FGSV-Nr. FGSV 002/116
Ort Stuttgart
Datum 22.03.2017
Titel Vernetzte dezentrale Qualitätssteuerung im Öffentlichen Personennahverkehr - ein neuer Ansatz in Theorie und Praxis
Autoren Dipl.-Ing. C. Gassel, Dipl.-Ing. Steffen Dutsch, Prof. Dr.-Ing. Jürgen Krimmling
Kategorien HEUREKA
Einleitung

Die Qualität des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) wird maßgeblich durch dessen Behandlung an Lichtsignalanlagen (LSA) beeinflusst. Um fahrgastrelevante Qualitätskriterien des ÖPNV in einer LSA-Steuerung abbilden zu können, wurde seitens der Technischen Universität Dresden ein Qualitätsmanager entwickelt, welcher eine Bewertung verschiedener Freigabeoptionen aus Sicht der Pünktlichkeit des ÖPNV, der korrekten Reihung mehrerer ÖVFahrzeuge bei Einfahrt in einen gemeinsamen Abschnitt sowie der Sicherung von Anschlüssen durchführt.
Im praktischen Regelbetrieb findet der Qualitätsmanager seit 2014 im Rahmen der qualitätsgerechten LSA-Steuerung (QLSA) Verwendung. Dieses Steuerverfahren kommt auf dem 4,2 Kilometer langen Streckenzug der Nord-Süd-Verbindung in der Stadt Dresden zum Einsatz, welche mit einem DTV von knapp 50.000 Fahrzeugen und bis zu fünf parallel im ZehnMinuten-Takt verkehrenden ÖPNV-Linien eine der wichtigsten innerörtlichen Verkehrsadern repräsentiert.

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1    Problemstellung

Nach einem steilen Anstieg in den Jahren 2002 bis 2011 von 70,9 % auf 77,9 % [1] ist der mittlere Kostendeckungsgrad der im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) organisierten Nahverkehrsbetriebe wieder auf 77,0 % [2] gefallen. Einen Nettoertrag von über drei Vierteln des Aufwandes auf Dauer zu sichern, erfordert offenbar erhebliche Anstrengungen – und gebietet, die Erwartungen der Kunden immer besser zu erfüllen.

Von einem zeitgemäßen Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) erwarten die Kunden vor allem eine hohe Verbindungsqualität, insbesondere bei den Schlüsselfaktoren Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Anschlusssicherheit, zumal elektronische Auskünfte eine Präzision suggerieren, die angesichts der stochastischen Einflüsse auf den Betrieb nur schwer erzielbar ist. Insbesondere Haltestellenaufenthaltszeiten sowie interne und externe Behinderungen streuen stark. Es bedarf deshalb einer permanenten Optimierung der Qualität. Das können weder die Fahrpersonale noch die heute verfügbaren Betriebsleitsysteme leisten. Deswegen wird in Dresden ein Qualitätsmanager zur vernetzten dezentralen Qualitätssteuerung im ÖPNV entwickelt und erprobt. An geeigneten Lichtsignalanlagen (LSA) werden damit Entscheidungen dezentral getroffen und nach Abgleichen mit der Gesamtverkehrslage an das Fahrpersonal übermittelt. Dieser Qualitätsmanager wird nachstehend vorgestellt.

2    Qualitätsmanager – Funktionen und Lösungsansätze

Im Kern besteht die Aufgabe darin, die für eine kundenorientierte Steuerung einer LSA wesentlichen betrieblichen und verkehrlichen Eingangsgrößen aller relevanten Fahrzeuge des ÖPNV aggregiert zur Verfügung zu stellen. Sie umfasst

- das Ermitteln der fahrtkonkreten kombinierten Fahrplanlage aller zu beeinflussenden Fahrzeuge des ÖPNV bei Annäherung an die jeweilige LSA,

- das Bestimmen kundenrelevanter und betrieblich sinnvoller Fahrzeugreihenfolgen vor Einfahrt in einen gemeinsam zu bedienenden Streckenabschnitt sowie

- das Auswählen und Organisieren nachgefragter Anschlussbeziehungen in Abhängigkeit von Tageszeit und Wochentag.

Grundsätzlich wurde im Interesse einer rasch einführbaren praxistauglichen Lösung auf Robustheit und Parametrierbarkeit der Algorithmen Wert gelegt. Eine Weiterentwicklung in Folgeprojekten ist unter Einbeziehung der bisherigen Erfahrungen vorgesehen. Wesentliche Funktionen des Qualitätsmanagers werden nachfolgend kurz beschrieben.

2.1 Ermitteln der fahrtkonkreten kombinierten Fahrplanlage

Eine hohe Pünktlichkeit besitzt sowohl für Kunden als auch Betreiber eine zentrale Bedeutung. Für Erstere ist sie Voraussetzung für Verlässlichkeit und Anschlusssicherheit, für Letztere Grundlage effizienter interner Prozesse und somit für einen minimalen Aufwand. Erinnert sei an dieser Stelle nur daran, dass – offensichtlich unproduktive – Wendezeiten heute überwiegend dem Verspätungsausgleich dienen, da notwendige Handlungen zum Vorbereiten der Folgefahrt inzwischen weitestgehend automatisiert ablaufen und die vorgeschriebenen Pausen der Personale zunehmend außerhalb der Fahrzeuge – also unabhängig von den Wendezeiten – gewährt werden.

Deshalb sollen die öffentlichen Verkehrsmittel an LSA in Abhängigkeit von der aktuellen Fahrplanlage sowie von der Gesamtverkehrslage – anstatt nach dem heute häufigsten Prinzip First In First Out – bedient werden. Im Interesse einer hohen Gesamtqualität des ÖPNV müssen neben der aktuellen Pünktlichkeit insbesondere Folgewirkungen auf weitere Fahrten berücksichtigt werden, die vor allem durch Wendevorgänge, Anschlüsse oder Personalwechsel entstehen können. Vereinfacht geht es darum, Verspätungen in Abhängigkeit ihrer Folgen zu bewerten. Müssen Fahrgäste – bei Anschlüssen – oder müssen Ressourcen – bei Ablösungen oder an Endpunkten – auf andere Fahrten übergehen, besteht die Gefahr, dass Verspätungen auf diese anderen Fahrten übertragen werden. Diese Gefahr ist umso höher, je mehr solcher Übergänge vorgesehen und je geringer die Übergangs- oder Wendezeiten sind. Letztlich kann für jeden Zug die kürzeste Übergangs- oder Wendezeit als maßgebende Zeitreserve angesehen werden.

Die aktuelle Fahrplanlage jeder Fahrt wird deshalb in Abhängigkeit von ihrer Größe und von dieser Zeitreserve bei Bedarf modifiziert und in eine fahrtkonkrete kombinierte Fahrplanlage transformiert. Diese wird durch den Qualitätsmanager gemäß Abbildung 1 ermittelt [3]. Die Ordinate zeigt die absolute Fahrplanlage, die Abszisse die Zeitreserve.

Bild 1: Ermitteln der fahrtkonkreten kombinierten Fahrplanlage bei Taktzeit von 10 min

Verkehrt der betrachtete Zug zu früh (Bereich 0 in Abbildung 1) besteht keine Gefahr einer Verspätungsübertragung und somit kein Bedarf, die aktuelle Fahrplanlage zu modifizieren. Die kombinierte Fahrplanlage kann gleich der absoluten gesetzt werden.

Bei erheblicher Verspätung (Bereich 1) sind anderweitige dispositive Maßnahmen erforderlich. Die ohnehin hohe Verspätung muss deshalb nicht noch weiter aufgewertet werden. Es bleibt ebenfalls bei der absoluten Fahrplanlage. So kann auch verfahren werden, wenn die Verspätung eine ausreichend große verfügbare Zeitreserve nicht überschreitet (Bereich 4), da die absolute Verspätung ein hinreichend großes Gewicht besitzt.

Die Grenze, an der Verfrühungen beginnen, ist grundsätzlich frei wählbar. Aus Kundensicht sollten jedoch keinerlei Verfrühungen zugelassen werden. Die Untergrenze für erhebliche Verspätungen kann ebenfalls frei gewählt werden. Sinnvoll ist ein Wert, bei dem der vorliegende Ansatz zum Wiederherstellen der Pünktlichkeit nicht ausreicht und stattdessen dispositive Maßnahmen möglich und sinnvoll sind. In Abbildung 1 wurde ein Wert von 80% der Taktzeit, also 0,8, gewählt. Die Untergrenze für eine ausreichend große Zeitreserve kann manuell oder automatisch bestimmt werden.

Steht keine ausreichende Zeitreserve zur Verfügung (Bereiche 2 und 3), wird die absolute Fahrplanlage erhöht, um dem verspäteten Fahrzeug durch ein größeres Gewicht ein rascheres Aufholen der Verspätung zu ermöglichen. Das ist umso wichtiger, je kleiner die Zeitreserve ist, da geringe Verspätungen an sich kein großes Gewicht besitzen, durch höhere Haltestellenaufenthaltszeiten jedoch rasch anwachsen und unbeherrschbar werden können, sofern ein Abbau nicht mehr möglich ist. In Abbildung 1 geschieht das für einen Zug A von auf und für einen Zug B von auf. Ähnliche Fälle müssen dabei im Verhältnis zueinander gleich behandelt und gegenüber anders gelagerten Fällen angemessen gewichtet werden.

Deshalb werden – wie bei Zug A – die Fahrplanlagen von Fahrzeugen, deren Verspätung die Zeitreserve bereits überschritten hat, parallel zur Geraden an die Grenzen oder verschoben und entsprechend behandelt.

Der interessanteste Fall liegt bei Zug B vor. Dieser hat eine vergleichsweise geringe Verspätung, die an sich unterhalb der größten akzeptablen Verspätung von im Beispiel min liegt. Im Bereich 3 von Abbildung 1 liegt sie allerdings nahe an der Zeitreserve. Trotz absolut eher geringer Verspätung ist die relative Fahrplanlage von Zug B in Bezug auf seine Zeitreserve bedenklich. Deshalb wird für Zug B die relative Fahrplanlage maßgebend und der Wert entlang der eingetragenen Linie bis zum Schnittpunkt mit erhöht.

2.2 Bestimmen kundenrelevanter, betrieblich sinnvoller Fahrzeugreihenfolgen

Die Reihenfolge der Fahrzeuge auf gemeinsam befahrenen Streckenabschnitten ist sowohl für die Kunden als auch für den Betriebsablauf außerordentlich wichtig. Die Kunden interessiert diese genau dann, wenn sie auf einen nachfolgenden Zug umsteigen wollen. Für die Qualität des Betriebsablaufs ist die Reihenfolge entscheidend, da ein nachfahrender Zug in der Regel durch einen vorausfahrenden behindert wird. Diese Behinderung wirkt umso stärker, wenn der vorausfahrende Zug zu früh oder der nachfahrende zu spät ist. In diesen Fällen verhindert eine falsche Reihenfolge die vorstehend beschriebene qualitätsgerechte Behandlung der Züge an den nachfolgenden LSA.

Der Qualitätsmanager prüft bei der Annäherung mehrerer Züge aus unterschiedlichen Richtungen an einen Knoten, ob diese Züge in ein und denselben Streckenabschnitt einfahren sollen. Ist das der Fall, werden für jeden dieser Streckenabschnitte alle über die schaltbaren Freigabekombinationen möglichen Fahrzeugreihenfolgen anhand der vom jeweiligen Zugpaar in richtiger Reihenfolge bedienten Haltestellen paarweise bewertet.

Diese Aufgabe ist trivial, wenn aus zwei Richtungen in genau einen Streckenabschnitt definierter Länge eingefahren wird. Sie kann aber interessant werden, wenn an einem vier- oder mehrarmigen Knoten in verschiedene Streckenabschnitte unterschiedlicher Länge eingefahren werden kann, zumal von einer zufälligen Ankunftsreihenfolge der Züge auf den einzelnen Armen auszugehen ist.

2.3 Auswählen und Organisieren nachgefragter Anschlussbeziehungen

An hochbelasteten Knotenpunkten mit einer Vielzahl von Linien des ÖPNV entsteht innerhalb kurzer Zeiträume eine sehr große Zahl von Anschlüssen für die Kunden. Diese kann innerhalb einer Taktperiode die Größenordnung des Quadrates der doppelten Zahl der Linien erreichen. Deshalb müssen aus dieser sehr großen Zahl möglicher Anschlüsse diejenigen herausgefiltert und hergestellt werden, die für die Kunden verkehrlich interessant und für das Unternehmen technisch beherrschbar sind. Grundsatz sollte sein: So wenige Anschlüsse wie möglich, aber so viele wie nötig.

In komplexen ÖPNV-Netzen steht die Zahl zu erwartender Umsteiger in der Regel nicht zur Verfügung. Deshalb waren andere sinnvolle Filterkriterien zu ermitteln. Anschlüsse werden demnach durch den Qualitätsmanager ausgeschlossen, wenn

- aus baulichen oder signaltechnischen Gründen nicht eingegriffen werden kann,

-  aufgrund der Linienführung keine Umsteiger zu erwarten sind,

- das Umsteigen an einer anderen Haltestelle bequemer ist,

- die Zahl der zu überquerenden Furten an einem Knoten ein festzusetzendes Maß übersteigt und

- die planmäßige Wartezeit über einem festzulegenden Anteil der Zugfolgezeit liegt [4].

Die beiden letzten Kriterien sind gut geeignet, die ausgewählten Anschlussbeziehungen an den unterschiedlichen Bedarf in Abhängigkeit von Tageszeit und Wochentag anzupassen. Insbesondere die Zugfolgezeit ist in der Regel bereits von Tageszeit und Wochentag abhängig.

Bei Vorliegen nutzbarer Daten aus Fahrgasterhebungen können selbstverständlich Anschlüsse ausgeschlossen werden, wenn die Zahl der Umsteiger einen Schwellenwert unterschreitet.
Der Algorithmus arbeitet automatisch. Manuelle Eingriffe sind möglich und übersteuern die Automatik.

3 Umsetzung und praktische Erfahrungen

3.1 Integration in das Gesamtsystem

Die praktische Umsetzung des Qualitätsmanagers erfolgte durch die Technische Universität Dresden im Rahmen des über EFRE geförderten Projekts zur „Verbesserung der Verkehrssteuerung auf der Nord-Süd-Verbindung in der Landeshauptstadt Dresden – Umsetzungsstufe“.

Abbildung 2 visualisiert dazu die Integration des neu entwickelten Qualitätsmanagers in das Gesamtsystem der qualitätsgerechten ÖPNV-Beeinflussung (QLSA). Zum einen erhält der Qualitätsmanager sekundenfeine Ankunfts- und Abfahrtsprognosen an Haltestellen und Signalquerschnitten über das ÖPNV-Annäherungsmodell, welches über eine Anbindung an das Rechnergestützte Betriebsleitsystem der DVB die aktuellen ÖPNV-Betriebslagedaten erhält (Fahrplan, Fahrzeugpositionen etc.). Zum anderen werden dem Qualitätsmanager unter Kenntnis des momentanen LSA-Zustands potentielle zukünftige Freigabeoptionen zur Bewertung aus Sicht des ÖPNV vorgelegt.

Die vom Qualitätsmanager generierte Bewertung wiederum fließt in einen multikriteriellen Optimierungsansatz zur Auswahl des optimalen Freigabebereichs ein, welcher in Abschnitt 3.2 beschrieben wird. Neben den betrieblichen Optimierungskriterien des ÖPNV werden dabei auch die Auswirkungen auf den Motorisierten Individualverkehr berücksichtigt [5]. Zur Übermittlung der MIV-Verkehrslage stehen dem Entscheidungssystem echtzeitfähige Schnittstellen zum Dresdner Straßenverkehrsmanagementsystem VAMOS zur Verfügung [6].
Abschließend wird der berechnete optimale Freigabebereich durch eine modifizierte ÖPNV-Anmeldung an der Lichtsignalanlage realisiert und an ein Fahrerinformationssystem übergeben, welches das Fahrpersonal seit 2012 beim energie- und betriebsoptimalen Annähern an Lichtsignalanlagen unterstützt [7].

Bild 2: Einbindung des Qualitätsmanagers in die QLSA-Systemarchitektur

3.2 Auswahl des optimalen ÖV-Freigabebereichs

Das Entscheidungssystem von QLSA regelt die ÖPNV-Behandlung in den Zufahrten anhand einer fortlaufenden Überwachung der aktuellen Verkehrs- bzw. Betriebslage am Knotenpunkt. Im Rahmen einer Multifahrzeugoptimierung werden die ÖV-Fahrzeuge mikroskopisch hinsichtlich ihres Fahrverhaltens und ihrer Qualitätsanforderungen betrachtet. Dazu werden alle ÖV-Fahrzeuge in den Zufahrten betrachtet, welche innerhalb eines Prognosehorizonts von 120 Sekunden die Bereitschaft zur Querung der Haltelinie aufweisen. Für diese Fahrzeuge n werden alle Freigabeoptionen bzw. Freigabekombinationen khinsichtlich fünf Kriterien in einer multikriteriellen Kostenfunktionen bewertet:

-    Q(k)FP – Kosten für die Abweichung der tatsächlichen fahrtkonkreten kombinierten Fahrplanlage des Fahrzeuges bei Nutzung der Freigabekombination k von einer betrieblich erwünschten Fahrplanlage. Als betrieblich optimal wird eine Ist- Fahrplanlage angesehen, die der Soll-Fahrplanlage entspricht. Die Fahrplanabweichung ist in diesem Fall 0.

-    Q(k)Einf – Anzahl der realisierten korrekten Fahrzeugreihenfolgen, die vom Qualitätsmanager als betrieblich wünschenswert erachtet werden. wird nur an Knotenpunkten wirksam, an denen die Fahrzeugreihenfolge beeinflusst werden kann. Die erwünschte Reihung wird durch den Qualitätsmanager bestimmt. Wenn die gewünschte Reihenfolge durch eine Kombination von ÖV-Freigaben in verschiedenen Zufahrten erreicht wird, treten keine Kosten auf.

-   Q(k)Ansi – Anzahl der gesicherten dynamischen Anschlüsse, die vom Qualitätsmanager als betrieblich wünschenswert erachtet werden. Die erwünschten Anschlussrelationen werden durch den Qualitätsmanager bestimmt. Wenn die gewünschten Anschlussrelationen durch eine Kombination von ÖV-Freigaben erreicht werden, treten keine Kosten auf.

-    Q(k)Korr – Kosten für die Korrektur einer bereits ausgewählten ÖV-Freigabe bzw. Freigabekombination, welche schon an weitere Teilsysteme übermittelt wurde. Für nachgelagerte Systeme können LSA-Freigabeprognosen einen hohen Mehrwert generieren. Unter anderem können Informationen zum energie- und betriebsoptimalen Fahren an das Fahrpersonal weitergereicht werden. Dies wurde zum Beispiel mit dem Fahrerinformationssystem COSEL auch in der Praxis umgesetzt [7]. Bedingt durch stochastische Prozesse im Verkehrsablauf kann allerdings eine Korrektur der optimalen Freigabeauswahl auftreten. Da sich daraus jedoch auch Korrekturprozesse in den nachgelagerten Systemen ergeben würden, werden für die Korrektur der Freigabekombination Kosten in Form von erhoben.

Das fünfte Kriterium ergibt sich aus der mesoskopischen Berücksichtigung des Motorisierten Individualverkehrs:

-   Q(k)MIV – Kosten für die Beeinträchtigung der MIV-Verkehrslage (Level of Service) durch die ÖPNV-Freigabekombination. Dazu wird die vom Dresdner Verkehrsmanagementsystem VAMOS bereitgestellte, abschnittsbezogene, aggregierte Verkehrslage des MIV in Qualitätsstufen des Verkehrs herangezogen [8].

Da die fünf Kriterien für sich bereits einen miteinander konkurrierenden Charakter aufweisen, wird von einer multikriteriellen Optimierung gesprochen, welche noch durch die Multifahrzeugoptimierung überlagert wird.

Die minimalen Kosten ergeben sich für diejenige Freigabekombination k, welche den minimalen euklidischen Abstand vom Idealpunkt aufweist.

Formel (1) siehe PDF.

mit den realen Kosten der fünf Kriterien des Fahrzeugs in der Freigabekombination k

Formel (2) und (3) siehe PDF.

und dem in der Regel nicht erreichbaren Idealpunkt, welcher alle Optimierungsziele vollständig erfüllt.

Formel (4) siehe PDF.

Da das Ergebnis einer multikriteriellen Optimierung wesentlich von der Wichtung der einzelnen Gütekriterien abhängt, wurde der Wichtungsvektor eingeführt.

Formel (5) siehe PDF.

Abbildung 3 stellt die Bedeutung dieser Wichtungsfaktoren exemplarisch an zwei Dimensionen grafisch dar: Fahrplanlage und korrekte Reihenfolge. Bei einer Wichtung von erweist sich eine Freigabekombination als optimal, welche eine von zwei erwünschten Reihenfolgen erfüllt und dabei eine aggregierte Fahrplanabweichung von 0,4 min in Kauf nimmt (Abbildung 3 links).

Bild 3: Sensitivität der optimalen Lösung Q* hinsichtlich der Wahl der Wichtung

Wird hingegen der korrekten Reihung ein höheres Gewicht eingeräumt, führt die optimale Freigabekombination zwar zu einer höheren aggregierten Verspätung, kann jedoch auch beide gewünschten Reihenfolgen realisieren (Abbildung 3 rechts).

Die Parametrierung des Wichtungsvektors erlaubt zum einen die knotenpunktabhängige Festlegung von Optimierungszielen aus Sicht des ÖPNV und MIV. Zum anderen fördert die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Optimierungsziele die Akzeptanz des gesamten Optimierungsverfahrens bei den verantwortlichen Straßenbaulastträgern bzw. den Öffentlichen Verkehrsunternehmen.

3.3 Ergebnisse

Gemeinsam mit den Dresdner Verkehrsbetrieben und der Stadt Dresden wurde der 4,2 Kilometer lange Streckenzug der Nord-Süd-Verbindung (NSV) mit QLSA ertüchtigt. Diese Verkehrsader stellt mit einer durchschnittlichen täglichen Verkehrsstärke von knapp 50.000 Kraftfahrzeugen und bis zu fünf im Zehn-Minutentakt parallel verkehrenden ÖPNV-Linien den wichtigsten Streckenzug im Zentrum der Stadt Dresden dar.

Durch die qualitative Bewertung der Freigabeoptionen hat sich auf dem Streckenzug eine Verringerung der realen Fahrplanabweichung eingestellt. Die Abbildungen 4 und 5 zeigen fahrtenkonkret die Auswirkung der qualitätsgerechten ÖPNV-Bevorrechtigung unter den oben genannten Kriterien für zwei aufeinanderfolgende Kurse der Linie 3 in Richtung Coschütz.

Kurs 1 fährt bereits mit einer Verspätung von 100 Sekunden in die Nord-Süd-Verbindung am Bahnhof Neustadt (BFN) ein. Schrittweise wird die Verspätung durch gezielte Maßnahmen in den Steuerungsabläufen der befahrenen Knotenpunkte unter Berücksichtigung der MIV-Koordinierungen abgebaut. Mit Ausfahrt aus der Nord-Süd-Verbindung am Nürnberger Platz (NUP) ist die Verspätung gänzlich eliminiert.

Bild 4: Pünktlichkeitsverlauf und LSA-Verlustzeiten Linie 3 Kurs 1 auf der NSV

Im Gegensatz dazu, erfolgt die Einfahrt zur NSV durch das Folgefahrzeug mit der Kurskennung 2 pünktlich. In vergleichbaren Betriebssituationen kommt es in der Regel aufgrund der realen Zugfolgezeit von 8 Minuten statt geplanter 10 Minuten zu verkürzten Fahrgastwechselzeiten, respektive Beförderungszeiten. Entsprechend würde ohne Gegenmaßnahmen eine zunehmende Reduktion der tatsächlichen Zugfolgezeit die Folge sein (Bunching-Effekt [9]). An dieser Stelle zeigt sich die stabilisierende Wirkung des Qualitätsmanagers auf die Pünktlichkeit in der Praxis. Sowohl am Knoten Albertplatz (ALP) als auch am Georgplatz werden verspätete Fahrzeuge explizit vor das Fahrzeug der Linie 3 eingefädelt mit den positiven Effekten:

- Verfrühungsvermeidung für Linie 3 Kurs 2,

- Herstellung der korrekten Fahrzeugreihenfolge am Albertplatz und Georgplatz,

- Verspätungsabbau mehrerer konkurrierender ÖV-Fahrzeuge durch das Einfädeln sowie

- geringfügige Beeinflussung der MIV-Koordinierungen.

Neben der Stabilisierung der Fahrplanlage wurde durch QLSA auch eine grundsätzliche Verringerung der Beförderungszeiten auf der Nord-Süd-Verbindung erreicht. Daraufhin haben die Dresdner Verkehrsbetriebe im August 2015 die fahrplanmäßig hinterlegten Beförderungszeiten für die Linien 3 und 7 um drei Minuten und für die Linie 8 um eine Minute im Umlauf reduziert.

Bild 5: Pünktlichkeitsverlauf und LSA-Verlustzeiten Linie 3 Kurs 2 auf der NSV

4 Ausblick

Durch die erfolgreiche Umsetzung des Qualitätsmanagers im Gesamtsystem QLSA auf der Dresdner Nord-Süd-Verbindung ist sowohl eine räumliche als auch inhaltliche Ausweitung in den kommenden Jahren vorgesehen. Mit dem Dresdner Stadtring und der Ost-West-Verbindung werden zukünftig weitere 29 LSA-geregelte Knotenpunkten mit QLSA ertüchtigt.

Hinzu kommen qualitative Verbesserungen von QLSA, wie die Überführung einer bislang halbautomatischen in eine vollautomatische Schnittstelle zum Personaldispositionssystem, um die inzwischen vorgenommene Integration von Personalwechseln in die LSA-Ansteuerung noch zu verbessern. Zudem ist vorgesehen, Anschlüsse nicht nur signalanlagenseitig zu organisieren, sondern auch über das Fahrpersonal zu sichern und an den Fahrgast weiter zu geben. Das erfordert sowohl ein Erweitern der Fahrgast- als auch der Fahrpersonalinformation. Schließlich wirft die Möglichkeit, die Fahrplanvorgaben besser einhalten zu können, die Frage nach deren zukünftiger Genauigkeit auf.

Literatur

[1]    VERBAND DEUTSCHER VERKEHRSUNTERNEHMEN E.V. (2013). VDV-Statistik 2012. beka GmbH. Köln.

[2]    VERBAND DEUTSCHER VERKEHRSUNTERNEHMEN E.V. (2015). VDV-Statistik 2014. beka GmbH. Köln.

[3]    S. JIN (2012). Beitrag zum Ermitteln von Prioritätsstufen zur fahrtkonkreten Beeinflussung von Lichtsignalanlagen und zur Anschlusssicherung im ÖPNV. Dresden, Technische Universität. Dissertation.

[4]    S. DUTSCH UND S. JIN (2011). Inteligentní možnosti preference městské hromadné dopravy. Im Rahmen von: Mezinárodní conference Chytrá a zdravá městská verejná doprava. Proceedings. Plzeň

[5]    T. MATSCHEK, C. GASSEL UND J. KRIMMLING (2011). Cooperative traffic lights under consideration of the needs of public transport and motorized individual transport. Im Rahmen von: 8th European Congress on ITS. Proceedings. Lyon.

[6]    A. KRETSCHMER UND J. KRIMMLING (2012). The traffic management system VAMOS – from research to regular operation. Im Rahmen von: 19th World Congress and Exhibition on Intelligent Transport Systems and Services. Proceedings. Wien.

[7]    C. GASSEL, B. SCHÖNHERR UND J. KRIMMLING (2016). Einsatz von Informationssystemen zum energieeffizienten Fahren im städtischen Personennahverkehr. Im Rahmen von: 25.Verkehrswissenschaftliche Tage. Proceedings. Dresden.

[8]    M. KÖRNER (2011). Schaffung optimaler Rahmenbedingungen für die Datenfusion im operativen Straßenverkehrsmanagement. Im Rahmen von: AUTOMATION 2011. Proceedings. Baden-Baden.

[9]    G. BELLEI UND K. GKOUMAS (2010). Transit vehicles’ headway distribution and service irregularity. Springer. Heidelberg.