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1 Verkehrsmanagement in Deutschland – Standortbestimmung
Der Begriff „Verkehrsmanagement“ ist in der Fachszene des Verkehrswesens seit ca. 30 Jahren eingeführt. In dieser Zeit unterlag seine Bedeutung einem Wandel von einem ursprünglich relativ eng gefassten Begriffsverständnis hin zu einem heute i.d.R. eher umfassend verstandenen Oberbegriff für die gesamtheitliche Behandlung des Verkehrsgeschehens durch zu Strategien gebündelte verkehrstechnische Maßnahmen. (Im Hinblick auf den internationalen Sprachgebrauch ist dabei zu beachten, dass zum einen auch hier die Bedeutung des Begriffes nicht einheitlich ist, zum anderen aber in der Regel unter „traffic management“ eher nur die klassische Verkehrsbeeinflussung mit Lichtsignalanlagen oder Wechselverkehrszeichen verstanden wird – also ein engeres Begriffsverständnis vorliegt.) Die in Deutschland heute gebräuchliche, weit gefasste Definition lässt sich beispielsweise aus dem Bild 1 ersehen, die Verkehrsmanagement als Handlungskonzept zwischen Verkehrsplanung und Mobilitätsmanagement einordnet. „Verkehrsmanagement“ ist dabei, bei strenger Betrachtung, von dem umfassenderen „Verkehrssystemmanagement“ abzugrenzen.
Bild 1: Verkehrsmanagement im Kontext von Verkehrsplanung und Mobilitätsmanagement [1]
Die Aktivitäten zum Verkehrsmanagement in Deutschland wurden in großem Umfang durch Forschungsvorhaben des Bundes und der Länder, aber auch der EU und der Industrie vorangetrieben. Durch Schaffung von Teilfördermöglichkeiten im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) entstand ein weiterer Schub. Heute lassen sich in Deutschland bereits über 20 Städte und Regionen identifizieren, die Verkehrsmanagement konkret betreiben (Bild 2); in zahlreichen weiteren Gebieten wird über eine mögliche Einführung diskutiert.
Bild 2: Verkehrsmanagement-Projekte in Deutschland
Ebenfalls existieren seit kurzem erste Hinweispapiere der Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV), die systematische Vorgehensweisen zu Teilaspekten des Verkehrsmanagements empfehlen [1], weitere Themen werden in entsprechenden Arbeitskreisen geklärt und für die Praxis aufbereitet [2, 3]. Die Schwelle von der überwiegend forschungsgetriebenen Installation prototypischer Einzellösungen zur systematisierten, vielleicht sogar standardisierten Einrichtung klar umrissener Systeme und Maßnahmen des Verkehrsmanagements scheint also erreicht.
Versucht man, an dieser Schwelle ein gewisses Zwischenresümee des heute Erreichten zu ziehen, so lässt sich insgesamt etwa Folgendes feststellen (eine vertiefte Diskussion des derzeitigen Kenntnisstandes ist in [4] zu finden):
Verkehrsmanagement hat sich grundsätzlich als ein geeignetes Mittel zur Bewahrung und Förderung der Mobilität in Ballungsräumen bewährt. Insbesondere die zunehmende Verfügbarkeit und Nutzung dynamischer Daten in den verschiedenen Systemen der adaptiven, kollektiven Verkehrsbeeinflussung und der pre- und on-trip Reise- und Verkehrsinformation konnte deutlich zur Verbesserung dieser Maßnahmenbereiche beitragen. Dabei liegt der Schwerpunkt der Innovationen allerdings nach wie vor auf einer Optimierung der monomodalen Ansätze – Intermodalität und hier im Besonderen dynamische Intermodalität mit vernetzten Informationsangeboten und integrierter Verkehrsbeeinflussung zählt weiterhin zu den Gebieten mit großem Handlungsbedarf in Forschung und Umsetzung. Positive Ergebnisse konnten auch auf dem schwierigen Terrain des Nachfragemanagements durch kombinierte Ansätze der Information, ÖV-Angebotsverbesserung und MIV-Bewirtschaftung erreicht werden, wenngleich auch hier dauerhafte Wirkungen erst durch entsprechend konsequente Überwachungsmechanismen („Enforcement“) einerseits und eine gute Einbindung der gewählten Maßnahmen in die Gesamt-Infrastruktur- und -Verkehrsplanung zu erzielen sind – hier sind wichtige Folgeaktivitäten der Verkehrsverantwortlichen notwendig, um die bisher überwiegend in Pilotanwendungen erzielten Anfangserfolge zu erhalten und konsequent auszubauen. Ein insbesondere auch in Forschungshinsicht interessanter Themenkomplex wird sich in den nächsten Jahren im Bereich der fahrzeug- und personenbasierten Assistenzsysteme auftun: durch die Zunahme der Anzahl und Funktionsqualität entsprechender Geräte und Informationsangebote wird der Konflikt zwischen nutzer- versus systemoptimalen Entscheidungen, bzw. Leitstrategien an Bedeutung gewinnen. Hier sind Lösungen gefragt, die zugleich auch der Tatsache Rechnung tragen müssen, dass auf Grund unterschiedlicher Produktlebenszyklen der Systeme und Geräte stets eine Vielzahl verschiedenster Leit-Algorithmen gleichzeitig im „Feld“ sein wird.
Unabhängig von diesen und weiteren Detail-Forderungen an die verschiedenen Maßnahmen des Verkehrsmanagements ist die Bilanz aus heutiger Sicht weitgehend positiv und die nahe liegende und wichtigste Forderung lautet daher: Konsolidierung des Erreichten und Überführung der Erkenntnisse in die breite Anwendungs-Praxis.
2 Die Aufgaben der nächsten Jahre
Mit zunehmender Komplexität der im Verkehrsmanagement eingesetzten Maßnahmenbündel und Technologien sind neben der oben skizzierten Weiterentwicklung und Optimierung im Detail, insbesondere die in den folgenden Abschnitten dargestellten Aufgabenfelder als bedeutsam für die nächsten Jahre anzusehen.
2.1 Evaluation
In den Projekten der letzten Jahre wurden in aller Regel nur Einzeluntersuchungen zu Teilaspekten durchgeführt, die Wirkungen exemplarisch, auf den Einzelfall bezogen und ohne Verallgemeinerungsansatz betrachten. Dies stellt Verkehrsverantwortliche stets vor die Problematik, ex ante Abschätzungen zu möglichen Wirkungen vorgesehener Verkehrsmanagement-Maßnahmen treffen zu müssen, ohne auf eine ausreichend fundierte Wissensbasis aus bisherigen Erfahrungen zurückgreifen zu können. Die im Verkehrswesen derzeit gebräuchlichen Bewertungsansätze führen hier nicht weit genug. Es ist vielmehr ein Ansatz zu fordern, der eine integrierte, nach Zielgruppen differenzierende Betrachtung der unterschiedlichen Wirkungs-Dimensionen des Verkehrsmanagements ermöglicht. Die Bewertung sollte sich dabei am Lebenszyklus des Verkehrsmanagements (das heißt seinen verschiedenen Prozessstufen und ihren Beteiligten) orientieren. Durch Einführung eines systematischen „Monitorings“ für bestehende und neue Projekte, idealerweise gestützt auf entsprechende statistische Stichprobenmethodiken, könnte ein Wissenspool für Wirkungen des Verkehrsmanagements erarbeitet werden, der die quantitative Grundlage des Bewertungsinstrumentes liefert.
2.2 Systemarchitektur
Unter Systemarchitekturen ist hier die logisch-funktionale, die physisch-technische und die organisatorisch-institutionelle Ebene zu verstehen. Nachdem in Deutschland bisher keine allgemeine Systemarchitektur der Verkehrstelematik existiert, ist die bestehende „Landschaft“ durch außerordentlich große Vielfalt gekennzeichnet. Die Entwicklung der existierenden Verkehrsmanagement-Systeme erfolgte überwiegend stufenweise, aufbauend auf vorhandenen Teillösungen und mit teils proprietären, singulären Lösungen. Die im institutionellen Bereich erarbeiteten Organisationsformen sind jeweils Individuallösungen, bei denen bestenfalls Erfahrungen übertragbar sind. Anders ist die Situation im Ausland. Hier existieren durchaus nationale Architekturen (z. B. USA, Japan) oder zumindest Leitbilder (z. B. Schweiz), bzw. sind internationale Rahmenprogramme vorhanden (z. B. KAREN/FRAME der EU). Dieser in Deutschland fehlende Orientierungsrahmen einer nationalen Systemarchitektur erzeugt zahlreiche Probleme. In funktionaler und technischer Hinsicht werden vielfach Doppellösungen entwickelt und der notwendige technologische Fortschritt wird gebremst, im personell ohnehin hoch belasteten institutionellen Bereich entstehen zusätzliche Lähmungen, da geeignete Musterlösungen oder Rahmenvorgaben fehlen. Der interessierten Privatwirtschaft werden durch unsichere Aufgabendefinitionen und -zuordnungen kaum Anreize zum Engagement geboten. Es ist insofern dringend zu wünschen, dass die auch in Deutschland inzwischen beginnenden Harmonisierungsbestrebungen und übergreifenden Aktivitäten in diesem Bereich (z. B. im Umfeld der OCIT-Entwicklung) zusammengeführt werden und ein entsprechender Ordnungsrahmen entsteht. Wichtig erscheint hier insbesondere die Festlegung von Rahmenbedingungen für Aufgabenteilungen zwischen öffentlichen und privaten Institutionen sowie die Aufstellung von konkreten Regelwerken mit langfristiger Perspektive für die Entscheidungen auf operativer Planungs- und Umsetzungsebene. Das Zusammenführen der diversen in diesem Themenfeld bereits aktiven Foren, Lenkungs- und Arbeitskreisen in eine deutsche Verkehrsmanagement-„Community“ erscheint notwendig – eine Führung durch BMVBW und Städtetag könnte hierzu ein Ansatz sein.
2.3 Integration
Auf Grund seiner Potenziale kann Verkehrsmanagement eine sehr wirkungsvolle Ergänzung zu infrastrukturellen Maßnahmen sein und sollte daher verstärkt in die langfristige Verkehrs- und Infrastrukturplanung einer Region integriert werden. Durch seinen klar langfristig und eher großräumig angelegten Ansatz ist dabei eine Betrachtung in größeren Raum-Zeit-Dimensionen nötig. Es erscheint insofern sinnvoll, analog zu den ordnenden Langfrist-Planungen der Verkehrsentwicklungsplanungen auch vergleichbare und mit diesen vernetzte Verkehrsmanagement-Pläne anzudenken. In den meisten größeren Ballungsraum-Projekten hat sich ein entsprechendes Vorgehen im Laufe der Projektentwicklungen iterativ ergeben, so dass aus der Retrospektive ein Vorgehen entlang eines vorab erstellten Masterplanes durchaus zweckmäßig zu sein scheint. Um die Vernetzung der verschiedenen Planungsprozesse auch auf der operativen Ebene sicherzustellen, bzw. zu vereinfachen, ist dabei die Entwicklung integrierter Arbeitsplätze und die Schaffung von durchgängigen Datenmodellen für die planerische und die betriebliche Ebene der Verkehrsdomäne zu fordern. Dies wurde so zum Beispiel für die zukünftigen Aktivitäten zum Verkehrsmanagement in der Region München vorgeschlagen [5] und stellt inzwischen einen zentralen Punkt der in der Planung befindlichen nächsten Ausbaustufen der dortigen Systeme dar.
2.4 Qualitätssicherung
Mit der zunehmenden Komplexität der Verkehrsmanagement-Lösungen nimmt das Risiko für Fehlfunktionen im Zusammenspiel der Teilsysteme zu. Die installierte Systemtechnik selbst ist ebenfalls fehleranfällig (Technik und Bedienung) und wird dies auch zukünftig bleiben. Zugleich zwingt der Kostendruck auf Betreiberseite vermehrt zu Personaleinsparungen sowie langsamem, stufenweisem System-Aufbau; die Funktionalität und Qualität muss dabei dennoch in jeder Situation gewährleistet sein. Es liegt insofern auf der Hand, für Verkehrsmanagement-Systeme ein ganzheitliches Qualitätsmanagement (QM) einzuführen, das die gesamte Prozesskette von der Konzeption bis hin zum Dauerbetrieb überwacht. Entsprechend den 3 Ebenen der Systemarchitektur müssen hier Lösungen und Instrumente geschaffen werden, die ein weitgehend automatisiertes, ggf. statistisch abgesichertes Monitoring für einzelne Komponenten, für das Gesamtsystem und für seine Planungs- und Betriebsprozesse ermöglichen. Neben der Schaffung derartiger Instrumente dürfte hierbei ein besonderer Schwierigkeitsgrad in der Definition geeigneter Kriterien und in der Festlegung angemessener Anspruchsniveaus (Benchmarks) für Qualitäten des Verkehrsmanagements liegen; diese müssen operationalisierbar, transparent und einem dauerhaften QM-Prozess zuführbar sein. Eine wichtige Basis für die Herleitung dieser Benchmarks sind gesicherte und übertragbare Ergebnisse von Wirkungsanalysen (siehe oben), die somit auch aus dieser Perspektive dringend zu wünschen sind.
3 Resümee
Auch wenn, wie gezeigt, noch eine Reihe größerer Aufgabenfelder im Bereich Verkehrsmanagement anstehen, so lautet doch die resümierende Gesamtantwort auf die Fragestellung dieses Beitrags „Verkehrsmanagement im Ballungsraum – Noch Forschung oder schon Realität?“:
Verkehrsmanagement ist eindeutig der Phase grundlegender Basisforschung entwachsen und muss heute als in seinen wesentlichen Bereichen wohl definiertes Instrumentarium des Verkehrswesens angesehen werden, das dem Regelbetrieb zugeführt werden sollte. Notwendig sind die Konsolidierung des Erreichten und die Aufbereitung der vorliegenden Erfahrungen für die Praxis. Die zentralen Aufgaben der nächsten Jahre sind insbesondere zu sehen in den Bereichen Harmonisierung, bzw. Definition einer (Rahmen-)Systemarchitektur inkl. Aufgabenabgrenzungen, Integration des Verkehrsmanagements in die Siedlungsstruktur- und Verkehrsentwicklungsplanung, Schaffung belastbarer und übertragbarer Aussagen zu Wirkungspotenzialen, sowie Sicherung der Qualität des Verkehrsmanagements auf definierten Anspruchsniveaus. Diese zentralen Aufgaben sollten im Kontext und Austausch mit den entsprechenden Aktivitäten im europäischen Umfeld erfolgen.
Literaturverzeichnis
- Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2003): Hinweise zur Strategieentwicklung im dynamischen Verkehrsmanagement, Köln
- FGSV-Arbeitskreis 1.1.28 „Vorbereitung und Umsetzung von Verkehrsmanagement“
- FGSV-Arbeitskreis 3.17.2 „Systemarchitektur von Verkehrsmanagement-Zentralen“
- Busch, F.; Keller, H.; Hoyer, R.; Reupke, H.; Riegelhuth, G.; Zackor, H. (2004): Telematikanwendungen im Straßenverkehr – Stand und Perspektiven, Straßenverkehrstechnik (48) 6 u. 7, S. 269–275 u. S. 355–362
- Busch, F.; Keller, H.; Kessler, D. (2004): Es gibt noch viel zu tun – Rahmenkonzept für ein Verkehrsmanagement für München und sein Umland, Internationales Verkehrswesen (56) 10/2004, S. 457–460
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