FGSV-Nr. FGSV 001/28
Ort Dortmund
Datum 05.10.2022
Titel Der Weg in die Nachhaltigkeit – Potenziale und Umsetzungen in der Straßenbautechnik
Autoren Univ.-Prof. Dr. Ing. Ulf Zander
Kategorien Kongress
Einleitung

Der Straßenbau in Deutschland muss sich zukünftig deutlich stärker noch als bislang auf die Nachhaltigkeit in allen Prozessen der Herstellung der Baustoffe, der Errichtung des Bauwerks und der Entsorgung beim Ausbau von Schichten der Verkehrsbefestigung ausrichten. Die Erfordernisse des Klimaschutzes haben zu europäischen Regelungen und nationaler Umsetzungen geführt, die aller Voraussicht nach zu einem grundlegenden Wandel der Branche führen werden und die Wirtschaftlichkeit als allein bestimmendes Maß für die Bautätigkeit ablösen wird.

Das prioritäre ökologische Nachhaltigkeitsziel ist der Klimaschutz, das wesentlichen Beiträge durch die Reduzierung von Treibhausgasemissionen erhalten soll. In diesem Bereich kann der Straßenbau signifikate Potenziale erschließen und sich somit positiv auf die in der Taxonomie-Verordnung genannten Ziele ausrichten und an den darin postulierten Investitionsschwerpunkten partizipieren. Darüber hinaus ist die Kreislaufwirtschaft und damit die Ressourcenschonung ein für den Straßenbau weiterhin zu optimierender Tätigkeitsbereich.

Somit sind die Reduzierung von Temperaturen in allen Bereichen des Straßenbaus, der qualitativ hochwertige Umgang mit Baustoffen und deren effizienter Einsatz und vor allem die Steigerung von Nutzungsdauern für die Gesamtbefestigung und alle einzelnen Aufbauschichten bedeutsame Ziele, die kurzfristig angegangen und im Regelwerk umgesetzt werden müssen.

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1 Nachhaltigkeitsziele und Motivationen

Während der Abwicklung von Straßenbaumaßnahmen ist an vielen Stellen erkennbar, wie sehr die Prozesse von ökologischen Gedanken geprägt sind und wie stark mittlerweile Umweltbelange insbesondere in den Umgang mit Baustoffen eingreifen. Ersatzbaustoffverordnung und Mantelverordnung geben hier umfassende Regelungen vor, die den Straßenbau einerseits vor Herausforderungen stellen, andererseits aber als Branche präsentieren, die die Wiederverwendung von Baustoffen über inzwischen mehrere Jahrzehnte hinweg so offensiv betreibt wie kaum eine andere in Deutschland.

Diese positive Eigenwahrnehmung kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Straßenbau nach wie vor von vielen, vor allem als Belastung für die Umwelt gesehen wird. Beharrlich wird darauf verwiesen, dass die Treibhausgasemissionen im Verkehrsbereich auf einem zu hohen Niveau stagnieren und mittlerweile gegen die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes verstoßen. Als Folge hieraus war der Bundesverkehrsminister gezwungen, ein Sofortprogramm aufzustellen, das die Einhaltung dieses Nachhaltigkeitsziels im Verkehrssektor zukünftig sicherstellt. Erwartungsgemäß konzentrierten sich die von ihm präsentierten Maßnahmen auf die rein verkehrlichen Ansatzpunkte, während der Straßenbau nicht angesprochen wurde. Dies begründet sich darin, dass der Baubereich in Gänze dem Sektor Industrie zugeordnet ist. Hier sind zwar durchaus Reduzierungen hinsichtlich der Treibhausgasemissionen zu verzeichnen (Bild 1), mit 2,2 % über die vergangenen 10 Jahre halten sich diese jedoch auch in Grenzen. Nur um Haaresbreite wurde damit der Vorgabe des Klimaschutzgesetzes entsprochen. Es ist absehbar, dass die Ziele der kommenden Jahre mit jeweils zunächst 2 bis 3 % und später bis zu 6 % mit unveränderten Anstrengungen nicht erreichbar sein werden.

Bild 1: Entwicklung der Treibhausgasemissionen und Zielvorgaben des Klimaschutzgesetzes (KSG) im Sektor Industrie (Umweltbundesamt, 2022)

Für die Straßenbauindustrie können sich die Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit aber nicht allein auf dem Gebiet der Treibhausgasemissionen beschränken. In der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung (Bundesregierung, Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie – Weiterentwicklung 2021, 2021) sind weitere Ziele definiert, denen sich Deutschland verpflichtet fühlt und die damit zu entsprechendem politischen Handeln veranlassen werden. Es ist also erkennbar, dass nachhaltiges Handeln für die Bauunternehmen nicht eine Option darstellt, sondern vielmehr im starken Eigeninteresse betreiben werden muss. Neben den zu erwartenden politischen Weichenstellungen liegt es auch im Interesse der Bauindustrie, verantwortungsbewusst mit den heute schon nicht immer ausreichend zur Verfügung stehenden Baustoffen umzugehen. Darüber hinaus ist aus den Erfahrungen im Hochbau bekannt, dass ökologisches Handeln in den meisten Fällen auch zu wirtschaftlichen Vorteilen führt. Der Straßenbau konnte dies mit der Einführung der Wiederverwendung von Asphalt selbst beobachten.

Für die Bauindustrie rücken mindestens die drei Sustainable Development Goals „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“ (SDG 8), die zum einen die Gesundheit der Mitarbeiter und zum anderen die Ressourcenschonung umfassen, „Bezahlbare und saubere Energie“ (SDG 7) sowie „Maßnahmen zum Klimaschutz“ (SDG 13), das die Treibhausgasemissionen behandelt, in den Fokus. Die Seite der Baulastträger wird im Bereich des Straßenbaus in dem Sustainable Development Goal „Industrie, Innovation und Infrastruktur“ (SDG 9) angesprochen. Hier ist die Sicherstellung der Infrastruktur als Ziel definiert, wobei sich dies zum einen auf die Qualität der Straßen als auch auf deren Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel bezieht.

Da auch die Fortschritte bei der nachhaltigen Entwicklung fortwährend beobachtet und dokumentiert werden (Bundesregierung, Bericht über die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, 2021), ist anzunehmen, dass zur Sicherstellung der Zielerreichungen zukünftig detaillierter auf die Potenziale und Resultate geschaut werden wird. Hierzu sind zum einen die erforderlichen Daten zu definieren und zum anderen Prozesse einzuführen, die eine praktikable Auswertung ermöglichen. Denkbar ist hier, dass die auf Bundesebene und bei der Autobahngesellschaft geführte Aufbaudatenbank genutzt wird, um die erfolgten Neubau- und Erhaltungsmaßnahmen in Bezug auf den Oberbau zu erfassen und zur Grundlage solcher Analysen zu machen. Auf diese Weise können die verbauten Baustoffmengen vergleichsweise einfach erfasst werden. Über die Wiederverwendungsraten, die bei Einführung der Prüfdatenbank Equbar (BMVI, 2019) auch detailliert vorliegen werden, ist auch der Verbrauch neuer Baustoffe, der zur Erreichung einer Kreislaufwirtschaft minimiert werden muss, ermittelbar. Wird im Weiteren ein Verfahren aufgestellt, mit dem alle Prozesse bis zum Einbau des Materials hinsichtlich der genutzten Energie und der verursachten Emissionen analysiert werden, stehen die maßgeblichen Ergebnisse für ein Monitoring der maßgebenden Nachhaltigkeitsindikatoren des Bauens bereit.

Für die jährliche Dokumentation der Straßenzustände existieren mit dem Verfahren der Zustandserfassung und -bewertung langfristig erprobte und bewährte Systeme, die auf vergleichsweise einfache Weise die Entwicklung darstellen können.

2 Übergeordnete politische Vorgaben

Die beschriebenen Bemühungen der Politik zur Festlegung von Kriterien für die Bewertung der Nachhaltigkeit für – im vorliegenden Fall des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr – den Sektor Verkehr und indirekt auch für den der Industrie folgen den europäischen Vorgaben der Taxonomie-Verordnung (EU, 2020). Der Anlass für diese Verordnung wird in § 1, Absatz 7 folgendermaßen ausgeführt:

„Angesichts des systemischen Charakters der globalen Umweltprobleme bedarf es eines system- und zukunftsorientierten Ansatzes für die ökologische Nachhaltigkeit, mit dem den zunehmenden negativen Trends wie Klimawandel, Verlust an biologischer Vielfalt, weltweit übermäßige Inanspruchnahme von Ressourcen, Nahrungsknappheit, Ozonabbau, Versauerung der Ozeane, Verschlechterung des Süßwassersystems und Landsystemwandel sowie das Aufkommen neuer Bedrohungen, einschließlich gefährlicher Chemikalien und ihrer kombinierten Wirkungen, begegnet wird“.

Angestrebt wird damit, dass die durch Untätigkeit oder verzögertes Handeln entstehenden Kosten durch einen allmählichen Umbau des Finanzsystems in Richtung einer Unterstützung nachhaltigen Handelns gemindert oder gar vermieden werden. Kapitalflüsse sollten deshalb in nachhaltige Investitionen gelenkt werden, wozu es erforderlich ist, die nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten konkreter zu definieren. Dies geschieht anhand der beschriebenen Indikatoren, die die Taxonomie-Verordnung als Umweltziele bezeichnet. Konkret sind hier genannt (§ 9):

a. Klimaschutz,
b. Anpassung an den Klimawandel,
c. die nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen,
d. der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft,
e. Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung,
f. der Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.

(a. und b. finden seit 2022 Anwendung, die restlichen ab Anfang 2023)

Anhand der noch festzulegenden Kriterien für diese Umweltziele wird eine Wirtschaftstätigkeit zur Beurteilung des Grads der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition bewertet, wobei die Verordnung festlegt, dass dieses stets über den Lebenszyklus zu erfolgen hat (z. B. § 1, Absatz 40). Deutlich wird also, dass die Wirtschaftlichkeit zwar eine Säule der Nachhaltigkeit darstellt, dass die Taxonomie-Verordnung aber klar auf Umweltziele fokussiert und damit wirtschaftliche Tätigkeiten, die zur Unterstützung dieser Ziele beitragen, besonders unterstützt. Dabei berücksichtigt sie aber gleichzeitig an verschiedenen Stellen, dass bestehende wirtschaftliche Strukturen nicht von heute auf morgen neu ausgerichtet werden können.

Besondere Aufmerksamkeit bekommt aus verschiedenen Sektoren der Erwägungsgrund 40 zu, wo es heißt: „Eine Wirtschaftstätigkeit sollte nicht als ökologisch nachhaltig gelten, wenn die von ihr verursachten Umweltschäden ihren Nutzen für die Umwelt übersteigen“. Sowohl der Sektor Verkehr als auch der der Industrie müssen deshalb größte Anstrengungen unternehmen, um die Klimaneutralität ihrer Handlungen anzustreben und damit an den Vorteilen der Neuausrichtung des Finanzsektors teilhaben zu können. Auf diesem Weg empfiehlt die Verordnung, dass auch Wirtschaftstätigkeiten während der Übergangsphase mehr Investitionen erhalten sollten, die bereits als CO2-arm anzusehen sind. Diese sollten sich auf die Bereiche konzentrieren, die bei der Verursachung von Treibhausgasemissionen deutlich unter dem Sektor- oder Branchendurchschnitt liegen. Die Verordnung verlagert somit die Konkurrenz zwischen den Tätigkeitsbereichen von der Wirtschaftlichkeit hin zur ökologischen Nachhaltigkeit und stärkt die diesbezüglich aktiven Bereiche mit wirtschaftlichen Vorteilen.

3 Vorhandene und zukünftige Potenziale

Sowohl an der Reihenfolge der in der Taxonomie-Verordnung aufgeführten Umweltziele als auch an der früheren Einführung der beiden Ziele Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel wird die Dringlichkeit der Maßnahmen zur Begrenzung der Auswirkungen des veränderten Klimas deutlich. Die Verkehrsinfrastruktur wurde in den zurückliegenden Jahren immer wieder und teilweise dramatisch durch Extremwetterereignisse in Mitleidenschaft gezogen. Diese Häufung ungewöhnlichen Wetters verursacht erhebliche Kosten, ist aber nur eine Ausprägung neben dem langsamer verlaufenden Klimawandel mit einem Trend der stetigen Erwärmung. Die Bundesanstalt für Straßenwesen ist Teil des BMDV-Expertennetzwerkes und arbeitet ressortübergreifend mit anderen Institutionen an diesem Thema zusammen, um die Verkehrsnetze klima-resilienter auszugestalten (Expertennetzwerk, 2022). Darüber hinaus sind aber auch in der Bautechnik erhebliche Angleichungen zu vollziehen, um die bisherigen Dauerhaftigkeiten auch zukünftig sichern zu können (Krieger, et al., 2020).

Für den Klimaschutz ist die Reduzierung der Treibhausgasemissionen essenziell. Mit den bekannten Ansätzen einer breiteren Anwendung von Warm- und Kaltasphalten, der Umstellung der Energieträger von Mischanlagen und Zementwerken sowie der Verwendung veränderte Zemente liegen hier noch signifikante Potenziale vor (Zander, 2022). Es ist aber dringend erforderlich, dass solche seit längerem bekannte Konzepte nun auch Eingang in die Regelwerke finden. Aktuell wird beispielsweise daran gearbeitet, in welchen Belastungsklassen und in welchen Schichtdicken Befestigungen unter Verwendung von Kaltasphalt (nicht Reparaturasphalt) in die „Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen“ (RStO) (FGSV, 2012) eingebracht werden können. Eine Vielzahl von bautechnischen Regelwerken werden mit Blick auf die Nachhaltigkeit noch einmal kritisch überdacht werden müssen.

In Deutschland fielen im Jahr 2018 insgesamt 14,1 Mio. t Straßenaufbruch an (Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden, 2021), von denen lediglich 2,5 % auf Deponien verbracht wurden. 93,2 % hingegen wurden recycelt. Für den Asphalt liegen die Wiederverwendungs-raten seit vielen Jahre oberhalb von 80 %, wobei jedoch die der Wiederverwendung zugeführten Mengen in etwa konstant bleiben. Die Wiederverwendungsrate, die den Anteil des Asphaltgranulats an der gesamten Asphaltproduktion widerspiegelt, steigt somit in den letzten Jahren an und erreicht eine Größenordnung von rund 30 %. Auf dem Weg zur vollständigen Kreislaufwirtschaft wurden von der Jahrtausendwende bis heute fast die Hälfte der Rohstoffe reduziert.

Bild 2: Asphaltproduktion, Rohstoffverbrauch und Wiederverwendungsrate als Kennwerte der Ressourcenschonung (Daten: (dav, 2020))

Aus dieser Entwicklung lässt sich ableiten, dass sich die verbleibenden rund 26 Mio. t jährlich erforderliche Asphaltmenge aus neuen Rohstoffen nicht im größeren Maß durch eine weitere Steigerung des Recyclings reduzieren lassen wird. Selbst wenn alle anfallenden Asphaltgranulatmengen direkt wiedereingesetzt werden würden, verblieben jährlich 24 Mio. t Asphalt, die zur Abwicklung der erforderlichen Maßnahmen aus frischen Rohstoffen hergestellt werden müssten. Es sind deshalb zusätzliche Ansätze zu verfolgen, um das Ziel der Kreislaufwirtschaft zu erreichen. So ist der Einsatz von Ersatzbaustoffen hierfür sicher geeignet.

Im Betonstraßenbau ist die Wiederverwendung der Decke im gebundenen Oberbau bislang nur auf sehr niedrigem Niveau präsent. Die öfter angeführten Bedenken, dass dadurch ungeprüfte Bestandteile in den Bauprozess eingebracht werden würden, die dann womöglich zu einer Alkali-Kieselsäure-Reaktion (AKR) führen könnte, sind sicher zu berücksichtigen. Jeder im Zuge eines Rückbaus anfallender Beton liegt jedoch meist seit mehreren Jahrzehnten dem Verkehr und dem Wetter ausgesetzt, so dass zunächst Hinweise auf eine solche Exposition eruiert werden können. Zudem ist eine anstehende Erneuerung einige Jahre zuvor bekannt, das heißt es ist ausreichend Zeit vorhanden, die erforderlichen Prüfungen zum Ausschluss einer AKR durchzuführen. Sicherlich bestehen in Bezug auf die Wiederverwendung von Deckenbeton im Straßenbau weitere Fragestellungen, es ist aber wahrscheinlich, dass sich eine Verfahrensweise, die in Österreich seit vielen Jahren erfolgreich angewendet wird, auch auf Deutschland übertragen lässt.

Am Fraunhofer-Institut für Bauphysik wurde vor rund fünf Jahren die elektrodynamische Fragmentierung (Bild 3) entwickelt, mit der sich Betone in erstaunlicher Güte in die Ausgangsbestandteile selektiv trennen lassen. Hierzu ist ein nicht unerheblicher Energieeinsatz aufzubringen, allerdings zeigen auch bisherige Umweltproduktdeklarationen, dass die Herstellung des Betons sehr hohe Energieverbräuche und THG-Emissionen mit sich bringen, so dass der positive Beitrag der Ressourcenschonung durch hochwertige Wiederverwendung insgesamt betrachtet eventuell nicht durch einen energieintensiven Prozess beeinträchtigt wird. Aktuell laufen Bemühungen diesen Recyclingprozess sowohl hinsichtlich des Energieverbrauchs als auch mit dem Ziel der Steigerung des Mengendurchsatzes.

Bild 3: Resultierende Fraktionen bei Anwendung der elektrodynamischen Defragmentierung von Beton (https://www.ibp.fraunhofer.de/de/kompetenzen/mineralische-werkstoffe-baustoffrecycling/aufbereitungsverfahren/elektrodynamische-fragmentierung.html)

Eine Übertragung der elektrodynamischen Fragmentierung auf Asphalt scheint derzeit nur möglich, wenn das Bindemittel sehr hart ist. Trotzdem kann der Grundgedanke, dass ein Wiederverwendungsprozess nicht auf eine schlichte Zerkleinerung des Schichtmaterials beruht, sondern zunächst eine klare Trennung von zumindest Mörtel und Gestein stattfindet, zu einer qualitativen Verbesserung des Asphalts führen, der die Anzahl möglicher Zyklen bei der Wiederverwendung erhöht. In diesem Zusammenhang wird auch untersucht, ob hierfür großmaßstäbliche Mikrowellenanlagen eingesetzt werden können.

Solche Verfahrensentwicklungen gewinnen derzeit selbstverständlich deutlich an Bedeutung. Ihr Ziel besteht aber eher darin, den Wiederverwendungsprozess dauerhaft zu verstetigen, um qualitative Verluste zu vermeiden, oder aber auch in der Beseitigung von umwelt- und gesundheitsschädigenden Bestandteilen wie Teer. Ihre Anwendung wird aber nicht dazu führen können, dass der Einsatz frischer Baustoffe signifikant sinkt.

Um sich diesem Nachhaltigkeitsziel, die erforderliche Menge an Baustoffen zu reduzieren, anzunähern, kann man beispielsweise die erforderliche Dicke des Straßenaufbaus durch die Anwendung der rechnerischen Dimensionierung verringern. Auch kann die Bewertung der strukturellen Substanz dazu genutzt werden, eine bestehende Straßenbefestigung nicht grundhaft zu erneuern, sondern Teile zu erhalten und den Aufbau für die zukünftigen Belastungen gezielt zu verstärken. Unbestritten liefert aber die Erhöhung von Nutzungsdauern von Straßenbefestigungen und deren Schichten den größten Beitrag für die Nachhaltigkeit in Gänze. Die durch die unterschiedlichen Ansätze zu erwirkenden Potenziale müssen dabei über einen definierten Betrachtungszeitraum, der mehr als einen Lebenszyklus einer Straße abbildet, errechnet werden, weil mit den meisten Maßnahmen verschiedene Qualitäten, das heißt anzusetzende Nutzungsdauern verbunden sind. So wird beispielsweise durch die Verwendung von Gussasphalt statt eines Splittmastixasphalts keine Asphaltmenge eingespart, durch die höhere Dauerhaftigkeit des Gussasphalts ergeben sich in einer überschlägigen Abschätzung auf eine Dauer von 50 Jahren Reduzierungen von mehr als 5 % auf den gesamten Rohstoffeinsatz zur Erstellung und Erhaltung eines Straßenabschnitts. Wie in (Zander, 2021) dargestellt, erscheint es bei der Anwendung von Kompaktasphalt sogar möglich, den Erhaltungszyklus von Asphaltdecken auf die Dauerhaftigkeit der Asphalttragschicht abzustimmen, womit – abgesehen von kleineren Maßnahmen – ein über Jahrzehnte hinweg währende erhaltungsfreie Nutzung verwirklicht wäre. Eine solche Straßenbefestigung stellt gleich in mehrfacher Hinsicht einen deutlichen Nachhaltigkeitsfortschritt dar. Das Bild 4 verdeutlicht, dass wiederum anhand grober Abschätzungen, hierdurch zum einen die jährlichen Kosten und zum anderen der Ressourceneinsatz um jeweils etwa ein Drittel gesenkt werden können. Wird dieses Aufbau zusätzlich mit dem Konzept der Ewigkeitsstraße, d. h. mit einer Dimensionierung von deutlich oberhalb von 30 Jahren, kombiniert, sind zusätzliche Einsparungen von rund 20 % möglich.

Bild 4: Mögliche Reduzierungen von Kosten und Baustoffressourcen durch Einsatz von Kompaktasphalt und einer Dimensionierung auf längere Nutzungsdauern (*: grobe Kalkulation; Kostendaten-Basis 2013; berücksichtigte Kostendaten: Material, Einbau, Ausbau ausschließlich für Oberbau, Baustelleneinrichtung, WuG; **: ohne Ansatz der Wiederverwendung (überwiegend Deckschicht-Erneuerungen)

Im Betonstraßenbau sind diese geringen Erhaltungsaufwendungen im Zuge des Lebenszyklus systemimmanent weitgehend verwirklicht, wodurch der Gesamtbaustoffeinsatz etwa 5 bis 10 % unterhalb dessen von Asphaltbefestigungen liegt. Bezogen auf den Einsatz neuer Baustoffe, also unter Berücksichtigung der Wiederverwendung von Asphalt liegt dieser bei Betonstraßen allerdings trotzdem etwa 25 % oberhalb dessen von Asphaltstraßen. Dass die Betonbauweise hier aber gegenüber einer Asphaltbauweise hinsichtlich der Erhaltungskosten geringere Aufwendungen erforderlich macht, ist hinlänglich bekannt und dokumentiert (BMBV, 2005).

Die Betonbauweise besitzt aber auch noch deutliches Potenzial bei der Erhöhung der Nutzungsdauer. Allein über die Wahl einer höheren Betonfestigkeit lassen sich rein rechnerisch selbst bei hohen Verkehrsbelastungen Dauerhaftigkeiten von mehr als 50 Jahren erzielen. Weitere Potenziale liegen selbstverständlich in größeren Deckendicken, die eventuell aber auch zu veränderten Konstruktionsdetails beispielsweise hinsichtlich der Plattengeometrien, Fugen, Dübel und Anker veranlassen müssten. Hierzu liegen aber aus dem Flugplatzbau nutzbare Erfahrungen vor. Ob sich solche Bauweisen wirtschaftlich darstellen oder ob es dann sinnvoller ist, eine dünnere, dafür aber durchgehend bewehrte Konstruktion vorzusehen, müssen derzeit laufende Forschungsprojekte (z. B. (Neumann, 2022)) und angelegte Versuchsstrecken zeigen. Auch für diese Bewertung sind allein Betrachtungen über den gesamten Lebenszyklus und damit unter Einbeziehung des Rückbaus und der Wiederverwendung zielführend.

4 Nachhaltiger Wandel des Straßenbaus

Das Klimaschutzgesetz definiert Ziele, die in Anbetracht der offensichtlichen Klimawandelfolgen als überaus erforderlich angesehen werden müssen und die von einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit mitgetragen werden. Die europäischen und nationalen politischen Institutionen haben mit der Nachhaltigkeitsstrategie (Bundesregierung, Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie – Weiterentwicklung 2021, 2021) sowie der Taxonomie-Verordnung klare Weichenstellungen vollzogen, die weitreichende Veränderungsprozesse in der Straßenbaubranche erwirken werden. Dieser veränderten Rahmenbedingungen zu ignorieren und das bisherige Geschäft in gewohnten Bahnen fortzuführen, wird – schon allein aufgrund der sich ändernden Regelwerke – für kaum ein Unternehmen und auch für keine Bauverwaltung möglich sein.

Viele Marktteilnehmenden haben die Zeichen der Zeit sehr gut erkannt und stellen sich den Herausforderungen des Klimawandels und der Nachhaltigkeit. Sie sehen zudem, dass sich der als umweltschädlich verschriene Straßenbau mit den bereits erzielten Errungenschaften wie dem Recycling und den spannenden zu lösenden Zukunftsaufgaben als attraktive Branche präsentieren kann und junge Leute dazu animiert, sich für das Bauingenieurwesen zu interessieren. Den Straßenbau grüner oder ökologischer auszugestalten, hört sich schließlich für viele deutlich besser an als „Bei uns wickeln Sie eine Menge Baustellen ab“.

Literaturverzeichnis

BMBW (2005): Allgemeines Rundschreiben Straßenbau 05/2005. Kriterien für die Wahl und Bewertung unterschiedlicher Bauweisen für den Oberbau von Bundesfernstraßen mit getrennten Richtungsfahrbahnen, Bonn

BMVI (2019): Einsatzankündigung eines Datenstandards und eines IT-Systems für die Erfassung und den Austausch von digitalen Prüfdaten im Straßenbau, Bonn

Bundesregierung (2021): Bericht über die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, Berlin

Bundesregierung (2021): Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie – Weiterentwicklung 2021, Berlin Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden (2021): Mineralische Bauabfälle Monitoring 2018, Berlin dav (2020): abgerufen 8/2022 von https://www.asphalt.de/themen/aktuelles/asphaltproduktion-2020/

EU (18. 5. 2020): Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088, Amtsblatt der Europäischen Union, Brüssel

Expertennetzwerk, B. (2022): https://www.bmdv-expertennetzwerk.bund.de/DE/Publikationen/Publikationen_node.html;jsessionid=B686ACE4FB493766FF8704EF22F6DCA8.live21304 abgerufen

FGSV (2012): Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen (RStO 12), Köln (FGSV 499)

Krieger, B.; Meine, L.; Werner, T.; Bürger, M.; Golkowski, G.; Hübecker, S.; Zorn, M. (2020): Regelwerke und Klimawandel, Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach

Neumann, J. R. (2022): Asphaltdeckschicht auf durchgehend bewehrter Betondecke; wissenschaftliche Begleitung der Versuchsstrecken während der Betriebsphase, Aachen

Umweltbundesamt (2022): abgerufen am 5. August 2022 von https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/361/dokumente/2022_03_15_trendtabellen_thg_nach_sektoren_v1.0.xlsx

Zander, U. (2021): Die Straße im Spannungsfeld von Verfügbarkeit und Nachhaltigkeit. Straße und Autobahn (7/2021), S. 527 - 537

Zander, U. (2022): (5/2022): Forschungsausrichtung in Balance von Ökologie und Ökonomie, Straße und Autobahn, S. 381 - 389