FGSV-Nr. FGSV 002/109
Ort Bergisch Gladbach
Datum 04.03.2015
Titel Photokatalytisch aktive Lärmschutzwand-Oberflächen zur Minderung der Stickoxidbelastung
Autoren Jan Sauer, Dr. Anja Baum, Sergej Metzger
Kategorien Luftqualität
Einleitung

Im Rahmen eines für drei Jahre (2011-2014) geplanten Pilotprojekts der Bundesanstalt für Straßenwesen in Zusammenarbeit mit der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr wurde ein Teilstück der Lärmschutzwand an der BAB A 1 zwischen AS Osnabrück-Nord und AS Osnabrück-Hafen mit einer TiO2-haltigen Suspension beschichtet und das Minderungspotential für Stickoxide unter Realbedingungen untersucht.

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Zusammenfassung

Im Rahmen eines für drei Jahre (2011-2014) geplanten Pilotprojekts der Bundesanstalt für Straßenwesen in Zusammenarbeit mit der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr wurde ein Teilstück der Lärmschutzwand an der BAB A 1 zwischen AS Osnabrück-Nord und AS Osnabrück-Hafen mit einer TiO2-haltigen Suspension beschichtet und das Minderungspotential für Stickoxide unter Realbedingungen untersucht. 

Einleitung

Luftschadstoffmessungen im gesamten Bundesgebiet haben gezeigt, dass der seit 01.01.2010 geltende NO2-Jahresmittelgrenzwert der 39. BImSchV insbesondere an verkehrsnahen Standorten zum Teil stark überschritten wird. Obwohl Stickoxide (NOx) von Fahrzeugen durch innermotorische Maßnahmen sowie Abgasnachbehandlungen seit einigen Jahren deutlich reduziert wurden, nehmen die Stickstoffdioxidimmissionen nicht oder nicht in dem erwarteten Umfang ab. Kurz- und mittelfristig werden daher neben diesen direkten auch indirekte (passive) Maßnahmen erwogen. Hierzu zählt der Einsatz von Titandioxid (TiO2), das als Suspension auf Oberflächen aufgetragen oder direkt als Zusatzstoff während z.B. der Betonherstellung in den Zement beigegeben werden kann. Durch Lichteinwirkung (UV(A)-Strahlung) kann das TiO2 aktiviert und Schadstoffe wie Stickoxide reduziert werden. Titandioxid ist ein Photokatalysator, der während der Reaktion nicht verbraucht wird, so dass die Oxidationsprozesse beliebig oft wiederholbar sind. Bei vollständiger Reaktion bilden sich aus Stickoxiden wasserlösliche Nitrate und aus organischen Schadstoffen Kohlendioxid und Wasser. Unter Laborbedingungen konnte diesbezüglich ein hohes Minderungspotential gegenüber Stickoxiden nachgewiesen werden. Versuche in situ sind jedoch die Ausnahme, zudem kommen diese zu ganz unterschiedlichen Aussagen und Wirkungsgraden. Mit Hilfe dieser Pilotstudie soll das Minderungspotential von Titandioxid unter Realbedingungen an einer Bundesautobahn quantifiziert werden.

Design und Standort der Pilotstudie

Das Untersuchungsgebiet der Pilotstudie liegt an der BAB A 1 zwischen AS Osnabrück-Nord und AS Osnabrück-Hafen und umfasst eine Länge von ca. 2 km. Die 6-streifige Bundesautobahn ist in diesem Abschnitt auf beiden Seiten mit einer Lärmschutzwand (LSW) eingefasst, die im September 2011 auf einer Länge von 1 km beidseitig mit einer TiO2-haltigen Suspension (Historic Lasur HC NOx, Fa. Remmers Baustofftechnik GmbH) dotiert wurde. Die beschichtete Fläche beträgt ca. 30.000 m2. Das 1 km lange Teilstück ohne Suspension diente im Zuge der Untersuchung als Referenzfläche. Die Bestimmung der Luftschadstoffkonzentrationen erfolgte an vier Standorten, zwei am TiO2-beschichteten Abschnitt, zwei am unbehandelten Abschnitt. Die kontinuierlichen Messgeräte zur Bestimmung der Konzentrationen von Ozon (API Teledyne T400), Stickoxiden (API Teledyne T200) und Feinstaubpartikeln (Grimm Aerosol Technik EDM180) wurden auf der verkehrszugewandten Seite der Lärmschutzwand implementiert. Darüber hinaus wurden auf der verkehrszugewandten und der verkehrsabgewandten Seite der Lärmschutzwand in unterschiedlichen Entfernungen zum Straßenbauwerk 22 NO2-Passivsammler aufgestellt (Abb. 1). Neben den Luftschadstoffkonzentrationen wurden die meteorologischen Parameter Windrichtung, Windgeschwindigkeit, UV(A)-Strahlung, Globalstrahlung, Niederschlag, Luftfeuchtigkeit und Temperatur mit einer meteorologischen Station innerhalb des Untersuchungsgebiets aufgenommen. Zur Bestimmung der Verkehrsstärke wurden Daten der nahegelegenen automatischen Dauerzählstelle „Holdorf“ herangezogen.

Abb. 1: Untersuchungsgebiet und Standorte der Messgeräte an der BAB A 1 zwischen AS Osnabrück Nord und AS Osnabrück Hafen (Karte: BISStra).

Forschungsbegleitende Studien

Vor dem Einsatz der TiO2-haltigen Suspension auf der LSW wurde durch eine Voruntersuchung sichergestellt, dass keine negativen Auswirkungen auf die betroffenen Bauwerke auftreten, dies gilt insbesondere für Veränderungen der Schallabsorption. Die Messungen im Hallraum ergaben für die beiden Prüfkörper die in Tabelle 1 dargestellten Einzahl-Angaben der Schallabsorption DLa nach DIN EN 1793-1. Der beschichtete Prüfkörper weist zwar eine geringere Schallabsorption auf als der unbeschichtete, beide Körper entsprechen aber den Anforderungen gemäß DIN EN 1793-1 (Anhang A Schallabsorptionseigenschaften A3 (DLa 8 … 11 dB)) und besitzen gemäß der ZTV-Lsw 06, Abschnitt 2.2, Tabelle 1, hoch absorbierende Eigenschaften.

Tabelle 1: Einzahl-Angabe der Schallabsorption DLa nach DIN EN 1793-1 für die untersuchten Prüfkörper.

Die TiO2-Suspension auf der LSW wurde der Bewitterung und dem Schadstoffeinfluß des laufenden Verkehrs über mehrere Jahre ausgesetzt. Um Veränderungen der photokatalytischen Aktivität der TiO2-Suspension nachverfolgen zu können, war es nötig, in regelmäßigen Abständen Abmusterungen und photokatalytische Analysen durchzuführen. Da einzelne Elemente der LSW nicht ausgetauscht werden konnten und für die Analytik kleinere Flächen genügen, wurden zwei unterschiedliche Typen von Musterplatten auf einem Bewitterungsgestell im Untersuchungsgebiet ausgelegt und abgemustert (Abb. 2). Diese Muster wurden hinsichtlich der photokatalytischen Aktivität über den NO-Abbau analysiert und bewertet. Die original LSW Probekörper bzw. Musterplatten bestehen aus einem offenporigen, makrorauhen Beton und konnten somit nicht nach ISO 22197-1:2011(E) analysiert werden, stattdessen wurden für diese Proben ein „CSTR“-Reaktor (continuously stirred tank reactor) verwendet. Da deutlich mehr Erfahrungswerte mit dem ISO-Reaktor vorhanden sind, wurden zusätzlich Faserzementplatten (FZP) beschichtet, die eine glatte Oberfläche besitzen. Die ausgelegten Musterplatten wurden in spezifischen Intervallen (im Winter ein Zeitintervall von sechs Wochen, im Sommer von zwei Wochen) abgemustert. Jede dieser zwölf Proben pro Jahr wurde anschließend in einer Doppelbestimmung analysiert. Darüber hinaus wurden parallel an ausgewählten Mustern CEN-Untersuchungen durchgeführt. Von den abgemusterten Proben wurden sowohl die photokatalytische Aktivität, als auch die Optik und die Kreidung (FZP) bestimmt.

Abb. 2: Aufstellung der Bewitterungsgestelle (oben) und Aufteilung der Proben (Quelle: KRONOS).

Parallel zu den in situ vorgenommenen Messungen wurde das Stickoxidminderungspotential der mit TiO2-beschichteten LSW mit der forschungsbegleitenden Studie „Vergleich verschiedener Modellierungsprogramme zur Berechnung von Immissionen von Luftschadstoffen“ modelliert. Zunächst wurde im Rahmen eines Modellvergleichs ein geeignetes mikroskaliges Modell zur Berechnung der Konzentrationen (NOx, NO2 und NO) an den Messstationen im Nahbereich der Lärmschutzwände ausgewählt. Das Modell sollte die lokalen Einflüsse auf die Luftschadstoffkonzentrationen und den Effekt der TiO2-beschichteten Lärmschutzwände auf die Konzentrationshöhe in geeigneter Weise abbilden. Dieses Modell bzw. damit berechnete (und normierte) Konzentrationsfelder sollen als Basis eines Online-Monitoringsystems eingesetzt werden. Ziel des Online-Monitoring-Systems ist es, stündliche Daten (z.B. meteorologische Daten, Schadstoffkonzentrationsdaten, Verkehrsdaten) von Online-Monitoring-Messstationen zeitnah zu übernehmen, darzustellen und ergänzend Emissionen und Immissions-Zusatzbelastung/-Gesamtbelastung für NO2 zu berechnen. Das Online-Monitoring-System wird so flexibel gestaltet sein, dass es (nach entsprechender Anpassung der integrierten standortspezifischen Daten) auch für andere Untersuchungen und Messstandorte eingesetzt werden kann.

Abb. 3: Straßenquerschnitte für den Modellvergleich: Prinzipskizzen mit Angaben der Abmessungen in m für den beschichteten nördlichen Querschnitt (oben), den unbeschichteten südlichen Querschnitt (Mitte) sowie den Meteorologiestandort (unten) (Quelle: AVISO).

Abb. 4: Systemaufbau Online-Monitoring-System (Quelle: AVISO).

Durch die photokatalytische Reaktion der TiO2-beschichteten Oberfläche der LSW mit UV(A)-Licht entsteht u.a. Nitrat, welches ins Grundwasser ausgewaschen werden kann. Da Nitrat ebenfalls ein Umweltschadstoff ist - insbesondere im Grund- und Trinkwasser - wurde mit dem Forschungsvorhaben „Bestimmung der Nitratkonzentration des an den beschichteten Lärmschutzwänden abfließenden Niederschlagwassers“ der anfallende Nitratgehalt analysiert und mögliche ökologische Auswirkungen diskutiert. Dazu wurden vier Messstationen an den LSW im Untersuchungsgebiet installiert (Abb. 5). Die Messstationen beinhalteten Temperaturfühler, pH-Elektroden, el. Leitfähigkeitselektroden, ionenselektive Chlorid- und Nitratelektroden sowie eine zusätzliche UV-Sonde zur Nitratbestimmung. Die Daten dieser Sonden wurden online erfasst und in einer webbasierten Datenbank tabellarisch und grafisch dargestellt.

Abb. 5: Standort der (Nitrat)-Messstation 1, im TiO2-beschichteten Bereich (Quelle: UIT).

Ergebnisse

Zur Bestimmung des Stickoxidminderungspotentials der TiO2-beschichteten LSW wurden alle erfassten Parameter der in situ Messung auf Einstundenmittelwerte umgerechnet, d. h., dass über die Projektlaufzeit im Idealfall 27799 Einzelwerte pro erfassten Parameter ausgewertet werden konnten. Die mittlere Datenverfügbarkeit der erfassten Parameter (Luftschadstoffe, Meteorologie und DTV) lag bei 86%. Die Ausfallzeiten beruhen meist auf einer Inaktivität der Messgeräte während der Kalibration sowie auf technischen Störungen.

Das in diesem Projekt verwendete TiO2 ist von einem organischen Bindemittel umgeben, d.h., bis zur vollständigen photokatalytischen Aktivität muss das oberflächennahe Bindemittel durch den Photokatalysator selbst abgebaut werden. Diese „Aktivierungszeit“ lag nach Herstellerangaben bei drei Monaten, sodass davon ausgegangen wurde, die TiO2-Suspension auf der LSW sei Anfang Frühling 2012 aktiv. Durch die Ergebnisse der Forschungsbegleitende Studie

„Projektbegleitende Untersuchung zur Auslagerung von Prüfkörpern und deren Analyse auf die Entwicklung der photokatalytischen Aktivität einer TiO2-Suspension“ konnte gezeigt werden, dass eine Aktivierungszeit von einem Jahr angenommen werden muss. Dies bedeutet, dass erst Ende 2012 von einer vollständigen photokatalytischen Aktivität der mit TiO2-beschichteten LSW ausgegangen werden konnte.

Die Helligkeitsentwicklung der TiO2-Suspension wurde aufgrund der glatten Oberfläche nur bei den FZP Probekörpern durchgeführt. Die Werte wurden mit einem Standardmessgerät der Fa. Byk Gardner aufgezeichnet. In Abbildung 6 ist der Helligkeitsverlauf in Abhängigkeit der Auslagezeit dargestellt. Die Suspension zeigt zunächst eine Helligkeitsabnahme, was darauf schließen lässt, dass die Oberfläche der Probe durch die Umgebung (Schmutz, Autoabrieb, etc.) verunreinigt wurde. Nach ca. 20 Wochen stellte sich ein Gleichgewicht ein. Die Helligkeit der Probe ändert sich nicht mehr. Dies wiederum könnte darauf hinweisen, dass die Photokatalyse eine weitere Zunahme der Verschmutzung der Oberfläche verhinderte.

Abb. 6: Helligkeitsentwicklung der aufgetragenen Suspension (Quelle: KRONOS).

Aus den Analysen der online gemessenen Werte zur Nitratbilanzierung ergibt sich, dass das Porensystem der LSW relativ große Mengen des aufgenommenen Regenwassers zwischenspeichert, das anschließend wieder verdunsten kann. Nur bei großen Regenereignissen durchsickern Wassermengen das Porensystem, wobei Nitrat ausgewaschen und dem angrenzenden Boden zugeführt wird. Die Zusatzbelastung an Gesamtstickstoff von den beschichteten Lärmschutzwänden betrug 0,20 g/lfdm. Vergleicht man diese Fracht mit den maximal zugelassenen jährlichen Düngeeinträgen aus der Landwirtschaft mit bis zu 23 g/m², so ist die Zusatzbelastung durch das von der Lärmschutzwand ablaufende Regenwasser als marginal zu erachten.

Die in situ Messergebnisse zeigen auf den ersten Blick keinen signifikanten Rückgang der Stickoxidbelastung im Untersuchungsgebiet an der BAB A1 bei Osnabrück. In der Abbildung 7 ist der Konzentrationsverlauf der Stickoxide über die Projektlaufzeit dargestellt.

Weitere Analysen zu den in situ Messungen sowie zu den forschungsbegleitenden Studien werden im Vortrag vorgestellt.

Abb. 7: Mittelwerte der Stickoxidkonzentration (NO, NO2 und NOx) über die Projektlaufzeit (Monate) und Messstationen. Die Messstationen NE und NW befinden sich im Untersuchungsgebiet mit der TiO2-beschichteten LSW, die Messstationen SE und SW liegen im Bereich ohne TiO2-Beschichtung.