FGSV-Nr. FGSV 002/123
Ort Kassel
Datum 19.03.2019
Titel Vorstellung des DWA-Merkblattes 119 "Risikomanagement in der kommunalen Überflutungsvorsorge" und Praxisbeispiele in der Anwendung
Autoren Dr.-Ing. Marko Siekmann
Kategorien Kommunal
Einleitung

Nach Durchführung eines Gelbdruckverfahrens im Rahmen der DWA-Regelwerksarbeit (DWA, Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V.) wurde im November 2016 das DWA-Merkblatt 119 „Risikomanagement in der kommunalen Überflutungsvorsorge für Entwässerungssysteme bei Starkregen“ veröffentlicht. Das DWA-Merkblatt 119 nutzt die Begriffe Gefährdungsanalyse, Schadenspotenzialanalyse und Risikoanalyse, um darauf aufbauend die Methodik eines Risikomanagements zu erläutern. Den Schwerpunkt des Merkblattes bildet die Beschreibung der Verfahren zur Gefährdungsanalyse. Die Kategorisierung der Starkregen erfolgt nach Bemessungsregen, seltenen und außergewöhnlich Starkregen. Während die Anpassung der Siedlungsentwässerung an zunehmende Bemessungsregen durch den Abwasserbeseitigungspflichtigen selbst erfolgen muss, kann eine Anpassung an seltene und außergewöhnliche Starkregen nur als kommunale Gemeinschaftsaufgabe erfolgen. Dabei werden Straßen als Notabflusswege oder öffentliche Freiflächen zur Zwischenspeicherung von Wassermengen eingesetzt. Zu guter Letzt sind Objektschutzmaßnahmen auch durch die betroffene Bürgerschaft erforderlich, um die Folgen von Überflutungen nach außergewöhnlichen Starkregenereignissen zu begrenzen.

PDF
Volltext

Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Grundlagen zum DWA Merkblatt 119

Die Diskussion um die Auswirkungen des Klimawandels und die notwendigen Anpassungsmaßnahmen ist nicht nur in der Fachöffentlichkeit, sondern auch in der Öffentlichkeit allgegenwärtig. Dies wird durch die starke mediale Präsenz städtischer Sturzfluten weitergehend forciert. Aufgrund der prognostizierten Klimaveränderungen verbunden mit einer zunehmenden Häufigkeit von extremen Starkniederschlägen ist mit einer Zunahme von Überflutungsereignissen in besiedelten Räumen zu rechnen (Bild 1). Ebenso häufen sich längere Hitzeperioden mit andauernden Trockenzeiten.

Bild 1: Überflutung des Straßenraums nach sommerlichem Starkregenereignis, Stadt Bochum 

Aus diesem Grund sind Möglichkeiten zu suchen, urbane Infrastruktursysteme an die erwarteten Folgen des Klimawandels anzupassen. Dazu müssen Vorgehensweisen entwickelt werden, die es erlauben, die wachsende Gefährdung und verbunden hiermit das steigende Risiko von Überflutungen darzustellen und zu bewerten.

In einem zweiten Schritt müssen nachhaltige Lösungen gefunden werden, welche nicht nur die wasserwirtschaftlichen Belange berücksichtigen, sondern die vielmehr einen integralen Ansatz zwischen Stadtplanung, Straßenplanung und -bau, Siedlungsentwässerung und Bürgerschaft verfolgen, um geeignete Anpassungsmaßnahmen umsetzen zu können. Dieses Vorgehen wird mit dem Planungsideal der Wassersensiblen Stadtentwicklung umschrieben (KlimaNet, 2010; Siekmann, 2015).

Im DWA-Merkblatt 119 werden methodische Ansätze vorgestellt, wie das Risiko gegenüber starkregenbedingten Überflutungen ermittelt und dargestellt werden kann (DWA, 2016; Krieger et al., 2017). Das Merkblatt setzt dabei auf ein dreistufiges Verfahren zur Risikobestimmung, bestehend aus

– einer Gefährdungsanalyse zur Darstellung des Ausmaßes von Überflutungen,

– einer Schadenspotenzialanalyse, um das Schadensausmaß betroffener Risikoobjekte darstellen zu können,

– und in einem dritten Schritt der Überlagerung von Gefährdungsanalyse und Schadenspotenzialanalyse zur Ermittlung des eigentlichen Risikos.

Dieses Vorgehen wird in den folgenden Abschnitten erläutert. Im Weiteren werden Anpassungsmaßnahmen vorgestellt, die eine Anpassung der Siedlungsentwässerung an die erwarteten Folgen des Klimawandels im Sinne eines Überflutungs- bzw. Risikomanagements ermöglichen. Diese Anpassungsmaßnahmen werden zum Schluss mit konkreten Planungen aus Bochum weiter illustriert.

1.1 Gefährdungsanalyse

Die Siedlungsentwässerung kennt schon seit vielen Jahren Berechnungsverfahren, wie die Kanalisation bemessen und anschließend mit Hilfe modelltechnischer Ansätze nachgewiesen werden kann. Hierbei kommen im Rahmen der Generalentwässerungsplanung Modelle zum Einsatz, die aufbauend auf den physikalischen Grundgleichungen der Bewegungs- und Kontinuitätsgleichung (dem sogenannten St. Venant‘schen Gleichungssystem) die Abflüsse und Wasserstände innerhalb der Kanalisation (eindimensional, kurz 1D) detailliert berechnen können. Diese Modelle werden auch hydrodynamische Kanalnetzberechnungsmodelle genannt.

Bei Überlastungen des Entwässerungssystems werden die aus dem Kanalnetz an den Schächten austretenden Wassermengen meist in m³ ausgewertet. In diesem Fall findet ein Überstauereignis statt.

In den vergangenen rd. 15 Jahren wurden weitere Verfahren marktreif entwickelt, wie diese Überstauwassermengen auf der Oberfläche weiter betrachtet werden können. Verschiedene Programmentwickler haben dazu Berechnungs-Software-Produkte am Markt platziert. Über die Auswertung der Fließwege mit Hilfe von GIS-Verfahren (reine Fließwegeverfolgung, Mulden-Senken-Analyse u. w.) bis zur detaillierten gekoppelten Berechnung der Kanalnetzabflüsse in 1D und der Berechnung der Ausbreitung der Abflüsse auf der Oberfläche mit Hilfe von 2D Verfahren (Flachwassergleichungen mit 2 dimensionaler Betrachtung der Fließrichtung entsprechend des Energiegefälles). Hierzu werden detaillierte Digitale Gelände Modelle als Berechnungsgrundlage verwendet, die heutzutage flächendeckend zur Verfügung stehen (auch Digitale Gelände Modelle, Digitale Oberflächenmodelle, Stadtmodelle). Die unterschiedlichen Berechnungsverfahren werden im Bild 2 gruppiert nach dem Detaillierungsgrad und Aufwand des Berechnungsverfahrens zusammenfassend aufgelistet.

Bild 2: Methodische Ansätze der Gefährdungsanalyse (Krieger et al., 2017) 

Zur Kategorisierung der zu berechnenden Starkregenereignisse führt das DWA-Merkblatt 119 die Begriffe Bemessungsregen, seltene und außergewöhnliche Starkregen ein (DWA, 2016). Diese anschaulichen Begriffe sollen insbesondere der einfacheren Kommunikation der Ereignisse dienen, um nicht mit statistischen Auswerteverfahren den Begriff Starkregen zu „verschleiern“. Zur weiteren Vertiefung dieser Begriffe und der jeweiligen Zuständigkeiten bezüglich von Anpassungsmaßnahmen wird auf Abschnitt 1.3 dieses Beitrages verwiesen.

Dennoch sind auch den im DWA-Merkblatt 119 eingeführten Begrifflichkeiten statistische Wiederkehrzeiten für die Ereigniskategorien zugeordnet worden, die im Folgenden aufgelistet sind:

– Bemessungsregen, statistische Wiederkehrzeit TN 1 – 5 Jahre,

– seltene Starkregen, statistische Wiederkehrzeit TN 5 – 30 Jahre,

– außergewöhnliche Starkregen, statistische Wiederkehrzeit TN > 30 Jahre.

Dabei wird von Starkregen gesprochen, wenn ein Niederschlagsereignis statistisch seltener als einmal im Jahr auftritt. Die üblichen Dauern der relevanten Niederschlagsereignisse im Bereich der Siedlungsentwässerung liegen dabei im Allgemeinen zwischen 15 Minuten und 2 Stunden.

Mit Hilfe der vorgestellten Berechnungsverfahren lassen sich für die unterschiedlichen Starkregenkategorien Starkregengefahrenkarten erstellen. Das Bild 3 zeigt eine Starkregengefahrenkarte für den Lastfall „außergewöhnliche Starkregen“. In der Darstellung werden die berechneten Wassertiefen auf der Oberfläche in die Bereiche <10 cm, 10-30 cm, 30-50 cm und >50 cm unterteilt. Werden diese Starkregengefahren entsprechend den Wasserständen an den betroffenen Risikoobjekten, hier der Bebauung, verbal klassifiziert, kann eine Einteilung der Überflutungsgefahr zwischen gering bis sehr hoch erfolgen. Diese Einstufungen der Überflutungsgefahr können dann in der weiteren Bewertung des Überflutungsrisikos genutzt werden (vgl. Abschnitt 1.2).

Bild 3: Ergebnisdarstellung zur Überflutungssimulation mit Hervorhebung der Gebäudebetroffenheit, Lastfall „außergewöhnlicher Starkregen“ (in DWA, 2016) 

1.2 Analyse des Schadenspotenzials und Risikoanalyse

Während die Gefährdungsanalyse auf physikalisch begründeten Berechnungsverfahren basiert, bedarf die Analyse des Schadenspotenzials betroffener Risikoobjekte meist umfangreicher manueller Auswertungen. Das DWA-Merkblatt 119 unterscheidet hier in flächenbezogene Ansätze und in eine detaillierte Analyse (Bild 4). Die grundlegenden Daten für eine flächenbezogene Auswertung des Schadenspotenzials stehen jedoch selten zur Verfügung. Einfache funktionale Zusammenhänge zwischen Wasserstand und potenzieller Schadenshöhe liefern hier nur ungenaue Ergebnisse und sind großen Unsicherheiten unterworfen.

Bei wenigen betroffenen Risikoobjekten kann eine detaillierte Aufnahme des Schadenspotenzials erfolgen. So kann auf das Überflutungsrisiko für diese Objekte geschlossen werden. Für eine stadtweite detaillierte Schadenspotenzialanalyse fehlt es jedoch meist an den Grundlagen bzw. an den Ressourcen, diese zu erheben.

Bild 4: Gestufte Methodik zur Ermittlung des Schadenspotenzials mit Objekten der Betrachtung und Ergebnisdarstellung (in DWA, 2016) 

Das DWA-Merkblatt 119 schlägt deshalb ein vereinfachtes Verfahren der Schadenspotenzialanalyse vor, das wiederum auf die einfachen Begriffe „geringes“ bis „sehr hohes“ Schadenspotenzial je nach betroffenen Risikoobjekt bzw. Schadenspotenzialklasse setzt (Tabelle 1).

Tabelle 1: Beispiel einer Klassifizierung des Schadenspotenzials nach der Nutzungsart des Gebäudes (DWA, 2016)  

Durch Überlagerung des Schadenspotenzials und der Einstufung der Überflutungsgefährdung kann nach Bild 5 das Überflutungsrisiko eingestuft werden. Handlungsbedarf zur Reduzierung des Überflutungsrisikos besteht insbesondere dort, wo ein hohes bzw. sehr hohes Überflutungsrisiko ermittelt wird.

Für den Lastfall Bemessungsregen sollte dann die Reduzierung des Überflutungsrisikos durch Reduzierung der Überflutungsgefährdung herbeigeführt werden. Bestenfalls werden bei dieser Ereigniskategorisierung Überstauereignisse und somit Überflutungen gänzlich vermieden. Für die Lastfälle seltene und außergewöhnliche Starkregen kann eine Reduzierung des Überflutungsrisikos hingegen durch Reduzierung der Überflutungsgefahr (geringere Wassertiefen am Risikoobjekt, gezielter Objektschutz) oder durch Reduzierung des Schadenspotenzials (z. B. Räumung von Kellerräumen, Heizung und E-Technik auf dem Dachboden) herbeigeführt werden. Eine vollständige Vermeidung der Überflutung ist vermutlich für diese Lastfälle nicht möglich. 

Bild 5: Beispiel zur verbalen Verknüpfung der Bewertungen „Überflutungsgefährdung“ und „Schadenspotenzial“ zum „Überflutungsrisiko“ (DWA, 2016)

1.3 Die Überflutungsvorsorge als kommunale Gemeinschaftsaufgabe

Die Anpassung der Siedlungsentwässerung an die Folgen des Klimawandels und hier insbesondere an zunehmende Starkregenereignisse kann nur auf einer gemeinschaftlichen Handlung aller betroffenen Akteure beruhen. Die DWA schuf hier schon früh den Begriff der Kommunalen Gemeinschaftsaufgabe (Bild 6).

Der Abwasserbeseitigungspflichtige (ausgeführt durch die Tiefbauämter oder Entwässerungsbetriebe bei ausgegliederten Betriebsformen) ist für die Planung, den Bau und den Betrieb der Kanalisation zuständig. Vor allem Regenwasserrückhaltebecken (RRB) sind geeignet, überschüssiges Wasser zwischen zu speichern, wenn die Kanalisation die anfallenden Abflüsse nach einem Starkregenereignis nicht mehr vollständig abführen kann. Das Ziel ist ein überstaufreier Betrieb des Kanalnetzes. Hierzu gehören das Kanalnetz selbst sowie die Sonderbauwerke der Stadtentwässerung. Diese Anlagen werden für bestimmte Bemessungsereignisse ausgelegt. Dementsprechend können bei einem seltenen oder außergewöhnlichen Starkregen die Anlagen der Stadtentwässerung nicht mehr alleine die Aufgaben übernehmen, die Folgen von Starkregen zu reduzieren bzw. schädliche Folge gänzlich zu vermeiden. Der Ausbau des Kanalnetzes für seltene bzw. außergewöhnliche Starkregen ist weder technisch möglich noch finanziell sinnvoll. Das Kanalnetz wird bei diesen Starkregenereignissen also überlastet.

Deshalb ist es erforderlich, bei selten auftretenden Starkregen die Folgen von Überflutungen zu minimieren. Hier können Notabflusswege im Straßenraum oder Überflutungsflächen in Grünflächen geeignete Lösungen sein, um die Folgen von Überflutungen zu reduzieren oder schädliche Folgen gänzlich zu vermeiden (Siekmann, 2016). Im Fokus der Suche möglicher Flächen für ein Überflutungsmanagement stehen hier Flächen der öffentlichen Hand.

Bei außergewöhnlichen Starkregen, umgangssprachlich auch als Jahrhundertregen bezeichnet, muss ein Objektschutz besonds exponierter Risikoobjekte die Maßnahmen zum Überflutungsmanagement unterstützen. Sind Überflutungen unvermeidlich, sollten zumindest die Folgen der Überflutungsereignisse auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Personenschäden sind unter allen Umständen zu vermeiden. Als letzte Maßnahmen können die Maßnahmen der Verhaltensvorsorge im Starkregenfall genannt werden, um betroffene Bürger und Bürgerinnen im Umgang mit den Folgen bei Starkregenereignissen zu schulen. Der Gang in den Keller oder das Öffnen von Schachtabdeckungen des Kanalnetzes kann bei derartigen Starkregenereignissen lebensgefährlich sein. 

Bild 6: Überflutungsvorsorge als kommunale Gemeinschaftsaufgabe (in DWA, 2016)

Das Bild 7 gibt einen Überblick über das vollständige Portfolio von Maßnahmen, mit dessen

Hilfe ein Überflutungsmanagement gelingen kann. Neben den Maßnahmen im Kanalnetz wird der Fokus auf die Bereiche

– infrastrukturbezogene Maßnahmen,

– gewässerbezogene Maßnahmen,

– flächenbezogene Maßnahmen,

– objektbezogene Maßnahmen und,

– verhaltensbezogene Maßnahmen gelegt. 

Bild 7: Maßnahmenkategorien zur Prävention starkregenbedingter Risiken (in DWA, 2016)

1.4 Risikokommunikation und Öffentlichkeitsarbeit

Die Wahrnehmung eines Überflutungsmanagements als kommunale Gemeinschaftsaufgabe bedarf einer umfangreichen Risikokommunikation. Die Anliegen hierbei liegen in der Aufklärung aller Akteure und in der konkreten Information zu den Folgen von Starkregen und den umzusetzenden Maßnahmen (DWA, 2016). Das Bild 8 zeigt den Risikomanagementkreislauf im Zusammenhang mit einem urbanen Überflutungsmanagement. Die Risikokommunikation nach Überflutungsereignissen, aber auch nach Planungen und der theoretischen Aufarbeitung des potenziellen Überflutungsrisikos wird hier in exponierter Stelle benannt.

Bild 8: Zyklus des kommunalen Risikomanagements Überflutungsschutz (in DWA, 2016) 

Die Zielgruppen für eine Risikokommunikation sind

– die Kommunalpolitik und entsprechende Funktionsträger,

– kommunale Fachplaner, Ämter und Betriebe,

– Straßenbaulastträger und Verkehrsbetriebe,

– Grundstückseigentümer und Kanalanschlussnehmer und

– die Bevölkerung, also die Öffentlichkeit (DWA, 2016).

Ein erster Schritt für eine breite Beteiligung der Öffentlichkeit ist die Publikation von Starkregengefahrenkarten, um die Folgen von Starkregenereignissen darzustellen und eine Vorsorge sowohl im öffentlichen Bereich wie auch im privaten Bereich zu ermöglichen. Beispiele derartiger Veröffentlichungen sind im Internet zu finden (z. B. Unna, www.starkgegenstark-regen.de).

Verschiedene Bundesländer fördern die Erstellung derartiger Starkregengefahrenkarten. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dazu die Arbeitshilfe kommunales Starkregenrisikomanagement veröffentlicht, in der sowohl die Vorgehensweise zur Erstellung derartiger Gefahrenkarten sowie der nachfolgenden Risikoanalyse erläutert, wie auch die Möglichkeiten zur Förderung vorgestellt (MULNV NRW, 2018).

Ergänzend ist es wichtig, die Bürgerschaft mit dieser Information nicht alleine zu lassen. Hier sind entsprechende Beratungsangebote zu machen, den betroffenen Bürger zur Interpretation der Kartenwerke zu unterstützen und auch bei der Umsetzung von konkreten Schutzmaßnahmen für betroffene Liegenschaften zu beraten. Sogenannte Starkregenberater können diese Aufgabe übernehmen, die entweder in der Kommune selbst oder in beratenden Ingenieurbüros tätig sein können. Entsprechende Fortbildungsangebote zur Ausbildung von Starkregenberatern wurden von verschiedenen Bildungsträgern entwickelt.

Zum Schluss bedarf es auch innerhalb der Verwaltungen einer Kommunikationsstrategie, um die Überflutungsvorsorge im Sinne der kommunalen Gemeinschaftsaufgabe in allen betroffenen Bereichen der Verwaltung als festen Bestandteil von Planung und Umsetzung zu verankern. Die Festlegung eines „Kümmerers“ kann hier einen Beitrag liefern. Dabei muss die Aufgabe des Kümmerers nicht zwingend im Bereich der Stadtentwässerung festgesetzt werden (KlimaNet, 2010). 

2 Überflutungsmanagement in Bochum

In den vergangenen Jahren war auch die Stadt Bochum von den Folgen von Starkregen betroffen. Im Folgenden werden Maßnahmen erläutert, die im Zusammenhang mit der Umsetzung eines Überflutungsmanagements in Anlehnung an das DWA-Merkblatt M-119 in Bochum ergriffen wurden. 

2.1 Starkregengefahrenkarte und Publikation der Ergebnisse

Als Schlüsselelement für eine Umsetzung wassersensibler Maßnahmen bzw. Prozesse wurde auch in der Stadt Bochum eine möglichst breit angelegte Kommunikationsstrategie identifiziert. Nur wenn es gelingt, neben den fachlich beteiligten Akteuren auch die Zivilgesellschaft in die Entscheidungsprozesse mit einzubinden, können Maßnahmen der wassersensiblen Stadtentwicklung realisiert werden.

Dazu wird in Bochum eine Starkregengefahrenkarte (Entwurf, Bild 9) für das gesamte Stadtgebiet erarbeitet. Diese soll nach Fertigstellung zunächst im Intranet allen beteiligten Akteuren der Verwaltung, anschließend aber auch in einem Internetportal der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Mit einer Veröffentlichung der Karte wird im ersten Halbjahr des Jahres 2019 gerechnet.

Bild 9: Entwurf der Starkregengefahrenkarte für Bochum und die APP FloodCheck (EG)

Weitere Möglichkeiten zur Publikation von Starkregengefahrenkarten bestehen beispielsweise über die APP FloodCheck (Emschergenossenschaft EG, Bild 9), die für das Betriebssystem Android über den Play Store (© Google) installiert werden kann. Auch hier engagiert sich die Stadt Bochum gemeinsam mit weiteren Städten im Emschereinzugsgebiet sowie der Emschergenossenschaft in der Weiterentwicklung der APP. Ziel der APP ist es, neben der reinen Information zu möglichen Überflutungsrisiken auch gleich ein Beratungsangebot für betroffene Hausbesitzer zu bieten. Ebenso bietet die APP ein Register möglicher Starkregenberater. 

2.2 Überflutungsmanagement, Bochum Steinzeitweg

Wie sehen integrale wasserwirtschaftliche Projekte aus, die sowohl Aspekte der baulichen Sanierung der Kanalisation berücksichtigen, wie auch ein kommunales Überflutungsmanagement antizipieren? Oft sind es einfache kleine Projekte.

Am Beispiel des Steinzeitweges in Bochum Harpen wurde trotz des Vollausbaus der Straße auf eine geschlossene Sanierung der Kanalisation (Inliner) gesetzt, obwohl entsprechend der hydraulischen Bewertung eine Vergrößerung der Kanalisation angezeigt war. Dennoch erfolgte kein Neubau der eigentlichen Kanalisation (Mischwasserkanal). In der gesamtheitlichen Bewertung der Kanalisation wurde diese Überlastungssituation dem gewählten Renovationsverfahren verbunden mit Maßnahmen zum Überflutungsmanagement untergeordnet. Im gezeigten Ausbauzustand werden die anfallenden Regenwasserabflüsse über den Straßenkörper oberflächig der unterhalb gelegenen Speicherkaskade in einem Grünzug zugeführt (Bild 10). Die Straße wurde anstatt des Ausbaus in einem Dachprofil als V-Profil mit Mittelrinne ausgeführt.

Durch gute Abstimmung der Baumaßnahme zwischen den Abteilungen Straßenbau und Entwässerung des Tiefbauamtes konnte so eine nachhaltige Lösung gefunden werden, die den Randbedingungen des Überflutungsschutzes wie des Straßenbaus gerecht wird. Durch Einbindung des Umwelt- und Grünflächenamtes konnte innerhalb der städtischen Grünfläche eine Mulde zum Rückhalt der Abflüsse nach Starkregenereignissen geschaffen werden.

Bild 10: Kommunales Überflutungsmanagement, Bochum Steinzeitweg

Das Beispiel zeigt, dass trotz baulicher Sanierungserfordernis der Kanalisation auf einen Neubau und eine Vergrößerung der hydraulischen Kapazität verzichtet werden kann, wenn zeitgleich die Möglichkeiten zum Überflutungsmanagement in oftmals wenig spektakulären Bauweisen genutzt werden können. Der ausreichende Überflutungsschutz im direkt anliegenden Bereich kann auch für den Lastfall seltene Starkregen eingehalten werden. Ergänzend werden weiter unterhalb liegende Bereiche durch die Zwischenspeicherung der Abflüsse deutlich entlastet.

2.3 Lenkung von Abflüssen im Straßenraum

Das letzte hier gezeigte Beispiel kommunalen Überflutungsmanagements ist ein Maßnahmenbündel, das in einem bekannten Überflutungsschwerpunkt im Bochumer Norden umgesetzt wurde. Exemplarisch werden zwei der umgesetzten Maßnahmen skizziert. Nach seltenen und außergewöhnlichen Starkregen kam es im betrachteten Gebiet immer wieder zu schweren Überflutungsschäden. Als Anpassungsmaßnahme in einem Trog in der Alten Werner Straße wurden großformatige Abflussrinnen (Nennweite 500mm/500mm) installiert (Bild 11). Der Straßendamm östlich der Alten Werner Straße wurde mit einem großformatigen Kanal im geschlossenen Vortrieb durchfahren, so dass Überflutungswassermengen sich nicht mehr in dem abflusslosen Trog sammeln können. Für die Umsetzung war die Nutzung privater Flächen notwendig. Die Maßnahme wurde in Abstimmung mit den betroffenen Bürgern durchgeführt und durch Öffentlichkeitsveranstaltungen unterstützt.

Bild 11: Alte Werner Straße, Stadt Bochum, Abflussrinnen längs zum Straßenquerschnitt (Quelle: Joachim Haenisch, www.waz.de, Zugriff 2.1.2017) 

Am Tiefpunkt des gleichen Einzugsgebiets sammelten sich nach Starkregenereignissen ebenfalls Wassermengen und überfluteten die nördlich des Harpener Hellwegs gelegenen Flächen. Um dies zu vermeiden, wurde im Rahmen einer Kanalbaumaßnahme das Quergefälle der Straße gekippt. Die Trassierung der Kurve erfolgt nun nicht mehr dynamisch, vielmehr wird das Straßenquergefälle nach außen geneigt (graue Fläche). Anfallende Überflutungswassermengen können so über eine Absenkung im Bordstein in den südlich der Straße gelegenen Grünzug abfließen.

Nach Umsetzung der gezeigten Maßnahmen fanden in diesem Bereich keine Überflutungsereignisse mehr statt. 

Bild 12: Harpener Hellweg, Stadt Bochum, Nutzung des Quergefälles der Straße zum Überflutungsmanagement und Ableitung der Abflüsse über eine Bordsteinabsenkung in einen Grünzug 

2.4 Die Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt von Morgen“

Im Mai 2014 wurde zwischen den Emscherkommunen, dem NRW-Umweltministerium und der Emschergenossenschaft die Absichtserklärung zur Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt von Morgen“ unterzeichnet (Becker et al., 2017). Das Bild 13 zeigt die prinzipielle Architektur der Zukunftsinitiative, die insbesondere auf ein gemeinsames Handeln der interkommunalen Akteure setzt. Die Stadt Bochum ist aktives Mitglied der Zukunftsinitiative. Neben den zentralen Arbeitsgruppen (Expertennetzwerke) spielt hier der Erfahrungsaustausch in dem jährlich stattfindenden Expertenforum sowie in den einzelnen Stadt-Foren ein entscheidendes Erfolgskriterium. In den unterschiedlichen Expertennetzwerken werden Arbeitshilfen und Vorgehensweisen erarbeitet, die den integralen Projektansatz der Wassersensiblen Stadtentwicklung unterstützen. Hierarchie übergreifende Arbeitsgruppen der Dezernenten der Emscherstädte sowie Arbeitsgruppen auf der Arbeitsebene entwickeln gemeinsam Lösungen, wie integrale wasserwirtschaftliche Projekte initiiert und daraufhin erfolgreich umgesetzt werden können.

Bild 13: Architektur der Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt von Morgen“

Im Sinne des DWA-Merkblattes M-119 versucht die Stadt Bochum auch auf diesem Wege, die Umsetzung integraler Projekte für ein Überflutungsmanagement zu ermöglichen und die Abstimmung der interkommunalen Akteure weiter zu optimieren. Das jährlich stattfindende Expertenforum hat inzwischen zum vierten Mal unter Beteiligung von ca. 250 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Verwaltungen (alle Städte im Einzugsgebiet der Emscher) mit unterschiedlichen fachlichen Ausrichtungen stattgefunden. Das erste Stadt-Forum der Stadt Bochum ist für den Sommer 2019 in Planung.

3 Fazit

Das DWA-Merkblatt 119 stellt dar, wie eine Risikoabschätzung gegenüber den Folgen von auftretenden Starkregenereignissen und verbunden hiermit ein Risiko- und Überflutungsmanagement erfolgen kann. Über eine Gefährdungsanalyse können die Folgen von Starkregenereignissen dargestellt werden. Mit Hilfe einer Schadenspotenzialanalyse erfolgt dann die Ermittlung des Risikos für betroffene Risikoobjekte, bei Überflutungsereignissen Schaden zu nehmen. Der Bedarf zur Durchführung einer derartigen Risikoanalyse wird in Zeiten des Klimawandels weiter zunehmen. Ebenso steigt der Bedarf an der Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen zur Vermeidung von Überflutungsschäden.

Das DWA-Merkblatt 119 empfiehlt, dass eine Anpassung der Siedlungsentwässerung nicht alleine durch den Abwasserbeseitigungspflichtigen erfolgen kann. Anpassungsmaßnahmen im Sinne einer kommunalen Gemeinschaftsaufgabe sind dann auch Lösungen, die auf die Nutzung von Verkehrsflächen oder anderen öffentlichen Freiflächen setzen. In der Stadt Bochum wurden erste Maßnahmen dazu umgesetzt, die zeigen, dass eine Anwendung des DWA-Merkblattes 119 in der Praxis möglich ist.

Literaturerzeichnis

B e c k e r M.; F a l k C.; S i e k m a n n M.; S c h u m a c h e r R. (2017): Integrale Planung, Spielraum für neue Ideen, Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt von morgen“ setzt auf neue Ideen. planerin 1_17, S. 54 – 55, Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung SRL e.V., Berlin 2017

DWA (2016): DWA-Merkblatt 119 Risikomanagement in der kommunalen Überflutungsvorsorge für Entwässerungssysteme bei Starkregen. DWA, Hennef, November 2016

KlimaNet – Wassersensible Stadtentwicklung (2010): Abschlussbericht des Verbundvorhabens Wassersensible Stadtentwicklung – Maßnahmen für eine nachhaltige Anpassung der regionalen Siedlungswasserwirtschaft an Klimatrends und Extremwetter, Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Abschlussbericht Phase II, Förderkennzeichen 01 LS 05017 A-C, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, Ruhr Universität Bochum, Universität Duisburg Essen, TIB-Hannover, Signatur F 11 B 1397, Aachen 2010

K r i e g e r K.; S c h m i t t, T. G.; I l l g e n M. (2017): Risikomanagement in der kommunalen Überflutungsvorsorge nach DWA-Merkblatt 119. Ansätze zur Anpassung kommunaler Entwässerungssysteme an zukünftige Starkregen, gwf Wasser-Abwasser, Vulkan-Verlag GmbH, Essen 2017

MULNV NRW (2018): Arbeitshilfe kommunales Starkregenrisikomanagement. Hochwasserrisikomanagementplanung in NRW, Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2018

S i e k m a n n M. (2015): Eine Strategie zur Anpassung der Siedlungsentwässerung an die Auswirkungen des Klimawandels. Aachener Schriften zur Stadtentwässerung, Heft 19, ISBN 978-3-938996-75-1, Aachen 2015