FGSV-Nr. FGSV 001/28
Ort Dortmund
Datum 05.10.2022
Titel Geschützte Radverkehrsanlagen – Alter Wein in neuen Schläuchen?
Autoren Dipl.-Ing. Jörg Ortlepp
Kategorien Kongress
Einleitung

Bei der Anlage von Radverkehrsanlagen steht neben der Funktionalität eine möglichst große Sicherheit des Radverkehrs im Vordergrund. Neben der objektiven Sicherheit (messbar anhand der Anzahl Konflikte und Unfällen) kommt zunehmend auch der subjektiven Sicherheit (Sicherheitsgefühl der Radfahrenden) in der Diskussion eine immer größere Rolle zu. Vor diesem Hintergrund sehen sich die Kommunen zunehmend mit Forderungen nach sogenannten „geschützten Radverkehrsanlagen“ in Form von „geschützten Radfahrstreifen“ („Protected Bikelanes“) und „geschützten Kreuzungen“ („Protected Intersections“) konfrontiert. So werden an Kreuzungen im Gegensatz zum derzeitigen Regelwerk weit abgesetzte Radverkehrsfurten gefordert und Radfahrstreifen sollen durch bauliche Barrieren von der Fahrbahn abgetrennt werden.

Beide Elemente sowohl die „geschützte Kreuzung“ als auch der „geschützte Radfahrstreifen“, waren vor Jahrzehnten im Regelwerk für Radverkehrsanlagen enthalten und sind aufgrund von Praxiserfahrungen und Forschungsergebnissen nach und nach durch die heutigen Infrastrukturelemente in den „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ (ERA) ersetzt worden.

Insofern könnten „geschützte Kreuzungen“ und „geschützter Radfahrstreifen“ durchaus als „alter Wein in neuen Schläuchen“ bezeichnet werden, auch wenn sich die Ansätze im Detail von den alten Vorgaben unterscheiden.

Während insbesondere bei der „geschützten Kreuzung“ noch berechtigte Bedenken bestehen, ob und wie sich diese Gestaltungsform (ohne gleichzeitig eine strikte signaltechnische Trennung der Konfliktströme umzusetzen) auf die Konflikte und die Unfälle auf der Fahrbahn und im Nebenraum auswirken wird, bestehen bei den „geschützten Radfahrstreifen“ dahingehend eher weniger Bedenken. Bei der Überarbeitung der ERA wird sicherlich diskutiert werden müssen, ob und wie diese beiden Elemente in das Regelwerk aufgenommen werden können. Laufende Forschungen und Evaluationen dazu versprechen hier in absehbarer Zeit neue Erkenntnisse.

Beide Lösungen erfordern jedoch eine entsprechende Flächenverfügbarkeit. Die erforderliche Fläche wird aber in deutschen Städten nicht überall zur Verfügung stehen. Insofern werden auch die bislang im Regelwerk aufgeführten und in der Praxis umgesetzten Elemente zur Sicherung des Radverkehrs auf der Strecke und an Knotenpunkten weiterhin Bestand haben (müssen).

Da jedoch innerorts nicht nur der Radverkehr, sondern auch andere am Verkehr Beteiligte wie zum Beispiel der Fußverkehr, der öffentliche Personennahverkehr und der Lieferverkehr mehr Flächen einfordern, wird es immer schwieriger werden, den zur Verfügung stehenden Raum so zu verteilen, dass alle Funktionen gleichermaßen untergebracht werden können. Die Regelwerke der FGSV, insbesondere die „Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen“ (RASt), können und müssen diese Entwicklung aufgreifen und aufzeigen, wie der Straßenraum entsprechend gestaltet werden kann. In Zukunft wird aber zunehmend die Politik gefordert sein, Prioritäten zu setzen, insbesondere, wenn es um die Umverteilung der Flächen im Bestand geht.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Einleitung

Im Zuge der stetig wachsenden Bedeutung des Radverkehrs für die Mobilität wächst der Druck auf die Verantwortlichen, adäquate Radverkehrsanlagen zu schaffen. Dabei steht neben der Funktionalität die objektive Sicherheit der Anlagen im Vordergrund. Im Sinne einer gezielten Radverkehrsförderung, wie sie viele Kommunen anstreben, kommt aber auch der subjektiven Sicherheit in der Diskussion eine immer größere Rolle zu. Dies betrifft derzeit insbesondere die Forderung nach sogenannten „geschützten Radverkehrsanlagen“ in Form von „Protected Bikelanes“ und „Protected Intersections“. Im Mittelpunkt steht dabei die möglichst weitgehende bauliche und räumliche Trennung des Radverkehrs insbesondere vom Kfz-Verkehr. Diese Forderung kann an Knotenpunkten im Gegensatz zum Grundsatz der optimierten Sichtbarkeit des Radverkehrs, der fahrbahnnahe Führungen bevorzugt, stehen. Statt den fahrbahnnahen Führungen, werden vermehrt wieder weit abgesetzte Radverkehrsführungen gefordert. Ein Beispiel dafür sind die derzeitigen Forderungen nach „geschützten Kreuzungen“ wie sie z. B. in Nordamerika propagiert (NACTO 2019) und auch teilweise in den Niederlanden eingesetzt werden. Auch wenn es erste Versuche gibt, sich dieser Idee sachlich zu nähern (Lampe; Franke, 2020), so sind mit dieser teilweise vom aktuellen Regelwerk der FGSV abweichenden Gestaltung einige Fragen verbunden, die es zu beantworten gilt (FGSV 2021).

Die Forderungen nach Trennung der Verkehrsarten auf der Strecke in Form von „geschützten Radfahrstreifen“ kommt insbesondere dann auf, wenn die Anlage baulicher Radwege nicht schnell genug umgesetzt werden kann oder die finanziellen Mittel dafür fehlen. Insbesondere im Rahmen der Pandemie sind auch Pop-up-Radwege schnell und unkompliziert errichtet worden. Dies zeigt das Potenzial, wie schnell Radverkehrsinfrastruktur geschaffen werden kann, wenn ausreichend Straßenraum zur Verfügung steht, der umgenutzt werden kann. Aber auch hier fehlen bislang hinreichende Evaluationen, welche Einsatzkriterien und welche Dimensionierungen für „geschützte Radfahrstreifen“ vorgesehen werden sollten.

2 Unfallgeschehen Radverkehr

Im Jahr 2021 gab es in Deutschland 83.723 Radverkehrsunfälle mit Personenschaden (inklusive Pedelecunfälle) mit insgesamt 88.966 Verunglückten (DESTATIS 2022). Dabei starben 372 Radfahrende, 14.966 wurden schwer verletzt. Die Anzahl der verunglückten Radfahrenden ist im Gegensatz zu anderen am Verkehr Teilnehmenden in den letzten 20 Jahren angestiegen (Bild 1). Auch die Anzahl der dabei Getöteten ist von 2013 bis 2019 deutlich angestiegen (Bild 2). Durch die Pandemie gab es aber in den letzten zwei Jahren hier wieder einen Rückgang.

Bild 1: Anstieg der Anzahl verunglückter Radfahrenden

Bild 2: Anstieg der getöteten Radfahrenden durch Corona gedämpft

Auch wenn 2021 fast die Hälfte (47 %) der getöteten Radfahrenden auf Straßen außerorts registriert wurden, so ereigneten sich doch die meisten Radunfälle mit Personenschaden innerorts (88 %).

Mehr als jeder vierte polizeilich erfasste Radverkehrsunfall mit Personenschaden ist ein Alleinunfall (28 %), also ein Unfall, bei dem keine weitere Person beteiligt war. Bei den Unfällen mit zwei Beteiligten ist innerorts der Pkw mit 73 % der Hauptunfallgegner (Bild 3). Fast jeder zehnte Unfall ereignet sich zwischen Radfahrenden. Auch bei den Radunfällen mit Getöteten ist der Pkw innerorts mit 42 % der Hauptunfallgegner. Lkw, übrige Güterkraftfahrzeuge und Sattelzugmaschinen sind jedoch bei jedem dritten tödlichen Radunfall beteiligt (33 %) (Bild 4).

Bild 3: Hauptunfallgegner bei Radverkehrsunfällen ist der Pkw

Bild 4: Großer Anteil Güterverkehr bei Radverkehrsunfällen mit Getöteten

Innerörtliche Radunfälle mit Personenschaden und mehreren Beteiligten ereignen sich zu nahezu zwei Dritteln an Kreuzungen, Einmündungen, Zufahrten oder Kreisverkehren1). Dies sind überwiegend einbiegen-/Kreuzen-Unfälle und Abbiegeunfälle.

Rund ein Drittel der Unfälle ereignet sich auf der Strecke, davon ein Großteil in Verbindung mit dem ruhenden Kraftfahrzeugverkehr, insbesondere beim unachtsamen Öffnen von Fahrzeugtüren oder beim Ein-/Ausparken.

Bild 5: Radverkehrsunfälle ereignen sich überwiegend an Knotenpunkten, abseits davon viele Unfälle mit parkenden Fahrzeugen

3 Geschützte Kreuzung

Der Verbesserung der Sicherheit des Radverkehrs an Knotenpunkten kommt also eine besondere Bedeutung zu; nicht nur vor dem Hintergrund der inzwischen in der VwV-StVO verankerten Vision Zero als erklärtes Ziel, sondern auch im Rahmen einer gezielten Förderung des Radverkehrs.

Kaum verwunderlich also, dass in letzter Zeit die Idee einer „geschützten Kreuzung“ starken Zuspruch gefunden hat. Die bauliche Trennung des Radverkehrs vom Kraftfahrzeugverkehr auf der Fahrbahn (Bild 6) soll dazu führen, dass sich Radfahrende hier nicht nur sicherer fühlen, sondern auch objektiv sicherer sind. Die abgesetzten Furten sollen eine bessere Sicht zwischen abbiegenden Kraftfahrzeugen und geradeaus fahrendem Radverkehr ermöglichen. Zudem wird eine indirekte Führung des links abbiegenden Radverkehrs angeboten und das Rechtabbiegen bei Rot für den Radverkehr ermöglicht. Durch die vorgezogenen Haltlinien für den Radverkehr und die Möglichkeit bei Rot nach rechts abzubiegen, entstehen aber neue mögliche Konflikte mit Fuß- und Radverkehr (Bild 7).

Ob und wie sich die einzelnen Elemente tatsächlich auf das Unfallgeschehen oder das Sicherheitsempfinden aller am Verkehr beteiligten auswirken ist bislang jedoch weitgehend unerforscht. Eine laufende Studie der BASt versucht derzeit herauszufinden, ob und wie sich die „geschützten Kreuzungen“ in den Niederlanden und ähnliche Gestaltungen in Deutschland von den „normalen“ Kreuzungen unterscheiden. Ein wesentlicher bislang wenig beachteter Punkt ist dabei, ob sich relevante Konflikte zwischen Fuß- und Radverkehr ergeben, wie sich die Barrierefreiheit sicherstellen lässt und ob tatsächlich durch die abgesetzten Furten im Kreuzungsbereich eine Sicherheitsverbesserung zu erzielen ist.

1) Polizeiliche Unfalldaten mehrere Bundesländer, Radverkehrs-Unfälle mit Personenschaden, ohne Alleinunfälle, 2018-2020, n=94.257, eigene Auswertung durch Unfallforschung der Versicherer im GDV, Berlin

Bild 6: Prinzipskizze einer „geschützten Kreuzung“ (FGSV 2021)

Bild 7: Potenzielle Konflikte zwischen Rad-/Rad- und Rad-/Fußverkehr (FGSV 2021)

Denn das Prinzip der abgesetzten Radverkehrsführung an Knotenpunkten ist im Grunde keine neue Idee. Bereits im Regelwerk von 1963 (FGS 1963) wurde eine der „geschützten Kreuzung“ sehr ähnlich aussehende Lösung als vorbildlich dargestellt (Bild 8).

Bild 8: Vorbildlich angelegte und markierte Radverkehrsanlage (FGS 1963, Abb. 19)

Auch im späteren Regelwerk (FGSV 1983) war diese Gestaltungsform noch enthalten (Bild 9). Insgesamt steht man 1983 den abgesetzten Furten aufgrund der Erfahrungen im Unfallgeschehen aber inzwischen kritisch gegenüber. Sie werden nur noch außerorts und bei signalisierten Kreuzungen als mögliche Variante dargestellt. Eine Abwägung ist im Einzelfall immer vorzunehmen. Als Vorteile der abgesetzten Furt werden die geringere Störung des bevorrechtigten Fahrbahnverkehrs genannt und das Radfahrende abbiegende Fahrzeuge besser erkennen können. Die Argumente für nicht abgesetzte Furten betonen die bessere Erkennbarkeit des Radverkehrs im Kreuzungsbereich und seiner Fahrtrichtung.

Bild 9: Beispiel einer umlaufenden Radfahrschiene mit deutlich abgesetzten Radfahrerfurten (FGSV 1983, Bild 39)

In der Fortschreibung des Regelwerks sind die abgesetzten Furten nur noch für definierte Ausnahmefälle vorgesehen (FGSV 1995) und in den aktuellen Empfehlungen (FGSV 2010) wird die nicht abgesetzte Furt deutlich präferiert.

Die Entwicklung über die Jahrzehnte ist dabei einerseits geleitet worden von Forschungen und andererseits von der Praxiserfahrung in vielen Kommunen, die über den Ausschuss für Radverkehrsanlagen bei der FGSV in die Regelwerke eingeflossen ist. Zudem zeigen Fahrversuche und Simulationen (UDV 2020-1), dass abgesetzte Furten bei einem Absetzmaß von bis zu 6 m nicht dazu beitragen, dass zwischen Lkw-Lenkenden und Radfahrenden eine direkte Sichtbeziehung hergestellt werden kann. Zudem führt die weite Absetzung dazu, dass der Abbiegeassistent des Lkw den Radverkehr nicht mehr zuverlässig detektiert.

Auch heute noch finden sich vereinzelt Knotenpunkte, die mit den alten Richtlinien geplant wurden und abgesetzte Furten aufweisen. Dies bedeutet aber nicht, dass hier per se ein besonders hohes Sicherheitsniveau durch diese Gestaltung erreicht wird. Wesentlich für die Sicherheit des Radverkehrs gegenüber abbiegenden Kraftfahrzeugen ist vielmehr die signaltechnische Trennung der Abbiegeströme und des geradeaus fahrenden Radverkehrs. Nur so können zuverlässig schwere Abbiegeunfälle vermieden werden, vorausgesetzt alle halten sich an die Verkehrsregeln. Es geht im Kern um eine Reduzierung der Komplexität der Verkehrsvorgänge an Kreuzungen, um Sicht und Erkennbarkeit, um eine Reduzierung der Abbiegegeschwindigkeiten und um eine Entzerrung der Konfliktpunkte. Dazu finden sich im bestehenden Regelwerk bereits eine Vielzahl unterschiedlicher Möglichkeiten, die der Vielfalt unserer Straßen- und Verkehrsräume gerecht werden. Ungeachtet dessen sind aber sicher zusätzliche Bemühungen erforderlich, um die Unfälle weiter zu reduzieren. Die „geschützte Kreuzung“ ist an sich aber keine wirklich neue Idee. Es darf auch bezweifelt werden, dass allein durch die Gestaltung die Sicherheit und der Komfort für alle Nutzenden positiv beeinflusst werden kann. Das über den Nationalen Radverkehrsplan geförderte Modellprojekt dazu in Darmstadt und die laufende Forschung der Bundesanstalt für Straßenwesen lassen hier in Kürze aber entsprechende Erkenntnisse erwarten.

4 Geschützter Radfahrstreifen

Auch wenn auf der Strecke deutlich weniger Radunfälle geschehen als an den Kreuzungen, Einmündungen und Zufahrten, so sind auch hier immer wieder ähnliche Probleme und Konflikte zu beobachten, die das Unfallgeschehen beeinflussen. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei der ruhende Verkehr. Fast jeder fünfte innerörtlichen Unfälle mit Fuß- oder Radverkehr stehen direkt oder indirekt im Zusammenhang mit parkenden Kraftfahrzeugen. Ein Großteil der Radverkehrsunfälle wird dabei durch das unachtsame Öffnen von Fahrzeugtüren („Dooring-Unfälle“) verursacht (UDV 2020-2). Daher sind Sicherheitstrennstreifen zum ruhenden Verkehr bei allen Formen der Radverkehrsanlagen erforderlich (Bild 10).

Bild 10: Radfahrstreifen mit Sicherheitstrennstreifen zum ruhenden Verkehr

Auch die Breite der Radverkehrsanlage ist insbesondere bei markierten Radfahrstreifen und Schutzstreifen wesentlich für das Sicherheitsgefühl der Radfahrenden und die Akzeptanz dieser Führungsform. Ist der markierte Streifen sehr schmal, so weichen Radfahrende auf die Gehwege aus oder orientieren sich innerhalb der Markierung so weit rechts wie möglich und kommen hier wieder in den Gefahrenbereich der Fahrzeugtüren (UDV 2019).

Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung fordert daher „Werden Radfahrstreifen an Straßen mit starkem Kraftfahrzeugverkehr oder an Straßen mit einer Geschwindigkeit von über 50 km/h angelegt, ist ein breiter Radfahrstreifen oder ein zusätzlicher Sicherheitsraum zum fließenden Verkehr erforderlich. Befindet sich rechts von dem Radfahrstreifen ein Parkstreifen, kommt ein Radfahrstreifen in der Regel nicht in Betracht, es sei denn, es wird ein zusätzlicher Sicherheitsraum zum ruhenden Verkehr geschaffen.“ (VwV-StVO 2021).

Markierte Radverkehrsanlagen werden inzwischen nicht mehr als ausreichend angesehen, um dem Sicherheitsbedürfnis vieler Radfahrenden zu entsprechen. Daher wird eine physische Trennung der Verkehrsarten gefordert. Die Anlage baulicher Radwege erfordert aber in der Regel einen hohen Planungsaufwand und verursacht hohe Kosten. Warum also nicht den vorhandenen Platz auf der Fahrbahn anders verteilen und einen für den Kfz-Verkehr nicht mehr benötigten Fahrstreifen zu einem Radfahrstreifen umwandeln. Eine Maßnahme, die bereits seit vielen Jahren in vielen Städten in Deutschland so praktiziert wurde und noch wird (Bild 10). Neu ist jedoch die seit einiger Zeit geforderte physische Barriere zwischen Kfz- und Radverkehr, um zu verhindern, dass Kraftfahrzeuge den Radfahrstreifen befahren oder hier halten oder parken (Bild 11).

Bild 11: Radfahrstreifen mit Sicherheitstrennstreifen und Barrieren zum fließenden Verkehr

Schaut man sich die frühen Regelwerke für Radverkehrsanlagen an, so findet man bereits 1932 die Vorgabe, für den Radverkehr eigene Wege anzulegen, die auch nicht vom Fußverkehr genutzt werden sollen (Studiengesellschaft 1932). Die sogenannten „Radfahrwege“ sollten dabei immer als bauliche Radwege angelegt werden. Schon 1936 wurden jedoch Radfahrstreifen ins Regelwerk aufgenommen. Allerdings wurde dabei betont: „Radfahrstreifen […] bieten […] dem Radfahrer keinen vollen Schutz und sollten lediglich dort angelegt werden, wo für Radfahrwege kein Platz zu schaffen ist“ (FGS 1936).

Die vorläufigen Richtlinien von 1963 stellen die Gefährlichkeit von Radfahrstreifen heraus und empfehlen die Anlage baulicher Radwege, die mit einem Sicherheitstrennstreifen von mindestens 1,5m zur Fahrbahn hin auszustatten seien (FGS 1963, Kap. 2.4.1 u. 2.4.3).

Auch 1983 behandelte das Regelwerk die Radfahrstreifen noch zurückhaltend. „Es muß also für jeden Einzelfall geprüft werden, ob ein Radfahrstreifen überhaupt möglich ist und welche der drei beschriebenen Arten in Frage kommt. Dabei sollten nicht Kostengründe, sondern Sicherheitsabwägungen den Ausschlag geben.“ (FGSV 1983, Kap. 5.3.2.2). In diesem Regelwerk werden auch „geschützten Radfahrstreifen“ sehr ähnliche Elemente beschrieben. So kann ein Radfahrstreifen zwischen Parkstreifen und Gehweg angelegt werden (Bild 12) oder ein Radfahrstreifen zum fließenden Verkehr hin mit einer baulichen Trennung in Form von Schwellen ausgestattet werden. Auch heute findet sich vereinzelt noch der zwischen Parken und Bordstein angelegte Radfahrstreifen im Bestandsnetz.

Bild 12: Radfahrstreifen mit Sicherheitstrennstreifen zum ruhenden Verkehr laut Regelwerk (FGSV 1983) und heute noch vorhandene Realisierung (rechts)

Aus Gründen der Verkehrssicherheit und weil häufig die Fläche für den Radverkehr zu schmal ausgeführt wurde und Kfz den Radfahrstreifen blockierten, ist man im späteren Regelwerk von dieser Lösung abgerückt. Die heutigen Diskussionen zu geschützten Radfahrstreifen sehen nun in der Regel deutlich größere Breiten vor, die ein ungehindertes Überholen der Radfahrenden untereinander ermöglichen und auch einen breiteren Sicherheitstrennstreifen, in dem die vertikalen Barrieren untergebracht werden (Bild 13).

Bild 13: Beispiel eines Regelplans für geschützte Radfahrstreifen (Berlin 2022)

Geschützte Radfahrstreifen finden sich derzeit nicht in den „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ (ERA). Insofern gibt es seitens der Kommunen teilweise etwas unterschiedliche Herangehensweisen. Im Rahmen der Überarbeitung der ERA wird dieses Element aber sicher aufgenommen werden. Die zunehmende Verbreitung in Deutschland und die gegenüber Radwegen günstigeren Kosten sprechen für den Einsatz von geschützten Radfahrstreifen bei einer Umverteilung der vorhandenen Fahrbahnflächen. Geschützte Radfahrstreifen entsprechen zudem eher dem Sicherheitsempfinden der Radfahrenden als herkömmliche markierte Radverkehrsanlagen. Hinsichtlich des Unfallgeschehens und Konfliktpotenzials sind sie vergleichbar mit baulichen Radverkehrsanlagen. Das bedeutet, dass auch bei geschützten Radverkehrsanlagen der Herstellung von Sichtbarkeit und Erkennbarkeit an Kreuzungen, Einmündungen und Grundstückszufahrten eine besondere Bedeutung zukommt wie auch der Integration in die Signalisierung durch möglichst getrennte Phasen.

Erste Erfahrungen mit Radfahrstreifen in Berlin zeigen, dass durch geschützte Radfahrstreifen weniger Radfahrende den Gehweg nutzen, das Halten und Parken wirksam verhindert und das Sicherheitsgefühl der Radfahrenden gestärkt wird (Bohle; Prahlow et al., 2021).

5 Fazit

Die Idee, den Radverkehr vom übrigen Fahrverkehr zu trennen ist nicht neu. Dabei standen aber nicht immer nur die Sicherheitsaspekte des Radverkehrs im Mittelpunkt, sondern auch die Vorteile für den motorisierten Kraftfahrzeugverkehr. Insofern sind „geschützte Kreuzungen“ und „geschützter Radfahrstreifen“ vielleicht zwar „alter Wein“ und die modernen Bezeichnungen erscheinen einem wie „neue Schläuche“, aber sicher sind sie hinsichtlich der Radverkehrsförderung kein „kalter Kaffee“.

Während insbesondere bei der „geschützten Kreuzung“ noch berechtigte Bedenken bestehen, ob und wie sich diese Gestaltungsform (ohne gleichzeitig eine strikte signaltechnische Trennung der Konfliktströme umzusetzen) auf die Konflikte und die Unfälle auf der Fahrbahn und im Nebenraum auswirken wird, bestehen bei den „geschützten Radfahrstreifen“ dahingehend eher weniger Bedenken. Bei der Überarbeitung der ERA wird sicherlich diskutiert werden müssen, wie diese beiden Elemente in das Regelwerk aufgenommen werden können. Laufende Forschungen und Evaluationen dazu versprechen hier in absehbarer Zeit neue Erkenntnisse.

Beide Lösungen erfordern jedoch eine entsprechende Flächenverfügbarkeit. Die erforderliche Fläche wird aber in deutschen Städten nicht überall zur Verfügung stehen. Insofern werden auch die bislang im Regelwerk aufgeführten und in der Praxis umgesetzten Elemente zur Sicherung des Radverkehrs auf der Strecke und an Knotenpunkten weiterhin Bestand haben (müssen).

Da jedoch innerorts nicht nur der Radverkehr, sondern auch andere am Verkehr Beteiligte wie zum Beispiel der Fußverkehr, der öffentliche Personennahverkehr und der Lieferverkehr mehr Flächen einfordern, wird es immer schwieriger werden, den zur Verfügung stehenden Raum so zu verteilen, dass alle Funktionen gleichermaßen untergebracht werden können. Die Regelwerke der FGSV, insbesondere die Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen, können und müssen diese Entwicklung aufgreifen und aufzeigen, wie der Straßenraum entsprechend gestaltet werden kann. In Zukunft wird aber zunehmend die Politik gefordert sein, Prioritäten zu setzen, insbesondere, wenn es um die Umverteilung der Flächen im Bestand geht.

Literaturverzeichnis

Berlin 2022: Regelplan RP 317, geschützte Radfahrstreifen, Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz, https://www.berlin.de/sen/uvk/verkehr/verkehrsplanung/radverkehr/geschuetzte-radstreifen/, letzter Zugriff 08.09.2022

Bohle; Prahlow et al., 2021: Begleituntersuchung im Rahmen der Erprobung bzw. Einführung Geschützter Radfahrstreifen und grün beschichteter Radfahr- und Schutzstreifen in Berlin, Zwischenbericht, PGV-Alrutz GmbH, Hannover, 2021

DESTATIS, 2022: Statistisches Bundesamt, Fachserie 8 Reihe 7, Verkehrsunfälle 2021, Wiesbaden 2022

FGS 1936: Vorläufige Richtlinien für die Anlage von Radfahrwegen, Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen e.V., Mitteilung Nr. 12, 1936

FGS 1963: Vorläufige Richtlinie für Radverkehrsanlagen, Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen e. V., 1963

FGSV 1983: Empfehlungen für Planung, Entwurf und Betrieb von Radverkehrsanlagen, FGSV 1983, Empfehlung Nr. 3 der Beratungsstelle für Schadenverhütung, Erläuterungen und Begründungen, HUK Verband der Autoversicherer

FGSV 1995: Empfehlungen für Radverkehrsanlagen, FGSV, 1995 FGSV 2010: Empfehlungen für Radverkehrsanlagen, FGSV, 2010

FGSV 2021: Ad-hoc-Arbeitspapier zu sogenannten „geschützten Kreuzungen“, (FGSV 26501), 2021

Lampe; Franke, 2020: Geschützte Kreuzungen nach niederländischem Vorbild, Lampe/Franke, in Straßenverkehrstechnik 5/2020

NACTO 2019: Don’t give up at the Intersection, National Association of City Transportation Officials NACTO, May 2019

Studiengesellschaft 1932: Richtlinien über die Anlage von Radfahrwegen, Studiengesellschaft für Automobilstraßenbau, 1932

UDV 2019: Sicherheit und Nutzbarkeit markierter Radverkehrsführungen, Unfallforschung kompakt Nr. 89, Unfallforschung der Versicherer im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V, 2019

UDV 2020-1: Fahrversuche LKW – Protected Intersection, Unfallforschung kommunal Nr. 37, Unfallforschung der Versicherer im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V, 2020

UDV 2020-2: Unfallrisiko Parken für Fußgänger und Radfahrer, Unfallforschung kompakt Nr. 98, Unfallforschung der Versicherer im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V, 2020

VwV-StVO 2021: Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO), zu § 2 Absatz 4 Satz 2 I., Randnummer 10, BMDV 2021