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1 Einleitung
Die Bundesregierung ist nach dem Grundgesetz für Bau und Erhaltung der Bundesverkehrswege (Bundesschienenwege GG Art. 87e, Bundeswasserstraßen GG Art. 89 und Bundesfernstraßen GG Art. 90) verantwortlich. Wichtigstes Steuerungselement in diesem Zusammenhang ist der Bundesverkehrswegeplan (BVWP). Er gilt in der Regel für 10 bis 15 Jahre und legt fest, welcher Bedarf an Erhaltungs-, Ausund Neubauinvestitionen besteht. Dabei fordert das Haushaltsrecht, dass für finanzwirksame Maßnahmen wie Infrastrukturinvestitionen „angemessene Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen“ durchgeführt werden (§ 7 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung, § 6 Haushaltsgrundsätzegesetz). Bei der Aufstellung des BVWP wird deswegen die gesamtwirtschaftliche Vorteilhaftigkeit aller Projektideen bestimmt und über deren Dringlichkeit entschieden. Die Dringlichkeitseinstufung erfolgt bisher in drei Kategorien: Vordringlicher Bedarf, Weiterer Bedarf und kein Bedarf. Die Ausund Neubauprojekte sollen entsprechend dieser Stufen abgearbeitet werden. Wann und in welcher Reihenfolge die Projekte innerhalb einer Dringlichkeitsstufe umgesetzt werden, wird jedoch nicht durch den BVWP, sondern durch die Freigabe der Finanzmittel im Zuge der jährlichen Haushaltsaufstellung festgelegt. Der BVWP ist damit ein Planungsinstrument der Bundesregierung, jedoch kein Finanzierungsplan oder Gesetz.
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) bereitet momentan die Neuaufstellung des BVWP für das Jahr 2015 vor. Dafür werden einerseits die Grundlagen, wie z.B. die Verkehrsprognose, an die aktuellen Rahmenbedingungen angepasst. Andererseits gilt es, die Methodik des Entscheidungsverfahrens zu überprüfen und zu optimieren. Die Weiterentwicklung umfasst alle Aspekte des Entscheidungsverfahrens: Zum einen muss das Zielsystem in Form der Priorisierungsstrategie an gesellschaftliche und politische Entwicklungen angepasst werden. Zum anderen wird die Bewertungsmethodik im Hinblick auf internationale Standards, wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn sowie Effizienz der Anwendung angepasst.
Der Bundesverkehrswegeplanung liegt ein komplexes Entscheidungsverfahren zu Grunde, welches in seiner Methodik und Nachvollziehbarkeit immer wieder in Frage gestellt wird. Obwohl der BVWP auch den Erhaltungsbedarf der Verkehrsinfrastruktur bestimmt und darin ein Großteil der Finanzmittel investiert wird, werden insbesondere die Entscheidungen über Ausund Neubauprojekte kritisch hinterfragt. Der momentan gültige BVWP aus dem Jahr 2003 umfasst ein Investitionsvolumen von ca. 150 Mrd. Euro in einem Zeitraum von 15 Jahren. Bei seiner Aufstellung wurden ca. 2.500 Projekte bzw. Varianten untersucht, bewertet und in ihrer Dringlichkeit beurteilt. Allein der Umfang des Investitionsvolumens sowie regionale Interessen rücken den BVWP in den Fokus der Verkehrspolitik und der Öffentlichkeit. Die Transparenz, fachliche Fundierung und Qualitätssicherung des BVWP-Verfahrens und seiner Ergebnisse spielen deswegen eine zentrale Rolle bei der Aufstellung des BVWP 2015. Die gesamte Neufassung wird daher von einem externen Fachkoordinator begleitet und begutachtet.
Dieser Beitrag wird sowohl die Grundsätze des Entscheidungsverfahrens als auch die Methoden zur Beurteilung von Einzelprojekten vorstellen und ausgewählte Neuerungen in beiden Bereichen erläutern. Er beleuchtet die Themen sowohl aus der politischen Entscheidungssicht als auch aus der wissenschaftlichen Sicht des für die Qualitätssicherung verantwortlichen Fachkoordinators.
2 Grundsätze des Entscheidungsverfahrens
2.1 Entwicklung einer Priorsierungsstrategie: Ziele und Mängel in der Bundesverkehrswegeplanung
Seit dem letzten BVWP aus dem Jahr 2003 haben sich die politischen und verkehrlichen Rahmenbedingungen weiterentwickelt. Die notwendige Haushaltskonsolidierung und die daraus folgende Begrenzung der jährlichen Nettokreditaufnahme nach § 115 Abs. 2 Grundgesetz (Schuldenbremse) begrenzen voraussichtlich die Höhe des Verkehrsetats trotz wachsender Verkehrsnachfrage. Die Wünsche und der gefühlte Bedarf an Infrastruktur werden erfahrungsgemäß auch zukünftig deutlich größer sein als die zur Verfügung stehenden Finanzmittel. Die Frage der nachvollziehbaren Priorisierung von Investitionen ist daher so wichtig wie nie zuvor. Ziel ist es, ein realistisches und finanzierbares Gesamtkonzept aufzustellen.
Ein Vorschlag für die Priorisierungsstrategie wurde im Entwurf der Grundkonzeption für den BVWP 2015 [2] entwickelt. Mit dieser strategischen Neuausrichtung soll die Leistungsfähigkeit der Verkehrsnetze sichergestellt werden, ohne die zur Verfügung stehenden Finanzmittel aus den Augen zu verlieren. Die Priorisierung von Infrastruktur muss dabei Ausdruck der gesellschaftlichen und politischen Willensbildung sein. Der Weg zur Grundkonzeption und der in ihr enthaltenen Priorisierungsstrategie beginnt deswegen mit einer Standortbestimmung und folgt dem klassischen Planungsablauf: Ziele – Mängel – Maßnahmen.
Sowohl fachlich als auch politisch werden vielfältige Ziele für die Verkehrsplanung diskutiert. Häufig werden insbesondere mit dem BVWP Ziele und Wünsche verbunden, die nicht oder nur schwierig oder ineffizient durch Infrastruktur beeinflussbar sind. Die Zieldefinition im BVWP 2015 wurde deswegen erstmals in zwei Ebenen vorgenommen: Auf der ersten Ebene wurden sechs übergeordnete verkehrspolitische Ziele aufgegriffen, die sich so oder so ähnlich auch schon im BVWP 2003 finden (z.B. Sicherstellung der Güterversorgung). Auf einer zweiten Ebene wurden daraus durch Maßnahmen an der Infrastruktur signifikant beeinflussbare Ziele abgeleitet (z.B. Substanzerhaltung, Zuverlässigkeit von Transporten, etc.). Die Fokussierung der Ziele in der Grundkonzeption ist wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung einer wirkungsvollen Priorisierungsstrategie, denn Infrastrukturpolitik ist ein wichtiger Baustein der Verkehrspolitik, aber nicht Allheilmittel. Die Kombination aus übergeordneten und abgeleiteten Zielen ermöglicht, dass ein breiter Bereich von politischen Zielen abgedeckt wird, ohne die Erwartungen an den BVWP zu überfrachten.
Tabelle 1: Übergeordnete Ziele und abgeleitete Ziele/Lösungsstrategien des BVWP 2015 (Eigene Darstellung auf Basis von BMVBS 2012 [1])
Entsprechend dieser Ziele wurde das Verkehrsnetz auf Mängel untersucht. Die Grundkonzeption stellt auf Basis der Ende 2012 verfügbaren Daten den Netzzustand hinsichtlich des Erhaltungsbedarfs, der Engpasssituationen, der Anbindungsund Erreichbarkeitsqualitäten sowie die netzbezogenen Umweltwirkungen und die Verkehrssicherheit dar. Die Analysen zeigen, dass der voraussichtlich höchste Handlungsbedarf in den nächsten Jahren beim Substanzerhalt und der Sicherung eines flüssigen Verkehrsablaufs besteht. Der Erhaltungszustand weist sowohl bei den Straßenfahrbahnen als auch für Ingenieurbauwerke im Straßen-, Schienen- und Wasserstraßennetz deutliche Mängel auf. Ebenso steigt die Anzahl von Überlastungen im Straßenund Schienenverkehrsnetz. Von diesem Problem ist das Netz nicht nur punktuell, sondern großräumig und insbesondere auf wichtigen Hauptabfuhrstrecken des Güterverkehrs betroffen.
Die Mängelanalyse diente in der Grundkonzeption als Basis der Priorisierungsstrategie. Entsprechend wurde festgelegt, dass Erhaltung und Sanierung der Infrastruktur Vorrang vor Ausund Neubau hat. Der Erhaltungsund Ersatzbedarf der Verkehrsnetze wird auf Basis von Erhaltungsbedarfsprognosen ermittelt und gilt als gesetzt. Diese Vorrangstellung der Erhaltung wird auch im Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode bekräftigt. Überschlägige Berechnungen zeigen bereits heute, dass künftig der jährliche Erhaltungsbedarf für alle Verkehrsträger für den Bund weiter ansteigen wird. Im Mittel wird bis 2030 jährlich ein Erhaltungsbedarf von mind. 6,6 Mrd. Euro (Preisstand 2012) bestehen (s. BMVBS 2012 S. 26, [1]).
Die vom Investitionsbudget nach Abzug des Erhaltungsbedarfs verbleibenden Mittel stehen für Ausund Neubau zur Verfügung. Diese Mittel sollten entsprechend der Mängelanalyse so investiert werden, dass der Verkehrsfluss auf Hauptachsen sichergestellt werden kann. Im BVWP 2015 soll deswegen ein Schwerpunkt auf überregional bedeutsame Projekte und die Beseitigung von Engpässen gelegt werden. Für diese Projekte wird die neue Dringlichkeitskategorie (Vordringlicher Bedarf Plus) geschaffen, welche prioritär umgesetzt werden soll.
2.2 Bewertung von Projekten
Die Festlegung der Ziele des BVWP 2015 dient nicht nur als Grundlage der Priorisierung. Diese Ziele formulieren auch die Anforderung an die eigentliche Bewertungsmethodik. Diese muss so ausgestaltet sein, dass eine Aussage zum Zielbeitrag aller Projekte möglich ist. Entsprechend muss das Bewertungsverfahren mindestens die Wirkung der Projekte in Bezug auf Verkehrsfluss, Verkehrssicherheit, Lärmund Umweltwirkungen, städtebauliche Potentiale sowie Anbindungsund Erreichbarkeitsqualitäten abschätzen (Planfallberechnung) und beurteilen (Projektbewertung) können (siehe Tabelle 1, 3. Spalte).
Dafür kommen im BVWP 2015 vier Bewertungsmodule zum Einsatz (siehe Abbildung 1). Soweit wie möglich werden alle monetarisierbaren Wirkungseffekte in der Nutzen-KostenAnalyse (NKA) erfasst (Modul A). Sie liefert im Ergebnis einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen-Kosten-Indikator, welcher die Rentabilität der eingesetzten Finanzmittel widerspiegelt. Aufgrund der langen Tradition der NKA in der Bundesverkehrswegeplanung ist sie ein sehr elaboriertes Verfahren mit sehr vielen Einzelindikatoren, deckt also sehr viele Wirkungsbereiche erwogener Maßnahmen ab. Die NKA umfasst die Wirkungen der meisten Zielindikatoren (s. dazu auch Abschnitt 2.3), wobei auch Umweltindikatoren (Lärmwirkungen, CO2) und Erreichbarkeitsindikatoren (Reisezeitgewinne) bereits enthalten sind. Dennoch verbleiben Ziele und deren Wirkungsbereiche, die nicht vollständig über die NKA abbildbar sind. Dazu zählen weitere Umweltwirkungen, wie z.B. die Flächeninanspruchnahme oder der Schutz unzerschnittener Räume. Diese nicht-monetarisierbaren Indikatoren werden in der Umweltund Naturschutzfachlichen Beurteilung (Modul B) abgebildet. Als drittes Bewertungsmodul umfasst die Raumordnerische Beurteilung (Modul C) die Anbindungsund Erreichbarkeitsqualitäten. Dabei werden einerseits die Mängel der Verbindungsqualitäten zwischen Oberzentren und Metropolkernen gemessen. Andererseits wird die Erreichbarkeit von Regionen in Bezug auf die nächstgelegene Infrastruktur (z.B. Autobahnanschluss, Flughafen, Fernverkehrsbahnhof etc.) bewertet. Im Gegensatz zur NKA, welche die gesamtwirtschaftliche netzweite Summe der Erreichbarkeitsverbesserungen in Form von Zeitgewinnen erfasst (allokative Vorteile), berücksichtigt die Raumordnerische Beurteilung verteilungstheoretische Aspekte wie die Frage von Mindest-Erreichbarkeiten von Regionen (distributive Vorteile). Das vierte und letzte Modul bildet die Städtebauliche Beurteilung (Modul D) von Infrastrukturprojekten. Darin wird das Ziel abgebildet, dass insbesondere Straßenprojekte bebaute Bereiche und die dort lebenden Menschen entlasten sollen. Darunter fallen beispielsweise neue Raumnutzungsmöglichkeiten an Ortsdurchfahrten (z.B. Aufenthaltsflächen wie Plätze) oder Sanierungseffekte (z.B. Erneuerung anliegender Bebauung) durch Entlastung von Ortskernen von hohem Verkehrsaufkommen.
Abbildung 1: Gesamtprozess des BVWP 2015 (Eigene Darstellung auf Basis von BMVBS 2012 [1])
In Kombination ermöglichen die vier Module die Projektbewertung hinsichtlich aller Ziele. Aus der Gesamtbeurteilung der Projekte wird unter Einbeziehung der Erhaltungsbedarfsprognosen der Gesamtplan aufgestellt.
3 Weiterentwicklung der NKA
3.1 Weiterentwicklung der NKA im Überblick
Die Nutzen-Kosten-Analyse ist seit vielen Jahren das Kernstück der Bewertungsmethodik zum Bundesverkehrswegeplan. Fast ebenso lange steht sie in der Kritik, durch die Verrechnung von Vorund Nachteilen bei den Projektwirkungen nicht mehr nachvollziehbare Ergebnisse in Form einer einzigen Zahl, nämlich des Nutzen-Kosten-Verhältnisses, zu erzielen. Darüber hinaus schränke sie als ausschließlich angewendetes Verfahren das Zielsystem auf solche Aspekte ein, deren Messgrößen der Zielerreichung (Indikatoren) monetarisierbar sind.
Bewertungsverfahren setzen sich aus drei Ebenen zusammen: dem Zielsystem, den Indikatoren zur Messung der Zielerreichung und den sogenannten Wertsyntheseverfahren, die die Einzelergebnisse der Indikatoren zu einer Gesamtaussage zusammenfassen. Die bekanntesten Wertsyntheseverfahren sind die Nutzen-Kosten-Analyse (NKA) und die Nutzwertanalyse (NWA). Beide Wertsyntheseverfahren enthalten Gewichtungen, die NWA in Form der im gesellschaftlichen Diskurs ermittelten Zielgewichtungen, die NKA in Form der Monetarisierungsansätze. Diese Wertansätze werden generell und so auch in der BVWP durch entsprechende Fachgutachter ermittelt und wissenschaftlich fundiert. Dies schließt die Diskussion über die Wertermittlung mit ein. Da es kaum Projekte gibt, die im Sinne der Wohlfahrtstheorie niemanden schlechter stellen aber mindestens einen besser (Pareto-Effizienz), ist die Verrechnung von Vorund Nachteilen in der NKA zwingend.
Die im BVWP zum Einsatz kommende Methodik zeichnet sich schon heute durch eine hohe Komplexität aus. Sowohl aus internationalen Vergleichsstudien (z.B. BICKEL ET AL. 2005, [1]) als auch aus Analysen im Auftrag des BMVI (z.B. NAGEL ET AL. 2010, [4]) lassen sich zahlreiche Ansatzpunkte zur Überarbeitung der Methodik ableiten. Ziel ist es, die Ergebnisgenauigkeit und die Transparenz der NKA zu verbessern. Im Rahmen der Weiterentwicklung der BVWP-Methodik wurde die NKA einer generellen Überprüfung unterzogen. Dabei sollten
• standardmäßige Aktualisierungen wie die der Wertansätze oder des Diskontsatzes vorgenommen werden,
• die Aktualität und Angemessenheit der Indikatoren überprüft werden,
• Weiterentwicklungen aufgezeigt werden, wobei anzugeben war, ob ihre Realisierung im Rahmen des BVWP 2015 umgesetzt werden kann.
Die Überprüfung der Methodik ist noch nicht vollständig abgeschlossen. Nach bisherigen Erkenntnissen, wird die NKA in weiten Teilen sich am Verfahren der bisherigen BVWP orientieren. Die NKA soll voraussichtlich die folgenden zentralen Wirkungsbereiche erfassen:
• Betriebsführungsund Vorhaltungskosten im Personenund Güterverkehr
• Zeitkosten im Personenverkehr und Güterverkehr (neu im Güterverkehr)
• Verkehrssicherheit
• Zuverlässigkeit (neu),
• Umweltwirkungen (Luftschadstoffemissionen, Lärmimmissionen, Klimagefährdung).
Neu wurden die Indikatoren „Zuverlässigkeit“ (vgl. Absatz 3.3.) und „Lebenszyklusemissionen von Treibhausgasen beim Bau und Betrieb von Infrastrukturen“ aufgenommen. Die soweit aktualisierte NKA ist in der Lage, die Erreichung der übergeordneten Ziele der BVWP und den Grad der Berücksichtigung der Priorisierungsstrategie für eine Entscheidungsfindung bei der Projektauswahl darzustellen. Weiterhin wird geprüft, zukünftig auch Nutzen aus Transportzeitgewinnen im Güterverkehr (z.B. aufgrund reduzierter Kapitalbindungskosten) zu berücksichtigen. Auf einige Indikatoren kann gegenüber dem BVWP 2003 voraussichtlich verzichtet werden. Hierbei wird zentral die Indikatorengruppe „Räumliche Vorteile (NR)“ im Hinblick auf die Vermeidung von Doppelbewertungen und auf die arbeitsmarktseitige Konsistenz mit der Verkehrsprognose überprüft.
3.2 Ausgewählte Aspekte der Weiterentwicklung der NKA
Im Folgenden sollen zwei ausgewählte Weiterentwicklungen vorgestellt werden – je eine Weiterentwicklung auf der Kostenund auf der Nutzenseite.
3.2.1 Kostenseite: Plausibilisierung der Investitionskosten
Bei der Weiterentwicklung des Bewertungsverfahrens wird neben der Nutzenseite auch die Abschätzung der Investitionskosten verbessert werden. Während die BVWP-Methodik jeher eine sehr genaue Messung der Nutzenw ermöglicht, stecken in den Kostenschätzungen zum Teil hohe Unsicherheiten. Bereits in einer ersten Untersuchung aus dem Jahr 2011 wurde gezeigt, dass es im Planungsverlauf bei Straßenprojekten häufig zu Steigerungen von Investitionskosten kommt (BECKERS ET. AL 2011, [6]). BECKERS ET. AL zeigen anhand empirischer Analysen im Bundesfernstraßenbereich, dass insbesondere nach Abschluss der Entwurfsplanung und der Planfeststellung hohe durchschnittliche Kostensteigerungen von 29 % respektive 26 % zur jeweils vorangegangenen Planungsstufe festgestellt wurden. Der Trend zu steigenden Kosten lässt sich auch bei vielen Schienenprojekten bestätigen.
Die Kostensteigerungen sind sowohl auf Baupreissteigerungen als auch auf Projektänderungen zurückzuführen. Letztere werden einerseits durch geänderte Vorschriften (beispielsweise erhöhte sicherheitsund umwelttechnische Anforderungen) und andererseits durch Konkretisierung der Planungen verursacht. Dabei steht immer wieder der Vorwurf im Raum, Projektekosten würden in frühen Planungsphasen systematisch unterschätzt, um die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung positiv zu beeinflussen. Auch wenn Fehlanreize bei der Kostenschätzung nicht auszuschließen sind, ist die Kostengenauigkeit nicht pauschal als schlecht einzuschätzen. Bei einigen Projekten oder Planungsstufen kommt es auch zu Kostenreduktionen. Die Höhe der Kostensteigerung schwankt stark zwischen einzelnen Projekten. Daraus lässt sich ableiten, dass ein pauschales Verfahren zur Absicherung der Kostenunsicherheit (z.B. 20 % Risikopuffer) unangemessen wäre. Ziel des BVWP 2015 ist daher, die Investitionskosten projektscharf zu plausibilisieren.
In einem Forschungsprojekt wurden dafür die Kostenentwicklungen bei abgeschlossenen Infrastrukturprojekten untersucht. Im Ergebnis (siehe Abbildung 2) wurde eine Methodik zur Plausibilisierung entwickelt, die im Wesentlichen zwei Kostenfaktoren in den Mittelpunkt stellt: Zum einen lässt sich aus vergangenen Projekten ableiten, dass insbesondere Umweltauflagen zu starken Kostensteigerungen geführt haben. Deswegen soll zukünftig vor der Bewertung der angemeldete Trassenverlauf aus Umweltsicht betrachtet werden. Hierbei wird geprüft, ob die geplante Projektausführung aufgrund der örtlichen Gegebenheiten zu Umweltkonflikten (z.B. Zerschneidung von Schutzgebieten) führt. Um solche Konflikte zu vermeiden, werden in weiteren Planungsphasen häufig Anpassungen des Trassenverlaufs oder der Bauwerksanordnung (Brücken oder Tunnel) vorgenommen. Diese Planänderungen führen in der Regel zu starken Kostensteigerungen und sind daher bereits auf Ebene des BVWP zu antizipieren und einzupreisen.
Abbildung 2: Ablauf Kostenplausibilisierung der angemeldeten Projekte im BVWP 2015 (eigene Darstellung)
In einem zweiten Schritt werden auf Basis des plausibilisierten Trassenverlaufs die zugehörigen Investitionskosten analysiert. Hier stehen insbesondere die technische Machbarkeit sowie die Plausibilität der angenommenen Kosten im Vordergrund. Die Herausforderung der Kostenschätzung liegt in der Unterschiedlichkeit der Projektreife. Einige im BVWP zu untersuchende Maßnahmen sind bereits weit geplant, zum Teil mit bereits rechtskräftiger Planfeststellung. Andere Projekte befinden sich im Stadium der Vorprüfung und entsprechend grob sind die vorliegenden Kostenschätzungen. Viele Risikofaktoren sind zu diesem Zeitpunkt unbekannt (z.B. Baugrund etc.). Um eine Kostenplausibilisierung zu ermöglichen, wurden die Anforderungen an die Projektanmeldungen beim Verkehrsträger Straße deutlich verschärft. Statt einer groben Gesamtkostenschätzung wie in der Vergangenheit, sind die Länder aufgefordert, die Kostenanmeldung differenziert entsprechend der AKS/AKVS-Hauptgruppen1 anzumelden; für wesentliche Ingenieurbauwerke sind Einzelkostenschätzungen beizufügen. Zur Anmeldung gehören ein GIS-basierter Lageplan und in aller Regel ein Höhenplan auf Grundlage einer Linienvorauswahl im Maßstab 1:25.000 auf Basis der Digitale Topographische Karte DTK 25. Der Lageplan hat die wesentlichen Elemente (Ingenieurbauwerke, Dämme, Einschnitte, Wände, Knoten, Lärmschutz usw.) lagegenau mit Anfangsund Endpunkt zu beinhalten. Anhand der bereitgestellten Projektinformationen, insbesondere dem GIS-basierten digitalen Lageplan und Höhenplan, wird die gewählte Trassenführung ingenieurtechnisch auf Plausibilität geprüft. Dies betrifft die gewählten Trassierungselemente, das Massengerüst sowie die Anordnung und Größe der Ingenieurbauwerke. Weiterhin werden die angemeldeten Kosten anhand von Vergleichskosten aus abgeschlossenen Projekten bzw. aus Kostenkennwertkatalogen plausibilisiert.
Werden bei der technischen Projektprüfung, der Kostenschätzung oder der Umweltprüfung Konflikte festgestellt, erfolgt eine Rückkopplung der Erkenntnisse mit dem Projektanmelder. Dieser wird dann aufgefordert, die Planungsunterlagen entsprechend anzupassen und die Kostenschätzungen zu aktualisieren. Führen während der Plausiblisierung vorgenommene Änderungen zu Verbesserungen der Projektwirkungen (z.B. Leistungsfähigkeit oder bei der Umweltverträglichkeit), sind diese Verbesserungen selbstverständlich entsprechend im Bewertungsverfahren zu berücksichtigen. Ein Projekt wird erst dann zur Bewertung zugelassen, wenn die Kostenplausibilisierung positiv abgeschlossen werden konnte.
3.2.2 Nutzenseite: Neue Nutzenkomponente Zuverlässigkeit
Seit einigen Jahren ist der Begriff der Zuverlässigkeit im Verkehr bzw. zuverlässiger Verkehrssysteme in aller Munde und entsprechend auch die Forderung an die politisch Verantwortlichen erhoben worden, Maßnahmen zu ergreifen, um die Verkehrssysteme zuverlässiger zu machen. Insofern war und ist es zwingend notwendig, sich im Rahmen der Überarbeitung der Methodik zur Bundesverkehrswegeplanung auch mit dieser Thematik auseinander zu setzen.
Sehr schnell zeigte sich dabei, dass das theoretische Wissen zur Zuverlässigkeit nicht sehr umfangreich ist. Schon die Definition des Begriffes lässt sich nicht intuitiv geben. Umgangssprachlich ist jede Relation bzw. Fahrt von A nach B unzuverlässig, wenn der Reisende dabei in einen Stau gerät bzw. sein Zug oder Flieger verspätet ist. Betrachtet man hingegen einen Berufspendler, der jeden Morgen in „demselben“ Stau steht, so ist dieser Stau sehr zuverlässig. Zuverlässigkeit definiert sich also als Abweichung von einem erwarteten Mittelwert der Reiseoder Transportzeit bzw. einem Abweichen von der erwarteten Ankunftszeit, wobei neben den Verspätungen auch Verfrühungen zu betrachten sind. Abweichungen von der erwarteten Reisezeit lassen sich mathematisch durch die Verteilungen von Reisezeiten bzw. Ankunftszeiten beschreiben. Im Fall des „sicheren Staus“ ergibt sich also ein größerer Erwartungswert für die Reisezeit, wobei die Streuung um diesen Erwartungswert sehr gering sein kann.
Für die einzelnen Verkehrsträger sowie für die Unterscheidung nach Personenund Güterverkehr ist noch auf die unterschiedlichen Ausprägungen der Zuverlässigkeit einzugehen. Unzuverlässigkeiten im Verkehrssystem wirken sich in der ersten Stufe auf die Transportgefäße aus, also auf Kfz, Züge etc. In der zweiten Stufe sind die Personen oder Güter betroffen, die mit den Transportgefäßen befördert werden. In der Konzeption der Methodik zur neuen Bundesverkehrswegeplanung sollen ausschließlich die Effekte auf der zweiten Stufe bewertet werden, d.h. die Betroffenheiten von Personen und Gütern durch die Unzuverlässigkeiten eines oder mehrerer Verkehrsträger. D.h. eine von der Bahn mit großen zeitlichen Schwankungen bediente Relation leistet keinen relevanten Beitrag zu einem Indikator „Unzuverlässigkeit“, wenn die Züge dieser Relation ausschließlich niedrige Auslastungsgrade aufweisen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen des Bewertungsverfahrens zur Bundesverkehrswegeplanung ausschließlich Verbesserungen der Zuverlässigkeit durch infrastrukturelle Maßnahmen erfasst werden dürfen. Dies ist insbesondere im Bahnbereich schwierig, da sich Unzuverlässigkeiten oftmals durch Probleme mit dem Rollmaterial, durch Defizite an der bestehenden technischen Infrastruktur oder durch Einbruchsverspätungen aus anderen Relationen ergeben.
Insgesamt weist die Thematik der Zuverlässigkeit und ihrer Umsetzung in Verkehrsprognose und Projektbewertung eine Komplexität auf, die Forschungsaktivitäten verlangt, wie sie im Rahmen der Ressortforschung zum BVWP mit engem Zeitfenster kaum geleistet werden können. Von daher handelt es sich hier um sehr spannende und erkenntnisreiche Ergebnisse, jedoch nicht um abschließende.
Zur Definition der Zuverlässigkeit gehört ihre Abgrenzung ggü. dem Begriff der „Robustheit“. Der Begriff der Robustheit oder „Resilience“ wird sehr häufig im Bereich der Zivilen Sicherheit von Verkehrsinfrastrukturen angewendet. Im angelsächsischen Sprachraum wird im Gegensatz zum universellen deutschen Wort „Sicherheit“ zwischen „safety“ und „security“ unterschieden. Im Kontext von "safety" sind alle Ereignisse zu nennen, die sich aus dem Verkehrssystem selbst heraus ergeben. Dies sind häufig Unfälle aufgrund hoher Verkehrsdichte, unangemessenem Fahrverhalten oder aufgrund schwieriger Sichtverhältnisse im Straßenraum. Zu „security“ zählen alle Einwirkungen von außen auf das Verkehrssystem, also Extremwetter, terroristische Anschläge etc. Die Zivile Sicherheitsforschung beschäftigt sich sehr intensiv mit der Widerstandsfähigkeit von Verkehrsinfrastrukturen ggü. äußeren Einflüssen aber auch extremen Unfallsituationen mit z.B. Brandüberschlag in Tunneln.
Folgt man der Abgrenzung, dass Robustheit die Widerstandsfähig gegen Extremereignisse ist, wobei diese sehr selten auftreten, dann führen diese Ereignisse bei der Verteilung der Reisebzw. Transportzeiten auf den aller äußersten rechten Rand der Verteilung. In diesem Sinne wäre Robustheit in das Konzept der Unzuverlässigkeit integrierbar. Dabei wurde im Rahmen der Methodiküberarbeitung zum neuen BVWP durchaus diskutiert, ob eine Neubaustrecke als „Alternativroute“ zu bestehenden hochausgelasteten Strecken einen Nutzen bzgl. der Robustheit des Netzes aufweist. Allerdings stellt sich die Prognose der Eintrittswahrscheinlichkeit solcher Extremereignisse und damit der Realisierung des Nutzens alternativ möglicher Routen als äußerst schwierig da. Aufgrund der noch großen Unsicherheit hinsichtlich der Abschätzung und Behandlung solcher Effekte erfolgt keine explizite Erfassung der Robustheit bei der standardisierten Bewertung des BVWP 2015.
Es lassen sich im Wesentlichen vier Ansätze für die Erfassung und Bewertung von Zuverlässigkeit bzw. Unzuverlässigkeit auf einer Relation benennen (DE JONG ET AL. [5], Seite 14ff):
1. Standardabweichung der Reisezeitverteilung
2. Streubreite der Reisezeitverteilung
3. (Antizipierte) Pufferzeiten, um Verspätungen zu vermeiden
4. Abweichung von vereinbarten Ankunftszeiten in fahrplangebundenen Systemen (schedule delay) in Häufigkeit (Prozentsatz der Ankünfte) und Ausmaß (Verspätung in z.B. Minuten).
Im Personenverkehr Schiene ist die vierte Variante im Kontext der BVWP-Planung nur schwierig umzusetzen, da für die Prognosesituation 2030 kein Fahrplan vorliegt und daher die Modellierung nur anhand eines Zugliniensystems erfolgen kann. Im Güterverkehr könnte das Konzept verfolgt werden, da aus dem Zugbildungsprozess im aktuell zur Anwendung kommenden Modell ein endogener Fahrplan vorliegt. In der Praxis des Transportgewerbes wird jedoch mit Pufferzeiten gearbeitet. Die Pufferzeiten transformieren Verspätungsrisiken und damit möglicherweise eintretende Zeitverluste in sichere Zeitverluste ggü. einer störungsfreien Fahrt. Sie sind der Preis der Risikominderung. Dabei wird die Pufferzeit so bemessen, dass sie zusammen mit der mittleren Reisezeit bis auf ein sehr kleines Quantil die Verteilung der Reisebzw. Transportzeiten überdeckt.
Unabhängig von der expliziten Definition der Zuverlässigkeit ist diese immer auf eine Relationen, also eine Fahrt von A nach B, bezogen. Die Routen, die auf einer Relation benutzt werden, stehen jedoch in den Modellen immer erst am Ende der Bestwegsuche fest, die auf den Reisezeiten, Kosten etc. der einzelnen Streckenabschnitte basiert. Verschiedentlich wird in der Literatur vorgeschlagen, die Standardabweichung der mittleren Reisezeit als Maß für die Unzuverlässigkeit zu verwenden, und diese streckenbezogen als Funktion des Auslastungsgrades zu schätzen. Damit könnte dann eine simultane Bestwegsuche versucht werden, die die Zuverlässigkeit integriert. Dies setzt jedoch noch eine wesentliche Randbedingung voraus: die Standardabweichungen der mittleren Reisezeit aufeinander folgender Streckenabschnitte dürfen nicht mit einander korreliert sein. Dies ist umso unwahrscheinlicher, je kürzer die Streckenabschnitte sind. Prinzipiell muss mit den Varianzen gearbeitet werden, da sich die Standardabweichung einer Relation bei Nicht-Korrelation als Wurzel aus der Summe der Varianzen der einzelnen Streckenabschnitte ergibt. Gerade im Bereich des Straßenverkehrs mit sehr feinen Netzen und sehr vielen und differenzierten Verkehrszellen ergeben sich sehr lange Routenbäume, deren Fahrtzeiten mehrere Zeitscheiben umfassen. Daher sind für eine vollständige Lösung noch weitere Forschungsarbeiten im Bereich der Optimierungsverfahren notwendig.
Die verbesserte Methodik der neuen Bundesverkehrswegeplanung legt großen Wert auf durchgängige Ansätze in Verkehrsprognose und Bewertung. Aktuell können die Ergebnisse zur Zuverlässigkeit nur im der Prognose nachgelagerten Bewertungsmodul zum Einsatz kommen. In künftigen Entwicklungsstufen der Bundesverkehrswegeplanung ist dann jedoch eine Iteration zu starten, bei der die Mengengerüste des Indikators Zuverlässigkeit wieder in die Modalwahlmodelle eingespeist werden. Eine Integration der Zuverlässigkeit in die Routenwahl weist noch die oben geschilderten Probleme auf.
Für den Verkehrsträger Binnenwasserstraße ist die Zuverlässigkeit ausschließlich über die Wasserstandsschwankungen und die damit variierenden Abladetiefen definiert. Im Folgenden werden daher die Untersuchungsansätze für die Verkehrsträger Straße und Schiene gemäß aktuellem Bearbeitungsstand dargestellt. Für den Verkehrsträger Straße wurde das Untersuchungsdesign wie folgt festgelegt:
• Funktionale Ermittlung der Standardabweichung der Reisebzw. Verlustzeit als Kenngröße der Zuverlässigkeit.
• Berücksichtigung ausschließlich der überlastungsbedingten Variabilität der Reisezeit. Dies entspricht der Logik, dass im Rahmen des BVWP nur infrastrukturelle Veränderungen der Zuverlässigkeit bewertet werden können. Darüber hinaus können im hochausgelasteten Bereich dieselben Geschwindigkeiten für Pkw und Lkw verwendet werden.
• Der funktionale Zusammenhang zwischen Auslastungsgrad und Standardabweichung wird bezogen auf einzelne Streckenabschnitte auf Basis von Simulationen geschätzt, wobei eine Korrelationsanalyse die Unabhängigkeit der Störungen auf benachbarten Streckenabschnitten nachweisen muss.
Auf Basis der Simulationen für reale Engpassbereiche auf Bundesautobahnen wurde der untenstehende Modellzusammenhang ermittelt, für den noch eine Gewichtung mit einer Bezugslänge eingeführt wurde, bei der eine Nicht-Korrelliertheit der Streckenabschnitte angenommen werden kann (vgl. GEISTEFELD, HOHMANN, unveröffentlicht, [3] S. 23 ff).
Das Modell ist für jede einzelne Strecke in Abhängigkeit vom (maximalen) Auslastungsgrad der Strecke (ggf. unter Zusammenfassung aufeinander folgender Teilstrecken desselben Engpasses) anzuwenden:
Formel (1) siehe PDF.
Aus den Standardabweichungen der n einzelnen Strecken innerhalb einer Route ist anschließend die Standardabweichung der Reisezeit für die Gesamtroute nach folgender Gleichung zu ermitteln:
Formel (2) siehe PDF.
Eine empirische Überprüfung der Zusammenhänge ist nicht unmittelbar möglich, da im Rahmen der Simulationen für die Schätzung der Funktion die Einflüsse der Infrastruktur isoliert werden konnten, während in der Realität Wetter, Unfälle etc. zusätzlichen Einfluss auf die Unzuverlässigkeit und damit die Standardabweichung haben.
Für den Verkehrsträger Schiene wurde folgende Vorgehensweise gewählt:
• Analyse von realen Verspätungen aus dem Leitsystem Disposition (LeiDis) der DB AG
• Reproduktion der Verspätungen in einem Simulationsmodell
• Variation betrieblicher und infrastruktureller Parameter des Simulationsmodells
• Schätzung von Reisezeitverteilungen je Zeitscheibe und Zuggattung für einzelne Netzabschnitte und Ableitung von Kennwerten der Verteilung
• Überprüfung der Korrelation vor Störfällen bei benachbarten Netzabschnitten. Diese Arbeiten werden aktuell durchgeführt.
Im Rahmen der neuen BVWP-Methodik wurden zwei Projekte zur Ermittlung von Wertansätzen für Reisebzw. Transportzeiten und Zuverlässigkeit initiiert. Das eine Projekt beschäftigt sich mit dem Personenverkehr, das andere mit dem Güterverkehr. Damit liegt – inhaltlich begründet – eine andere Segmentierung als bei der Ermittlung der Bewertungsmengengerüste für die Zuverlässigkeit vor (dort Straße, Schiene). In beiden Projekten wurden Revealed und Stated Preferences-Befragungen durchgeführt. Es zeigte sich, dass eine Standardabweichung der Reisezeit und deren Bewertung bei den Probanden nur schwer zu erfragen war. Im Personenverkehr wurde mit Toleranzen ggü. verspäteten Ankünften in Verspätungsintervallen gearbeitet. Im Güterverkehr wurde das Interviewdesign so aufgebaut, dass die Pünktlichkeit bzw. Unpünktlichkeit von Transporten im Mittelpunkt stand (Prozentsatz der verspäteten Ankünfte und mittlere Verspätung der verspäteten Transporte).
Beide Forschungsprojekte befinden sich momentan in der Endphase. Die Nennung von Ergebnissen ist an dieser Stelle daher noch nicht möglich. Sie werden aber sicher erste Hinweise darauf geben, ob für die Stunde Standardabweichung gegenüber der Stunde Reisebzw. Transportzeit ein höherer Wertansatz zu wählen ist oder nicht. In positiven Fall würde das Risiko der Verspätung höher bewertet als der sichere Zeiteinsatz zur Vermeidung des Risikos in Form von Pufferzeiten. Das Verhältnis der Wertansätze reflektiert damit die Austauschrelation zwischen dem Erwartungswert der Verspätung und der eingesetzten Pufferzeit.
4 Entscheidungsfindung
In Kapitel 2 und 3.2 wurden die Grundsätze sowie die einzelnen Module des Bewertungsverfahrens vorgestellt. Die Komponenten sind so angelegt, dass es keine Doppelzählungen von Projektwirkungen gibt. Insofern gelten die Bewertungsergebnisse zunächst unabhängig voneinander. Es gilt nun, die einzelnen Aspekte zu einer Gesamtentscheidung zusammenzuführen, so dass die Auswahl der sinnvollen Projekte und eine stufenweise Dringlichkeitsreihung möglich sind. Diese Priorisierung soll einerseits transparent, nachvollziehbar und standardisiert sein. Anderseits muss sie der Tatsache Rechnung tragen, dass auch Einzelfälle unter den ca. 2.500 zu bewertenden Projekten adäquat behandelt werden.
Aus diesen Anforderungen ergibt sich, dass die Bewertungsmodule durch eine sachlogische Priorisierungsvorschrift verknüpft werden sollen. Wie in der Vergangenheit verzichtet der BVWP auf ein aggregiertes Werturteil, welches zum Beispiel anhand von Nutzwertanalysen zu ermitteln wäre. Zum einen ist es in der Praxis äußert schwierig, die Ergebnisse der einzelnen Bewertungsmodule in eine einheitliche Skala (z.B. Punkteskala) zu übertragen und zu einem gewichteten Gesamtergebnis zusammenzuführen. Das benötigte Gewichtungsschema ist politisch wie methodisch schwierig umsetzbar und wird häufig als willkürlich empfunden. Zum anderen impliziert die Überführung in eine einheitliche Skala, dass sehr gute Ergebnisse in einem Modul genutzt werden könne, um weniger gute Wirkungen in einem anderen auszugleichen. Auch weil die Ergebnisse der NKA weiterhin den Kern des Entscheidungsverfahrens bilden sollen, ist eine solche Ausgleichsmöglichkeit nicht vorgesehen. Stattdessen soll eine stufenweise Priorisierungsvorschrift entwickelt werden, welche alle Bewertungsmodule in ihren originären Ergebnissen nutzt. In der Grundkonzeption für den BVWP 2015 wurden deshalb die drei folgenden Priorisierungsschritte vorgesehen:
(1) Festlegung der notwendigen Finanzmittel für Erhaltung und Ersatz
(2) Aufteilung der verbleibenden Finanzmittel auf die drei Verkehrsträger
(3) Dringlichkeitseinstufung innerhalb der Verkehrsträger.
Der erste Schritt der Priorisierungsstrategie für den BVWP 2015 ist die Festlegung der Erhaltungsund Ersatzinvestitionen bis 2030 für die drei Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraße. Damit wird das Ziel umgesetzt, der Erhaltung und dem Ersatz des Bestands Vorrang zu geben. Schritt (1) wurde bereits in Abschnitt 2.1 beschrieben.
Aufgabe des Priorisierungsschritts 2 ist es, unter Berücksichtigung der verkehrspolitischen Ziele und verschiedener strategischer Investitionsszenarien die Mittelaufteilung für Ausund Neubaumaßnahmen auf die drei Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraße abzuleiten. Für die Vorbereitung der politischen Abwägung der Mittelaufteilung wird im BVWP 2015 dargestellt, welche Effekte der Gesamtplan initiiert, wenn die Wirkungen über alle enthaltenen Projekte aufsummiert werden. Anhand dieser Gesamtplanwirkungen soll auch eine Alternativenprüfung zur Optimierung des Gesamtplans erfolgen. Dabei wird veranschaulicht, wie sich bei unterschiedlichen Investitionsstrategien und den sich daraus ergebenden Mittelaufteilungen die Gesamtwirkungen des Plans verändern. Aufgrund der hohen Anzahl von Bewertungsindikatoren können bei den Gesamtplanauswirkungen voraussichtlich nur ausgewählte Kennzahlen aufgeführt werden.
Ein Beispiel für eine solche Auswertung enthält Abbildung 3. Unterschieden werden hier drei Mittelaufteilungen. Investitionsszenario A könnte sich beispielsweise ausschließlich an den Ergebnissen der Nutzen-Kosten-Analysen orientieren. Investitionsszenario B sähe eine Mittelaufteilung wie im Status quo (beispielsweise in Anlehnung an den aktuellen Investitionsrahmenplan 2011-2015) vor. Im Investitionsszenario C wäre eine Konzentration auf die Engpassbeseitigung unterstellt. Für die drei exemplarischen Investitionsszenarien würden sich aufgrund der unterschiedlichen Projektzusammensetzung jeweils verschiedene Gesamtplanauswirkungen ergeben.
Mit dem beschriebenen Verfahren der Bewertung unterschiedlicher Investitionsstrategien bzw. -szenarien kann eine Schwerpunktsetzung der Investitionen anhand der Gesamtplanwirkungen vorgenommen werden. So ist es beispielsweise möglich, den Beitrag der Investitionen des BVWP 2015 zu bereits vorliegenden Zielsetzungen (wie z.B. zum Flächenverbrauch oder zu CO2-Emissionen) auszuweisen und die Investitionen auf wichtige Zielsetzungen der Bundesverkehrswegeplanung (z.B. Reduktion von Engpässen) auszurichten. Im Ergebnis des Vergleich und der Abwägung von Investitionsszenarien ergibt sich dann die Mittelaufteilung auf die Verkehrsträger. Die Entscheidung über die Aufteilung der Finanzmittel auf die drei Verkehrsträger wird damit auf Grundlage der Ergebnisse der Projektbewertungen und der Abwägung der Investitionsszenarien vorgenommen.
Im dritten Priorisierungsschritt erfolgt die Dringlichkeitsreihung innerhalb der Verkehrsträger. Die Nutzen-Kosten-Analyse wird weiterhin die Basis der Entscheidungsfindung bilden. Im NKA-Modul ist der überwiegende Teil der Projektwirkungen erfasst. Deswegen dient das NKV als zentrales Kriterium in der Unterscheidung zwischen Vordringlichem Bedarf (VB) und Weiteren Bedarf (WB). Die weiteren Bewertungsmodule dienen dazu, in einzelnen Fällen vom Wirtschaftlichkeitskriterium abzuweichen. Projekte die in der umweltund naturschutzfachlichen Beurteilung als besonders kritisch auffallen oder in den raumordnerischen/städtebaulichen Beurteilungen oder in den Erhaltungsbedarfsprognosen einen hohen zusätzlichen Nutzen generieren, sollen in ihrer Dringlichkeit entsprechend abbzw. aufgestuft werden.
Darüber hinaus soll die große Menge der hochwirtschaftlichen Projekte im Gegensatz zu früher noch einmal weiter differenziert werden. Projekte, die einen signifikanten Beitrag zur Engpassbeseitigung leisten, werden als besonders schnell umzusetzend in die Kategorie Vordringlicher Bedarf Plus (VB+) eingeordnet. Abbildung 4 stellt die vollständige Priorisierungsstrategie dar. Dabei wird darauf geachtet, dass es nicht zu Doppelbewertungen kommt. Deswegen bildet die Engpassbeseitigung ein zusätzliches Kriterium, welches aber nicht geringere Nutzen-Kosten-Verhältnisse ausgleichen kann. Damit sollen aus der großen Menge der hochwirtschaftlichen Projekte diejenigen ausgewählt werden, die aus Sicht der Netzmängelanalysen vordringlich umgesetzt werden sollen.
Abbildung 4: Einstufung von Projekten in die Dringlichkeitskategorien (BMVBS 2012 [1] )
Die Priorisierungsvorschrift nutzt in einem nachvollziehbaren Verfahren alle Bewertungsmodule, kommt jedoch ohne komplexe Gewichtungen aus. Die Entscheidungsfindung basiert stattdessen auf einem kleinen Set von Priorisierungsregeln, die einfach nachgeprüft und bei Bedarf angepasst werden können. Im Sinne der Transparenz ist es aber inzwischen Standard, dass die Einzelwerte der Indikatoren in ihren originären Größen im Sinne einer multikriteriellen Wirkungsanalyse ausgewiesen werden. Dieser Schritt wurde bereits mit dem PRojektINformationsSystem (PRINS) des BVWP 2003 eingeleitet. Stärker als in der Vergangenheit sollen zu jedem Einzelprojekt die Ergebnisse der einzelnen Module separat und übersichtlich in Listen dargestellt werden. Die Entscheidungsträger – letztendlich die Parlamentarier des Deutschen Bundestages – werden in die Lage versetzt, Aspekte bei Bedarf neu zu gewichten und eine abweichende Priorisierung vorzunehmen.
Alle Bewertungsergebnisse der Einzelmodule sowie die Dringlichkeitseinstufung werden in einem Web-basierten Projektinformationssystem als Anlage zum Gesamtplanentwurf veröffentlicht. Erstmals besteht für alle Interessierten die Möglichkeit, zu diesem Gesamtplanentwurf sowie den zugehörigen Umweltbericht Stellung zu nehmen.
5 Literatur
5.1 Bücher und Forschungsberichte
[1] BICKEL, P.; BURGESS, A.; HUNT, A.; LAIRD, J.; LIEB, CH.; LINDBERG, G.; OD-GAARD, T. (2005): State-of-the-art in Project Assessment, HEATCO
[2] BMVBS (Hrsg., 2012): Grundkonzeption für den Bundesverkehrswegeplan 2015. Entwurf. Berlin.
[3] GEISTEFELDT, J., HOHMANN, S. (unveröffentlicht); Ermittlung des Zusammenhangs von Infrastruktur und Zuverlässigkeit des Verkehrsablaufs für den Verkehrsträger Straße. Entwurf Schlussbericht
[4] NAGEL, K., WINTER, M., BECKERS, T., RÖHLING, W., LIEDTKE, G., SCHOLZ, A. (2010): Analyse der verkehrsprognostischen Instrumente der Bundesverkehrswegeplanung
[5] DE JONG ET AL. (2012): Erfassung des Indikators Zuverlässigkeit des Verkehrsablaufs im Bewertungsverfahren der Bundesverkehrswegeplanung
5.2 Zeitschriftenartikel
[6] BECKERS, T., KLATT, J.P., REINKE, J. (2011); Kostenunterschätzungen im Planungsprozess für Bundesfernstraßen Empirische Analysen sowie eine Diskussion von Fehlanreizen und weiteren Ursachen. Zeitschrift für Verkehrswissenschaft Jg.: 82, Nr.3, 2011. Seite 149-173. |