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1 Einführung
Ist es für die Reisenden überhaupt interessant, in welcher Linie Sie zurzeit fahren? Oder ist die geplante Ankunftszeit noch wichtig, sobald eine Verspätung vorliegt und Echtzeitinformationen Auskunft über den tatsächlichen Reiseverlauf geben? Welche Bedürfnisse bezüglich der Fahrgastinformation liegen bei den Reisenden während der Fahrt vor?
Die bisher verwendeten TFT-Bildschirme, LED-Zeilenanzeiger und Formen der akustischen Standard-Ansagen erscheinen aus heutiger Sicht nicht mehr zeitgemäß. Durch lange Vertragslaufzeiten und proprietäre Systeme wird eine einfache Umrüstung auf moderne Technik erschwert. Dabei zeigen die Entwicklungen der letzten Jahre im Bereich der Digitalisierung und derzeitige Produktideen, dass es innovative Möglichkeiten gibt, die Fahrgastinformationen zeitgemäß, fahrgastbezogen und ansprechend wiederzugeben [1]. Um diese Entwicklungen aufzugreifen und die Reisendeninformation in den Zügen der DB Regio AG zukünftig bedarfsgerecht, innovativ und flexibel zu gestalten, wurde im Rahmen der Innovationsallianz zwischen TU Darmstadt und Deutsche Bahn AG eine Projektserie ins Leben gerufen, die sich zum Ziel gesetzt hat ein Verfahren zu entwickeln, um diese Anforderungen zu erfüllen. In einem ersten Projekt wurde ein Konzept entworfen, in dem Zusammenhänge und Prozesse einer Reisendeninformation definiert wurden, die sich flexibel nach den Bedürfnissen der Kunden in einer jeweils betrachteten Situation orientieren. Auf dieser Basis wird aktuell in einer Kundenumfrage ermittelt, inwieweit getroffene Annahmen der Realität angepasst werden müssen.
2 Konzept für eine bedarfsgerechte und situationsabhängige Fahrgastinformation
Selbst dynamische Fahrgastinformation (FI) in Zügen des Regionalverkehrs basiert heute häufig noch auf festen Abläufen und manuellen Eingriffen durch Disponenten und Triebfahrzeugführer bei Abweichungen vom Regelbetrieb. Um diese Systeme weiterzuentwickeln, soll ein Verfahren entwickelt werden, das basierend auf Untersuchungen zu den Informationsbedürfnissen der Fahrgäste, eine flexible Anpassung der FI-Programme in den Fahrzeugen automatisiert ermöglicht. Grundlage der Untersuchungen ist die Annahme, dass unterschiedliche stereotypische Personengruppen in der gleichen Situation sich in der Ausprägung ihrer Bedürfnisse an die Fahrgastinformationen unterscheiden. Im Sinne dieser Untersuchungen beschreibt eine Situation das gleichzeitige Auftreten mehrerer Eingangsgrößen, die sich auf die bedarfsgerechte, innovative und flexible Fahrgastinformation im bzw. am Zug auswirken (Vergleiche [2]). Dazu zählen – neben dem betrachteten Verkehrsmittel – insbesondere Zeit, Ort und spezifische Ereignisse.
Es wurde zunächst davon ausgegangen, dass sich Anforderungen von Fahrgästen an die Reise und an die Fahrgastinformation innerhalb der gleichen Situation unterscheiden. Um dennoch Programme für die Fahrgastinformation zu entwickeln, die ein möglichst großes Spektrum an Anforderungen erfüllen, wurden unterschiedliche stereotypische Fahrgastgruppen anhand von Personae definiert.
Die Persona-Methode wurde 1999 von Alan Cooper vorgestellt und dient dazu, einen intendierten Anwender in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Ausgestattet mit unterschiedlichen spezifizierten Nutzerpersönlichkeiten dienen Personae einem Unternehmen dazu, sich bei der Entwicklung neuer Services auf gezielte Nutzergruppen und deren Anforderungen zu konzentrieren [3].
Alle Personae wurden mit denselben Bedürfnissen an die Fahrgastinformation beschrieben. Diese können sich allerdings in der jeweils betrachteten Situation in ihrer Ausprägung unterscheiden. Durch die gezielte Übertragung bestimmter Informationen sollen die Bedürfnisse bei den Fahrgästen befriedigt werden. Der entsprechende Zusammenhang wird nachfolgend in Bild 1 dargestellt:
Bild 1: Relationen von Personae, Nutzerbedürfnissen und Informationen
Um grundsätzlich unterschiedliche Situationen beschreiben zu können, wurden zunächst zwei Situationstypen definiert: Basis-Situationen und Sonder-Situationen. Zur strukturierten Darstellung der verschiedenen Ausprägungen einer Situation wurde ein morphologischer Kasten entworfen (Vergleiche Bild 2).
Basis-Situationen beschreiben Situationen, in denen ein Regelbetrieb nach Fahrplan erfolgt. Um diese näher zu beschreiben, werden verschiedene Attribute genutzt, welche die Einflussfaktoren auf eine Situation beschreiben. Solche Attribute sind beispielsweise das Verkehrsmittel, Zeit, Ort, betriebliche Bedingungen wie die Taktdichte und weitere. Anhand unterschiedlicher Ausprägungen lassen sich diverse Basis-Situationen darstellen.
Als Sonder-Situationen werden Situationen beschrieben, die vom Regelbetrieb abweichen. Dies können sowohl planbare Situationen wie beispielsweise ein Stadtfest sein, aber auch unplanbare Situationen, wie ein technischer Defekt an der Infrastruktur. Bei der Beschreibung von Sonder-Situationen wird zwischen Ursache und Auswirkung der Sonder-Situation unterschieden.
Bild 2: morphologischer Kasten zur Situationsbildung
Um die unterschiedlichen Bedürfnisausprägungen verschiedener Reisendengruppen während der Fahrt darzustellen, wurden mit Hilfe der Persona-Methode acht unterschiedliche stereotypische Reisendengruppen gebildet:
• Berufspendler
• Geschäftsreisende
• SchülerInnen und Studierende
• Familien
• Seniorinnen und Senioren
• Systemfremde Personen
• Freizeitorientierte und ortskundige Personen
• Touristen [4]
Zum einen unterscheiden sich die Reisendengruppen in den Ausprägungen der jeweils beschreibenden Attribute, zum anderen können aber auch innerhalb einer stereotypischen Gruppe die Ausprägungen der Bedürfnisse schwanken. Dies hängt von der persönlichen Reisephase ab, in der sich ein Fahrgast befindet. So kann beispielsweise eine Berufspendlerin, die gerade den Zug betritt, ein anders ausgeprägtes Informationsbedürfnis haben, als der Kollege, der sich schon seit vier Stationen im Zug befindet. Um diese Unterschiede beschreibbar zu machen, wurden vier fahrgastbezogene Reisephasen definiert. Nach der „Orientierungsphase“ am Gleis wechseln betrachtete Reisende durch Betreten des Zuges in die „Abreisephase“. In der anschließenden „Hauptreisephase“ befinden Sie sich so lange, bis Sie, beginnend mit der Intention den Zug bald zu verlassen, in die „Ankunftsphase“ wechseln, die andauert bis die Reisenden den Zug verlassen haben.
Die Installation kollektiver Fahrgastinformationssysteme ist, trotz moderner Medien wie Smartphones, nach wie vor notwendig. Einerseits ist eine kollektive Fahrgastinformation in den Fahrzeugen rechtlich und somit auch in den Verkehrsverträgen vorgeschrieben, andererseits hat die aktuelle Kundenbefragung die Relevanz der kollektiven Medien für die Fahrgäste festgestellt. Daher ist es Ziel dieser Untersuchungen, festzustellen, welche Bedürfnisse bei den Kunden bezüglich der Fahrgastinformation vorliegen, um diese mit der Gestaltung und den Inhalten vorzuhaltender Systeme in einem möglichst hohen Maß zu befriedigen. Sind die Ausprägungen der Bedürfnisse bekannt, können diese mit Hilfe von gezielter Information angesprochen werden, um die Fahrgäste während ihrer Reise zu unterstützen. Durch die heterogene Besetzung des Zuges mit Reisenden können jedoch nicht alle Bedürfnisse aller Reisenden gleichermaßen mit Informationen angesprochen oder gar befriedigt werden. Durch die Untersuchung der Bedürfnisse der Fahrgäste soll somit die bestmögliche Zusammenstellung von Informationen ermöglicht werden.
2.1 Definition von Bedürfnissen
Um die Basis-Bedürfnisse (Bedürfnisse der Reisenden in einer Basis-Situation) der unterschiedlichen Fahrgastgruppen zu erfassen, wurden fahrgastgruppenübergreifende Merkmale gebildet, wie beispielsweise ein „Anspruch an Komfort“. Durch unterschiedliche Ausprägung der Merkmale jeder einzelnen Fahrgastgruppe lassen sich diese charakterisieren und voneinander unterscheiden. Die Persona des Geschäftsreisenden ist der Annahme nach viel auf Reisen und möchte unterwegs gerne arbeiten. Demnach wurde hier ein hoher Anspruch an Komfort zugeordnet. Die Persona der Studierenden hingegen steht meistens im ÖPNV und hat nur sehr geringen Anspruch an Komfort. In Abhängigkeit der jeweiligen Merkmalsausprägung lassen sich so Bedürfnisse zuordnen, die Aufgrund der jeweiligen Merkmalsausprägung angenommen wurden.
Anforderungen von Fahrgästen an die Fahrgastinformation bestehen nicht nur aufgrund der Merkmalsausprägungen der einzelnen Persona, sondern insbesondere auch aufgrund der jeweiligen Sonder-Situation, sofern eine solche auftritt. Die unterschiedlichen Elemente des morphologischen Kastens werden dazu in „Planbare situative Elemente“, beispielsweise Ort und Taktdichte, und in „Nicht planbare situative Elemente“, wie zum Beispiel Störfälle, unterteilt. In einer ersten Matrix wurden hierbei die Merkmalsausprägungen ausgewählter Bedürfnisse für die personenbezogenen Reisephasen der Personae mit einer Ordinalskala bewertet. In einem nächsten Schritt wurde eine Matrix gebildet, welche diese Bedürfnisse mit über 100 Einzelinformationen wie „nächster Halt“, „Liniennummer“ etc. in Bezug setzt. Die einzelnen Informationen wurden zuvor gesammelt und in „Informationscontainern“ mit weiteren Subkategorien eingeordnet. Kombiniert man nun beide Matrizen, ergibt sich eine dritte Matrix, aus der hervorgeht, welche Einzelinformationen für die Befriedigung von Bedürfnissen von Personae in bestimmten Reisephasen dienlich sind. Diese Matrix bildet eine Grundlage für die Entwicklung eines priorisierten Informationsprogramms. Bild 3 zeigt eine vereinfachte Darstellung dieser Funktionsweise. Da die Einzelinformation ii nur für die Befriedigung des Bedürfnis 2 dienlich ist, ist sie auch nur für Persona A von Relevanz.
Bild 3: Kombination der Matrizen (vereinfachte Darstellung)
2.2 Priorisierung von Einzelinformationen
Grundlegend für die Bildung eines Informationsprogramms ist die jeweils betrachtete Situation, die durch den morphologischen Kasten beschrieben werden kann. In Abhängigkeit dieser Situation werden zunächst die Bedürfnisse von einzelnen Fahrgastgruppen bewertet. Kombiniert man diese individuellen „Bedürfniswerte“ einzelner Fahrgastgruppen, so kann man ein „Gesamtbedürfniswert“ ermittelt werden, der zu der betrachteten Situation für alle Fahrgäste im Zug vorliegt. Um festzustellen, welche Informationen für die Befriedigung der Bedürfnisse wichtig sind, bedarf es zunächst einer Zuordnung von relevanten Informationen zu den Bedürfnissen. Durch die Kombination von „Informationsrelevanz“ für Bedürfnisse und dem Gesamtbedürfniswert der Fahrgäste lässt sich ein „Informationsbedarfswert“ ermitteln. Dieser beschreibt, welche Informationen dazu dienen, die Bedürfnisse der Fahrgäste zu befriedigen. Durch verschiedene Umstände, wie gesetzliche oder vertragsrechtliche Vorgaben, kann es dazu kommen, dass bestimmte Informationen im Zug angezeigt werden müssen. Auch wenn möglicherweise kein oder nur ein geringer Bedarf der Fahrgäste nach einer solchen Information vorliegt, muss dennoch sichergestellt werden, dass die Informationen zu der entsprechenden Situation übermittelt werden. Um dies zu gewährleisten, wird der Informationsbedarfswert um einer „Prioritätskorrektur“ erweitert. Die Prioritätskorrektur weist einzelnen Informationen zusätzliche Aufschläge oder Abzüge zu. Dies dient dazu, die Übermittlung von Informationen auch an zugbezogene Reisephasen (Einfahrt/Ausfahrt in den Bahnhof, Hauptreise, stehend im Bahnhof) anzupassen. Verrechnet man die Prioritätskorrektur mit dem ursprünglichen Informationsbedarfswert, so erhält man für einzelne Informationen einen „korrigierten Informationsbedarfswert“. Werden alle für die Situation relevanten Informationen nach dem korrigierten Informationsbedarfswert in absteigender Rangfolge sortiert, so ergibt sich ein priorisiertes Programm der Fahrgastinformation. Das erzeugte Informationsprogramm berücksichtigt somit die Bedürfnisse von Fahrgästen in unterschiedlichen Reisephasen und Fahrgastgruppen, sowie die Reisephase des Zuges. Das Ziel, das mit der Verwendung dieses Ansatzes verfolgt wird, ist es jedoch nicht, eine mathematisch optimierte Methode für die Programmbildung zu schaffen, sondern die Bewertung der Informationen möglichst einfach zu beschreiben und logisch verständlich zu machen.
Alle Einträge in diesen Tabellen beruhen auf Annahmen, die am Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der TU Darmstadt auf Basis von Literatur ermittelt und anschließend zunächst intern revidiert wurden. Expertenworkshops dienten anschließend dazu, diese Annahmen weiter zu schärfen. Um die Annahmen aber weiter der Realität und den Bedürfnissen der Kunden anzupassen, wurde eine Kundebefragung durchgeführt. Auf dieser Basis werden die über zwei Tausend Matrizeneinträge neu evaluiert und an die Ergebnisse der Befragung angepasst. Damit soll das Verfahren zur Priorisierung von einzelnen Informationen praxisnäher sein. Die beschriebene Vorgehensweise lässt sich mit entsprechenden Formeln in Bild 4 abbilden.
Bild 4: Priorisierung von Einzelinformationen
3 Praktische Evaluation
Im Jahr 2019 wird eine Kundenumfrage im Gebiet des Rhein-Main-Verkehrsverbunds durchgeführt. In dieser Umfrage werden die Fahrgäste unter anderem nach ihren Bedürfnissen in der Reisendeninformation befragt. Ein vorausgegangener Pretest wurde in zwei Expertenworkshops entwickelt und auf der InnoTrans 2018 mit 147 Teilnehmern aus dem Fachpublikum durchgeführt. Der auf diesen Ergebnissen weiterentwickelte Fragebogen umfasste schließlich sechs Fragekategorien und wurde bereits von mehreren hundert Reisenden in der Region Frankfurt RheinMain ausgefüllt. Um die Ergebnisse der Umfrage zu bewerten, muss zunächst eine Klassifizierung der bisher 545 ausgefüllten Fragebögen vorgenommen werden. Die Verteilung der Fahrgäste innerhalb der verschiedenen stereotypischen homogenen Gruppen der gesamten Umfrage zeigt einen Überhang an Studenten und Berufspendlern. Dies wird auf die Zeitverteilung innerhalb der Befragungen (hauptsächlich Befragungen unter der Woche) sowie insbesondere auf die fehlende Bereitschaft zur Teilnahme in den anderen Gruppen zurückgeführt. Die Gruppe „Sonstige“ repräsentiert daher die Gesamtheit der Gruppen Geschäftsreisende, Touristen, Seniorinnen und Senioren sowie „Selten-Fahrer“. Die Gruppen wurden auf Basis der bei der Deutschen Bahn verwendeten Personae getroffen und nicht an große Studien wie MiD oder SrV angelehnt. Vergleicht man jedoch die Wegezwecke der hessischen ÖPV-Befragten des MiD 2008, so ist feststellbar, dass auch hier als die häufigsten Wegezwecke Arbeit, Ausbildung und Freizeit angegeben wurden. [5]
Bild 5: Klassifikation der Umfrageergebnisse
Eine Repräsentativität in Bezug auf die Verteilung nach Reisendengruppen bzw. Wegezweck wird in dieser Studie jedoch mangels vergleichbarer Daten bzw. Untersuchungen bezweifelt. Vielmehr wurden unterrepräsentierte Gruppen gezielt nacherhoben, um für diese Gruppen statistisch auswertbare Größen zu erreichen, was jedoch zu einer Verzerrung der Verteilung innerhalb der Stichprobe führt.
Obwohl die meisten Fragebögen außerhalb der Spitzenstunden bearbeitet wurden, gaben zwei Drittel der Befragten an, dass sie zu den Stoßzeiten am häufigsten mit den untersuchten Zügen fahren. Generell waren die meisten Befragten häufige Nutzer des Schienenpersonennahverkehrs. Darüber hinaus gaben zwei Drittel der Befragten an, ihre Reisealternativen gut oder sehr gut zu kennen. Daher wird davon ausgegangen, dass die meisten Befragten mit den Informationssystemen der untersuchten Züge vertraut waren.
Die meisten Passagiere hatten keine Mobilitätseinschränkungen (81,7 %) und reisten normalerweise ohne Fahrrad, großes Gepäck oder Tiere (ca. 70 %). Außerdem reisten die meisten von ihnen nicht regelmäßig mit Kindern (86,6 %). Die Mehrheit der Reisenden hatte ein Smartphone mit installierter Navigations-App (85,5 %) und nutzt eine solche App „oft“ oder sogar für jede Fahrt (kumuliert 64 %). Auf die Frage, ob es ausreichen würde, weitere Sonderinformationen über eine App zu erhalten, sofern alle grundlegenden Informationen von Medien im Zug gesendet werden, antworteten die meisten Benutzer (58,7 %), dass sie diese Informationen auch auf Displays im Zug oder sogar mit akustischen Ansagen erhalten möchten. Die zuvor beschriebene Notwendigkeit kollektiver Informationssysteme wird somit durch dieses Ergebnis bestätigt.
3.1 Evaluation der Bedürfnisausprägungen in Basis-Situationen
Im folgenden Abschnitt werden die Ergebnisse der Kundenbefragung ausgewertet. Jede Gruppe mit mehr als 40 Befragten wird separat bewertet und die verbleibenden Gruppen werden als „Sonstige" zusammengefasst. Andernfalls hätten Ausreißer in diesen Gruppen ein zu starkes Gewicht in den Resultaten gehabt.
Bild 6 zeigt den mittleren individuellen Bedürfniswert der Befragten. Die resultierenden Profillinien zeigen, dass es keine signifikanten Unterschiede im Ausdruck des individuellen Bedürfniswerts der verschiedenen homogenen stereotypischen Passagiergruppen gibt. Die Abbildung zeigt, dass die höchsten Bewertungen die Anforderungen an „Pünktlichkeit“, „Echtzeitinformationen“ und „Sitzplatz“ erhalten. Eine genauere Analyse ergab, dass die Standardabweichungen (σ) für die Informationsanforderungen „Pünktlichkeit“ und „Echtzeitinformation“ vergleichsweise gering sind (σ = max. 0,65 und σ = max. 0,84 auf einer Skala von 1 bis 5) wohingegen das Bedürfnis für eine „Sitzposition“ weiter streut (zwischen σ = 0,92 und σ = 1,16 je nach Passagiergruppe).
Bild 6: Mittelwerte der individuellen Bedürfniswerte nach Gruppen in Basis-Situationen (Vgl. [6])
Weitere Analysen haben gezeigt, dass dort wo die Mittelwerte der unterschiedlichen stereotypischen Reisendengruppen nahe beieinander liegen, auch eine niedrige Standardabweichung bei allen Werten vorliegt. Umgekehrt liegen dort, wo die Mittelwerte weiter voneinander abweichen, auch vergleichsweise hohe Standardabweichungen vor. Die Annahme, dass sich die unterschiedlichen Personae in der Ausprägung ihrer individuellen Bedürfniswerte signifikant unterscheiden sollte daher neu überdacht werden.
Nach Analyse der individuellen Bedürfniswerte in Abhängigkeit der stereotypischen Reisendengruppen wurde auch untersucht, ob es zu unterschiedlichen Fahrzeiten oder in unterschiedlichen Zugtypen größere Unterschiede bei den Ausprägungen des individuellen Bedürfniswerts geben würde.
Zunächst wurde zwischen Reisen an Wochentagen und Reisen am Wochenende unterschieden. Es zeigte sich, dass die meisten Ausprägungen der Bedürfnisse am Wochenende insgesamt etwas niedriger waren, aber auch im Vergleich erneut sehr ähnliche Profillinien aufwiesen. Anschließend wurde die Rückläufer an Wochentagen zwischen Haupt- und Nebenzeiten unterschieden. Die Profillinien dieser unterschiedlichen Zeiten stimmten nahezu überein und unterschieden sich nur marginal in drei Bedürfnissen („Aktuelle Nachrichten“, „Kenntnis der aktuellen Zugposition“, „Informationen der Zugbegleiter“).
Die Ergebnisse für den Abgleich in verschiedenen Zugtypen glichen sich ebenfalls stark. In S-Bahnen waren die Ausprägungen des individuellen Bedürfniswerts für die Anforderungen „Sitzplatz“, „Ruhe“, „Platz zum Ausbreiten“ und „Informationen der Zugbegleiter“ etwas weniger ausgeprägt. Insbesondere waren die am häufigsten geäußerten Bedürfnisausprägungen für „Pünktlichkeit“ und „Echtzeitinformationen" in S-Bahnen, wie auch in Zügen der Kategorie RB/RE, gleich stark ausgeprägt.
Ein ähnlicher Trend ist bei den Antworten auf die Frage nach bevorzugten Informationen im Zug zu beobachten. Im Fragebogen wurden die Fahrgäste gebeten, die passagierbezogenen Reisephasen anzugeben, in denen sie bestimmte Informationen erhalten möchten. Die Auswertung zeigt: Die am meisten bevorzugten Informationen sind diejenigen, die bereits in den meisten Zügen in der untersuchten Region verfügbar sind. Dies waren zum Beispiel die Zwischenstopps, die Ankunftszeit oder die nächste Haltestelle. Die Information über die aktuelle Pünktlichkeit wurde erreichte in keiner personenbezogenen Reisephase die stärkste Ausprägung, war jedoch die einzige Einzelinformation, die über alle verschiedenen personenbezogenen Reisephasen hinweg als wichtig einzustufen war.
Interessant ist auch, dass fast die Hälfte der Fahrgäste Informationen zur aktuellen Auslastung des Zuges haben möchte, und zwar bereits während sie auf den Zug an der Station warten. Solche Informationen zur Belegung sind in fast allen operativen Zügen noch nicht verfügbar, die Auswertung der Fragebögen stellt jedoch ein Kundenbedürfnis nach diesen Informationen fest. Daher sind erste Pilotprojekte wie beispielsweise „Digital im Regio“, in dem sich die Fahrgäste unter anderem über Bildschirme am Fahrzeug über dessen Auslastung informieren können, aus Sicht der Kunden als sehr positiv zu bewerten. [7]
3.2 Evaluation der Bedürfnisausprägungen in Sonder-Situationen
Um die Informationsbedürfnisse in Sonder-Situationen zu bewerten, wurde eine weitere Skalenanalyse durchgeführt. Auch hier konnten die befragten Passagiere für jede einzelne Information ihr Bedürfnis nach dieser auf einer Skala von 1 (sehr relevant) bis 5 (nicht relevant) angeben.
Die Auswertung aller Antworten in der Stichprobe zeigt, dass nahezu alle abgefragten Einzelinformationen im Mittel zwischen „ziemlich relevant“ und „sehr relevant“ bewertet wurden (Bild 7).
Auch hier sind keine signifikanten Unterschiede zwischen den verschiedenen stereotypischen Gruppen erkennbar. Bei Betrachtung der Standardabweichungen jeder Bewertung von Einzelinformation kann jedoch festgestellt werden, dass diese zwar variieren, im Durchschnitt aber niedriger sind als die Standardabweichungen in Basis-Situationen. Für die Information zur „Pünktlichkeit“ beträgt die Standardabweichung über alle Gruppen ca. σ = 0,37. Daher wird der Mittelwert als repräsentativ für diesen Informationsbedarf angesehen. Die Ausdrücke für die Information „Grund des Vorfalls“ und „Nicht erreichbare Verbindungen“ streuen stets mehr als einen Punkt auf der Skala. Die höchsten Standardabweichungen können in der Gruppe der Freizeitreisenden ermittelt werden. Aufgrund der geringen Stichprobengröße müssen jedoch mehr Interviews mit dieser Gruppe durchgeführt werden, um diesen Befund zu überprüfen.
Für alle anderen Informationen variieren die Standardabweichungen σ zwischen circa 0,6 und etwa 0,9 Skalenpunkten. Das arithmetische Mittel kann daher zwar nicht als repräsentativ angesehen werden, zeigt aber die Tendenzen des Informationsbedarfs der Kunden auf.
Bild 7: Mittelwerte der subjektiven Relevanz von Informationen in Sonder-Situationen (Vgl. [6])
4 Fazit und Ausblick
Die heutigen kollektiven Informationssysteme in Zügen des Nah- und Regionalverkehrs in Deutschland wirken zunehmend veraltet. Die angebotenen Informationen entsprechen oft nur den behördlichen und gesetzlichen Anforderungen, reichen jedoch nicht aus, um den Informationsbedarf verschiedener Fahrgastgruppen in unterschiedlichen Situationen zu befriedigen. Trotz der weiten Verbreitung und Nutzung von Smartphones zur individuellen Reisendeninformation, sind kollektive Fahrgastinformationssysteme sowohl aus rechtlichen Gründen als auch aus Kundenperspektive notwendig. Daher wird in dieser Studie untersucht, wie eine situationsabhängige und bedarfsgerechte Fahrgastinformation entwickelt werden kann. Um die wertvollsten kollektiven Fahrgastinformationen bereitzustellen, stehen die Fahrgäste und ihre Informationsbedürfnisse im Mittelpunkt dieser Forschung.
Bei der Untersuchung des Informationsbedarfs von 545 Fahrgästen wurde festgestellt, dass sich die stereotypischen Gruppen in ihren individuellen Bedürfniswerten nicht stark unterscheiden. Bemerkenswerte Unterschiede konnten bei den Angaben zu Bedürfnisausprägungen in den betrachteten Zugtypen (Regionalzüge und S-Bahnen) oder zu unterschiedlichen Zeiten (Stoßzeiten, Wochentag zwischen Stoßzeiten, an Wochenenden) ebenfalls nicht festgestellt werden. Stattdessen scheint sich ein klarer Trend in den Bedürfnisausprägungen über alle Gruppen hinweg abzuzeichnen.
Auch bei Sonder-Situationen zeigen sich starke Ähnlichkeiten in der Bewertung von Einzelinformationen durch die unterschiedlichen Gruppen. Die Standardabweichung für die ausgewählten Informationen in solchen Situationen war im Vergleich zu den Anforderungen im regulären Betrieb (Basis-Situationen) im Durchschnitt allerdings geringer.
Für den vorgestellten Ansatz zur Priorisierung von Einzelinformationen in einem Informationsprogramm kann daher festgestellt werden, dass Unterschiede in den Anforderungen der Passagiere an die Fahrgastinformation eher mit Hilfe anderer Faktoren ermittelt werden sollten. Als solche sollen künftig insbesondere Situationselemente (beispielsweise Reisen zur Spitzenstunde) und Einflüsse durch den Einsatz unterschiedlicher Fahrzeuge mit heterogener FI-Ausstattung untersucht werden. Da weitere, von diesem Projekt unabhängige, Untersuchungen zeigen, dass in der untersuchten Region die Zufriedenheit der Fahrgäste bezüglich der Fahrgastinformationssysteme nicht als gut bewertet wird, muss an dieser Stelle weitere Forschung betrieben werden, um die Ursachen einer solchen Bewertung zu finden. Die beschriebene Methode soll dabei helfen, zukünftig flexibel auf weiter zu untersuchende externe Situationselemente reagieren können, anstatt sich besonders auf die Zusammensetzung der Passagiere im Zug zu fokussieren. Ein weiteres Verfolgen des Ansatzes zur Priorisierung von Einzelinformationen erscheint daher sinnvoll, um zukünftig beispielsweise auch sekundäre Informationen wie Baustellen, Infotainment, Flughafeninformationen und ähnliche Inhalte sinnvoll in die Fahrgastinformation einfließen zu lassen.
Durch die weiteren Untersuchungen, in denen insbesondere Inhalte, Gestaltung und Position der Fahrgastinformationssysteme in Betracht gezogen werden, sollen künftige Generationen der Fahrgastinformation, aber auch die Fahrzeuganforderungen in Ausschreibungen künftiger Verkehrsverträge, entsprechend den Bedürfnissen der Fahrgäste angepasst werden, um so das Kundenerlebnis während der Reise zu verbessern.
5 Literatur
[1] Monzert, T.; Boltze, M.; Fornauf, F. (2019). A Concept for Situation- and Demand-Responsive Collective Passenger Information in Regional Trains. Darmstadt, Germany. (Conference Paper der WCTR 2019, online verfügbar unter: https://www.wctrs-society.com/conferences/archive-of-world-conferences/mumbai-conference-2019/)
[2] Andree, Rolf; Boltze, Manfred; Jentsch, Heiko. (2001). Entwicklung von Strategien für ein dynamisches Verkehrsmanagement. In: Straßenverkehrstechnik 45. Heft 12/2001. S. 610-620.
[3] Elbeshausen et al., 2013. Personas als Usability-Methode in internationalen Software-Projekten. In: H. Hobohm, Hrsg. Informationswissenschaft zwischen virtueller Infrastruktur und materiellen Lebenswelten: Proceedings des 13. Internationalen Symposiums für Informationswissenschaft (ISI 2013). Potsdam: Konferenzveröffentlichung, pp. 310-322.
[4] Deutsche Bahn AG. 2016. So lernen Sie Kundenbedürfnisse besser kennen. In: digital spirit – Das Kundenmagazin der DB Systel. (Online verfügbar unter: https://digitalspirit.dbsystel.de/so-lernen-sie-kundenbeduerfnisse-besser-kennen/. Zuletzt aufgerufen am 22.03.2019 um 14:20 Uhr)
[5] Follmer, R., Brand, T., & Gruschwitz, D. (2010). Mobilität in Deutschland 2008 Ergebnisbericht Hessen. Bonn: infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH
[6] Monzert, T.; Boltze, M.; Fornauf, F. (2019). Estimating the Passenger Information Demand in German Regional Trains. Darmstadt, Germany. (Conference Paper des WCRR 2019, noch nicht veröffentlicht)
[7] Deutsche Bahn AG. 2017. Digital im Regio - Neue Angebote für Fahrgäste - IT-Lösung im Pilotprojekt auf den Linien RE3 und RE5. In: On Track - Ihr Newsletter der DB Fahrzeuginstandhaltung. (Online verfügbar unter: https://www.bahn.de/micro/view/fzi-newsletter/2017_digital-regio-wlan.shtml. Zuletzt aufgerufen am 09.01.2020 um 15:16 Uhr) |