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1. Die Zielstellungen der Busnetzumstellung
1.1 Das Rollenspiel Aufgabenträger vs. Verkehrsunternehmer
Voraussetzung einer erfolgreichen Produktfortschreibung im ÖPNV-Angebot ist ein kooperativer Stil der Zusammenarbeit zwischen dem Verkehrsunternehmen (verantwortlich für den wirtschaftlichen Erfolg des ÖPNV-Angebotes) und dem Aufgabenträger (in der Daseinsvorsorgepflicht verantwortlich für eine angemessene Sicherung der Mobilität der Bevölkerung).
Die DVB AG und die Landeshauptstadt Dresden als Aufgabenträger des ÖPNV pflegen seit Jahren eine gute Partnerschaft, die sich in einer Aufgabenteilung in der ÖPNV-Planung widerspiegelt. Grundlage neuer ÖPNV-Konzeptionen ist der Nahverkehrsplan. Diesen schreiben Landeshauptstadt Dresden, Verkehrsverbund Oberelbe (VVO) und die Partnerunternehmen im Nahverkehrsraum gemeinsam fort.
Am 12. Februar 2009 hat der Stadtrat der Landeshauptstadt Dresden die Aktualisierung des Nahverkehrsplanes (siehe Landeshauptstadt Dresden 2009 [1]) beschlossen, damit war die erste Voraussetzung zur Umsetzung des neuen Busnetzes „Dresden 2010“ gegeben.
Die Zusammenarbeit zwischen Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger ist auch auf der konkreten Fachebene beispielhaft. So besteht seit Mitte der 1990er-Jahre eine Kooperationsvereinbarung zur gemeinsamen Erstellung und Fortschreibung eines rechnergestützten integrierten Verkehrsmodells. Mittlerweile wurde bereits das dritte Verkehrsmodell erstellt mit gleichberechtigten Nutzungsrechten für die Stadtverwaltung und die DVB AG. Die Kommune stellt die Daten des Individualverkehrs und die DVB AG die ÖPNV-Daten zur Verfügung.
Verkehrskonzeptionen für den ÖPNV erarbeiten Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen gemeinsam, beginnend mit der Aufgabenstellung. Die DVB AG plant, kalkuliert und prognostiziert nach der abgestimmten Aufgabenstellung das ÖPNV-Konzept (Liniennetz und Leistungsangebot) im Aufwand und Nutzen. Im iterativen Planungsprozess werden die jeweiligen Maßnahmen so gestaltet, dass zwischen den Standards der Daseinsvorsorge und dem wirtschaftlichen Erfolg, das ÖPNV-Angebot bestmöglich fortgeschrieben werden kann.
Mit klaren Zielen und Maßnahmen über ein fortzuschreibendes ÖPNV-Konzept lädt der Aufgabenträger dann zur Bürgerbeteiligung ein. Zum Busnetz „Dresden 2010“ erfolgte eine öffentliche Auftaktveranstaltung im Rathaus der Landeshauptstadt Dresden unter der Federführung des zuständigen Bürgermeisters. Anschließend wurde das Busnetzkonzept allen 19 Ortsämtern und Ortschaften vorgestellt. Im Ergebnis der Bürgerbeteiligung, dem Diskutieren und Abwägen zahlreicher Prüfaufträge von Bürgern und Fraktionen, wurde die Entscheidungsvorlage durch die Stadtverwaltung zur Beschlussfassung den kommunalpolitischen Ausschüssen und anschließend dem Stadtrat der Landeshauptstadt Dresden vorgelegt.
Der Stadtrat der Landeshauptstadt Dresden hat in seiner Sitzung vom 25. Juni 2009 das Busnetz „Dresden 2010“ beschlossen (siehe Landeshauptstadt Dresden 2009 [2]). Am 29. Oktober 2010 erfolgte ebenfalls per Stadtratsbeschluss die Betrauung der DVB AG (siehe Landeshauptstadt Dresden 2009 [3]). Und am 28. November 2009 wurde das Busnetz „Dresden 2010“ mit neukonzessionierten Buslinienverkehren durch die DVB AG umgesetzt.
1.2 Wann ist ein ÖPNV optimal?
Vor jeder Angebotsfortschreibung steht grundsätzlich die Frage, wie ein optimales ÖPNV- Angebot aussieht. Allgemein formuliert, ist ein ÖPNV genau dann optimal, wenn er verkehrlich zweckmäßig, wirtschaftlich erfolgreich, politisch konsensfähig und betrieblich machbar ist. Dieser Diktion folgend, wurden seit 1998 alle Änderungen im ÖPNV-Angebot in der Landeshauptstadt Dresden geplant und umgesetzt. Die Abbildung 1 zeigt bei den einzelnen Änderungen im ÖPNV-Angebot die jeweiligen Zielstellungen der verkehrlichen, wirtschaftlichen, politischen und betrieblichen Kriterien.
Bild 1: Dresdner Ziele bisheriger ÖPNV-Angebotsänderungen
Die DVB AG verfolgt seit 1998 klare Grundsätze in der Angebotsplanung: Keine Angebotsänderung ohne (prognostizierte) Nachfragesteigerung und ohne (kalkulierte) Ergebnisverbesserung (mindestens Ergebnisneutralität). Das Busnetz „Dresden 2010“ hatte konkret folgende Ziele:
- Steigerung der Verkehrsnachfrage (über 2 Mio. Fahrgäste p. a. mehr im ÖPNV)
- Ergebnisneutralität (keine Erhöhung des Zuschussbedarfs der DVB AG)
- Verbesserung des ÖPNV-Angebotes (12 % Busstreckennetzerweiterung)
- Sicherung der Buskonzessionen der DVB AG
Beginnend mit dem Teilnetz Plauen aus dem Jahre 1998 (Stilllegung der Straßenbahnstrecke Tharandter Straße, Neubau der Straßenbahnstrecke Plauen – Coschütz und Neueinrichtung der Busstrecke Budapester-/Chemnitzer Straße) wurden den Entscheidungsträgern jeweils nur solche ÖPNV-Konzeptionen vorgelegt, die sowohl nennenswerte wirtschaftliche als auch verkehrliche Potenziale freisetzen konnten.
Seit 2006 erhält die DVB AG keine direkten investiven und konsumtiven Mittel mehr von der Landeshauptstadt Dresden. Der heutige Zuschuss der DVB AG (38 Mio. € p. a.) wird innerhalb des steuerlichen Querverbundes der Technischen Werke Dresden GmbH geleistet. Das Busnetz „Dresden 2010“ sollte daran nichts ändern. Die kommunalen Ziele der Verbesserung der ÖPNV-Bedienung, also Angebotsverbesserungen ohne Erhöhung des ÖPNV- Defizits, setzt eine Marktkenntnis und Planungsmethoden voraus, die eine hinreichend genaue Ergebnisprognose für den Entscheidungsprozess liefern.
1.3 Der Nahverkehrsplan
Die Ziele der Landeshauptstadt Dresden sind im Nahverkehrsplan des Verkehrsverbundes Oberelbe verankert. Der Nahverkehrsraum Oberelbe besteht aus der Landeshauptstadt Dresden und den angrenzenden Landkreisen Meißen, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und Bautzen (nur die Flächen der ehemaligen kreisfreien Stadt Hoyerswerda und des Altlandkreises Kamenz) für die der Nahverkehrsplan des Verkehrsverbundes Oberelbe (siehe Verkehrsverbund Oberelbe 2010 [4]) gilt.
Die Vorgaben der Landeshauptstadt Dresden (siehe Landeshauptstadt Dresden 2009 [1]) haben insbesondere eine quantitative und qualitative Verbesserung der Verkehrserschließung zum Ziel. Das Bild 2 zeigt die Busstrecken, die demnach kurz-/mittelfristig besser mit Busverkehren zu erschließen waren. Zahlreiche Strecken sind Neuerschließungen.
Bild 2: Konkretisierung Nahverkehrsplan, kurz-/mittelfristig umzusetzende Verbesserungen im Busnetz
Gemäß den Vorgaben des Aufgabenträgers ist ein Einwohner der Landeshauptstadt Dresden dann vom ÖPNV erschlossen, wenn sein Fußweg zur nächsten Bushaltestelle nicht weiter als 300 Meter beträgt (Straßenbahn 400 Meter). Die Landeshauptstadt Dresden bewertet ihren ÖPNV zwar „als gut bis sehr gut“ (siehe Landeshauptstadt Dresden 2009 [2]), gleichwohl existieren aber aus der Sicht des Aufgabenträgers Defizite, die als „Schwerpunkte nicht erschlossener Siedlungsgebiete mit Einwohnerzahl“ (siehe Landeshauptstadt Dresden 2009 [1], siehe Bild 2) definiert wurden und kurz- bzw. mittelfristig mit Busverkehren (besser) zu erschließen sind.
2 Die Methodik der Angebotsplanung
2.1 Der Planungskreislauf
Um die Vorgaben und Ziele des Aufgabenträgers wirtschaftlich erfolgreich bedienen zu können, ist eine dezidierte Marktkenntnis der verkehrlichen, betrieblichen und wirtschaftlichen Potenziale notwendig. Die permanente Hinterfragung des Verkehrsmarktes nach Kosten- sowie Fahrgastpotenzialen ist die Grundvoraussetzung, um zweckmäßig und erfolgreich das ÖPNV-Angebot fortschreiben zu können.
Erfolgreiche Verkehrskonzeptionen erfordern allerdings einen kommunikativen Planungs- und Entscheidungsprozess zwischen Verkehrsunternehmen, Aufgabenträger und Kommunalpolitik, der inhaltlich über Jahre erarbeitet und iterativ fortgeschrieben werden muss. Wir nennen das den Planungskreislauf, der im Bild 3 schematisch dargestellt ist.
Bild 3: Planungskreislauf
Der ÖPNV wird quasi tagtäglich von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Kunden, Aufgabenträger, Politik oder Dritte haben Wünsche, verändern Strukturen und Rahmenbedingungen etc. Diese Einflüsse bilden mehr oder weniger relevante Chancen und/oder Risiken, die erkannt und gegebenenfalls mit konkreten Maßnahmen beplant werden müssen.
So ist aus zahlreichen einzelnen, teilweise durchaus auch langwierigen verkehrspolitischen, verkehrlichen und wirtschaftlichen Fakten und Wünschen, eine zwischen Aufgabenträger und Verkehrsunternehmer konsensfähige Aufgabenstellung für das Busnetz „Dresden 2010“ entstanden.
Das Busnetz „Dresden 2010“ ist in diesem Sinne (nur) ein Zwischenergebnis einer nächsten Fortschreibungsstufe des ÖPNV-Angebotes. Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger verfolgen bereits weitere mittel- und langfristige Projekte und Potenziale. Diese Vorgehensweise erfordert eine Planungsmethodik, die netzweit verkehrliche und wirtschaftliche Fakten erkennt und konzeptionell durchaus variabel, je nach Machbarkeit, Konsensfähigkeit und Bezahlbarkeit berücksichtigen kann. Wir nennen das eine erfolgsorientierte Planung.
2.2 Die erfolgsorientierte Angebotsplanung
Die DVB AG definiert eine erfolgsorientierte (oder auch ergebnisorientierte) Angebotsplanung als eine ÖPNV-Konzeption, die Nachfragesteigerungen, Ergebnisverbesserungen und Konsensfähigkeiten zum Ziel hat.
Mit der erfolgsorientierten Angebotsplanung wird eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen betrachtet, die konkrete Potenziale für den ÖPNV haben. Das Ergebnis sind zahlreiche reduktive und progressive (Einzel-) Maßnahmen, die im kommunikativen Planungsprozess mit Aufgaben- und Entscheidungsträgern diskutiert und iterativ zu einem Konzept entwickelt werden. Das Bild 4 zeigt, wie reduktive, also kostensparende Maßnahmen mit progressiven, also nachfragesteigernden Maßnahmen so kombiniert werden, dass im Ergebnis ein Vorzugsszenario mit Nachfragesteigerungen und Ergebnisverbesserungen möglich ist.
Bild 4: Die Methodik der erfolgsorientierten Angebotsplanung
Zusammengefasst hat die erfolgsorientierte Angebotsplanung drei Grundsätze:
1. Wahrung von Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit: Keine Änderungen des ÖPNV- Angebotes ohne Verbesserung der Nachfrage sowie der Wirtschaftlichkeit (Wahrung des Preis-Leistungs-Verhältnisses im Sinne der Kunden).
2. Kundenzufriedenheit definiert Qualität: Ein ÖPNV-Angebot ist nur erfolgreich, wenn die angebotenen Qualitäten den Kunden zufrieden stellen. Und gute Qualitäten sind wiederum nur mit einem erfolgreichen ÖPNV bezahlbar. Qualitäten und Wirtschaftlichkeiten bedingen also einander, müssen verhältnismäßig zueinander, gemessen an der Handlungsrelevanz der Kundenzufriedenheit, fortgeschrieben werden.
3. Wahrung der Konsensfähigkeit: Nur die Planung ist umsetzungsfähig, die auch konsensfähig ist. Die Fortschreibung eines erfolgreichen ÖPNV-Angebotes erfordert daher ein politisches Marketing mit einer hohen Transparenz an Fakten (Qualitäten, Nutzen und Kosten) und einen kommunikativen Planungsprozess unter Einbeziehung aller Nutzer, Betroffenen und Entscheidungsträger.
2.2.1 Die wirtschaftliche Potenzialanalyse
Für eine erfolgsorientierte Angebotsplanung sind Kenngrößen erforderlich, die Aufwand, Nutzen und Wirtschaftlichkeit des ÖPNV-Angebotes im Ist- und im Planzustand gegenüberstellen und somit eine Entscheidungsgrundlage dafür liefern, welche Maßnahmen ein Produkt zweckmäßiger und/oder erfolgreicher fortschreiben lassen.
Die für den Planungs- und Entscheidungsprozess notwendigen unternehmerischen Kenngrößen liefert die Linienleistungs- und Erfolgsrechnung. Dabei werden ausschließlich Kenngrößen betrachtet, die bei einer Umlaufplanung einer Linie den Aufwand und Nutzen beschreiben. Sollte die Infrastruktur des Verkehrsweges bei dieser Produktfortschreibung von Interesse sein, werden auch die investiven und konsumtiven Aufwendungen für Beschaffung und Erhalt der Infrastruktur in der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung berücksichtigt.
Die Linienleistungs- und Erfolgsrechnung setzt sich aus folgenden Kenngrößen zusammen:
- Durchschnittliche Fahrgastzahl pro Werktag, Samstag, Sonn-/ Feiertag und Ferien
- Durchschnittliche Einnahme je Fahrgast nach Direktfahrern und Umsteigern
- eingesetzte Fahrzeuge (Instandhaltung, Abschreibung, ...)
- Fahrpersonal (Einsatzstunden)
- Kosten bezogen auf die Zugkilometer (Energie, Treibstoffe)
Das Bild 5 zeigt den strecken- und richtungsfeinen Kostendeckungsgrad aller Buslinienverkehre der DVB AG vom Jahre 2008 bezogen auf einen durchschnittlichen Werktag. Defizitäre Strecken sind rot, auskömmliche Strecken sind grün dargestellt.
Bild 5: Linienerfolg Busnetz Dresden 2008
Auf Basis einer wirtschaftlichen ABC-Analyse, also welche Strecken/Linien sind vergleichsweise unwirtschaftlich, werden nun Reduktionsszenarien zur Ermittlung der wirtschaftlichen Potenziale abgeleitet.
2.2.2 Die verkehrliche Potenzialanalyse
2.2.2.1 Instrumente der Marktforschung
Um Nachfrageverluste von Angebotsänderungen zu vermeiden, sind progressive Maßnahmen, also Maßnahmen mit prognostizierbaren Nachfragesteigerungen dem Angebotskonzept zu Grunde zu legen. Um derartige verkehrliche Potenziale erkennen und prognostizieren zu können, sind diverse Marktanalysen unverzichtbar. Die Instrumente einer dementsprechenden Marktforschung sind:
- Verkehrszählungen
- Mobilitätsbefragungen
- Kundenzufriedenheitsanalysen (Handlungsrelevanzen)
- Beschwerdemanagement
- Verkehrsprognosen
- Sonstige Marktforschungsstudien
So zeigt beispielsweise das Bild 6, dass heute 33 Prozent aller Dresdner wöchentlich wenigstens einmal zwischen den Verkehrsmitteln des Individual- und des öffentlichen Verkehrs wechseln (siehe TNS Infratest 2010 [6]).
Bild 6: Mobilitätsverhalten der Dresdner Bürger 2010
Das durchschnittliche wöchentliche Mobilitätsverhalten der Dresdner Bürger begründet die These, dass in der Landeshauptstadt Dresden durchaus noch nennenswerte ÖPNV- Potenziale vorhanden sein müssen. Denn wo 33 Prozent ÖV-Pkw-Wechsler, sogenannte rationale Entscheider des Verkehrsmittelwahlverhaltens vorhanden sind, sollten auch nennenswerte Potenziale für den ÖPNV vorhanden sein. Auch das Thema Stammkundengewinnung steht dabei im Blickpunkt.
Die entscheidende Frage ist aber, welche Maßnahmen im ÖPNV-Angebot sind nun erforderlich, um entsprechende Potenziale freisetzen zu können?
2.2.2.2 Verkehrsstromanalysen
Die wichtigsten Hinweise für den Handlungs- und Untersuchungsbedarf findet der Verkehrsplaner bei der Analyse des IST-Zustandes. Im stadtteilfeinen Vergleich der Verkehrsmengen und der Reisezeiten zwischen ÖPNV und MIV, werden Erschließungs- und Reisezeitdefizite des ÖPNV sichtbar. Den Nachweis, welche Potenziale mit welcher Konsequenz generierbar sind, müssen dann konkrete Maßnahmeplanungen und Ergebnisprognosen zeigen.
Im Bild 7 ist erkennbar, das im Analysejahr 2003 zwischen einigen Dresdner Stadtteilen relevante Nachfrage- und Reisezeitdifferenzen vorhanden waren. Mit dem Busnetz „Dresden 2010“ wurden diese Relationen auf Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit untersucht, so dass zum 28. November 2009 zahlreiche Erschließungsdefizite beseitigt werden konnten.
Bild 7: Auszug der stadtteilfeinen Verkehrsstromanalyse der Verkehrszellen der Landeshauptstadt Dresden vom Analysemodell 2003
Am Rande erwähnen möchten wir den durchaus interessanten Vergleich des Ist-Zustandes mit verschiedenen Prognosezeiträumen (2015, 2020, 2025 etc.). Dabei werden soziodemografische, raum- und infrastrukturelle Veränderungen mit nicht unerheblichen Auswirkungen auf die Chancen (Potenziale) und Risiken des ÖPNV-Angebotes sichtbar.
Die verkehrliche Analyse zeigt Untersuchungsprioritäten. Die jeweiligen verkehrsplanerischen Maßnahmen, also mögliche Neuerschließungen und/oder Leistungserweiterungen, sind dann im Aufwand zu kalkulieren, im Nutzen zu prognostizieren und im Ergebnis im Variantenvergleich dem IST-Zustand und möglichen Alternativszenarien gegenüberzustellen.
Die DVB AG erzielte im Jahre 2010 Fahrgelderlöse von ca. 100 Mio. Euro. Ein Prozent Nachfrageverlust hätte also ein Millionenproblem zur Folge. Die Forderung der Landeshauptstadt Dresden nach Verbesserungen der ÖPNV-Erschließung (siehe Landeshauptstadt Dresden 2009 [1]) bei wirtschaftlicher Ergebnisneutralität, erfordert zwangsläufig Maßnahmen mit Nachfragesteigerungen, aber vor allem betriebswirtschaftlich gesicherte Verkehrsprognosen.
2.2.2.3 Nachfrageberechnungen
Die Verkehrsprognose ist eine mathematische Wahrscheinlichkeitsberechnung der Verkehrsnachfrage auf Basis des Verkehraufkommens, des Verkehrsangebotes und dem Verkehrsverhalten der Nutzer. Das Verkehrsmodell der Landeshauptstadt Dresden/DVB AG hat heute über 800 Verkehrszellen, davon über 500 in der Landeshauptstadt Dresden.
Das Bild 8 zeigt das Ergebnis einer Verkehrsprognose am Beispiel eines Differenznetzes, also der Entwicklung der Verkehrsnachfrage vom Ist- zum Planzustand (rot = Abnahme, grün = Zunahme der Verkehrsnachfrage in Fahrgästen pro Tag). Dabei ist beispielsweise erkennbar, dass eine neue Süd-West-Tangente Plauen – Zschertnitz - Mockritz (vgl. Handlungsbedarf vom Bild 7) durchaus ein nennenswertes Nachfragepotenzial freisetzen könnte.
Bild 8: Differenznetz der Verkehrsprognose eines Szenarios des Busnetzes "Dresden 2010" zum Analyse-Ist-Zustand
Von einzelnen Strecken, Linien bis zu Verkehrssystemen und ganzen Verkehrsräumen, mit Verkehrsmodellen werden Ist- und Planzustände vergleichbar. Allerdings gilt wie bei jedem Wahrscheinlichkeitsmodell die mathematische Sicherheit des Ergebnisses hängt von der zu Grunde liegenden Datenbasis und der Anwendung des Nutzers ab.
Die Verkehrsmodelle der DVB AG werden daher mit jährlichen Zähldaten kontrolliert und fünfjährig mit Ist-Erhebungsdaten kalibriert. Für den Planungsprozess gelten zudem folgende, seit 1998 selbst definierte Sicherheitsfaktoren:
- Prognosesicherheitsfaktor 0,8 für prognostizierte (positive) Verkehrsnachfragezahlen
- Erlössicherheitsfaktor 0,7 zur Berücksichtigung von Zeitkartenanteilen für prognostizierte (positive) Mehrerlöse
Beide Faktoren lassen somit den Mehrerlös nur zu 56 % in die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung einfließen. Mit diesen Sicherheiten konnte die DVB AG bislang jede Prognose erfüllen.
Die Produkttransparenz
Verkehrsprognosen können zwar mehr oder weniger hinreichend die subjektiven Kriterien des Verkehrsmittelwahlverhaltens der Kunden berücksichtigen, vor negativen Überraschungen und Imageproblemen schützt aber kein Sicherheitsfaktor, keine noch so perfekte Technologie. Hier sind Vermarktungsstrategien gefragt, die bereits in den Planungsprozess, also in das Verkehrskonzept einfließen sollten.
Eine Änderung des ÖPNV-Angebotes wird aus der subjektiven Kundensicht vielfach zunächst als Nachteil wahrgenommen. Es gilt also bereits im Planungsprozess die Marketing- strategie zu finden, die eine positive Erwartungshaltung beim Kunden generiert. Hier ist ebenfalls die Marktforschung gefragt, den Handlungsbedarf zu ermitteln.
So haben marktforscherische Studien der DVB AG ergeben, dass in Dresden die Kenntnis des Verkehrsangebotes (vor allem Takt- und Einsatzzeiten) im Busliniennetz gegenüber der Kenntnis der Straßenbahnangebote vergleichsweise schlecht ist. Daraus schlussfolgernd sollte mit dem Busnetz marketingstrategisch auch die Angebotstransparenz erhöht werden. Insbesondere die nachfragestarken 10-Minuten-Taktlinien, die ein der Straßenbahn ähnliches Verkehrsangebot haben, sind im Blickpunkt. Diese Buslinien wurden zu 60er Buslinien (siehe Bild 9) umnummeriert und mit der Botschaft: „So gut wie Straßenbahn“ vermarktet.
Bild 9: Transparenz mit den "60ern" - die Buslinien im 10-Minuten-Takt der DVB AG
Bei der Umstellung von einem Verästelungs- auf ein kundentransparenteres Achsnetz ist bei der Festlegung der Endpunkte und somit der Linie eine Besonderheit zu beachten. Nachfragegerecht kann die 10-Minuten-Taktlinie zwar von A nach B begründet werden, zahlreiche im 20- oder 30-Minuten-Takt bediente Außenäste und Endpunkte müssten dann allerdings alternierend bedient werden. Eine Überbedienung ist wirtschaftlich und eine separate Bedie- nung ist verkehrlich (Umsteigezwang bedeutet Nachfrageverlust) nicht zu empfehlen. Die DVB AG definiert daher „Transparenz“ wie folgt: 80 Prozent der Nutzer müssen vom 10- Minutentakt profitieren, die übrigen 20 Prozent erhalten dann (mit der Bitte um Verständnis für ein insgesamt transparenteres Netz) separate Informationen u. a. in den Fahrzeugen.
3 Die Kenngrößen des Busnetzes 2010
3.1 Die Wirtschaftlichkeit
Das Bild 10 zeigt die neuen Busstrecken der DVB AG. Das Busstreckennetz ist mit dem Netzkonzept um etwa 30 km auf 278 km Streckenlänge, relativ um 12 Prozent gewachsen.
Bild 10: Neue Busstrecken der DVB AG
Diese neuen Strecken werden vor allem durch Leistungsverlagerungen (Reduktionen) aus dem bestehenden Verkehrsangebot bedient. Auch Liniensubstitutionen und Kombinationen insbesondere mit Buslinien der Regionalverkehr Dresden GmbH sowie eine gemeinsame, interkommunale Buslinie zwischen Radebeul (Landkreis Meißen) und Dresden mit der Verkehrsgesellschaft Meißen mbH (Linie 72), erlauben wirtschaftlichere und auch zweckmäßigere Busleistungen wie nachfolgenden Kenngrößen zusammengefasst zeigen:
- Betriebskosten +400.000 Euro p. a.
- Nachfragezuwachs Gesamtnetz +2,1 Mio. Fahrgäste p. a.
- Fahrgelderlöse DVB AG +800.000 Euro p. a.
- Zuschussentwicklung ./.400.000 Euro p. a.
Mit dem Busnetz „Dresden 2010“ gewinnt die Landeshauptstadt Dresden 2,1 Mio. neue Fahrgäste im ÖPNV, das sind ca. 5.000 vermiedene PKW-Fahrten pro Tag im Stadtgebiet. Die DVB AG kann damit ihr Ergebnis um 0,4 Mio. Euro p. a. verbessern.
3.2 Die Leistungsänderungen
Auf den ersten Blick ist es schwer vorstellbar, eine 12-prozentige Streckennetzerweiterung bei lediglich 0,4 Mio. Euro Mehraufwand p. a. Die Fahrtenhäufigkeit im Streckennetz nimmt tatsächlich nur unwesentlich zu. Im Bild 11 ist die streckenfeine Entwicklung der Fahrtenhäufigkeit erkennbar, wobei hier vor allem Leistungsverlagerungen auffallen.
Bild 11: Entwicklung der streckenfeinen Fahrtenhäufigkeit (rot – Reduktionen und grün – Erweiterungen von ÖPNV-Fahrten)
Auch auf den Fahrzeugeinsatz hat die Busnetzkonzeption kaum nennenswerten Einfluss. So ist im Bild 12 zwar ein Anstieg der Kursanzahl erkennbar, auch mit der geplanten Inbetriebnahme der Waldschlößchenbrücke im Jahre 2012 begründet, aber durch die Linienkombinationen mit Regionalbusunternehmen sind sechs Kurse aus der wirtschaftlichen Verantwortung der DVB AG herauszurechnen, was nahezu unveränderte Fahrzeugbestände erlaubt.
Bild 12: Fahrzeugeinsatzprognose
3.3 Die Verkehrs- und Erlösprognose
2,1 Mio. Fahrgäste p. a. zusätzlich in den öffentlichen Verkehrsmitteln, davon 1,7 Mio. Fahrgäste p. a. erlöswirksam für die DVB AG begründen insgesamt die Zweckmäßigkeit der Busnetzkonzeption „Dresden 2010“. Im Bild 13 ist das Differenznetz (Planzustand vs. Ist- Zustand) der streckenfeinen Verkehrsprognose dargestellt. Dabei sind durchaus die Strecken mit nennenswerten Nachfragesteigerungen auffällig.
Bild 13: Die Entwicklung der Verkehrsnachfrage im Differenznetz Plan-Ist-Zustand mit relevanten Ursachen von prognostizierten Nachfragezuwächsen
Neue Stadtteilverbindungen im Dresdner Süden, Osten und Norden und Neuerschließungen wie beispielsweise der Nöthnitzer Straße (vgl. den Handlungsbedarf aus dem Bild 7) begründen vor allem die prognostizierten Nachfragezuwächse.
1,7 Mio. neue Fahrgäste p. a. (der Prognosesicherheitsfaktor wurde hier bereits unterstellt), ein mittlerer Erlösanteil von 0,68 Euro pro Fahrgast und ein Erlössicherheitsfaktor von 0,7 bedeuten für die DVB AG eine prognostizierte Erlösentwicklung von 0,8 Mio. Euro p. a.
Heute, ein Jahr nach der Inbetriebnahme des neuen Busnetzes haben wir netzweit über drei Prozent mehr Nachfrage in unseren Verkehrsmitteln im Vergleich zum Vorjahr gezählt. Mit absolut 148 Mio. Fahrgästen p. a., 100 Mio. Euro Fahrgelderlösen und einem Defizit von weniger als 38 Mio. Euro p. a. ist das Jahr 2010 das mit Abstand erfolgreichste Geschäftsjahr der DVB AG in der Nachwendezeit.
3.4 Die Akzeptanz
Insgesamt wird die Busnetzänderung durch die Dresdner Bevölkerung nicht nur gemessen an den Nachfragezahlen gut genutzt, sondern auch klar positiv beurteilt. Im ÖPNV- Kundenbarometer 2010 (siehe DVB AG/TNS Infratest 2010 [5]) belegt die DVB AG deutschlandweit den dritten Platz. In der Bewertung des Liniennetzes setzten die Dresdner ihre DVB AG im Jahre 2010 auf den Spitzenplatz.
Befragungen zur Akzeptanz des neuen Busnetzes im Frühjahr 2010 (siehe DVB AG/TNS Infratest 2010 [6]) haben einen auch für uns überraschend hohen Erfolg des Busnetzes gezeigt. So sehen insgesamt 38 Prozent der Dresdner überwiegend Vorteile durch das neue Busnetz. 15 Prozent haben Nachteile, 4 Prozent sehen gleichermaßen Vor- und Nachteile und der Rest fühlt sich nicht betroffen. Anzumerken ist dabei, dass stadtweit lediglich ein Drittel der DVB-Fahrgäste durch die Stadtbuslinien befördert werden. Den größten Anteil der Verkehrsleistung in der Landeshauptstadt Dresden erbringen die Straßenbahnverkehre.
Das Bild 14 zeigt, dass die Dresdner in allen Angebotsmerkmalen des Busnetzes „Dresden 2010“ deutliche Verbesserungen sehen, insbesondere bei der Erreichbarkeit der Ziele und der Linienführung.
Bild 14: Entwicklung der Angebotsmerkmale aus Sicht der Dresdner Bürger
Auch die Bekanntheit der Produkte der DVB AG hat sich signifikant verbessert. So kennen heute das Produkt der 60er Linien 63 Prozent der Dresdner. 78 Prozent finden die 60er Kennzeichnung für die wichtigen Linien gut.
Die Marketing- und Informationskampagne schätzen die Dresdner ebenfalls als erfolgreich ein, 78 Prozent fanden die Informationen zur Busnetzänderung (sehr) gut.
4 Fazit
Der Dresdner Verkehrsmarkt wird von einem vergleichsweise hohen ÖPNV-Nutzeranteil geprägt. Mit einem Verkehrsanteil von 21 Prozent (siehe DVB AG/LH Dresden/VVO 2010 [7]) und einer jährlichen Verkehrsnachfrage von 148 Mio. Fahrgästen p. a. nutzen die Dresdner den ÖPNV intensiv. Im Jahr 2010 haben 2,3 Millionen Fahrgäste mehr die Verkehrsmittel der DVB AG benutzt als im Vorjahr. Die Dresdner geben im deutschlandweiten Vergleich ihrem ÖPNV Bestnoten. Auch das Busnetz wird ausgesprochen gut akzeptiert.
Und, Dresden hat nach wie vor Potenziale, insbesondere verkehrliche Potenziale. Dresden wächst, bis zum Jahr 2025 wird ein Wachstum von bis zu 50.000 Einwohnern erwartet. Und in Dresden ist das ÖPNV-Potenzial noch lange nicht abgeschöpft. Auch die flächendeckenden Planungen zum Busnetz „Dresden 2010“ haben Maßnahmen mit Nachfragepotenzial gezeigt, die aus unterschiedlichsten Gründen, von der bislang fehlenden technischen Machbarkeit (Bustauglichkeit) über derzeit nicht vorhandene gesicherte Finanzierungen (Kostendeckungen) bis hin zum (noch) nicht vorhandenen Konsens, noch einige Zeit im Planungskreislauf „rotieren“ müssen.
Wollen Sie mehr über das Busnetzkonzept wissen? Dann besuchen Sie das Internet der DVB AG (www.dvb.de) und downloaden Sie die Broschüre Fakt 4 und deren Anlagen zum Busnetz „Dresden 2010“ (http://www.dvb.de/de/Download/Publikationen/DVB-Fakt). Oder rufen Sie uns an, wir würden uns freuen, Ihnen unsere Stadt Dresden und unseren Nahverkehr persönlich vorstellen zu dürfen.
Literaturverzeichnis
[1] Landeshauptstadt Dresden (2009). (Beschlussnummer V2932-SR78-09) Vorgaben der Landeshauptstadt Dresden für die anstehende Neukonzessionierung im Buslinienverkehr als Konkretisierung des Nahverkehrsplanes. Dresden
[2] Landeshauptstadt Dresden (2009). (Beschlussnummer V3118-SR83-09) Neuorganisation des Busliniennetzes in der Landeshauptstadt Dresden. Dresden
[3] Landeshauptstadt Dresden (2009). (Beschlussnummer V0190/09) Betrauung der Dresdner Verkehrsbetriebe AG mit der Erbringung von Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse auf dem Gebiet des öffentlichen Personenverkehrs. Dresden
[4] VVO GmbH / Spiekermann AG (2010). Entwurf Nahverkehrsplan 2010 für den Nahverkehrsraum Oberelbe. Dresden
[5] DVB AG / TNS Infratest (2010). ÖPNV-Kundenbarometer 2010 (Nutzerrepräsentative Stichprobe für Dresden n = 500). Dresden
[6] DVB AG / TNS Infratest (2010). Befragung zu DVB-Image, ÖV-Potenzialen und neuem Busnetz (Bevölkerungsrepräsentative Stichprobe für Dresden n = 2.000). Dresden
[7] DVB AG / Landeshauptstadt Dresden / VVO GmbH (2010). Mobilität in Dresden und Umland – Ergebnisse der Verkehrserhebung SrV 2008. Dresden |