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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.
Seit nunmehr 40 Jahren werden Straßen in Deutschland nach dem auf Standardisierung beruhenden Verfahren der RStO dimensioniert. Nachdem in einem 1966 erschienenen Verkehrsblatt [1] erstmalig fünf verschiedene Bauweisen für Asphaltstraßen als gleichwertig angeführt und in unterschiedlichen Dickenabstufungen in 5 Bauklassen tabelliert wurden, war der Grundstein für eine langjährige Erfahrungssammlung als Basis für die Dimensionierung deutscher Straßen gelegt. Als ein Indiz dafür, wie weit dieser Beginn der empirischen Dimensionierung in der Vergangenheit liegt, mag die untere Grenze der damals definierten obersten Bauklasse gelten, die auf einen zum Zeitpunkt der Planung bestehenden durchschnittlichen täglichen Verkehr von mehr als 10 000 Fahrzeugen festgelegt wurde. Bemerkenswerter Weise galten für die im Verkehrsblatt ausgewiesenen Bauweisen dieser Bauklasse (Asphalttragschicht mit Rundkorn) bereits annähernd die heute noch immer gültigen Gesamtdicken für den zwischenzeitlich stark angewachsenen Verkehr, und auch für die Deckschicht hatte man schon vor vierzig Jahren eine Einbaudicke von 3,5 cm als zielführend erkannt.
Neun Jahre dauerte es nach dem Erscheinen dieser Veröffentlichung, bis die erste Fassung der „Richtlinien für den Straßenoberbau – Standardausführungen (RStO 75)“ erschien. Der Bundesminister für Verkehr stellte damals in einem Schreiben an die obersten Straßenbaubehörden der Länder fest, dass „die ursprünglich vorgeschlagene Umrechnung der Art und Menge des Verkehrs in äquivalente Achsübergänge und die Bestimmung der maßgebenden Verkehrsklasse nach dieser Zahl, wie es überwiegend im Ausland bei Dimensionierungsaufgaben durchgeführt wird, für deutsche Verhältnisse noch nicht möglich ist.“ Diese Umstellung erfolgte erst mit der heute aktuellen Fassung aus dem Jahr 2001 [2], womit ein erster Schritt in Richtung belastungsgerechter Dimensionierung vollzogen wurde. Nach wie vor aber beruht dieses in der RStO vorgesehene Verfahren weitestgehend auf Empirie, das heißt es handelt sich um eine „gewachsene“ Richtlinie, die auf langjährigen Erfahrungen aus der Anwendung der Befestigungen fußt. Ein Nachweis der dauerhaften Tragfähigkeit der Konstruktionen gegenüber der zu erwartenden Verkehrsbelastung existiert jedoch auch heute noch nicht.
In den RStO sind die Bauweisen nach der für die nächsten dreißig Jahre zu prognostizierenden Verkehrsbelastung in Form von gewichteten äquivalenten 10-t-Achsen in Bauklassen gruppiert. Dabei werden über sie hinweg gleiche Nutzungszeiträume durch die Festlegung der Klassengrenzen mit entsprechender Anpassung der Gesamtdicke des Aufbaus und über die unterschiedlichen Bauweisen einer Bauklasse hinweg durch die Gleichwertigkeit der Bauweisen gewährleistet. In den RStO werden somit die Wahl der Bauweisen, also die Art und Anordnung der Schichten sowie die Festlegung der Schichtdicken vollzogen, während die Zusammensetzung der Schichten, also die Materialeigenschaften sowie die Qualität der Baustoffe den ZTV Asphalt bzw. Beton und den zugehörigen Technischen Lieferbedingungen vorbehalten bleiben. Daraus folgt unmittelbar, dass der Einsatz hochwertiger Baustoffe mit über die in den Regelwerken definierten Anforderungen hinaus nicht nur nicht in Ansatz gebracht werden können, sondern dass eine Rezeptierung des Mischguts auch innerhalb der geltenden Regelungen auf den Aspekt der Tragfähigkeit in keiner Weise erbracht wird. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand, denn zum einen handelt es sich bei der RStO nicht um eine Dimensionierungs-, sondern um eine Standardisierungsrichtlinie und zum anderen reichten bislang weder die Rechenkapazitäten der Computer, noch das Wissen selbst der Fachleute aus, um das überaus komplexe Materialverhalten vor allem des Asphalts zutreffend und abgesichert zu beschreiben und in Straßenbaumaßnahmen zur Optimierung der erreichbaren Nutzungsdauer oder gar zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit nutzen zu können. Um dies vollbringen zu können, wären eine Fülle von grundsätzlichen Fragestellungen zu beantworten, von denen die nach der erforderlichen Dicke einer Straßenkonstruktion für eine bestimmte Verkehrsbelastung oder die nach dem Einfluss des Schichtenverbundes auf die Tragfähigkeit oder auf die Dauerhaftigkeit der Befestigung nur beispielhaft angeführt seien. Auch wenn viele von diesen Fragen nach wie vor nicht geklärt wurden und hier auch in Zukunft noch ein weites Feld durch die Straßenbauforschung zu beackern ist, waren und sind doch eine Reihe von wissenschaftlich engagierten Personen davon überzeugt, dass der notwendige Aufwand für die Erarbeitung einer ersten Systematik zur rechnerischen Dimensionierung des Straßenoberbaues angesichts des nicht nur bautechnischen, sondern auch volkswirtschaftlichen Nutzens überaus lohnend erscheint. In einem vom Bundesministerium für Forschung und Technik geförderten Forschungsprojekt [3] wurde dieses Thema für die Asphaltbauweisen mit großem Einsatz angegangen. Dabei übernahmen die Technischen Universitäten in Braunschweig und Dresden neben umfangreichen Laborversuchen die Herleitung des Dimensionierungsverfahrens sowie – ausschließlich die TU Dresden – die Programmierung einer mittlerweile unter dem Namen Pavement Design Tool (kurz PaDesTo) bekannten Software. Seitens der Bundesanstalt für Straßenwesen wurden hierzu wesentliche Eingangsgrößen der Verkehrsbeanspruchung geliefert und im Weiteren wird die Validierung des Systems vorangetrieben.
Im Zentrum der von der Bundesanstalt für Straßenwesen geleisteten Arbeiten stand eine originalmaßstäbliche Modellstraße für acht unterschiedliche Asphaltstraßenbefestigungen, an der einerseits die Beanspruchungszustände (Spannungen und Dehnungen) in verschiedenen Schichten durch Überfahrung aller Bauweisen mit realen Fahrzeugen des Schwerverkehrs und zum anderen die Dauerhaftigkeit der Konstruktionen durch zeitraffende Belastungen bis zum Nutzungsausfall ermittelt werden sollten. Während die Beanspruchungen als Zielwerte für die mathematischen Berechnungen auf der Basis der Materialuntersuchungen im Labor fungierten, sollen die derzeit noch nicht zur Verfügung stehenden ertragbaren Belastungsimpulse jeder Aufbaukonstruktion zur Kalibrierung oder Validierung der errechneten Nutzungsdauern aus der Dimensionierung des Oberbaus genutzt werden.
Um zu gewährleisten, dass die unkalkulierbaren Einflüsse aus dem Wettergeschehen die über alle Jahreszeiten hinweg durchzuführenden Messungen in den Asphaltaufbauten nicht beeinträchtigen, befindet sich die Modellstraße innerhalb einer Versuchshalle, in der die Umgebungstemperatur annähernd auf einem gleichen Niveau gehalten werden kann. Die acht Straßenaufbauten sind in einer Betonwanne von 38,00 m Länge und 7,50 m Breite in einer Gesamthöhe von bis zu 3,50 m so weit wie möglich mit baustellenüblichen Geräten eingebaut worden. Insgesamt wurden dabei in drei unterschiedlichen Bauklassen (SV, III und V) fünf verschiedene Bauweisen (Zeilen 1, 2.1, 2.3, 4 und 5 aus Tafel 1 der RStO 01) verwirklicht. Die Besetzung der einzelnen Felder in der Modellstraße ergibt sich aus der Darstellung im Bild 1.
Jede der berücksichtigten Straßenbefestigungen wurde in den ungebundenen Schichten mit Druckmessdosen und an verschiedenen Stellen des gebundenen Aufbaus mit Dehnungsaufnehmern ausgestattet. Beide Messinstrumente (Bild 2) wurden eigens für die Erfassung der Beanspruchungen in Straßenaufbauten entwickelt und in einem internationalen Vergleich solchartiger Aufnehmer mit positivem Ergebnis auf ihre Tauglichkeit geprüft.
Da die rechnerische Dimensionierung den autobahnspezifischen Verkehr möglichst genau berücksichtigen soll, indem für jedes Schwerverkehrsfahrzeug und für unterschiedliche Beladungsgrade ein zugehöriger Lastfall abgebildet wird, mussten die Überfahrten über die acht Straßenkonstruktionen der Modellstraße so konzipiert werden, dass alle maßgeblichen Fahrzeuge des tatsächlichen Verkehrs im Programm der Überfahrten Berücksichtigung fanden. Hier zahlten sich die langjährigen Messungen im von der Bundesanstalt für Straßenwesen unterhaltenen Achslasterfassungsnetz aus, denn aus diesen sind viele Daten und Zusammenhänge bekannt, die für die Durchführung des Forschungsprojektes elementar wichtig waren. So hat sich beispielsweise die Annahme bestätigt, dass der Verkehr auf den Bundesautobahnen entscheidend von denjenigen Schwerverkehrsfahrzeugen geprägt wird, die über ein hohes zulässiges Gesamtgewicht verfügen. Der Anteil dieser Fahrzeuge beläuft sich auf insgesamt etwa 60 % des gesamten Schwerverkehrs, wovon der fünfachsige Sattelauflieger wiederum das am häufigsten vertretene darstellt. Die entscheidende Erkenntnis aus diesen Erfassungen ist jedoch, dass sich die Zusammensetzung des Verkehrs seit Jahren erstaunlich konstant eingestellt hat, so dass es mit hinreichender Genauigkeit möglich ist, die Verteilung des Verkehrs aus einem DTVSV-Wert auf die einzelnen Fahrzeugarten und deren Gewicht anhand weniger zu unterscheidender Charakteristiken der Autobahnen mit Hilfe eines
Bild 1: Schichtenaufbau der gewählten Bauweisen in den Feldern der Modellstraße aus Asphalt [4]
Bild 2: Druckmessdosen und Dehnungsaufnehmer zur Erfassung der Beanspruchungen in den Straßenaufbauten der Modellstraße aus Asphalt
statistischen Schlüssels zu errechnen. Dieser Umstand ermöglichte es im Forschungsprojekt, dass bei den Überfahrten der Modellstraßen mit nur vergleichsweise wenigen Fahrzeugen und mit vier Beladungsgraden (leer, üblich, voll, überladen) rund 85 % der aus dem repräsentativen Verkehr resultierenden Belastungssituationen abgedeckt werden konnten. Alle Fahrzeuge wurden für jeden Beladungsgrad exakt so beladen, dass sich die Achslasten entsprechend der Ergebnisse aus den Achslastmessungen im realen Fernstraßennetz ergeben haben. Anschließend wurden an ausgesuchten Reifen zusätzlich die vertikalen Kontaktdrücke auf der Fahrbahnoberfläche mithilfe drucksensibler Folien gemessen (Bild 3). Dabei wurden einerseits die statischen Radlasten bei konstantem Reifenfülldruck, andererseits die Reifenfülldrücke bei konstanter Radlast variiert.
Bild 3: Flächenpressung der Reifen auf der Lenkachse bei einer Achslast von 3,775 t
Als weiterer Variationsfaktor der Überfahrten wurde die Geschwindigkeit in der Größenordnung von 2,5 km/h bis auf maximal 30 km/h festgelegt. In diesem Bereich ergeben sich die größten Auswirkungen auf die Größe der Beanspruchungen. Die aufgrund ihrer Realitätsnähe wünschenswerte Geschwindigkeit von etwa 80 bis 90 km/h konnte leider aufgrund der Streckenführung, die ein schnelleres Befahren mit voller Länge und hohen Lasten nicht erlaubte, nicht realisiert werden. In weiteren, nicht über alle Faktoren hinweg variierten Untersuchungen wurden zusätzlich andere Reifenkonstellationen sowie unterschiedliche Reifendrücke gewählt. Das volle Untersuchungsprogramm geht aus dem Bild 4 hervor.
Bild 4: Zusammenstellung des Überfahrprogramms mit realen Fahrzeugen des Schwerverkehrs über die Modellstraße aus Asphalt [4]
Alle Fahrzeuge, die die Straßenaufbauten zur Messung der Beanspruchungen überfuhren, mussten während einer Überfahrt über die Modellstraßen möglichst genau mit den Reifen auf weiß markierten Linien geführt werden (Bild 5). Über eine unter dem Fahrzeug angebrachte Kamera und ein in der Fahrerkabine angeordnetes Display war es dem Fahrzeugführer möglich, seine genaue Position zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Die verbleibenden Ungenauigkeiten der Überfahrten sowohl hinsichtlich der Abweichung von der vorgesehenen Fahrroute wie auch bezüglich der Fahrgeschwindigkeit wurden zudem durch Lichtschranken erfasst und führten bei zu großen Toleranzen zur Wiederholung der Fahrt. Kleinere Abweichungen konnten in der anschließenden Auswertung der Messergebnisse berücksichtigt werden.
Bild 5: Überfahrt mit einem sechsachsigen Sattelzug über die Modellstraße aus Asphalt
Bei einer Überfahrung jeder der in der Modellstraße eingebauten Befestigung zeichnen durchschnittlich fünfzehn Messwertaufnehmer pro Feld Dehnungen, Spannungen und Temperaturen in verschiedenen Lagen innerhalb des Aufbaus auf. Beispielhaft sind im Bild 6 zwei Ergebnisse einer Überfahrt mit einem fünfachsigen Sattelzug dargestellt. Darin sind die Beanspruchungen aus den einzelnen Achsen sowohl als Dehnungen in Längsrichtung an der Unterseite der Asphalttragschicht (oben), als auch die Druckspannungen auf der Frostschutzschicht (unten) gut zu erkennen. Erfahrungskonform liegt die Hauptlast des voll beladenen Sattelzuges auf der Antriebsachse, während die Lenkachse vergleichsweise geringe Lasten in den Straßenaufbau einprägt und das Dreiachsaggregat einen Beanspruchungsverlauf aufzeigt, der eine – von einigen Fachleuten als bedeutend angesehene – Erholung des Asphaltmaterials zwischen den einzelnen Radüberrollungen als nicht mehr gegeben offenbart. Darüber hinaus ist aber auch einwandfrei zu erkennen, dass die Beanspruchungen im Aufbau nach Bauklasse V (links) deutlich größer ausfallen als in dem gleichen nach Bauklasse III (rechts).
Bild 6: Dehnungen (oben) und Spannungen (unten) als beispielhaftes Ergebnis einer Überfahrt mit einem fünfachsigen Sattelzug über eine Bauweise nach Zeile 1 der RStO in den Bauklassen III (rechts) und V (links)
Bei genauerer Betrachtung des Beanspruchungsverlaufes erkennt man bei den Dehnungen neben ihren Maxima in der Asphalttragschicht auch eine Biegedruckstauchung. Diese ergibt sich, wie im Bild 7 darstellt, sowohl bei der Annäherung des Rades an den Dehnungsaufnehmer wie auch bei der Entfernung von diesem entsprechend der sich in der Asphalttragschicht infolge der Belastung herausbildenden geometrischen Mulde. Das Verhältnis der maximalen Dehnung zur maximalen Stauchung der Asphalttragschichtunterkante liegt im Mittel etwa bei 4, das heißt die Dehnungen sind erheblich größer als die Stauchungen. Dafür jedoch treten die Stauchungen pro Belastung zweifach auf, womit sie als Beanspruchung insgesamt eine Größenordnung erreichen mögen, die eine labortechnische Ansprache des Ermüdungsverhaltens durch einen Wechselversuch als adäquat erscheinen ließen.
Im Vergleich dieser Beanspruchungsverläufe über die Bauklassen SV bis V lässt sich zudem klar absehen, dass sowohl die Stauchungen als auch die Dehnungen mit größerer Dicke des gebundenen Aufbaus abnehmen und dass sich dadurch ein flacherer Verlauf des Beanspruchungsgraphen ergibt. Dieses Verhalten ist sicher nicht überraschend, kennt man doch den Zusammenhang bereits aus Tragfähigkeitsmessungen beispielsweise mit dem Falling Weight Deflectometer, es bedeutet jedoch unmittelbar auch, dass die Einwirkungsdauer der Zugbeanspruchung in den schwächeren Bauklassen geringer ist als in den stärkeren. Die Absolutwerte der höheren Spannungen in dünneren Aufbauten gegenüber den dickeren zeigen also nur einen Teil der eingeprägten Energie, die durch den Verkehr in den Straßenoberbau eingeleitet wird, und sie dürfen nicht einfach ins Verhältnis gesetzt werden, um die Mehr- oder Minderbeanspruchung des Oberbaus auszudrücken. Tatsächlich ergeben sich durch die geringeren Einwirkungsdauern bei schwächeren Straßenbefestigungen insgesamt kleinere Verhältnisse als anhand der Absolutwerte der Beanspruchungsgrößen.
Bild 7: Biegezug- und Biegedruckbereiche an der Unterseite der Asphalttragschicht bei einer Überfahrt einer Achse über die Modellstraße
Errechnet man sich aus den Einwirkzeiten die zugehörigen Frequenzen, so erhält man für eine Überfahrgeschwindigkeit von 60 km/h, wie sie üblicherweise für die Dimensionierung angenommen wird, eine Größenordnung von etwa 15 Hz in der Bauklasse SV und von etwa 33 Hz in Bauklasse V. Für die höhere, auf Autobahnen anzusetzenden Geschwindigkeiten steigen die Frequenzen darüber hinaus an (Bild 8). Auch wenn diese Frequenzen nicht in den Bereich der in den europäischen Normen für dynamische Laborprüfanlagen geforderten reichen, scheint auch hier Anlass gegeben zu sein, über die Randbedingungen von Ermüdungsuntersuchungen nachzudenken.
Bild 8: Aus den Verläufen der Dehnungen an der Unterseite der Asphalttragschicht während der Fahrten über die Modellstraße (links) ermittelte Frequenzen in unterschiedlichen Bauklassen
Diese eher grundsätzlichen Ergebnisse standen jedoch nicht im Focus der durchgeführten Untersuchungen an der Modellstraße. Weitaus wichtiger waren hier die Ermittlung der Spannungen und Dehnungen für die verschiedenen Straßenbefestigungen und deren Beeinflussung durch die variierten Parameter der Überfahrungen, denn diese Größen wurden dringend für die Einspeisung in das Pavement Design Tool zur rechnerischen Dimensionierung des Oberbaus von Verkehrsflächen benötigt. Zur Überprüfung, ob die von den Messaufnehmern gelieferten Werte vertrauenswürdig waren, wurden diese hierzu zunächst anhand einer Diplomarbeit [6] denen gegenübergestellt, die sich anhand von Berechnungen nach der Mehrschichtentheorie mit dem Programm Bisar [7] ergeben. Wenig überraschend stellt sich heraus, dass die Übereinstimmung zwischen realer Messung und Berechnung der Dehnungen im Asphalt nach linear-elastischer Materialverhaltenstheorie teils erstaunlich gut ausfiel, teils mit nicht zu vernachlässigenden Abweichungen behaftet war. Die größten Diskrepanzen traten in den unteren Bauklassen auf, wo die berechneten Werte deutlich höher waren als die von den Messelementen erfassten. Auch wenn nicht alle Vergleiche sich so gut wie der im präsentieren lassen, konnte die Analyse der Daten und ein weitergehender Vergleich mit FEM-Programmen doch bestätigen, dass die Messwerte insgesamt plausibel nachvollziehbare Größenordnungen aufweisen.
Bild 9: Vergleich der gemessenen und berechneten Dehnungsverläufe (quer zur Fahrtrichtung) unterhalb eines sechsachsigen Sattelzuges während der Fahrt über die Modellstraße
Dies zeigt sich durchaus auch in den erwartungskonformen und vergleichsweise gering streuenden Messergebnissen unter der Variation der Einflussgrößen [8]. So erahnt man im Bild 10 beispielsweise den linearen Zusammenhang zwischen den gemessenen Dehnungen an der Unterseite der Asphalttragschicht und der Achslast und erkennt zudem einen deutlichen Einfluss der Geschwindigkeit auf deren Größenordnung. Innerhalb der Variationsbreite von 2,5 km/h bis 30 km/h reduzieren sich hier die Beanspruchungen um rund 24 % – ein Wert, der in der Bauklasse V mit 33 % noch deutlich übertroffen wird. Grund hierfür ist wiederum die sich bei höheren Geschwindigkeiten verringernde Einwirkungsdauer der Last auf einem spezifischen Punkt, die aufgrund des viskosen Verhaltens von Asphalt zu niedrigeren Gesamtbeanspruchungen führt. Wie das Bild 11 zeigt, nähert sich dieser Trend asymptotisch einem Endwert an, der bei den stärkeren Bauklassen bereits bei Geschwindigkeiten kurz über 30 bis 40 km/h erreicht wird. Bei den schwächeren Befestigungen, beispielsweise in Bauklasse V ist aber selbst bei hohen Geschwindigkeiten, die auf diesen Straßen üblicherweise nicht gefahren werden, noch ein deutlicher Abfall der Beanspruchungen zu verzeichnen. Die geringe Belastung dieser Straßen durch den Schwerverkehr wird diesen Effekt aber selten zur Wirkung kommen lassen.
Bild 10: Einfluss der Fahrzeuggeschwindigkeit bei der Fahrt über die Modellstraße auf die gemessenen Dehnungen an der Unterseite der Asphalttragschicht
Bild 11: Gegenüberstellung der Druckspannungen auf der ungebundenen Tragschicht aller in der Modellstraße untersuchten Bauweisen und Bauklassen
Die gleiche Abbildung bestätigt darüber hinaus die in den RStO unterstellte Gleichwertigkeit der Bauweisen innerhalb der einzelnen Bauklassen. Die jeweils 2 beziehungsweise 3 unterschiedlichen in der Modellstraße vorgesehenen Bauweisen innerhalb der Bauklassen SV, III und V verhielten sich bezüglich der aus den Überfahrten resultierenden Beanspruchungen im Asphalt und in den ungebundenen Schichten relativ ähnlich zueinander. Gleichzeitig sind die Bauweisen einer Bauklasse gut gegenüber der nächsthöheren oder -niedrigeren Bauklasse abzugrenzen, auch wenn dabei hier berücksichtigt werden muss, dass die Bauklassen I und II nicht untersucht wurden.
Insgesamt haben die mehr als 2 000 Überfahrten über die Modellstraße der Bundesanstalt für Straßenwesen plausible und für die rechnerische Dimensionierung bedeutende Ergebnisse liefern können. Auch wenn bislang nicht alle Bauweisen und Bauklassen untersucht werden konnten und alle Versuche nur innerhalb eines bewusst eng gehaltenen Temperaturbereiches durchgeführt wurden, können anhand der vorliegenden Messdaten realitätsnahe Beanspruchungswerte in das Pavement Design Tool eingegeben werden. Sie tragen damit dazu bei, die Berechnungsergebnisse dieser wie auch anderer Dimensionierungsprogramme abzusichern und die Nutzungsdauer der zu planenden und auszuführenden Straßenbefestigungen besser prognostizieren zu können. Hierfür sind jedoch weitere Untersuchungen zur Dauerhaftigkeit der Oberbaukonstruktionen dringend erforderlich. In einem an das Überfahrprogramm anschließenden und mittlerweile laufenden Forschungsprojekt werden die acht Regelbauweisen nun einer Zeitraffenden Belastung durch verkehrslastsimulierende hydraulische Impulsgeber bis zum Versagen der Konstruktion unterzogen. Erst mit der Kenntnis der von den jeweiligen Befestigungen zu ertragenden Radüberrollungen ist das Ziel einer rechnerischen Dimensionierung ohne Anlehnung an die in den RStO dokumentierten wertvollen Erfahrungen aus Jahrzehnte langer Standardisierungspraxis erreicht. Bereits heute kann aber das bereits zur Verfügung stehende Instrumentarium Pavement Design Tool dazu beitragen, dass neue Baustoffe und Konstruktionen deutlich schneller zur Anwendung kommen können und ihre dauerhafte Bewährung nicht mehr fast ausschließlich über langwierige Beobachtung von Streckenabschnitten nachgewiesen werden muss. In mehreren Funktionsbauverträgen und A-Modellen ist das neue Verfahren der rechnerischen Dimensionierung, das bereits als Richtlinienentwurf [9] vorliegt, zielführend angewendet worden, und so besteht die Hoffnung, dass sich ihre Nutzung zukünftig auch im konventionellen Straßenbau bewähren kann. Bauunternehmen, die einen Auftrag erhalten, können sich schon heute mit dem Auftraggeber darauf verständigen, statt des Hauptangebots mit Regelbauweise eine im Nebenangebot rechnerisch dimensionierte Befestigung auszuführen.
Literaturverzeichnis
- BMV: Standardisierung der bituminösen Fahrbahnbefestigungen (Heißeinbau), Verkehrsblatt Nr. 199, Heft 11, S. 323–325, Bonn 1966
- Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaues von Verkehrsflächen (RStO 01), Köln 2001
- Nachhaltiger Straßenbau – Bemessungsmodell zur Förderung der Innovations- und der Wettbewerbsfähigkeit kleinerer und mittelständischer Straßenbauunternehmen, BMBF-Forschungsprojekt, in Bearbeitung
- Rabe, R.: Bau einer instrumentierten Modellstraße in Asphaltbauweise zur messtechnischen Erfassung der Beanspruchungssituation im Straßenaufbau, FA 3 342 der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach 2004
- Rabe, R.: Erstellung eines Konzeptes für die Durchführung der Lkw-Überfahrten über die Modellstraße in der Halle 9, FA 3 349 der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach 2004
- Gohl, S.: Vergleich der gemessenen mechanischen Beanspruchungen der Modellstraße der BASt mit den Berechnungsergebnissen ausgewählter Programme, Diplomarbeit im Fachgebiet Straßenbau an der TU Dresden, Dresden 2006
- Shell International Petroleum Company Ltd: Layered systems under normal end tangential surface loads, User Manual, Kaniklijke Shell Labour, Amsterdam 1972 und London 1995
- Rabe, R.: Messtechnische Erfassung der Beanspruchungen im Straßenaufbau infolge Lkw-Überfahrten über eine Modellstraße in Asphaltbauweise, Teil 1: Temperaturabhängige mechanische Eigenschaften, Einfluss Fahrzeuggeschwindigkeit – Beanspruchung, Vergleich Bauklassen und Bauweisen. FA 4 342 der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach 2006
- Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Entwurfsfassung der Richtlinien zur rechnerischen Dimensionierung des Oberbaues von Verkehrsflächen mit Asphaltdecke (RDO-Asphalt 07), Köln 2007
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