FGSV-Nr. FGSV 001/21
Ort Karlsruhe
Datum 11.10.2006
Titel Aktuelle Entwicklung beim Kreisverkehr
Autoren Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Haller
Kategorien Kongress
Einleitung

Nach acht Jahren positiver Erfahrungen mit dem „Merkblatt für die Anlage von Kreisverkehrsplätzen“ (Ausgabe 1998) wird dieses Jahr eine Neufassung des Merkblattes vorgelegt. Ein Leitgedanke der Neubearbeitung war, das breite Spektrum an Kreisverkehren zu berücksichtigen, das in der Praxis erprobt ist: Minikreisverkehre (D = 13 bis 22 m) mit überfahrbarer Kreisinsel bis 18 000 Kfz/24 h; Kleine Kreisverkehre (D = 26 bis 50 m) bis ca. 25 000 Kfz/24 h; Zweistreifig befahrbare Kreisverkehre (D = 40 bis 60 m) bis ca. 32 000 Kfz/24 h; Große Kreisverkehre mit Lichtsignalanlage (D > 60 m) für mehr als 30 000 Kfz/24 h.

Minikreisverkehre sind keine Notlösung bei Platzproblemen, sondern ebenso wie zweistreifig befahrbare Kreisverkehre eine vollwertige Knotenpunktart, die auch beim Neubau in Frage kommt, wenn die differenzierten Einsatzkriterien erfüllt werden. Die Abwägung mit anderen Knotenpunktarten erfolgt künftig in den RAL und RASt.

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1  Einführung

Das neue „Merkblatt für die Anlage von Kreisverkehren“ ist im August 2006 erschienen [1]. Damit ist nach mehr als sechs Jahren intensiver Diskussionen im Arbeitskreis „Kreisverkehre“ und in den Ausschüssen der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) ein wichtiges Regelwerk zum Abschluss gebracht worden.

Seit dem Erscheinen des ersten Merkblattes der FGSV zu Kreisverkehren im Jahr 1998 sind innerorts und außerorts mehrere Tausend kleine Kreisverkehre in Deutschland nach den Grundsätzen des Merkblattes gebaut worden. Die Erfahrungen sind ganz überwiegend positiv: Kleine Kreisverkehre sind für alle Verkehrsteilnehmer sehr sichere Verkehrsanlagen, sie sind sehr leistungsfähig, wirtschaftlich und haben überwiegend eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung.

Das neue Merkblatt baut auf diesen positiven Erfahrungen auf. Wesentliche Ergänzungen gegenüber dem alten Merkblatt sind Aussagen zu Minikreisverkehren und zu zweistreifig befahrbaren Kreisverkehren, die in der Praxis erprobt sind. Das neue Merkblatt verfügt damit gegenüber dem früheren Regelwerk über ein wesentlich erweitertes Entwurfsrepertoire, das in drei Kreisverkehrstypen gegliedert ist:

  • Minikreisverkehre mit 13 bis 22 m Außendurchmesser mit überfahrbarer Kreisinsel für Verkehrsstärken bis 18 000 Kfz/24 h (nur innerorts) (Bild 1)
  • Kleine Kreisverkehre mit Außendurchmessern von 26 bis 40 m innerorts bzw. 30 bis 50 m außerorts für Verkehrsstärken bis ca. 25 000 Kfz/24 h (Bild 2)
  • Zweistreifig befahrbare Kreisverkehre mit Außendurchmessern zwischen 40 und 60 m für Verkehrsstärken bis ca. 32 000 Kfz/24 h (Bild 3).

Darüber hinaus enthält das neue Merkblatt ergänzende Hinweise zu großen Kreisverkehren mit Lichtsignalanlagen.

Bild 1: Minikreisverkehr                                           

Bild 2: Kleiner Kreisverkehr

Bild 3: Zweistreifige befahrbare Kreisverkehre

 

2   Ausgewählte Aspekte der Neubearbeitung

2.1    Leitgedanken

Ein Leitgedanke der Neufassung des Merkblattes ist, die verschiedenen Formen der Kreisverkehre – Minikreisverkehre, „normale“ kleine, kleine mit zweistreifig befahrbaren Elementen stärker als bisher als Baukasten mit Einzelelementen zu betrachten, die situationsgemäß zusammengefügt werden. Minikreisverkehre sind dabei keine Notlösung bei Platzproblemen, sondern eine vollwertige Knotenpunktform. Die Zweistreifigkeit bei Kreisverkehren ist nicht nur bei Kapazitätsengpässen bei bestehenden Kreisverkehren anwendbar, sondern auch beim Neubau, wenn die Einsatzkriterien erfüllt werden.

In die Überarbeitung des Merkblattes sind die Ergebnisse unterschiedlicher Forschungsprojekte zu Kreisverkehren eingeflossen. Dadurch ist sichergestellt, dass das Merkblatt den derzeit aktuellen Stand aus Forschung und Praxis wiedergibt. Ferner berücksichtigt das neue Merkblatt die künftige Neugliederung des entwurfstechnischen Regelwerkes mit den umfassenden „Richtlinien für die Anlage von Landstraßen“ (RAL) [2] und „Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen“ (RASt) [3].

Während das alte Merkblatt häufig Hinweise zur Abwägung mit anderen Knotenpunktformen gab, vermeidet das neue Merkblatt Vergleiche mit anderen plangleichen Knotenpunkten mit und ohne Lichtsignalanlage oder (teil-) planfreien Knotenpunkten. Die Abwägung mit anderen Knotenpunktformen soll nach der Neugliederung des Regelwerkes nicht im Merkblatt erfolgen, sondern in den neuen umfassenden RAL bzw. RASt. Das neue Merkblatt ist somit in erster Linie ein Papier mit Entwurfshinweisen.

Im Folgenden werden einige Aspekte, die die Neubearbeitung bestimmt haben, näher erläutert.

2.2    Verkehrssicherheit

In einer vergleichenden Untersuchung zur Verkehrssicherheit von Knotenpunkten an Landstraßen von Meewes [4] konnte die hohe Verkehrssicherheit von Kreisverkehren außerorts bestätigt werden: Kreisverkehre wiesen mit 20 DM/1 000 Kfz die geringste Unfallkostenrate (UKR) aller untersuchten Kreuzungen auf. Kreuzungen mit zweiphasiger Signalsteuerung hatten eine mehr als 5-fache Unfallkostenrate, auch bei mehrphasiger Signalsteuerung (UKR=53 DM/1 000 Kfz) und selbst bei halben Kleeblättern (UKR=30 DM/1 000 Kfz) waren nur deutlich schlechtere Werte als bei Kreisverkehren zu erzielen (Tabelle 1). Selbst bei einer ortsfesten Geschwindigkeitsüberwachung, die gelegentlich als besonders wirksame Maßnahme zur Erhöhung der Verkehrssicherheit empfohlen wird, in der Praxis aber oft am Widerstand der potenziell Betroffenen scheitert, ist nur eine Unfallkostenrate von 29 DM/1 000 Kfz zu erwarten.

Tabelle 1: Sicherheitsvergleich von Landstraßenknotenpunkten [4]

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Untersuchung zur Verkehrssicherheit von Kreisverkehren in Außerorts- oder Ortsrandlage in Bayern von Bösl [5]. Die Untersuchungen zeigen, dass sowohl die Wahrscheinlichkeit, einen Unfall zu erleiden, als auch die Unfallschwere geringer sind als an vergleichbaren Kreuzungen und Einmündungen.

Kreisverkehre sind auch innerorts sehr sichere Verkehrsanlagen. Dies gilt für alle Kreisverkehre mit einstreifigen Zufahrten, also auch für Minikreisverkehre. Zweistreifig befahrbare Kreisverkehre haben zwar einen geringeren Sicherheitsstandard als einstreifige, der Sicherheitsstandard ist aber immer noch besser als bei vergleichbaren anderen plangleichen Knotenpunkten. Maßgebend für die insgesamt hohe Verkehrssicherheit ist die Vermeidung der besonders unfallträchtigen Kreuzungs- sowie Linksabbiege- und Linkseinbiegekonflikte (Bild 4). Die praktischen Erfahrungen zeigen, dass die in Kreisverkehren gefahrenen Geschwindigkeiten zwar von der Größe der Entwurfselemente durchaus abhängig sind, dass aber auch bei größeren Außendurchmessern und Ausrundungsradien, die nicht an den Mindestwerten orientiert sind, durchaus noch moderate, sicherheitsverträgliche Geschwindigkeiten erzielbar sind. Im neuen Merkblatt sind deshalb zugunsten einer einfacheren Befahrbarkeit die Abmessungen der Entwurfselemente gegenüber früher etwas angehoben. Damit wurde auch den Wünschen der Vertreter des ÖPNV und des Schwerlastverkehrs Rechnung getragen, die in verschiedenen Stellungnahmen die schwierige Befahrbarkeit von Kreisverkehren mit Mindestabmessungen kritisiert hatten.

Die früheren Vorbehalte gegenüber Bypässen an Kreisverkehren haben sich nicht bestätigt, allerdings gibt es aus Sicherheitsgründen Einschränkungen bei zweistreifigen Zufahrten, die nur dann empfohlen werden, wenn der Fußgänger- und Radverkehr keine Rolle spielt. Damit sind die zweistreifig befahrbaren Kreisverkehre praktisch auf die Anwendung im Außerorts- und Übergangsbereich beschränkt.

Bild 4: Konflikte an einem Kreisverkehr und an einer Kreuzung

2.3     Kapazität

Das neue Merkblatt nennt Orientierungswerte für die Kapazität (Bild 5), verweist aber darauf, dass die Verkehrsqualität und die Leistungsfähigkeit ab einer Gesamtverkehrsstärke von 15 000 Kfz/24 h (Minikreisverkehre ab 12 000 Kfz/24 h) mit den einschlägigen Verfahren nachzuweisen sind.

Bild 5: Orientierungswerte für die Kapazität von Kreisverkehren

Da die herkömmlichen Verfahren zur Berechnung der Verkehrsqualität bei Minikreisverkehren nicht angewendet werden können, wird als überschlägige Bemessung die Randbedingung definiert, dass in jeder Knotenpunktzufahrt der einfahrende Strom und der auf der Kreisfahrbahn bevorrechtigte Strom in der Summe 1 200 Kfz/h nicht überschreiten soll. Praktische Erfahrungen bei Knotenpunkten mit starken Abbiegeströmen – beispielsweise bei einer ehemaligen abknickenden Vorfahrt – zeigen, dass diese überschlägige Bemessung im Einzelfall zu einer Überschätzung der tatsächlichen Kapazität führen kann. Hilfreich ist in diesen Fällen eine mikroskopische Verkehrssimulation, die alle am Knotenpunkt auftretenden Verkehre abbildet und auch die Geometrie des Knotenpunktes berücksichtigt [6]. Vor dem Hintergrund der praktischen Erfahrungen wurde bei den Orientierungswerten für Minikreisverkehre eine Abminderung der praktischen Leistungsfähigkeit bei sehr kleinen Außendurchmessern berücksichtigt (Bild 5).

Die insbesondere für die Praxis relevanten Fragen einer möglichen Kapazitätssteigerung von kleinen Kreisverkehren durch Bypässe, zweistreifig befahrbare Kreisfahrbahnen und zweistreifige Zufahrten konnte in einem Forschungsprojekt von Brilon und Bäumer untersucht werden [7, 8]. Wesentliches Element zweistreifiger Kreisverkehre ist die zweistreifig befahrbare aber nicht zweistreifig markierte Kreisfahrbahn mit einer Breite von 8 bis 10 m. Zweistreifige Ausfahrten, die aus Gründen der Verkehrsqualität im Kraftfahrzeugverkehr wünschenswert sein könnten, werden aus Sicherheitsgründen ausgeschlossen.

Die Forschungsergebnisse von Brilon und Bäumer waren bereits in das FGSV-Arbeitspapier Nr. 51 neu der FGSV [9] eingeflossen und sind in das neue Merkblatt übernommen worden. Eine wesentliche Erkenntnis sind die gegenüber früheren Annahmen deutlich geringere Kapazität zweistreifiger Zufahrten. Dies wird deutlich, wenn man die im Merkblatt abgebildeten Grundkapazitäten der Kreiszufahrten betrachtet (Bild 6). Der durch eine zweistreifig befahrbare Kreisfahrbahn erzielbare Zuwachs an Grundkapazität liegt in der Größenordnung von 25 %. Der weitere Zuwachs durch zweistreifige Zufahrten liegt nur bei weiteren 20 % bezogen auf die Grundkapazität bei einstreifiger Kreiszufahrt und zweistreifig befahrbarer Kreisfahrbahn.

Bild 6: Grundkapazität der Kreiszufahrten

Hauptursache der vergleichsweise geringen Kapazitätszuwächse ist die geringe Akzeptanz des linken Fahrstreifens einer zweistreifigen Kreiszufahrt, die nur durch eine strikte Vorsortierung in der Kreiszufahrt verbessert werden kann. Bevor an einem Kreisverkehr zweistreifig befahrbare Elemente in Erwägung gezogen werden, soll deshalb immer geprüft werden, ob die erforderliche Kapazität des Kreisverkehrs durch die Einrichtung eines oder mehrerer Bypässe geschaffen werden kann (Bild 7).

Bild 7: Kreisverkehr mit Bypass

2.4    Führung der Radfahrer

Die Verkehrssicherheit von Fußgängern und Radfahrern an kleinen Kreisverkehren konnte vor dem Hintergrund der Ergebnisse eines breit angelegten Forschungsprojektes mit der Auswertung der Unfälle an 46 innerörtlichen Kreisverkehren mit insgesamt 172 Unfalljahren weiter optimiert werden [10].

Zur Führung des Radverkehrs in Kreisverkehren werden im Merkblatt zwei Lösungen empfohlen:

  • Führung auf der Fahrbahn
  • Führung auf Radwegen

Die Führung auf der Fahrbahn ist wegen der annähernd gleichen Geschwindigkeiten von Radfahrern und Kraftfahrzeugen innerorts eine sehr sichere Lösung. Sie ist für den Radverkehr in der Regel auch die Lösung mit der größten Verkehrsqualität. Bei der Führung des Radverkehrs auf der Fahrbahn ist der durch einen Bord abgesetzte Innenring, der ein Überholen der Radfahrer verhindert, ein wesentliches Entwurfsdetail. Sowohl Forschungs-ergebnisse als auch praktische Erfahrungen zeigen aber, dass für die Führung des Radverkehrs auf der Fahrbahn die Akzeptanz ab einer Verkehrsstärke im Knotenpunkt von mehr als 15 000 Kfz/24 h spürbar zurückgeht. Viele Radfahrer weichen dann auf die Gehwege aus, was häufig zu Konflikten mit Fußgängern führt. Bei Minikreisverkehren ist die Führung des Radverkehrs auf der Fahrbahn die Regellösung.

Die Führung auf Radwegen bietet sich innerorts an, wenn wegen der Verkehrsstärken im Kraftfahrzeugverkehr eine Führung auf der Fahrbahn nicht zweckmäßig ist und der Radverkehr bereits auf Radwegen zum Knotenpunkt geführt wird. Radwege sollen im Abstand von ca. 4 bis 5 m vom Rand der Kreisfahrbahn neben der Überquerungsstelle für Fußgänger über den Fahrbahnteiler geführt werden (Bilder 8 und 9). Kleinere Abstände als 2 m sind aus Sicherheitsgründen ebenso zu vermeiden wie größere Abstände als 5 m. Weil linksfahrende Radfahrer an Knotenpunkten generell gefährdet sind, sollen an Kreisverkehren bevorrechtigte Zweirichtungsradwege nur in Verbindung mit einer besonderen Hervorhebung (Beschilderung, Markierung, farbliche Hervorhebung der Furt oder Teilaufpflasterung) eingerichtet werden.

Bild 8: Radverkehrsführung an einem Knotenpunktarm mit straßenbegleitenden Radwegen

Bild 9: Radverkehrsführung mit abgesetztem Radweg

2.5    Führung der Fußgänger

Überquerungsstellen für Fußgänger sollen künftig grundsätzlich als Fußgängerüberwege (Zeichen 293 StVO „Zebrastreifen“) ausgebildet werden, um eine eindeutige und allgemein verständliche Regelung des Vorrangs zu erzielen. Dies gilt auch für Überquerungsstellen an Minikreisverkehren, wo die Fußgängerüberwege zusätzlich zur besseren Erkennbarkeit des Knotenpunktes dienen (Bilder 10 und 11). Damit ist auch gewährleistet, dass die Vorrangregelung für Fußgänger mit der des parallel geführten Radverkehrs übereinstimmt.

Bild 10: Fußgängerüberweg an einem Minikreisverkehr

Bild 11: Fußgängerüberweg an einem kleinen Kreisverkehr

2.6      Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV)

Kreisverkehre gelten in der Regel als nicht sehr ÖPNV-freundlich. Hauptargumente sind die schwierige Befahrbarkeit für Linienbusse mit dem zweifachen Richtungswechsel, der für stehende Fahrgäste nicht gerade komfortabel ist, sowie die Schwierigkeiten, Busse an den Knotenpunkten zu beschleunigen.

Um die Befahrbarkeit eines Kreisverkehrs für Linienbusse zu erleichtern, sollen beim Entwurf keine Mindestmaße verwendet werden. Auch die Notwendigkeit eines gepflasterten Innenrings, der das Überholen von Radfahrern und das schnelle Durchfahren von Pkw verhindern soll, ist zu prüfen, da ein rauer Innenring ebenfalls zu Komfortverlusten im Busverkehr führen kann.

In der Praxis haben sich bei Linienbusverkehr Minikreisverkehre bewährt, da im Gegensatz zu kleinen Kreisverkehren mit sehr kleinen Entwurfselementen durch die Überfahrbarkeit der Kreisinsel eine deutlich verbesserte Befahrbarkeit erzielbar ist. Allerdings sollte auch bei Linienbusverkehr an Minikreisverkehren nicht auf einen Höhenunterschied zwischen der Kreisfahrbahn und der überfahrbaren Kreisinsel verzichtet werden. Empfohlen wird eine Kreisinsel, die durch einen etwa 4 bis 5 cm hohen Bord eingefasst ist und sich deutlich von der Kreisfahrbahn abhebt. Um Probleme mit der Befahrbarkeit zu vermeiden, wird auf die früher übliche Überwölbung der Kreisinsel verzichtet.

Die besonderen Möglichkeiten zur Führung des ÖPNV (Busse und Straßenbahnen) in Kreisverkehren waren Gegenstand einer Forschungsarbeit von Lagemann und Topp [11]. Insbesondere die Vorschläge zur Beschleunigung der Linienbusse an Kreisverkehren haben Eingang in das neue Merkblatt gefunden. Zur Beschleunigung der Linienbusse sind in der Regel Bussonderfahrstreifen notwendig, die auf eine Rückstaulänge von 90 % bemessen werden sollen. Die Bussonderfahrsteifen sollen vor dem Kreisverkehr mit dem Fahrstreifen für den Kraftfahrzeugverkehr zusammengeführt werden, um eine zweistreifige Knotenpunktzufahrt zu vermeiden. Als besonders vorteilhaft hat sich die Einführung des Fahrstreifens des Kraftfahrzeugverkehrs in den rechts davon liegenden Bussonderfahrstreifen herausgestellt (Bild 12, sogenannte Leverkusener Lösung), da der Bus beim Fahrstreifenwechsel dann bevorrechtigt ist.

Auf die Möglichkeit der Teilsignalisierung zur Beschleunigung des Linienbusses ohne bauliche Maßnahmen wird im Merkblatt ebenfalls verwiesen (Bild 13).

Bild 12: Bussonderfahrstreifen bei einstreifiger Kreiszufahrt

Bild 13: Teilsignalisierung an einem Kreisverkehr zur Beschleunigung des ÖPNV

Insgesamt wurden fast sämtliche Empfehlungen der in den letzten Jahren zur Verkehrssicherheit und zum Verkehrsablauf an Kreisverkehren durchgeführten Forschungsprojekte im neuen Merkblatt berücksichtigt. Das neue Regelwerk gibt somit den aktuellen Stand der Erkenntnisse in Wissenschaft und Praxis wieder.

 

3   Ausblick

3.1    Einordnung in das neue Regelwerk

Das neue „Merkblatt für die Anlage von Kreisverkehren“ berücksichtigt die künftige Neugliederung des entwurfstechnischen Regelwerkes mit den umfassenden „Richtlinien für die Anlage von Landstraßen“ (RAL) [2] sowie „Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen“ (RASt) [3] und beschränkt sich weitgehend auf Entwurfshinweise. Vor dem Hintergrund der mit dem Merkblatt konkurrierenden Werke der Länder (z. B. Leitfaden in Hessen [12]) sowie der neuen Broschüre des ADAC [13], die auf der Entwurfsebene mit den Regelungen des Merkblattes weitgehend übereinstimmt, erscheint die Beschränkung auf Entwurfshinweise nicht praxisgerecht. Die RASt wird zwar im Frühjahr diesen Jahres erscheinen, die RAL wird aber wohl noch ein bisschen auf sich warten lassen. Auf absehbare Zeit wird es deshalb, was die Abgrenzung mit anderen Knotenpunktarten angeht, noch viele offene Fragen geben.

Zumindest bei der vergleichenden Bewertung von Einzelknotenpunkten werden Kreisverkehre wegen der unbestreitbaren Vorteile häufig die bevorzugte Knotenpunktart sein. Die häufigere Anwendung von Kreisverkehren auch auf Bundesstraßen wird in einer Veröffentlichung von Dreiucker und Weidmann, zwei Mitarbeitern des Bundesrechnungshofes gefordert [14]. Maßgebend hierfür sind primär wirtschaftliche Überlegungen.

Der Anwendung auf bedeutenden Bundesstraßen stehen derzeit noch die Einsatzgrenzen im Entwurf der RAL [2] entgegen, die die Anwendung von Kreisverkehren auf Straßen der Entwurfsklasse 3 beschränken wollen. Bei höherrangigen Straßen sollen Kreisverkehre nach den RAL nicht angewendet werden, weil der Verkehrsablauf auch im Vergleich zu einem Knotenpunkt mit Lichtsignalanlage durch einen Kreisverkehr zu stark beeinträchtigt würde, eine Auffassung, die nicht durch veröffentlichte Forschungsergebnisse abgesichert ist und auch der praktischen Erfahrung widerspricht. Die bei Lichtsignalanlagen theoretisch mögliche Priorisierung der höherrangigen gegenüber der nachgeordneten Straße wird zumindest im höheren Belastungsbereich durch die den tatsächlichen Verkehrsanteilen entsprechende Zuteilung der Freigabezeiten in der Praxis widerlegt.

Bei niederrangigen Straßen der Entwurfsklasse 4 soll der Kreisverkehr nach dem Entwurf der RAL ebenfalls nicht angewendet werden, weil er zu aufwendig sein soll – obwohl gerade bei diesen Straßen in der Vergangenheit häufig Unfallschwerpunkte durch die Anlage von Kreisverkehren beseitigt werden konnten. Beide Einschränkungen erscheinen deshalb wenig plausibel und bedürfen noch der weiteren Abstimmung.

Kritisch beurteilt wird die Anwendung von Kreisverkehren innerorts von den Interessenvertretern der blinden und sehbehinderten Verkehrsteilnehmer. Aufgrund der Ergebnisse eines Forschungsprojektes zur barrierefreien Gestaltung von Kreisverkehren nennt Rebstock [15] ein differenziertes Anforderungsprofil an die Gestaltung von Kreisverkehren. Viele der dort genannten Anforderungen sind im Merkblatt berücksichtigt, beispielsweise die Forderung, generell Fußgängerüberwege in den Knotenpunktzufahrten einzurichten, immer Fahrbahnteiler anzuwenden oder an den Überquerungsstellen immer einen 3 cm hohen Bord vorzusehen. Andere Forderungen, wie den grundsätzlichen Verzicht auf Radwege an Kreisverkehren, stattdessen soll immer die Führung des Radverkehrs auf der Fahrbahn angewandt werden, erscheinen hingegen zu einseitig abgewogen. Unbestreitbar ist aber, dass die Anforderungen blinder und sehbehinderter Verkehrsteilnehmer von Knotenpunkten mit Lichtsignalanlage besser berücksichtigt werden können als von Kreisverkehren.

3.2      Wie wird es weitergehen?

Das neue Merkblatt wird dazu beitragen, dass sich der kleine Kreisverkehr weiter als ganz normale Knotenpunktform etablieren wird. Der kleine Kreisverkehr bekommt aber innerorts Konkurrenz durch Minikreisverkehre, die ebenfalls sehr sicher sind, verkehrlich häufig völlig ausreichen und die wirtschaftlichere Alternative sind.

Die übermäßige Anwendung von Kreisverkehren kann zu einer verkehrlich unerwünschten Flut von Kreisverkehren mit einer starken Relativierung der Netzhierarchie führen. Die sachgerechte, das heißt auch strecken- und netzbezogene Abwägung der Knotenpunktart bleibt deshalb eine wichtige Aufgabe der entwurfbearbeitenden Ingenieurinnen und Ingenieure.

Sind größere Kapazitäten erforderlich als die im Merkblatt definierten zweistreifig befahrbaren Kreisverkehre bieten und soll eine Signalisierung des Knotenpunktes vermieden werden, betreten wir – zumindest in Deutschland – weitgehend Neuland. Über „Turbokreisverkehre“ mit Kapazitäten bis 40 000 Kfz/24 h, einer Vorsortierung in den Kreiszufahrten und Schwellen auf der Kreisfahrbahn, die unerlaubte Fahrstreifenwechsel verhindern sollen, wird von Hansen und Fortuijn aus den Niederlanden berichtet [16]. Durch die konsequente Trennung der Fahrstreifen sollen auch zweistreifige Kreisausfahrten sehr verkehrssicher zu betreiben sein (Bilder 14 und 15).

Bild 14: Turbokreisverkehr in den Niederlanden mit baulich unterstützter Vorsortierung.

Bild 15: . und baulicher Trennung in der Kreisfahrbahn

Auch in Deutschland wird bereits vorsichtig mit „Turbokreiseln“ [17] experimentiert. Liegen positive Erfahrungen vor, werden diese Lösungen bei der nächsten Überarbeitung des Merkblattes berücksichtigt.

 

Literaturverzeichnis

  1. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV): Merkblatt für die Anlage von Kreisverkehren, Ausgabe 2006, Köln 2006
  2. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV): Richtlinien für die Anlage von Landstraßen (RAL), Diskussionsstand 2006
  3. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV): Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt), Entwurf 2006
  4. Meewes, V.: Sicherheit von Landstraßen-Knotenpunkten – Teile 1, 2, 3. Straßenverkehrstechnik 4, 5, 6/2003
  5. Bösl, B.: Wie sicher sind Kreisverkehrsplätze? Straßenverkehrstechnik 7/2006
  6. Ingenieurgemeinschaft Schnüll Haller und Partner: Verkehrssimulation für den Knotenpunkt Herrenstraße/Marktstraße in Harsefeld, Hannover 2005
  7. Brilon, B.; Bäume r, H.: Überprüfung von Kreisverkehren mit zweistreifig markierter oder einstreifig markierter, aber zweistreifig befahrbarer Kreisfahrbahn, Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 876, Bonn 2004
  8. Brilon, W.; Bäumer, H.: Kompakte zweistreifig befahrbare Kreisverkehre, Straßenverkehrstechnik 7/2004
  9. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV): Kleine zweistreifig befahrbare Kreisverkehre, FGSV-Arbeitspapier Nr. 51 neu, Köln 2004
  10. Alrutz, D.; Haller, W.; Lange, J.; Stellmacher -Hein, J.: Fußgänger- und Radverkehrsführung an kleinen Kreisverkehrsplätzen, Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 793, Bonn 2000
  11. Topp, H.; Lagemann, A.: Führung des ÖPNV in kleinen Kreisverkehren, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft V95, Bergisch Gladbach 2002
  12. Hessisches Landesamt für Straßen- und Verkehrswesen: Leitfaden zur Qualitätssicherung bei Planung, Bau und Betrieb von Kreisverkehren, Wiesbaden 2005
  13. Allgemeiner Deutscher Automobil-Club e.V. (ADAC): Der Kreisverkehr. Ein ADAC-Leitfaden für die Praxis, München 2005
  14. Dreiucker, E., Weidmann, T.: Kleine Kreisverkehrsplätze – Eine vernachlässigte wirtschaftliche und verkehrssichere Knotenpunktvariante an außerörtlichen Bundesstraßen, Straßenverkehrstechnik 12/2005
  15. Rebstock, M.: Barrierefreie Gestaltung von kleinen und Mini-Kreisverkehrsplätzen, Straßenverkehrstechnik 7/2006
  16. Hansen, A.; Fortuijn, G.H.: Steigerung der Leistungsfähigkeit und Sicherheit von mehrspurigen Kreisverkehrsplätzen durch Spiralform, Straßenverkehrstechnik 1/2006
  17. Brilon, W., Bäumer, H.: Diskussionsbeitrag zu Steigerung der Leistungsfähigkeit und Sicherheit von mehrspurigen Kreisverkehrsplätzen durch Spiralform, Straßenverkehrstechnik 6/2006