FGSV-Nr. FGSV 001/20
Ort Berlin
Datum 13.10.2004
Titel Neue Anforderungen an die kommunale Verkehrsplanungspraxis durch veränderte EU-Umweltgesetzgebung
Autoren Dipl.-Ing. Jochen Richard
Kategorien Kongress
Einleitung

Vom europäischen Parlament werden in immer stärkerem Maß Rahmenrichtlinien für die Umweltgesetzgebung verabschiedet, die anschließend in nationales Recht umzusetzen sind. Das betrifft beispielsweise die Tochterrichtlinien zur Luftreinhaltung (bereits in nationales Recht umgesetzt), sowie die Umgebungslärmrichtlinie und die Richtlinie zur strategische Umweltprüfung, die voraussichtlich Anfang 2005 mit einer Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der Verabschiedung des SUP-Gesetzes in nationales Recht umgesetzt werden. Die mit dem neuen Recht größere Gewichtung von Aktionsplänen in der Luftreinhaltung und Lärmminderung erfordert nicht nur eine verstärkte Abstimmung der Maßnahmen zur Lärmminderung und Luftreinhaltung untereinander, sondern auch die Integration dieser Planwerke in die Stadt- und Verkehrsplanung. Angesichts bisher geringer praktischer Erfahrungen mit dem neuen Regelwerk soll das Referat eine erste Arbeitshilfe geben.

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Einleitung

Vom europäischen Parlament werden in immer stärkerem Maß Rahmenrichtlinien – in jüngster Zeit besonders auch für die Umweltgesetzgebung – verabschiedet, die anschließend in nationales Recht umzusetzen sind. Das betrifft aktuell die EU-Tochterrichtlinien zur Luftreinhaltung, die im September 2002 mit der Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) in nationales Recht umgesetzt wurden, und die im Juli 2002 vom EU-Parlament verabschiedete Umgebungslärmrichtlinie, die bis Juli 2004 in nationales Recht umzusetzen war. Ein weiteres Beispiel ist die „Richtlinie über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme“.

Alle genannten Umwelt-Richtlinien betreffen in starkem Maße verkehrs- und stadtplanerische Fragestellungen. Sie definieren deshalb auch Pflichtaufgaben für Städte und Gemeinden sowie Arbeitsfelder für Verkehrs- und Stadtplaner. Der FGSV-Arbeitskreis „Stadtverträgliche Umweltbelastungen“ hat in den letzten beiden Jahren die neuen Anforderungen an die Verkehrsplanungspraxis durch die veränderte EU-Umweltgesetzgebung aufgearbeitet. Die Ergebnisse sind seit Sommer 2003 umfassend veröffentlicht im Arbeitspapier Nr. 61, das bei der FGSV bezogen werden kann1). Das Arbeitspapier gliedert sich in drei Bereiche:

  • Anforderungen aus der EU-Umgebungslärmrichtlinie,
  • Umsetzung der EU-Tochterrichtlinien zur Luftreinhaltung,
  • Anforderungen aus der SUP-Richtlinie.

1)Eine Kurzfassung des Arbeitspapiers wurde in Straßenverkehrstechnik, Heft 1, 2004, veröffentlicht: Karl Getzlaff/Jochen Richard, „Neue Anforderungen an die Verkehrsplanungspraxis durch veränderte EU-Umweltgesetzgebung“. Der Aufsatz liegt diesem Manuskript zugrunde und wurde auf den Stand September 2004 aktualisiert und ergänzt.

Mit der SUP-Richtlinie befasst sich zudem der FGSV-Arbeitskreis „Umweltorientierte Verkehrsnetzgestaltung”, der soeben den Entwurf eines „Merkblatts zur Strategischen Umweltprüfung von Plänen und Programmen im Verkehrssektor“ (MSUP) in die FGSV-interne Abstimmung gegeben hat.

Die hier vorgestellten Teilergebnisse des Arbeitspapiers sind aus den vorstehend genannten Gründen vorläufig und sollen Planern in Kommunalverwaltungen und beratenden Ingenieuren eine erste Arbeitshilfe dazu geben.

Der Arbeitskreis arbeitet derzeit an einer Fortschreibung des Arbeitspapiers vor dem Hintergrund der laufenden Gesetzgebungsverfahren und der sich zunehmend erweiternden Praxis mit dem Einsatz der Instrumente.

1 Anforderungen aus der EU-Umgebungslärmrichtlinie

1.1 Einführung

Am 18. Juli 2002 trat die „Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Juni 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm“, kurz Umgebungslärmrichtlinie, in Kraft. Nach Artikel 14 hatten die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit (also bis Juli 2004), sie in nationales Recht umzusetzen. Die Richtlinie behandelt die Ermittlung und Darstellung der Lärmbelastung, die Harmonisierung der dafür zu verwendenden Kenngrößen und Berechnungsverfahren, die Aufstellung von Aktionsplänen, die Information der Öffentlichkeit und die Sammlung von Belastungsdaten.

Zur Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht wurde der Entwurf eines „Gesetzes zur Umsetzung der EG-Richtlinie über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm“ in der Fassung vom 13. August 2004 vom Bundesrat in der Sitzung vom 24. September mit zahlreichen Änderungshinweisen nicht angenommen worden. Parallel werden derzeit die notwendigen Verordnungen für die außergesetzlichen Regelungen erstellt. Das Gesamtpaket soll Anfang 2005 verabschiedet werden.

Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich deshalb ausschließlich auf die Inhalte der EU-Umgebungslärmrichtlinie 2002/49/EG.

1.2 Aktionsplan

Die Umgebungslärmrichtlinie fordert in Artikel 8 die Aufstellung von Aktionsplänen. Die Aktionspläne ersetzt zukünftig die bisherigen Handlungskonzepte in den Lärmminderungsplanungen nach § 47a BImSchG und ergänzt sie um weitere Inhalte. Stark akustisch ausgerichtete Lärmminderungsplanungen mit einem unscharfen Maßnahmenkonzept entsprechen nicht mehr den EU-Anforderungen. Da die Richtlinie weitgehend auf Verkehrslärm abstellt, ist die Verkehrsplanung zur Steuerung der Lärmminderung in besonderem Maße gefragt. Nachfolgend werden die wesentlichen Passagen der Richtlinie über Aktionspläne zitiert und erläutert:

Artikel 3 enthält für Aktionspläne folgende Begriffsbestimmung:

Ein Plan zur Regelung von Lärmproblemen und Lärmauswirkungen, erforderlichenfalls ein- schließlich der Lärmminderung.

Anhang V der Richtlinie definiert, welche Mindestanforderungen an Aktionspläne entsprechend Artikel 8 (4) gestellt werden:

  1. Die Aktionspläne müssen mindestens folgende Angaben und Unterlagen enthalten:
  • eine Beschreibung des Ballungsraums, der Hauptverkehrsstraßen, der Haupteisenbahn- strecken oder der Großflughäfen und anderer Lärmquellen, die zu berücksichtigen sind,
  • die zuständige Behörde,
  • den rechtlichen Hintergrund,
  • alle geltenden Grenzwerte gemäß Artikel 5,
  • eine Zusammenfassung der Daten der Lärmkarten,
  • eine Bewertung der geschätzten Anzahl von Personen, die Lärm ausgesetzt sind, sowie Angabe von Problemen und verbesserungsbedürftigen Situationen,
  • das Protokoll der öffentlichen Anhörungen gemäß Artikel 8 Absatz 7,
  • die bereits vorhandenen oder geplanten Maßnahmen zur Lärmminderung,
  • die Maßnahmen, die die zuständigen Behörden für die nächsten fünf Jahre geplant haben, einschließlich der Maßnahmen zum Schutz ruhiger Gebiete,
  • die langfristige Strategie,
  • finanzielle Informationen (falls verfügbar): Finanzmittel, Kostenwirksamkeitsanalyse, Kosten-Nutzen-Analyse,
  • die geplanten Bestimmungen für die Bewertung der Durchführung und der Ergebnisse des Aktionsplans.

Viele der geforderten Inhalte sind derzeit bereits in der kommunalen Lärmminderungsplanung nach § 47a BImSchG üblich oder können leicht erarbeitet werden. Andere Punkte sind jedoch neu oder erhalten eine höhere Bedeutung.

Bisher war der Einsatz von Betroffenheitsuntersuchungen in Lärmminderungsplanungen nach § 47a BImSchG nicht geregelt, nun wird diese Untersuchung zur Pflicht. Gleiches gilt für die nunmehr erforderliche Bewertung der Durchführung und der Ergebnisse des Aktionsplans, sowie für die Schätzwerte für die Reduzierung der Zahl der betroffenen Personen. Die zu verwendende Methode wird nicht festgelegt. Ein geeignetes Kriterium könnte eine Rangfolge „besonders hoch belasteter Gebiete“ sein.

Maßnahmen, die die zuständigen Behörden für die nächsten Jahre geplant haben und die Darlegung der dazugehörigen langfristigen Strategie wurden bisher nur in Lärmminderungsplanungen mit ausführlichem Handlungskonzept detailliert dargestellt. Hier liegt eine der wesentlichen Aufwertungen des Aktionsplans.

Neu ist die explizite Forderung nach dem Schutz ruhiger Gebiete. Auf den Aktionsplan hat diese Forderung unter anderem die Auswirkung, dass die Verlagerung von Lärm in ruhigere Bereiche zur Entlastung stark belasteter Bereiche zumindest ohne zusätzliche Lärmschutzmaßnahmen weitgehend versperrt wird und damit in noch stärkerem Maße der Schall vor Ort gemindert werden muss.

Folgende Maßnahmen zur Lärmminderung werden in Anhang V beispielhaft genannt:

  1. Die zuständigen Behörden können jeweils für ihren Zuständigkeitsbereich zum Beispiel folgende Maßnahmen in Betracht ziehen:
  • Verkehrsplanung,
  • Raumordnung,
  • auf die Geräuschquelle ausgerichtete technische Maßnahmen,
  • Wahl von Quellen mit geringerer Lärmentwicklung,
  • Verringerung der Schallübertragung,
  • verordnungsrechtliche oder wirtschaftliche Maßnahmen oder Anreize.

Es ist vermutlich kein Zufall, dass die Verkehrsplanung an erster Stelle und noch vor der Raumordnung genannt wird. Das Maßnahmenspektrum und die Maßnahmentiefe werden mit diesen Hinweisen nicht eingegrenzt. Vermieden werden sollte im Interesse einer physikalisch und ökonomisch effektiven Lärmminderung, dass sich die Maßnahmenschärfe in Kongruenz zu den strategischen Lärmkarten zu einem allgemein gehaltenen Maßnahmenplan entwickelt. Sinnvoller ist es, die bisher bei Lärmminderungsplanungen nach § 47a BImSchG mit integrierten Maßnahmenkonzepten entwickelte Schärfentiefe beizubehalten.

Der Artikel 8 definiert ferner, in welchen Fällen Aktionspläne aufzustellen und welche Fristen einzuhalten sind. Es gibt zwei Phasen, die bis zum 18. Juli 2008 bzw. 2013 abzuarbeiten sind. Im Gegensatz zum bisherigen § 47a BImSchG setzt die EU-Richtlinie nun feste Termine für die Aufstellung von Aktionsplänen. Für die Phase 1 gilt:

(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass bis zum 18. Juli 2008 von den zuständigen Be- hörden Aktionspläne ausgearbeitet werden, mit denen in ihrem Hoheitsgebiet Lärmprobleme und Lärmauswirkungen, erforderlichenfalls einschließlich der Lärmminderung, ge- regelt werden für:

  1. Orte in der Nähe der Hauptverkehrsstraßen mit einem Verkehrsaufkommen von über sechs Millionen Kraftfahrzeugen pro Jahr2), der Haupteisenbahnstrecken mit einem Ver- kehrsaufkommen von über 60 .000 Zügen pro Jahr3) und der Großflughäfen;
  2. Ballungsräume mit mehr als 250.000 Einwohnern. Ziel dieser Pläne soll es auch sein, ruhige Gebiete gegen eine Zunahme des Lärms zu schützen.

Es gibt noch keine endgültige Definition für den Begriff "Ballungsraum mit mehr als 250.000 Einwohnern". Sinnvoll wäre es, die Definition aus der Luftreinhaltung auch für die Lärmminderung zu übernehmen, was gleichzeitig die kombinierte Aufstellung von Luftreinhalte- und Lärmminderungsplanungen erleichtern würde.

Sicher ist derzeit lediglich, dass sich alle Städte mit mehr als 250.000 Einwohnern auf die Erstellung Lärmminderungsplanungen nach EU-Recht einrichten müssen – und gerade bei dieser Stadtgröße ist bisher eine Zurückhaltung bei der Aufstellung von Lärmminderungsplänen zu beobachten.

Die Phase 2 bezieht sich auf folgende Begriffsdefinitionen in Artikel 3:

Ballungsraum – ein durch den Mitgliedstaat festgelegter Teil seines Gebiets mit einer Einwohnerzahl von über 100.000 und einer solchen Bevölkerungsdichte, dass der Mitgliedstaat den Teil als Gebiet mit städtischem Charakter betrachtet.

Hauptverkehrsstraße – eine vom Mitgliedstaat angegebene regionale, nationale oder grenzüberschreitende Straße mit einem Verkehrsaufkommen von über drei Millionen Kraftfahrzeugen4) pro Jahr.

Bezüglich der Zahl 100.000 Einwohner gelten die Aussagen zur ersten Phase. Die Definition „Gebiet mit städtischem Charakter“ hilft hier nicht weiter.

Die Lärmminderungsplanung nach dem bisherigen § 47a BImSchG hat gezeigt, dass nur flächendeckende, integrierte Handlungskonzepte den besten Erfolg erzielen, die den Prinzipien der Immissionsminderung durch Lärmvermeidung, Lärmverringerung und Lärmverlagerung folgen. Wenn also für eine Gemeinde oder einen Gemeindeteil für einen Verkehrsweg eines dieser Kriterien zutrifft, dann ist für das gesamte Gemeindegebiet oder zumindest für städtebaulich und verkehrlich zusammenhängende Teilgebiete ein flächendeckender, integrierter Aktionsplan zu erstellen. Alles andere würde den bewährten Ansatz der Lärmminderungsplanung nach dem bisherigen § 47a BImSchG in Frage stellen und den Zielen einer nachhaltigen Lärmminderung entgegenstehen. Der Entwurf zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes hält den Gemeinden diese Möglichkeit ausdrücklich offen.

2) ca. 16.500 Kfz/Tag

3) ca. 165 Züge/Tag

4) ca. 8.200 Kfz/Tag

1.3   Empfehlung für die Planungspraxis

Die klare Stärkung der Maßnahmenseite gegenüber der akustischen Seite durch die Einführung der Aktionspläne ist ausdrücklich zu begrüßen. In noch stärkerem Maße als bisher wird die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm interdisziplinäre Zusammenarbeit bei allen an Lärmminderungsplanungen Beteiligten und die Einbindung von Stadt- und Verkehrsplanern erfordern.

Die guten Erfahrungen mit integrierten Konzepten im Rahmen von kommunalen Lärmminderungsplanungen sollten zukünftig weiter genutzt werden. Ein solches Vorgehen vermeidet gleichzeitig, dass es zweierlei Lärmminderungspläne gibt („strategisch“ für die EU, „örtliche“ für die Kommunen), es erleichtert die Überleitung vorliegender Handlungskonzepte in Aktionspläne und sichert die Qualität zukünftiger Aktionspläne. Es empfiehlt sich somit, bei der Anwendung der EU-Umgebungslärmrichtlinie auf die bisherigen Lärmminderungsplanungen nach § 47a BImSchG aufzubauen und sie um die „neuen“ Elemente aus der Umgebungslärmrichtlinie zu ergänzen. Diese sind vor allem:

  • ausführlichere Aktionspläne als bisher bei eher akustisch orientierten Lärmminderungsplänen üblich,
  • Bewertung der Betroffenheit, Abschätzung der erreichbaren Betroffenheitsreduzierung, Evaluierung der Wirkung der Maßnahmen vor der Fortschreibung,
  • Information der Öffentlichkeit.

Ohne Zweifel werden in der ersten Phase alle Städte über 250.000 Einwohner und in der zweiten Phase über 100.000 Einwohner unter die Umgebungslärmrichtlinie fallen. Städte dieser Größenklassen sollten sich in jedem Fall frühzeitig auf die Umsetzung der Umgebungslärmrichtlinie einstellen. Auch die Gemeinden, die in die Ballungsraum-Definition zur Luftreinhaltung fallen, sollten sich auf eine Lärmminderungsplanung nach Umgebungslärmrichtlinie einstellen. Bei den Gemeinden unter 100.000 Einwohnern bzw. außerhalb der Ballungsräume ist zu beachten, dass sie spätestens in der zweiten Phase durch alle Verkehrsstraßen mit mehr als 8.000 Fahrzeugen pro Tag von der Umgebungslärmrichtlinie betroffen sein können. In Kommunen dieser Größenordnung stellt eine kommunale Lärmminderungsplanung vergleichbar dem bisherigen § 47a BImSchG das effektivste Mittel dar, die Lebensqualität zu erhöhen und gleichzeitig die Forderungen der Umgebungslärmrichtlinie zu erfüllen.

2 Umsetzung der EU-Tochterrichtlinien zur Luftreinhaltun

2.1 Einführung

Mit den Tochter-Richtlinien zur Rahmenrichtlinie Luftqualität hat die EU ein Instrumentarium geschaffen, das zu festgelegten Terminen einzuhaltende Grenz- und Alarmwerte vorschreibt, die bei Überschreitung unmittelbar Maßnahmen zur Verminderung des Schadstoffbelastungen nach sich ziehen. Die Tochterrichtlinien sind deshalb im Vergleich zur Umgebungslärmrichtlinie, der solche Instrumentarien fehlen, das „schärfere“ Instrument. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass sich an stark belasteten Verkehrsstraßen ein Handlungszwang eher aus Luftreinhalte- als aus Lärmminderungsaspekten ergibt. Grenz- und Alarmwertüberschreitungen sind vor allem bei den PM10-Belastungen (Schwebstaub und Partikel), gegebenenfalls auch bei NO2 zu erwarten. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist der Straßenverkehr der Hauptverursacher der Emissionen. Diese liegen nicht nur in der Fahrzeugtechnik, sondern beispielsweise auch in der Verkehrsmenge und -zusammensetzung, der Fahrweise und der Fahrbahnoberfläche. Zur Luftreinhaltung sind deshalb auch in starkem Maße stadt- und verkehrsplanerische Lösungen auf kommunaler Ebene gefordert.

Bisher gibt es nur wenige Untersuchungen zur praktischen Umsetzung der Tochterrichtlinien und somit auch nur geringe Erfahrungen. Da jedoch bereits 2005 erste Maßnahmen greifen müssen, besteht akuter Handlungsbedarf. Um Erfahrungen mit der kommunalen Umsetzung zu sammeln, hat das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Raumordnung des Landes Brandenburg eine Vorstudie erstellen lassen5). Die nachfolgenden Ausführungen beruhen zu wesentlichen Teilen auf den Ergebnissen dieser Studie.

Die „Richtlinie über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität“ (RL 96/62/EG vom 27. September 1996), kurz „Rahmenrichtlinie Luftqualität“, benennt Ziele, Grundsätze und grundsätzliche Instrumente für den Vollzug in den Nationalstaaten. So genannte Tochterrichtlinien zur Rahmenrichtlinie Luftqualität enthalten Detailregelungen für eine Vielzahl einzelner Luftverunreinigungen, wie einzuhaltende Grenzwerte, Mess- und Überwachungsverfahren und Information der Öffentlichkeit. Die Zielsetzungen des Richtlinienpaketes sind:

  • Grenz-, Alarm- und Richtwerte festzulegen, die nach neuen Erkenntnissen der Wirkungsforschung schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt insgesamt vermeiden oder erheblich vermindern sollen,
  • die Luftqualität nach einheitlichen Methoden zu beurteilen und die Öffentlichkeit darüber umfassend zu unterrichten und
  • gute Luftqualität zu erhalten und in Gebieten mit derzeit schlechter Luftqualität eine dauerhafte Verbesserung zu

Zur Umsetzung der Europäischen Richtlinien in nationales Recht wurden mit dem siebten Gesetz zur Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes vom 11. September 20026) die Inhalte des Luftreinhalteplans in § 47 BImSchG neu definiert, sowie die Novellierung der TA Luft - Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft - und der 22. Verordnung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Verordnung über Immissionswerte für Schadstoffe in der Luft (22. BlmSchV) beschlossen. Danach ergeben sich aus den Formulierungen des neuen BlmSchG in den §§ 40 (Verkehrsbeschränkungen), 45 (Verbesserung der Luftqualität), 47 (Luftreinhaltepläne, Aktionspläne, Landesverordnungen) und 50 (Planung) mittelbare und unmittelbare Auswirkungen auf den kommunalen Planungsprozess.

Das novellierte Gesetz ändert wesentlich den Inhalt und die rechtliche Stellung des Luftreinhalteplans und führt das zusätzliche Instrument des Aktionsplans ein. Luftreinhaltepläne müssen in Gebieten aufgestellt werden, wenn nach aktuellem Erkenntnisstand für einen oder mehrere Schadstoffe Überschreitungen der jeweiligen Summe aus Grenzwert und Toleranz festgestellt werden. Luftreinhaltepläne können aufgestellt werden, wenn die Grenzwerte voraussichtlich zum festgelegten Zeitpunkt ihrer Gültigkeit nicht eingehalten werden. Aktionspläne7) müssen in Gebieten aufgestellt werden, wenn für einen oder mehrere Schadstoffe Überschreitungen der Grenzwerte zum festgelegten Zeitpunkt ihrer Gültigkeit auftreten. Im Rahmen beider Pläne sind unter den vorherrschenden Emissions- und Immissionsverhältnissen insbesondere Eingriffe in den innerstädtischen (motorisierten) Straßenverkehr (gemäß § 40 BlmSchG-neu) als geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität zu vollziehen.

5) DÜRING, I.; LOHMEYER, A. Machbarkeitsstudie zu kombinierten Lärmminderungs-/Luftreinhalteplänen in Brandenburg Teil Lufthygiene, Radebeul 2002

6) BGBl. I, Nr. 66, 17.09.2002, S. 3622.

7) Der Begriff „Aktionsplan“ hat leider in der Lärmminderungsplanung und der Luftreinhaltung eine unterschiedliche Bedeutung: In der Lärmminderungsplanung beschreibt er alle sinnvollen Maßnahmen zur Reduzierung der (Verkehrs-) Lärmbelastung. Bei der Luftreinhaltung enthält der Aktionsplan nur die Maßnahmen, die bei einer Überschreitung der Grenzwerte kurzfristig ergriffen werden müssen. Die mittel- bis langfristige Strategie ist im Luftreinhalteplan enthalten. Hier wäre zu wünschen, dass der Gesetzgeber in einem der nächsten Änderungsverfahren zu einer einheitlichen Verwendung des Begriffs „Aktionsplan“ finden würde.

In der Novelle der 22. BImSchV werden für die Luftschadstoffe NO2/NOx, SO2, Schwebstaub und Partikel (PM10), Blei, CO und Benzol neue Grenzwerte (und so genannte Alarmwerte) bzw. für Ozon Schwellenwerte für Luftschadstoffkonzentrationen festgelegt (siehe Tab. 1). Davon werden für den kommunalen Planungsprozess die Schadstoffe Feinstaubpartikel (PM10) und – mit geringerer Bedeutung – NO2 relevant sein. Die Anforderungen an die Messung und Überwachung der Luftschadstoffe wurden deutlich verschärft und Festlegungen für eine umfassende und aktuelle Information der Öffentlichkeit getroffen.

Die neuen Grenzwerte liegen einerseits deutlich niedriger als die bisher geltenden Grenzwerte nach TA Luft oder 22. BlmSchV-alt (z. B. NO2-Jahresmittelwert), andererseits werden Grenzwerte für Schadstoffe definiert, für die bisher noch keine Regelung bestand (z. B. PM10).

Im Unterschied zur früheren Ausgestaltung, bei der der Luftreinhalteplan eher informativen Charakter hatte, ist der Luftreinhalteplan nunmehr stärker maßnahmenorientiert. Luftreinhaltepläne sind dabei auf langfristig wirkende Maßnahmen ausgerichtet, wohingegen Aktionspläne kurzfristig angelegt sind und mit vollziehbaren Maßnahmen die Gefahr der Überschreitung von Grenzwerten nach den EU-Tochterrichtlinien verhindern sollen. Es ist davon auszugehen, dass die Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität weitgehend den Straßenverkehr betreffen.

Tabelle 1: Immissionsgrenzwerte nach der 22. BImSchV für NO2 und PM10 (vereinfachte Darstellung)

2.2 Empfehlung für die Planungspraxis

Zur Einhaltung der Grenzwerte verlangt das novellierte BImSchG die Aufstellung von Luftreinhalte- und/oder Aktionsplänen bei Überschreitung der Grenzwerte unter Berücksichtigung der Toleranz oder in der Erwartung (Gefahr) einer Grenzwertüberschreitung. Eine schematische Übersicht, wann, welcher Plan erstellt werden muss, ist im Bild 1 aufgezeigt.

8) Erlaubte Überschreitungen des Grenzwertes sind für NO2 18 Ereignisse (= Stundenmittelwert) pro Jahr und für PM10 35 Tage (Tagesmittel) pro Jahr

9) Toleranz = Maximal zulässige Überschreitung des Grenzwertes bei Inkrafttreten der Richtlinie; davon ausgehend lineare Abnahme der Toleranz bis 0 % ab dem Jahr der Gültigkeit.

Im Gegensatz zu § 40 Abs. 1 BImSchG-alt, der verkehrsbeschränkende oder -verbietende Maßnahmen an das Vorliegen einer austauscharmen Wetterlage knüpft, enthält § 40 Abs. 1 BImSchG-neu diese Einschränkung nicht mehr. Somit können auch längerfristige, planerische Maßnahmen als Bestandteil einer abgestimmten Luftreinhalteplanung eingesetzt werden. Die zuständige Straßenverkehrsbehörde muss bei den vorgesehenen Maßnahmen nur noch die „überwiegenden Gründe des Gemeinwohls“ (z. B. innere und äußere Sicherheit, Katastrophenschutz, Gesundheitsversorgung) beachten, sie kann nach § 40 Abs. 1 BImSchG-neu aber nicht mehr gegenüber verkehrlichen, stadtplanerischen und sonstigen Belangen abwägen.

Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sind zunächst verkehrsplanende und verkehrslenkende Maßnahmen zu ergreifen, bevor der Kraftfahrzeugverkehr massiv beschränkt oder verboten wird. Planerische Ansätze ermöglichen überdies die Nutzung von Synergieeffekten, z. B. im Rahmen einer kombinierten Luftreinhalte-, Lärmminderungs- und Verkehrsentwicklungsplanung. Dazu sollte das Instrument des § 47 Abs. 3 BImSchG-neu genutzt werden.

Bild 1: Schematische Darstellung der Maßnahmen bzw. Aktionen bei entsprechender Schadstoffbelastung eines Gebietes, Quelle: Berlin, Senatsverwaltung Stadtentwicklung auf Grundlage von DÜRING, I.; LOHMEYER, A. - Machbarkeitsstudie zu kombinierten Lärmminderungs-/Luftreinhalteplänen in Brandenburg, Teil Lufthygiene, Radebeul 2002

Mit dem im Gesetz zur Verfügung stehenden Rechtsinstrumentarium sollte deshalb einem langfristig in die Stadt- und Verkehrsplanung eingebetteten Luftreinhalteplan, der mit vergleichsweise verträglichen Maßnahmen auf längere Sicht die Einhaltung der Grenzwerte ermöglicht, der Vorzug vor einem Aktionsplan gegeben werden. Die Umsetzung eines Aktionsplans bewirkt zwar durch kurzfristige und relativ harte Maßnahmen unmittelbar eine Verbesserung der Luftqualität, jedoch sind durch die mögliche Tiefe des Eingriffs negative Folgewirkungen (u.a. Kosten für die öffentliche Hand, nur lokal begrenzte Umweltverbesserung, im Verkehrsbereich häufig parallel auftretende Verlagerungseffekte, Nachteile für Wirtschaft und für betroffene Bürger) nicht auszuschließen.

3 Anforderungen aus der SUP-Richtlinie

3.1  Einführung

Am 27. Juni 2001 wurde die “Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme” verabschiedet. Diese Richtlinie über die Strategische Umweltprüfung (SUP), im Deutschen auch häufiger als Plan-UVP bezeichnet, war bis Mitte 2004 in bundesdeutsches Recht umzusetzen. Ziel der Strategischen Umweltprüfung ist es, die bestehenden Lücken der Projekt-UVP (UVP-Gesetz) hinsichtlich der Bewertung von Umweltaspekten auf den vorgelagerten Planungsebenen zu schließen.

Seit dem 17. Mai 2004 liegt der „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer strategischen Umweltprüfung und zur Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG“ vor, das vom Bundeskabinett vor der Sommerpause gebilligt wurde. Voraussichtlich Anfang 2005 wird dieses Gesetz Rechtskraft erhalten.

Zu den in den bisherigen Verhandlungen kontrovers diskutierten Punkten gehört die Frage des Anwendungsbereichs der Richtlinie einer Strategischen Umweltprüfung, also welche Plantypen zukünftig UVP-pflichtig sein werden. Die EU-Richtlinie sieht vor, nur solche Pläne und Programme zu prüfen, die den Rahmen für die zukünftige Genehmigung von Projekten vorbereiten. Eine eingehende Analyse der SUP-Pflichtigkeit von Verkehrsplänen zeigt, welche Pläne zukünftig alle prüfpflichtig sein werden, wobei im Detail eine Reihe von Einzelfragen zu klären sind.10)

Das Verhältnis von SUP zur Verkehrs-, Lärmminderungs- und Luftreinhalteplanung hat zwei Seiten: Auf der einen Seite können Lärmminderungs- und Luftreinhalteplan zumindest in Teilen SUP-pflichtig sein. Auf der anderen Seite können die Inhalte des Lärmminderungs- und Luftreinhalteplans aber auch zur SUP herangezogen und integriert werden, indem bereits erarbeitete Bestandteile (z. B. Bestandsanalyse, Ziele, Maßnahmen) bei der SUP-Erstellung weiterverwendet werden. So gesehen sind Lärmminderungs- und Luftreinhalteplanung arbeitsökonomisch, da sie zur Aufwandsminderung für die SUP beitragen.

3.2 SUP-Verfahrensschritte und Verkehrsplanung

Zentraler Bestandteil der SUP ist die sog. Umweltprüfung, deren Verfahrens- und Arbeitsschritte nachfolgend im Überblick skizziert werden.

Nach Artikel 2b der SUP-Richtlinie wird die Strategische Umweltprüfung durch die folgenden wesentlichen Elemente gekennzeichnet:

  • Es ist eine Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen (Art. 6 und 7 der SUP-Richtlinie).
  • Der Umweltbericht sowie die Ergebnisse der Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung sind bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen (Art. 8 der SUP-Richtlinie).
  • Die Entscheidung ist bekannt zu geben (Art. 9 der SUP-Richtlinie).

Gemäß Artikel 5 Abs. 1 hat die planvorbereitende Behörde einen Umweltbericht zu erstellen, in dem die voraussichtlichen erheblichen Umweltauswirkungen der Durchführung des Plans oder Programms ermittelt, beschrieben und bewertet werden. Die Ausarbeitung des Umweltberichts enthält folgende wesentliche Elemente: Scoping, Zieldefinition, Aufstellung und Prüfung von Alternativen, Szenarien und Prognosen, Wirkungsbetrachtungen, Maßnahmen und nichttechnische Zusammenfassung.

10) Vgl. SURBURG 2002, Straßenverkehrstechnik, H. 10, S. 537-548.

Wie das Bild 2 zeigt, bietet sich hierfür ein integriertes Vorgehen unter frühzeitiger Einbeziehung der SUP an.

3.3 Luftreinhalteplan/Lärmminderungsplanung und SUP

Eine obligatorische Prüfpflicht nach Art. 3 Abs. 2a besteht für die Lärmminderungsplanung, wenn man diese eindeutig dem Sachgebiet Verkehr zuordnet, was sich dem Planinhalt nach aufdrängt. Aus juristischer Sicht gab es dazu jedoch Auffassungen, die dies in Frage stellten. Im Entwurf des SUP-Gesetzes ist die Lärmminderungsplanung als prüfpflichtig aufgeführt.

Bild 2: Empfehlung zur Vorgehensweise bei der Aufstellung eines Planes oder Programms im Verkehrssektor mit Durchführung einer SUP Quelle: Entwurf eines „Merkblatts zur Strategischen Umweltprüfung von Plänen und Programmen im Verkehrssektor“ (MSUP)

Im Unterschied zur Lärmminderungsplanung kann der Luftreinhalteplan einem der in Art. 3 Abs. 2a genannten Sachgebiete nicht zugeordnet werden. Eine obligatorische Prüfpflicht auf Grundlage von Art. 3 Abs. 2a der SUP-Richtlinie scheidet daher aus. In gleicher Weise wie für die Lärmminderungsplanung kann sich die Prüfpflicht jedoch aus Art. 3 Abs. 2b und 4 ergeben. So ist eine Prüfpflicht nach Art. 3 Abs. 2b gegeben, wenn der Luftreinhalteplan FFH- oder Vogelschutzgebiete tangiert. Werden diese Schutzgebiete vom Plan nicht berührt, so kann der Luftreinhalteplan aber in seinem Maßnahmenteil den Fall der konditionalen SUP-Pflicht nach Art. 3 Abs. 4 erfüllen. Hier ist die SUP-Pflichtigkeit anhand der vorgesehenen Maßnahmen im Einzelfall zu entscheiden.

Der Gesetzentwurf sieht ausdrücklich eine Information und Beteiligung der Öffentlichkeit bei der SUP vor.

3.4 Empfehlung für die Planungspraxis

Für die anstehende Umsetzung in die Planungspraxis werden nachfolgend Empfehlungen zu einzelnen ausgewählten Aspekten gegeben:

Für die Durchführung in der Praxis sind einerseits inhaltlich-methodische Arbeitshilfen11) und andererseits konkrete Pilotprojekte erforderlich, um Erfahrungswerte für die Anwendung zu sammeln. Wichtig für die Umsetzung der SUP-Richtlinie wird neben den inhaltlichen und verfahrensbezogenen Fragen auch die Akzeptanzvermittlung in Verwaltung und Politik sein. Dabei geht es darum, den möglichen Befürchtungen, dass eine SUP mit viel Mehraufwand verbunden sein wird, entgegenzuwirken. Ebenso ist klarzustellen, dass die SUP kein „trojanisches Pferd“ ist, das einen Verkehrsplan zu einem Umweltplan werden lässt, sondern vielmehr ein den Planungsprozess begleitendes Instrument, das vorhandene umweltbezogene Optimierungspotenziale bei Verkehrsnetzen und -projekten nutzt.

Den durchführenden Behörden kann empfohlen werden, die SUP nicht zu eng zu interpretieren. Dies empfiehlt sich nicht nur, um eine EU-rechtskonforme Richtlinienauslegungen sicherzustellen, sondern auch, da eine zu eng ausgelegte SUP ihren eigentlichen Zweck verfehlen würde. Im Besonderen gilt dies für die SUP-Kernelemente, etwa den Verfahrensschritt Alternativen, der sich nicht darin erschöpft, verschiedene Verkehrsmengen und -bedarfsszenarien aufzustellen, sondern bei dem es mehr darum gehen sollte, alternative Netze in Kombination mit alternativen Verkehrsträgerlösungen zu entwickeln. Wie auf der einen Seite bei den SUP-Kernelementen keine Minimallösung gewählt werden sollte, so sollte auf der anderen Seite eine Aufwandsbegrenzung überall dort angestrebt werden, wo es sinnvoll und möglich ist. Ein Beispiel hierfür ist der Verfahrensschritt der Bestandsanalyse, wo zusätzliche Datenerhebungen zu vermeiden sind.

4 Forderung an die Zukunft: Kombinierte Lärmminderungs-/Luftreinhalteplanungen

4.1 Grundlagen

Gute Gründe sprechen dafür, in entsprechend belasteten Gebieten Lärmminderungs- und Luftreinhalteplanungen im Zusammenhang zu sehen und gemeinsam oder zumindest abgestimmt aufeinander aufzustellen:

  • Luftreinhaltung und Lärmminderung dienen dem gleichen Ziel, nämlich der Erhaltung einer lebenswerten Umwelt und der Gesundheitsvorsorge. Beide Planungsinstrumente dürfen deshalb nicht miteinander konkurrieren (sie würden ja um das gleiche Gut konkurrieren), sondern müssen abgestimmt ineinandergreifen.

11) Ein Merkblatt wird derzeit vom Arbeitskreis 1.4.14 der FGSV vorbereitet.

  • Die getrennte Durchführung beider Planungsaufgaben führt dazu, dass die jeweils „erste“ Bindungen für die „zweite“ schafft, diese also in ihren Möglichkeiten einschränkt.
  • Die meisten Minderungsmaßnahmen dienen der Umweltentlastung bei Luft und Lärm (oder sind zumindest für jeweils eine Quelle neutral). Dies erleichtert einerseits die Begründung für bestimmte Maßnahmen. Zudem kann dies Einfluss auf die Prioritätensetzung haben: Maßnahmen, die in beiden Bereichen eine Entlastungswirkung erzeugen, können – sofern keine Ausschließlichkeitskriterien (wie z. B. reale Gesundheitsgefährdung) greifen – möglicherweise eine höhere Priorität erhalten-
  • Die erforderlichen Berechnungen für beide Umweltbereiche erfordern die Bereitstellung umfangreicher Daten in aktueller Qualität. Ein nicht unwesentlicher Teil der benötigten Daten und Unterlagen kann für die Erstellung beider Planungen genutzt werden. Die integrierte, zeitlich parallele Aufstellung hat deshalb auch wirtschaftliche Vorteile, wie die Tabelle 2 zeigt:

Trotz dieser Gemeinsamkeiten gibt es grundsätzliche Unterschiede in der Vorgehensweise bei Lärmminderungs- und Luftreinhalteplanungen. Diese sind zum Beispiel:

  • Im Bereich Lärm gelten Grenzwerte anlagen- bzw. verkehrswegebezogen/im Bereich Luft gelten sie flächendeckend unabhängig von Bestand, Änderung oder Neubau.
  • Lärm ist für jeden unmittelbar wahrnehmbar/Luftschadstoffe sind bis auf Geruchsbelästigungen einzelner Stoffe eher langfristig bzw. medizinisch-epidemiologisch wahrnehmbar.
  • Wegen fehlendem Zwang zur Einhaltung von Grenzwerten im Bestand ist Lärmminderungspolitik nicht auf kurzfristige Erfolge angewiesen/die Grenzwerte zur Luftreinhaltung sind zu festgelegten Zeitpunkten einzuhalten.
  • Das Bündelungsprinzip in der Lärmminderungsplanung reduziert die Zahl der Betroffenen/ die Luftreinhaltung nutzt auch die Verteilung von Emissionen in der Fläche, um die Spitzen zu kappen und die Grenzwerte zu unterschreiten.
  • Hohe Lärmbelastungen sind in relativ großen Netzbestandteilen anzutreffen und erfordern zur Minderung Betrachtungen in einem größeren Netzzusammenhang/Schwerpunkte mit hoher Schadstoffbelastung sind eher kleinräumlich auf einzelnen Netzabschnitten zu beobachten und können vielfach mit kleinräumlichen Maßnahmen beeinflusst werden.

Darüber ist eine engere Verknüpfung mit der Verkehrsentwicklungsplanung in der kommunalen Planungspraxis zu wünschen. Die gemeinsame Nutzung einer in weiten Teilen gleich Datenbasis (bzw. deren Schaffung) sowie deutliche Überschneidungen zwischen dem Handlungskonzept einer Verkehrsentwicklungsplanung, dem Aktionsplan der Lärmminderungsplanung und dem Luftreinhalteplan bieten sowohl in ökonomischer wie auch qualitativer Sicht bisher ungenutzte Synergieeffekte.

4.2  Gemeinsamer Datenpool

Das Grob- und Feinscreening sowie Ausbreitungsrechnungen von Luftschadstoffen erfordern eine Vielzahl von Daten aus verschiedenen Bereichen. Das gleiche gilt für die Berechnung von Schallimmissionsplänen und die Betroffenheit durch Lärm sowie die Erstellung und Fortschreibung von Verkehrsmodellen zur Bereitstellung aktueller Verkehrsdaten bzw. von Prognosedaten (siehe Tab. 2).

Die Erhebung, Aufbereitung und Bereitstellung der erforderlichen Daten erzeugen einen erheblichen Aufwand. Nicht zuletzt die schwierige Finanzlage der öffentlichen Hand, insbesondere der Kommunen, macht es erforderlich, Lärmminderungs- und Luftreinhalteplanungen zeitlich und inhaltlich abgestimmt aufzustellen. Erhebungsaufwand wird gespart, die Erstellungskosten minimiert und für die Umsetzung werden Synergieeffekte genutzt, die dazu beitragen, den investiven Aufwand möglichst gering zu halten. Es bleibt darüber hinaus zu hoffen, dass mit der wachsenden Verbreitung von Geo-Informations-Systemen (GIS) den Kommunen die Datenbereitstellung erleichtert.

Tabelle 2: Eingangsdaten für die Ermittlung der Luftschadstoff- und Verkehrslärmbelastung

Sowohl für die Lärmberechnungen wie auch die Ausbreitungsrechnungen für die Luftschadstoffe sind aktuelle Angaben zu den Verkehrsbelastungen zwingende Voraussetzung. Die Umgebungslärmrichtlinie fordert sogar, dass die Daten zum Zeitpunkt der Berechnung nicht älter als drei Jahre sein dürfen. Tabelle 3 veranschaulicht, in welch dichter Folge zukünftig die Kommunen Verkehrsdaten bereitstellen müssen:

Diese nahezu kontinuierliche Anforderung an die Bereitstellung aktueller Daten wird in der Regel nur mit dem Einsatz von Verkehrsmodellen zu erfüllen sein.

4.3 Geeignete Maßnahmen zur Lärm- und Schadstoffminderung

Der Erfahrungsschatz, auf den für kombinierte Lärmminderungs-/Luftreinhalteplanungen zurückgegriffen werden kann, ist jedoch noch relativ gering:

  • In einer Vielzahl von Forschungsvorhaben wurden die Wirkungen lärmmindernder Maßnahmen mit direktem oder indirektem Bezug zur Lärmminderungsplanung untersucht. Hier ist insbesondere auf verschiedene F+E-Vorhaben des Umweltbundesamtes zu verweisen12). Die bisherige kommunale Lärmminderungsplanung gemäß § 47a BImSchG wurde zwar von einem großen Teil der Kommunen noch nicht durchgeführt, sie bietet dennoch eine fundierte Basis an Erfahrungen, auf die zurückgegriffen werden kann.
  • Mit der Aufstellung von Aktionsplänen zur Luftreinhaltung und der Validierung von Luftreinhaltplänen gibt es im Verkehrsbereich bisher kaum Erfahrungen. Sie beschränkt sich auf wenige Quellen13) und Fallbeispiele (z. B. Hagen, Nordrhein-Westfalen).
  • Gleichfalls wenige Fallbeispiele gibt es für die kombinierte Aufstellung von Lärmminderungs- und Luftreinhalteplänen (z. B. EU-Projekt „Healthier Environment through Abatement of Vehicle Emission and Noise“ (HEAVEN), räumlich eng begrenzt auf die Berliner Beusselstraße, oder das Modellvorhaben des Landes Brandenburg in der Fontanestadt Neuruppin).
  • Die Möglichkeiten einer besseren Verknüpfung von Lärmminderungsplanung und Verkehrsentwicklungsplanung im Zuge der Umsetzung der Umgebungslärmrichtlinie wird in einem laufenden Vorhaben des BMVBW am Beispiel verschiedener Modellstädte untersucht. Die Ergebnisse werden Anfang 2006 vorliegen.14)

12) RICHARD, J.; STEVEN, H. Planungsempfehlungen für eine umweltentlastende Verkehrsberuhigung – Minderung von Lärm- und Schadstoffen an Wohn- und Verkehrsstraßen In: UBA-Texte, Berlin 2000

13) LANDESANSTALT FÜR UMWELTSCHUTZ BADEN-WÜRTTEMBERG Emissionsmindernde Maßnahmen im Straßenverkehr – Handbuch zur Beurteilung der Wirksamkeit Stuttgart 1996

14) BUNDESMINISTERIUM FÜR VERKEHR, BAUEN UND WOHNEN

Für die kombinierte Umsetzung von Lärmminderungs- und Luftreinhaltungsplänen haben Maßnahmen, die sich auf beide Bereiche positiv auswirken, besondere Bedeutung. Die Entlastungswirkung einzelner Maßnahmen ist allerdings insbesondere in Bezug auf den Bereich der (verkehrsbedingten) Luftbelastungen in vielen Fällen bisher noch wenig erforscht. Eine Beurteilung ist deshalb heute noch sehr schwierig und letztlich nicht ausreichend quantifizierbar. Eine erste Übersicht gibt die Tabelle 4.

Tabelle 4: Maßnahmen mit Synergieeffekten für die Lärmminderung/Luftreinhaltung

5 Schlussbetrachtung

Die EU-Umweltrichtlinien und ihre Umsetzung in nationales Recht werfen zwangsläufig noch viele Fragen in Bezug auf die praktische Anwendung auf. Die Umgebungslärmrichtlinie setzt hier nur den Rahmen für das nationale Recht und auch der Entwurf zur Änderung des Bundes-Immissionsschutz-Gesetzes kann diese Fragen nur bedingt beantworten, da richtigerweise die Detailfestlegungen in den dazugehörigen Verordnungen erfolgen werden. Diesen Verordnungen kommt deshalb eine hohe Verantwortung zu, wenn die Umsetzung der Umgebungslärmrichtlinie zu einer echten und nachhaltigen Entlastung der Bevölkerung von Lärm beitragen soll. In jedem Fall wird das neue Umweltrecht Akustiker und Planer in den nächsten Jahren in starkem Maße fordern, bis sich bewährte Verfahren und Abläufe entwickelt haben.