FGSV-Nr. FGSV 002/107
Ort Karlsruhe
Datum 17.09.2013
Titel Messtechnische Erfassung von Fahrbahnzuständen im Winterdienst – Erfahrungen aus Österreich
Autoren Dipl.-Ing. Robert Neuhold, Univ. Lektor DI. Dr. techn. Markus Hoffmann, Dr. techn. Dipl.-Ing. Peter Nutz
Kategorien Straßenbetrieb, Winterdienst
Einleitung

Trotz den in Gesetzen und Richtlinien vorgeschriebenen Mindestanforderungen an den Winterdienst sind die sich daraus ergebenden Herausforderungen aus Sicht der Straßennutzer von untergeordneter Bedeutung. Diese wollen vielmehr schnee- und eisfreie Straßen mit einer hohen Verfügbarkeit bzw. Geschwindigkeit, um sicher und schnell die angestrebten Ziele zu jeder Zeit erreichen zu können. Demgegenüber stehen technische, ökologische und ökonomische Grenzen, die vom Straßenbetreiber zu beachten sind. Insgesamt führt diese Situation zur grundlegenden Fragestellung nach der jeweils für die Situation optimalen Streustrategie bzw. konkret nach Einsatzzeitpunkt und Streumenge. In einer Reihe von Forschungsprojekten für ASFINAG, Länder und BMVIT entwickelten ganzheitlichen Winterdienstmodell sind alle relevanten Faktoren wie Niederschlagsart, Niederschlagsmenge, Verkehrsbelastung, Straßenzustand und Temperatur, Streuumläufe und Streumenge sowie Griffigkeit der Fahrbahn berücksichtigt. Das entwickelte Winterdienstmodell besteht aus den vier Kernmodulen Restsalzmenge, Wasserfilmdicke, Gefrierpunkt und Griffigkeit. Die Winterdienstlogistik, Kostenkomponenten der Streuumläufe sowie mögliche ökologische Auswirkungen sind ebenfalls Teil des Modells. Eine besondere Herausforderung in dem Modell stellt die Ermittlung der sich verändernden Griffigkeit in Abhängigkeit dieser Faktoren dar. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich daher auf die messtechnische Erfassung und Validierungsansätze im Modul Griffigkeit. Das Modul Griffigkeit ermöglicht eine Beurteilung, ob ein eintretender Gefrierprozess ohne/mit Streueinsatz auch tatsächlich zu einem Abfall der Griffigkeit führt oder nicht. Findet kein Gefrierprozess statt, so entspricht die Griffigkeit den bei standardisierten Messungen (RoadStar, Griptester) aufgenommenen Werten bei nasser Fahrbahn (μ ≥ 0,4) und ist damit auf der sicheren Seite. Gemäß den Messungen treten erhebliche Griffigkeitsverluste erst dann ein, wenn die Fahrbahntextur durch einen gefrierenden Wasserfilm soweit gefüllt ist, dass der Reifen den Kontakt zum Straßenbelag weitgehend verliert. Über Texturmessungen können sowohl Texturtiefe als auch Texturvolumen und die je nach Füllungsgrad bzw. Niederschlagsmenge bedeckte Oberfläche bestimmt werden. Daraus lässt sich in weiterer Folge der Abfall der Griffigkeit bzw. die für eine sichere Fahrt maximal zulässige Geschwindigkeit zu jedem Zeitpunkt ableiten. Die Forschungsergebnisse haben sich bereits im Winterdienst von Ländern und ASFINAG bewährt. Eine umfassende Optimierung der Streustrategien sowie Ermittlung des jeweils aktuellen Straßenzustands erfordert jedoch einen Echtzeitbetrieb des Modells. Die Ergebnisse der dazu laufenden Untersuchungen sind vielversprechend und werden bis Ende des Jahres abgeschlossen sein.

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1 Überblick Winterdienstmodell

Mit dem im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte [1, 2] entwickelten ganzheitlichen Winterdienstmodell sind die relevanten Faktoren wie Niederschlagsart, Niederschlagsmenge, Verkehrsbelastung, Straßenzustand und Temperatur, Streuumläufe und Streumenge sowie die sich ergebende Griffigkeit der Fahrbahn berücksichtigt. Das Bild 1 gibt einen Überblick über das entwickelte Winterdienstmodell mit seinen vier Kernmodulen Restsalzmenge, Wasserfilmdicke, Gefrierpunkt und Griffigkeit. Die Winterdienstlogistik, Kostenkomponenten der Streuumläufe sowie möglichen ökologischen Auswirkungen sind ebenfalls Teil des Modells, werden aber an dieser Stelle nicht näher ausgeführt.

Das Modul Restsalzmenge basiert auf den Eingangsparametern Streumenge, Streuzeitpunkt und Streugeschwindigkeit bzw. Windgeschwindigkeit sowie Verkehrsmenge nach der Streuung, Straßentextur und Zustand. Ausgehend von einem neuen Streuzyklus zu einem beliebigen Zeitpunkt wird eine Salzmenge zwischen 5 g/m2 bis 40 g/m2 im Allgemeinen als Feuchtsalzstreuung (FS30) ausgebracht. In Abhängigkeit von Straßenzustand (trocken, feucht, nass etc.), Windbedingungen und Streugeschwindigkeit kommt es zu relativ hohen Anfangsverlusten bis zu 60 % der Streumenge sowie weiteren, asymptotisch langsamer verlaufenden Verlusten durch Verspritzen bzw. Austragung durch den nachfolgenden Verkehr bis zum nächsten Streuumlauf. Für eine zuverlässige flächendeckende Ermittlung der Restsalzmenge zu jedem Zeitpunkt ist eine laufende Kalibration über eine Echtzeitübertragung der Streuumläufe sowie Daten von Restsalzmesssonden erforderlich. Für punktuelle Erfassungen im Anlassfall kann zudem eine lokale Überprüfung über das Restsalzmessgerät Sobo20 erfolgen, dass in einigen Meistereien bereits im Einsatz ist.

Bild 1: Überblick über das ganzheitliche Winterdienstmodell der TU Wien

Das Modul Wasserfilmdicke basiert auf der Prognose und gleichzeitigen Messungen von Niederschlagsereignissen sowie Reifbildung. Die resultierende Wasserfilmdicke auf der Straßenoberfläche ist dabei eine Funktion von Zeit und Niederschlagsrate sowie möglicher Trocknungsprozesse infolge Entwässerung, Verdunstung und Verspritzung (Verkehr). Die bei Reifbildung typischerweise zwischen 2:00 – 5:00 Uhr anfallende Wassermenge ist in den meisten Fällen nicht kritisch, sofern rechtzeitig vor deren Entstehung eine präventive Streuung mit 5-10 g/m2 erfolgt. Schneefallereignisse oder gefrierender Regen treten vergleichsweise seltener auf, haben jedoch aufgrund der größeren Niederschlagsmenge erhebliche Auswirkungen auf die Restsalzmenge bzw. den Verlauf der Solekonzentration. Eine Verifikation von Wasserfilmdicke und Zustand ist mittels optischer mobiler Messungen möglich.

Die Restsalzmenge und der entstehende Wasserfilm auf der Straßenoberfläche vermischen sich zu einer Sole mit abnehmender Konzentration zwischen den Streuumläufen. Ein für die Griffigkeit kritischer Gefrierprozess setzt erst dann ein, wenn der Gefrierpunkt der Sole über der Temperatur der Straßenoberfläche liegt. Der Gefrierpunkt der Sole ist ausschließlich von Konzentration und Streumittel abhängig und wurde in Laborversuchen exakt bestimmt. Die Konzentration vor Ort kann dabei über aktive und passive Sensoren lokal beobachtet werden. Die Temperatur der Straßenoberfläche ist in Abhängigkeit von Bewölkung, Lufttemperatur und Exposition prognostizierbar und kann über punktuelle Sensormesswerte sowie mobile Längsschnittmessungen z. B. bei Streueinsätzen laufend kalibriert werden.

Das Modul Griffigkeit ermöglicht eine Beurteilung, ob ein eintretender Gefrierprozess auch tatsächlich zu einem Abfall der Griffigkeit führt oder nicht. Findet kein Gefrierprozess bei einem Niederschlagsereignis statt, so entspricht die Griffigkeit typischerweise den bei standardisierten Messungen (RoadStar, Griptester) aufgenommenen Werten bei nasser Fahrbahn (μ ≥ 0,4) und ist damit auf der sicheren Seite. Erhebliche Griffigkeitsverluste treten erst dann ein, wenn die Fahrbahntextur durch einen gefrierenden Wasserfilm soweit gefüllt ist, dass der Reifen den Kontakt zum Straßenbelag weitgehend verliert. Da Griffigkeit und Textur aus periodischen Zustandserfassungen flächendeckend am Netz der ASFiNAG bekannt sind, lässt sich auch dieser Zusammenhang rechnerisch abbilden bzw. stichprobenartig durch Messfahrten prüfen. 

2 Grundlagen Griffigkeit und Anhalteweg

2.1 Vereinfachte Ermittlung der Anhalteweglänge

Unter Anhalteweg wird jene Wegstrecke verstanden, die ein Fahrzeug vom Auftreten eines Hindernisses bis zu seinem vollständigen Stillstand zurücklegt. Der eigentliche Bremsweg entspricht dabei dem Anhalteweg abzüglich des in Reaktions- und Ansprechdauer zurückgelegten ungebremsten Weganteils. Ein Überblick über den Anhaltevorgang nach Weglänge, Geschwindigkeit und Bremsbeschleunigung wird im Bild 2 zusammen mit häufig verwendeten Berechnungsansätzen gegeben. Weiterführende Ausführungen dazu finden sich unter anderem in Maurer (2008) bzw. Breuer et al. (2012).

Bild 2: Anhaltevorgang nach Weglänge, Geschwindigkeit und Bremsbeschleunigung in Reaktions- und Ansprechzeit, Schwelldauer und Verzögerungsdauer

Formeln in PDF

Vereinfachter Anhalteweg (1)

Anhalteweg nach Mitschke (2)

Anhalteweg nach Gruber (3)

mit

sges   Gesamtanhalteweglänge [m]

tr        Reaktionsdauer ~0,64 bis 1,25 [s]

ts       Schwellzeit ~0,17 [s]

μ        Reibbeiwert aus Messung [-]

a        Bremsverzögerung i.a. 5 – 8 [m/s2] Tyre Profil 0,9 (min.),1,07 (med.),1,43 (max.)

v0       Anfangsgeschwindigkeit [m/s]

ta       Ansprechdauer Kfz ~0,05 [s]

g       Erdbeschleunigung 9,81 [m/s2]

ABS  Faktor mit ABS = 1,25; ohne ABS = 1,0 ≥ 4,0 – 5,0 lt. Kraftfahrgesetz in AUT

K       Faktor PIARC / Kfz-Reifen 0,75 [-].

Da die wesentlichen Eingangsparameter vor allem in Hinblick auf Fahrzeugzustand und Reaktionszeit stark schwanken, weist auch die Länge des Anhaltewegs bei gleichbleibendem Fahrbahnzustand eine entsprechende Verteilung auf. Das Bild 3 gibt kritische Anhalteweglängen für typische Fahrbahnzustände wieder, die nur in Ausnahmefällen und unter ungünstigen Bedingungen überschritten werden (vgl. Hoffmann et al. 2010).

Bild 3: Kritische Anhalteweglänge in Abhängigkeit vom Fahrbahnzustand

2.2 Reifenlatsch, Schlupf und Griffigkeit

Als Reifenlatsch wird allgemein die Kontakt- bzw. Aufstandsfläche des Reifens auf dem Asphalt verstanden. Gemäß Untersuchungen mit dynamischen Kontaktdruckmessgeräten kann je nach Reifentyp ein Zusammenhang zwischen Kontaktfläche, Reifeninnendruck und Radlast hergestellt werden (vgl. Blab 2001; S.37–65). Über die Fläche des Reifenlatsch erfolgt nun die Übertragung von Vertikal- und Horizontalkräften, wobei der Reib- bzw. Haftungsbeiwert μ als Verhältnis der übertragbaren Horizontalkraft in Abhängigkeit von der gerade wirkenden Vertikalkraft definiert ist.

Nach Breuer et al. (2012) ändert sich mit zunehmender Horizontalkraft die Art der Kraftübertragung von Haftreibung zu Gleitreibung, was sich in einer Zunahme des Schlupf bemerkbar macht. Im Übergang von Rollen und Gleiten weist nur der vordere Rand eine Haftreibung mit entsprechender Verzahnung in der Asphalttextur auf, während der übrige Teil des Reifenlatsch über die Spitzen der Textur gleitet (Bild 4). Der Haftbeiwert steigt mit Zunahme der Texturtiefe bzw. Form der Textur und Abnahme der Reifenhärte.

Bild 4: Schematische Darstellung der Kraftübertragung im Reifenlatsch mit resultierendem Reib- bzw. Haftbeiwert μ in Abhängigkeit vom Reifenschlupf

Die Ermittlung des Haftbeiwertes erfolgt üblicherweise über standardisierte Messungen mit einem Messreifen, bei dem die übertragbare Horizontalkraft mit einem definierten konstanten Schlupf von z. B. 18 % gemessen und in Form eines Griffigkeitsbeiwertes angegeben wird. Da der Haftbeiwert bei Nässe abnimmt und kritisch in Bezug auf Bremsweg und Kurvenfahrt ist, erfolgen die Referenzmessungen z. B. mit RoadSTAR und Griptester durch Aufbringen eines konstanten Wasserfilms (Bild 5). Die Entwurfsparameter und erforderliche Mindestgriffigkeit gemäß den einschlägigen Richtlinien sind dabei so festgelegt, dass eine sichere Fahrt bei trockener und nasser Straße auch unter ungünstigen Bedingungen möglich ist.

Bild 5: Messtechnische Ermittlung der Fahrbahngriffigkeit in Österreich

2.3 Zwischenmedien Wasser, Schnee und Eis

Vergleichsmessungen zeigen, dass es sowohl erhebliche Unterschiede in der Griffigkeit bei unterschiedlicher Fahrbahnbelägen als auch bei Auftreten von Zwischenmedien wie Wasser, Schnee oder Eis gibt. Aus Sicht des Winterdienstes sind dabei der jeweilige Aggregatzustand des Zwischenmediums sowie der Übergang zwischen trockener bzw. nasser Fahrbahn und Schnee- bzw. Eisfahrbahn relevant. Die bei Niederschlagsereignissen beobachtete Griffigkeitsentwicklung kann vereinfacht über die Abnahme der Kontaktfläche zwischen Reifen und Fahrbahn mit Zunahme der Texturfüllung beschrieben werden (Bild 6).

Bild 6: Schematische Darstellung zunehmender Texturfüllung mit Wasser, Schnee und Eis sowie Reduktion der Kontaktfläche zwischen Reifen und Fahrbahn

Bei nasser Fahrbahn nimmt die Haftreibung ab und der Reifen gleitet über die Texturspitzen. Mit zunehmender Texturfüllung kommt es in Abhängigkeit von Reifenprofil und Wasserfilmdicke zu einer Verdrängung des Wasserfilms. Bei Schnee- und Eisfahrbahn ist eine solche Verdrängung hingegen nur mehr begrenzt möglich. Mit zunehmender Texturfüllung nimmt somit sowohl die Kontaktfläche des Reifens, als auch die mögliche Tiefe der Verzahnung des Profils im vorderen Bereich des Reifenlatsch mit der Fahrbahn ab, bis die Griffigkeit einer reinen Schnee- oder Eisfahrbahn erreicht ist.

3 Fahrbahntextur, Texturfüllung und Kontaktfläche

3.1 Ermittlung von Texturtiefe und Texturvolumen

Aus Sicht des Winterdienstes ist demgemäß der Aggregatzustand des Zwischenmediums Wasser sowie die zeitliche Entwicklung der Griffigkeit relevant, da diese Einsatzzeitpunkt, Streumenge und sicher fahrbare Geschwindigkeit bestimmen. Bei gegebener Niederschlagsintensität und unter ansonsten gleichen Bedingungen ist die zeitliche Abnahme der Griffigkeit direkt von der Texturtiefe bzw. dem Texturvolumen abhängig. Griffigkeit und Texturtiefe werden in Österreich am hochrangigen Straßennetz im Rahmen der periodischen Zustandsaufnahmen flächendeckend erfasst. Aus Vergleichsmessungen mit dem Sandfleckverfahren oder Topographiescans (Bild 7) ist in weiterer Folge auch das Texturvolumen ermittelbar.

In einem Forschungsvorhaben für die ASFINAG wurde das bei Asphalt- und Betonbelägen vorhandene Texturvolumen mittels Laserscan und Sandfleckmethode ermittelt und ein Zusammenhang zwischen den für das gesamte Netz der ASFiNAG zur Verfügung stehenden Texturwerten aus Messungen mit dem RoadSTAR hergestellt (Hoffmann, M. et al. 2012d; Nutz, P. et al. 2012). Die Ergebnisse der Vergleichsmessungen sind im Bild 8 zusammengefasst und können gemäß den Formeln (4, 5, 6) umgerechnet werden, wobei die Topographiescans die höchste Genauigkeit aufweisen. Das Makrotexturvolumen der 6 untersuchten Straßenbeläge zu 2 – 3 Bohrkernen ergab eine Bandbreite von 500 bis 1200 cm³/m² und ist von Mix-Design, Alter und Beanspruchung abhängig. In Hinblick auf den Winterdienst sind so die kritischen Netzabschnitte mit dem geringsten Texturvolumen bzw. Zeitreserve bis zu einem kritischen Abfall der Griffigkeit eindeutig identifizierbar.

Bild 7: Ermittlung der Fahrbahntexturtiefe und des Texturvolumens über 3D-Texturscan, 2D-MPD-Scan und Sandfleckverfahren

Bild 8: a) Vergleichsmessungen von Sandfleckverfahren VS 3D-MPD-Scan;
           b) Vergleichsmessungen von 3D-Topographiescan VS Sandfleckverfahren

Formeln in PDF

mit

MTD    Mittlere Texturtiefe Sandfleck [mm]

VL        Texturvolumen Laserscan [mm3/m2]

DSP     Durchmesser Sandfleck [mm]

MPD    Mittlere Texturtiefe RoadSTAR [mm]

VSP      Texturvolumen Sandfleck [mm3/m2].

3.2 Texturfüllung VS bedeckte Oberfläche

Für den Zusammenhang der Griffigkeitsabnahme mit der Niederschlagsintensität ist das Verhältnis des gefüllten Texturvolumens im Verhältnis zur bedeckten Oberfläche von noch höherer Bedeutung. Über eine schrittweise virtuelle Füllung der 3D-Textur aus den Topographiescans ist es möglich, den Zusammenhang zwischen bedeckter Oberfläche und Volumen für beliebe Straßenbeläge herzustellen. Das Bild 9 zeigt den Zusammenhang zwischen gefülltem Volumen und bedeckter Oberfläche für 4 Asphaltdecken und 2 Betondecken auf (Hoffmann et al. 2012d).

Am Beispiel der Betondecken mit einem max. Texturvolumen zwischen 550 und 850 cm3/m2 zeigt sich eine charakteristische Zunahme der bedeckten Oberfläche ab einem gefüllten Volumen von etwa 400 cm3/m2. Es ist daher zu erwarten, dass die gemessene Griffigkeit bei einer über dieses Maß hinausgehenden Füllung der Textur stark abfällt. Bei den untersuchten Waschbetondecken ist durch den Verlauf der bedeckten Oberfläche ein wesentlich kontinuierlicherer Abfall der Griffigkeit bei vergleichbaren Bedingungen zu erwarten. Zudem ist die Zeitreserve bis zu einem kritischen Abfall der Griffigkeit aufgrund des größeren vorhandenen Texturvolumens entsprechend höher. Bei üblicherweise vorkommenden Niederschlagsintensitäten von Schneefallereignissen, Streuabschnittslängen und Streugeschwindigkeiten am hochrangigen Netz ist die sich ergebende Zeitreserve im Allgemeinen ausreichend, um mit dem Streueinsatz bei Einsetzen der Schneefälle zu beginnen.

Bild 9: Originalaufnahme und 3D-Laserscan sowie Rückrechnung der bedeckten Oberfläche nach gefülltem Texturvolumen ausgewählter Probekörper von Asphalt- und Betondecken

4 Referenzmessfahrten und Modellrechnung

4.1 Niederschlag, Temperatur und Griffigkeit

Zur empirischen Ermittlung der Auswirkungen von Schneefallereignissen auf die Griffigkeit mit/ohne Winterdienst wurde die BAB A 10 Tauernautobahn von km 33 bis km 42 ausgewählt. Der Abschnitt weist eine konstante Verkehrsbelastung auf und wird durch drei Tunnelanlagen in etwa gleich lange Abschnitte zerteilt, was ideale Voraussetzungen schafft, um unterschiedliche Streustrategien unter annähernd gleichen Bedingungen zu untersuchen. Zudem standen eine ausreichende Zahl an Sensoren und Wetterstationen zur Verfügung, um die vorhandenen Bedingungen an der Strecke laufend beobachten zu können. Aus der Vielzahl an Messfahrten werden nun nachstehend ausgewählte Ergebnisse bei trockener Fahrbahn mit Reifbildung und bei einem Schneefallereignis kurz vorgestellt.

Die Ergebnisse der Messfahrt an einem kalten Wintertag bei weitgehend trockener Fahrbahn mit einem Wert μ ≥ 0,8 ist sehr hoch (Bild 10). Die zweite Messfahrt des Zyklus unmittelbar nach der Streufahrt ergab eine geringfügige Reduktion der Griffigkeit, die durch einsetzende Reifbildung nochmals geringfügig absank. Die Auftrocknung der Fahrbahn und der damit verbundene Anstieg der Griffigkeit zeigen sich im Ergebnis der letzten Messfahrt.

Bild 10: Gemittelte Ergebnisse aufeinander folgender Messfahrten auf der BAB A 10 in Richtung Salzburg bei trockener Fahrbahn bzw. Reifbildung und einer präventiven Streufahrt

Die Bilder 11 und 12 zeigen die Ergebnisse der Griffigkeitsmessungen auf derselben Strecke bei einem mittleren bis starken Schneefallereignis. Die Griffigkeit steigt nach der ersten Räumung und Streuung mit Einsetzen des Tauprozesses sukzessive an, sinkt danach jedoch aufgrund der andauernden Schneefälle und geringen Streumenge wieder deutlich ab. Die begleitenden optischen Filmdickenmessungen zeigen damit übereinstimmend den höchsten Schnee- und Eisanteil bei den Messfahrten mit der geringsten gemessenen Griffigkeit.

Bild 11: Detailergebnisse aufeinander folgender Messfahrten auf der BAB A10 in Richtung Salzburg bei mittlerem bis starken Schneefall und mehrfachem Räum- und Streueinsatz

Bild 12: Gemittelte Ergebnisse aufeinander folgender Messfahrten auf der BAB A10 in Richtung Salzburg bei mittlerem bis starken Schneefall und mehrfachem Räum- und Streueinsatz

4.2 Optische Erfassung des Fahrbahnzustands

Die empirische Überprüfung der gemessenen Filmdicke bzw. des Aggregatzustands des Zwischenmediums Wasser kann durch gleichzeitige optische und physische mobile Messfahrten vor und nach Streueinsätzen ermittelt werden. Die Untersuchungen der TU Wien im Auftrag der ASFiNAG basieren auf gleichzeitigen Zustandserfassungen mit dem Griptester MKII und dem optischen Vaisala-System DSC 111/DST111 bzw. Griptester MKII und dem optischen System-Teconer. Die Systeme basieren auf einem spektroskopischen Messprinzip anhand einer Analyse des reflektierten Wellenspektrums eines Infrarot-Lichtstrahls und geben Fahrbahntemperatur, Aggregatzustand und Filmdicke des Zwischenmediums wieder. Das Bild 13 zeigt die verwendeten Systeme sowie beispielhaft die bei einer Messfahrt ermittelte Verteilung der Fahrbahntemperatur.

Bild 13: Optische Erfassung des Fahrbahnzustands wie Temperatur, Filmdicke und Aggregatzustand (Wasser, Schnee, Eis) mit Angabe rückgerechneter Griffigkeitswerte

Aufgrund der vergleichsweise geringeren Kosten und der einfachen Handhabung bieten sich optische Systeme für die mobile Ermittlung des Fahrbahnzustands z. B. in Kombination mit Fahrten des Streckendienstes bzw. von Streufahrzeugen an. In Ergänzung zu punktuellen kontinuierlichen Messwerten von stationären Sensoren sind solche optischen Systeme eine wertvolle Hilfe zu Ermittlung kritischer Streckenabschnitte.

Die mit den optischen Systemen mitgelieferte Software zeigt eine rückgerechnete Griffigkeit an, die jedoch gemäß den durchgeführten Messungen erheblich von den tatsächlichen Werten abweichen kann. Die Ursache dafür ist unter anderem in den voneinander verschiedenen Refraktionswerten der einzelnen Straßenbeläge, als auch der unterschiedlichen Ausgangsgriffigkeit zu finden. Bei entsprechender Kalibration und Anpassung des Berechnungsalgorithmus sind in Zukunft deutlich exaktere Ergebnisse realistisch.

4.3 Modellrechnung Griffigkeit nach Texturfüllung

Anhand der Untersuchungen kann als erster Modellansatz eine Rückrechnung der Griffigkeit anhand der Relation der bedeckten und unbedeckten Fahrbahnoberfläche im Reifenlatsch auf Basis der charakteristischen Ausgangsgriffigkeit der Fahrbahn sowie von Schnee bzw. Eis erfolgen. Das Bild 14 zeigt eine solche Rückrechnung auf Basis der gemittelten Ergebnisseder untersuchten Asphaltdecken für eine hohe (μwet = 0,8), mittlere (μwet = 0,6) und niedrige (μwet = 0,4) Referenzgriffigkeit. Bis zu einer Texturfüllung von etwa 60 % nimmt die Griffigkeit aufgrund der charakteristischen Topographie gemäß Formel (7) nur marginal ab, um dann im weiteren Verlauf stark abzufallen. Dieser charakteristische Abfall der Griffigkeit weist eine gute Übereinstimmung mit den Messergebnissen auf, sollte aber vor einer flächendeckenden Anwendung durch weitere Untersuchungen noch besser statistisch abgesichert werden.

Bild 14: Modellrechnung der Griffigkeit nach Texturfüllung bzw. anteiliger Aufstandsfläche des Reifenlatsch auf Fahrbahn und Schneefahrbahn für unterschiedliche Ausgangsgriffigkeiten

Formel in PDF

Zeitvariable Griffigkeit aus Flächenverhältnis (7)

mit

μt            Aktuelle Griffigkeit [ - ]

μwet        Griffigkeit Referenzmessung nass [ - ]

At,wet      Anteil Fläche nass [%]

μsnow      Griffigkeit Schneefahrbahn 0,1-0,2 [ - ]

At,snow     Anteil Fläche Schnee [%]. 

5 Zusammenfassung und Ausblick

Das im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte für ASFINAG, Länder und BMVIT an der TU Wien entwickelte ganzheitlichen Winterdienstmodell erlaubt eine Berücksichtigung der relevanten Einflussfaktoren. Für gegebene Einsatzbedingungen und Streustrategien kann auf dieser Basis der sich ergebende Fahrbahnzustand ermittelt werden. Umgekehrt ist es ebenfalls möglich, die Streueinsätze auf einen angestrebten Fahrbahnzustand zu optimieren.

Für jede gegebene Straßenanlage sind die Entwurfsparameter zusammen mit der Griffigkeit der Fahrbahnoberfläche die entscheidenden Faktoren für die maximal mögliche Geschwindigkeit einer sicheren Fahrt. Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen, dass die Griffigkeit in der Realität kein fixer Wert ist, sondern sich infolge von Niederschlagsereignissen erheblich ändern kann. Gerade bei winterlichen Verhältnissen kann es zu einem Abfall der Griffigkeit auf ein Maß kommen, welches eine deutliche Reduktion der Geschwindigkeit für eine sichere Fahrt zwingend erfordert. Durch einen entsprechenden Winterdienst kann das Ausmaß dieser Einschränkungen minimiert werden.

Entscheidende Faktoren für den zeitlichen Verlauf der sich ergebenden Griffigkeit bei gegebenen Witterungsbedingungen und Streueinsatz sind die Ausgangsgriffigkeit sowie die Texturreserve des Fahrbahnbelags. Sie definieren, ab wann Niederschlagsereignisse für die jeweiligen Bedingungen kritisch sind und ob diese einen entsprechenden Eingriff erfordern. Sie bestimmen weiters die Zeit zwischen Einsetzen eines Niederschlagsereignisses bis zum kritischen Abfall der Griffigkeit und definieren damit den Zeitraum bis zu der ein reaktiver Streuumlauf abgeschlossen sein muss. Dieses Zeitfenster kann durch eine Präventivstreuung noch entsprechend vergrößert werden, wobei dann die Streu- und Austragungsverluste zu berücksichtigen sind.

Das Ziel aktuell laufender Forschungsvorhaben und der weiteren Untersuchungen ist es, die gefundenen Zusammenhänge entsprechend breit abzusichern, um damit die Grundlage für einen Echtzeitbetrieb des Winterdienstmodells zu legen. Gerade bei ständig wechselnden Bedingungen können solche Systeme in Zukunft eine wesentliche Entscheidungsgrundlage darstellen, um bei knappen Budgets optimale Entscheidungen zu treffen. Sie werden aber auch in Zukunft weder ein geschultes Winterdienstpersonal, noch eine verantwortungsvolle, angepasste Fahrweise der Verkehrsteilnehmer ersetzen können.

Literaturverzeichnis

Blab, R. (2001): Analytische Methoden zur Modellierung der Verformungseigenschaften flexibler Fahrbahnaufbauten, Habilitationsschrift ISBN: 3-901912-10-X, Wien; 2001

Breuer, B.; Bill, K. H. (2012): Bremsenhandbuch, 4. Auflage ISBN 978-3-8348-2225-3 Springer Verlag, Wiesbaden, 2012

Hoffmann, M.; Schopf, M.J.; Blab, R. (2012a): Effiziente Straßenplanung – Stochastische Entscheidungsparameter im Lebenszyklus, Artikel in Heft 2/2012 Straßenverkehrstechnik (peer reviewed), Wien, 2012

Hoffmann, M.; Nutz, P.; Blab, R.; (2012b): Dynamic modeling of winter maintenance strategies and their impact on skid resistance, Transport Research Arena TRA2012, Athen, 23. – 26. April 2012, Proceedings ELSEVIER, 2012

Hoffmann, M.; Nutz, P.; Blab, R.; (2012c): Optimierung der Feuchtsalzstreuung, Forschungsbericht 215 S im Auftrag der Bundesländer, ASFINAG und BMVIT, Wien, 2012

Hoffmann, M.; Nutz, P.; Blab, R.; (2012d): Technische und wirtschaftliche Optimierung von Streumitteln und Streustrategien im Winterdienst, Forschungsbericht 210 S im Auftrag der ASFINAG, Wien,2012

Nutz, P.; Hoffmann, M. (2012): Towards real-time skid resistance forecast, SIRWEC 2012, Helsinki, 23-25 May 2012

Maurer, P. (2008): Aspekte der Fahrbahngriffigkeit und ihr Einfluß auf die erreichbare PKW – Bremsverzögerung, Straßenforschung Heft 564, Wien