FGSV-Nr. FGSV 002/127
Ort online-Konferenz
Datum 13.04.2021
Titel Kapazität von lichtsignalgeregelten Zufahrten mit bis zu zwei zusätzlichen Aufstellstreifen bei gleichzeitiger Freigabezeit
Autoren Prof. Dr.-Ing. Andreas Vesper
Kategorien HEUREKA
Einleitung

An lichtsignalgeregelten Knotenpunkten nehmen sowohl die geometrische Ausgestaltung des Knotenpunkts als auch die realisierte Lichtsignalsteuerung maßgebenden Einfluss auf die Kapazität. Im vorliegenden Beitrag wird ein neuer Berechnungsansatz zur Ermittlung der Kapazität von lichtsignalgeregelten Zufahrten mit bis zu zwei zusätzlichen Aufstellstreifen bei gleichzeitiger Freigabezeit vorgestellt. Das entwickelte Berechnungsverfahren weist gegenüber dem im HBS 2015 zur Anwendung kommenden Verfahren folgende Vorteile auf:

a)    einfacherer und leichter nachvollziehbarer Berechnungsansatz - zur Anwendung kommt ein linearer Berechnungsansatz, der auf grundlegenden Zusammenhängen und Gesetzmäßigkeiten des Verkehrsablaufs aufbaut,

b)    höhere Genauigkeit – berechnete Kapazitätswerte von lichtsignalgeregelten Zufahrten mit einem zusätzlichen Aufstellstreifen weisen eine höhere Genauigkeit auf,

breiteres Anwendungsgebiet – hergeleitetes Berechnungsverfahren eignet sich zur Kapazitätsermittlung von lichtsignalgeregelten Zufahrten mit bis zu zwei zusätzlichen Aufstellstreifen.

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1 Problemstellung

Auf die Kapazität von lichtsignalgeregelten Knotenpunkten nehmen sowohl die geometrische Ausgestaltung des Knotenpunkts als auch die realisierte Lichtsignalsteuerung maßgebenden Einfluss.

Die Anordnung von zusätzlichen Aufstellstreifen in Zufahrten stellt eine Möglichkeit dar, um die Kapazität an lichtsignalgeregelten Knotenpunkten zu erhöhen.

Als zusätzlicher Aufstellstreifen wird ein Fahrstreifen in einer lichtsignalgeregelten Zufahrt bezeichnet, der von einem durchgehenden Fahrstreifen abzweigt, dessen Verzweigungsstelle während der Sperrzeit regelmäßig überstaut ist und der aufgrund seiner begrenzten Länge  i.d.R. nicht die Kapazität eines durchgehenden Fahrstreifens mit unbegrenzter Länge erreichen kann.

Bild 1: Zufahrt mit einem durchgehenden Fahrstreifen und einem zusätzlichen Aufstellstreifen

Im Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS 2001, [2]) wird in Deutschland erstmals ein Berechnungsverfahren eingeführt, mit dem die Kapazität von lichtsignalgeregelten Zufahrten mit einem durchgehenden Fahrstreifen und einem zusätzlichen Aufstellstreifen (siehe Bild 1) näherungsweise berechnet werden kann. Das von Schnabel entwickelte Berechnungsverfahren basiert auf zwei einfachen linearen Berechnungsansätzen. Wesentlicher Schwachpunkt des Verfahrens ist, dass die mit dem Berechnungsverfahren ermittelten Kapazitäten im Einzelfall deutlich von der tatsächlichen Kapazität abweichen können. Wu (siehe Schnabel et al. 2008, [4]) geht im Rahmen einer fachlichen Stellungnahme auf zuvor genannte Abweichungen ein und belegt die Ungenauigkeiten des Berechnungsansatzes nach HBS 2001, [2] durch ausgewählte Berechnungsbeispiele. 

Wu 2007, [5] stellt ein alternatives Berechnungsverfahren zur Berechnung der Kapazität von lichtsignalgeregelten Zufahrten mit einem durchgehenden Fahrstreifen und einem zusätzlichen Aufstellstreifen vor, das im Jahr 2015 in die Neufassung des Handbuchs für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS 2015, [1]) eingeht. Das Berechnungsverfahren basiert auf einer gebrochenen Wurzelfunktion (siehe Gleichung 1), deren Parameter im Rahmen einer Regressionsrechnung auf Grundlage der Ergebnisse einer zuvor durchgeführten Simulationsstudie für den Anwendungsfall »Kapazitätsberechnung – lichtsignalgeregelte Zufahrt mit einem durchgehenden Fahrstreifen und einem zusätzlichen Aufstellstreifen« angepasst worden sind.

Formel siehe PDF.

Bei der Anwendung des Berechnungsverfahrens nach HBS 2015, [1] haben sich in der Praxis folgende Aspekte als problematisch herausgestellt:

Die für den Anwendungsfall »Kapazitätsberechnung – lichtsignalgeregelte Zufahrt mit einem durchgehenden Fahrstreifen und einem zusätzlichen Aufstellstreifen« angepasste gebrochene Wurzelfunktion ist komplex und mathematisch anspruchsvoll. Dies hat die Autoren des HBS 2015, [1] dazu bewogen, die Gleichungen im Hauptteil des Regelwerks durch Nomogramme zu ersetzen und die Gleichungen nur im Anhang aufzuführen. Hier wird davon ausgegangen, dass der Anwender die Kapazitätsermittlung auf Grundlage der bereitgestellten Nomogramme durchführt und nicht auf die Gleichungen zurückgreifen muss, die diesen Nomogrammen zugrunde liegen.

· Die Anwendung der Nomogramme zur Ermittlung der Kapazität gestaltet sich im Einzelfall als sehr aufwendig. Bei der Kapazitätsermittlung müssen im Einzelfall bis zu acht Ablesewerte aus den bereitgestellten Nomogrammen abgegriffen werden, um auf deren Grundlage anschließend in bis zu sieben Interpolationsschritten die Kapazität zu berechnen.

· Die für den Anwendungsfall »Kapazitätsberechnung – lichtsignalgeregelte Zufahrt mit einem durchgehenden Fahrstreifen und einem zusätzlichen Aufstellstreifen« angepasste gebrochene Wurzelfunktion basiert auf der in Gleichung 1 dargestellten Regressionsfunktion, deren Parameter im Rahmen einer durchgeführten Regressionsrechnung für  konkrete Anwendungsfälle angepasst worden sind. Die Berechnungsansätze basieren nicht auf physikalischen Gesetzen, Grundregeln der Kinematik oder Gesetzmäßigkeiten des Verkehrsablaufs in lichtsignalgeregelten Zufahrten mit zusätzlichen Aufstellstreifen. Die bereitgestellten Berechnungsansätze sind aufgrund des fehlenden inhaltlichen Zusammenhangs zur Ergebnisgröße für den Anwender nicht oder nur schwer nachvollziehbar.

· Das Anwendungsgebiet des Berechnungsverfahrens beschränkt sich auf die Kapazitätsermittlung von lichtsignalgeregelten Zufahrten mit einem durchgehenden Fahrstreifen und einem zusätzlichen Aufstellstreifen.

Vesper 2018, [6] hat im Rahmen seiner Dissertation ein alternatives Berechnungsverfahren zur Ermittlung der Kapazität von lichtsignalgeregelten Zufahrten mit zusätzlichen Aufstellstreifen bei gleichzeitiger Freigabezeit entwickelt, das im Rahmen des vorliegenden Fachbeitrags in Auszügen vorgestellt wird. 

Bei Herleitung des neuen Berechnungsverfahrens stand stets im Vordergrund, ein Berechnungsverfahren zu entwickeln, das folgenden Zielvorstellungen gerecht wird:

· einfacher und leicht nachvollziehbarer Berechnungsansatz,

· hohe Genauigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Berechnungsergebnisse,

· breites Anwendungsgebiet.

2 Herleitung Berechnungsverfahren

2.1 Randbedingungen

Das Berechnungsverfahren ist unter Berücksichtigung der in Tabelle 1 aufgeführten Einflussgrößen und der zugeordneten Randbedingungen hergeleitet worden.

Tabelle 1: Einflussgrößen und zugeordnete Randbedingungen

2.2 Räumzeit und freie Abflusszeit

Der Abfluss aus einer lichtsignalgeregelten Zufahrt mit zusätzlichen Aufstellstreifen bei gleichzeitiger Freigabe (gF) kann innerhalb der Räumzeit (tRäumen) und der freien Abflusszeit (tfreier Abfluss) erfolgen.

Während der Räumzeit (= Zeitintervall ZgF,2 und ZgF,3, siehe Bild 2) können zunächst Fahrzeuge, die sich während der Sperrzeit (ROT-Zeit) im Zeitintervall ZgF1 in den Aufstellbereichen aufgestellt haben, nach dem Ende der Sperrzeit die Haltlinie passieren und den jeweiligen Aufstellbereich räumen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die hier verwendete Begriffsdefinition der Räumzeit von der Definition abweicht, die nach RiLSA 2015, [3] im Rahmen der Zwischenzeitenberechnung zur Anwendung kommt.

Ist die Freigabezeit (tGr) größer als die erforderliche Freigabezeit zum vollständigen Räumen der Aufstellbereiche Ai (erf. tGr, gF, Räumen Ai) so können im anschließenden Zeitintervall ZgF4 während der freien Abflusszeit weitere Fahrzeuge, die erst nach Sperrzeitende in die Aufstellbereiche Ai eingefahren sind, ebenfalls die Haltlinie passieren.

Bild 2: Abfluss aus einer lichtsignalgeregelten Zufahrt bei gleichzeitiger Freigabe (gF)

2.3 Fallunterscheidung

Beim Abfluss aus einer ständig überstauten lichtsignalgeregelten Zufahrt mit zusätzlichen Aufstellstreifen können sich bei der Signalisierungsform: gleichzeitige Freigabe (gF) in Abhängigkeit von der Länge der Freigabezeit und der Länge der Aufstellbereiche Ai die folgenden drei Fälle einstellen:

· Fall gFI: Alle Aufstellbereiche räumen vollständig,

· Fall gFII: Nur Aufstellbereiche hinter der haltliniennahen Verzweigungsstelle räumen vollständig – nur bei Fahrstreifen mit zwei ungleich langen Aufstellstreifen möglich,

· Fall gFIII: Kein Aufstellbereich räumt vollständig.

Bei der Herleitung des Berechnungsverfahrens werden die zuvor genannten drei Fälle durch eine Fallunterscheidung in die Fälle gFI, gFII und gFIII berücksichtigt, wie einführend in Bild 3 beispielhaft dargestellt.

Bild 3: Fallunterscheidung Berechnungsverfahren in die Fälle gFI, gFII und gFIII

2.4 Allgemeine Kapazitätsformel

Die allgemeine Kapazitätsformel des hergeleiteten Berechnungsverfahrens basiert auf den in Gleichung 2 bis Gleichung 8 dargestellten Zusammenhängen.

Die allgemeine Kapazitätsformel baut auf dem Grundgedanken auf, dass sich die Gesamtkapazität einer Zufahrt mit einem durchgehenden Fahrstreifen und zusätzlichen Aufstellstreifen aus der Teilkapazität während der Räumzeit (Gleichung 5 bis Gleichung 7) und der Teilkapazität während der freien Abflusszeit (Gleichung 8) zusammensetzt.

Bild 4: Legende I

In die allgemeine Kapazitätsformel gehen Eingangsparameter ein, die den folgenden drei Parametertypen zugeordnet werden können:

· Allgemeingültige Eingangsparameter: Parameter die unabhängig vom konkreten Anwendungsfall des Berechnungsverfahrens angewendet werden können.

· Fahrer- /fahrzeugbezogene Eingangsparameter: Parameter die maßgeblich durch das Fahrverhalten und der Eigenschaften der Fahrer-/Fahrzeugeinheiten als Verkehrsteilnehmer beeinflusst werden. Diese Parameter hängen stark von den örtlichen Randbedingungen im konkreten Anwendungsfall ab, in dem das Berechnungsverfahren angewendet wird. 

Entwurfsbezogene Eingangsparameter: Parameter, die sich aus dem konkreten Entwurf der Knotenpunktzufahrt bzw. der Lichtsignalsteuerung ableiten lassen, bzw. durch diese maßgeblich beeinflusst werden.

Bild 4: Legende II

2.5 Fallübergreifende Anwendung der allgemeinen Kapazitätsformel

Die allgemeine Kapazitätsformel nach Gleichung 2 bis Gleichung 8 kann in der dargestellten Form nur für Fall gFI (siehe Bild 3) angewendet werden.

Eine fallübergreifende Anwendung wird erst durch Ansatz der fiktiven Hilfsgröße »Wirksame Länge des Aufstellbereichs (LWAi)« möglich (siehe u.a. Bild 5). Hier werden bei Vorliegen des Fall gFII und gFIII für die Aufstellbereiche Ai, die nicht in jedem Umlauf vollständig räumen können, der jeweilige »Wirksame Bereich des Aufstellbereichs (WAi)« (=Teilbereich von Ai) ermittelt, der in jedem Umlauf vollständig räumen kann. Durch Berücksichtigung der fiktiven Hilfsgröße »Wirksame Länge des Aufstellbereichs (LWAi)« in Gleichung 5 kann die allgemeine Kapazitätsformel anschließend fallübergreifend angewendet werden.

In Bild 5 ist beispielhaft dargestellt, wie die Teilkapazitäten während der Räumzeit und der freien Abflusszeit unter Anwendung der fiktiven Hilfsgröße »Wirksame Länge des Aufstellbereichs (LWAi)« für Fall gFII und gFIII auf Grundlage der allgemeinen Kapazitätsformel ermittelt werden können.

Die angepasste Form der allgemeinen Kapazitätsgleichung und hier im Einzelnen die erforderlichen Gleichungen zur Ermittlung der Teilkapazitäten und der fiktiven Hilfsgrößen LWAi sind für den Fall gFII und gFIII in Gleichung 9 bis Gleichung 20 dargestellt.

Bild 5: Überführung von Fall gFII und gFIII in einen fiktiven Fall gFI - Anwendungsbeispiel

Bild 4: Legende III

3 Simulationsstudie

3.1 Methodik

Bild 6 Methodische Umsetzung der Simulationsstudie

In Kapitel 2 ist ein Berechnungsverfahren zur Ermittlung der Kapazität von lichtsignalgeregelten Zufahrten mit bis zu zwei zusätzlichen Aufstellstreifen bei gleichzeitiger Freigabezeit hergeleitet worden. In das Berechnungsverfahren fließen verschiedene Eingangsparameter ein, die folgenden drei Parametertypen zugeordnet werden können:

· allgemeingültige Eingangsparameter,

· fahrer-/fahrzeugbezogene Eingangsparameter,

· entwurfsbezogene Eingangsparameter. 

Um das hergeleitete Berechnungsverfahren anwendungstauglich zu machen und die Anwendungstauglichkeit zu überprüfen, sind weitere Untersuchungen erforderlich, die in Form einer Simulationsstudie durchgeführt worden sind.

Die Methodik der durchgeführten Simulationsstudie unterteilt sich in drei aufeinander aufbauende Teilschritte:

· Teil A: Kalibration – Allgemeingültige Eingangsparameter,

· Teil B: VISSIM – Ermittlung fahrer-/fahrzeugbezogene Eingangsparameter,

· Teil C: Validierung – Analytisches Berechnungsverfahren. 

In Bild 6 ist die Methodik der Simulationsstudie und die drei Teilschritte (Teil A bis Teil C) mit jeweiligen Unterschritten dargestellt. Hier wird dargestellt, wie die Teile A bis C der Simulationsstudie inhaltlich aufeinander aufbauen. 

Im Folgenden werden der Umfang und die Zielsetzung, die mit der Umsetzung der drei Teile der Simulationsstudie (Teil A bis Teil C) verfolgt werden, kurz umrissen: 

· Teil A: Kalibration – Allgemeingültige Eingangsparameter

Der mittlere Belegungsgrad der Aufstellbereiche zum Sperrzeitende (bAi) geht als allgemeingültiger Eingangsparameter in das hergeleitete Berechnungsverfahren ein (siehe Gleichung 6 und Gleichung 7). Zielsetzung des Teil A der Simulationsstudie ist es, den funktionalen Zusammenhang zwischen dem Belegungsgrad (bAi) und den Verkehrsstärkeanteilen der Fahr- und Aufstellstreifen einer Zufahrt (ai) für verschiedene Längenverhältnisse der Aufstellbereiche (LV) im Rahmen einer Regressionsanalyse zu ermitteln bzw. zu kalibrieren, um diese anschließend in Form von Nomogrammen und Wertetabellen für die spätere Anwendung des Berechnungsverfahrens zur Verfügung zu stellen. 

· Teil B: VISSIM – Ermittlung fahrer-/fahrzeugbezogene Eingangsparameter

In das Berechnungsverfahren gehen verschiedene fahrer-/fahrzeugbezogene Eingangsparameter ein, wie z. B. der Zeitbedarfswert (tB), die mittlere Aufstelllänge von Kraftfahrzeugen (lA, Kfz) und die mittlere Anzahl der Fahrzeuge, die während der beiden Übergangszeiten abfließen (nRG, nGe). Zuvor genannte Eingangsparameter hängen in der Praxis im Wesentlichen von den örtlichen Randbedingungen der betrachteten lichtsignalgeregelten Zufahrt ab, für die mit dem Berechnungsverfahren die Kapazität berechnet werden kann. Im Rahmen der Validierung des hergeleiteten Berechnungsverfahrens kommt das mikroskopische Simulationsprogramm VISSIM zur Anwendung. Um die Validierung mit VISSIM vornehmen zu können, müssen in einem vorgelagerten Bearbeitungsschritt der Validierung die fahrer-/fahrzeugbezogenen Eingangsparameter für das Simulationsprogramm VISSIM als programmabhängige Eingangsgrößen ermittelt werden. In Teil B der Simulationsstudie werden entsprechend die fahrer-/fahrzeugbezogenen Eingangsparameter für das Simulationsprogramm VISSIM ermittelt und stehen anschließend im Rahmen der Validierung (Teil C der Simulationsstudie) als programmabhängige Eingangsgrößen zur Verfügung. 

· Teil C: Validierung – Analytisches Berechnungsverfahren

In Teil C der Simulationsstudie wird die Validierung und somit die Eignung des Berechnungsverfahrens unter Berücksichtigung der kalibrierten allgemeingültigen Eingangsparameter (= Ergebnis aus Teil A der Simulationsstudie) und der ermittelten fahrer-/fahrzeugbezogenen Eingangsparameter für das Simulationsprogramm VISSIM (= Ergebnis aus Teil B der Simulationsstudie) überprüft. Durch einen SOLL-IST Vergleich der ermittelten Kapazitäten wird die Eignung und Anwendbarkeit und somit die Anwendungstauglichkeit des hergeleiteten Berechnungsverfahrens für die Ausbildungsform 2: Zufahrt mit zwei zusätzlichen Aufstellstreifen beurteilt.

3.2 Kalibration - Allgemeingültige Eingangsparameter

Bild 7: Nomogramme und Wertetabellen zur Ermittlung der Belegungsgrade bAI - Beispiel

Auf Grundlage von 3.600 Simulationsläufen mit insgesamt 108.000 simulierten Umläufen ist mit Hilfe des mikroskopischen Simulationsprogramms VISSIM die Datengrundlage für die Kalibration geschaffen worden. In einer darauf aufbauenden Regressionsanalyse mit ca. 660 Regressionsrechnungen sind die Belegungsgrade bAi der Aufstellbereiche Ai für verschiedene Längenverhältnisse LV der Aufstellbereiche ermittelt und in Nomogramme überführt worden. In Bild 7 sind beispielhaft für ein Längenverhältnis der Aufstellbereiche von LV=50% (LV=LAkA/LAlA*100, [%]; mit LAkA: Länge Aufstellbereich - kurzer zusätzlicher Aufstellstreifen der Zufahrt; LAlA: Länge Aufstellbereich - langer zusätzlicher Aufstellstreifen der Zufahrt) die Belegungsgrade bAi angegeben. Eine vollständige Darstellung der erstellten Nomogramme und Wertetabellen kann Vesper 2018, [6] entnommen werden.

3.3 VISSIM - Ermittlung fahrer-/fahrzeugbezogene Eingangsparameter

In Teil B der Simulationsstudie sind die fahrer-/fahrzeugbezogenen Eingangsparameter für VISSIM ermittelt worden. Die ermittelten fahrer-/fahrzeugbezogenen Eingangsparameter für VISSIM sind in Tabelle 2 aufgeführt.

Tabelle 2: Ermittelte fahrer-/fahrzeugbezogene Eingangsparameter für VISSIM

3.4 Validierung - Analytisches Berechnungsverfahren

Im Teil C der Simulationsstudie sind das hergeleitete Berechnungsverfahren und die kalibrierten allgemeingültigen Eingangsparameter für lichtsignalgeregelte Zufahrten der Ausbildungsform 2 einer Validierung unterzogen worden.

Unter Validierung wird hier der »Nachweis der Einsatzeignung des hergeleiteten Berechnungsverfahrens unter Ansatz der kalibrierten allgemeingültigen Eingangsparameter« verstanden.

Für zufällig mit Hilfe der Monte-Carlo-Simulation ermittelte Anwendungsfälle ist der Nachweis der Einsatzeignung des Berechnungsverfahrens im Rahmen eines SOLL-IST Vergleichs vorgenommen worden. Bei dem SOLL-IST Vergleich sind simulierte Kapazitätswerte (SOLL-Werte) mit berechneten Kapazitätswerten (IST-Werte) verglichen, relative Abweichungen berechnet und diese einer statistischen Auswertung unterzogen worden.

Bild 8: Ergebnis SOLL-IST Vergleich für Zufahrten mit LV = 100%; Fall: gFI + gFIII

Bild 9: Ergebnis SOLL-IST Vergleich für Zufahrten mit LV < 100%; Fall: gFI + gFII + gFIII

Die SOLL-Werte des SOLL-IST Vergleichs sind im Rahmen einer simulationsbasierten Erhebung mit dem mikroskopischen Simulationsprogramms VISSIM ermittelt worden. Datengrundlage der vorgenommenen Validierung sind 1.600 Simulationsläufe mit insgesamt 48.000 simulierten Umläufen.

Die IST-Werte des SOLL-IST Vergleichs sind mit dem hergeleiteten Berechnungsverfahren unter Ansatz der kalibrierten allgemeingültigen Eingangsparameter (= Ergebnis des Teil A der Simulationsstudie) und der ermittelten fahrer-/fahrzeugbezogenen Eingangsparameter des Simulationsprogramms VISSIM (= Ergebnis des Teil B der Simulationsstudie) berechnet worden.

Ergebnisse der Validierung sind beispielhaft für Freigabezeiten von tGr≥10s getrennt für Zufahrten mit gleich langen Aufstellstreifen (LV=100%) und ungleich langen Aufstellstreifen (LV<100%) in Bild 8 und Bild 9 dargestellt.

Eine Zusammenfassung der Ergebnisse des SOLL-IST Vergleichs ist in Tabelle 3 dargestellt.

Tabelle 3: Ergebnis SOLL-IST Vergleich - Validierung

Auf Grundlage der in Tabelle 3 dargestellten Ergebnisse des SOLL-IST Vergleichs kann die Validität des hergeleiteten Berechnungsverfahrens unter Berücksichtigung der in Tabelle 1 dargestellten Randbedingungen bestätigt werden.

4 Vergleich mit HBS 2015

Abschließend ist eine vergleichende Bewertung des hergeleiteten Berechnungsverfahrens mit dem Berechnungsverfahren nach HBS 2015, [1] für lichtsignalgeregelte Zufahrten mit einem durchgehenden Fahrstreifen und einem zusätzlichen Aufstellstreifen vorgenommen worden.

Die vergleichende Bewertung ist in Form eines SOLL-IST Vergleichs vorgenommen worden, in dem Berechnungsergebnisse des hergeleiteten Berechnungsverfahrens (CIST-BV) und des Berechnungsverfahrens nach HBS 2015 (CIST-HBS) mit Ergebnissen der Simulation mit VISSIM (CSOLL) verglichen und ermittelte relative Abweichungen der SOLL- und IST-Werte einer statistischen Auswertung unterzogen worden sind. Der SOLL-IST Vergleich ist auf Grundlage von zufällig ermittelten Anwendungsfällen (Stichprobenumfang n=120) vorgenommen worden, die vorab mit Hilfe der Monte Carlo Simulation ermittelt worden sind.

Tabelle 4: Ergebnis SOLL-IST Vergleich - Vergleich Berechnungsverfahren

Die Ergebnisse des SOLL-IST Vergleichs sind in Tabelle 4 getrennt für das hergeleitete Berechnungsverfahren BV und das Berechnungsverfahren nach HBS 2015, [1] dargestellt. Ein Vergleich der Ergebnisse des SOLL-IST Vergleichs zeigt deutlich, dass das hergeleitete Berechnungsverfahren sowohl bei einer fallübergreifenden Betrachtung (gFI+gFIII) als auch bei einer getrennten Betrachtung der Fälle gFI und gFIII eine geringere mittlere relative Abweichung (e̅rel.-SOLL-IST) und eine geringere Standardabweichung der relativen Abweichungen (srel.-SOLL-IST) aufweist, als das Berechnungsverfahren nach HBS 2015, [1].

Wird unterstellt das der Mittelwert der relativen Abweichung (e̅rel.-SOLL-IST) ein Maß der Genauigkeit und die Standardabweichung (srel.-SOLL-IST) ein Maß der Zuverlässigkeit des betrachteten Berechnungsverfahrens ist, so kann die Schlußfolgerung gezogen werden, dass das ermittelte Berechnungsverfahren BV eine höhere Genauigkeit und Zuverlässigkeit bei der Ermittlung der Kapazität von lichtsignalgeregelten Zufahrten mit einem durchgehenden Fahrstreifen und einen zusätzlichen Aufstellstreifen bei gleichzeitiger Freigabe (gF) aufweist, als das Berechnungsverfahren nach HBS 2015, [1].

5 Ausblick

Vesper 2018, [6] hat in seiner Dissertation ein Berechnungsverfahren zur Ermittlung der Kapazität in lichtsignalgeregelten Zufahrten mit bis zu zwei zusätzlichen Aufstellstreifen bei gleichzeitiger Freigabezeit entwickelt. Auszüge dieser Arbeit sind in diesem Fachbeitrag vorgestellt worden.

In dem hergeleiteten Berechnungsverfahren kommt ein linearer Berechnungsansatz zur Anwendung. Das hergeleitete Berechnungsverfahren bezieht sich ausschließlich auf die Signalisierungsform 1: gleichzeitige Freigabe (gF). Im Rahmen einer weiterführenden Forschung sollte geprüft werden, ob der für die Signalisierungsform: gleichzeitige Freigabe (gF) entwickelte Berechnungsansatz in angepasster Form ebenfalls auf die Signalisierungsformen: nicht gleichzeitige Freigabe (ngF) und überlappende Freigabe (üF) übertragbar ist. 

Das hergeleitete Berechnungsverfahren ist unter Berücksichtigung verschiedener Randbedingungen (Annahmen) entwickelt worden (siehe Tabelle 1). Im realen Verkehrsablauf können diese Randbedingungen und Annahmen nicht immer eingehalten werden. Im Rahmen einer auf dieser Arbeit aufbauenden Forschung könnte überprüft werden, welche Auswirkungen die Nichteinhaltung der genannten Randbedingungen bzw. Annahmen auf die Anwendbarkeit und die Genauigkeit der Berechnungsergebnisse des hergeleiteten Berechnungsverfahrens hat bzw. welche Möglichkeiten der Anpassungen es gibt. In diesem Zusammenhang könnten u. a. folgende Aspekte betrachtet werden:

· Verkehrszusammensetzung: aPkw < 100%; aSV>0%,

· unterschiedliche Verkehrszusammensetzung auf einzelnen Fahrstreifen der Zufahrt,

· gestörter Abfluss der abfließenden Fahrzeuge aus der Zufahrt (z.B. gleichzeitig signalisierte Fußgänger und Radfahrer in Furten in den Knotenpunktausfahrten, bedingt verträgliche Führung der Linksabbieger (z.B. 2-phasige Lichtsignalsteuerung)),

· verschiedene Zeitbedarfswerte abfließender Fahrzeuge aus den Fahrstreifen einer Zufahrt,

· Auswirkung kurzer Sperrzeiten, bei denen sich nicht in jedem Umlauf ein Rückstau bis über die Verzweigungsstellen der Zufahrt hinweg bilden kann.

Perspektivisch sollte geprüft werden, ob das hergeleitete Berechnungsverfahren und die kalibrierten allgemeingültigen Eingangsparameter (in Form von Nomogrammen und Wertetabellen), ggf. ergänzt durch Ergebnisse weiterführender Forschung, Eingang in künftiges oder in die Fortschreibung bestehender Regelwerke der FGSV finden kann. Nur auf diesem Wege ist das entwickelte Berechnungsverfahren mit den genannten Vorteilen für den Anwender in der Praxis verfügbar und kann künftig bei der Überprüfung der Kapazität und dem Entwurf von Signalprogrammen zur Anwendung kommen.

6 Zusammenfassung

Im vorliegenden Beitrag ist ein neues Berechnungsverfahren zur Ermittlung der Kapazität von lichtsignalgeregelten Zufahrten mit bis zu zwei zusätzlichen Aufstellstreifen bei gleichzeitiger Freigabezeit vorgestellt worden. Das entwickelte Berechnungsverfahren weist gegenüber dem Berechnungsverfahren nach HBS 2015, [1] unter anderem folgende Vorteile auf:

a)    einfacherer und leichter nachvollziehbarer Berechnungsansatz - verwendeter linearer Berechnungsansatz baut auf grundlegenden Zusammenhängen und Gesetzmäßigkeiten des Verkehrsablaufs auf,

b)    höhere Genauigkeit - genauere Ergebnisse bei der Kapazitätsermittlung von lichtsignalgeregelten Zufahrten mit einem zusätzlichen Aufstellstreifen,

c)    breiteres Anwendungsgebiet - anwendbar für lichtsignalgeregelte Zufahrten mit bis zu zwei zusätzlichen Aufstellstreifen.

In einer weiterführenden Untersuchung sollte geprüft werden, ob der für die Signalisierungsform: gleichzeitige Freigabe (gF) entwickelte Berechnungsansatz in angepasster Form ebenfalls auf die Signalisierungsformen: nicht gleichzeitige Freigabe (ngF) und überlappende Freigabe (üF) übertragbar ist.

7 Literatur

[1]      Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV (2015). Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen – HBS, Teil S: Stadtstraßen, FGSV-Verlag, Köln

[2]     Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV (2001). Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen – HBS, FGSV-Verlag, Köln, Ausgabe 2001, Fassung 2009

[3]     Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV (2015). Richtlinien für Lichtsignalanlagen – Lichtzeichen für den Straßenverkehr, FGSV-Verlag, Köln

[4]      W. Schnabel; N. Wu (2008). Diskussionsbeitrag von Schnabel zu Fachartikel von Wu: „Gesamtkapazität an signalisierten Knotenpunkten mit kurzen Aufstellstreifen“ mit Stellungnahme von Wu, Diskussionsbeitrag mit Stellungnahme, Straßenverkehrstechnik, Heft 11/2008, S. 713-715, Kirschbaum Verlag, Bonn

[5]      N. Wu (2007). Total approach capacity at signalized intersections with shared-short lanes – A generalized model based on simulation study, Transportation Research Record, Journal of the Transportation Research Board, No. 2027, Seite 19-26, Washington D.C

[6]        A. Vesper (2018). Entwicklung eines Berechnungsverfahrens zur Ermittlung der Kapazität in lichtsignalgeregelten Zufahrten mit zusätzlichen Aufstellstreifen bei gleichzeitiger Freigabezeit, Dissertation, Bauhaus-Universität Weimar, Professur Verkehrssystemplanung, Online-Veröffentlichung, Weimar