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1 Beschreibung des Carsharing-Systems und des zugrunde liegenden Datensatzes
Car-Sharing-Anbieter in Deutschland erfreuen sich zunehmender Beliebtheit und erlangen mehr und mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. So beziffert der Bundesverband CarSharing die Anzahl der Mitglieder in einem Carsharing-Unternehmen zu Beginn des Jahres 2013 auf 453 000 Personen (siehe WAGNER 2013, [1]). Obwohl Car Sharing bereits seit Jahrzehnten existiert, kam der Durchbruch mit der Einführung der sogenannten Free Floating Car Sharing (FFCS). Im Gegensatz zum stationsbasiertem Car-Sharing kann das gemietete Fahrzeug an einem beliebigen Ort im Geschäftsgebiet abgestellt werden und ermöglicht somit one-way-Fahrten.
Im vom BMU geförderten Projekt WiMobil (kurz für "Wirkung von E-Car-Sharing-Systemen auf die Mobilität in urbanen Räumen") ist unter anderem die Untersuchung der Buchungsdaten von einem Free-Floating Car-Sharing-Anbieter in Berlin und München vorgesehen. In dieser Arbeit sollen erste Erkenntnisse über das Nutzungsverhalten von Car-Sharing-Fahrzeugen präsentiert werden. Neben zeitlichen und räumlichen Analysen wurde auch eine Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Buchungshäufigkeit und soziodemografischen Daten vorgenommen.
Die verwendeten Daten stammen aus dem Zeitraum von November 2011 bis Oktober 2012. In diesem Zeitraum gab es einen starken Kundenzuwachs, da das System erst seit kurzer Zeit in den Städten etabliert war.
Beim FFCS steht die spontane Nutzung im Vordergrund, so dass eine Buchung des Fahrzeugs nur für die kommenden 15 Minuten möglich ist. Da die Miete nicht an einer bestimmten Station anfangen und aufhören muss, sind GPS-Koordinaten des Start- und Endpunkts im Datensatz vermerkt. Abgerechnet wird ausschließlich nach der Anzahl der Fahrminuten; die Entfernung spielt keine Rolle. Da das Fahrzeug aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht permanent geortet werden darf, ist ein Tracking der Fahrt nicht möglich. Möchte ein Nutzer das Fahrzeug abstellen, die Fahrt jedoch bald fortsetzen, so kann er das Fahrzeug in den Parkmodus versetzen. Damit bleibt das Auto für ihn reserviert, der Minutenpreis liegt jedoch ein Drittel unter dem Minutenpreis im Fahrmodus. Eine Information, wo das Fahrzeug geparkt wurde, wird nicht gespeichert. Lediglich die Dauer des Parkens wird aufgezeichnet.
2 Auswertung der empirischen Daten
2.1 Zeitliche Analyse
Die erste Untersuchung befasst sich mit den zeitlichen Buchungsverläufen. Dazu wurden die Anzahl der Buchungsstarts pro Stunde aufsummiert. Klar deutlich wurde - besonders in Berlin - ein positiver linearer Trend, der schlichtweg dadurch zustande kam, dass sowohl die Anzahl der Kunden als auch die der zur Verfügung stehenden Fahrzeuge im beobachteten Zeitraum stetig gestiegen sind. Zweckmäßigerweise wurde deswegen die Anzahl der Buchungen pro Stunde mit der Kunden- und Fahrzeuganzahl normiert. In Bild 1 ist der Verlauf der normierten Buchungshäufigkeiten über den untersuchten Zeitraum hinweg dargestellt. Es ist ersichtlich, dass es sowohl saisonale als auch wöchentliche Trends gibt.
Bild 1: Berlin – Verlauf der normierten Buchungshäufigkeiten im Zeitraum Nov. 2011 bis Okt. 2012
Bild 2: Tagesganglinie für Berlin und München werktags (blau) und am Wochenende (rot)
Die quantitative Untersuchung der Werte brachte folge drei Ergebnisse zu Tage:
• In den Wintermonaten gibt es mehr Buchungen als in den Sommermonaten.
• Nicht an alle Wochentage wird gleich häufig gebucht. Es zeichnet sich ein Unterschied zwischen Wochentagen und Wochenenden ab. Dabei sind letztere durchschnittlich stärker frequentiert.
• Auch über den Tag verteilt zeigt sich keine gleichverteilte Buchungsverteilung. Es gibt wochentags morgens wie spätnachmittags Buchungsschwerpunkte und ein vermehrtes Buchungsaufkommen am Abend zwischen 18h-24h, welches besonders stark an Wochenende ausgeprägt ist. Aus diesen Feststellungen ergeben sich Fragestellungen, von denen einige im Folgenden beantwortet werden sollen:
• Hat das Wetter einen entscheidenden Einfluss auf die Nutzung von Carsharing-Fahrzeugen?
• Die Wochen- und Tagesganglinien werfen die Frage nach dem Fahrtzweck auf. Wer nutzt also Carsharing und wofür?
Während der Einfluss der Wetterumstände sich objektiv durch das Betrachten historischer Wetterdaten bemessen lässt, ist die Frage nach dem Nutzungsgrund einer Fahrt nur indirekt aus den Buchungsdaten ersichtlich. Eindeutig kann jedoch beantwortet werden, in welchen Stadtbezirken der Anbieter viele Buchungen zu verzeichnen hat. Mit Hilfe einer Typisierung der Bezirke kann man so auch auf positive Einflussfaktoren des FFCS schließen.
Die besten Hinweise auf den vermuteten Fahrtzweck einer Fahrt erhält man, indem man die Buchungen auf zeitlicher Ebene betrachtet. Die unterschiedliche Buchungsfrequenz über die Woche hinweg deutet auf verschiedene Nutzungsgründe hin. Nahezu konstant wird an Wochentagen gebucht, zum Wochenende hin dagegen finden mehr Buchungen statt. Interessanterweise verläuft die Buchungsstärke am Sonntag wie an einem gewöhnlichen Wochentag, der Freitag weist dagegen deutlich mehr Buchungen auf als ein anderer Wochentag.
Ein Blick auf den Tagesverlauf der Buchungsfrequenzen zeigt den Grund für diese Auffälligkeit: Ein Großteil der Buchungen findet am Freitag- und Samstagabend statt. Diesen abendlichen Buchungsschwerpunkt gibt es jeden Abend, doch fällt er an diesen zwei Tagen besonders stark aus.
Die zwei Spitzen morgens und spätnachmittags sind dem Berufsverkehr zuzuordnen. Am Abend hingegen werden die meisten Fahrten zu Freizeitaktivitäten genutzt, wie aus dem MID-Ergebnisbericht ersichtlich ist (siehe MID, [2]). Folglich kann dies auch als ein wesentlicher Nutzungszweck des FFCS genannt werden.
Die zeitlichen Auffälligkeiten gelten sowohl für Berlin als auch für München. In den USA scheint es hingegen einen anderen Nutzungszweck des FFCS zu geben. Einer Studie aus den USA zufolge (siehe KORTUM et al. 2012, [3]) sind die Buchungszahlen zwischen 8h und 18h auf annähernd konstant hohem Niveau mit einer Spitze zur Mittagszeit, während sie anschließend konstant abfallen. Freizeitaktivitäten als Nutzungsgrund für FFCS-Fahrten scheinen in den USA eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. Für stationsbasiertes Carsharing wurde von Cervero in CERVERO ([4]) ein Buchungsschwerpunkt am Nachmittag zwischen 15 - 18h identifiziert. Die Fahrzwecke wurden in dieser Studie mittels einer Umfrage ermittelt. „Freizeit“ nannten 34% der Personen, gefolgt von „persönlichen Geschäften“ (25%) und Fahrten nach Hause (22%).
Die Nutzungszahlen aus den USA deuten daraufhin, dass FFCS dort eher als ergänzendes Fortbewegungsmittel zu einem eigenen PKW genutzt wird. In Deutschland lassen die Buchungszahlen jedoch eher den Schluss zu, dass ein nicht geringer Anteil an Kunden keinen Zugang zu einem PKW im eigenen Haushalt hat.
2.2 Räumliche Analyse
Betrachtet man die räumliche Verteilung der Buchungsstarts (und -enden), so kommt man zu dem nicht überraschenden Ergebnis, dass CS-Fahrten dort anfangen (und aufhören), wo städtisches Leben stattfindet. In Berlin zeichnet sich eine polyzentrische Verteilung ab; in München spiegelt sich das monozentrische Stadtbild in den Daten wider (siehe SCHMÖLLER et al. 2013, [5], S.11). Eine Besonderheit in München ist, dass die Fußgängerzone in der Innenstadt nicht Teil des Geschäftsgebiets ist und folglich keine ordnungsgemäßen Buchungen dort starten können. Auch nicht unerhebliche Teile Schwabings nordwestlich der Innenstadt sind wegen Anwohnerparken nicht als Parkfläche für FFCS-Fahrzeuge freigegeben.
Als erste Erkenntnis kann also festgehalten werden, dass in Stadtteilen, in denen es ein sehr gutes ÖV-Angebot gibt, auch FFCS gut angenommen wird. Menschen sind in diesen Gegenden multimodal unterwegs. Intermodales Mobilitätsverhalten ist hingegen auf der zugrunde liegenden Datenbasis schwer feststellbar. Ein vermehrtes Buchungsaufkommen in der Nähe von U- und S-Bahnhöfen ist zumindest nicht ersichtlich. Es ist auch nicht anzunehmen, dass Fahrgäste des ÖV ein FFCS-Auto mieten, um zum nächsten Bahnhof zu gelangen. Zum einen erreichen laut Angaben der Münchner Verkehrsgesellschaft 94,5% der Fahrgäste ihre Einstiegshaltestelle zu Fuß (siehe FIEDLER 2013, [6], Seite 45) und zum anderen bieten die meisten Bahnhöfe keinen ausreichenden Parkraum in der Nähe. Darüber hinaus verursacht eine CS-Fahrt zusätzliche Kosten von ca. 0.30€/min, die bei der Anfahrt mit Bus und Tram nicht anfallen. Auch die durchschnittliche Buchungsdauer von ca. 30 Minuten (Berlin: 30,36min, München: 35,63 min) und die dabei zurückgelegte Strecke von durchschnittlich 9 km (Berlin: 8,57 km, München 9,64km) spricht nicht für eine ausgeprägte Intermodalität der FFCS-Kunden.
2.3 Raumzeitliche Analyse
Da bei der zeitlichen Analyse sich bereits abzeichnete, dass FFCS zu unterschiedlichen Fahrtzwecken genutzt wird, drängt sich unweigerlich die Frage auf, ob dies auch auf der räumlichen Ebene sichtbar wird. Bild 3 zeigt die Verteilung der Buchungsstarts zur morgendlichen Spitze werktags zwischen 9-10 Uhr und andererseits am Wochenende zwischen 21-22 Uhr. Es zeigt sich, dass räumliche Schwerpunktgebiete erhalten bleiben, an diesen jedoch zu unterschiedlichen Zeiten verschieden stark gebucht wird.
Bild 3: Berlin - Kerndichteschätzung über die Buchungsstarts FFCS werktags 9-10h (links), Wochenende 21-22h, schwarze Punkte: U-Bahn-Stationen, schwarz-umrahmt ist das Gebiet Prenzlauer Berg
Der Grund, dass es nicht zu einer weitaus stärkeren Verschiebung der Buchungsschwerpunkte kommt, liegt in der durchmischten Stadtstruktur. Sowohl Unternehmen als auch Orte für Freizeitaktivitäten sind räumlich nicht klar getrennt, sondern liegen oft dicht beieinander.
Außerdem muss berücksichtigt werden, dass FFCS zwar als vollflexibel gilt, aber es in der Natur des Systems liegt, dass Fahrzeuge nur an Orten verfügbar sind, an denen ein Kunde vorher seine Fahrt beendet hat. So ist es vorstellbar, dass Kunden nach Feierabend die Autos in Stadtvierteln platzieren, die in den Abend- und Nachtstunden schwach frequentiert sind. Gleichzeitig würden Kunden gerne in abends stark nachgefragten Gebieten ein FFCS-Fahrzeug nutzen, können es aber aufgrund des fehlenden Angebots nicht. Das Resultat, dass man den Buchungsdaten entnehmen kann, ist folglich immer ein praktisch vorhandenes Ergebnis, das aber nicht unbedingt die theoretische Nachfrage und damit mögliches Potential widerspiegelt. Hier könnten Reallokationen eine Möglichkeit des Anbieters sein auf Nachfragen optimaler einzugehen (siehe Weikl 2013, [7]).
3 Externe Einflüsse und soziodemografische Analyse
Wurde im ersten Teil dieses Artikels eine Antwort auf die Frage, wann und wo FFCS gut funktioniert, beantwortet, indem Buchungsdaten deskriptiv analysiert wurden, so soll nun eine normative Erklärung gefunden werden.
Zu diesem Zweck wurden zwei Datensätze in Korrelation mit den Buchungsdaten gesetzt:
• Wetterdaten: Dieser Datensatz beinhaltet folgende vier Faktoren auf Stundenbasis: Temperatur [°C], Sonnenschein [min], Niederschlag [mm], Windstärke [Bft]. Das Wetter kann zeitlich eine Erklärung für unterschiedliche Buchungsfrequenzen liefern.
• infas-Geodaten. Die Stadt wird in bevölkerungshomogene Wohnquartiere eingeteilt. Für jedes Wohnquartier werden verschiedene soziodemografische und -ökonomische Daten erhoben. Unter der Vielzahl an Variablen sollen diejenigen ausfindig gemacht werden, die einen signifikanten Einfluss auf die Buchungsdaten haben. Die Geodaten liefern somit räumlich eine Erklärung für die unterschiedlichen Buchungsfrequenzen.
3.1 Zeitliche Einflüsse – Wetterdaten
Die zur Rate gezogenen Wetterdaten stammen aus der Hand des Deutschen Wetterdienstes. Zum Vergleich mit den Buchungsdaten wurden in Berlin Daten aus der Station in Berlin-Tegel ausgewertet, in München die der Wetterstation am Flughafen. Bereits hier ist ersichtlich, dass die zur Verfügung stehenden Daten in Berlin auf Grund der Position der Wetterstation besser zu verwerten waren.
Die Vermutung liegt nahe, dass FFCS bei „schlechtem Wetter“ häufiger genutzt wird als an „Schönwettertagen“. Eine genaue Definition von schlechtem Wetter existiert nicht, da es sich um eine subjektive Meinung handelt. Dennoch kann man einschätzen, wann man eher dazu geneigt ist, ein Auto für seinen Weg als Fortbewegungsmittel zu nehmen. Für die vorgenommene Analyse wurden folgende Szenarien als „Schlechtwetterlage“ angesehen:
• Temperatur: o Winter (Dezember, Januar, Februar) < -2°C o Frühling (März, April, Mai) < 5°C o Sommer (Juni, Juli, August) < 15°C o Herbst (September, Oktober, November) < 5°C
• Niederschlag pro Stunde > 0,5 mm
• Windstärke > 3 Bft.
Diese Festlegungen orientieren sich an Angaben des Deutschen Wetterdienstes. Demnach sind oben angegebene Temperaturen für die jeweilige Jahreszeit „kalt“ (Winter, Frühling, Herbst) oder „sehr kühl“ (Sommer) (siehe [8]). Niederschläge von mehr als 0.5mm kann man als mäßigen oder starken Niederschlag werten und Windstärken von 4 Bft. oder mehr sind mäßige oder stärkere Winde (siehe [9]).
Falls mindestens einer dieser Bedingungen für die jeweilige Stunde im Untersuchungszeitraum zutraf (logisches UND/ODER), wurde die neue binäre Dummy-Variable „Schönwetter“ auf „0“ gesetzt.
Anschließend wurden die Buchungen pro Stunde kumuliert und mit der Dummy-Variable „Schönwetter“ verknüpft. Die Anzahl der Buchungen wurde im Folgenden nach Stunden und Monat unterschieden aufaddiert und mit der Anzahl der Schönwettertage (pro Monat und pro Stunde) normiert. Es wurde dabei nur der Zeitraum zwischen 6h und 24h betrachtet. In der einen Spalte ist somit die Verteilung der Buchungszahlen über den Tag zu „Schönwetterstunden“, in der anderen die Verteilung zu „Schlechtwetterstunden“ aufgelistet. Als sinnvoll erwies sich eine Unterscheidung nach Stunden.
Tabelle 1: T-Werte, Freiheitsgrade und p-Werte des t-Tests, Teststatistik: Buchungen an Schlechtwettertagen (normiert) – Buchungen an Schönwettertagen (normiert)
Mittels des gepaarten zweiseitigen t-Tests lässt sich testen, ob diese Verteilungen abhängig voneinander sind oder sich signifikant unterscheiden. Die p-Werte der Tests sind in Tabelle 1 aufgelistet.
Es ist ersichtlich, dass zwischen 18.00h und 19.59h die p-Werte beim t-Test sehr gering sind. Mit einer Wahrscheinlichkeit von ungefähr 95% gibt es zu diesen Tageszeiten bei schlechtem Wetter mehr Buchungen als an Tagen mit schöner Wetterlage.
Eine Erklärung dieses Ergebnisses ist, dass während des Berufsverkehrs unternommene Fahrten gleich welche Wetterlage vorherrscht unternommen werden. Nach Feierabend jedoch ist man bei schlechtem Wetter eher dazu bereit den zu unternehmenden Weg mit dem Auto zurückzulegen.
3.2 Räumliche Einflüsse – soziodemografische Daten
Carsharing-Nutzer sind nach Aussagen des Geschäftsführers der Stadtmobil Rhein-Ruhr GmbH Kall Besserverdiener, die das Auto nicht mehr als das Statussymbol schlechthin betrachteten (siehe [10]). Ähnlich sieht es der Geschäftsführer von DriveNow Schaaf. Er charakterisiert seinen durchschnittlichen Kunden als „modernen, aufgeschlossenen Menschen um die 30, der an Innovationen interessiert ist“ (aus [10], S.2). Eine aus diesen Aussagen ableitbare Hypothese ist, dass FFCS besonders in Stadtgebieten funktioniert, in denen der Anteil dieser Personengruppen besonders hoch ist.
Bild 4: normierte Buchungsstarts aggregiert über die Wohnquartiersstruktur in Berlin (oben) und München (unten). Das Geschäftsgebiet spart die Münchner Altstadt aus, dennoch kommt es vereinzelt zu Buchungsenden- und starts in diesem Gebiet
Als Basis wurden soziodemografische und sozioökonomische Daten der infas geodaten GmbH aus dem Jahr 2012 verwendet. Die erhobenen soziodemografischen Merkmale wurden über eine eigens dafür entworfene räumliche Struktur zellenweise kumuliert (siehe Bild 4). Diese Wohnquartiere sind so gewählt, dass sie sich zwar flächenmäßig zum Teil erheblich unterscheiden, von den Einwohnern jedoch eine homogene Einheit bilden. Anschließend wurden die Anzahl der gesamten Buchungen pro Wohnquartier gezählt. Dieser Wert wurde mit den vorliegenden soziodemografischen Daten auf Korrelationen hin untersucht. Von den Buchungsdaten wurden allerdings nur die Fahrten genommen, die von "'heavy usern"' durchgeführt wurden. Die Unterscheidung zwischen Viel- und Wenignutzern erwies sich auch in der Arbeit von MORENCY als sehr hilfreich (siehe MORENCY 2011, [11]). Zur Charakterisierung der "'heavy user"' wurden die Nutzer zunächst absteigend nach der Häufigkeit ihrer Buchungen sortiert. Anschließend wurden diejenigen Nutzer ausgewählt, die zu mehr als 80% der Gesamtfahrten beigetragen haben. In Berlin wurden somit nur Fahrten von Nutzern mit mehr als 19 Fahrten, in München nur Fahrten von Nutzern mit mehr als 15 Fahrten untersucht. Grund für diese Spezifikation war, dass zur Typisierung des Nutzers nur möglichst CS-affine Personen betrachtet werden sollten. Die erste festgestellte Auffälligkeit war, dass FFCS besonders gut in Wohnquartieren funktioniert, in denen der Anteil der Menschen im berufstätigen Alter hoch ist. In Untersuchungen von STEININGER aus dem Jahr 1996 (siehe STEININGER, [12]) wurde festgestellt, dass die meisten CS-Nutzer zwischen 25 und 45 Jahren alt sind. Dieses Altersspektrum hat sich nach oben erweitert. Allerdings zeigt sich für Berlin und München kein homogenes Bild.
In Tabelle 2 sind für die untersuchten Car-Sharing-Angebote die Trends der Scatterplots zwischen Anteil der jeweiligen Altersgruppe und Buchungshäufigkeit pro Wohnquartier aufgeführt. In Berlin funktioniert FFCS tendenziell besser in Wohnquartieren, in denen mehr Menschen zwischen 6-14 Jahren und 40-54 Jahren wohnen. Dies sind typischerweise Wohngebiete, in denen Familien mit schulpflichtigen Kindern wohnhaft sind. In München zeigt sich hier ein Unterschied: Positiv wirkt sich hier nur ein erhöhter Anteil von 25-49 Jährigen auf die Anzahl der Buchungen aus. In Gebieten mit Kindern funktioniert FFCS tendenziell schlechter, so dass davon ausgegangen werden kann, dass Familien mit Kindern in München diese Form des Car-Sharing eher nicht nutzen. Auch im Zusammenhang mit der deutlich höheren Kaufkraft pro Person in München kann vermutet werden, dass der Besitz eines Autos für diese Personengruppe als wahrscheinlicher gilt.
Tabelle 2: Trenduntersuchung zwischen Altersstruktur und Buchungsanzahl im jeweiligen Wohnquartier
Tabelle 3: Wichtigste Einflussgrößen für die Anzahl an Buchungen im FFCS in Berlin und München. Die R2 -Werte gelten jeweils für das kumulierte lineare Modell mit allen darüberstehenden Einflussgrößen.
Auf der Suche nach anderen wichtigen soziodemografischen Einflussvariablen wurde mittels eines linearen Regressionsmodells identifiziert, welche Variablen den größten Einfluss auf die Buchungszahlen haben. In Tabelle 3 sind für Berlin und München jeweils die fünf erklärungsstärksten Variablen aufgelistet. In Berlin können mit den ersten fünf Variablen bereits 70% der Daten erklärt werden. Der auffälligste lineare Zusammenhang ist dabei zwischen Buchungsanzahl und Anzahl an Dienstleistungen mittlerer Größe auszumachen. Mit dieser Einflussgröße ist die Anzahl an mittelgroßen Restaurants, Cafés, Einzelhandelskaufhäusern und ähnlichen gemeint. Dass diese Variable erheblichen Einfluss hat, zeigt, dass nicht nur die Altersstruktur vor Ort eine Rolle spielt, sondern auch, ob Orte vorhanden sind, die attraktiv für das öffentliche Leben in der Stadt sind.
In München fällt der Wert des R2 deutlich geringer aus. Auch ist die Korrelation mit einigen Variablen wie z.B. „Entfernung Flughafen“ als eine Scheinkorrelation zu werten. Da das Stadtzentrum Münchens selbst nicht Teil des Geschäftsgebiets ist und es auch sonst viele Sperrzonen für das Parken von FFCS-Fahrzeugen gibt, ist eine lineare Regression in diesem Fall kein geeignetes Mittel, um unterschiedliche Buchungsfrequenzen zu erklären.
Als entscheidender scheint hier schlichtweg die Verfügbarkeit von Parkplätzen zu sein. Diese ließe sich durch die Länge der Straßenzüge messen. Eine ebenfalls untersuchungswerte Einflussgröße ist der Parkdruck in der jeweiligen Region. Da Parkraumbewirtschaftung nur in Gebieten mit nachweislich hohem Parkdruck durchgeführt werden kann, wäre die Höhe der Parkgebühren eine quantitative Größe für den vorherrschenden Parkdruck, die in Korrelation mit den Buchungszahlen gesetzt werden kann.
4 Zusammenfassung
Die Einflussgrößen der Nutzung von FFCS lassen sich in zwei Gruppen aufteilen. Auf der einen Seite stehen die räumlichen Variablen, auf der anderen die zeitlichen Größen.
Free Floating Car Sharing funktioniert in Gegenden, in denen öffentliches Leben stattfindet. Die Buchungsschwerpunkte von FFCS-Fahrzeugen befinden sich somit in der Nähe von Orten mit einer hohen Dichte an Restaurants und anderen öffentlichen Einrichtungen für Freizeitaktivitäten. Je weiter man sich an den Rand der Stadt oder des Geschäftsgebiets begibt, desto seltener findet man ein CS-Fahrzeug vor.
Auch die zeitliche Betrachtung der Buchungen lässt auf eine vermehrte Nutzung des flexiblen Carsharings im Freizeitbereich schließen. Damit unterscheidet sich FFCS deutlich vom stationsbasierten, klassischen Carsharing, das man in der Regel gezielt für mehrere Stunden einige Tage im Voraus bucht.
Die Flexibilität des Systems hat auch zur Folge, dass in Zeiten von Wetterverhältnissen, bei denen man sich nicht gerne im Freien aufhält, eine höhere Buchungsfrequenz bemerkbar ist. Dieses Plus an Buchungen wird besonders nach dem Berufsverkehr abends deutlich erkennbar.
5 Literatur
5.1 Zeitschriftenartikel
[1] WAGNER, M. (2013): Pressemitteilung Bundesverband CarSharing: Jahresbilanz 2012: So viel CarSharing wie noch nie
[3] KORTUM, K., MACHEMEHL, R.: Free-floating Carsharing Systems: Innovations in membership prediction, mode share, and vehicle allocation optimization methodologies, Center for Transportation Research, University of Texas at Austin, Diss., 2012
5.2 Onlineressourcen
[2] MiD: Mobilität in Deutschland 2008, www.mobilitaet-in-deutschland.de
[8] DEUTSCHER WETTERDIENST, Formulierung zu den Wetterelementen „Temperatur“, „Niederschlag“, „Bewölkung“ in den Wetterberichten, aufrufbar unter http://www.deutscher- wetterdienst.de/lexikon/download.php?file=Wetterelemente_Formulierungen.pdf
[9] DEUTSCHER WETTERDIENST, Erläuterungen zur Beaufort-Skala, aufrufbar unter http://www.dwd.de/bvbw/appmanager/bvbw/dwdwwwDesktop?_nfpb=true&_pageLabel=dwdwww_menu2_wetterlexi kon&_nfls=false
[10] BERNDT, M.: Das Ruhrgebiet stellt Carsharer vor Probleme. In: DIE ZEIT vom 12.12.2013, online aufrufbar unter http://www.zeit.de/mobilitaet/2013-12/carsharing-ruhrgebiet
5.3 Beiträge aus Tagungsbänden
[4] CERVERO, R.: (2003). City CarShare: First-Year Travel Demand Impacts. In: Transportation Research Board
[5] SCHMÖLLER, S., BOGENBERGER, K. (2013): Analyzing External Factors on the Spatial and Temporal Demand of Car Sharing Systems. In: EWTG 2013
[7] WEIKL, S., BOGENBERGER, K. (2013): Relocation Strategies and Algorithms for free- floating Car Sharing Systems. In: IEEE IST Magazine
[11] MORENCY, C.; TREPANIER, M.; AGARD, B. (2011): Typology of Carsharing members. In: Transportation Research Board
[12] STEININGER, K.; VOGL, C.; ZETTL, R. (1996): Car-Sharing organizations – The size of the market segment and revealed change in mobility behavior. In: Transport Policy 3, S. 177-185
5.4 Präsentationen
[6] FIEDLER, M.: Vorlesung zu Sonderkapitel im Verkehrswesen – Förderung des Fußverkehrs, 2013 |