FGSV-Nr. FGSV 002/137
Ort Bergisch-Gladbach
Datum 19.04.2023
Titel Allheilmittel UVM? Ein skeptischer Diskussionsbeitrag
Autoren Arndt Schwab
Kategorien Luftqualität
Einleitung

Umweltsensitives Verkehrsmanagment (UVM) wird zunehmend als kommunales Instrument zur Vermeidung von Grenzwertüberschreitungen von NO2 und Fein(st)staub eingesetzt. Die damit verbundenen Erwartungen sind in Fachkreisen bekannt.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

In diesem Beitrag wird der Ansatz grundsätzlich hinterfragt:

  • Luftschadstoffgrenzwerte und ggf. zulässige Überschreitungshäufigkeiten sind politisch gesetzte Kompromissgrößen, die keine Garantie hinsichtlich gesunder Luft und Ausschluss gesundheitlicher Beeinträchtigungen darstellen. Zum Schutz von Kindern, alten Menschen und Personen mit bestimmten Vorerkrankungen sollte die deutliche Unterschreitung der Grenzwerte das Ziel sein, nicht bloß die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben.
  • Die Konzentration auf die Vermeidung juristisch untersagter Grenzwertüberschreitungen führt in der UVM-Logik üblicherweise zu Maßnahmen, die auf die kritischen Hotspots ausgerichtet sind, also auf das Umfeld stark belasteter Messstationen.
  • Das praktizierte „Feintuning“ der Luftmesswertstatistik an einzelnen Hotspots kann insgesamt zu mehr Mineralölverbrauch und CO₂-Ausstoß führen, z.B. bei Aktivierung von Ausweichstrecken.
  • Etwaige situative Umleitungen bedingen auch Mehrbelastungen anderer Bereiche. Damit geht die eigentliche Intention der EU-Kommission und des Europaparlaments zur generellen Vermeidung ungesunder Verkehrsimmissionen verloren.
  • Maßnahmen zur Vermeidung ungesunder Luftqualität müssen eigentlich jederzeit wirken und nicht nur dann, wenn Grenzwertüberschreitungen - und in ihrer Folge – lokale Kfz-Fahrverbote drohen.
  • Jederzeit wirksame Maßnahmen wären oftmals sogar deutlich kostengünstiger umsetzbar - mit rein statischer, analoger und einfachster Technik. Mitunter bringen ein paar Blechschilder mehr als ein System sehr teurer „intelligenter“ Wechselverkehrszeichen bzw. Lichtsignalanlagensteuerungen.
  • UVM lässt die eigentliche Problemursache weitgehend unangetastet: Das Übermaß an fossil angetrieben und meist nur unzureichend ausgelasteten Kfz (z. B. bei Pkw i. M. nur 1,2 Personen).
  • Die für Planung und Umsetzung sowie den Betrieb von UVM eingesetzten erheblichen finanziellen und personellen Ressourcen fehlen zur Maßnahmenentwicklung und -umsetzung im Sinne der Verkehrswende.
  • UVM ist kein Beitrag zu einem nachhaltigeren Verkehrssystem, im Gegenteil: Es hat das verborgene Kernanliegen, den Kfz-Verkehr wann immer möglich mit gleichem Volumen, gleichen Vorrechten und gleicher Freizügigkeit weiterfahren zu lassen. Eingriffe erfolgen nämlich nur sporadisch, wenn besonders ungünstige Luftqualität erwartet wird bzw. auftritt.
  • In den Aktivierungsstunden erhält der Kfz-Verkehr im Zuge der Hauptachsen überwiegend längeres Grün an signalisierten Knotenpunkten, um Brems- und Beschleunigungsvorgänge oder Standzeiten mit laufendem (Verbrennungs-)Motor zu minimieren. Die kürzeren Wartezeiten verkürzen auch die Reisezeiten des motorisierten Individualverkehrs und machen ihn attraktiver. Gleichzeitig müssen querende Fuß- und Radverkehre zumeist länger warten und ggf. mehr anhalten. Deshalb ist die Zauberformel der „Verkehrsverstetigung“ insgesamt betrachtet eine euphemistische Verkürzung. („Verkehr“ ist nicht nur Autoverkehr.)
  • Mit der im Allgemeinen in UVM-Systemen vorgesehenen „Verstetigung“ des jeweils größten Kfz-Stroms in Hotspot-Nähe wird zumindest der Status Quo des Kfz-Aufkommens konserviert, wahrscheinlich sogar zusätzlicher Kfz-Verkehr induziert.
  • Schon im kommenden Jahrzehnt wird es kaum noch Kfz mit Verbrennungsmotoren für fossile Kraftstoffe geben. Lohnt sich der aktuelle Riesenaufwand für UVM noch?
  • Die in Vorbereitung befindlichen halbierten EU-Grenzwerte wären eher mit dauerhaften Veränderungen einhaltbar, die modal oder an der Emissionsseite ansetzen.

Wirklich umweltsensitiv wäre es, mit den für UVM vorgesehenen Finanzmitteln und Fachleuten permanent wirksame Maßnahmen zur Vermeidung von verkehrsbedingten NO2- und Feinstaub-Emissionen bzw. Immissionen zu entwickeln und umzusetzen. Leitbild sollte dabei die schrittweise Umsetzung der bekannten Grundsätze nachhaltiger Verkehrsplanung sein, d. h. in der Reihenfolge 1. Vermeiden, 2. Verlagern, 3. Verbessern. Das würde auch andere Missstände reduzieren, z. B. den hohen Flächenverbrauch durch fahrende und v. a. parkende Kfz und die damit verbundenen Probleme (Verkehrssicherheit, Versiegelung mit Aufheizungs- und Starkregen-Risiken etc.).

Das Verbessern von Kfz-Fahrmodi und -Routen hat mancherorts eine Berechtigung, darf aber nicht isoliert und grundsätzlich nie zulasten von Fuß und Radverkehr sowie Öffentlichem Verkehr umgesetzt werden. Die stadt- und umweltverträglichen Fortbewegungsarten sollten durchweg priorisiert – und nicht nur als Ausweichoption bei schlechter Luft eingeplant und kommuniziert werden.