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1 Hintergrund
Der vorliegende Fachbeitrag präsentiert laufende Forschungsarbeiten im Bereich der Klimawirkungsanalyse für die Bundesfernstraßen in Deutschland. Es werden am Beispiel von Hangrutschungen einzelne Teilaspekte der im Themenfeld 1 des BMVI-Expertennetzwerks für die Bundesverkehrswege entwickelten Klimawirkungsanalyse in Bezug auf den Verkehrsträger Straße vorgestellt. Die in diesem Beitrag präsentierten Methoden lassen sich dem im Themenfeld 1 für die Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraße entwickelten methodischen Rahmen der Klimawirkungsanalyse zuordnen. Dieser sieht auf der Netzebene der jeweiligen Verkehrsträger eine Expositionsanalyse (Schritt 1), eine Sensitivitätsanalyse (Schritt 2) und eine Kritikalitätsanalyse (Schritt 3) vor. Fallstudien ergänzen die netzweite Klimawirkungsanalyse und beinhalten eine Detailbetrachtung von ausgewählten Strecken und Netzbereichen. Auf Basis dieses methodischen Rahmens erfolgt für die Bundesfernstraßen die Entwicklung und Anwendung einer Methodik für die Klimawirkungsanalyse in Bezug auf Hangrutschungen sowie Hochwasser- und Sturmgefahren. Die Methodenentwicklung ist fester Bestandteil von Themenfeld 1 des BMVI-Expertennetzwerks (Hänsel et al., 2017) und der Forschungslinie 1.03 der Mittelfristigen Forschungsplanung 2016/2020 der Bundesanstalt für Straßenwesen (Bundesanstalt für Straßenwesen, 2016). Durch die verkehrsträgerübergreifende Zusammenarbeit im Themenfeld 1 des BMVI-Expertennetzwerks sollen ein einheitliches Vorgehen bei den wesentlichen Schritten der Klimawirkungsanalyse und eine möglichst gute Vergleichbarkeit der Ergebnisse erreicht werden. Die in der Klimawirkungsanalyse verwendeten Begrifflichkeiten orientieren sich ebenso wie die einzelnen methodischen Entwicklungs- und Analyseschritte an den verkehrsträgerspezifischen Vorarbeiten (z. B. Auerbach et al., 2014; Korn et al., 2017) und dem Leitfaden für Klimawirkungs- und Vulnerabilitätsanalysen (Buth et al., 2017).
Ziel der Klimawirkungsanalyse für die Bundesfernstraßen ist es, Strecken innerhalb des Netzes zu identifizieren, die aufgrund möglicher Gefährdungspotenziale (Exposition), ihrer baulichen Merkmale (Sensitivität) und einer hohen verkehrlichen Bedeutung (Kritikalität) bei der Ermittlung des Anpassungsbedarfes vorrangig zu betrachten sind. Die Klimawirkungsanalyse fokussiert sowohl auf aktuelle Gefährdungspotenziale als auch auf Gefährdungspotenziale, die zukünftig als Folge von möglichen Klimaänderungen zusätzlich zu erwarten sind. Dabei sind die Betrachtungszeiträume 2031 bis 2060 (nahe Zukunft) und 2071 bis 2100 (ferne Zukunft) maßgebend. Für die Bundesfernstraßen soll in Abhängigkeit von der Datenlage für die nahe Zukunft eine vollständige Klimawirkungsanalyse durchgeführt werden. Neben Gefahrenhinweiskarten (Abschnitt 2) und Klimaprojektionsdaten kommen bei diesen Analysen beispielsweise auch das Prognosenetz und die Verkehrsverflechtungsdaten aus der Bundesverkehrswegeplanung (Abschnitt 3) zum Einsatz. Die Sensitivitätsanalyse wird aufgrund der Datenlage nur exemplarisch und stark eingeschränkt möglich sein und sich bestenfalls auf aktuelle Bestands- und Bauwerksdaten beziehen können. Für die ferne Zukunft bleibt die Klimawirkungsanalyse für die Bundesfernstraßen auf eine reine Expositionsanalyse auf Basis eines unveränderten Straßennetzes beschränkt. Bei der Operationalisierung von Klimawirkungen (Buth et al., 2017) besitzen, wie auch schon in Korn et al. (2017), Indikatoren eine herausragende Bedeutung. Hervorzuheben sind vor allem verschiedene, in die netzweiten Analysen eingehende Klima- und Kritikalitätsindikatoren, die aus Datengrundlagen wie den oben genannten abgeleitet werden. Die Klimawirkungsanalyse für die Bundesfernstraßen bezieht sich nicht nur auf die Netzebene, sondern schließt auch einzelne Fallstudien ein. Ziel dieser Fallstudien ist es, die Wirkungen von Streckensperrungen in potenziell gefährdeten Gebieten verkehrlich und ökonomisch zu analysieren. Dabei findet das Instrumentarium der Bundesverkehrswegeplanung Anwendung (Abschnitt 3).
Die Klimawirkungsanalyse für die Bundesfernstraßen baut insbesondere auf dem Projekt „RIVA – Risikoanalyse wichtiger Verkehrsachsen des Bundesfernstraßennetzes im Kontext des Klimawandels“ (Korn et al., 2017) auf, das im Rahmen des Forschungsprogramms „Adaptation der Straßenverkehrsinfrastruktur an den Klimawandel (AdSVIS)“ (http://adsvis.de/index.php?lang=de, zuletzt aufgerufen am 07.08.2018) der Bundesanstalt für Straßenwesen bearbeitet wurde. Der in diesem Projekt entwickelte Ansatz wird in den laufenden Forschungsarbeiten konzeptionell weiterentwickelt, um beispielsweise auch neue methodische Komponenten und ein Geographisches Informationssystem (GIS) in die Analysen einbeziehen zu können. Wesentliche Vorarbeiten für die gefahrenspezifische Klimawirkungsanalyse leisteten zwei Forschungsprojekte der Bundesanstalt für Straßenwesen (Krauter et al., 2012; Kumerics et al., 2015) und ein im Rahmen von Themenfeld 1 des BMVI-Expertennetzwerks abgeschlossenes Forschungsprojekt des Eisenbahn-Bundesamtes (Kallmeier & Knobloch, 2017; Knobloch et al., 2018). Im Abschnitt 2 dieses Fachbeitrages werden vorläufige Ergebnisse des hierauf aufbauenden Forschungsprojektes FE 89.0338/2017 „Validierung und Weiterentwicklung des Dispositionsmodells und der Hinweiskarte zu Hang- und Böschungsrutschungen für das Bundesfernstraßennetz“ der Bundesanstalt für Straßenwesen vorgestellt. In diesem Folgeprojekt erfolgt aktuell die Entwicklung einer wesentlichen Komponente für die Klimawirkungsanalyse in Bezug auf Hangrutschungen. Des Weiteren wird im Abschnitt 3 eine auf dem Instrumentarium der Bundesverkehrswegeplanung beruhende Fallstudie zur Ermittlung der verkehrlichen und ökonomischen Wirkung einer fiktiven Streckensperrung infolge einer Hangrutschung präsentiert.
2 Gefahrenhinweiskarte
2.1 Einleitung
Gravitative Massenbewegungen sind in Gegenden mit markanter Morphologie ein allgegenwärtiges Phänomen. Die durch den Klimawandel induzierten Änderungen der Temperatur- und Niederschlagsverhältnisse in Deutschland können lokal zu einer Erhöhung des Gefährdungspotenzials durch Hang- und Böschungsrutschungen führen. Der Identifikation von potenziellen Gefährdungsbereichen entlang des Bundesfernstraßennetzes widmet sich das Forschungsprojekt FE 89.0338/2017 „Validierung und Weiterentwicklung des Dispositionsmodells und der Hinweiskarte zu Hang- und Böschungsrutschungen für das Bundesfernstraßennetz“. Ziel dieses Forschungsprojektes der Bundesanstalt für Straßenwesen ist es, Gefährdungsbereiche modellgestützt auf Basis eines GIS abzuschätzen, im Gelände zu validieren und in einer Gefahrenhinweiskarte darzustellen. Die Abschätzung rutschungsgefährdeter Gebiete erfolgt unter Annahme eines deutschlandweit geltenden ingenieurgeologischen Modells, in das rutschungsrelevante geologisch-morphologische, klimatische und Flächennutzungsinformationen einfließen. Die Wirkungsweise und das Zusammenwirken dieser Parameter sind meist komplex und stark von lokalen Gegebenheiten bestimmt. Um ein möglichst optimiertes Ergebnis zu erhalten, finden zwei verschiedene Ansätze Anwendung. Einerseits wird geotechnisches Expertenwissen (wissensbasierter Ansatz) angewendet. Zum Zweiten kommen selbstlernende künstliche neuronale Netze (datenbasierter Ansatz) zum Einsatz. Dabei erfolgt jeweils die prozesstypenabhängige Unterscheidung in allgemeine Massenbewegungen, Fließprozesse und Sturzprozesse. Die Berechnung des Gefährdungspotenzials erfolgt generell innerhalb eines Pufferbereiches von 1 km beidseitig des Bundesfernstraßennetzes. Im Folgenden werden die Methodik für den wissensbasierten Ansatz und die vorläufige Gefahrenhinweiskarte für allgemeine Massenbewegungen vorgestellt.
2.2 Datengrundlagen
Für die Entwicklung der Gefahrenhinweiskarte stehen im Rahmen dieses Projektes die in Tabelle 1 aufgeführten, z. T. frei zugänglichen bzw. über Amtshilfe beschafften Ausgangsdaten zur Verfügung. Die Ausgangsdaten wurden zu einem bundesweiten Datensatz zusammengefügt und in einem einheitlichen Bezugssystem (ETRS_1989_UTM_Zone_32N) abgelegt.
Tabelle 1: Verwendete Ausgangsdaten und Bezugsquelle
Aus den in Tabelle 1 aufgeführten Ausgangsdaten konnten die entsprechenden projektrelevanten Modelleingangsdaten abgeleitet werden:
– geotechnische Eigenschaften der Gesteine (rollig/bindig/gemischtkörnig, locker/fest, richtungslos klüftungsfreundlich/nicht richtungslos klüftungsfreundlich, verformungsempfindlich/nicht verformungsempfindlich, mit Trennflächen parallel zur Schichtung oder Schieferung/ohne derartige Trennflächen usw.)
– Hangeigenschaften (Neigungswinkel, horizontale und vertikale Wölbung)
– Charakteristik der Einzugsgebiete (Fließakkumulation)
– Flächennutzung (Bewuchs, Versiegelungsgrad)
– vertikaler Abstand des Hanges zur Straße.
2.3 Methodischer Ansatz
Das Gefährdungspotenzial für allgemeine Massenbewegungen konnte auf Basis geotechnischen Expertenwissens im ersten Schritt (Hauptgefahrenklasse) mittels einer Kombination von Hangneigungs- und Gesteinsklassifikation abgebildet werden. Bezugnehmend auf vorangehende Arbeiten von Krauter et al. (2012), Kumerics et al. (2015) und Knobloch et al. (2018) wurde das in Tabelle 2 dargestellte Klassifikationsschema entwickelt. Dieses beruht auf einer Klassifikation der GÜK200 in geotechnische Gesteinsklassen und dem Verschnitt mit der Klassifikation des DGM20 in Hangneigungsklassen. Entsprechend des Klassifikationsschemas werden alle Flächen zunächst in fünf prinzipielle Gefahrenklassen eingestuft (Tabelle 2):
– Gefahrenklasse 2: nicht gefährdet
– Gefahrenklasse 5: gering gefährdet
– Gefahrenklasse 8: gefährdet
– Gefahrenklasse 11: stark gefährdet
– Gefahrenklasse 14: sehr stark gefährdet.
Mittels der Einbeziehung weiterer Einflussfaktoren wurde dieses Ergebnis kontinuierlich verfeinert. Zur Wertung dieser zusätzlichen Faktoren wurden Modifikatoren für die Landnutzung auf Basis des DLM250, für die Verformungsempfindlichkeit, die Klüftungsfreundlichkeit und das Vorhandensein von Trennflächen auf Basis der GÜK200 sowie für die Fließakkumulation auf Basis des DGM20 ermittelt. Die Modifikatoren wurden mittels eines expertenbasierten Algorithmus miteinander kombiniert (Bild 1), gewichtet und lassen eine Ab- bzw. Aufstufung um maximal eine Gefahrenklasse nach unten (-1) oder nach oben (+1) zu. Diese Herangehensweise ermöglicht es, die zusätzlichen Faktoren einzubeziehen, ohne sie dabei zu stark zu gewichten.
Im letzten Berechnungsschritt wurden die berechnete Gefahrenklasse und der berechnete Gesamtmodifikator durch Summenbildung miteinander kombiniert. Daraus resultieren die finalen Gefahrenklassen nach dem wissensbasierten Ansatz, die in einer Raster-Datei mit Werten zwischen 1 und 15 abgebildet wurden. Die Bilder 2 und 3 zeigen den vorläufigen Stand der Gefahrenhinweiskarte unter Verwendung des wissensbasierten Ansatzes.
Tabelle 2: Expertenwissensbasierte Klassifikation (Entscheidungsbaum) des Gefährdungspotenzials durch Verschnitt der Gesteinsklasse auf Grundlage der GÜK200 und der Hangneigungsklasse auf Grundlage des aus dem DGM10 abgeleiteten DGM20
Bild 1: Fließschema (Algorithmus) zur Berechnung der resultierenden Modifikation (Spezifizierung) der Gefahrenklassen durch Kombination der Modifikatoren der unterschiedlichen Ausgangsdaten
Bild 2: Vorläufige Gefahrenhinweiskarte für Hang- und Böschungsrutschungen nach dem wissensbasierten Ansatz
Bild 3: Detailausschnitt aus der vorläufigen Gefahrenhinweiskarte für Hang- und Böschungsrutschungen nach dem wissensbasierten Ansatz. Der Ausschnitt zeigt die in der Fallstudie betrachtete B 31 im Bereich des Höllentales
2.4 Bewertung der Vorhersagegüte
Zur Bewertung der Vorhersagegüte des Berechnungsergebnisses nach dem wissensbasierten Ansatz wurden die berechneten Gefahrenklassen an den bekannten Punkten aus dem zusammengestellten Georisikokataster ermittelt. Das Bild 4 gibt einen Überblick über die berechneten Gefahrenklassen entsprechend des wissensbasierten Ansatzes an den bekannten Ereignispunkten. Rot dargestellt sind die Ereignisdaten des Gesamtkatasters (n = 10.819), wobei alle drei Prozesstypen (allgemeine Massenbewegungen, Sturzprozesse und Fließprozesse) inbegriffen sind. Blau dargestellt ist der Anteil der Ereignisse, welche sich innerhalb des beidseitigen 1-km-Puffers um das Bundesfernstraßennetz befinden. Idealerweise sollte die Verteilung linksschief sein, mit möglichst vielen Punkten in den Gefahrenklassen 10 bis 15. Der Hauptteil (87,5 %) der Punkte ist jedoch in mittleren Gefahrenklassen von 4 bis 8 eingestuft worden. Dies begründet sich zum einen durch die dokumentierten Ereignispunkte aus dem erstellten Georisikokataster, insofern diese nicht selbst den Ausgangspunkt der Gefährdung darstellen (Initialgebiet der Massenbewegung), sondern nur die Lokalität, an der die Gefahr gewirkt hat (Ablagerungsgebiet). Die Ortsgenauigkeit der dokumentierten Ereignispunkte entspricht häufig nicht dem Ausgangspunkt der Massenbewegungen. Andererseits wäre es möglich, dass bereits Gegenmaßnahmen/Sicherungsmaßnahmen am Ort der Gefährdung durchgeführt wurden und sich dies bereits in den veränderten Ausgangsdaten widerspiegelt. Gegenmaßnahmen, z. B. in Form der Veränderung der Hangneigung, würden beispielsweise in einem Wechsel der Hangneigungsklasse resultieren und eine Änderung der Hauptgefahrenklasse nach sich ziehen. Eine Anpassung des Bewuchses oder des Versiegelungsgrades würde eine Veränderung der Gefahrenklassifizierung verursachen. Ein weiterer Grund lässt sich auf die unzureichende Datengrundlage bei den verwendeten geologischen Daten (GÜK200) zurückführen. Die GÜK200 bildet sehr oft kleinere Vorkommen von Lockergestein über Festgestein nicht ab, welche an ausgewählten Lokationen jedoch erst zum Schadensereignis geführt haben.
Bild 4: Statistische Verteilung der Gefahrenklassen auf die bekannten Ereignispunkte des Gefahrenkatasters
2.5 Ausblick
Die Ergebnisse der GIS-basierten Modellierung werden final mit bekannten Bauwerken wie Brücken und Tunneln sowie mit bekannten geotechnischen Sicherungsmaßnahmen verschnitten, um diese in der Gefährdungsabschätzung zu berücksichtigen. Des Weiteren erfolgen der Verschnitt der erstellten Gefährdungsbereiche mit dem Bundesfernstraßennetz und die Ermittlung der Streckenabschnitte, welche direkt bzw. in einem Umkreis von 50 m, 100 m und 200 m um gefährdete Bereiche (Gefahrenklasse ≥ 10 bzw. Gefährdungspotenzial ≥ 0,75) liegen. Die Gefahrenhinweiskarte weist potenziell gefährdete und potenziell nicht gefährdete Abschnitte des Bundesfernstraßennetzes für Hang- und Böschungsbewegungen aus. Diese Gebiete werden exemplarisch im Gelände in unterschiedlichen Landschaftsräumen (u. a. Schwäbische Alb, Oberrheingraben, Eifel) überprüft. Die Prognosegenauigkeit wird im Gelände validiert. Die erstellte Gefahrenhinweiskarte im Pufferbereich des Bundesfernstraßennetzes wird zur Identifizierung potenzieller Gefahrenpunkte herangezogen. Sie zeigen kritische Bereiche, bei denen gegebenenfalls detailliertere Untersuchungen erforderlich sind.
3 Fallstudie
3.1 Einleitung
Das Instrumentarium der Bundesverkehrswegeplanung bietet die Möglichkeit einer deutschlandweiten Simulation des werktäglichen Straßenverkehrs. Hierzu steht das Netzmodell der Bundesfernstraßen (NEMOBFStr) mit seinen Informationen für das Bundesfernstraßennetz und alle sonstigen Straßen mit verkehrlicher Bedeutung zur Verfügung. In ihm werden alle Straßen u. a. in ihrer Lage, ihren Verknüpfungen sowie ihrer Querschnittsausprägung und Leistungsfähigkeit beschrieben. Um die werktäglichen Verkehrsmengen realistisch abbilden zu können, bedarf es Verkehrsnachfragedaten, in denen für die Verkehrsarten Pkw, leichte Lkw und schwere Lkw und im Pkw-Verkehr für die Fahrtzwecke Pendler, Ausbildung, Geschäft, Versorgung und Freizeit, die Verflechtung zwischen Verkehrszellen als Anzahl Fahrzeuge pro Zeiteinheit beschrieben werden. Diese Verflechtungsdaten umfassen über alle Verkehrsarten ca. 110 Mio. Fahrtenrelationen und liegen u. a. für das Prognosejahr 2030 vor (BVU, ITP, IVV, Planco: Verkehrsverflechtungsprognose 2030 (FE-Nr. 96.0981/2011), erstellt im Auftrage des BMVI, 2014).
Mit dem Netzmodell und den Verkehrsverflechtungsdaten lassen sich mit einem Verkehrssimulationsmodell für jeden Streckenabschnitt die an einem durchschnittlichen Werktag für das Jahr 2030 zu erwartenden Verkehrsmengen ermitteln. Hierbei können die verkehrlichen Auswirkungen beliebiger Netzvarianten wie z. B. geplante Straßenneu- oder -ausbauten oder – wie in diesem Fall Vollsperrungen – Berücksichtigung finden. Die aufgrund der Verkehrsmengen sich einstellende Verkehrssituation im Straßennetz lässt sich in Anlehnung an das „Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen“ (HBS) durch die Qualitätsstufen des Verkehrsablaufes (QSV) beschreiben (Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV): Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS), Ausgabe 2015). Hierbei wird über den Vergleich der Verkehrsbelastung mit der Leistungsfähigkeit des Straßenquerschnittes die Qualitätsstufe bestimmt. Diese mit A bis F bezeichneten Qualitätsstufen umschreiben den Verkehrsablauf von „frei“ bis „nicht mehr gegebene Funktionsfähigkeit“. Die Auswirkungen von Verkehrsverlagerungen können somit nicht nur über die Verkehrsmengen, sondern auch über die Veränderung der Verkehrsqualität beurteilt werden.
Darüber hinaus bietet das Instrumentarium der Bundesverkehrswegeplanung eine verkehrswirtschaftliche Betrachtungsweise, indem die „Nutzen“ einer Maßnahme für eine Reihe von Kriterien (Veränderungen von Reisezeit, Wegeaufwand, Unfallpotenziale etc.) quantifiziert und monetarisiert werden.
3.2 Szenario
Für die Fallstudie „Hangrutschung Höllental“ wurden die o. g. Verfahren eingesetzt, um Verkehrsverlagerungen im Störfall zu simulieren und entstehende Auswirkungen zu beschreiben. Der fiktive Störfall basiert auf der Annahme, dass die B 31 westlich von Hinterzarten infolge der angenommenen Hangrutschung für einen längeren Zeitraum unpassierbar ist. Mithilfe des beschriebenen Instrumentariums wurde untersucht, welche verkehrlichen Auswirkungen ein solcher Störfall haben kann. Um die verkehrlichen Wirkungen quantifizieren zu können, bedarf es zweier Simulationen (ohne und mit Sperrung der B 31 wegen Hangrutschung), deren Ergebnisse miteinander verglichen die verkehrlichen Verlagerungen darstellen. In der Simulation des Störfalles muss der normalerweise den nun unpassierbaren Straßenabschnitt nutzende Verkehr andere Routen finden, um seine Ziele zu erreichen. Der streckenbezogene Vergleich der Verkehrsbelastungen des Störfalles mit den Belastungen des Normalfalles weist die verkehrlichen Wirkungen des Störfalles aus (Bild 5). Alle Belastungsaussagen beziehen sich auf den Prognosehorizont der BVWP 2030.
Bild 5: Mehr- und Minderbelastungen des Straßennetzes infolge einer fiktiven Vollsperrung der B 31 im Abschnitt des Höllentales
Bild 6: Qualität des Verkehrsablaufes im Straßennetz bei einer fiktiven Vollsperrung der B 31 im Abschnitt des Höllentales
3.3 Ergebnisse
Auf der B 31 fahren im Jahr 2030 im Abschnitt des Höllentales an Werktagen ca. 19.000 Fahrzeuge. Der Verkehrsfluss kann nach den Kriterien der HBS als „nahezu frei“ (QSV-Stufe B) beschrieben werden. Die angenommene Hangrutschung im Höllental und die mit ihr verbundene Vollsperrung der Höllentalstraße (B 31) führt zwangsläufig zu weiträumigen Verlagerungen. Der weitausgreifende Verkehr kann die gesperrte Schwarzwaldquerung großräumig über die A 8 oder die Schweizer A 3 umfahren oder die alternativen Schwarzwaldquerungen B 33 (Offenburg – Villingen-Schwenningen) und B 294 (Freiburg – Rottweil) nutzen. Die zusätzlichen Verkehre führen dort zu keinen nennenswerten verkehrlichen Beeinträchtigungen. Der Nah- und Regionalverkehr findet trotz des durch die topografischen Gegebenheiten relativ dünnen Straßennetzes Ausweich- und Umfahrungsmöglichkeiten. Ein Großteil dieser Verkehre werden die nördlichen Umfahrungsmöglichkeiten über Bundes-, Landes- und Kreisstraßen zwischen Kirchzarten und Hinterzarten bzw. Titisee-Neustadt nutzen, auch wenn diese Straßenzüge für die zusätzlichen Verkehrsmengen nicht unbedingt ausgelegt sind. Somit kann der Verkehrsablauf auf ihnen nur noch mit „spürbar beeinträchtigt“ bis „instabil“ (QSV-Stufe C bis E) beschrieben werden (Bild 6).
Die verkehrlichen Wirkungen infolge der Hangrutschung für den direkt, aber auch den indirekt betroffenen Verkehr zeigen einen leichten Rückgang der Verkehrsleistung (Fahrzeug-Kilometer) und einen moderaten Zuwachs der Verkehrsarbeit (Fahrzeug-Stunden). Die geringere Verkehrsleistung zeigt deutlich, dass im Normalfall nicht immer die kürzesten Routen, sondern die zeitlich kürzesten Routen gewählt werden. Die insgesamt geringen Differenzen zwischen Normal- und Störfall finden ihren Grund auch darin, dass selbst in dem topografisch schwierigen Gelände des Schwarzwaldes das Straßennetz so dicht ist, dass sich hinreichend Alternativen finden lassen und diese Strecken noch Kapazitätsreserven aufweisen. Einzig die Qualität des Verkehrsablaufes wird auf den nahen Ausweichrouten deutlich beeinträchtigt, was sich auch in dem zusätzlichen Zeitbedarf widerspiegelt. Bei der volkswirtschaftlichen Betrachtungsweise, wie sie bei der Bewertung der Straßenbauprojekte im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung (BVWP) genutzt wird, haben neben den entstehenden Kosten infolge des zuvor beschriebenen höheren Zeitbedarfes auch die mit dem erhöhten Unfallrisiko im untergeordneten Straßennetz verbundenen Kosten ein hohes Gewicht. Dieses steigende Unfallrisikopotenzial entsteht durch die Verlagerung von Fahrten auf die für hohe Belastungen nicht dimensionierten Straßen.
Alles in allem zeigt dieser fiktive Störfall – Vollsperrung der B 31 infolge einer angenommenen Hangrutschung im Höllental – deutlich, dass die verkehrlichen Abläufe sicherlich zu lokalen Engpässen führen, jedoch das alltägliche Verkehrsgeschehen nicht elementar gestört sein wird.
Redaktioneller Hinweis
Abschnitt 1 wurde von Dr. Martin Klose verfasst. Dr. Mandy Schipek, Dipl.-Geol. Enrico Kallmeier und Dipl.-Ing. Jens Kirsten verfassten Abschnitt 2. Abschnitt 3 wurde von Dipl.-Ing. Christian Knörzer verfasst. Der Abstract wurde von Dr. Martin Klose auf Basis der einzelnen Abschnitte zusammengestellt.
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