FGSV-Nr. FGSV C 13
Ort Worms
Datum 08.03.2016
Titel Sanierung von Verkehrsflächen mit Baumbestand – Ausblick auf das künftige Regelwerk
Autoren Dr. Clemens Heidger
Kategorien Erd- und Grundbau
Einleitung
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1 Problemstellung

Der unterirdische städtische Bodenraum ist nur begrenzt verfügbar. Ständig auf der Suche nach neuen Ressourcen zur Versorgung des Nährstoff- und Wasserbedarfs erschließen unsere Stadtbäume den gesamten verfügbaren Bodenraum, den sie sich mit anderen Nutzern teilen müssen.

Stadtbäume haben dazu ihr Wurzelwerk den Gegebenheiten in der Stadt angepasst. Artspezifische Regelmäßigkeiten der Wurzelarchitektur gibt es am Stadtstandort nicht, erschlossen wird alles, was sich als "durchwurzelbar" herausstellt.

Die horizontale und vertikale Wurzelausdehnung von Straßenbäumen orientiert sich weder an Bodenzonierungen noch an Flächenabmessungen, bei denen als Orientierungswert die projektive Kronentraufe hinzugezogen wird. Horizontal streifen oftmals Stränge von Wurzeln selbst stärkster Klassen noch weit über Kronentraufen hinaus, so dass es unweigerlich zum Wurzeleinwuchs in den Oberbau von Verkehrsflächen kommt.

Über die vertikale Tiefendurchwurzelung, das heißt die physiologische Bodentiefe, bestimmt vorrangig die Bodendichte, somit besteht ein Bezug zur jeweiligen Flächennutzung. In Verkehrsflächen werden Bodentiefen bis höchstens 60 cm erschlossen, in besonderen Situationen, z. B. bei Leitungszonen, können selbst Tiefen von > 2,0 m noch erschlossen werden.

Ein Wurzeleinwuchs in Verkehrsflächen erfolgt schnell und verdeckt. Kaum ist der neue Baum gepflanzt, erschließen bereits die feinen Wurzeln das umgebende Erdreich auf der Suche nach dem durchwurzelbaren Bodenraum.

Wenn die Prognosen von Reichwein (2002) zutreffen, dass "fast jeder Baum in Verkehrsflächen früher oder später zu Anhebungen im Wegebelag führen wird", werden düstere Zeiten auf Städte und Gemeinden zukommen. Sowohl Pflasterdecken, Plattenbeläge, Asphaltdecken, Randeinfassungen und selbst schwergewichtige Hochbordsteine werden im Laufe der Zeit von den Wurzeln verschoben, aufgerissen oder angehoben. Städte und Gemeinden sind im Zuge der Verkehrssicherungspflicht zur Schadensbeseitigung gesetzlich verpflichtet.

Geldknappheit zwingt die Verwaltungen zu Maßnahmen, die sie im Grunde genommen gar nicht wollen, nämlich zu Baumfällungen. Trotz massivster Bürgerproteste und bestehender Baumschutzsatzungen bietet sich hier oftmals die einzige Möglichkeit, den durch Baumwurzeln verursachten Schaden an Wegebelägen und Randeinfassungen wieder in den Griff zu bekommen.

Bei genauer Betrachtung zeichnen sich darin die Folgen einer mangelhaften Pflanztechnik kombiniert mit einer unpassenden Pflanzenwahl und einem völlig unterschätzten Raumbedarf ab, der dem nach Überleben strebenden Straßenbaum in keinster Weise gerecht wird.

Maßnahmen, die eine Durchwurzelung verringern oder sogar ausschließen, sind daher sehr willkommen. Leider erweisen sich alle bisher angewendeten Wurzelschutzmaßnahmen als kaum wirksam.

Eine Möglichkeit zum Umgang mit Wurzelhebungen ist das Aufstellen von Schildern, die auf Belagschäden und Unebenheiten hinweisen, in massiven Fällen werden Verkehrsflächen ganz gesperrt. Eine rabiatere Methode ist das Abhacken des gesamten Wurzelwerks unter den durchwurzelten Verkehrsflächen.

Aber eine solche Vorgehensweise führt nur scheinbar zum Erfolg. Falls der Baum aufgrund des Eingriffs nicht lebensbedrohlich geschädigt worden ist, bewirkt die Kappung der Wurzeln das genaue Gegenteil, nämlich eine Stimulanz des Wurzelwachstums. Dadurch bilden sich an der Schnittstelle der gekappten Wurzel eine Vielzahl von kleinen Wurzeln, die in kurzer Zeit erneut in die Oberbauschichten einwachsen und die Fugen von Pflasterdecken und Randeinfassungen durchwurzeln.

Insofern trifft es zu, dass die zur Zeit am häufigsten praktizierte Methode, nämlich die Wurzelkappung in Verkehrsflächen, zu einer Verschärfung der straßenbaulichen Situation beiträgt.

Regelbauweisen oder Empfehlungen, von denen ein wirklicher Präventionsschutz bereits zu Beginn der Neubaumaßnahme zu erwarten wäre, gibt es anscheinend nicht. Ganz offensichtlich herrscht hier ein Mangel vor.

Tatsache ist, dass in keinem derzeit gültigen straßenbaulichen Regelwerk Hinweise zum Durchwurzelungsschutz genannt werden, ein Indiz für den momentanen Stellenwert von Schutzmaßnahmen vor Wurzeleinwuchs im Straßenbau.

Vielleicht ist die Wirksamkeit gängiger Schutzsysteme dafür der Grund? Fest steht, dass allein durch die Vorgabe von Baumabständen ein nachhaltiger Durchwurzelungsschutz niemals zu erreichen ist.

Einzig die "Hinweise zur Straßenbepflanzung in bebauten Gebieten" der FGSV (FGSV 232) empfehlen bei Straßenbaum-Neupflanzungen die Verwendung von monolithischen Wurzelglocken als prophylaktische Schutzmaßnahme. Wie aber verfährt man mit Altbaumbeständen?

2 Ursache und Wirkung

Betrachtet man die kausalen Zusammenhänge, die sich aus der Frage nach dem "Warum die Wurzeln nicht wie üblich in die Tiefe wachsen und lieber nach oben kommen" stellt, wird der Sachverhalt, der zur Schädigung führt, ersichtlich.

Die Versorgung eines jeden Baumes, selbst eines Jahrhunderte alten "Baumriesen", erfolgt ausschließlich über die Feinwurzelarchitektur, das heißt durch Wurzelorgane von nur 1 bis 2 Millimeter Dicke, die eine Lebensdauer von einer Woche bis höchsten einem Monat haben.

Diese Feinwurzelarchitektur ist es, die über die Wuchsrichtung eines jeden Baumes bestimmt und ihn dadurch lenkt.

Um an verfügbares Bodenwasser zu gelangen, müssen die feinsten Wurzeln der Bäume in die Bodenschichten eindringen können und diese durchwurzeln. Die größtmögliche Aufnahme des im Untergrund gespeicherten Perkulationswassers ist nur bei vollständiger Wurzelerschließung des zur Verfügung gestellten unterirdischen Entwicklungsraumes möglich. Voraussetzung dafür ist ein ausreichend mit Luft versorgter Bodenraum (deshalb wird als Nachweis der vegetationstechnischen Eignung von Baumsubstraten ein Luftvolumen von mindestens 11 Vol.-% gefordert, vergleiche FLL "Empfehlungen für Baumpflanzungen, Teil 2", Ausgabe 2004 und 2010).

Dem Prinzip des geringsten Widerstandes folgend wachsen die Feinst- und Feinwurzeln immer in einen Boden, in den sie leichter eindringen können, während die stärker verdichtete Umgebung, z. B. der Straßenoberbau oder ein verdichteter Untergrund, gemieden werden. Der Grund dafür ist die sich an der Wurzelspitze befindliche Wurzelhaube (Kalyptra), die mit sensiblen Tastzellen ausgestattet ist, die auf geringste Bodenverdichtungen reagieren und sich immer der "lockeren" Umgebung zuwenden. Grundlegende Voraussetzung für das Wurzelwachstum ist daher die Versorgung mit Bodenluft (vgl. Heidger 1999).

Dieser Mangel an Bodenluft zwingt den Baum, in die oberflächennahen und damit besser durchlüfteten Bodenzonen vorzudringen, um überleben zu können.

Ursache dieses Luftmangels ist eine ständig fortschreitende Tief- und Straßenbautechnik, die das Maximum an erreichbarer Verdichtbarkeit fordert mit der Folge von extremsten Bodenverdichtungen, die noch bis in große Bodentiefen reichen und eine Durchwurzelung ausschließen.

3 Stand von Wissenschaft und Technik

In Expertenkreisen hat man die Problematik bereits in den 1990ern erkannt. Im Allgemeinen bestand Einvernehmen sämtlicher beteiligter Fachdisziplinen, dass für die Straßenbäume etwas getan werden muss ­ es war die Geburtsstunde der Standortoptimierung.

So ist man im Garten- und Landschaftsbau seit etwa 1988 bestrebt, den Standraum von Bäumen in versiegelten Bereichen zu optimieren, so dass der Entwicklungs- und Gesundheitszustand der Bäume auf Dauer gesichert wird. Untersuchungen von Tauchnitz (1988), Krieter (1989), Balder (1990) sowie Liesecke und Heidger (1991) lassen erkennen, dass eine ständig fortschreitende technische Weiterentwicklung der Tief- und Straßenbautechnik zu gravierenden Beeinträchtigungen der Lebensbedingungen von Straßenbäumen geführt hat.

Erste Forschungsergebnisse und Erkenntnisse über die Bedeutung der physikalischen Bodeneigenschaften für die Ausbreitung des Wurzelsystems von Straßenbäumen liegen von Krieter (1989), Schröder und Grimm-Wetzel (1990) vor, die durch die langjährigen Forschungsarbeiten in den Jahren von 1989 bis 2001 (Liesecke und Heidger, 1994, Heidger, 2001) ihre Bestätigung finden.

Daraus ableitbare grundlegende Erkenntnisse zu den bodenphysikalischen und -chemischen Eigenschaften von Baumsubstraten sowie eine erste Ableitung eines Anforderungsprofils für Baumsubstrate sind bei Liesecke und Heidger (2000 a u. b) aufgeführt.

Eingeflossen sind all diese Erkenntnisse in die "Empfehlungen für Baumpflanzungen, Teil 2: Standortvorbereitungen für Neupflanzungen" (2004). Im Wesentlichen sind daraus Hinweise zu: ­ ­ ­

– Pflanzgrubenbauweisen

– Substratanforderungen und

– Wurzelraumerweiterungen

entstanden, an denen sich die Anforderungen für die Standortoptimierung von Bäumen in Stadtstraßen orientieren.

4 Regelwerke

Nicht behandelt aber ist der Wurzeleinwuchs in Verkehrsflächen sowohl in straßenbaulichen als auch in gärtnerischen Regelwerken.

Probleme ergeben sich bereits bei der Zuordnung der Aufgabenverteilung zwischen den beiden Fachdisziplinen Straße und Grün. ­

– Bei einer durch Wurzeleinwuchs geschädigten Verkehrsfläche sind Maßnahmen zur Standortoptimierung für den Baum gar nicht erforderlich, denn in der Regel geht es dem Straßenbaum gut. Er ist eigenständig in der Lage in die Verkehrsfläche einzudringen, um diese als Wurzelraum zu nutzen.

– Die Beseitigung des Schadens an der Verkehrsfläche obliegt dagegen dem Straßenbaulastträger und fällt in das Aufgabengebiet des Straßenbaus. Eine Beteiligung durch das zuständige Grünflächenamt ist selten oder eher gar nicht vorgesehen. Die Ausführung erfolgt in Eigenregie und in Unkenntnis von gärtnerischen und erst recht vegetationstechnischen Fachkenntnissen. Um die Verkehrsfläche fachgerecht wiederherzustellen, wird das vorgefundene Wurzelwerk in der Regel entfernt.

Erst durch die Baumaßnahme kommt es zu nachhaltigen Schädigungen am Baum, die eine Sanierung erfordern.

In diesem Zusammenhang muss klar gestellt werden, dass der Begriff Sanierung im Sprachgebrauch des Straßenbaus nicht verwendet wird, bei einer Verkehrsfläche spricht man stattdessen von Erneuerung oder Wiederherstellung.

5 Neues gemeinsames Regelwerk von FGSV und FLL in Arbeit

Es liegt auf der Hand, dass zur Problemlösung die Notwendigkeit der Zusammenarbeit beider Fachdisziplinen erforderlich ist. Deshalb haben die Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V (FLL) und die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. (FGSV) im Jahr 2011 die gemeinsame Erarbeitung eines Regelwerks zur Standortsanierung beschlossen.

Zurzeit erarbeiten beide Gremien ihre Arbeitsentwürfe selbstständig in Arbeitskreisen oder Regelwerksausschüssen, die anschließend zu einem gemeinsamen Regelwerk vereint werden.

Die Zuständigkeit der FGSV obliegt ausschließlich straßenbaulichen Belangen, während die FLL den landschaftsgärtnerischen Teil übernimmt.

Schwerpunkt des verkehrstechnischen Teils sind durch Baumbewuchs in Verkehrsflächen entstandene Belagsschäden, die an Hand von Fallbeispielen dokumentiert werden.

Darauf aufbauend werden Maßnahmen aufgezeigt, die eine nachhaltige und funktionsgerechte Wiederherstellung der Verkehrsfläche ermöglichen und das immer unter der Prämisse einer wurzelschonenden Ausführung.

Mit der Fertigstellung des straßenbaulichen Teils ist im Frühjahr 2016 zu rechnen.

Literaturverzeichnis

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Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. (FLL): Empfehlungen für Baumpflanzungen, Teil 2: Standortvorbereitungen bei Neupflanzungen; Pflanzgruben und Wurzelraumerweiterung, Bauweisen und Substrate, Ausgabe 2004/10

H e i d g e r, C. (1999): Ist ein gesunder Baum bald nur noch ein Traum? ­ Erkenntnisse zur Standortoptimierung an Straßenbäumen. Stadt+Grün H. 5, S. 293-­298

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L i e s e c k e, H.-J.; H e i d g e r, C. (1994): Bäume in Stadtstraßen ­ Untersuchungen zur Entwicklung und Erprobung von vegetationstechnischen und bautechnischen Maßnahmen zur Optimierung des Wurzel- und Standraumes von Bäumen in Stadtstraßen. Heft 670 der Schriftenreihe Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Hrsg. Bundesministerium für Verkehr, Selbstverlag Bonn

L i e s e c k e, H.-J.; H e i d g e r, C. (2000): Substrate für Bäume in Stadtstraßen, Teil 2: Diskussion der Ergebnisse und Ableitung eines Anforderungsprofils. Stadt und Grün 49 (9) S. 620­-624

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