FGSV-Nr. FGSV 001/24
Ort Leipzig
Datum 16.10.2012
Titel Ganzheitliche Methodik für den Entwurfs-, Abwägungs- und Prüfprozess von Straßen
Autoren Prof. Dr.-Ing. habil. Wolfgang Kühn
Kategorien Kongress
Einleitung

Der Planungs- und Genehmigungsprozess für Landstraßen erfolgt in Deutschland iterativ innerhalb verschiedener Entwurfsstufen mit jeweils nachgeschaltetem  Genehmigungsverfahren. Eine vernetzte Bearbeitung des Gesamtprozesses auf der Grundlage einer einheitlichen Methodik mit geeigneten Hard- und Software-Werkzeugen bei Einbeziehung aller beteiligten Akteure ist bisher nicht möglich. Das Ergebnis sind Planungs- und Genehmigungszeiträume von ca. 15 bis 20 Jahren für eine Straßenbaumaßnahme. Im Rahmen eines Forschungsprojektes wird gegenwärtig eine neuartige mehrstufige Methodik für den Entwurfs-, Abwägungs- und Prüfprozess für Landstraßen entwickelt. Nach dem räumlichen Entwurf (Stufe 1) mit einem interaktiven 3-D-Modell an einem speziellen Entwurfsarbeitsplatz, mit dem das Entwurfsergebnis in Echtzeit virtuell dargestellt werden kann und gleichzeitig eine Abschätzung des zu erwartenden Fahrverhaltens mittels virtueller Befahrung erfolgt, steht für den Abwägungsprozess in der Stufe 2 ein neuartiger Verfahrensablauf mit sektoraler Projektionswand, Multifunktionsbox und speziellen Interaktionswerkzeugen zur Verfügung. Damit können die Abwägungs- und  Entscheidungsprozesse besser veranschaulicht und somit begreifbarer gemacht werden. Nach erfolgter Trassenoptimierung im Ergebnis des Abwägungsprozesses kann in der nachfolgenden Stufe 3 eine Qualitätskontrolle zur Einordnung der Trasse im Umfeld mit Hilfe von Augmented-Reality-Werkzeugen vorgenommen werden, das heißt die Realität wird mit virtuellen Darstellungen überblendet. Neben ausgewählten Einzelstandorten kann für die virtuelle Überblendung auch ein realer Bewegungspfad gewählt werden. Die  theoretischen Grundlagen für die einzelnen Stufen der Gesamtmethodik und die maßgeblichen Hardund Software-Werkzeuge stehen als Prototypen für erste praktische Tests zur Verfügung. Die gesammelten Ergebnisse fließen unmittelbar in die Optimierung und Validierung der Gesamtmethodik ein.

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1 Problemstellung

Der Entwurf einer Landstraße erfolgt gegenwärtig in den Ingenieurbüros und den Straßenbauverwaltungen generell getrennt in den drei Entwurfsebenen Lageplan, Höhenplan und Querschnitt. Die räumliche Linienführung der Straße, die der Kraftfahrer bei Befahrung oder ein Betrachter von einem beliebigen Standpunkt aus als räumliche Bildfolge wahrnimmt, ist letztendlich das Ergebnis des Überlagerungsprozesses der drei Ebenen. Erkennbare Defizite aus Fahrer- oder Betrachtersicht erfordern in der Regel eine Korrektur des Trassenverlaufes im Lageplan, Höhenplan und Querschnitt und eine nochmalige Überlagerung der Entwurfsebenen mit nachfolgender Bewertung. In der Regel ist somit ein mehrstufiger Iterationsprozess zur Erreichung eines optimierten Planungsergebnisses erforderlich, der erhebliche Zeit erfordert, eine unmittelbare Mitwirkung der Planungsbeteiligten nicht zulässt und bei dem die Anschaulichkeit und Begreifbarkeit des Endergebnisses oft nicht gegeben sind.

Für die Präsentation, Diskussion, Abwägung und Bewertung der Planungsergebnisse mit Betroffenen (Träger öffentlicher Belange, private Bürger) werden gegenwärtig in der Regel 2-D-Pläne und Details in Papier- oder in digitaler Form verwendet.

Die Präsentationen und Diskussionsbeiträge im Rahmen von Beratungen innerhalb des Anhörungsverfahrens werden mit Hilfe von Protokollen erfasst. Eine Mitwirkung der Betroffenen mit Hilfe von Interaktionswerkzeugen und eine Erfassung aller audio-visuellen Informationen für Beweiszwecke erfolgt in der Regel nicht, so dass später unterschiedliche Auffassungen zum Inhalt von Veranstaltungen und einzelnen Diskussionsbeiträgen kaum zu verhindern sind. Somit verlängern sich die Zeiten für die Genehmigungsverfahren zunehmend und Klagen nach Erteilung des Baurechtsbeschlusses nehmen ebenfalls zu.

Eine Überprüfung der Planungsabsicht und des projektgerechten Bauens durch Überlagerung der virtuellen Daten mit der Realität (Augmented-Reality) erfolgt bisher nicht. Hier werden in der Regel nur Montagen unterschiedlicher Qualität verwendet. Außerdem wird die Kontrolle der zu erwartenden Verkehrssicherheit nur mit Hilfe geometrischer Kriterien und nicht unter Zuhilfenahme des zu erwartenden Fahrverhaltens vorgenommen.

Zusammenfassend kann man einschätzen, dass für eine Verbesserung der Entwurfsqualität, die Veranschaulichung der Planungsabsicht, die frühzeitige Beteiligung von Betroffenen, die Verkürzung der Genehmigungszeiten und die abschließende Prüfung des projektgerechten Bauens eine neuartige ganzheitliche Methodik für den komplexen Prozess „Entwerfen, Abwägen und Prüfen“ erforderlich ist.

2 Stand der Technik

Zur Thematik wurde eine umfangreiche Literaturstudie durchgeführt [1]. Dabei stellte sich heraus, dass eine Gesamtmethodik zu den 3 Schwerpunktgebieten: 3-D-Entwurf, interaktive Präsentation, Abwägung und Bewertung sowie Prüfung der Entwurfsqualität und des projektgerechten Bauens noch nicht existiert. Die 3 Bearbeitungsstufen werden einzeln und nicht vernetzt angewandt und sind in das Entwurfsszenarium noch nicht komplex integriert.

Für den dreidimensionalen Entwurf von Verkehrsanlagen existieren gegenwärtig verschiedene Modellansätze.

J h a [2] nutzt für den Optimierungsprozess der Linienführung von Straßen einen dreidimensionalen Ansatz für die einzelnen Zielfunktionen. K ü h n [3] verwendet rationale Spline-Ansätze mit frei wählbaren Parametern, die eine Approximation der klassischen Entwurfselemente ermöglichen. T i l g e r [4] erzeugt [4] mit Hilfe parametrischer Bézier-Splines räumliche Trassen und zerlegt diese mit Hilfe eines Näherungsverfahrens in die klassischen Entwurfselemente. Die Visualisierung des räumlichen Modells erfolgt dabei in Echtzeit.
G a l i l ä e r [5] nutzte zur mathematischen Modellierung einer räumlichen Trasse die dreidimensionale Biegelinie, die ersatzweise mit Hilfe der finiten Elementmethode nummerisch berechnet wird.

Bei den bisher erläuterten Modellvorstellungen werden die klassischen Entwurfselemente im Ergebnis einer Approximation mit verschiedenen Näherungsverfahren berechnet. Dafür existieren auch Software-Tools zur praktischen Anwendung, die jedoch für den klassischen Trassierungsprozess nur bedingt geeignet sind.

In [6] werden die theoretischen Grundlagen für eine dreidimensionale Trassenberechnung mit Hilfe der klassischen Entwurfselemente erläutert und dargestellt. Der zugehörige SoftwareTool „Highway Designer“ ist als Grundversion fertig gestellt und wurde bereits an einfachen Beispielen getestet. Im Gegensatz zu den bisherigen Näherungsverfahren erfolgen Modellierung und Berechnung unmittelbar mit den klassischen Trassierungselementen, das heißt nachgeschaltete Näherungsverfahren können komplett entfallen. Die Entwurfsqualität wird dabei mit Hilfe geometrischer Kriterien für den Lageplan, Höhenplan und die räumliche Linienführung überprüft.

Für die Abschätzung des zu erwartenden Fahrverhaltens und somit für eine Verkehrssicherheitsprognose werden zunehmend virtuelle Befahrungen auf der in Planung befindlichen Trasse an einem Arbeitsplatzsimulatoren vorgenommen.

Im Spielebereich werden für die interaktiven Szenarien Laser-Pointer, Smart-Phones, TouchPads oder Gesten bereits verwendet. Für Beratungen, Gespräche oder Anhörungen im Entwurfsprozess sind derartige Systeme noch nicht verfügbar. Die Aufzeichnung der Beratungsinhalte (audio-visuell) erfolgt dabei falls erforderlich konventionell über Tonträger und stationäre Kameras. Komplexe mobile Systeme sind nicht bekannt.

In [7] wird ein neuartiges Gerätesystem mit zugehöriger Software und geeigneten Interaktionswerkzeuge vorgestellt, bei dem Interaktion und Informationserfassung über eine Multifunktionsbox erfolgen.

Für die nachträgliche Prüfung des projektgerechten Bauens mittels Videobefahrungen und zugehörigen Bildverarbeitungssystemen existieren bisher keine praxisorientierten Programmsysteme. Die Anwendung von Augmented-Reality-Techniken für die Überblendung der Realität mit virtuellen Daten konzentriert sich bisher nur auf den medizinischen Bereich, die Automobilindustrie und den Maschinenbau und ist im Straßenwesen noch weitgehend unbekannt.

3 Methodik

3.1 Überblick

Für den komplexen Entwurfs- und Genehmigungsprozess für Landstraßen wurde eine ganzheitliche 3-stufige Methodik (Bild 1) entwickelt. Innerhalb der Stufe 1 erfolgt die Variantensuche- und -berechnung mit Hilfe eines dreidimensionalen Modellansatzes an einem neuartigen Arbeitsplatz mit spezieller Interaktionstechnik.

Die Sicherheitsüberprüfung wird dabei nach geometrischen Kriterien (Richtlinienkonformitätsprüfung) und dem zu erwartenden Fahrverhalten (virtuelle Befahrung) vorgenommen.

Die Präsentation, Diskussion und Abwägung der Entwurfsergebnisse (Stufe 2) findet an einer sektoralen interaktiven Projektionswand mittels akteursbezogener Virtual-Reality Werkzeuge (Laser-Pointer, Touch-Pads, Smart-Phons oder normierter Gesten) statt. Der OnlineZugriff auf die am Arbeitsplatz entworfenen 3D-Trassenmodelle ist dabei sichergestellt.

Bild 1: Mehrstufige Methodik

Nach Einarbeitung alle Hinweise aus dem Abwägungsprozess in den 3-D-Trassenverlauf erfolgt die Prüfung der Entwurfsqualität durch Überblendung der Realität mit den dreidimensionalen virtuellen Entwurfsdaten und geeigneten Augmented-Reality Werkzeugen (Stufe 3). Dabei ist die Auswahl von Einzelstandorten oder eines variablen Bewegungsmessungspfades möglich. Eine Prüfung des projektgerechten Bauens nach Beendigung während der Bauausführung ist mit Hilfe der Überblendungstechniken prinzipiell gegeben.

3.2 Entwurfsprozess

3.2.1 Mathematischer Ansatz

Für die dreidimensionale Darstellung der Trasse werden die klassischen Entwurfselemente aus dem Lageplan, Gerade, Klothoide, Kreisbogen mit denen aus dem Höhenplan Steigung und Gefälle (Gerade) sowie Kuppen und Wannen (quadratischen Parabeln) während des Berechnungsprozesses in Echtzeit überlagert.

Die Lageplankurve wird aus den klassischen Entwurfselementen mit nachfolgenden Einzelansätzen zusammengesetzt (Bild 2):

Gleichung (1) siehe PDF.

Gleichung (2) siehe PDF.

Gleichung (3) siehe PDF.

Bild 2: Lageplankurve (Achse)

Die Gradiente (Bild 3) entsteht aus der Kopplung der Entwurfselemente Längsneigung (Gerade) und Ausrundung (quadratische Parabel).

Bild 3: Höhenplankurve (Gradiente)

Gleichung (4) siehe PDF.

Gleichung (5) siehe PDF.

3.2.2 Berechnungsmodell

Für die Berechnung der Elementfolge Gerade (fG) – Verbundkurve (fVK) – Gerade (fG) sind die drei Tangentenstützpunkte Ti, Ti+1, Ti+2 sowie der zugehörigen Richtungswinkel γ erforderlich. Mit diesem Winkel und den Vektoren = Ti – Ti+1 und = Ti+2 - Ti+1 erfolgt die Berechnung der lokalen Verbundkurve (Bild 4).

Bild 4: Mathematischer Ansatz für Verbundkurve

Um die lokalen Koordinaten in den dreidimensionalen Raum überführen zu können, sind Koordinatentransformationen notwendig. Dabei dient Ti+1 als Referenzpunkt für die Verschiebung und der Winkel β wird für die Rotation der Verbundkurve eingesetzt. Für die Gesamttransformation werden folgende Transformationsmatrizen verwendet:

Gleichung (6) siehe PDF.

Der Parameter s ist dabei die Trassenlänge. Aus der Liste der Höhenplanelemente wird für jede Station s die passende Funktion

Gleichung (7) siehe PDF.

zur Berechnung der Höhe selektiert. Anschließend erfolgt die Überlagerung mit den vorher im Lageplan berechneten Punkten Q3D(s) (Bild 5):

Bild 5: Raumkurve aus Überlagerungsprozess

Gleichung (8) siehe PDF.

3.2.3 Verfahrensablauf

Die Trassensuche erfolgt innerhalb eines räumlichen Korridors nach dem Tangentenverfahren durch Setzen dreidimensionaler Punkte im Geländemodell (Bild 6).

Bild 6: 3-D-Tangentenmethode

Die verschieblichen Stützpunkte Ti, Ti, ∈ R3 werden unter Beachtung der Restriktionen aus dem Umfeld gesetzt. Die Ausrundung der Tangentenschnittpunkte erfolgt in Echtzeit auf der Grundlage vorgegebener Radienwerte RK, k = 1(1)m. Als Ergebnis der Ersttrassierung entsteht eine dreidimensionale Trasse, deren Elementfolge im Lageplan über das Krümmungsbild und im Höhenplan über den Gradientenverlauf veranschaulicht wird. Durch Verschiebung der Tangentenstützpunkte Ti, i = 1(1)n im Raum (x, y, z) verändern sich Krümmungs- und Gradientenverlauf vollständig. Korrigiert man dagegen nur die Höhe z, so ergibt sich nur ein geänderter Gradientenverlauf (Damm-Einschnitt-Veränderung).

Neben der Stützpunktmanipulation ist zusätzlich eine Verschiebung der Manipulationspunkte Ql = l(1)p möglich. Dadurch werden Ausrundungsanfang- und -ende lagemäßig korrigiert. Durch verschiedene Iterationsschnitte kann man somit den Verlauf der Raumkurven an die Geländesituation anpassen und die Richtlinienkonformität herstellen.

Die Fahrverhaltensabschätzung erfolgt bei dieser neuartigen Methodik mit Hilfe einer virtuellen Befahrung an einem Arbeitsplatzsimulator (Bild 7) nach dem die Sicherheitsüberprüfung nach geometrischen Kriterien abgeschlossen ist.

Bild 7: Entwurfsarbeitsplatz (Arbeitsplatzsimulator)

An dem neuentwickelten Arbeitsplatzsimulator kann der Entwurfsingenieur mittels 3-D-Mouse und stereoskopischem PC-Monitor dreidimensional entwerfen und gleichzeitig eine virtuelle Befahrung der Trasse zur Abschätzung des Fahrverhaltens vornehmen. Während der virtuellen Befahrung werden charakteristische Eigenschaftsbänder zum Fahrverhalten aufgenommen und schließlich mit einem Bandanalysator grafisch dargestellt.

Das Bild 8 zeigt die typischen Eigenschaftsbänder zur Straßengeometrie (Krümmungsband und Gradiente), die Fahrverhaltensbänder (Geschwindigkeits- und Beschleunigungsverlauf sowie Spurlage) und für ökologische Betrachtungen den Benzinverbrauch. Abrupte Änderungen in der Straßengeometrie wirken sich in der Regel auch nachteilig auf das Fahrverhalten und somit den Benzinverbrauch aus. Während zwischen den Stationen 0 + 000 und 3 + 500 infolge einer stetigen Linienführung (Ausbautrasse) auch das Fahrverhalten als harmonisch bezeichnet werden kann, wirken sich die Unstetigkeitsstellen innerhalb der Bestandsstraße (Station 3 + 500 bis 5 + 000) auch negativ auf das Fahrverhalten aus (starke Abweichungen bzw. große Streuung gegenüber Mittelwerten). Die Eigenschaftsbänder zum Fahrverhalten werden ausgewertet, mit den geometrischen Elementen verglichen und einer abschließenden Verkehrssicherheitsbewertung unterzogen. Objektive Vergleichsparameter sowie zugehörigen Grenzwerte befinden sich gegenwärtig noch in der Entwicklung und Testung.

Bild 8: Eigenschaftsbänder

3.2.4 Beispiel

Auf der Grundlage des erläuterten mathematischen Modells wurde für den Entwurfsprozess ein Software-Tool entwickelt, mit dem der Trassierungsprozess auf der Grundlage eines räumlichen Geländemodells mittels dreidimensionaler Stützpunkte erfolgt. Die Raumkurve wird dabei grundsätzlich in Echtzeit in die Entwurfselemente im Lageplan (Krümmungsband) und im Höhenplan (Gradientenverlauf) zerlegt.

Durch Verschiebung der Tangentenstützpunkte und Manipulation der Anfangs- und Endpunkte für die Ausrundung erfolgt eine abschnittsweise Trassenoptimierung über verschiedene Interaktionsschnitte.

Bild 9: Praktisches Beispiel

Bei dem nachfolgenden praktischen Beispiel wurde im Rahmen der Ersttrassierung eine Raumkurve entworfen und in Echtzeit in den Lage- und Höhenplan zerlegt (Bild 9a).

Da der Höhenplan durch einen größeren zusammenhängenden Dammabschnitt gekennzeichnet ist und somit kein Massenausgleich erreicht wird, ist eine Trassenoptimierung zwingend notwendig. Durch Verschiebung des Tangentenstützpunktes T2 wird die Trasse besser an die Topografie angepasst (Bild 9b).

Die Trassenveränderungen sind aus dem Krümmungs- und Gradientenverlauf anschaulich erkennbar. Die Stützpunktverschiebung trägt somit erheblich zur Trassenoptimierung bei.

3.3 Abwägungsprozess

3.3.1 Grundlagen

Um den Planungs-, Abwägungs- und Genehmigungsprozess transparent, anschaulich und für alle Beteiligten begreifbarer zu machen, sind neben einer frühzeitigen Einbeziehung auch neuartige Präsentations- und Interaktionstechniken erforderlich. Letztendlich hängt der Erfolg eines schnellen und unkomplizierten Abwägungsprozesses nicht zuletzt von der Begreifbarkeit der Planungsabsicht ab.

Präsentation, Diskussion und Abwägung der Planungsergebnisse finden dabei ausschließlich mit Hilfe einer interaktiven Projektionswand statt, die auf Grund ihrer sektoralen Teilung in Abhängigkeit von den Akteuren die Durchführung der verschiedenen Szenarien Planung, Präsentation und Modifikation ermöglicht.

Die unterschiedlichen Akteure können neben dem Szenarium auch ein geeignetes Interaktionswerkzeug für ihre Mitwirkung wählen. Neben Laser-Pointer, Smart-Phones und
Touch-Pads ist auch die Interaktion mit normierten Gesten möglich.

3.3.2 Multifunktionsbox

Für die audio-visuelle Aufzeichnung aller Informationen während einer Veranstaltung mit unterschiedlichen Akteuren wurde eine Multifunktionsbox (Mufu Box) entwickelt, die neben dem Kontakt zwischen sektoraler Projektionswand und den Interaktionsgeräten die komplette Dokumentation übernimmt (Bild 10).

Bild 10: MuFu-Box

Außerdem dient sie als Verbindungsgerät zum Web-Server und zu den Web-Applikationen. Über Kinekts ist auch eine Gestenerkennung und -steuerung neben den üblichen Interaktionsgeräten möglich. Die Mufu-Box kann als Einzelgerät zwischen Projektionswand und Akteuren positioniert oder in den Beamer eingebaut werden.

3.4 Prüfprozess

3.4.1 Theoretische Grundlagen

Nach Einarbeitung aller Hinweise aus dem Abwägungsprozess kann mit Hilfe verschiedenartiger Augmented-Reality-Systeme eine Überblendung der Realität mit den virtuellen Entwurfsdaten erfolgen. Dabei ist die Auswahl von Einzelstandorten oder eines variablen Bewegungspfades möglich. Neben Head-Mounted Displays, Smart-Geräten können auch bionische Kontaktlinsen genutzt werden (Bild 11).

Bild 11: Überblendungstechniken (Augmented-Reality)

Die Überblendung erfolgt dabei im Gegensatz zu VR-Systemen (z. B. Perspektivbildmontagen) in Echtzeit mittels Blickrichtungsüberblendung. Neben einem Soll-Ist-Vergleich während der Planungsphase sind auch eine baubegleitende Baufortschrittskontrolle und die Prüfung des projektgerechten Bauens möglich.

3.4.2 Praktisches Beispiel

Das Bild 12 veranschaulicht die Überblendung der Realität (Tallage) mit Hilfe eines Brückenbauwerkes (virtuelle Entwurfsdaten), bei Nutzung einer Spezialbrille aus der Vogelperspektive. Speziell bei Ingenieurbauwerken kann somit die ästhetische Wirkung unterschiedlicher Brückenkonstruktionen aus Betrachtersicht kontrolliert werden. Momentan sind die theoretischen Grundlagen erarbeitet. Die Entwicklung praktisch handhabbarer, einfacher Überblendungsgeräte ist noch erforderlich.

Bild 12: Überblendung des bestehenden Geländes mit Brückenbauwerk (virtuelle Daten)

4 Zusammenfassung

Mit der entwickelten Methodik für den Entwurfs-, Abwägungs- und Prüfprozess von Straßen wird es zunehmend möglich, diesen 3-stufigen Prozess komplex und ganzheitlich zu betrachten und auch zu verfolgen. Durch den Einsatz neuartiger Hard- und Software-Systeme ist eine aktive Teilnahme aller Akteure bereits am Planungsprozess möglich. Für den eigentlichen Entwurfsprozess steht dem Entwurfsingenieur ein 3-D-Modell auf der Grundlage der klassischen Entwurfselemente mit Echtzeitvisualisierung und -interaktion zur Verfügung.

Der neuartige Simulationsarbeitsplatz ermöglicht neben dem 3-D-Entwurf und der Richtlinienkonformitätsprüfung eine Abschätzung des Fahrverhaltens mittels virtueller Befahrung. Der Einsatz akteursbezogener Interaktionswerkzeuge in Verbindung mit einer sektoralen Projektionswand und Multifunktionsbox trägt maßgeblich zu einer Veranschaulichung der Planungsabsicht bei.

Durch den Einsatz von Augmented-Reality-Techniken können die Einordnung der Straße in ausgewählten Bereichen im Umfeld, das projektgerechte Bauen und der Bautenstand überprüft werden. Bei verstärkter Anwendung dieser Methodik im Entwurfsprozess können die Qualität der Planungsergebnisse erhöht, die Verkehrssicherheit realistisch abgeschätzt und die zugehörigen Genehmigungszeiten durch Einbeziehung aller maßgeblichen Akteure erheblich verkürzt werden.

Gegenwärtig erfolgt eine umfangreiche Testung der Methodik an einer Vielzahl praktischer Beispiele, um Hard- und Software für den Einsatz in den Ingenieurbüros validieren zu können.

Literaturverzeichnis

1 K ü h n, W. (2011): Anwendung neuartiger VR- und AR-Techniken in der Technik. Westsächsische Hochschule Zwickau, 2011 (unveröffentlicht)

2 J h a, M. K. et al. (2003): An evolutionary model for simultaneously optimizing three-dimensional highway alignments. In: Transportation Research Part B, I 7 (2)

3 K ü h n, W. (2005): The Basics of a Three-Dimensional Design Methodology. In: Proceedings of the 3rd International Symposium on Highway Geometric Design, Compendium of
Papers, Chicago

4 T i l g e r et al. (2011): Straßenentwurf: 3D-Entwurf in der Verkehrswegplanung: Mathematische Modellierung und praktische Anwendung. Straßenverkehrstechnik, 8, Kirschbaumverlag Bonn, Bad Godesberg

5 G a l i l ä e r, P. (2009): Trassierung von Straßenverkehrsanlagen mittels Finiter ElementeMethode. Dissertation, Technische Universität Dresden

6 K ü h n, W. et al. (2011): 3D-Methodology for the Geometric Design Process of safe Rule Highways. In: Proceedings of the 91th TRB Annual Meeting, Washington D.C.

7 K ü h n, W. et al. (2012): IPADOK: Ganzheitliches System mit speziellen Werkzeugen zur interaktiven Planung, Präsentation, Kommunikation und Dokumentation am Beispiel von
Verkehrsanlagen, Zwischenbericht, Westsächsische Hochschule Zwickau