FGSV-Nr. | FGSV 002/131 |
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Ort | online-Konferenz |
Datum | 24.03.2021 |
Titel | Bestimmung der Real-Emissionen von Kraftfahrzeugen im Berliner Straßenverkehr mit Remote Sensing Detection und Vergleich mit den Emissionsfaktoren des HBEFA 4.1 |
Autoren | Dr. rer. nat. Ingo Düring, Wolfram Schmidt, Dr. Annette Rauterberg-Wulff, Jens Borken-Kleefeld |
Kategorien | Luftqualität |
Einleitung | ZusammenfassungErstmals wurden im Oktober/November 2019 berührungslose Abgasmessungen an Fahrzeugen im Straßenverkehr in Berlin durchgeführt, um insbesondere die realen Stickoxidemissionen zu bestimmen. Verwendet wurde das Messsystem OPUS RSD5000 mit einer horizontalen Durchstrahlung der Abgasfahne mit IR- und UV-Licht und Messung der konzentrationsabhängigen Absorption des Lichts durch Abgaskomponenten wie Stickstoffmonoxid, Stickstoffdioxid, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid oder Kohlenwasserstoffe. Der Ausstoß von CO2 und die ebenfalls von dem Gerät gemessene Geschwindigkeit und Beschleunigung der Fahrzeuge dienten dazu, den Kraftstoff- und Energiebedarf zu berechnen und die Fahrsituation zu bewerten. Zusätzlich wurden auch die Kennzeichen der vermessenen Fahrzeuge erfasst, um anhand der Fahrzeugdaten z. B. Antriebsart und Emissionsstandard zu bestimmen. Im Rahmen der Auswertung der Daten konnte ein Vergleich mit den Emissionsgrenzwerten aus der Typzulassung sowie mit den Emissionsfaktoren nach HBEFA 4.1 durchgeführt werden. Dies dient der Validierung von Emissionsmodellierungen wie sie für Luftreinhaltepläne erforderlich sind. Untersucht wurde auch, ob Fahrzeuge mit defizitärer Abgasreinigung („High-emitter“) identifiziert werden können und ob mit Remote Sensing Detection die Kontrolle von Dieselfahrverboten unterstützt werden kann. |
Volltext | Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.EinleitungDie Beurteilung von Maßnahmen der Luftreinhaltung erfordert eine genaue Kenntnis der realen Fahrzeugemissionen vor Ort. In der Regel erfolgt die Kfz-Emissionsberechnung in Deutschland mit Hilfe des Handbuchs für Emissionsfaktoren (HBEFA), siehe z. B. [1]. Hierbei müssen zahlreiche Annahmen getroffen werden, wie zur Zusammensetzung der Fahrzeugflotte und der Verkehrsqualität, um die passenden Emissionsfaktoren auszuwählen. Dabei stellt sich immer wieder die Frage, wie gut die Modellannahmen mit den realen Emissionen im städtischen Straßenverkehr, z. B. in Berlin, übereinstimmen. Diese Frage erlangte 2019 neue Aktualität, als mit der Aktualisierung des HBEFA mit der Version 4.1 [2] zahlreiche Emissionsfaktoren, besonders für Stickstoffoxide, deutlich höher als in den älteren Versionen ausgewiesen wurden. Darauf basierende Modellierungen der Stickstoffdioxid-Immissionen ergaben eher eine Überschreitung des Jahresgrenzwertes für NO2 an Hauptverkehrsstraßen als mit der Vorgängerversion des HBEFA, so dass in Luftreinhalteplänen in größerem Umfang weitergehende Maßnahmen bis hin zu Dieselfahrverboten zu prüfen sind. Für die Prognose der Entwicklung der zukünftigen Luftqualität sind zudem Kenntnisse über die Wirkung der Emissionsbegrenzung der Euro-6-Norm für Diesel-Pkw notwendig. Die Erfahrung mit Euro 5 hatte gezeigt, dass schärfere Emissionsgrenzwerte für Stickstoffoxide nicht zu der entsprechenden Emissionsminderung im realen Verkehr geführt hatten. Auch die erste Generation der Euro-6-Diesel-Pkw erfüllte nicht die Erwartungen. Ab der Stufen EURO 6c müssen die Grenzwerte auch in realitätsnäheren Zyklen und bei den Stufen 6d-temp und 6d auch bei Messungen im realen Straßenverkehr eingehalten werden. Für diese neusten Fahrzeuggenerationen lagen bei der Aktualisierung des HBEFA allerdings erst wenige Messungen an Fahrzeugen vor und es stellt sich daher die Frage, ob das im HBEFA 4.1 angegebene niedrige Emissionsniveau für NOx tatsächlich im städtischen Verkehr erreicht wird. Um diese Fragen besser beantworten zu können, wurden erstmals in Berlin Schadstoffmessungen direkt in der Abgasfahne von Fahrzeugen im Straßenverkehr mit dem Verfahren „Remote Sensing Detection“ (RSD) durchgeführt. So können direkt zahlreiche Fahrzeuge im fließenden Verkehr untersucht werden, ohne dabei störend in den Verkehr und die Fahrweise der Fahrzeuge einzugreifen. Mit dem gewählten Zeitpunkt der Messungen im Oktober/November 2019 konnte erwartet werden, Fahrzeuge aller Abgasnormen bis hin zu Euro 6d zu erfassen. Das Projekt „Ermittlung der Emissionen von Kraftfahrzeugen im fließenden Verkehr mit Remote Sensing Detection (Emi-RSD)“ [3] verfolgte damit folgende Aufgaben:
Darüber hinaus wurde geprüft, ob RSD-Messungen unterstützend bei Kontrollen von Dieselfahrverboten eingesetzt werden könnten. Messung der AbgasemissionenMessverfahren Die Messung der Abgasemissionen erfolgte berührungsfrei mit dem Messsystem OPUS RSD5000. Um den Schadstoffausstoß der Fahrzeuge zu messen, wurde quer über die Straße eine Lichtschranke aus infrarotem und ultraviolettem Licht installiert und die Schwächung des Lichtstrahls durch die Schadstoffe gemessen. Den schematischen Aufbau des OPUS RSD5000 mit der Messung in einer horizontalen Querkonfiguration zeigt Abbildung 1. Abbildung 1: Schematische Darstellung des OPUS RSD5000-Systems © OPUS RSE Die Lichtabsorption ist umso größer, je höher die Schadstoffkonzentration in der Abgasfahne ist. Es handelt sich damit um eine berührungslose Fern-Messung (englisch auch als Remote Sensing Detection oder RSD bezeichnet) ohne störende Eingriffe am Fahrzeug oder in die Fahrweise. Neben der Konzentration von Stickstoffoxiden im Abgas wird auch der Ausstoß von Kohlendioxid, Kohlenwasserstoffen, Kohlenmonoxid und Partikeln sowie die Geschwindigkeit und Beschleunigung der Fahrzeuge gemessen. Das RSD-System misst stationär für die vorbeifahrenden Fahrzeuge eine instantane Emissionsrate für den momentanen Fahrzustand. Das Ensemble aller instantanen Emissionsraten deckt erfahrungsgemäß – und auch bei den vorliegenden Messungen - einen breiten Bereich im Motorkennfeld ab und entspricht in der Summe damit Messfahrten, die aus einzelnen instantanen Teilzyklen zusammengesetzt sind. Bei der Messung wird die Konzentration der gesuchten Stoffe vor und hinter dem Fahrzeug gemessen, um den Einfluss der Vorbelastung zu berücksichtigen. Die Differenz der beiden Messwerte ist ein Maß für die Emission des Fahrzeugs. Derartige Differenzmessungen können zu negativen Emissionswerten führen, wenn das vorausgefahrene Fahrzeug sehr viel mehr Schadstoffe emittiert hat und diese vor dem zu messenden Fahrzeug noch nicht ausreichend verdünnt waren. Bei sehr niedrigen Messwerten im Bereich der Bestimmungsgrenze des Messverfahrens können auch die statistischen Messunsicherheiten zu negativen Differenzen führen. Negative Emissionsraten lassen sich somit vom Messprinzip her nachvollziehen. Sie müssen in der Auswertung berücksichtigt werden, um keinen positiven Bias zu erhalten. Negative Emissionsraten kommen umso häufiger vor, je niedriger das genuine Emissionsniveau eines Fahrzeuges ist. Durchführung der Messungen Die Abgasmessungen mit kombinierter Kennzeichenerfassung fanden im Zeitraum vom 21. Oktober bis zum 8. November 2019 im Auftrag der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz statt. Der horizontale Messaufbau des OPUS-Systems mit relativ kleinen Geräten, die auf beiden Seiten einer Fahrspur aufgebaut werden, ist einerseits sehr flexibel und benötigt nur wenig Platz am Rand der Fahrspur. Die einspurige Geometrie schränkt auf der anderen Seite jedoch die Auswahl der Messstandorte in einer Großstadt erheblich ein. So kamen die besonders hoch belasteten innerstädtischen Straßen nicht in Frage, weil dort der Verkehr häufig in beiden Richtungen zweispurig verläuft. Gemessen wurde an einer innerstädtisch gelegenen Messstelle (Sonnenallee, Neukölln) sowie an einer Ausfallstraße (Am Seegraben, Alt-Glienicke) stadtauswärts am Abzweig zur Autobahn A 117. Um Fahrzeuge mit stark erhöhten Abgasemissionen („High-Emitter“), z. B. durch Manipulationen am Abgasreinigungssystem, besser identifizieren zu können, wurden zwei Messeinrichtungen im Abstand von etwa zwei Fahrzeuglängen entlang der Straße aufgebaut. Abbildung 2: Das OPUS RSD500-System im Einsatz (mittig: Standort Sonnenallee, rechts: Standort Am Seegraben) © OPUS RSE Wichtig für die Auswertungen sind neben den Abgaskonzentrationen und den Daten zur Fahrweise auch Daten zum Fahrzeug, d. h. zur Art des Fahrzeugs (Pkw, Nutzfahrzeuge, Busse), zur Antriebsart (Otto-, Dieselmotor, weitere Antriebe), zu seinem Gewicht und zur Abgasnorm, z. B. für einen Vergleich mit Emissionsgrenzwerten. Diese Fahrzeugdaten wurden anhand der erfassten Kennzeichen ermittelt. Die Kennzeichenerhebung erfolgte in Abstimmung mit dem Datenschutzbeauftragten der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz und erforderte eine eigene Datenschutzerklärung im Internet und die Information der Öffentlichkeit im Internet und über die Presse. Die Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung ergibt sich aus Art. 6 Absatz 1 Satz 1 lit. c) und lit. e) DSGVO i.V.m. § 1 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 lit. a) i.V.m. § 3 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG), da die Kennzeichenerhebung der Untersuchung der Wirkung von Maßnahmen des Berliner Luftreinhalteplans gemäß § 47 Abs. 4 Bundes-Immissionsschutzgesetz (z. B. Ermittlung der Verursacheranteile) und Anlage 13 der 39. BImSchV (Inhalte eines Luftreinhalteplans) dient. Auswertung und Ergebnisse Die RSD-Messung selbst liefert nur die Konzentration der Schadstoffe in der Abgaswolke, bei Gasen angegeben als Mischungsverhältnis in ppm (parts per million). Um diese Werte mit den Grenzwerten aus der Typgenehmigung oder mit den Emissionsfaktoren des HBEFA vergleichen zu können, müssen sie in die Einheiten Gramm pro Kilometer (g/km) oder Gramm pro Kilowattstunde (g/kWh) umgerechnet werden. Aus den gemessenen CO2-Werten und den Angaben zum Kraftstoff/Antrieb (im Wesentlichen Diesel- oder Ottokraftstoff) kann im ersten Schritt der Schadstoffausstoß pro kg Kraftstoff berechnet werden. Die weiteren Umrechnungen erfolgten mit einer im CONOX-Projekt [4] entwickelten Methodik. Grundlage dabei ist die Bestimmung des momentanen Leistungsbedarfs und Kraftstoffflusses unter Verwendung von Fahrzeugdaten, Geschwindigkeit, Beschleunigung und Annahmen zum Wirkungsgrad der Motoren. Der berechnete Leistungsbedarf wird dabei nicht nur zu Umrechnungszwecken verwendet, sondern fließt auch in weitere Auswertungen ein, z. B. zur Bestimmung der Abhängigkeit der Schadstoffemissionen von der momentanen Leistung als erster Schritt für den Vergleich der gemessenen mit berechneten Emissionsfaktoren. Zu beachten ist bei dem Vergleich der RSD-Werte mit streckenbezogenen Emissionsgrenzwerten in g/km, dass mit RSD im Wesentlichen nur Emissionsraten unter Last ausgewertet werden können. In einem Fahrzyklus sind aber ebenso Strecken ohne Last enthalten, die nur sehr geringe Emissionen zur Folge haben. Als Faustregel gilt daher für Streckenemissionen, dass der mittlere RSD-Emissionswert in g/km durch 2 geteilt werden muss, um ansatzweise mit einem NEFZ-Wert vergleichbar zu sein [3]. Fahrzeugstatistik Für die Auswertungen lagen Messungen an fast 53.500 Fahrzeugen vor, für die auch anhand der Kennzeichen Fahrzeugdaten zugeordnet werden konnten. Der Anteil von Pkw betrug 84 %, leichte Nutzfahrzeuge (LNF) erreichten 13 % und schwere Nutzfahrzeuge über 3,5 Tonnen Gesamtgewicht (SNF) waren mit einem Anteil von 2,6 % vertreten. Innerhalb der Abgasnormen erreichten Fahrzeuge mit der Abgasnorm Euro 6ab/VI den höchsten Anteil, gefolgt von Fahrzeugen mit Euro 5/V (römische Ziffern stehen für die Abgasnormen von SNF). Dies spiegelt den hohen Anteil moderner Fahrzeuge in der Flotte wider. Circa 4 % der erfassten Kennzeichen gehörten zu ausländischen Fahrzeugen, für die keine Fahrzeugdaten ermittelt werden konnten. Diese Fahrzeuge wurden bei den folgenden Auswertungen nicht berücksichtigt. Da am Standort an der Ausfallstraße Am Seegraben aus verkehrstechnischen Gründen länger gemessen werden konnte, stammen etwa 86 % aller Daten von diesem Messort. Vergleich RSD-Messung mit dem Emissionsgrenzwert der Typzulassung Die RSD-Messungen bestätigen auch für den Berliner Straßenverkehr für die meisten Schadstoffe eine gute Übereinstimmung zwischen den realen Emissionen im Straßenverkehr und den gemäß den Emissionsgrenzwerten aus der Typgenehmigung zulässigen Werten. Dies gilt auch für die besonders gesundheitsschädlichen Abgaspartikeln. Besonders positiv sind die Ergebnisse für Diesel-Fahrzeuge mit Euro 3/III. Sie emittieren im Mittel deutlich weniger Partikel als gemäß Emissionsgrenzwert zulässig wäre. Dies ist ein Indiz dafür, dass der größere Teil dieser Fahrzeuge für das Befahren der Berliner Umweltzone (grüne Plakette seit 2010) mit einem Partikelfilter nachgerüstet wurde und dieser bei der Mehrzahl der Fahrzeuge weiterhin gut funktioniert. Wichtige und bekannte Ausnahme: die Emission von Stickstoffoxiden bei Pkw und leichten Nutzfahrzeugen (LNF) mit Dieselmotor. Wie Abbildung 3 zeigt, liegen die mittleren Emissionen von Diesel-Pkw bei der Vorbeifahrt im realen Betrieb bis einschließlich Euro 6ab um das 2- bis 4-fache über den Emissionsgrenzwerten, bei den leichten Nutzfahrzeugen der Klasse III (das sind die schwersten LNF) überschreiten Euro-5-Fahrzeuge den Grenzwert sogar um einen Faktor von etwa 5. Eine bessere Annäherung an den Grenzwert wird mit der Einführung eines dynamischeren Fahrzyklus bei der Norm Euro 6c erreicht. Zu einer Übereinstimmung mit dem Grenzwert führte jedoch erst die Anforderung nach einem Nachweis der Emissionsgrenzwerte durch Messungen der realen Emissionen (RDE – Real Driving Emissions) im Straßenverkehr mit Euro 6d-temp und Euro 6d. Bei den erfassten Euro-6d-Diesel-Pkw wird der zulässige Konformitätsfaktor von 1,44 im Durchschnitt nicht mehr ausgenutzt, der Mittelwert lag sogar knapp unter dem Emissionsgrenzwert. Allerdings überschritten immer noch mehr als 25 % der Fahrzeuge der Abgasnorm Euro 6d-temp und Euro 6d den zulässigen Emissionswert inklusive Konformitätsfaktor. Pkw mit Ottomotor und Katalysator emittieren – wie bekannt – auch im realen Betrieb nur wenig Stickoxide. Abbildung 3: Vergleich der mit RSD gemessenen NOx-Emissionsfaktoren mit den Grenzwerten der Typzulassung für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge N1-III Bei den schweren Nutzfahrzeugen sind Überschreitungen des Emissionsgrenzwertes weniger stark ausgeprägt und liegen im Bereich von Faktor 1,5 bis 3,3. Die Stickoxidemissionen der Fahrzeuge der Abgasnormen Euro III bis V sind ähnlich hoch (im Mittel 6,62 bis 7,7 g/kWh). Mit Einführung der Norm Euro VI konnten die Emissionen um fast 90 % gesenkt werden und liegen im Mittel nur noch bei 0,78 g/kWh, bei einem zulässigen Wert für die Emissionen im realen Straßenverkehr von 0,69 g/kWh. Dies zeigt die Wirksamkeit der im Bereich der schweren Nutzfahrzeuge bereits 2013 eingeführten RDE-Anforderungen bei der Typgenehmigung. Auch bei den schweren Nutzfahrzeugen gibt es Ausreißer nach oben. So überschreiten etwa 5 % der Euro-VI-Fahrzeuge den NOx-Grenzwert um den Faktor 6,5 und mehr. Für Reise- und Linienbusse wurden für eine belastbare Auswertung zu wenige Fahrzeuge gemessen. Abbildung 4: Vergleich der mit RSD gemessenen NOx-Emissionsfaktoren mit den Grenzwerten der Typzulassung für schwere Nutzfahrzeuge (zulässiges Gesamtgewicht > 3,5 Tonnen) Vergleich RSD-Messung mit den Emissionsfaktoren zur Berechnung von Kfz-Emissionen (PHEM/HBEFA 4.1) Ziel des Projektes war es außerdem, die Emissionen der Fahrzeuge im Berliner Straßenverkehr mit den Emissionsfaktoren des Handbuchs für Emissionsfaktoren (HBEFA) zu vergleichen. Das HBEFA ist eine Datenbank, erstellt u. a. unter Mitwirkung des Umweltbundesamtes, mit Emissionsfaktoren für die Berechnung des Schadstoffausstoßes für den Kfz-Verkehr, z. B. für Modellierungen in der Luftreinhalteplanung. Im August 2019 wurde die aktuelle Version 4.1 veröffentlicht, die deutlich höhere Emissionsfaktoren für Stickstoffoxide enthielt. Dies ist zum einen eine Folge des Dieselabgasskandals, aber auch das Ergebnis einer besseren Berücksichtigung von Temperatureinflüssen und Laufleistung der Fahrzeuge. Modellrechnungen mit dieser Version des HBEFA ergeben daher höhere NO2-Luftbelastungen, als sie mit der Modellversion zuvor berechnet wurden. Damit können sich höhere Anforderungen an die Minderungswirkungen von Maßnahmen bei der Aufstellung von Luftreinhalteplänen ergeben. Ob diese erhöhten Emissionsfaktoren im HBEFA 4.1 für den Berliner Straßenverkehr zutreffen, sollte mit den RSD-Messungen stichprobenhaft untersucht werden. Der Vergleich erfolgte im ersten Schritt nicht direkt mit den Emissionsfaktoren des HBEFA, sondern mit den Emissionsfaktoren aus dem PHEM (Passenger car and Heavy duty Emission Model). Denn während die RSD-Messungen für das einzelne Fahrzeug nur einen instantanen Emissionswert im Moment des Passierens der Lichtschranke liefern können, repräsentieren die Emissionsfaktoren des HBEFA einen mittleren Wert über einen Fahrzyklus über Strecken von z.T. mehreren tausend Metern. Den Emissionsfaktoren des HBEFA liegen die Emissionskennfelder des Modells PHEM zugrunde, mit denen sich sekundenfeine Emissionen in Abhängigkeit von der momentanen Motorleistung und Drehzahl berechnen lassen [5]. In PHEM wurden die Fahrsituationen, dargestellt als instantane Geschwindigkeit und Beschleunigung, nachmodelliert. Emissionen ohne Last wurden auch in PHEM nicht berechnet und daher sind die Werte mit den RS-Emissionsraten direkt vergleichbar. Für den Vergleich mit dem PHEM wurde zunächst jedem Emissionswert die momentan abgerufene Motorleistung zugeordnet. Abbildung 5 zeigt beispielhaft für Diesel-Pkw der Euronorm 6ab, wie die Stickstoffemissionen über weite Leistungsbereiche auf einem niedrigen Niveau bleiben, aber dann bei hohen Motorleistungen, d. h. besonders bei hohen Geschwindigkeiten oder hohen Beschleunigungen, deutlich ansteigen. Abbildung 5: NOx-Emission in g/km in Abhängigkeit von der instantanen Motorleistung für Diesel-Pkw Euro 6ab Neben dieser Berücksichtigung der Fahrdynamik muss bei einem Vergleich der Messungen mit dem Modell beachtet werden, dass in PHEM sogenannte Basisemissionsfaktoren ausgewiesen werden. Diese entsprechen den HBEFA-Emissionsfaktoren eines Neuwagens - d. h. ohne die Berücksichtigung des Laufleistungseinflusses - sowie für eine Außentemperatur von > 20°C – d. h. ohne Temperaturkorrektur. Die Messungen fanden jedoch im Herbst 2019 statt, mit einem Mittelwert von 10° C. Daher wurden die Messwerte mit den Korrekturfaktoren des HBEFA auf 20° C normiert. Im HBEFA wird zudem berücksichtigt, dass mit zunehmendem Fahrzeugalter bzw. mit zunehmender Laufleistung die Wirkung der Abgasnachbehandlung nachlässt, was zu einem Anstieg des Emissionsfaktors führt. Dieser Effekt wird im HBEFA durch eine Laufleistungskorrektur abgebildet. Die vollständigen Auswertungen unter Berücksichtigung von Temperatur- und Laufleistungseinflüssen ergeben eine gute Übereinstimmung zwischen Messung und Modell. Die mit RSD gemessenen Werte liegen im Mittel über alle Pkw nur etwa 5 % über dem Emissionsfaktor aus PHEM. Das Modell gibt damit die realen Emissionen gut wieder. Wie Abbildung 6 zeigt, können für einzelne Abgasnormen höhere Abweichungen sowohl nach unten als auch nach oben auftreten. So liegen die real gemessenen NOx-Emissionen von Diesel-Pkw der Euronormen 4 und 5 immer noch über den modellierten Emissionsfaktoren im PHEM. Dagegen zeigen Fahrzeuge der Euro-6-Regelungen ohne RDE-Anforderungen (Euro 6ab und 6c) eher etwas niedrigere NOx-Emissionen. Die Auswertung zeigt auch, dass die Umgebungstemperatur für Diesel-Pkw und die Alterung bei Euro-3-Otto-Pkw (und älter) eine wichtige Rolle spielen. So würden ohne Berücksichtigung der Laufleistung die realen Stickstoffoxid-Emissionen mit dem Modell im Mittel um mehr als 20 % unterschätzt. Abbildung 6: Vergleich der mittleren NOx-E-Faktoren für Pkw aus RSD-Messung (temperaturkorrigiert) mit E-Faktoren berechnet mit PHEM (mit und ohne Laufleistungseinfluss), Emissionen aus PHEM gewichtet nach der Laufleistungsverteilung HBEFA 4.1 innerorts Ermittlung von „High-Emittern“ Das Vorkommen von möglichen High-Emittern (Hochemittenten), d. h. Fahrzeugen, bei denen die Abgasreinigung nicht richtig funktioniert, wurde für Benzin- und Diesel-Pkw untersucht. Aufgrund der weitgehend ebenen Strecke variierten die Emissionen der einzelnen Fahrzeuge selbst bei gleichem Antrieb und Abgasstandard sehr stark. Die Fahrweisen an den Messstellen reichten von Bremsen über Rollen bis hin zu stärkeren Beschleunigungen, die auch bei gut geregelten Abgasreinigungssystemen zu erhöhten Emissionen führen können. Daher wurde die Arbeitshypothese aufgestellt, dass die Häufigkeit von gemessenen Emissionsspitzen für ein einzelnes, mehrfach gemessenes Fahrzeug mit der Wahrscheinlichkeit für ein Problem mit der Abgasreinigung korreliert. Der Fokus liegt auf den Pkw mit (ausschließlichem) Benzin- oder Diesel-Antrieb, weil nur dort der nötige Stichprobenumfang gegeben ist. Insgesamt konnten vollständige Datensätze von fast 21.000 Benzin- und 16.000 Diesel-Pkw der Euro-Stufen 3 bis 6d-temp bewertet werden. Für die Ermittlung von High-Emittern wurden dann die individuellen Pkw näher betrachtet, für die mindestens sieben gültige Messungen vorlagen. Damit reduzierte sich die Zahl der Fahrzeuge auf 138 Benzin- und 185 Diesel-Pkw. Dies zeigt, dass für derartige Untersuchungen längere Messzeiträume oder mehrfache Messgeräte notwendig wären. Für Benzin-Pkw wurden hohe Überschreitungen des NOx- und des CO-Emissionsgrenzwert als Indiz für High-Emitter verwendet. Für Diesel-Pkw wurde insbesondere die Funktionalität des Dieselpartikelfilters anhand der gemessenen Opazität der Abgasfahne bewertet; deren NOx-Emissionen sind bekanntermaßen baubedingt überhöht. In jeder Fahrzeugschicht waren bei dieser Auswertung nur wenige Fahrzeuge auffällig; in der vorliegenden Kampagne wurden bis zu 1% (hier: Benzin-Pkw Euro 5) als High-Emitter eingestuft. Genauere Aussagen wären nur bei einem größeren Stichprobenumfang möglich. RSD als Instrument zur Kontrolle von Dieseldurchfahrtsverboten? Die Ergebnisse der RSD-Abgasmessungen wurden auch darauf geprüft, ob das Verfahren unterstützend bei einer automatisierten Kontrolle von Dieseldurchfahrtsverboten angewendet werden kann. In Berlin werden die Fahrverbote manuell kontrolliert, d. h. die Fahrzeuge werden von der Polizei gestoppt und die Fahrzeugpapiere kontrolliert. Grundsätzlich ist es inzwischen nach einer Änderung des Straßenverkehrsgesetzes zulässig, zum Zweck der Kontrolle die Kennzeichen aller durch eine Fahrverbotsstrecke fahrenden Fahrzeuge zu scannen und eine Datenabfrage beim Kraftfahrbundesamt durchzuführen. Es werden dabei jedoch überwiegend Fahrzeuge erfasst, die nicht unter das Fahrverbot fallen. Dies ist aus Sicht des Datenschutzes kritisch zu sehen. Daher wäre es besser, wenn zunächst anhand einer Abgasmessung verdächtige Fahrzeuge identifiziert würden und nur von diesen Fahrzeugen das Kennzeichen gescannt würde. Hierzu müssen jedoch mehrere Voraussetzungen erfüllt sein:
Die Auswertungen der Stickstoffoxidkonzentrationen in der Abgasfahne zeigen für die Berliner Messungen an den zwei weitgehend ebenen Strecken eine sehr große Spannweite. So spielt es eine große Rolle, ob das Fahrzeug gerade beschleunigt wird, bei konstanter Geschwindigkeit rollt oder abgebremst wird. Für eine sichere Identifizierung reicht daher bei einer ebenen Straße eine einzelne Messung kaum aus. Dieses Problem könnte ggf. mit einem höheren Messaufwand gelöst werden, bei dem mehr Messstellen hintereinander verwendet werden, um pro Fahrzeug eine höhere Zahl von Messungen zu erreichen. Eine weitere Einschränkung hinsichtlich der Überwachung der Fahrverbotsstrecken in Berlin ergibt sich aus dem horizontalen Messaufbau des OPUS-Systems. Diese Geometrie kann nur zuverlässig messen, wenn die Fahrzeuge einzeln hintereinanderfahren und nicht in mehreren Spuren. Für die Berliner Fahrverbotsstrecken ist das System daher nur eingeschränkt, d. h. ggf. mit Eingriffen in die Verkehrsführung (z. B. mit einer temporären Mittelinsel), nutzbar. Ein RSD-Gerät mit vertikalem Aufbau ist aber von einem anderen Hersteller verfügbar. Dieses EDAR (Emissions Detection And Reporting) genannte Gerät wurde z. B. erfolgreich auf mehrspurigen Straßen u. a. in Paris und Frankfurt/M eingesetzt. Fazit und AusblickDie Abgasmessungen mit Remote Sensing Detection bestätigen auch für den Berliner Straßenverkehr die bekannten Abweichungen der Realemissionen von Stickstoffoxiden bei Diesel-Pkw von den Grenzwerten der Typzulassung für alle Abgasnormen, bei denen die Grenzwerte nur im Labor nachgewiesen werden mussten. Die Norm Euro 6c führt zu einer deutlichen Reduzierung der NOx-Emissionen und zu einer Annäherung der Realemissionen an den Grenzwert. Für Fahrzeuge, bei denen in der Typzulassung die Einhaltung von Emissionsgrenzwerten mit Messungen im realen Straßenverkehr nachgewiesen werden muss, zeigt sich sowohl für leichte als auch für schwere Fahrzeuge, dass dies (endlich) zu einer wirksamen Einhaltung der Grenzwerte und damit zu den angestrebten niedrigen Emissionen führt. Anzumerken ist jedoch, dass weiterhin bei hoher Motorlast, die über den Bereich der Messungen bei der Typzulassung hinausgeht, ein deutlicher Anstieg der NOx-Emissionen bei Diesel-Pkw festzustellen ist. Für die Weiterentwicklung der Abgasregelungen (Euro 7) sollte daher ein größerer Leistungsbereich abgedeckt werden. Wichtigstes Ergebnis der Untersuchung ist der Vergleich der gemessenen Emissionsfaktoren mit modellierten Emissionsfaktoren. Bei Berücksichtigung von Temperatur- und Laufleistungseinflüssen zeigt sich eine gute Übereinstimmung. Daraus kann zumindest für Berlin abgeleitet werden, dass bei sorgfältiger Auswahl der richtigen Verkehrssituation und damit der Fahrweise die Emissionsfaktoren des HBEFA 4.1 im Mittel (und darauf kommt es bei der Luftreinhalteplanung im Wesentlichen an) zu einer belastbaren Emissionsberechnung führen. Grenzen des RSD-Verfahrens zeigten sich unter den Rahmenbedingungen in Berlin bei der Bewertung von Einzelfahrzeugen, da die Einzelmessungen bereits durch sehr unterschiedliche Fahrweisen und Motorleistungen starke Schwankungen aufwiesen. Für einen Einsatz von RSD z. B. für die Kontrolle von Fahrzeugen im Betrieb (z. B. zur Identifizierung einzelner defekter Fahrzeuge oder zur Überwachung der In-Service-Compliance) ergibt sich daraus die Schlussfolgerung, dass dies besser an Strecken mit einer ausreichenden Steigung oder an Beschleunigungsstrecken erfolgen sollte. Auch ist es dabei vermutlich günstiger, auf weniger stark befahrenen Strecken zu messen, um einen möglichen Einfluss vorausfahrender Fahrzeuge zu verringern. Dies gilt besonders für die Abgasmessung an Fahrzeugen mit sehr niedrigen Emissionen. Für die Unterstützung von Kontrollen von emissionsabhängigen Fahrverboten bis einschließlich Euro 5/V ist das RSD-Verfahren vom Prinzip her anwendbar und kann den Eingriff in Datenschutzrechte verringern. Für eine ausreichende Differenzierung der Abgasnormen sollten hierfür bevorzugt mehrere, nacheinander angeordnete Mehrfachmessungen vorgesehen werden, um pro Fahrzeug mehrere Emissionswerte auswerten zu können. Von Interesse für die Beurteilung der aus den NOx-Emissionen resultierenden NO2-Immission ist zudem das Verhältnis von NO zu NO2 im Abgas. Entsprechende Auswertungen wurden im Projekt durchgeführt, zeigten aber hohe Unsicherheiten bei den Daten durch die überlappenden Absorptionsspektren von NO und NO2. Hier besteht noch weiterer Entwicklungsbedarf bei der Messtechnik. Die etwa sechzehntägige Messkampagne in Berlin hat umfangreiches Datenmaterial geliefert, für das weitere Auswertungen angestrebt werden. Eine mögliche Fragestellung ist z. B. die Bewertung des momentan genutzten Antriebs von Plug-in-Hybrid-Fahrzeugen, d. h. welcher Anteil fährt elektrisch und welcher mit Verbrennungsmotor? Die detaillierten Daten der Abgasmessungen werden für die Auswertung in weiteren Projekten gerne zur Verfügung gestellt. Danksagung Die Untersuchung ist Teil eines Projektes zur Erarbeitung eines Informationssystems zur aktuellen Luftqualität an Straßen (AkLuSt Berlin). Dieses Projekt wurde aus dem "Sofortprogramm Saubere Luft 2017-2020" des Bundes, vertreten durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur mit einer Fördersumme von insgesamt 155.295 Euro im Rahmen der Förderrichtlinie "Digitalisierung kommunaler Verkehrssysteme" gefördert. Literatur
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