenbedingungen und
  • Das Fahrrad ist vielerorts zu einem Massenverkehrsmittel geworden. Selbst neue Infrastrukturen (ob Radverkehrsanlagen oder Abstelleinrichtungen) gelangen häufig rasch an ihre Kapazitätsgrenzen – die Nachfrage steigt schneller als das Dies gilt auch für die Kombination von Fahrrad und ÖPNV, intermodales Verkehrsverhalten gewinnt an Bedeutung. Der Umgang mit großen Radverkehrsmengen wird so zumindest in den Städten mit stark wachsenden Radverkehrsanteilen zu einer zentralen Herausforderung.

Die neue Radverkehrsstrategie wurde erneut gemeinsam mit dem „FahrRat“ und den darin vertretenen Verbänden und Institutionen erarbeitet und im Konsens verabschiedet. Der abschließende Senatsbeschluss erfolgte im März 201311).

Die Struktur orientiert sich weitgehend an der alten Radverkehrsstrategie. Einige neue quantitative Ziele wurden formuliert, u. a. die folgenden:

  • Steigerung des Radverkehrsanteils auf 18 bis 20 % aller Wege bis 2025 (Steigerung der Zahl der täglich mit dem Rad zurückgelegen Wege von 1,5 (2008) um weitere 0,6 bis 0,9 Mio. Wege (bis 2025)),
  • Radfahren auch auf längeren Wegen (Erhöhung der durchschnittlich mit dem Rad zurückgelegten Entfernung um 25 % von 3,7 auf etwa 4,6 km (bis 2025)),
  • Verknüpfung mit öffentlichen Verkehrsmitteln verbessern (Steigerung des Anteils der kombinierten Wege von derzeit 3 auf 5 %),
  • Senkung der Unfallzahlen (Senkung der jährlich im Straßenverkehr getöteten Radfahrer um 40 %, der Verletzten um 30 % (bis 2025)),
  • Angemessene Finanzierung: der Nationale Radverkehrsplan (NRVP) der Bundesregierung sieht eine Untergrenze von 5 € pro Einwohner und Jahr bei den Investitionen für den Radverkehr Es wird angestrebt, schrittweise diese Größenordnung im Rahmen der Investitionsmittel des Straßenbaus für Maßnahmen zur Radverkehrsförderung zu erreichen (bis 2017)).

Die wesentlichen Handlungsfelder der Radverkehrsstrategie sind ebenfalls nicht neu, wurden aber teilweise ergänzt und mit neuen Maßnahmen hinterlegt:

  • Sicherung und Ausbau vorhandener Qualitäten,
  • Bessere Straßen und Wege für den Radverkehr,
  • Sicherheit im Straßenverkehr,
  • Ausreichende Abstellmöglichkeiten,
  • Verstärkte Betrachtung von Nebennetzen,
  • Verknüpfung von Radverkehr und öffentlichen Verkehrsmitteln,
  • Mehr Aufmerksamkeit für junge Verkehrsteilnehmer,
  • Einfache Orientierung,
  • Zielgruppenorientierte Öffentlichkeitsarbeit,
  • Neue Themenfelder: Elektromobilität, Wirtschaftsverkehr …

11) Alle Informationen zur Radverkehrsstrategie einschließlich aller Dokumente zum Download: http://www.stadtentwicklung.ber- lin.de/verkehr/politik_planung/rad/strategie/index.shtml

Die Maßnahmen decken eine große Bandbreite ab und sprechen auch die unterschiedlichen Akteure an – von der Hauptverwaltung des Landes über die Bezirke und die Akteure der Verkehrssicherheitsarbeit bis zu den Verbänden. Der Maßnahmenkatalog benennt klare Verantwortlichkeiten und Zeitziele.

Bei der Umsetzung der neuen Radverkehrsstrategie spielt zunächst die Kontinuität bei den bereits bestehenden Maßnahmenprogrammen eine große Rolle. So werden die Programme für neue Radverkehrsanlagen (mit dem Schwerpunkt auf Radfahr- und Angebotsstreifen im Straßenraum und der Umgestaltung von Knotenpunkten) und für die Sanierung bestehender Radverkehrsanlagen weitergeführt und weiter aufgestockt. Dies gilt auch für die gemeinsam mit den Verkehrsunternehmen durchgeführten Programme für Bike+Ride-Anlagen an wichtigen Stationen und Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs.

Wie bei der Fußverkehrsstrategie spielen aber als neuer Bestandteil des Umsetzungskonzepts auch Modellprojekte eine wichtige Rolle. Folgende sind Bestandteil der neuen Radverkehrsstrategie:

  1. Beschleunigung und Kapazitätserweiterung von zwei Hauptroutenabschnitten, vorrangig im äußeren Stadtraum abseits der Korridore des Schienenverkehrs,
  2. Konzeption und Realisierung von drei bezirklichen Fahrradroutenabschnitten mit besonderer örtlicher Bedeutung und möglicher Vorbildfunktion,
  3. Umsetzung von drei Nahbereichskonzepten durch Maßnahmen im Straßenraum, bei den Abstellmöglichkeiten und der Verknüpfung mit öffentlichen Verkehrsmitteln,
  4. Umsetzung und Evaluation von drei innovativen Knotenlösungen (z. B. Radfahrerschleuse), bei Bewährung Aufstellung von Regelplänen dazu,
  5. Fahrradfreundliche Koordinierung von Lichtsignalanlagen („Grüne Welle für Radverkehr“) auf einem mindestens fünf Signalanlagen umfassenden Abschnitt,
  6. Modellprojekt fahrradfreundliche Einkaufsstraße (Ausrüstung mit Fahrradstellplätzen und innovativen Service-Attributen (z. B. Verleih von Transporträdern)),
  7. Umsetzung von mindestens drei im Rahmen des „Masterplans Fahrradparken“ zu benennenden Vorhaben (z. B. Fahrradstation),
  8. Durchführung einer Kampagne, die zum regelkonformen Verhalten und zur gegenseitigen Rücksichtnahme zwischen Autofahrern, Radfahrern und Fußgängern aufruft.

Die Projekte 1, 5 und 8 befinden sich teilweise bereits in der Umsetzung. So läuft im Rahmen des „Schaufensters Elektromobilität“ das Projekt Pedelec-Korridor „Berlin-Brandenburg“ in dessen Rahmen in einem südwestlichen Korridor Berlins einschließlich der Umlandgemeinden der Umstieg von Berufspendlern vom Auto auf das Elektrofahrrad unter anderem durch verbesserte Infrastruktur (Radverkehrsanlagen und Fahrradparken) erleichtert werden soll12). Im Rahmen eines Forschungsprojekts der TU Berlin werden außerdem derzeit verschiedene Streckenabschnitte auf die Möglichkeit der Einrichtung einer „grünen Welle“ für den Radverkehr untersucht. Und bereits im Jahr 2012 startete eine Kommunikationskampagne zur Verbesserung des Verkehrsklimas, die vor allem auch die Konflikte zwischen Radfahrenden und anderen Verkehrsteilnehmenden verringern soll13). Diese vom Land Berlin initiierte „Rücksicht“-Kampagne kann mittlerweile bundesweit von interessierten Städten genutzt werden.

Auch die neue Radverkehrsstrategie ist von Politik (parteiübergreifend) und Öffentlichkeit gut aufgenommen worden. Entscheidend für eine effiziente Umsetzung wird die Bereitstellung ausreichender personeller und finanzieller Ressourcen sein.

12)  Mehr Informationen zum Pedelec-Korridor: http://www.nationaler-radverkehrsplan.de/pedelec/schaufensterprojekt/

13)  Mehr Informationen zur „Rücksicht“-Kampagne u. a. unter http://www.berlin-nimmt-rücksicht.de/

2 Fazit und Ausblick

Die eingangs dargestellten aktuellen Trends und die aktuellen Entwicklungen in Berlin zeigen deutlich: Nahmobilität hat Zukunft – auch und gerade, aber nicht nur in Berlin. Sie kann wesentliche positive Impulse für Stadt- und Lebensqualität setzen. Natürlich ist Berlin nur sehr bedingt auf andere Städte in Deutschland übertragbar, dennoch lassen sich aus den Berliner Erfahrungen einige verallgemeinerbare Schlussfolgerungen als Hinweise für den Umgang mit den verkehrspolitischen und -planerischen Herausforderungen der wachsenden Bedeutung von Nahmobilität in den Städten ziehen:

  • Nahmobilität braucht gezielte und strategische Förderung. Erste Erfolge (vor allem beim Radverkehr) sind in Berlin sichtbar.
  • Ihre Förderung kann über die Verkehrspolitik hinaus einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen weiterer stadtpolitischer Ziele leisten (Umwelt, Klimaschutz, stadträumliche Qualität ...).
  • Ihre Förderung ist mit vergleichsweise geringen finanziellen Mitteln möglich, die aber einen hohen Nutzen bringen. Dennoch sollte der Ressourcenbedarf gerade im personellen Bereich in den Verwaltungen nicht unterschätzt werden.
  • Rad- und Fußverkehr sind untereinander nicht konfliktfrei – hier besteht Handlungsbedarf, infrastrukturell wie kommunikativ.
  • Nahmobilität in den Städten wird angesichts der aufgezeigten Trends weiter an Bedeutung gewinnen.
  • Planungs-, Rechts- und Finanzierungsinstrumente müssen sich dem anpassen.
  • Zur Förderung der Nahmobilität gehören nicht nur Maßnahmen direkt für den Fuß- und Radverkehr, sondern auch Aktivitäten in anderen Bereichen der kommunalen Verkehrspolitik (z. B. Parkraumbewirtschaftung, Geschwindigkeitskonzepte, Quartierbuskonzepte, aber gegebenenfalls auch Maßnahmen zur Umverteilung von Verkehrsströmen).
  • Eine aktive Förderung der Nahmobilität wird auf Dauer nur zu Lasten des Autoverkehrs realisierbar sein. Verkehrsraum ist ebenso wenig beliebig vermehrbar wie Grünzeiten bei der Lichtsignalplanung. Es müssen Prioritäten gesetzt werden. Dies bringt Konflikte mit sich und bedarf politischer Rückendeckung.

All dies macht deutlich: Nahmobilität und ihre Förderung werden ein zentrales Handlungsfeld der kommunalen Verkehrspolitik der nächsten Jahrzehnte darstellen. Gefordert sind hier alle Akteure und Stakeholder, nicht nur Planer und Politiker. Und auch Bund und Länder müssen, soweit sie für wichtige Rahmenbedingungen zuständig sind, aktiv werden. Es gibt viel zu tun - aber es lohnt sich für die Städte und Gemeinden.