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1 Einleitung
Die Qualität des Verkehrsablaufs in den Städten wird im Wesentlichen durch die Lichtsignalanlagen (LSA) geprägt. Dabei kommt es nicht nur auf jeden einzelnen Knotenpunkt an. Wegen der Vielzahl der LSA ist vielmehr die gegenseitige Abstimmung der Freigabezeiten an den benachbarten Knotenpunkten entscheidend. Deshalb ist die Leichtigkeit, mit der der Straßenverkehr in den Städten fließt, vor allem von der Koordinierung der LSA bestimmt. Wenn dabei Haltevorgänge der Fahrzeuge vermieden werden und Wartezeiten zurückgeschraubt werden, so verringert dies auch den Kraftstoffverbrauch der Fahrzeuge. Auf diese Weise reduziert ein störungsarmer Ablauf des Straßenverkehrs auch die Schadstoffemissionen des Verkehrs. Es liegt also im Interesse der Allgemeinheit – aber auch jedes einzelnen Autofahrers – durch gute Signalkoordinierung Anhaltevorgänge zu vermeiden und Wartezeiten zu verkürzen.
Für die Koordinierung kann man grundsätzlich mehrere Klassen von Methoden unterscheiden. Diese werden zunächst im folgenden Text charakterisiert.
1.1 Festzeitsteuerung
Die „Grüne Welle“ wird von Laien mit der Koordinierung von Lichtsignalanlagen im Straßenverkehr gleichgesetzt. Eine klassische „Grüne Welle“ ist eine Koordinierung der Signale längs einer Hauptverkehrsstraße, bei der die Fahrzeuge der durchgehenden Richtung ohne Halt durchfahren können – möglichst mit der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit. Dies in beiden Fahrtrichtungen zu erreichen, ist angesichts wechselnder – und meist geringer – Knotenpunktabstände sowie wechselnder Verkehrsstärken längs der Strecke nur in Ausnahmefällen möglich. Die Ein- und Abbieger werden bei der klassischen „Grünen Welle“ nicht oder nachrangig bedacht. Eine „Grüne Welle“ ist im Grundsatz mit einer Festzeitsteuerung verbunden. Eine klassische „Grüne Welle“ ist aus übergeordneter Sicht nur im Ausnahmefall in einem weiteren Sinne optimal. Wenn es überhaupt ein Optimierungsziel gibt, ist dies die Minimierung der Anzahl der Halte in Hauptrichtung – verbunden mit der Erwartung, dass dies auch die durchgehenden Reisezeiten gering hält. Bei hoher Auslastung – erfahrungsgemäß jenseits von 85 % – funktionieren „Grüne Wellen“ nicht mehr im vorgesehenen Sinn, weil dann der Rückgang der Geschwindigkeit mit zunehmender Belastung nicht mehr berücksichtigt wird und weil vorübergehende Staus vor den Haltelinien die durchgehende Fahrt behindern. Bei der klassischen „Grünen Welle“ wird dieser Zustand der vollen Auslastung gar nicht bedacht. Ihre Vorteile sind: leichte Verständlichkeit für Bürger und Politiker, relativ leicht verständliche Planbarkeit. Wegen der genannten Probleme ist die klassische „Grüne Welle“ nicht mehr ein erstrebenswerter Stand der Technik. Sie ist allerdings eine Art Referenzgröße, weil sie für jedermann verständlich ist.
1.2 Verkehrsabhängige Steuerung
„Grüne Wellen“ sind mit unterschiedlichsten Schlagworten und Modebegriffen mit verkehrsabhängigen Elementen ergänzt worden („Signalprogrammanpassung“). Mit der Entwicklung der Technik für die verkehrsabhängige Steuerung wurden verkehrsabhängige Eingriffe auch innerhalb von „Grünen Wellen“ angewandt, um gewisse Schwankungen des Verkehrsaufkommens aufzufangen oder Vorteile für einzelne Verkehrsteilnehmer bzw. Verkehrsarten zu schaffen, wie beispielsweise eine verbesserte Bedienung für die Fußgänger oder Bevorzugung von Fahrzeugen des ÖPNV. Diese Möglichkeiten reichen von geringfügigen örtlichen Eingriffen in Sondersituationen bis zur bedingungslosen Bevorzugung des ÖPNV. Je stärker diese Eingriffe sind, desto weniger verbleibt vom Prinzip der „Grünen Welle“. Bei der Anpassung der Grünzeit an kurzfristige Schwankungen des Verkehrsaufkommens wird die Verkehrsabhängigkeit meistens nur lokal, das heißt unabhängig von der Verkehrssituation der benachbarten Knotenpunkte, realisiert. In gewissem Umfang lassen sich die Vorteile der „Grünen Welle“ (starre, koordinierte Steuerung) und der kurzfristigen Anpassung der Grünzeiten an Schwankungen des Verkehrsaufkommens vereinbaren (atmende „Grüne Welle“). Bei einer zu weitgehenden Flexibilisierung der „Grünen Welle“ besteht die Gefahr, dass die Abstimmung der Grünzeiten zwischen den Knotenpunkten zerstört wird und die Vorteile der koordinierten Steuerung verloren geht. Hierbei kann es vorkommen, dass die Nachteile durch die Störung der Koordinierung die Vorteile der Anpassung an Schwankungen des Verkehrsaufkommens überwiegen. Weil pragmatische Steuerungsverfahren (z. B. sogenannte Zeitlücken-Kriterien) in Deutschland überwiegen, findet keine wirkliche Optimierung statt. Das Ergebnis kann in Hochlast-Zeiten schlechter werden als die Festzeitsteuerung. Zudem verlassen sich die Betreiber bedingungslos auf diese Steuerung, weil sie glauben, damit eine besonders gute und sich selbst anpassende Lösung zu benutzen. Der Pflege- und Anpassungsbedarf wird in der Praxis meist verkannt. Die technische Realisierung dieser Steuerungsart ist relativ kostenintensiv.
1.3 Voll-verkehrsabhängige Steuerung an allen Einzelknoten
Die voll-verkehrsabhängige Steuerung der LSA an jedem Einzelknoten gilt nicht als eine Koordinierungsmethode sondern als das genaue Gegenteil: Die Steuerungen nehmen bewusst in keiner Weise Rücksicht aufeinander. Es wurde jedoch schon von einzelnen Experten behauptet, durch eine voll-verkehrsabhängige Steuerung aller einzelnen Knotenpunkte würde sich automatisch eine gute Koordinierung ergeben, weil sich die starken Ströme so lange Freigabezeiten anfordern, dass sie weitgehend ohne Halt durchfahren können.
1.4 Klassische netzweite Koordinierungen
Klassische netzweite Koordinierungen haben die Idee mit sich gebracht, dass eine systematische Optimierung anhand vorgegebener Zielkriterien (Summe aller Wartezeiten und aller Halte oder gewichtetes Mittel aus beiden) in die Koordinierung eingeführt wurde. Die Planung gelingt nur durch ein komplexes Computerprogramm. Der klassische Vorreiter dieser Familie von Programmen ist TRANSYT [1] mit allen Untervarianten (z. B. TRANSYT 7F in den USA). In Verbindung damit ist auch die Auflösung der Fahrzeugkolonnen erstmals realitätsnah in das Kalkül eingeflossen. Diese Art der Koordinierung war zunächst an die Festzeitsteuerung gebunden und sie lässt sich somit durch eine preiswerte Hardware realisieren. Versuche, ein solches Programm (SIGMA) auch in Deutschland zu etablieren, haben sich nicht durchgesetzt. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass TRANSYT-optimierte Signalpläne im Allgemeinen keine erkennbaren „Grünen Wellen“ ausbilden. Dennoch sind sie auf dem Festzeit-Niveau das Beste, was man aus Betreibersicht anbieten kann. Insofern ist eine mit hoher Planungsqualität TRANSYT-optimierte Festzeitsteuerung eine wesentliche Referenzgröße. Verkehrsabhängigkeiten sind erst dann gerechtfertigt, wenn sie die Zielkriterien besser erfüllen.
Eine über das gesamte Netz einer Stadt bearbeitete Gesamtoptimierung der Koordinierung wird in der Praxis vielfach nicht als erstrebenswertes Ziel angesehen. Gründe sind die Komplexität der Umsetzung und die – wegen nicht gegebener Erkennbarkeit für die Öffentlichkeit – geringe Wertschätzung. Vielfach werden deshalb nur noch Koordinierungen eng begrenzter Teilnetze (z. B. eines Clusters von wenigen Knotenpunkten) angestrebt mit dem Ziel eines offensichtlich flüssigen Verkehrs bei gleichzeitiger Maximierung des Leistungsvermögens der Teilnetze.
Im Ausland sind voll-verkehrsabhängige netzweite Steuerungen in einer Form entstanden, wie es sie in Deutschland nicht gibt. Die zugrunde liegenden Methoden sind nur begrenzt öffentlich zugänglich. Man kann sie nur anwenden, wenn man sie komplett erwirbt; das heißt: sie werden mit der Hardware kontraktiert, wenn der Lieferant Zugang zu den Systemen hat. SCOOT [2] ist die britische Variante. SCOOT erzeugt eine dynamische TRANSYT – Optimierung. Dabei wird die Optimierung im laufenden Betrieb auf der Basis von Detektorzählungen vorgenommen. SCATS [3] ist eine vergleichbare australische Lösung. Sie orientiert sich vor allem an der Maximierung des Durchsatzes des jeweiligen Knotenpunktes. Beide Systeme sind vor allem bei einem großflächigen Einsatz (z. B. ganzes Stadtgebiet) sinnvoll. Einsatzorte finden sich weltweit – allerdings nicht in Deutschland.
1.5 Adaptive Steuerungen
In die gleiche Richtung zielen sogenannte adaptive Systeme, wie sie mit den Programmen MOTION [4] und BALANCE [5] in Deutschland entwickelt wurden. Hierbei handelt es sich um Steuerungssysteme, mit denen die Länge der Freigabezeit nach den aktuellen Verkehrssituationen angepasst werden. Es wird als Ziel gesetzt, dass die Auslastungen der betrachteten Ströme auf bestimmte Weise so balanciert werden, dass eine Überlastung einzelner Ströme nach Möglichkeit vermieden wird. Die genaue Technik dieser Verfahren ist jedoch öffentlich nicht dokumentiert. Sie befindet sich auch in einer ständigen Weiterentwicklung. Die benutzten Algorithmen verwenden aber anscheinend eine realitätsnahe Berechnung der Verkehrsqualität des gesamten Netzes für alle denkbaren Steuerungsalternativen, um mit flexibler Dynamik ständig ein definiertes Gesamtoptimum anzustreben. Darin werden dann auch verkehrsabhängige Eingriffe der ÖPNV-Fahrzeuge realisiert.
2 Untersuchungskonzept
Die Nutzung der einzelnen Systeme ist in sehr vielen Literaturquellen behandelt worden. Einige dieser Quellen sind nicht frei von geschäftlichen Interessen der Verfasser oder der Signalhersteller. Hinweise auf entsprechende Berichte finden sich in dem nachfolgenden vorgestellten Forschungsbericht.
Wegen der hohen Bedeutung des Themas hat das BMVBS verschiedene Untersuchungen gestartet, mit denen die Erfolge der einzelnen Steuerungsverfahren beurteilt werden sollen. Hier wird zunächst ein inzwischen abgeschlossenes Projekt [6] herausgegriffen. Dieses befasst sich mit einem Vergleich der oben dargestellten Methoden 1.1, 1.2 und 1.3.
Bei der Untersuchung war klar, dass ein theorie-orientierter Ansatz nicht zielführend ist. Deshalb kam es darauf an, möglichst viele reale Beispiele vergleichend zu untersuchen. Ausgewählt wurden zehn hochbelastete Hauptverkehrsstraßen in den Städten Bochum, Buxtehude, Düsseldorf, Frechen, Herne und Münster mit jeweils zwischen 8 und 13 aufeinanderfolgenden signalgesteuerten Knotenpunkten. An jedem Ort lagen naturgemäß andere Ausgangssituationen hinsichtlich der angewandten Signaltechnik, der Steuerungsphilosophie und der Planung von Erneuerungen vor. Die Skala reichte von der der starren grünen Welle bis zur voll-verkehrsabhängigen modernen Koordinierung mit ÖPNV-Bevorzugung.
Trotzdem sollten alle Orte in vergleichbarer Weise gegenübergestellt werden. Das Verfahren der Wahl dafür ist die mikroskopische Simulation. Im Sinne einer tragfähigen Beweisführung war zunächst nachzuweisen, dass die Simulation zu realistischen Ergebnissen führt. Dieser Nachweis ist durch eine umfangreiche Messreihe erbracht worden. Die Messreihe umfasste Testfahrten auf fünf der ausgewählten Untersuchungsstrecken mit je 10 Fahrzeugen über je 2 Stunden (teilweise auch länger) nach vorgegebenen Fahrplänen. Insgesamt wurden mehr als 3 200 km Messfahrten durchgeführt. Die Messfahrzeuge waren mit GPS-Empfängern ausgerüstet, die eine ständige und hinreichend genaue Ortserfassung mit Registrierung auf einem Computer ermöglichten. Die Auswertung ermöglichte die Feststellung aller Reisezeiten, der Reisegeschwindigkeiten, der Wartzeiten und der Haltevorgänge jedes Fahrzeugs. Diese Daten sind statistisch aufbereitet worden. Durch geschickte Auswertung der Messdaten sowie durch externe Zählungen konnte auch ein brauchbares Bild der Verkehrsbelastungen auf den Knotenpunkten der Messstrecken während der Messfahrten gewonnen werden. Zusätzlich ist durch eine Vollerfassung von Reisezeiten auf zwei der Messstrecken nachgewiesen worden, dass die aus den Testfahrten gewonnenen Schätzungen der Reisezeit in sehr genauer Weise die Gesamtheit aller Fahrzeuge repräsentieren.
3 Bewertungsverfahren
Die Wirkung der Koordinierung auf die Verkehrsqualität muss bewertet werden. Die Art der Bewertung hat sich dabei nach den Zielen der verkehrstechnischen Steuerung zu richten. Diese Ziele bestehen in der
- Vermeidung von Anhaltevorgängen,
- Verringerung der Wartezeiten vor den LSA.
Für die zusammenfassende und leicht verständliche Berücksichtigung dieser Parameter gibt es verschiedene Ansätze:
a) HBS 2001 [7]:
Im HBS wird allein die Anzahl der Halte in der koordinierten Hauptrichtung gewertet. Je nach dem Prozentsatz der Fahrzeuge, die zum Halt vor der LSA kommen, wird in jeder einzelnen Zufahrt eine Stufe der Verkehrsqualität (QSV) oder das Koordinierungsmaß für eine Verkehrsrichtung festgestellt (vgl. Tab. 1).
Tabelle 1: Definition von Qualitätsstufen des Verkehrsablaufs (QSV)
b) Brilon, Schnabel (2003) [8]:
Die Autoren schlagen vor, die Qualität des Verkehrsablaufs auf städtischen Hauptverkehrsstraßen anhand der erreichten mittleren Reisegeschwindigkeit der Kraftfahrzeuge, die den Straßenzug in ganzer Länge durchfahren, festzulegen (vgl. Tabelle 1). Die oben genannten Ziele gehen in diese Größe impliziert ein
c) Performance Index:
Diese Bewertung der Steuerungsalternativen beruht, nach dem Vorbild der englischen Software TRANSYT [1] auf dem Performance Index (PI) nach Gleichung (1), der die Wartezeiten und die Anzahl der Halte in jeder Knotenpunktzufahrt berücksichtigt. Als Knotenpunktzufahrt wird ein Bereich stromaufwärts der Haltelinie definiert, der von der LSA beeinflusst wird. Die Wartezeiten und die Anzahl der Halte wurden dabei in ein Verhältnis zueinander gesetzt, indem ein Halt einer Wartezeit von 60 s entspricht. Die Kraftfahrzeuge und die ÖPNV-Fahrzeuge wurden ihrem mittleren Besetzungsgrad entsprechend gewichtet.
Formel in der PDF
Dadurch können auch Verkehrszustände unterschiedlicher Verkehrsbelastungen in ihrer Verkehrsqualität miteinander verglichen werden.
Bei der Verwendung des Performance Index in der oben genannten Definition ist zu beachten, dass eine Reduzierung des Performance Index eine Erhöhung der Verkehrsqualität bedeutet. Der Performance Index hat als Absolutwert keine Bedeutung. Er gewinnt seinen Nutzen aus dem Vergleich mehrerer Alternativen.
Die Verfahren a) und b) betrachten die eingangsgenannten Ziele nur indirekt oder unvollständig. Außerdem konzentrieren sie sich ausschließlich auf den Verkehr der durchgehenden Hauptverkehrsstraße. Das Verfahren c) ist dagegen in jeder Richtung flexibel. Es können darüber hinaus alle Einbieger- und Abbieger-Ströme in die Betrachtung einbeziehen. Außerdem können bevorzugte Fahrzeuge, wie Linienbusse, höher gewichtet werden. Mit den Verfahren c) wird also die Verkehrsqualität im gesamten von der Koordinierung betroffenen Netzausschnitt zusammenfassend gewertet. Dieser Ansatz ist für die folgenden Darstellungen verwendet worden.
4 Simulation
Um die verkehrliche Wirkung verschiedener Steuerungsverfahren auf einem Straßenzug miteinander vergleichen zu können, wurde das mikroskopische Simulationsprogramm VISSIM [9] der Firma PTV verwendet. In diesem Programm ist es möglich, die Verkehrsvorgänge auf den untersuchten Straßenzügen realitätsnah nachzubilden. Für jeden untersuchten Straßenzug, für jedes Steuerungsverfahren und für jeden Fall der Verkehrsbelastung wurde ein Datensatz für die Eingabe in VISSIM zusammengestellt (hier als Simulationsmodell bezeichnet). Sämtliche untersuchten Steuerungsverfahren wurden in den Simulationsmodellen implementiert. Die Simulationsmodelle wurden anhand der Messergebnisse, die bei den Testfahrten gesammelt wurden, kalibriert.
Für alle zehn Fahrstrecken wurden Simulationen für die Steuerungsverfahren
- Festzeitsteuerung (Prinzip 1),
- Verkehrsabhängige Steuerung (Prinzip 1.2)
durchgeführt.
Die vorhandenen Steuerungslogiken der verkehrsabhängigen Steuerungen wurden in den Simulationsmodellen exakt nachgebildet. In zwei Fällen wurden Vereinfachungen vorgenommen, die aber die grundlegenden Funktionsweisen der Logiken nicht veränderten. Für die Straßenzüge, auf denen keine verkehrsabhängige Steuerung vorhanden ist, wurden neue Steuerungen entwickelt.
Als Bezugspunkt für den Vergleich der Steuerungsverfahren wurde jeweils eine Festzeitsteuerung, die auf dem Rahmenzeitplan der verkehrsabhängigen Steuerung beruht, verwendet. Durch den Vergleich konnte die tatsächliche verkehrliche Wirkung der Verkehrsabhängigkeit ermittelt werden.
Jeder Straßenzug wurde durch umfangreiche Simulationsstudien untersucht. Dafür wurden verschiedene Verkehrssituationen mit verschieden starken konstanten Verkehrsbelastungen erzeugt. Die in den Messungen festgestellte Verkehrsstärke (100 %) wurde variiert und dabei um 50 % reduziert und um 50 % erhöht. Außerdem sind Spitzenstunden simuliert worden, in denen sich die Verkehrsbelastung dynamisch änderte. Zudem wurden die Verkehrsbeziehungen auf dem Straßenzug verschoben, indem entweder nur die Verkehrsbelastung der Hauptrichtung oder der Nebenrichtungen geändert wurden. Durch diese Variation der Verkehrsstärken konnte das Verhalten der Steuerungsverfahren unter zahlreichen Belastungsfällen untersucht werden. Insgesamt wurden 884 Stunden simuliert.
Für die Festzeitsteuerung wurden zunächst die örtlich vorhandenen Programme (bei verkehrsabhängiger Steuerung vor Ort: die Rahmen-Signalzeitpläne) verwendet. Zusätzlich sind die Programme im Sinne einer Verbesserung im Hinblick auf die gegebene Verkehrsbelastung überarbeitet worden. Dazu wurde das Programmsystem AMPEL-K der Firma BPS eingesetzt.
4.1 Untersuchungsergebnisse Festzeitsteuerung
Für alle zehn Strecken wurden vorhandenen Rahmenpläne oder Festzeitsteuerungen durch Simulationen untersucht. Den vorhandenen Steuerungen wurden neu optimierte Festzeitsteuerungen gegenübergestellt. Dabei wurden die Signalpläne der einzelnen Lichtsignalanlagen und die Koordinierung neu optimiert. Durch die neue Optimierung konnten auf acht Straßenzügen bereits durch eine Festzeitsteuerung wesentliche Verbesserungen der Verkehrsqualität erreicht werden. Dies lässt sich im Bild 1 daran ablesen, dass der PI in allen Fällen geringer wurde. Verbesserungen der Verkehrsqualität (gemessen am PI) könnten in allen Fällen um wenigstens 10 % erreicht werden. In zwei Fällen wurde die Gesamtqualität um 40 bis 50 % verbessert. Es wurde deutlich, dass nicht in jedem Fall eine bessere Koordinierung der Hauptrichtung auch eine höhere Verkehrsqualität des gesamten Netzes, welches alle Ein- und Abbieger des Straßenzuges berücksichtigt, ergibt. So wurde teilweise durch die Optimierung eine höhere Verkehrsqualität des gesamten Netzes erreicht, trotz einer Verschlechterung der Verkehrsqualität in der koordinierten Richtung (Straßenzug 7 und 9). Dies ist auf eine nicht ausreichende Bemessung des Querverkehrs in der vorhandenen Steuerung zurückzuführen. Die Bevorrechtigung der Hauptrichtung kann sich nachteilig auf das gesamte Netz auswirken, wenn die Querrichtungen eine hohe Bedeutung haben. Unter Umständen kann es aber auch sinnvoll sein, einbiegende Ströme bewusst zu drosseln, um die Verkehrsqualität im gesamten Netz zu erhöhen.
Bild 1: Veränderung der Verkehrsqualität bei einer Optimierung der Steuerung
Es muss aber auch darauf hingewiesen werden, dass nicht allein die Koordinierung für die Verbesserung ausschlaggebend war. In vielen Fällen gehen die Qualitätssteigerungen im Wesentlichen auf die Optimierung einzelner Knotenpunkte zurück.
4.2 Untersuchungsergebnisse für die logikbasierte verkehrsabhängige Steuerung
In dieser Untersuchung wurden die auf den Straßenzügen vorhandenen verkehrsabhängigen Steuerungen durch Simulationen untersucht. In den Simulationen wurde ein Vergleich mit Festzeitsteuerungen, die auf den vorhandenen Rahmenplänen basieren, durchgeführt. Die Koordinierungszeitpunkte der verkehrsabhängigen Steuerung sind also mit denen der Festzeitsteuerung identisch. Bei einigen Steuerungen orientieren sich die Steuerungen ohne Anforderungen an den Rahmenplänen (z. B. bei der ÖPNV-Priorisierung in Düsseldorf). Auf anderen Straßenzügen (in Bochum oder Buxtehude) werden die Rahmenpläne bei voller Ausnutzung der Verlängerungen und Anforderungen erreicht.
Beim Vergleich der Steuerungsverfahren wird also der tatsächliche Unterschied, den die Verkehrsabhängigkeit gegenüber ihrem Rahmenplan bewirkt, betrachtet. In der Simulation stellte sich heraus, dass die verkehrsabhängige Steuerung keineswegs nur Vorteile gegenüber der Festzeitsteuerung bringt. In den Bildern 2 und 3 ist der Vergleich des Performance Index und der Verlustzeiten in sämtlichen Simulationen dargestellt. Jeder Punkt stellt hierbei den Vergleich zwischen der Festzeitsteuerung und der verkehrsabhängigen Steuerung im gleichen Belastungszustand dar. Es wird deutlich, dass sich kein eindeutiger Trend zugunsten eines Steuerungsverfahrens abzeichnet. Die Regressionsgeraden der Punktewolken liegen in beiden Fällen nur unwesentlich unterhalb der Winkelhalbierenden. Zahlreiche Punkte liegen auch über der Winkelhalbierenden; das heißt in diesen Fällen ist die Verkehrsqualität durch die Verkehrsabhängigkeit schlechter geworden als bei der Festzeitsteuerung. Die Möglichkeit, dass eine Verkehrsabhängigkeit eine Verschlechterung der Verkehrsqualität bewirken kann, ist für viele Verkehrsingenieure sicherlich eine Überraschung. Dieses Ergebnis verdeutlicht, wie wichtig eine sorgfältige Planung logikbasierter Verkehrsabhängigkeiten ist, wenn daraus ein Nutzen entstehen soll.
Bild 2: Vergleich der Performance Indizes der verkehrsabhängigen Steuerung mit der Festzeitsteuerung
Bild 3: Vergleich der Verlustzeiten in Hauptrichtung der verkehrsabhängigen Steuerung mit der Festzeitsteuerung
Bei näherer Betrachtung verschiedener Verkehrsituationen werden jedoch Unterschiede in der Wirkungsweise der Steuerungsverfahren deutlich. Es zeigte sich, dass unter konstanter Verkehrsbelastung nur im Bereich der Belastungen einer Spitzenstunde Verbesserungen in der Verkehrsqualität durch die Verkehrsabhängigkeit erreicht wurden. Bei starker Belastungsänderung zeigten sich deutliche Vorteile der verkehrsabhängigen Steuerung gegenüber der Festzeitsteuerung in den Zeitintervallen des Belastungsabbaus. Außerdem konnten auf einigen Straßenzügen positive Wirkungen bei einer Verschiebung der Verkehrsbeziehungen (Änderung des Verhältnisses der Belastung in der Hauptrichtung und Nebenrichtung) festgestellt werden.
Die Steuerungslogiken der betrachteten Straßenzüge sind von verschiedenen Ingenieurbüros und Verwaltungen geplant worden. Demzufolge sind der Aufbau und die Funktionsweise dieser Steuerungen unterschiedlich. Bei einigen der betrachteten Steuerungen ist jedoch auffällig, dass sie für den jeweiligen einzelnen Knotenpunkt logisch richtig erstellt werden. Im Zusammenhang mit dem restlichen Netz verfehlen sie jedoch ihre Wirkung. So wird z. B. eine Verlängerung stark belasteter Nebenströme zugelassen. Dadurch wird aber die Pförtnerwirkung der Festzeitsteuerung zerstört. Viele einbiegende Fahrzeuge erzeugen dann zeitweise in der Hauptrichtung Stau. Auf diese Weise sinkt die Verkehrsqualität des gesamten Netzes. In anderen Fällen wurde der Querverkehr gegenüber der Hauptrichtung so stark benachteiligt, dass sich dies auf in der Qualität des gesamten Netzes nachteilig auswirkte. Es ist also wesentlich, dass nicht nur der Rahmenplan der Steuerung, sondern auch die Verkehrsabhängigkeiten im Detail im Netzzusammenhang geplant werden.
In der Untersuchung [6] wurde auch die Wirtschaftlichkeit der verkehrsabhängigen Steuerung (Verfahren 2) im Vergleich zu einer Festzeitsteuerung (Verfahren 1) geschätzt. Bewertungsmaßstab waren dabei allein die Zeitkosten. Bewertet wurden die jeweils örtlich eingesetzten Steuerungslogiken. Die Spannweite der Nutzen reicht von –250 000 €/a bis +470 000 €/a. (Minus bedeutet: die vorhandene verkehrsabhängige Steuerung ist schlechter als die Festzeitsteuerung). In den meisten Fällen bleibt der Nutzen hinter den Erwartungen zurück. Die erreichten positiven Nutzen sollten in jedem Fall den Kosten der Verkehrsabhängigkeit gegenübergestellt werden. Soweit ein negativer Nutzen (das heißt Schaden) als Folge der Verkehrsabhängigkeit eingetreten ist, heißt dies nicht, dass an diesem Ort dieses Resultat zwangsläufig durch die äußeren Gegebenheiten bedingt wird. Vielmehr wäre anzustreben, in diesen Fällen die Steuerungslogik zu verbessern.
4.3 Untersuchungsergebnisse für voll-verkehrsabhängige Steuerung
Für drei Teststrecken wurde durch Simulationen untersucht, ob die voll-verkehrsabhängige Steuerung der Einzelknoten automatisch eine gute Koordinierung ergeben kann. Dazu wurden für alle einzelnen Knotenpunkte isolierte vollverkehrsabhängige Steuerungslogiken entwickelt.
Grundlage für diese vollverkehrsabhängige Steuerung war die auf den Straßenzügen vorhandene Infrastruktur. Das heißt in jeder Zufahrt ist ein halteliniennaher Detektor und ein Detektor in ca. 30 bis 50 m Entfernung zur Haltelinie vorhanden. Das Signalprogramm setzt sich vollkommen frei aus den Anforderungen an den Detektoren zusammen. Die Signalzeiten sind in keiner Weise durch einen Rahmenplan vorgegeben. Die Phasenlänge und
-folge kann sich frei bilden.
Im Ergebnis lässt sich klar feststellen, dass in keinem Fall eine brauchbare Koordinierung entstanden ist. Die Anzahl der Halte in der Hauptrichtung ist in allen Fällen deutlich höher geworden als bei der verkehrsabhängigen Steuerung mit Rahmenplan. Es wurden Erhöhungen der Anzahl der Halte um 37 bis 320 % festgestellt. Die PI liegt um 2 bis 18 % über den Resultaten bei der Steuerungsart 2.
Damit ist klar geworden, dass diese einfache Art einer automatischen Koordinierung in realen städtischen Straßennetzen eine Utopie ist.
5 Schlussfolgerung
In der Praxis wurden in den letzten Jahren koordinierte Straßenzüge fast ausschließlich nach dem Verfahren der verkehrsabhängigen Steuerung beauftragt und geplant. In der Fachwelt herrscht die Meinung vor, dass die verkehrsabhängige Steuerung in jedem Fall positive Auswirkungen auf die Verkehrsqualität hat. Die Untersuchung hat deutlich gemacht, dass die verkehrsabhängige Steuerung an koordinierten Straßenzügen nicht automatisch die Verkehrsqualität verbessert und dass die Nutzen in allen Fällen von begrenzter Größenordnung sind.
Tabelle 2: Einsatzkriterien der Steuerungsverfahren
Anhand der Erfahrungen aus den umfangreichen Simulationsstudien wurden Einsatzkriterien der verschiedenen Steuerungsverfahren voneinander abgegrenzt (siehe Tabelle 3). Dabei wurde aufgezeigt, dass kein Steuerungsverfahren generell bevorzugt werden kann. In verschiedenen Situationen und je nach Zielsetzung gilt es, dass geeignete Steuerungsverfahren auszuwählen.
Anhand der Empfehlungen, die in dem Bericht [6] ausgesprochen werden, ist es den Auftraggebern oder Planern möglich, die Wahl des Steuerungsverfahrens differenzierter als bisher zu treffen. Außerdem wird deutlich, dass der durch die Verkehrsabhängigkeit erwirtschaftete Nutzen den Mehrkosten gegenübergestellt werden muss, um die Wirtschaftlichkeit des Steuerungsverfahrens nachzuweisen. Bei der Planung von Signalkoordinierungen soll nicht nur aufgezeigt werden, dass die Steuerung funktioniert. Es sollte unvoreingenommen im Vergleich durch Simulation auch nachgewiesen werden, dass die vorgesehenen Verkehrsabhängigkeiten zu einer besseren Lösung führen als die kostengünstigste Lösung der Festzeitsteuerung.
Erst wenn dieser Nachweis geführt ist, wird erreicht, dass durch aufwändige verkehrsabhängige Steuerung der Koordinierung ein Nutzen für den Verkehrsfluss erreicht wird.
In diesem Beitrag wird vordergründig nicht auf die Umweltwirkungen der Koordinierung eingegangen. Man kann jedoch davon ausgehen, dass die positiven Wirkungen für die Umwelt sich etwa proportional zur rein verkehrlichen Wirkung einstellen, weil – soweit die LSA-Koordinierung betroffen ist – der Kraftstoffverbrauch und damit die Emission vor allem durch das Wieder-Anfahren der Fahrzeuge nach einem Halt beeinflusst werden. In zweiter Hinsicht hat der Kraftstoffverbrauch im Leerlauf während der Wartezeit Bedeutung. Das gegenseitige Verhältnis der Halte mit der Wartezeit wird in Gleichung (1) durch das Verhältnis Gw/Gh : „60 s Wartezeit entspricht 1 Halt“ berücksichtigt.
Das Projekt verdeutlicht auch, dass eine Anpassung und Pflege der Steuerung an die jeweilige verkehrliche Gesamtsituation zur Gewährleistung des angestrebten Nutzens auch bei der verkehrsabhängigen Steuerung erforderlich ist.
6 Ausblick
Dieser Beitrag fasst im Wesentlichen Ergebnisse aus dem Projekt [6] zusammen. Dies ist auch der Inhalt des Vortrags beim Deutschen Straßen- und Verkehrskongress 2008 in Düsseldorf. Der Vortrag geht aber auch auf weitere Aspekte ein. Dies betrifft Ergebnisse und Zwischenresultate für deren schriftliche Veröffentlichung den Autoren keine Zustimmung der jeweiligen Rechteinhaber vorliegt. Dazu gehören Aspekte der Umweltwirkungen, besondere Koordinierungstechniken sowie die adaptive Steuerung.
7 Literaturverzeichnis
- Robertson, D. I.: TRANSYT. in: Beiträge zur Theorie des Verkehrsflusses, Proceedings of the 6th International Symposium on Traffic Theory, Karlsruhe, Schriftenreihe Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 86, S.134–144, 1969
- Hunt, P. B.; Robertson, D.I.; Bretherton, R.D; Winton, R.I.: SCOOT – A Traffic Responsive Method of Coordinating Signals. Transport and Road Research Laboratory, TRRL Laboratory Report 1014, Crowthorne, 1981
- Lowrie, P. R.: The Sydney Co-ordinated Adaptive Traffic System – Principles (SCATS), Methodology, Algorithms. Department of Main Roads, N.S.W., Australia, 1982
- Busch, F.; Kruse, G.: MOTION – ein neues Verfahren für die städtische Lichtsignalsteuerung. HEUREKA, Karlsruhe, 1993
- Friedrich, B.: Steuerung von Lichtsignalanlagen: BALANCE – ein neuer Ansatz. Straßenverkehrstechnik, Heft 7, S. 321–328, Kirschbaum Verlag, Bonn, 2000
- Brilon, W.; Wietholt, T.; Wu, N.: Kriterien für die Einsatzbereiche von Grünen Wellen und verkehrsabhängigen Steuerungen. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Verkehrstechnik, Heft V 163, Bergisch Gladbach, 2007
- Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS), Köln, 2001 (FGSV 299)
- Brilon, W.; Schnabe l, W.: Bewertung der Qualität des Verkehrsablaufs auf Hauptverkehrsstraßen. Straßenverkehrstechnik, Heft 1, S. 21–26, Kirschbaum Verlag, Bonn, 2003
- PTV (2006): VISSIM – Verkehr in Städten PTV AG, Karlsruhe, 2006
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